Serienverbkonstruktionen im Chinesischen und ihre Darstellung im

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Serienverbkonstruktionen im
Chinesischen und
ihre Darstellung im Formalismus der
HPSG
Freie wissenschaftliche Arbeit
zur Erlangung des Grades eines Magister Artium
am Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften
der Freien Universität Berlin
am Ostasiatischen Seminar,
Fach: Sinologie
eingereicht von Janna Lipenkova
1. Gutachter: Dr. Andreas Guder
2. Gutachter: Univ.-Prof. Dr. Stefan Müller
1
Einleitung ….......................................................................................................................4
I. Grundlagen zum chinesischen Verb
8
I.1 Klassifizierung chinesischer Verben ...........................................................................8
I.2 Die chinesische Verbalphrase …................................................................................21
I.2.1 Transitive und ditransitive Verbalphrasen …............................................................21
I.2.2 Aspektsystem ….........................................................................................................26
I.3 Komplexe Verbkonstruktionen …..............................................................................33
I.3.1 Verbale Grammatikalisierung und Lexikalisierung …................................................33
I.3.2 Eingebettete Sätze und Kontrollverben …..................................................................39
II. Beschreibungen von SVCs in der Literatur
43
II.1 Chao: Verbal expressions in series (Chao 1968: 325-349) …..................................43
II.2 Li & Thompson: „Serial Verb Constructions“ (LT 594-622) ….............................53
II.3 Baker / Chang: „shared object“ und „shared reference“ …...................................58
II.3.1 Baker: “Object sharing and projection in serial verb constructions“....................... .58
II.3.2 Chang: Koreferenz und „Temporal Sequence“ …....................................................64
III. Syntaktische und semantische Analyse chinesischer SVCs 67
III.1 Einleitung: Motivation und Funktion von SVCs …...............................................68
III.2 Die SVC als Satzkonstituente …..............................................................................74
III.2.1 SVC als komplexer Satz …......................................................................................75
III.2.2 SVC als Kontraktionssatz ….....................................................................................79
III.2.3 SVC als Kompositum................................................................................................ 81
III.2.4 SVC als komplexes Prädikat ….................................................................................82
III.3 Syntaktische und semantische Zusammenhänge in der SVC …............................82
III.3.1 Semantische Ausdrucksmöglichkeiten …..................................................................83
III.3.2 Entambiguisierung durch Aspektmarkierung ….......................................................90
III.3.3 Argumentstruktur und thematische Beziehungen ….................................................98
III.4 Semantische und lexikalische Zusammensetzung von SVCs …............................105
III.4.1 Asymmetrische SVCs …...........................................................................................106
III.4.2 Symmetrische SVCs................................................................................................. 110
IV. Darstellung chinesischer SVCs im Rahmen von
HPSG
113
IV.1Einführung in die HPSG..........................................................................................113
IV.1.1 Aufbau der Merkmalstruktur in HPSG...................................................................114
IV.1.2 Prinzipien und Grammatikregeln ….......................................................................121
IV.2Darstellung der chinesischen SVC in HPSG – eine Konstruktion zwischen
Subordination und Koordination....................................................................................126
IV.2.1 Allgemeine Beschränkungen für den Obertyp svc..................................................127
IV.2.2 Die sequentielle SVC: Asymmetrie, Asyndese, Iterativität …................................129
IV.2.3 Modifikationsbeziehungen in der binären SVC.......................................................134
IV.3 Alternative HPSG-Analysen: SVCs in Ga, Thai und Akan..................................140
IV.3.1 SVCs in Ga (Dakubu/Hellan/Beermann 2007)........................................................140
IV.3.2 SVCs in Akan (Hellan / Beermann / Andenes 2003)...............................................144
IV.3.3 Direktionale SVCs in Thai (Muansuwam 2000)......................................................150
Zusammenfassung und Ausblick ….................................................................................155
Einleitung
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit Serienverbkonstruktionen (SVCs) im
Chinesischen und ihrer Darstellung im Rahmen von Head-driven Phrase Structure Grammar
(HPSG). Die SVC ist eine syntaktische Struktur, in der mehrere Verbalphrasen ohne eine
Markierung ihrer Beziehung zueinander aneinander gereiht werden. SVCs kommen in
bestimmten Sprachen vor, die in der Literatur entsprechend als „serialisierende Sprachen“
eingeordnet werden; dies sind in der Regel Sprachen eingrenzbarer geografischer Gebiete
– v. a. Westafrika, Südostasien, Neuguinea, Ozeanien, Zentralamerika – sowie Kreol- und
Pidginsprachen. Vergleicht man die vielfältigen Beschreibungen von SVCs, so lassen sich
folgende allgemeine, sprachübergreifend gültige Eigenschaften ableiten:

Die SVC besteht aus zwei oder mehr Verbalphrasen, die ohne syntaktische
Markierung aneinandergereiht sind.

Die SVC beschreibt ein einziges Ereignis.

Die Verben einer SVC haben mindestens ein gemeinsames Argument.

Die SVC hat nur ein Subjekt bzw. externes Argument .

SVCs sind oft Gegenstand von Grammatikalisierungs- und Lexikalisierungsprozessen.
Wenn man sich mit Abhandlungen zu SVCs in der Literatur auseinandersetzt, wird schnell die
terminologische Unbestimmtheit dieses Begriffs deutlich. Definitionsversuche, die über eine
allgemeine Charakterisierung hinausgehen, sind höchst heterogen: es entsteht der Eindruck,
dass der Begriff SVC eher zur Bezeichnung einer intuitiv aufgefassten Struktur denn einer
deutlich definierten und formal analysierbaren Konstruktion verwendet wird. Die serielle
„Konstruktion“ verbleibt in mehreren Hinsichten zweideutig: durch die Anwendung
unterschiedlicher Grammatiktheorien sowie eine oft einseitige Analyse mit ausschließlich
syntaktischen, semantischen oder morphologischen Kriterien kommen die Autoren zu
entsprechend divergierenden Ergebnissen. Bedeutende Differenzen entstehen auch infolge der
Fokussierung der meisten Autoren auf bestimmte Sprachen bzw. Sprachgruppen – die so
entwickelten Definitionen können oft nicht mehr universell auf andere serialisierenden
Sprachen angewendet werden. Schließlich zeigt die SVC auch in einer einzelnen Sprache
häufig verschiedene semantische und syntaktische Variationen auf, die nicht einheitlich
analysiert werden können. Die SVC bildet also keine klar abgrenzbare grammatische
Kategorie; der Begriff bezieht sich vielmehr auf eine Reihe von Strukturen, die vor allem in
ihrer Oberflächenstruktur Gemeinsamkeiten aufweisen. Indessen versuchen die meisten
Autoren, eine auf alle SVC-Formen einer Sprache oder womöglich gar universell auf alle
serialisierenden Sprachen anwendbare Beschreibung zu liefern.
Im Chinesischen weist die SVC eine homogene syntaktische Form auf: sie besteht aus einer
Folge von Verbalphrasen, die mit Aspektpartikeln markiert sein können:
(a)
Wo3 qu4
tu2shu1guan3
xue2xi2.
Ich
Bibliothek
lernen.
gehen
Ich gehe zum Lernen in die Bibliothek.
(b)
Wo3 zuo4
che1
qu4
tu2shu1guan3.
Ich
Auto
gehen
Bibliothek.
sitzen
Ich fahre mit dem Auto zur Bibliothek.
(c)
Wo3 xia4
le0
ke4
Ich beenden
perfASP Unterricht
qu4
tu2shu1guan3.
gehen
Bibliothek
Nach dem Unterricht gehe ich in die Bibliothek.
Hinter der gleichen syntaktischen Struktur verbirgt sich eine Reihe von
Ausdrucksmöglichkeiten: in jedem Beispiel geht der interpretierte Gehalt über die Summe der
Bedeutungen der einzelnen Verbalphrasen hinaus: es wird eine Beziehung zwischen den zwei
Verbalphrasen hergestellt, die jedoch syntaktisch unmarkiert bleibt.
In dieser Arbeit soll versucht werden, einen Ansatz für die Analyse dieser semantischen
Vielfalt bei gleicher syntaktischer Struktur zu finden. Nach einer Verarbeitung verschiedener
Beschreibungen von Serienverben im Chinesischen sowie auch einiger sprachübergreifender
Ansätze soll eine Auswahl von syntaktischen und semantischen Merkmalen herausgefiltert
werden, die eine möglichst genaue Definition der chinesischen Verbalserie ermöglicht; wir
werden die verschiedenen Arten von SVCs dabei in mehrere semantische Klassen einteilen
und anschließend anschließend einige von ihnen im Rahmen von HPSG modellieren.
Die Arbeit ist in vier Teile gegliedert. Im ersten Teil werden sprachspezifische Gegebenheiten
des Chinesischen beschrieben, die für das Verständnis der nachfolgenden Analysen
notwendig sind. Ausgangspunkt für diesen Teil ist das chinesische Verb als Wortart. Es
werden bestehende syntaktische und semantische Kategorisierungen vorgestellt, die es
ermöglichen, Klassen von Verben, die in bestimmten grammatischen Konstruktionen
vorkommen können, zu bilden. Anschließend gebe ich einen Überblick für das Verhalten
chinesischer Verben in einfachen und komplexen Sätzen: Chinesisch erlaubt mehrere Arten
der unmarkierten Aneinanderreihung von Verbalphrasen, was u. a. auf das begrenzte
Präpositionalsystem zurückgeführt werden kann. Die Analyse komplexer Strukturen dient der
späteren Abgrenzung der Serienverbkonstruktionen von anderen Strukturen mit mehreren
Verben.
Im zweiten Teil werden einige sich teilweise widersprechende Auffassungen der SVC
vorgestellt. Einerseits soll noch einmal die Mehrdeutigkeit des Begriffs herausgestellt werden:
die Beschreibungen unterscheiden sich in Bezug auf grundlegende Eigenschaften sowie auf
die Bandbreite in die Analyse einbezogenen SVC-Konstruktionen: so betrachten
Li/Thompson mit Abstand alle Strukturen mit aneinandergereihten verbalen Sequenzen als
SVCs; dem entgegengesetzt ist der Ansatz von Baker, der in seiner einflussreichen
Untersuchung nur Konstruktionen mit gemeinsamen internen Argumenten betrachtet.
Tatsache bleibt jedoch, dass die in der linguistischen Forschung allgemein als SVCs
bezeichneten Konstruktionen in den meisten Sprachen über gemeinsame grundlegende
Charakteristika verfügen. Deshalb analysiere ich im dritten Teil, inwieweit die vorgestellten
Ansätze auf chinesische SVCs übertragen werden können. Die SVC wird einerseits als
funktionale Einheit betrachtet; zum anderen werden mögliche syntaktische und semantische
Zusammenhänge innerhalb der SVC analysiert und häufig vorkommende lexikalische
Ausgestaltungsvarianten vorgestellt.
In einem vierten Teil wird der Versuch unternommen, die syntaktische Struktur und die
semantischen Beziehungen in chinesischen SVCs im Rahmen des HPSG-Formalismus zu
modellieren. Die Bandbreite der verwendeten Konstruktionen erhebt keinen Anspruch auf
Vollständigkeit: ich greife Formen heraus, die repräsentativ für wichtige, häufig
anzutreffenden Kategorien von SVCs erscheinen. Die SVC wird als hybride Konstruktion
analysiert, deren Struktur Merkmale der Koordination und der Subordination aufzeigt: dabei
kann insbesondere eine Diskrepanz zwischen syntaktischer und semantischer Beschaffenheit
festgestellt werden, die durch die Möglichkeit der separaten Darstellung von Syntax und
Semantik in HPSG teilweise überwunden werden kann. Es soll aber ebenfalls gezeigt werden,
dass der SVC häufig eine pragmatische Zweideutigkeit zugrunde liegt, deren Auflösung über
den Rahmen eines einer formalen Grammatik hinausreicht.
I. Grundlagen zum chinesischen Verb
In diesem Teil werden Grundlagen zu chinesischen Verben und ihren
möglichen Kombinationen im Satzgefüge dargelegt, deren Verständnis für die
nachfolgende Analyse von Serienverbkonstruktionen (SVCs) wichtig ist. Im
ersten Kapitel werden die Verbarten des Chinesischen unter besonderer
Beachtung von Chaos Kategorisierung (1968) vorgestellt. Es folgt eine
Beschreibung der chinesischen Verbalphrase sowie des chinesischen
Aspektsystems. Anschließend werden einige komplexe verbale
Konstruktionen vorgestellt, die von verschiedenen Autoren aufgrund ihrer
Gemeinsamkeiten in der Oberflächenstruktur sowie in der Semantik als
Verbalserien eingeordnet werden. Es wird sich jedoch im weiteren Verlauf
zeigen, dass diese Konstruktionen wichtige Merkmale der Verbalserie nicht
aufweisen und somit aus unserer Betrachtung ausgeschlossen werden sollten.
Ich lehne mich in diesem Kapitel zu einem bedeutenden Teil an die in den
Basiswerken zur chinesischen Grammatik von Chao (1968) sowie
Li/Thompson (1981) dargelegten Beschreibungen verbaler Strukturen an.
I.1 Klassifizierung chinesischer Verben
Der Versuch einer Unterteilung von Verben in Kategorien liegt in der
Tradition der chinesischen Grammatik. Die Anwendungsmöglichkeiten
einzelner Verben werden in großen Maße durch ihre lexikalischen Merkmale
bestimmt. Wir finden in der Literatur Klassifizierungen von Verben nach
unterschiedlichen Kriterien. So nennt Simon schon 1958 vier syntaktische
Umgebungen, in denen Verben vorkommen können:
-
Topik: Verb verweist auf ein präverbales Nomen oder Pronomen
-
Extension (E): Nomen oder Pronomen in postverbaler Position
-
Zweite Extension (SE): Aktant, der sich nicht mit der Partikel ba in
eine präverbale Position verschieben lässt
-
Angabe von Größe / Anzahl (M) in postverbaler Position
Diesen Umgebungen ordnet Simon vier Klassen von Verben mit verschiedenen
Transitivitätswerten zu:
1. Verben mit dreistelliger Valenz, die ein direktes und ein indirektes Objekt
annehmen:
V
SE
E
song4
ta
yi1 ben3 shu1
schenken
er
ein CL
Buch
ihm ein Buch schenken
Diese Verben entsprechen in der Regel den ditransitiven Verben in
unserem Verständnis.
2. Verben ohne indirektes Objekt:
V
E
mai3
shu1
kaufen Buch
Bücher kaufen
Diese Verben entsprechen den transitiven Verben mit zweistelliger
Valenz.
3. Verben, die nur mit einer Angabe von Größe / Anzahl als Umgebung
vorkommen:
V
M
da4
liang3 bei4
groß
zwei mal
zweimal größer
Diese Verben gehören zu den transitiven Verben, die keine direkten
Objekte annehmen können.
4. Verben, die in keiner der vier obigen Umgebungen vorkommen, Bsp. 行
xing2: in Ordnung gehen
Wang (1964) und Chao (1968) teilen die Verben direkt in transitive und
intransitive Verben ein; ditransitive Verben werden nicht als gesonderte Gruppe
betrachtet. Wir werden im Folgenden die Klassifizierung von Chao näher
vorstellen.
Chao findet innerhalb der zwei großen Verbklassen weitere Verbtypen, zwischen
denen er anhand einer Liste „sekundärer“ Merkmale Differenzen im syntaktischen
Verhalten feststellt. Als primäres Unterscheidungskriterium für Verben wird die
Negierbarkeit mit bu4 oder mei2 you3 sowie die Fähigkeit des Verbs, als Prädikat
oder als zentraler Ausdruck des Prädikats zu fungieren, angegeben. Weitere
Merkmale sekundärer Art, die ebenfalls Generalisierungen bezüglich des
syntaktischen Verhaltens erlauben, sind:
-
Modifikation durch Adverbien des Grades (很 hen3, 最 zui4, usw.)
-
Kombination mit Hilfsverben
-
Annahme von Größenangaben als Komplementen
-
Annahme von Angaben zur Anzahl von Wiederholungen als
Komplementen
-
Verdopplung des Verbs
-
Kombination des Verbs mit der Partikel des durativen Aspekts zhe0
-
Kombination des Verbs mit der Partikel des perfektiven Aspekts le0
-
Kombination des Verbs mit der Partikel des Erfahrungsaspekts guo0
-
Verwendung des Verbs im Imperativ
-
Verwendung des Verbs in A-nicht-A-Fragen
Anhand dieser Merkmale unterscheidet Chao (1968, S. 670 – 707) folgende
Gruppen von Verben:
A. Intransitive Verben
1) Handlungsverben
2) Qualitätsverben
3) Statusverben
B. Transitive Verben
1) Handlungsverben
2) Qualitätsverben
3) Klassifikationsverben
4) shi4 (sein)
5) you3 (haben)
6) Hilfsverben
Diese Kategorien werden im Folgenden beschrieben, wobei vor allem die
Eigenschaften der von ihnen selegierbaren Objekte und Komplemente
berücksichtigt werden sollen.
A. Intransitive Verben
A. 1 Intransitive Handlungsverben
Zu den intransitiven Handlungsverben gehören vor allem Bewegungs- bzw.
Fortbewegungsverben (lai2: kommen, dong4: (sich) bewegen usw.), Verben des
Zustands und der Körperhaltung (zhan4: stehen, dai4: bleiben), Verben, die das
Erscheinen bzw. Verschwinden von Gegenständen oder Lebewesen umschreiben
(sheng1: geboren werden, tao2: fliehen), sowie Verben der vokalen Aktivität
(ku1: weinen, han3: schreien). Diese Verben können in allen von Chao
angeführten syntaktischen Kombinationen verwendet werden.
Die Auswahl an Objekten für intransitive Verben ist begrenzt. Sie können
kombiniert werden mit:
-
Angaben der Quantität, der Dauer, der Anzahl von Wiederholungen:
(I.1)
ku3
le0
yi4
tian1
weinen
perfASP
ein
Tag
einen Tag geweint haben
-
Angaben des Ziels / des Ursprungs für Bewegungsverben:
(I.2)
fei1
dao4
Shang4hai3
fliegen
nach
Shanghai
nach Shanghai fliegen
(I.3)
chu1
guo2
herausgehen
Land
ins Ausland gehen
(I.4)
verschobene Subjekte der Existenz
Tai2
shang4 zuo4
zhe0
ge0 Mei3guo2
Bühne
auf
durAsp
ein
sitzen
USA
xue2sheng0.
Student
Auf der Bühne sitzt ein amerikanischer Student
-
verschobene Subjekte des Erscheinens / Verschwindens
(I.5)
Lai2
le0
yi1
ge4
ke4ren2.
ein
CL
Gast
kommen perfASP
Ein Gast ist gekommen.
(I.6)
Pao3diao4
le0
liang3 ge4
wegrennen
perfASP zwei
CL
zei3.
Dieb
Es sind zwei Diebe weggelaufen.
Es sollte beachtet werden, dass viele Handlungsverben sowohl transitiv wie auch
intransitiv verwendet werden können. So treten einige als intransitiv eingeordnete
Verben transitiv auf, wenn sie mit einem Resultativsuffix kombiniert werden:
(I.7)
xiao4
teng2
le0
sang3zi0
lachen
RESULT.schmerzen
perfASP
Hals
gelacht haben, bis der Hals schmerzt
A.2 Intransitive Qualitätsverben
Intransitive Qualitätsverben entsprechen bei Chao den Adjektiven in der
westlichen Linguistik. Sie werden zu den Verben gerechnet, da sie ohne Hilfsverb
(shi4: sein) als selbstständige Prädikate fungieren können.
Adjektive können wiederum nach unterschiedlichen Kriterien klassifiziert werden,
wobei die entstehenden Klassen jedoch starke Disproportionalitäten in Bezug auf
die Anzahl der ihnen zuzurechnenden Adjektive auf. So werden z. B. skalare und
absolute, einfache und komplexe sowie attributive und prädikative Adjektive
unterschieden.
Einige Adjektive können in prädikativer Position Objekte annehmen, z. B. da4:
groß und xiao3: klein:
(I.8)
Mei4mei4
xiao3
wo3 san1
sui4.
jüngere Schwester
klein
ich
Jahr
drei
Meine jüngere Schwester ist 3 Jahre jünger als ich.
Viele Adjektive können mit Objekten zur Quantitätsangabe und der Partikel des
perfektiven Aspekts le, die eine Zustandsänderung markiert, kombiniert werden:
(I.9)
Zhe4
dong1xi1 gui4
le0
liang2 bei4.
diese
Sache
perfASP
zwei
teuer
mal
Diese Sache ist zweimal teurer geworden.
Schließlich treten Adjektive oft als Suffixe in Resultativkomposita auf:
(I.10) po4
zerstören
huai4
le0
RESULT.kaputt
perfASP
kaputt gemacht (haben)
Auch bei Adjektiven gibt es Überlappungen mit anderen Wortarten; manche
Lexeme, die allgemein als Adjektive verwendet werden, können in anderen
syntaktischen Kontexten als Nomen oder Adverbien fungieren:
(I.11) Wo3 bu4
Ich
nicht
xi3huan1
zhe4
zhong3 tian2.
mögen
diese
Art
süß.
Ich mag diesen süßen Geschmack nicht.
(I.12) Zhe4
ge0
wen4ti2
bu4
hao3
jie3jue2.
Diese
CL
Problem
nicht
einfach
lösen
Dieses Problem ist nicht einfach zu lösen.
Wir sehen also, dass Adjektive im Chinesischen ohne Hilfsverb in prädikativer
Funktion vorkommen und syntaktische und semantische Gemeinsamkeiten mit
Verben aufweisen. An Beispielen wie (I.13) kann man sehen, dass
Adjektivphrasen auch als Konstituenten von Verbalserien anstelle von Verben
fungieren können:
(I.13) Dong1xi1 zhong4
Sache
schwer
na2
bu4
qi3lai2.
nehmen
nicht
RESULT.hochheben
Das Ding ist so schwer, dass es nicht hochgehoben werden kann.
A.3 Statusverben
Statusverben drücken einen Status oder einen Zustand aus, in den eine Person
oder eine Sache gerät. Sie bezeichnen eine Veränderung der ursprünglichen
Situation, weshalb sie oft von der Partikel des perfektiven Aspekts le gefolgt
werden:
(I.14) Ta1
Er
zuo2tian1
bing4
le0.
gestern
krank
perfASP
Er ist gestern krank geworden.
Andere Beispiele von Statusverben sind e: hungrig, bao: satt, xing: wach. Auf den
ersten Blick scheint es, dass Statusverben als ein Typ von Adjektiven betrachtet
werden können: sie drücken einen temporären Zustand aus, während Adjektive
eine permanente Eigenschaft bezeichnen, und werden meist in anderen Sprachen
mit Adjektiven übersetzt. Jedoch weisen die zwei Kategorien Unterschiede im
syntaktischen Verhalten auf. So kommen Adjektive zum Beispiel nur selten mit le
(perf. Asp) / mei (Negierung des perf. Asp.) vor, während die Kombination von
Statusverben mit diesen Partikeln sehr gebräuchlich ist. Außerdem können
Statusverben im negativen Imperativ kombiniert werden, wie z. Bsp.
(I.15) Bie2
Nicht
bing4!
krank
Werde nicht krank!,
da sie eine Veränderung ausdrücken, auf die das Subjekt eventuell Einfluss haben
kann. Wenn Statusverben in Verbalserien kombiniert werden, werden sie meist
von einem Handlungsverb gefolgt:
(I.16) Ta1
Er
bing4
le0
bu4
neng2
lai2.
krank
perfASP
nicht
können
kommen
Er ist krank geworden und kann (deshalb) nicht kommen.
SVC-Strukturen mit Statusverben legen in semantischer Hinsicht eine
subordinative Interpretation – in unserem Beispiel als kausaler Zusammenhang –
nahe.
B.1 Transitive Handlungsverben
Transitive Handlungsverben weisen viele Gemeinsamkeiten mit intransitiven
Handlungsverben auf; sie können im Gegensatz zu diesen jedoch mit einer
Vielfalt von Objekten kombiniert werden.
Die direkten Objekte transitiver Verben können wiederum ausgelassen werden.
Einerseits werden Objekte, die aus dem situationalen oder linguistischen Kontext
erschließbar sind, nicht angeführt; zu einer Person, die abwäscht, kann man zum
Beispiel sagen:
(I.17) Rang4
wo3
lassen
mich
lai2
ca2!
kommen
abtrocknen
Lass mich abtrocknen!
Eine andere Art der Objektaussparung betrifft allgemeine Handlungen, die jedoch
auf eine spezielle Situation bezogen werden:
(I.18.a)
Bie2
shuo1
hua4!
nicht
sagen
Wort
Sag nichts! (Spreche nicht!)
(I.18.b)
Bie2
shuo1!
nicht
sagen
Sag das nicht!
Verb-Objekt-Konstruktionen unterscheiden sich in der Art der Beziehung
zwischen dem Verb und dem Objekt. So haben sich manche Konstruktionen als
Komposita etabliert und übernehmen das Verhalten normaler transitiver Verben:
(I.19.a)
chu1
ban3
hinausgehen
Veröffentlichung
veröffentlichen
(I.19.b)
yi3jing1
chu1
ban3
le0
schon
hinausgehen
Veröffentlichung
perfASP
wurde schon veröffentlicht
(I.19.c)
chu1
ban3
yi1 ben3 shu1
hinausgehen
Veröffentlichung
ein
ein Buch veröffentlichen
CL
Buch
Im zweiten Beispiel wird die Partikel des perfektiven Aspekts le hinter das
„Objekt“ des Verbs gesetzt; da das perfektive le in der Regel direkt auf das Verb
folgt, können wir folgern, dass in diesem Beispiel die Kombination chu ban als
einziges Verb betrachtet wird. In dem zweiten Beispiel scheint das Verb chu 2
direkte Objekte anzunehmen; dieser Widerspruch wird gelöst, indem man das
erste Objekt ban als Teil eines verbalen Kompositums analysiert.
Auch transitive Verben können in Subtypen unterteilt werden. Die meisten
Klassifizierungen beruhen auf semantischen Kriterien. Syntaktische
Unterteilungen sind seltener und beschränken sich auf einige wenige formale
Merkmale. So werden transitive Verben in Verfügungs- und NichtVerfügungsverben unterschieden. Die direkten Objekte von Verfügungsverben
können mit 把ba3 in präverbale Positionen verschoben werden:
(I.20.a)
Wo3
ba3
mao2
mai3
le0.
ich
BA
Katze
kaufen
perfAsp.
Ich habe die Katze gekauft.
Dies ist bei Nicht-Verfügungsverben unmöglich:
(I.20.b)
* Wo3 ba3
ich
BA
mao2
ai4.
Katze
lieben.
Ich liebe die Katze.
Die Anwendungsmöglichkeiten von transitiven Handlungsverben in Verbalserien
und die resultierenden semantischen und syntaktischen Strukturen sind vielfältig
und lassen sich mit denen der intransitiven Handlungsverben vergleichen. Eine
Analyse transitiver Verben in SVCs muss jedoch zusätzlich die Distribution der
Objekte, die Argumentstrukturen und ihre möglichen Verzweigungen innerhalb
der Serie berücksichtigen. Dieses Problem soll im Abschnitt III.3.3 näher
untersucht werden.
B.2 Transitive Qualitätsverben
Transitive Qualitätsverben können ebenfalls diverse direkte Objekte annehmen.
Sie werden mit Adverbien des Grades 很hen, 最zui, 太tai usw. kombiniert:
(I.21) Ta1 tai4 ai4
er
zu
lieben
cai2.
Reichtum.
Er ist zu habgierig.
Sie können weder mit dem durativen Aspekt kombiniert noch im Imperativ
verwendet werden:
(I.22) * Ta1 zhi1dao0
er
wissen
zhe0
zhe4
jian4 shi4qing0.
durASP
diese
CL
Sache.
Er weiß um diese Angelegenheit.
(I.23) * Zhi1dao0 ni3
zi4ji3!
wissen
selbst!
du
Kenne dich selbst!
Direkte Objekte von intransitiven Verben erfahren keine direkte modifizierende
Wirkung durch die im Verb beschriebene Handlung; sie können nicht mit ba vor
das Verb verschoben werden:
(I.24) * Ta1 ba3
er
BA
zhe4
jian4 shi4qing0 zhi1dao0.
diese
CL
Sache
wissen.
Er weiß von dieser Sache.
Wie bei intransitiven Qualitätsverben gilt auch hier, dass bei Verbalserien, die
transitive Qualitätsverben enthalten, meist eine subordinative Interpretation
vorzuziehen ist:
(I.25) Ta1 pa4
er
Angst haben
gou3 (,) bu4
gan3
lai2
wo3
jia1.
Hund
wagen
kommen
mein
Haus.
nicht
Er hat Angst vor Hunden und wagt es (deshalb) nicht, zu mir zu kommen.
B.3 Klassifizierende Verben
Klassifizierende Verben bilden eine kleine Kategorie von Verben. Diese Verben
ordnen die durch das Subjekt bezeichnete Einheit als Mitglied einer durch das
Objekt bezeichneten Gruppe oder als eine Einheit, die das durch das Objekt
bezeichnete Merkmal aufweist, ein:
(I.26) Ta1 dang1
er
xiao4zhang3.
in der Position sein Rektor
Er ist Rektor.
(I.27) Ta1 xing4
er
heißen
Wang2.
Wang
Er heißt Wang.
Die am häufigsten verwendeten klassifizierenden Verben sind:
-
等于deng1yu2: entsprechen
-
叫jiao4: heißen (Vorname)
-
姓xing4: heißen (Nachname)
-
号称hao1cheng0: als etwas bekannt sein
-
作zuo4: dienen als
-
当dang1: in der Position von jmd. sein
-
象xiang4: ähnlich sein
Als produktive Komponenten von Verbalserien können vor allem die Verben
dang und zuo eingesetzt werden:
(I.28) Ta1 zuo4/dang1
er
dienen als
dao3you3
mei3tian1 he2
hen3 duo1 ren2
Stadtführer
täglich
sehr
mit
viele Menschen
da3 jiao1dao4.
kommunizieren
Er arbeitet als Stadtführer und hat (dabei) täglich mit vielen Menschen zu
tun.
B.4 是shi4:sein
Shi4 weist viele Gemeinsamkeiten mit den transitiven klassifizierenden Verben
auf. Shi4 fungiert in folgenden semantischen Kontexten als Vollverb:
-
Kopulaverb, das das Subjekt mit dem Objekt gleichsetzt:
(I.29) Ta1 de0
er
POSS
lao3ban3 shi4 wo3 ba4
de0
peng2you0.
Chef
POSS
Freund
sein
ich
Vater
Sein Chef ist ein Freund meines Vaters.
-
Einordnung der durch das Subjekt bezeichneten Einheit in eine durch
das Objekt bezeichnete Klasse:
(I.30) Ta1
er
de0
lao3ban3 shi4
POSS Chef
sein
Ying1guo2
ren2.
England
Mensch
Sein Chef ist ein Engländer.
-
Existenz: mit Zeit- / Ortsangabe als Subjekt:
(I.31) Jin1tian1 shi4
heute
sein
Sheng1dan4jie2.
Weihnachten
Heute ist Weihnachten.
(I.32) Qi4che1 li3mian4 shi4
Auto
in
sein
wo3
mei4mei4.
ich
kleine Schwester
In dem Auto ist meine kleine Schwester.
B.5 有you3: haben
You wird als Vollverb zum Ausdruck des Eigentums und – parallel mit shi – der
Existenz verwendet:
(I.33) Wo3
you3
yi1
liang3 che1.
ich
haben
ein
CL
Auto.
Ich habe ein Auto.
(I.34) Fang2zi4 hou4mian4 you3
Haus
hinter
haben
wo3
de0
che1.
ich
POSS
Auto.
Hinter dem Haus ist mein Auto.
You wird vielfach auch in verbalserienähnlichen Strukturen verwendet:
(I.35) Wo3
ich
you3
peng2you0 bang4mang2.
haben
Freunde
helfen
Ich habe Freunde, die mir helfen.
(I.36) Wo3
ich
you3
ze2ren4
bang4
ta1.
haben
Verantwortung
helfen
er
Ich habe die Verantwortung, ihm zu helfen.
I.2 Die chinesische Verbalphrase
Im letzten Abschnitt haben wir gesehen, wie das chinesische Verb als Wortart in
lexikalischen Klassen organisiert werden kann; wir haben kurz die unterschiedlichen
Valenzwerte der Verben angesprochen. In diesem Abschnitt werden wir sehen, wie Verben
mit ihren Argumenten zu Verbalphrasen kombiniert werden, da die dabei entstehenden
Verbalphrasen typischerweise als Konstituenten von SVCs fungieren können. Anschließend
stellen wir das Aspektsystem im Chinesischen vor; wir werden an späterer Stelle sehen, dass
die Aspektmarkierung in der SVC verwendet werden kann, um den semantischen Gehalt
dieser – insbesondere in Hinsicht auf die Beziehungen zwischen den Konstituenten - zu
spezifizieren.
I.2.1 Transitive und ditransitive Verbalphrasen
Das Verb ist der Kopf einer Verbalphrase (VP). Wie im wir im vorhergehenden Abschnitt
gesehen haben, umschreiben Verben Situationen, Ereignisse oder Zustände. Um eine Aussage
bezüglich einer Situation, eines Ereignisses oder Zustands zu formulieren, muss man angeben,
welche Einheiten daran beteiligt sind; diese Einheiten werden durch die Subjekt-NP sowie
durch eventuelle Objekt-NPs bezeichnet. Die Objekt-NPs sind im Gegensatz zur Subjekt-NP
Teil der VP. VPs haben in der Regel eine prädikative Funktion.
Bei der Beschreibung der verschiedenen VPs richte ich mich nach der vorgestellten
Einteilung der Verben nach Valenzwerten in transitive und intransitive Verben orientieren. Es
werden hier vor allem transitive VPs beschrieben; als weitere Gruppe werden die ditransitiven
VPs, die zwei Objekte enthalten, berücksichtigt, um Verben mit dreistelliger Valenz
Rechnung zu tragen. Die Beschreibung ist an die von Li/Thompson vorgestellte Einteilung
chinesischer VPs angelehnt (Li/Thompson 1981, 139 – 171).
Transitive Verben umschreiben Ereignisse oder Situationen, bei denen eine Einheit eine
direkte Einwirkung auf eine andere Einheit – das Objekt - ausübt. Das Objekt muss immer
angeführt werden, soweit es nicht aus dem Kontext ersichtlich ist. Einige transitive Verben
können jedoch auch als intransitive Verben verwendet werden, wobei sich eine
Bedeutungsveränderung einstellt:
(I.37.a) Bie2
nicht
xiao4! (xiao4: lachen)
lachen
Lach nicht!
(I.37.b) Bie2
nicht
xiao4
wo3! (xiao4: jmd. auslachen)
lachen
ich
Lach mich nicht aus!
Die Wortreihenfolge im Chinesischen entspricht eher der SVO-Wortreihenfolge; das Objekt
folgt typischerweise also auf das Verb. Es kann jedoch auch in präverbale Positionen sowie in
die Topikposition geschoben werden.
Zur Platzierung des Objekts zwischen Subjekt und Verb kann die Partikel der Verfügung 把
ba verwendet werden, wenn die Objekt-NP bestimmt ist und das Verb eine Handlung
ausdrückt, bei der das Subjekt direkt über das Objekt verfügt:
(I.38) Wo3 ba3
Ich
BA
gong1ke4
zuo4wan2
le0.
Hausaufgabe
fertig machen
perfASP
Ich habe meine Hausaufgaben fertig gemacht.
Ba3 kann jedoch in manchen Kontexten ebenso ausgelassen werden, ohne dass die
syntaktische Struktur des Satzes ungrammatisch wird:
(I.39) Wo3 gong1ke4
Ich
Hausaufgabe
yi3jing1
zuo4wan2
le0.
schon
fertig machen
perfASP
Ich habe die Hausaufgaben schon fertig gemacht.
Eine solche Äußerung ist in der Regel durch die Pragmatik der Situation bestimmt: es ist die
Reaktion auf eine Aussage des Gegenübers, die eine von der Realität abweichende Sachlage
bezeichnet:
(I.40)
- Aussage: Ni3 zuo4wan2
le0
gong1ke4
du fertig machen perf. ASP Hausaufgaben
- Reaktion: Wo3 gong1ke4
ich
ke3yi3
chu1qu4
san3bu4.
können
hinausgehen
spazieren
yi3jing1 zuo4wan2
le0.
schon
perfASP
Hausaufgaben
fertig machen
-
Nachdem du deine Hausaufgaben fertig gemacht hast, kannst du spazieren gehen.
-
Ich habe meine Hausaufgaben schon fertig gemacht.
Neben der Position zwischen Subjekt und Verb kann das Objekt außerdem eine Topikposition
einnehmen:
(I.41) Jin1tian1
heute
de0
bao4
ni3
kan4
guo4 le0 ma0?
POSS
Zeitung
du
lesen
ASP
Hast du die Zeitung von heute schon gelesen?
(I.42) Gou3
wo3
bu4
xi3huan1.
INTERR
Hund
ich
nicht
mögen
Ich mag Hunde nicht.
Durch Topikalisierung, die für bestimmte wie auch für unbestimmte Objekte möglich ist, wird
die Objekt-NP betont.
Das Subjekt kann in Fällen, in denen es aus dem Kontext ersichtlich oder irrelevant ist,
ausgespart werden:
(I.43) Qi4che1 xian4zai4 mai3
Auto
jetzt
kaufen
bu4
dao4.
nicht
RESULT
Ein Auto kann jetzt nicht gekauft werden.
Einige Verben können Sätze oder Verbalphrasen als direkte Objekte annehmen. In der Regel
gilt dies für Verben, die auch mit abstrakten NPs als Objekten kombiniert werden können:
(I.44.a)
Wo3 zhi1dao0
zhe4
jian4
shi4.
ich
diese
CL
Sache.
wissen
Ich weiß über diese Sache.
(I.44.b)
Wo3 zhi1dao0
zhe4
jian4 shi4
hen3 fan2.
ich
diese
CL
sehr
wissen
Sache
ärgerlich
Ich weiß, dass diese Sache sehr ärgerlich ist.
Nachdem wir die unterschiedlichen Distributionen von Objekten in Verbalphrasen mit
transitiven Verben gesehen haben, wollen wir uns der Struktur ditransitiver Verbalphrasen
zuwenden. Diese bestehen aus einem Verb mit zwei Objekt-NPs:
(I.45) Wo3 song4
ich
schenken
ta1
yi1
jian4 li3wu4.
er
ein
CL
Geschenk
Ich schenke ihm ein Geschenk.
Das indirekte Objekt in ditransitiven Verbalphrasen wird oft mit dem Koverb gei3 (für,
geben) markiert:
(I.46) Wo3
ich
gei3 ta1
song4
yi1
jian4 li3wu4.
für
schenken
ein
CL
er
Geschenk
Ich schenke ihm ein Geschenk.
Wenn das Verb hierbei ein Handlungsverb ist, bezeichnet das direkte Objekt (DO) meistens
eine Einheit, die transferiert wird. Das indirekte Objekt (IO) bezeichnet den Beteiligten, an
den diese Einheit transferiert wird; es ist typischerweise belebt bzw. bezieht sich auf eine
soziale Einrichtung (Bsp. yi1yuan4: Krankenhaus).
Die Reihenfolge der beiden Objekte kann umgekehrt werden; dabei entsteht ein pragmatischer
Unterschied: das direkte Objekt wird zuerst platziert, wenn es im Gegensatz zum indirekten
Objekt schon in der Sprechsituation erwähnt wurde, und vice versa. Ein dem DO
nachgestelltes IO muss mit dem Koverb gei3 markiert werden.
Gei ist bei bestimmten Verben auch erforderlich, wenn das IO vor dem DO platziert wird; zu
solchen Verben gehören z. B. di: reichen, na: nehmen, mai: kaufen, da dianhua: anrufen, dai:
bringen:
(I.47) Ta1
Er
dai4
gei3
wo3
ji3
ben3 bao4.
bringen
für
ich
einige
CL
Zeitschrift.
Er bringt mit ein paar Zeitschriften.
Bei anderen Verben, wie z. B. song: schenken, jia: hinzufügen, huan: zurückgeben ist gei
optional:
(I.48) Ta1
Er
huan2
le0
wo3
wo3
de0
shu1.
zurückgeben
ASP
ich
ich
POSS
Buch
Er hat mir meine Bücher zurückgegeben.
Gei3 kann nicht verwendet werden mit Verben, die Kommunikationsvorgänge bezeichnen,
sowie mit Verben, bei denen sich der Transfer in eine umgekehrte Richtung vollzieht:
(I.49.a) *Wo3 gao4su0
ich
(I.49.b) Wo3
gei3 ta1
zhe4
jian4 shi4.
erzählen
für
diese
CL
gao4su0
ta1 zhe4
er
jian4 shi4.
Angelegenheit
ich
erzählen
er
diese
CL
Angelegenheit
Ich erzähle ihm diese Angelegenheit.
(I.50.a) *Ta1
er
(I.50.b) Ta1
rr
qiang1
le0
liang2 wan4 kuai4
qian2
gei3
yin2hang2.
20 000
Geld
für
Bank
berauben
perfASP
Dollar
qiang1
le0
yin2hang2 liang3wan4
kuai4
qian2 .
berauben
perfASP
Bank
Dollar
Geld
20 000
Er hat die Bank um 20 000 Dollar beraubt.
Außer zur Markierung des IO kann gei auch verwendet werden, um einem Argument die
Benefaktiv-Rolle zuzuweisen. Die benefaktive NP kann neben gei auch durch das Koverb wei
markiert werden und bezeichnet jemanden, der indirekt durch die Handlung betroffen ist:
(I.51) Ta1
er
gei3
wo3
zao4
le0
yi1
für
ich
bauen
perfASP ein
dong4 fang2zi0.
CL
Haus
Er hat für mich ein Haus gebaut.
(I.52) Ta1 wei4
er
für
wo3
dai4
zai4 zher4.
ich
bleiben
hier.
Für mich bleibt er hier.
I.2.2 Aspektsystem
Der Aspekt ist ein grammatischer Begriff, der die Spezifizierung des internen zeitlichen
Aufbaus einer Situation bezeichnet. Er soll nicht verwechselt werden mit dem Begriff der
Zeit, die den Zeitpunkt oder den Zeitraum, in dem sich eine Situation ergibt, mit dem
Zeitpunkt, in der ein Sprecher diese Situation zu Wort bringt, in Beziehung setzt. Das
Chinesische differenziert vier Aspekte: den perfektiven Aspekt mit der Partikel le, den
durativen bzw. progressiven Aspekt mit den Partikeln zhe / zai, den Aspekt der
„Erfahrung“ mit der Partikel guo sowie den eingrenzenden Aspekt („doing something a
little bit“, Li/Thompson 1981: 232), der nach Li/Thompson durch Verbverdopplung
ausgedrückt wird. Wir werden uns vor allem auf die ersten zwei Varianten konzentrieren,
da sie häufig in Verbalserien verwendet werden und eine spezifizierende Wirkung auf die
Interpretationen dieser ausüben. In diesem Abschnitt werden die allgemeinen Funktionen
und Anwendungsmöglichkeiten der Aspektmarkierungen le, zhe und zai vorgestellt; eine
Analyse der Kombination dieser Partikeln in Verbalserien soll in Abschnitt 3.3.2 erfolgen.
1. Perfektiver Aspekt
1.1. Markierung eingrenzbarer Ereignisse
Die Partikel le wird zur Markierung von Ereignissen, die in ihrer Gesamtheit gesehen werden
und zeitlich, räumlich oder konzeptuell abgrenzbar sind, verwendet. Ereignisse, die diese
Bedingungen erfüllen, sind:

quantitativ eingegrenzte Ereignisse,

bestimmte oder spezifische Ereignisse,

Ereignisse, die durch Verben mit einer inhärenten eingrenzenden Bedeutung
umschrieben werden,

Ereignisse, die als erstes Kettenglied einer Folge von Situationen fungieren.
Wir werden uns mit einigen Beispielen begnügen, um dieses Anwendungsfeld von le zu
veranschaulichen.
Bei dem quantitativ eingegrenzten Ereignis müssen aus dem Satz seine zeitlichen, räumlichen
oder konzeptuellen Grenzen ersichtlich sein:
- zeitliche Eingrenzung:
(I.53) Wo3
ich
xue2
le0
liang3 nian2 de0 Zhong1wen2.
lernen
perfASP
zwei
Jahr
Ich habe zwei Jahre Chinesisch gelernt.
-
räumliche Eingrenzung:
Chinesisch
(I.54) Wo3
ich
zou3
le0
wu3 gong1li3.
laufen
perfASP
fünf Kilometer
Ich bin fünf Kilometer gelaufen.
-
konzeptuelle Eingrenzung:
(I.55) Ta1 gao1
er
hoch
le0
yi1dianr3.
perfASP
etwas
Er ist etwas gewachsen.
Bei dem bestimmten oder spezifischen Ereignis muss das direkte Objekt des Hauptverbs als
definite Einheit aufgefasst werden können; dies ist zum Beispiel möglich im Fällen von
-
Namen: (I.56) Wo3 peng4dao4 le0
ich
treffen
Lin Hui.
perfASP
Lin Hui
Ich habe Lin Hui getroffen.
- durch genitive Position modifizierten Nominalphrasen:
(I.57) Ta1 da3bai4
er
schlagen
le0
ta1 de0
di2ren2.
perfASP
er
Feind
POSS
Er hat seine Feinde geschlagen.
-
durch Demonstrativpronomen modifizierten NPs:
(I.58) Wo3
ich
xiang1chu1 lai2
le0
na4
ge4
zi4.
erinnern
perfASP
diese
CL
Zeichen
RESULT
Ich habe mich wieder an jenes Zeichen erinnert.
-
durch Relativsätze modifizierten NPs:
(I.59) Wo3
ich
kan4
le0
xin1
chu1ban3
de0 zi1liao4.
lesen
perfASP
neu
veröffentlichen
Materialien
Ich habe die neu veröffentlichten Materialien gelesen.
-
NPs, die mit ba3 in die präverbale Position verschoben werden:
(I.60) Wo3
ich
ba3
che1
mai3
le0.
BA
Auto
kaufen
perfAsp
Ich habe das Auto gekauft.
Zwei Verben, die in der Regel mit le verwendet werden, sind si3: sterben und wang4:
vergessen. Das Verb si3 trägt semantisch gesehen das Konzept der Beendigung in sich.
Ebenso bezeichnet wang4 immer ein Ereignis, das schon vollendet wurde und überdies nicht
dem Willen seines Subjekts obliegt. Die zwei Verben können nicht mit der Partikel des
durativen Aspekts verwendet werden. Der perfektive Aspekt wird nicht in Sätzen im IrrealisModus angewendet:
(I.61) Ta1
er
yao4
si3.
wollen
sterben
Er will sterben.
Schließlich markiert le auch die Vorzeitigkeit von Ereignissen, die als erstes Glied einer
Ereignisfolge fungieren. Sie werden dann sozusagen zeitlich durch den Beginn des
nachfolgenden Ereignisses abgegrenzt:
(I.62) Wo3
ich
chi1
wan2
le0
ni3
chi1.
essen
beenden
perfASP
du
essen
Nachdem ich fertig gegessen habe, isst du.
(I.63) Wo3
ich
kan4
wan2
le0
bao4
jiu4
shui4.
lesen
beenden
perfASP
Zeitung
dann
schlafen
Ich lese die Zeitung zu Ende und gehe dann schlafen.
Wir sehen also, dass die Verwendung von le auf Ereignisse beschränkt ist, die im
sprachlichen Kontext eingegrenzt werden. In folgenden Kombinationen kann le
hingegen nicht verwendet werden, da die dafür vorgegebenen semantischen
Bedingungen nicht erfüllt werden:
-
mit Verben, die nicht eingrenzbare Ereignisse bzw. Zustände umschreiben, wie z. B.
Modalverben:
(I.64) *Wo3 xi3huan1
le0
mu3gua1.
ich
mögen
perfASP
Melone
(?Ich habe angefangen, Melonen zu mögen.)
-
beim Ausdruck gewohnheitsmäßiger Handlungen:
(I.65) *Ta1 tian1tian1
er
täglich
hui2qu4
le0.
zurückkommen
perfASP
(?Er ist täglich zurückgekommen.)
-
mit Potenzial- / Resultativkonstruktionen:
(I.66) *Wo3
ich
la1
bu4
kai1
le0
men2.
ziehen
nicht
aufmachen
perfASP
Tür
(?Ich bin nicht fähig gewesen, die Tür aufzumachen.)
-
mit der Partikel des Erfahrungsaspekts guo:
(I.67) *Wo3
ich
qu4
guo4
le0
Zhong1guo2.
gehen
ErfahrASP
perfASP
China
(Ich bin nach China gegangen.)
-
negierte Sätze, deren Bedeutung nicht mit der Semantik eines eingegrenzten
Ereignisses kompatibel ist1:
(I.68) *Wo3
ich
bu4
qu4
le0
Zhong1guo2.
nicht
gehen
perfASP
China
(Ich bin nicht nach China gegangen.)
Le ist außerdem überflüssig in Sätzen, in denen der perfektive Aspekt durch einen anderen
Ausdruck semantisch markiert wird:
(I.69) Wo3 cong2 fang2zi0 zou3
ich
von
Haus
laufen
dao4 Zhang1san1
nar4.
bis
dort
Zhangsan
Ich bin vom Haus bis zum Ort von Zhangsan gelaufen.
1
Die Verneinung eines Ereignisses im perfektiven Aspekt wird mit mei2 you3 ausgedrückt.
2. Durativer Aspekt
Der durative Aspekt wird im Chinesischen mit der präverbalen Partikel zai sowie der
postverbalen Partikel zhe0 ausgedrückt. Es hängt von der semantischen Kategorie des
Verbs ab, welche von diesen Partikeln verwendet wird; im Folgenden werden diesen
Partikeln die entsprechenden Verbarten zugeordnet.
2.1 Semantische Klassifizierung von Verben und die Aspektpartikeln zhe0/ zai4
Tätigkeitsverben, die in der Regel den Einbezug eines lebendigen Subjekts und seine
aktive Beteiligung implizieren, werden mit der Partikel zai markiert:
(I.70) Ta1
er
zai4
da3
wo3.
durASP
schlagen
mich.
Er ist dabei, mich zu schlagen.
Zai kann nicht mit unakkusativen Verben verwendet werden:
(I.71) *Wo3
ich
zai4
peng4jian4
peng2you0.
durASP
(unabsichtlich) treffen Freund
? Ich bin dabei, Freunde zu treffen.
Im Falle von Haltunsverben wird der durative Aspekt mit zhe markiert:
(I.72) Ta1
er
zai4
fang2zi0
li3
zuo4
zhe0.
in
Haus
drinnen
sitzen
durASP
Er sitzt im Haus.
Zhe0 kann außerdem auch mit Tätigkeitsverben verwendet werden, um mit der Tätigkeit
verbundene Zustände zu umschreiben:
(I.73) Hua4
Bild
zai4
qiang2
shang4
gua4
zhe0.
an
Wand
darauf
hängen
durASP
Das Bild hängt an der Wand.
Zhe wird häufig in Sätzen mit mehreren Verbalphrasen zur Markierung eines
Hintergrunds für die in der zweiten Konstituente beschriebene Handlung verwendet:
(I.74) Ta1
er
ku1
zhe0
pao3
hui2
jia1
le0.
weinen
durASP
rennen
zurückkehren
Haus
perfASP
Weinend lief er nach Hause zurück.
Dies gilt nicht für punktuelle Hintergrundsituationen:
(I.76) *Ta1
er
si3
zhe0
fa1shao1
le0.
sterben
durASP
Fieber haben
perfASP
? Beim Sterben hat er Fieber bekommen.
Dabei kann jedes Verb separat verneint werden. Der Geltungsbereich wird durch die
Position von zhe bestimmt:
(I.77.a) Ta1 bu4
er
nicht
bi4
zhe0
yan3jing0 shuo1
hua4.
schließen
durASP
Augen
sagen
Wort
Er hat seine Augen nicht geschlossen und spricht.
(I.77.b) Ta1
er
bi4
zhe0
yan3jing0 bu4
shuo1
hua4.
schließen
durASP
Auge
sagen
Wort
nicht
Er hat seine Augen geschlossen und redet nicht.
Bei solchen Verbalserien sind Hilfsverben vor der ersten Konstituente möglich. Sie
beziehen sich dann auf die gesamte Verbalserie:
(I.78) Ta1
er
neng2
qi2
zhe0
ma3
she4jian4.
können
reiten
durASP
Pferd
schießen
Er kann auf einem Pferd reitend schießen.
Zusammenfassend kann man sagen, dass zhe zur Markierung von Zuständen, während
zai zur Markierung andauernder Handlungen verwendet wird. Zhe kann außerdem in
subordinativen Konstruktionen das Verb der „untergeordneten“ Komponente zur
Beschreibung eines Hintergrunds, vor dem die eigentliche Handlung stattfindet,
markieren.
I.3 Komplexe Verbkonstruktionen
I.3.1 Verbale Grammatikalisierung und Lexikalisierung
In den meisten serialisierenden Sprachen werden SVCs typischerweise von
Grammatikalisierungs- und Lexikalisierungsprozessen betroffen:
There is a very strong diachronic tendency to lexicalization and grammaticalization of the
meaning of serial complexes: this can involve treating the whole serial complex as a single
lexical item, or „demotion“ of the meaning and grammatical status of one of the verbs to that
of a modifier or case-marker. (Durie 1997, S. 291)
Chinesisch bildet hierbei keine Ausnahme: die ursprünglich verbalen Konstituenten einiger
SVCs entwickeln sich in gewissem Sinne zu Präpositionen, während andere SVCs in ihrer
Gesamtheit zu verbalen Komposita lexikalisiert werden (s. Abschnitt III.4).
1. Koverben und Präpositionen
Koverben (fu dongci) waren ursprünglich Lexeme mit Vollverbfunktion, die sie jedoch im
Laufe von Grammatikalisierungsprozessen teilweise zugunsten einer Adpositionalfunktion
aufgegeben haben. Einige Linguisten sind der Ansicht, dass die von entsprechenden
Grammatikalisierungen betroffenen Lexeme eindeutig als Verben oder als Adpositionen
eingeordnet werden können. Dies kann jedoch bestritten werden; so behandelt Paul Koverben
als ein „Kontinuum zwischen Verb und Adposition“ (1982). Bisang äußert dazu, dass ein
Koverb „mehr oder weniger verbalen bzw. mehr oder weniger adpositionalen Charakter im
Vergleich zu einem anderen Koverb“ zeigen kann. Chao schreibt: “A listable number of verbs
occur as first verbs with the same order of frequency as in other positions and are thus called
coverbs or prepositions” (1968, S. 749). Im folgenden betrachten wir die Motivation, die
Position der Koverben im chinesischen Satz sowie die Grenzziehung zwischen den zwei
möglichen Funktionen.
Koverben können der Valenzerweiterung durch die Einführung neuer Aktanten und der
Kasuszuweisung dienen. Sie entstehen vor allem in Sprachen, die über ein begrenztes
Präpositionalsystem verfügen und eine Neigung zur Vermeidung von Verben mit einer 3stelligen Valenz zeigen; die dadurch eingeschränkten Ausdrucksmöglichkeiten für
grammatische Kategorien werden durch Koverben kompensiert. In der chinesischen
Grammatiktradition werden Koverben in die Kategorie der „leeren Wörter“ (xuci)
eingeordnet, die die Beziehungen zwischen „vollen Wörtern“ (shici) spezifizieren. Sie
werden also nicht zum Ausdruck einer eigenständigen Handlung, sondern zur Modifikation
bzw. Ergänzung des Hauptverbs herangezogen.
Im heutigen Chinesisch können die meisten Koverben je nach semantischer Umgebung als
Präpositionen oder als Verben fungieren, wobei manche von ihnen je nach Funktion auch ihre
Bedeutung ändern (z. B. 按an: Präposition: gemäß, Verb: drücken). Die Basisstruktur eines
Satzes mit Koverben in Präpositionalfunktion sieht wie folgt aus:
(N)
Kov
N
V
(N)
Kov
N
Gleich der Präposition subkategorisiert das Koverb immer eine NP, die von ihm mit einem
Kasus markiert wird.
(I.79) Ta1
er
wang3 bei3
zou3.
nach
gehen
Norden
Er geht nach Norden.
(I.80) Wo3
ich
gen1 peng2you0 qu4
kan4
dian4ying3.
mit
sehen
Film.
Freund
gehen
Ich gehe mit Freunden ins Kino.
Alle Koverben können in präverbaler Position vorkommen. Einige Koverben, wie z. B. zai,
dao und gei, können ebenfalls nach dem Verb platziert werden:
(I.81.a) Wo3
ich
zhu4
zai4 Bei3jing1.
wohnen
in
Peking
Ich wohne in Peking.
(I.81.b) Wo3
ich
zai4 Bei3jing1
zhu4.
in
wohnen.
Peking
Ich wohne in Peking.
Teng (1977) erklärt diese Positionsänderung durch die semantische Unterscheidung zwischen
innerem und äußerem Lokativ. Der äußere Lokativ wird durch die präverbale Position
ausgedrückt; dem Hauptverb werden dabei keine Einschränkungen auferlegt, so dass es frei
gewählt werden kann. Im Gegensatz dazu können Koverben in postverbaler Position, die den
äußeren Lokativ markieren, nur mit Verben einer eingegrenzten lexikalischen Klasse
verwendet werden (Li / Thompson 1982, S. 398).
Einige Grammatiker (Chang, Jiang Tian) suggerieren eine Reihe von Testkriterien, anhand
derer festgelegt werden kann, ob es sich bei einem Koverb um ein Verb handelt. Dazu
gehören die Negierbarkeit mit bu/mei (Chao 1968, S. 749), die Kombinierbarkeit der Lexeme
in A-nicht-A-Fragen sowie ihre Kompatibilität mit Aspektsuffixen. Paul führt in ihrer
Analyse eine Betrachtung der einzelnen Koverben im Lichte dieser Kriterien durch. Es wird
deutlich, dass die meisten Lexeme einen Teil dieser Kriterien erfüllen. Das Lexem yong
(benutzen, mit) weist zum Beispiel alle syntaktischen Kombinationsmöglichkeiten von
Verben auf und kann deshalb als Vollverb aufgefasst werden, da es in allen Kontexten in
seiner verbalen Bedeutung interpretiert werden kann. Das Koverb ba (Verb: nehmen, greifen;
Koverb/Partikel zum Ausdruck der Verfügung) erfüllt hingegen nur das Kriterium der
Negierbarkeit; dies zeigt, dass es sich in einem späteren Stadium der Grammatikalisierung
befindet.
Die Betrachtung der Koverben in Bezug auf ihre verbalen Eigenschaften zeigt, dass sie
durchaus Gemeinsamkeiten mit Verben aufweisen und eine „Zwischenkategorie“ zwischen
den Verben und Präpositionen bilden; im linguistischen Kontext ist jedoch in der Regel eine
eindeutige Einordnung der Koverben anhand ihrer Funktion im Satzgefüge möglich.
Koverben werden u. a. von Chao als mögliche Konstituenten der Verbalserie betrachtet. Nach
unserer Beschreibung der chinesischen SVC werden wir jedoch sehen, dass das Verhalten von
Koverben nur teilweise dem Verhalten von Verben in SVCs entspricht. In den von Chao
eingeführten Beispielen sollten Koverben demnach in ihrer präpositionalen Funktion
analysiert werden.
2. Resultativkomposita
Bei Resultativkomposita handelt es sich um Verben, die von einem verbalen Komplement
gefolgt werden. Das Komplement bezeichnet einen Zustand, der durch das Subjekt infolge der
durch das Hauptverb bezeichneten Handlung angenommen wird. Einige Komposita können
nicht mit anderen grammatischen Elementen kombiniert werden (Bsp. 改良 gailiang:
verbessern, 规定 guiding: bestimmen). Andere können mit den Potenzialinfixen de / bu oder
mit Komplementen des Grades kombiniert werden:
(I.82.a) Ta1
er
kan4
po4
le0.
sehen
zerstören
perfASP
Er ist desillusionniert.
(I.82.b) Ta1 kan4
er
sehen
de0
po4.
POT: de
zerstören
Man kann ihn desillusionnieren.
(I.83.a) Wo3
ich
chi1
bao3
le0.
essen
satt
perfASP
Ich habe mich satt gegessen.
(I.83.b) Wo3 chi1
ich
essen
de0
bu4
gou4
bao3.
POT: de
nicht
genug
satt
Ich habe mich nicht satt gegessen.
Werden die Konstituenten eines Resultativkompositums mit einem Komplement des Grades
kombiniert, kann die sich ergebende Konstruktion nicht immer weiter als
Resultativkompositum betrachtet werden; den Satz 2b. würde man als Prädikat-KomplementKonstruktion mit Komplement des Grades analysieren.
Jedes beliebige Verb kann als V1 in Resultativkomposita verwendet werden. Verben mit einer
sehr allgemeinen Bedeutung, z. B. 拿na: nehmen, 做zuo: machen, 变bian: ändern können mit
einer größeren Bandbreite von Komplementen vorkommen: sie können sowohl Adjektive als
auch Richtungskomplemente annehmen. Bewegungsverben werden meist mit
Richtungssuffixen kombiniert, Adjektive nehmen Komplemente des Grades an (Bsp. 好极了
hao ji le: außergewöhnlich gut, 坏透了 huai tou le: schrecklich).
Da Resultativkomplemente einen Zustand beschreiben, der als Ergebnis eintritt, kann man
annehmen, dass typischerweise Adjektive als Suffixe fungieren. Möglich sind unter anderem
jedoch auch:
-
Phasenkomplemente zum Ausdruck einer Phase der durch V1 beschriebenen
Handlung, z. Bsp. 到 dao, 完 wan, 过 guo, 好 hao):
(I.84) Zhe4
diese
shi4qing0 wo3
zao3
liao4
dao4
le0.
Sache
früh
vorhersehen
RESULT
perfASP
ich
Ich habe diese Sache schon früh vorhergesagt.
(I.85) zuo4
machen
wan2
le0
shi4
beenden
perfASP
Sachen
die Arbeit beendet haben
-
intensifizierende Komplemente, z. Bsp. 极了ji 2le0, 透了 tou 4le0, 很hen3, 死 si3:
(I.86) Wo3
ich
lei4
hen3
le0
jiu4
shui4
bu4
zhao2.
müde
RESULT: sehr
perfASP
dann
schlafen
nicht
RESULT
Wenn ich sehr müde bin, kann ich nicht einschlafen.
-
Potenzialkomplemente, z. Bsp. 了liao3, 来lai2:
(I.87) Zhe4
diese
shi4
tai4
nan2
wo3
zuo4
bu4
liao3.
Sache
zu
schwer
ich
machen
nicht
RESULT
Das ist zu schwierig, ich schaffe es nicht.
Eine wichtige Gruppe der Resultativkomplemente bilden die Richtungskomplemente. Sie
bilden zwei Gruppen von Verben, die miteinander kombiniert oder einzeln vorkommen
können:
Gruppe 1: lai2: kommen (Bewegung zum Sprecher hin), qu4: gehen (Bewegung vom
Sprecher
weg)
Gruppe 2: shang4: hoch, xia4: hinunter, jin4: herein, chu1: heraus, guo4: vorbei, qi3: herauf,
hui2: zurück, kai1: offen
Lai2/ qu4 sowie ihre Kombinationen mit Verben der zweiten Gruppe können unter der
Bedingung der semantischen Akzeptabilität mit allen Verben kombiniert werden. Die Verben
der zweiten Gruppe können hingegen einzeln nur mit Verben einer beschränkten Kategorie
verwendet werden.
Verben mit Resultativsuffixen können in diversen Konstellationen mit Objekten kombiniert
werden:
Verb-Suffix - Objekt:
(I.88) Wo3
ich
chi1
bao3
fan4
le0.
essen
RESULT: satt
Essen
perfASP
Ich habe mich satt gegessen.
Verb – Objekt – Verb – Suffix
(I.89) Wo3
ich
chi1
fan4
chi1
wan2
le0.
essen
Essen
essen
beenden
perfASP
Ich habe fertig gegessen.
Verb-Suffix1 - Objekt - Suffix2 (mit Richtungskomplementen)
(I.90) Wo3 na2
ich
nehmen
chu1
yi1
ben3 shu1
lai2.
DIR: heraus
ein
CL
kommen
Buch
Ich habe ein Buch herausgenommen.
I.3.2 Eingebettete Sätze und Kontrollverben
1. Objektsätze
Sätze, die Teilsätze als direkte Konstituenten enthalten („pregnant sentences“, „mother-andchild-sentences“, Chao 1968, S. 108), werden in der chinesischen Linguistik von komplexen,
aus zwei separaten Teilsätzen bestehenden Konstruktionen unterschieden. Chao nennt hierfür
drei Unterscheidungsmerkmale:
-
Teilsätze werden im Gegensatz zu den Konstituenten eines Mutter-und-Kindsatzes
durch ein Komma oder eine Pause voneinander getrennt
-
Subordinierte Teilsätze werden häufig durch Konjunktionen eingeleitet, Kindsätze
hingegen nicht
-
Der Muttersatz wäre ohne den Kindsatz unvollständig, da dieser eine unmittelbare
Konstituente des Satzgefüges darstellt. Teilsätze können unabhängig voneinander
verwendet werden.
Ein Kindsatz kann die Funktion des Subjekts, Prädikats oder Objekts erfüllen:
(I.91) Ta1
er
wan3shang4 zhe4me0 wan3
hui2lai2
rang4
ta1
de0
abend
zurückkommen
lassen
er
POSS
so
spät
fu4mu3
bu4
gao1xing4.
Eltern
nicht
erfreut
Dass er abends so spät zurückkommt, verärgert seine Eltern.
(I.92) Ta1
si3
le0
wo3
zhen1
nan2shou4.
er
sterben
perfASP
ich
wirklich
traurig
Dass er gestorben ist, macht mich wirklich traurig.
(I.93) Wo3
ich
zhi1dao0
ta1 lai2
le0.
wissen
er
perfASP
kommen
Ich weiß, dass er gekommen ist.
In den ersten zwei Beispielen erfüllen die Kindsätze die Subjekt- bzw. Prädikatfunktion. Im
dritten Satz fungiert der Kindsatz hingegen als Objekt und stellt damit nur einen Teil des
Prädikats dar. Satzobjekte werden häufig mit Verben der folgenden Klassen verwendet:
-
Kommunikation (gaosu: erzählen, shuo: sagen, wen: fragen, daying: versprechen
usw.),
-
Perzeption (ting: hören, tingshuo: sagen hören, kanjian: sehen),
-
Kognition (xiang: denken, yiwei: glauben, kongpa: fürchten)
2. Pivotale Konstruktionen
Die Pivotkonstruktion ist eine Kontrollverbkonstruktion mit der Struktur
NP1
V1
NP2
V2
(NP3)
wobei das Objekt des ersten Verbs gleichzeitig als Subjekt des zweiten Verbs fungiert:
(I.94) Wo3men0 pai4
wir
entsenden
ta1
zuo4
dai4biao3.
er
machen
Vertretung
Wir entsenden ihn als Vertreter.
Die NP2 ta ist hier Objekt von pai und Subjekt von zuo daibiao.
Die pivotale Konstruktion sollte von der Konstruktion mit Satzobjekt unterschieden werden:
(I.95) Wo3 xi1wang4 ta1
ich
hoffen
er
neng2
zuo4
dai4biao3.
können
machen
Vertretung
Ich hoffe, dass er die Vertretung machen kann.
In diesem Fall ist ta1 ebenfalls das Subjekt von V2; das Objekt von V1 ist jedoch ta neng zuo
daibiao.
Ebenfalls sollten Pivotkonstruktionen von Kontraktionssätzen unterschieden werden.
Kontraktionssätze sind in der Regel komplexe Sätze mit ausgespartem Subjekt im zweiten
Teilsatz, da dieses z. B. mit dem Objekt des ersten Teilsatzes identisch ist und demnach aus
dem linguistischen Kontext erschlossen werden kann; in der Regel wird eine Konjunktion zur
Markierung der Beziehung zwischen den 2 Teilsätzen eingesetzt:
(I.96.a) Wo3
ich
qing3
ta1
ye3
bu4
lai2.
bitten
er
auch
nicht
kommen
Ich habe ihn gebeten, und er ist trotz dem nicht gekommen.
Ein solcher Satz kann durch Einsetzen des Subjekts in einen komplexen Satz umgewandelt
werden:
(I.96.b) Wo3 qing3
ich
bitten
ta1,
ta1
ye3
bu4
lai2.
er
er
auch
nicht
kommen
Die Bedeutung bleibt unverändert.
Ohne konjunktionale Markierung würde der Satz jedoch anders interpretiert werden:
(I.96.c) Wo3 qing3
ta1
bu4
lai2.
ich
er
nicht
kommen
bitten
Ich bitte ihn, nicht zu kommen.
Dieser Satz ist eine pivotale Konstruktion.
Pivotkonstruktionen kommen typischerweise mit kausativen Verben als V1 vor; dazu gehören
Verben wie:
jiao4: anweisen
shi3: lassen
yao4: wollen
quan4: raten
pei2: begleiten
Im Gegensatz dazu werden Teilsätze in Objektposition in der Regel von Verben, die eine
kommunikative, kognitive oder perzeptive Aktivität ausdrücken (Bsp. shuo: sagen, xiang:
denken, ting: hören), subkategorisiert.
Zwischen den Verben, die in pivotalen Konstruktionen und Konstruktionen mit Satzobjekten
vorkommen, sind Überlappungen möglich; der Satz
(I.97) Wo3 kan4jian4 le0
ich
sehen
perfASP
ta1
zai4
nar4
xie3
xin4.
er
LOK
dort
schreiben
Brief
kann auf 2 Arten gedeutet werden:
- Pivotalkonstruktion: Ich habe gesehen, dass er dort einen Brief geschrieben hat.
-
Konstruktion mit Satzobjekt: Ich habe ihn dort einen Brief schreibend gesehen.
Die hier vorgestellten Kontrollverb- sowie Objektsatzkonstruktionen werden in neueren
Untersuchungen in der Regel nicht als SVCs betrachtet. Die Verben in dieser Strukturen
haben im Gegensatz zu SVCs meist unterschiedliche Subjekte. Außerdem gehört die
Subkategorisierung von verbalen Objekten oder Pivotpositionen zu ihren lexikalischen
Eigenschaften, während die Konstituenten von SVCs auf lexikalischer Basis keine
bestimmten Verbalphrasen subkategorisieren können.
II. Beschreibungen von SVCs in der Literatur
SVCs werden allgemein beschrieben als Konstruktionen mit mehreren ohne
syntaktische Markierung aneinandergereihten Verbalphrasen: Die Verbalphrasen haben
ein gemeinsames Subjekt und manchmal auch gemeinsame interne Argumente; die
SVC dient der Beschreibung eines einzigen Ereignisses. Betrachtet man jedoch
genauere Untersuchungen von SVCs, so stellt man fest, dass es sich keineswegs um ein
einheitliches Phänomen handelt; die Definitionen fallen unterschiedlich aus und
widersprechen sich teilweise. Die meisten Analysen beschränken sich auf bestimmte
Sprachen bzw. Sprachgruppen; es konnte bis jetzt keine Beschreibung abgeleitet
werden, die einerseits universell für alle serialisierenden Sprachen gültig wäre,
andererseits aber auch die genaue Abgrenzung der SVC von anderen ähnlichen
Strukturen erlauben würde. Außerdem werden Definitionsversuche anhand
verschiedener Theorien unternommen, was ebenfalls zu Diskrepanzen führt. Die
Analyse kann auf syntaktischer, semantischer, morphologischer oder lexikalischer Basis
erfolgen; so beschreibt Baker in seinem viel zitierten Artikel „Object Sharing and
Projection in Serial Verb Constructions“ SVCs ausschließlich anhand syntaktischer
Merkmale mit der GB-Theorie, während Chang Bakers Ergebnisse explizit mit LFGPrinzipien modifiziert und eine Betrachtungsweise, die semantische und syntaktische
Faktoren berücksichtigt, annimmt. Im Folgenden werden vier Analysen von SVCs
vorgestellt. Ich beginne mit Chao, der in seinem Grundlagenwerk „ A Grammar of
Spoken Chinese“ schon früh eine recht vollständige Beschreibung chinesischer
Verbalserien lieferte; er bezieht jedoch auch Konstruktionen ein, deren Zugehörigkeit
zur SVC-Kategorie umstritten ist, insbesondere Koverben und die ba-Konstruktion. Als
zweiter Ansatz wird Li / Thompson (1981) vorgestellt; auch hier werden wir sehen, dass
eine Reihe der vorgeschlagenen Strukturen nicht der SVC im heute geläufigen Sinne
entsprechen. Anschließend folgt die erwähnte Beschreibung afrikanischer SVCs von
Baker (1989) mit einer Anpassung an das Chinesische von Chang (1990).
II.1 Chao: Verbal expressions in series (Chao 1968, S. 325-349)
Chao behandelt die Verbalserie in seinem Kapitel zu syntaktischen Konstruktionen
(„Syntactical types“) neben u. a. der Koordination und der Subordination, wodurch er
schon eine Unterscheidung zwischen diesen drei Formen impliziert. Er gerechtfertigt
diese Differenzierung im ersten Teil der Analyse anhand einer Reihe von semantischen
und syntaktischen Kriterien. Es folgt eine Analyse formaler syntaktischer Strukturen,
vor allem der Verteilung der Objekte, sowie semantischer Ausdrucksmöglichkeiten der
Verbalserie. Schließlich werden „prätransitive“ Konstruktionen – Sätze, in denen das
Objekt eines transitiven Verbs in eine präverbale Position verschoben wird – als eine
„besondere Form“ der Verbalserie angeführt.
1) Die Verbalserie, die Koordination und die Subordination
Chao klassifiziert die Verbalserie als eine syntaktische Konstruktion „zwischen der
Koordination und der Subordination“, sie weist jedoch mehr Gemeinsamkeiten mit der
Subordination als mit der Koordination auf.
Die Verbalserie besteht wie die koordinative Konstruktion aus verbalen Ausdrücken,
wobei das erste Verb häufig von einem Objekt gefolgt wird. Die beiden Konstruktionen
werden unterschieden, da sie sich bei einem Test zur Permutierbarkeit der Konstituenten
unterschiedlich verhalten: die Positionen von Konstituenten einer koordinativen
Konstruktion können vertauscht werden, ohne dass dabei eine Verzerrung der
ursprünglichen Satzbedeutung eintritt:
(II.1.a) Ta
tian1tian1
xie3xin4
hui4ke4.
er
jeden Tag
Briefe schreiben
Besucher empfangen
Er schreibt jeden Tag Briefe und empfängt Besucher.
(II.1.b) Ta1
er
tian1tian1
hui4ke4
xie3xin4.
jeden Tag
Besucher empfangen
Briefe schreiben
Er empfängt jeden Tag Besucher und schreibt Briefe.
Im Gegensatz dazu entsteht bei der Umstellung der Glieder einer Verbalserie in der
Regel ein grammatikalisch akzeptabler Satz; seine Bedeutung weicht allerdings von
dem ursprünglichen Satz ab:
(II.2.a) Ni3
du
deng3
yi1 huir4
qu4.
warten
ein bisschen
gehen
Warte ein bisschen und gehe.
(II.2.b) Ni3
du
qu4
deng3
yi1 huir4.
gehen
warten
ein bisschen
Geh ein bisschen warten.
Bei einer Permutation der Glieder sowohl von Verbalserien als auch von koordinativen
Konstruktionen bleiben die Sätze also syntaktisch korrekt; im Falle der Verbalserie
verändert sich jedoch der semantische Gehalt des Satzes.
Die Subordination ist eine exozentrische Konstruktion, in der laut Chao die zweite
Konstituente annähernd die gleiche Rolle annimmt wie die gesamte Konstruktion und
daher auch den Kopf der Konstruktion enthält. Die erste Konstituente kann eine
adverbiale Bestimmung sein, die den Kopf modifiziert. Dies trifft häufig auch auf
Verbalserien zu:
(II.3) na2
nehmen
bi3
xie3
zi4
Pinsel
schreiben
Zeichen
mit einem Pinsel Zeichen schreiben
„Zeichen schreiben“ kann als Kopf und „mit einem Pinsel“ als sein Modifikator
analysiert werden. Modifizierende Adverbialbestimmungen in subordinativen
Konstruktionen werden jedoch häufig durch die Partikel 地 de0 vom Kopf getrennt:
(II.4) Xin4xi1
Neuigkeiten
bu4
duan4
de0
lai2
nicht
unterbrechen
DE
kommen
Ständig kommen Neuigkeiten.
Im Unterschied dazu werden Modifikator und Kopf der Verbalserie hingegen ohne
Markierung der internen syntaktischen Beziehung aneinandergereiht. Chao grenzt die
Subordination von der Verbalserie aufgrund des syntaktischen Kriteriums der
Markierbarkeit mit der Modifikationspartikel 地 de0 ab.
2) Syntaktische Zusammensetzung der Verbalserie
Die meisten Verbalserien bestehen aus zwei Verbalphrasen. Die erste Verbalphrase
enthält in der Regel ein Objekt; die zweite VP kann auch aus einem intransitiven Verb
bestehen:
(II.5) Verbalserie mit transitivem V2:
da3kai1
chuang1hu0 shuo1
ji3 ju4
öffnen
Fenster
ein paar Wörter
sagen
hua4
das Fenster öffnen und ein paar Wörter sagen
(II.6) Verbalserie mit intransitivem V2:
da3kai1
chuang1hu0 hu1xi1
öffnen
Fenster
atmen
das Fenster öffnen und atmen
Chao untersucht ebenfalls eine Reihe von Koverben, die von ihm als mögliche
Konstituenten der Verbalserie angesehen werden, sowie die Partikel zur Markierung des
Passivs bei4 in Bezug auf die Möglichkeit der Tilgung ihrer Objekte; er kommt zu der
Schlussfolgerung, dass Objekte von einigen Koverben sowie von bei ausgelassen
werden können, wenn sie aus dem Kontext bzw. der Sprechsituation ersichtlich oder
irrelevant sind:
(II.7.a) Wo3 bei4
ta1
pian4
le0.
ich
er
betrügen
perfASP
PASS
Ich wurde von ihm betrogen.
(II.7.a) Wo3
ich
bei4
pian4
le0.
PASS
betrügen
perfASP
Ich wurde betrogen.
(II.8) Wo3 gao4song4 ta1
er
bie2
ba3
wan2yi4
nong4huai4
nicht
BA
Spielzeug
kaputtmachen perfASP
Ich
sagen
ta1
bian4
ba3
nong4huai4
le0.
er
einfach
BA
kaputtmachen
perfASP
le0,
Ich habe ihm gesagt, er soll das Spiezeug nicht kaputtmachen, und er hat es
einfach kaputtgemacht.
Zu den Koverben, deren Objekt bei einer Verwendung als erstes Verb ausgelassen
werden kann, gehören laut Chao: 把ba3, 给gei3, 叫jiao4, 在zai4, 以yi3, 为wei4, 因
yin1, 从cong2, 将jiang1.
3) Semantische Varianten der Verbalserie
Koordinative Konstruktionen kombinieren die Beschreibungen einander ergänzender
(„und“) bzw. ausschließender („oder“) Situationen; der Inhalt einer koordinierten
Aussage beschränkt sich also auf eine Addition der Inhalte der einzelnen Konstituenten.
Verbalserien haben andere semantische Funktionen: sie geben der Konstruktion eine
zeitliche Dimension, indem sie eine Aufeinanderfolge von Situationen ausdrücken,
oder spezifizieren in der ersten Verbalphrase einen Umstand der in der zweiten
Verbalphrase beschriebenen Situation. Chao hebt hervor, dass die erste Konstituente
meistens den semantischen Hauptgehalt der Kombination bestimmt. Im Gegensatz zur
Koordination geht dieser über eine bloße Addition der Bedeutungen beider
Konstituenten hinaus.
Im Folgenden werden kurz die semantischen Ausdrucksmöglichkeiten von Verbalserien
nach Chao beschrieben; es soll an dieser Stelle noch einmal betont werden, dass Chao in
seiner Analyse auch Koverben als Köpfe von Verbalserienkonstituenten in Betracht
zieht.
a. Reihenfolge der Situationen
Die Reihenfolge der Konstituenten entspricht der Reihenfolge der beschriebenen
Situationen im zeitlichen Ablauf:
(II.9) Wo3 qi3lai2
ich
aufstehen
chuan1
le0
yi1fu0.
anziehen
perfASP
Kleidung
Ich bin aufgestanden und habe mich (dann) angezogen.
b. Zeitliche Positionierung der Situation
Durch die Koverben zai (in/auf), cong (von), dao (bis) kann die Situation um eine
zeitliche Dimension angereichert werden. Das Koverb zai leitet die Angabe einer
Periode, der das beschriebene Ereignis zugeordnet werden kann, ein:
(II.10) zai4
(zai)
nian2qing1 de0 shi2hou0
zuo0
guo0 zhe4
shi4
jung
machen
ASP diese
Sache
Zeit
das gemacht haben, als man jung war
c. Lokalisierung und Orientierung der Situation
Die Koverben zai, cong, dao können die durch VP2 beschriebene Situation nicht nur
zeitlich, sondern auch geographisch positionieren:
(II.11) zai4
in
Bei3jing1
chu1sheng1
Peking
geboren sein
in Peking geboren sein
(II.12) cong2
aus
Zhong1guo2
lai2
China
kommen
aus China kommen
Außerdem können die Koverben 向xiang4 (zu), 往wang3 (nach) und 对dui4 (zu)
verwendet werden, um die Richtung einer Handlung zu spezifizieren:
(II.13) wang3
nach
xi1
zou3
Westen
gehen
nach Westen gehen
(II.14) dui4 ta1
zu
ihm
shuo1hua4
sprechen
zu ihm sprechen / mit ihm sprechen
d. Benefaktiv
Das Benefaktiv kann durch ein dem Verb nachgestelltes indirektes Objekt spezifiziert
werden; in bestimmten Fällen kann das indirekt Objekt in eine präverbale Position
verschoben werden. Die benefaktive Rolle kann jedoch auch dem Objekt eines Koverbs
wie 替 ti: für oder 给gei: für, das in der VP1 einer Verbalserie kombiniert wird,
zugewiesen werden:
(II.15) ti4
für
wo3
shuo1
ji3
ju4
hao3
hua4
ich
sagen
einige
CL
gute
Wörter
ein paar gute Worte für mich einlegen
(II.16) gei3
für
wo3
dui4
ta1
qing3´an1
mich
zu
ihm
grüßen
ihn von mir grüßen
e. Zweck, Grund oder Ursache
Zum Ausdruck von Zweck, Grund oder Ursache kann das Koverb 为wei : für/um
eingesetzt werden:
(II.17) wei4le0 qian2
für
Geld
zuo4
huai4 shi4
machen
schlechte Sachen
schlechte Sachen machen, um Geld zu bekommen
Um Finalität auszudrücken, können auch Vollverben als V1 verwendet werden:
(II.18) dao4
eingießen
yi1
wan3
cha2
he1
ein
Schüssel
Tee
trinken
eine Schüssel Tee eingießen und trinken (um sie zu trinken)
(II.19) jie4
leihen
qian2
yong4
Geld
benutzen
Geld leihen, um es zu auszugeben
Dabei ist das Objekt von V1 häufig auch das Objekt von V2 und wird aus
Ökonomiegründen getilgt. Die Objekttilgung ist jedoch keine Bedingung für finale
SVCs; im folgenden Beispiel nimmt V2 kein Objekt an:
(II.20) da3
bringen
shui3
xi3zao3
Wasser
waschen
Wasser bringen, um sich (damit) zu waschen
f. Instrumentalität, Art und Weise einer Handlung
Das Instrument, mit dem eine Handlung ausgeführt wird, kann in der VP1 durch die
Verben 拿na3: nehmen und 用yong4: benutzen markiert werden. Andere Verben in
Kombination mit der Partikel des durativen Aspekts zhe0 drücken die Art und Weise
aus:
(II.21.a)
yong4
kuai4zi0
chi1 fan4
benutzen
Stäbchen
essen
mit Stäbchen essen
(II.21.b)
na2
bi3
xie3
zi4
nehmen
Pinsel
schreiben
Zeichen
mit einem Pinsel Zeichen schreiben
(II.21.c) zhang1
zhe0
zui3
da4
xiao4
öffnen
durASP
Mund
groß
lachen
mit geöffnetem Mund laut lachen
g. Vergleich
Das Koverb bi3 wird häufig als Vollverb benutzt und behält dabei seine ursprüngliche
Bedeutung (vergleichen, konkurrieren) bei. Als Koverb mit der Bedeutung „als“ wird es
in Komparativkonstruktionen mit Adjektiven kombiniert; diese
Komparativkonstruktionen werden von Chao ebenfalls der Kategorie der Verbalserien
zugeordnet:
(II.22) Ni3
du
bi3
ta1
gao1.
als
er
hoch
Du bist größer als er.
h. „Action on action“
In dieser Konstruktion drückt die VP1 eine Handlung aus, die sich auf die Handlung
von V2 bezieht:
(II.23) kai1shi3
anfangen
gong1zuo4
arbeiten
anfangen, zu arbeiten
In manchen zweideutigen Konstruktionen (Bsp. a) kann VP1 durch eine VP zum
Ausdruck der Art und Weise ersetzt werden; dabei können jedoch ursprüngliche
Interpretationsmöglichkeiten verloren gehen (b):
(II.24.a) dong4
shou3
bewegen Hand / sich vorbereiten
da3
ren2
schlagen
Mensch
jemanden mit den Händen schlagen
oder : sich dazu aufmachen, jemanden zu schlagen
(II.24.b) na2
nehmen
shou3
da3
ren2
Hände
schlagen
Mensch
jemanden mit den Händen schlagen
Man kann also sehen, dass durch die Verbalserie in Chaos Verständnis
vielfältige semantische Ausdrucksmöglichkeiten generiert werden können,
wobei die einzelnen Verbalphrasen in den meisten Verbalserien in eine
subordinative Beziehung treten. Es ist jedoch fraglich, inwieweit die von Chao
als V1 akzeptierten Koverben tatsächlich Verbalserien bilden können. Dies
ebenfalls auch für die prätransitive Konstruktion mit der Partikel ba, die Chao
als eine „besondere Form“ der Verbalserie betrachtet. Ba, das ursprünglich
ausschließlich als Vollverb mit der Bedeutung „nehmen, greifen“ fungierte, hat
sich im Laufe eines Grammatikalisierungsprozesses zu einer Partikel verwendet,
mit der das direkte Objekt eines Verbs vor dem Verb positioniert werden kann;
um diese Konstruktion zu bilden, müssen jedoch zwei Bedingungen – nämlich
die Bestimmtheit des Objekts und die direkt, meist physische Einwirkung auf
das Objekt durch die mit dem Verb umschriebene Handlung - erfüllt sein.
Das direkte Objekt einer einfachen Verb-Objekt-Konstruktion wie
(II.25.a) Bie2
nicht
wang4
le0
yao4shi0!
vergessen
perfASP
Schlüssel
Vergiss die Schlüssel nicht!
kann mit ba in die präverbale Position verschoben werden:
(II.25.b) Bie2
ba3
yao4shi0
wang4
le0!
nicht
BA
Schlüssel
vergessen
perfASP
Vergiss die Schlüssel nicht!
Das Objekt wird durch den Stellungswechsel betont. Die syntaktische Struktur
lässt in (b) jedoch die Interpretation von ba als Vollverb nicht zu; die
semantische Struktur bleibt also unverändert.
Chao´s Zuordnung der prätransitiven ba-Konstruktion zu den Verbalserien ist
höchst bedenklich, da ba sich in diesem Konstruktionstyp nicht wie ein Vollverb
verhält und an sich keinen semantischen Beitrag leistet; die Betonung des
Objekts erfolgt lediglich durch seine Umpositionierung. Eine Verb-ObjektKonstruktion, die unter Verwendung von ba in eine präverbale Konstruktion
umgewandelt wird, behält ihre ursprüngliche Argumentstruktur bei. Es scheint
also angemessener zu sein, das präverbale ba als grammatikalisiertes Vollverb
mit der Rolle eines syntaktischen Platzhalters für die Markierung eines
verschobenen bestimmten Objekts, auf das ein direkter Einfluß ausgeübt wird,
zu analysieren.
Zusammenfassend kann man sagen, dass Chao Verbalserien als syntaktische
Konstruktionen zwischen der Subordination und der Koordination ansieht und
offenbar eine klare Trennung zwischen diesen Konstruktionstypen vornimmt; in
seiner Untersuchung verschiedener semantischer Strukturen von Verbalserien
sieht man jedoch, dass die meisten Konstruktionen mit subordinativen
semantischen Beziehungen zwischen den einzelnen Gliedern einhergehen; es
soll hier dahingestellt bleiben, inwieweit Chaos Unterscheidung anhand der
Partikel 地de, mit der häufig die Glieder einer Subordination, jedoch nicht die
VPs von Verbalserien verbunden werden können, repräsentativ für die
verschiedenen Arten subordinativer Verbalkonstruktionen im Chinesischen ist.
Ebenfalls kann die Betrachtung von Koverb- und ba-Konstruktionen als
Verbalserien bestritten werden; während angenommen werden kann, dass diese
Strukturen Nachfolger SVC-ähnlicher Formen sind, werden wir uns zum Ende
des folgenden Teils auf eine Definition einigen, durch die ba und Koverben von
möglichen SVC-Konstituenten in syntaktischer und semantischer Hinsicht
abgegrenzt werden.
II.2 Li & Thompson: „Serial Verb Constructions“ (1982, S. 594-622)
Li & Thompson orientieren sich bei ihrer Beschreibung der Serienverben an der
linearen Oberflächenstruktur komplexer Satzkonstruktionen; als SVC gilt bei ihnen eine
Konstruktion, in der zwei oder mehr Verbalphrasen aneinandergereiht werden, ohne
dass eine syntaktische Markierung die Beziehung zwischen diesen Konstituenten
spezifiziert wird. SVCs sind demnach alle Satzkonstruktionen, die die Bedingung der
Oberflächenstruktur
(NP)
V
(NP)
(NP)
V
(NP)
erfüllen. Die unterschiedliche Verteilung der NPs als Argumente der Verben spielt
vorerst keine Rolle. Li und Thompson führen vier grundlegende Konstruktionstypen an,
die diese lineare Struktur aufweisen:
1) zwei oder mehr getrennte Ereignisse
2) eine Verbalphrase als Subjekt / Objekt eines anderen Verbs
3) pivotale Konstruktion
4) beschreibende Relativsätze
Diese Konstruktionen werden nachfolgend in Kürze beschrieben; wir werden sehen,
dass eine Betrachtung der linearen Struktur nicht ausreichend ist, um die vielfältigen
syntaktischen und semantischen Formen von SVCs im eigentlichen Sinne einzugrenzen
und zu beschreiben. So herrscht in der Literatur zu chinesischen Serienverben in der
Regel Einigkeit darüber, dass nur Konstruktionen vom Typ 1 der von Li / Thompson
postulierten Verbalserientypen unter bestimmten semantischen Bedingungen als SVCs
betrachtet werden können. Die anderen drei grammatischen Kategorien sollen hier kurz
charakterisiert werden, um eine Basis für ihre Unterscheidung von den SVCs an
späterer Stelle zu bilden.
1) Zwei oder mehr verschiedene Ereignisse
Für Verbalserien, die zwei oder mehr separate Situationen umschreiben, werden vier
semantische Interpretationsmöglichkeiten angeführt:
-
Aufeinanderfolge von Handlungen
-
Ausdruck des Zwecks einer Handlung
-
Sich abwechselnde Handlungen
-
VP1 drückt einen Umstand aus, der die durch VP2 beschriebene
Handlung begleitet
Bei einer Übersetzung bzw. Interpretation solcher Verbalphrasen stellt man fest, dass
die semantische Beziehung zwischen den Handlungen selten eindeutig ist; vielmehr
sind diese Konstruktionen aufgrund des Fehlens jeglicher Markierung und der
Parallelität der zwei Konstituenten meistens zweideutig:
(II.26) Wo3
ich
mai3
piao4
jin4qu4.
kaufen
Karte
hereingehen
 mögliche Interpretationen:
Aufeinanderfolge: Ich kaufe eine Karte und gehe herein.
Zweck: Ich kaufe eine Karte, um hereinzugehen.
(II.27) Ta1
er
qi2
ma3
chou1yan1.
reiten
Pferd
rauchen
 mögliche Interpretationen:
Aufeinanderfolge: Er ritt und rauchte.
Zweck: Er ritt, um zu rauchen.
Umstand: Rauchend ritt er ein Pferd.
Um diese Ambiguitäten aufzulösen, reicht eine formale Analyse der Verbalserien
anhand semantischer und syntaktischer Merkmale nicht aus; es müssen vielmehr auch
pragmatische und kontextuelle Variablen in die Betrachtung einbezogen werden.
2) VP als Subjekt / Objekt eines anderen Verbs
Das Hauptverb eines Satzes bestimmt, ob eine VP oder ein Satz als sein Subjekt bzw.
Objekt verwendet werden können:
(II.28.a) Wo3 xi1wang4
ich
hoffen
ni3
kuai4
yi1 dian3 bi4ye4.
du
schnell
etwas
Abschluss machen
Ich hoffe, dass du deinen Abschluss etwas schneller machen kannst.
(II.28.b) *Wo3
xi1wang4
kuai4
yi1 dian3 bi4ye4.
Ich
hoffen
schnell
etwas
Abschluss machen
Das zweite Beispiel ist nicht korrekt, da das Verb xiwang: hoffen nur einen
vollständigen Satz mit einem Subjekt, das nicht mit dem Subjekt des Hauptsatzes
koreferentiell ist, als Objekt subkategorisieren kann.
Konstruktionen, in denen die indirekte Rede wiedergegeben wird, werden von Li /
Thompson ebenfalls als Verbalserien eingestuft; in diesen Konstruktionen kann das
Kommunikationsverb durch ein nachfolgendes shuo:sagen verstärkt werden:
(II.29) Ta1
er
gao4su0
wo3
(shuo1)
ni3
erzählen
ich
(sagen) du
tou2teng2.
Kopfschmerzen haben
Er erzählte mir, dass du Kopfschmerzen hast.
Neben diesen Verb-Objekt-Verbalserien erlauben manche Verben auch einen Satz oder
eine Verbalphrase in Subjektposition:
(II.30) Da4sheng1 nian4
laut
lesen
ke4wen2 ke3yi3
bang1zhu4 fa1yin1.
Text
helfen
kann
Aussprache
Das laute Lesen eines Textes kann der Aussprache behilflich sein.
3) Pivotalkonstruktion
Pivotalkonstruktionen enthalten eine NP, die gleichzeitig das Objekt von V1 und das
Subjekt von V2 ist. Diese Konstruktionen werden von Li / Thompson in zwei
semantische Kategorien eingeteilt:
-
das durch die zweite VP beschriebene Ereignis ist unrealisiert
(II.31) Wo3 quan4
ich
raten
ta1
nian4
yi1.
er
studieren
Medizin
Ich rate ihm, Medizin zu studieren.
-
das durch die zweite VP beschriebene Ereignis wurde schon realisiert:
(II.32) Xiao3hai2 xiao4
Kind
lachen
ta1
shi4
yi1
ge4
da4 pang4zi0.
er
ist
ein
CL
dicker Mensch
Das Kind lacht ihn aus, weil er dick ist.
Die Bedeutung von V1 bestimmt, welcher dieser zwei Kategorien eine Aussage
zugeordnet wird.
4) Beschreibende Relativsätze
Bei diesem Konstruktionstyp subkategorisiert V1 ein direktes Objekt, das von einem
Relativsatz gefolgt wird. Der Relativsatz dient dem Hinzufügen zusätzlicher
Informationen bezüglich des Objekts. Auch hier wird eine semantische Unterteilung
nach dem Kriterium, das für die Pivotalkonstruktion beschrieben wurde, vorgenommen;
beschreibende Relativsätze werden in von Li/Thompson in „Realis“-Sätze und
„Irrealis“-Sätze unterteilt.
Verben in Irrealis-Sätzen nehmen unbestimmte Objekte auf; der Relativsatz dient dabei
dem Hinzufügen einer beiläufigen Angabe zu dem Objekt:
(II.33) Ta1
er
you3
yi1
ge4
mei4mei4
hen3
xi3huan1 kan4
haben
ein
CL
kleine Schwester
sehr
mögen
sehen
dian4ying3.
Film
Er hat eine kleine Schwester, die gerne Filme sieht.
Im Gegensatz hierzu müssen Objekte, die mit Irrealis – Sätzen kombiniert werden, nicht
unbestimmt sein; sie können bestimmt, unbestimmt oder nicht referenziell sein. Das
Verb eines Irrealis-Satzes bezieht sich immer auf eine Tätigkeit, die jedoch noch nicht
ausgeübt wurde:
(II.34) Wo3men0 zhong3
wir
anpflanzen
na4
zhong3 cai4
chi1.
dieses
Art
essen
Gemüse
Wir Pflanzen dieses Gemüse an, um es zu essen.
(II.35) Wo3 zhao3
ich
suchen
xue2sheng1 jiao4.
Schüler
unterrichten
Ich suche Schüler, um sie zu unterrichten.
Wir konnten in diesem Abschnitt die verschiedenen Satzkonstruktionen sehen, die Li /
Thompson aufgrund ihrer ähnlichen linearen Struktur unter dem Oberbegriff der SVC
zusammenfassen. Bei einer genaueren Analyse der syntaktischen und semantischen
Merkmale dieser Konstruktionen wird sich jedoch herausstellen, dass eine gleiche
Oberflächenstruktur kein ausreichendes Kriterium für ihre Zuordnung zu der
grammatischen Kategorie ist, zumal sie mitunter keine anderen Gemeinsamkeiten
aufweisen. Außerdem muss auch berücksichtigt werden, dass diese Konstruktionen
nicht den typischerweise für SVCs postulierten Merkmalen – wie zum Beispiel dem
Kriterium des gemeinsamen Subjekts der beiden Verben - entsprechen. Dies kann
teilweise sicherlich dadurch erklärt werden, dass sich in der modernen Linguistik
Definitionen von Serienverben durchgesetzt haben, die auf der Basis von Analysen
afrikanischer Sprachen entwickelt wurden. Da jedoch in der früheren Literatur selten
eine Verbindung zwischen Serienverben asiatischer und afrikanischer Sprachen
hergestellt wurde, kann man davon ausgehen, dass sich die Analyse von Verbalserien
bei chinesischen Sprachwissenschaftlern in einer anderen Logik entwickelte; daraus
folgen die Abweichungen der frühen Beschreibungen von den erst später
sprachübergreifend etablierten Definitionen.
II.3 Baker / Chang: „shared object“ und „shared reference“
Als nächsten Ansatz untersuchen wir die sprachübergreifende Beschreibung von Baker,
die auf der Theta-Theorie basiert und mögliche SVC-Varianten stark einschränkt. Baker
postuliert das Kriterium eines gemeinsamen Objekts zweier Verben als Bedingung für
die SVC. Diese Einschränkung wird von Chang aufgegriffen und an einige Spezifitäten
der transitiven Verbalphrase im Chinesischen angepasst.
II.3.1 Baker: “Object sharing and projection in serial verb constructions“
Baker bezieht sich in seiner Analyse auf die afrikanischen Kwa-Sprachen (Sranan,
Yoruba). Er beschreibt SVCs als Konstruktionen, in denen eine Folge von Verben eine
satzähnliche syntaktische Einheit bilden. In dem Satz kann nur ein Wert für Zeit bzw.
Aspekt spezifiziert werden. Die Verben haben ein gemeinsames strukturelles Subjekt
sowie gemeinsame logische Argumente. Als Unterscheidungskriterium zwischen
serialisierenden und nicht-serialisierenden Sprachen führt Baker den „Generalized
Serialization Parameter“ (GSP) an; dieses besagt, dass serialisierende Sprachen
Verbalphrasen mit zwei Köpfen zulassen. Entsprechende Konstruktionen werden auf
der Basis dieser rein syntaktischen Unterscheidung der Kategorie der SVCs zugeordnet.
Baker begründet das GSP anhand einiger Prinzipien der GB-Theorie, die hier noch
einmal zusammengefasst werden:
a. Projektionsprinzip
A ist eine lexikalische Kategorie und B eine Position vom Typ Argument.
1. Wenn B eine unmittelbare Konstituente einer X´-Projektion von A auf einer
beliebigen Ebene ist, weist A in A´ eine Theta-Rolle an B zu.
2. Wenn die Zuweisung einer Theta-Rolle durch A an B eine lexikalische
Eigenschaft von A ist, weist A auf allen syntaktischen Ebenen eine Theta-Rolle
an B zu.
b. Theta-Kriterium
„Each argument A appears in a theta-chain containing a case-marked position and a
unique position P to which theta-roles are assigned; each position P to which theta-roles
are assigned is in a theta-chain with a unique case-marked argument A.”
c. Bedingungen der Zuweisung von Theta-Rollen
A kann nur dann eine Theta-Rolle an B zuweisen, wenn
1. A und B strukturelle Schwestern sind, oder
2. eine Projektion von A eine strukturelle Schwester von B ist
d. Head-Licensing Condition
Eine Kategorie B ist lizensiert, wenn es eine Anzahl von Kategorien {a1, ..., an} gibt, so
dass:
a.
B = a1
b. An ist eine (lizensierte) maximale Projektion
c. Für alle i mit 1 < i  n: a i dominiert unmittelbar a i-1 und ist eine Projektion von
a i-1 der gleichen oder einer höheren Ebene
Die Analyse von Baker setzt bei dem Merkmal des gemeinsamen Objekts an. SVCs, die
zwei transitive Verben beinhalten, weisen häufig Objekttilgung auf, wobei
typischerweise hinter V2 kein Objekt steht. Das faktische Objekt von V2 wird unter der
Bedingung der Identität mit dem Objekt von V2 getilgt, wodurch Redundanz vermieden
wird. Dieser Mechanismus, der scheinbar mit dem Projektionsprinzip in Widerspruch
steht, soll im folgenden kurz erläutert werden.
Die zwei Verben einer SVC haben ein gemeinsames Objekt, dem sie Theta-Rollen
zuweisen. Die Zuweisung von zwei Theta-Rollen an eine NP wird durch die „HeadLicensing Condition“ (D) von Chomsky ermöglicht. (D) ist eine Umkehrung der X-barKonvention: diese besagt, dass jede maximale Projektion einem einzigen Kopf
zugewiesen werden kann. (D) hingegen besagt, dass jeder Kopf einer einzigen
maximalen Projektion zugewiesen wird; dadurch erlaubt (D) mehrere Köpfe als Töchter
einer Maximalprojektion. Diese Möglichkeit wird jedoch nur in serialisierenden
Sprachen genutzt, die anhand des GSP unterschieden werden:
General Serialization Parameter:
VPs {können / können nicht} Projektionen von mehreren Köpfen sein:
können: Yoruba, Sranan...
können nicht: Englisch, Französisch...
Nach dieser Erweiterung der X´- Konvention, die SVCs in eine einzige Verbalphrase
zusammenfasst, will Baker die möglichen syntaktischen Strukturen von SVCs
untersuchen. Dabei stößt er auf Einschränkungen, die durch die strenge SVO-Wortfolge
der von ihm untersuchten Sprachen bedingt sind:
Prinzipien der SVO-Wortfolge
1. X0 weist Theta-Rollen an Konstituenten, die rechts von X0 liegen, zu.
2. X0 weist Fallmarkierungen an Konstituenten, die rechts von X0 liegen, zu.
3. Wenn X0 in einer unmittelbaren Beziehung R mit Y steht, und Z zwischen X
und Y liegt, dann steht X oder Y ebenfalls in der Beziehung R mit Z.
(R = Zuweisung von Fall / Theta-Rolle)
4. Für m> 0: Xm weist Theta-Rollen an Konstituenten, die rechts von Xm liegen, zu.
Diese Prinzipien schließen die einfachsten Strukturen zur Darstellung
zweiköpfiger Verbalphrasen aus:
(II.36.a) Kofi
Kofi
naki
Amba kiri.
schlagen
Amba
töten
Kofi schlug Amba tot.
a) [V´schlagen [NP Amba] töten]
b) [V´ schlagen töten [NP Amba]]
Struktur a) wird durch Prinzip 1 ausgeschlossen: „töten“ kann keine Theta-Rolle an die
links liegende NP „Amba“ zuweisen.
Struktur b) wird durch Prinzip 3 ausgeschlossen: „töten“ steht zwischen „schlagen“ und
„Amba“, ohne Theta-Rollen von diesen Konstituenten zugewiesen zu bekommen.
Um den Prinzipien der SVO-Wortfolge zu entsprechen, muss eines der V2 – das Verb,
das links von der NP liegt - direkt an eine X´- Ebene projizieren (Prinzip 4). Es ergibt
sich die folgende Struktur:
(II.36.b)
Diese Darstellung erfüllt auch die Bedingungen der Zuweisung von ThetaRollen (C): V1 markiert „Amba“ direkt, da es eine Schwester der NP ist. V2
markiert „Amba“ indirekt, da die Projektion V´ von V2 eine Schwester der NP
ist.
Es wird auch das Merkmal des gemeinsamen Subjekts berücksichtigt: der NP
„Kofi“ wird die Agens-Theta-Rolle durch die zwei Verben zugewiesen, da sie
eine Schwester ihrer VP-Projektion ist.
Durch diese allgemeine Struktur begründet Baker die Möglichkeit der
Objektteilung sowie auch der Tilgung identischer Objekte in SVCs. Er
beschreibt die Struktur der SVC wie folgt:
Descriptively, we want to say that the NP between the two verbs is the argument
of both verbs, whereas the phrase that comes after VP2 is only the argument of
VP2. (Baker 1989, S. 521)
Wenn also V2 ein anderes Argument außer dem gemeinsamen direkten Objekt
annimmt, entsteht die folgende Struktur:
(II.37)
Ó ra
isu
fún
mi.
er kaufen Süßkartoffel geben mir
Er kaufte eine Süßkartoffel für mich.
Baker betrachtet ebenfalls, wie diese Struktur bei unterschiedlichen Kategorien
von V1 und V2 wirksam wird.
Wenn beide Verben transitiv sind, müssen sie ein Objekt teilen, um eine SVC zu
bilden. Dies wird durch den ersten Teil des Projektionsprinzips begründet. Da
das Objekt von V1 eine direkte Konstituente der zweiten V´- Projektion von V2
ist, muss V2 dem Objekt ebenfalls eine Theta-Rolle zuweisen.
Ein intransitives V2 muss in der Lage sein, eine interne Theta-Rolle zuzuweisen;
es muss also ein Verb der nicht-akkusativen Klasse sein, wie in
(II.38) Kofi ti
omo náà subú
Kofi stoßen Kind das fallen.
Kofi stieß das Kind um.
Andererseits muss die interne Theta-Rolle von V2 nicht dem Subjekt, sondern dem
Objekt von V1 zugewiesen werden.
Baker zeigt in diesem Abschnitt, wie die möglichen Strukturen und Kategorien von
Verben in SVCs durch das Projektionsprinzip eingeschränkt werden: wenn V1 ein
Objekt annimmt, muss dieses Objekt auch eine Theta-Rolle von V2 zugewiesen
bekommen. In SVCs mit 2 transitiven Verben ist somit Objekttilgung unerlässlich. Als
intransitive V2 kommen andererseits nur Verben der nicht-akkusativen Kategorie in
Frage, die dem Objekt des transitiven oder unakkusativen V1 ebenfalls eine Theta-Rolle
zuweisen.
Die beschriebenen Strukturen begründet Baker dadurch, dass in einer Gruppe von
Sprachen Verbalphrasen mit mehreren Köpfen erlaubt sind; er deutet jedoch darauf hin,
dass das GSP in Bezug auf die möglichen syntaktischen Strukturen einer Sprache noch
ausgeweitet werden kann, um zu übergreifenden typologischen Verallgemeinerungen zu
verhelfen: „It may of course be possible to trace the GSP back to still more fundamental
properties of the languages involved“ (Baker 519). Ein solcher Versuch wird von
Collins (Collins 1997) unternommen, wobei das folgende allgemeine
Serialisierungsparameter aufgestellt wird:
Multiple Licensing Parameter:
X {kann/kann nicht} mehrere Y lizensieren.
Dieser Parameter kann laut Collins nicht nur auf VPs (mit X=I, Y=VP), sondern z. B.
auch auf NPs (mit X=I, Y=NP) angewendet werden. Wie Baker´s GSP für die
Verbserialisierung ist es ein typologisches Kriterium für die syntaktische
Unterscheidung serialisierender Sprachen.
II.3.2 Chang: Koreferenz und „Temporal Sequence“
Chang führt eine Analyse chinesischer Verben durch, bei der die von Baker aufgestellte
Definition ausgeweitet wird; während Baker die Definition auf rein syntaktischer Ebene
als Konstruktion mit mehreren verbalen Köpfen, die einem gemeinsamen Objekt ThetaRollen zuweisen können, definiert, führt Chang eine Analyse unter Berücksichtigung
unabhängiger Kriterien durch. Diese beziehen sich auf die Syntax, Semantik,
thematische Struktur sowie konzeptuelle Beschaffenheit der Konstruktionen; es werden
Eigenschaften etabliert, die SVCs in Bezug auf die Konstituentenstruktur, gemeinsame
Argumente, die lexikalische Semantik der Prädikate sowie die Positionierung der
umschriebenen Ereignisse in der konzeptuellen Welt teilen. Chang vergleicht, inwieweit
die in Baker´s Analyse nicht berücksichtigten verbalen Komposita sowie
Konstruktionen mit Koverben, die schon von Chao den Verbalserien zugeordnet
wurden, diese Eigenschaften aufweisen. Anschließend wird die Benutzung der Partikel
des perfektiven Aspekts le in SVCs sowie ihre Interaktion mit der thematischen Struktur
der SVC betrachtet.
Chang definiert die SVC als eine Konstruktion mit mehreren aufeinanderfolgenden
Verben, die ein gemeinsames NP-Argument teilen und nach dem Prinzip der zeitlichen
Aufeinanderfolge (Temporal Sequence Principle) angeordnet sind. Als
Charakteristikum der chinesischen SVC muss außerdem die „shared reference“
(Koreferenz) der beiden Verben berücksichtigt werden. Mögliche lineare Strukturen der
SVC sind:
NP
V
V
NP
NP
V
NP
V
Dabei ist je eine Aspektmarkierung pro SVC möglich.
Chang übernimmt demnach das Kriterium des gemeinsamen Objekts von Baker und
fügt ihm weitere Einschränkungen nicht-syntaktischer Natur hinzu. Diese
Einschränkungen sind teilweise sprachübergreifend (TS-Prinzip, Oberflächenstruktur)
und teilweise nur in einigen Sprachen wie dem Chinesischen gültig (Koreferenz der
Objekte, Aspektmarkierung). Sie sollen im Folgenden kurz erläutert werden.
Das TS-Prinzip gilt für Verbalserien, in denen mehrere Verben in einer unmarkierten
syntaktischen Beziehung zueinander stehen. Es besagt, dass die Reihenfolge
syntaktischer Einheiten der Reihenfolge der Zustände oder Ereignisse, die sie in der
konzeptuellen Welt darstellen, entspricht. Im Falle der eindeutig koordinativen
Konstruktion ist das TS-Prinzip nicht in Kraft; sind somit mehrere Interpretationen der
zeitlichen Beziehungen zwischen den Handlungen möglich:
(II.39) Ta1 mai4
er
verkaufen
cai4
zhong3
cai4.
Gemüse
anpflanzen Gemüse
Er verkauft Gemüse und pflanzt Gemüse an.
Die zwei Handlungen können dabei parallel ablaufen, aufeinander folgen oder sich
abwechseln.
Wenn jedoch nicht eindeutig bestimmt werden kann, ob eine Konstruktion subordinativ
oder koordinativ ist, sind trotz Anwendung des TS-Prinzips zwei Interpretationen
möglich:
(II.40) Ta1 zhong3
er
anpflanzen
cai4
mai4
cai4.
Gemüse
verkaufen
Gemüse
1) Er pflanzt Gemüse an und verkauft Gemüse. (Koordination)
2) Er pflanzt Gemüse an, um es zu verkaufen. (Subordination)
Die subordinative Interpretation wird möglich, da die zwei Handlungen hier in einer
logischen Abfolge, die uns aus der konzeptuellen Welt bekannt ist (erst anpflanzen,
dann verkaufen) genannt werden; die Kombination des konzeptuellen Wissens mit der
linearen Anordnung ermöglicht die Herstellung einer zeitlichen
Abhängigkeitsbeziehung zwischen den Handlungen.
Neben dem TS-Prinzip führt Chang eine Modifikation des von Baker analysierten
Merkmals eines gemeinsamen Objekts ein: die Objekt-NPs der Verben einer SVC
müssen koreferentiell sein. Er begründet dies damit, dass im Chinesischen
Konstruktionen mit mehreren Verben möglich sind, die zwar ein gemeinsames Objekt
aufweisen, sich jedoch nicht auf eine gleiche Einheit in der realen Weltordnung
beziehen:
(II.41) Ta1 dao4
Er
le0
san1 bei1
cha2 he1
eingießen perf.ASP drei CL:Tasse Tee
le0
yi1
bei1.
trinken perf.ASP ein CL:Tasse.
Er hat drei Tassen Tee eingegossen und eine Tasse (Tee) getrunken.
„Tee“ ist in diesem Beispiel das gemeinsame Objekt von V1 und V2. Da sich jedoch
„drei Tassen Tee“ und „eine Tasse Tee“ auf unterschiedliche reale Gegenstände
beziehen, also nicht koreferentiell sind, ist diese Konstruktion keine SVC. In dem
Beispiel (II.42) koreferiert das Objekt von V2 mit dem Objekt V1. Die Konstruktion ist
eine SVC, in der das Objekt von V2 aus Ökonomiegründen nicht zu wiederholt werden
braucht:
(II.42) Ta1 dao4
er
eingießen
le0
san1 bei1
cha2
he1.
perfASP
drei CL:Tasse
Tee
trinken
Er hat drei Tassen Tee eingegossen, um sie zu trinken.
Das TS-Prinzip sowie die Koreferenz der Objekte beider Verben erlauben laut Chang
die Unterscheidung chinesischer SVCs von anderen komplexen Strukturen, vor allem
der Koordination. Chang lässt in seinem Artikel jedoch subordinierte Strukturen (z. B.
Ausdruck der Instrumentalität und Art und Weise einer Handlung) mit intransitiven V1
oder Verben, die verschiedene Objekte annehmen, außer acht. Auch Strukturen, deren
Konstituenten in semantischer Hinsicht zeitlich abhängig voneinander sind, obwohl sie
keine gemeinsamen bzw. koreferentiellen Objekte haben, werden nicht berücksichtigt.
Man könnte Chang´s Definition relativisieren, in dem man annimmt, dass eine
Konstruktion, die das Koreferenz- sowie das TS-Kriterium erfüllt, als SVC betrachtet
werden kann. Wird jedoch Koreferenz als universelles Merkmal chinesischer SVCs
betrachtet, müssen andere Arten von Konstruktionen als SVCs ausgeschlossen werden,
die aufgrund syntaktischer und semantischer Gemeinsamkeiten der gleichen Kategorie
zugeordnet werden könnten.
III. Syntaktische und semantische Analyse
chinesischer SVCs
In diesem Teil werde ich eine syntaktische und semantische Analyse
chinesischer SVCs mit Einbeziehung der bereits vorgestellten Definitionen
durchführen. Zuerst wird auf die Motivation von SVCs in serialisierenden
Sprachen eingegangen. Laut Schiller (1990) sowie Seuren (1990) kommen
SVCs in Sprachen vor, die über ein unvollständiges System
morphologischer und syntaktischer Markierungen von Beziehungen
zwischen unmittelbaren Konstituenten eines Satzes verfügen. SVCs werden
demnach verwendet, um innerhalb eines Satzes komplexe semantische
Zusammenhänge zu bilden, die sich nicht durch ein „einfaches“, aus einer
Verbalphrase bestehendes Prädikat darstellen lassen. Im zweiten Abschnitt
gehe ich detaillierter auf die syntaktische Funktion der SVC im Satzgefüge
ein: Chinesische Grammatiker haben oftmals die Meinung vertreten, dass
SVCs entweder als komplexe Sätze oder als Komposita zu analysieren sind
(Wippermann 1993, S. 123). Tatsächlich bildet die SVC eine
zusammengehörige Einheit, die jedoch nicht den Status syntaktischer
Komposita mit begrenzten Produktivität, bzw. lexikalischer Komposita mit
fester Aufeinanderfolge der Glieder aufweist. Andererseits kann sie im
Gegensatz zu komplexen Sätzen nicht immer auf zwei Teilsätze
zurückgeführt werden. Die SVC kann betrachtet werden als komplexes
Prädikat, das seinerseits in mehrere einfache Prädikate zerlegt werden kann.
Dies trägt auch der semantischen Einheit der SVC, die der Beschreibung
eines einzigen übergreifenden Ereignisses dient, Rechnung.
Nach der funktionalen Einordnung der SVC wende ich mich einer Analyse der
internen Struktur zu; es erfolgt eine Prüfung der möglichen syntaktischen und
semantischen Beziehungen zwischen den Konstituenten. Wir werden sehen,
dass SVCs mit der minimalen Struktur V (NP) V (NP) in der Regel
zweideutig sind; die Ambiguität kann jedoch durch Aspektmarkierungen und in
einigen Fällen durch eine Modifikation der Struktur aufgehoben werden.
Anschließend werden kurz lexikalische Eigenschaften von SVCs erläutert,
insofern sie durch häufig verwendete eingebürgerte Konstellationen
Generalisierungen erlauben. SVCs werden in symmetrische und asymmetrische
Konstruktionen mit verschiedenen Möglichkeiten der lexikalischen
Ausgestaltung bzw. unterschiedlicher Produktivität unterteilt.
Diese Darstellung liefert eine Beschreibung möglicher struktureller und
semantischer Ausprägungen chinesischer SVCs. Es soll gezeigt werden, dass
Versuche, die SVC über eine uniforme Reihe von Kriterien zu definieren, keine
hinreichende Grundlage für eine formale Analyse darstellen können. Wir
werden sehen, dass es mehrere Kategorien von SVCs gibt, die untereinander
Gemeinsamkeiten aufweisen; dazu gehört zum Beispiel als syntaktisches
Merkmal das gemeinsame Subjekt und, als semantische Funktion, die
Beschreibung eines übergreifenden Ereignisses, das eventuell in mehrere Teile
zerlegt werden kann. Jedoch müssen diese allgemeinen Charakteristika jeweils
durch den entsprechenden Kategorien eigene Merkmale ergänzt werden.
III.1 Einleitung: Motivation und Funktion von SVCs
Chao ordnet die chinesische Verbalserie als syntaktische „Zwischenkategorie“
zwischen Koordination und Subordination ein (1968, S. 325). Sebba meint, dass
SVCs nicht als einheitliches Phänomen behandelt werden und sowohl in
koordinativer wie auch in subordinativer Form vorkommen können (1987, S.
109). Zwicky äußert:
... a serial [verb construction, JL] is any combination of two or more verbal
constituents which is problematic because it exhibits some properties of
subordination and some of coordination, thus cutting across apparently wellestablished types ... (Zwicky 1992, S. 2)
In der Literatur wird die SVC in der Regel mit diesen zwei gegensätzlichen
Konstruktionen in Verbindung gebracht, wobei sie jedoch weder der
Subordination noch der Koordination eindeutig zugeordnet werden kann. Die
SVC kann vermutlich als hybride Struktur untersucht werden, die in sich
syntaktische und semantische Eigenschaften der Koordination und der
Subordination vereinigt.
Ich werde versuchen, mich bei den nachfolgenden Beschreibungen und
Analysen in syntaktischer Hinsicht auf die Koordinationsannahme zu stützen.
Nach Chao ist die Verbalserie „like a coordinate phrase in that both parts are
verbal expressions” (1968, S. 325). Der semantische Beitrag von SVCs
beschränkt sich jedoch nicht auf eine Aneinanderreihung unabhängiger Inhalte
wie im Falle der unmarkierten Koordination; die SVC ermöglicht oft zusätzlich
auch eine Interpretation der konzeptuellen Beziehungen zwischen ihren
Komponenten. Zum Teil können diese Beziehungen anhand der syntaktischen
Struktur bestimmt werden, andererseits gibt es jedoch auch Indizien
lexikalischer Art, die auf eine bestimmte vorzuziehende Interpretation der
Konstruktion deuten. Wir werden zeigen, dass in SVCs entweder eine
subordinative Beziehung (Ursache-Wirkung, Umstand, Instrument, Zweck
usw.), oder aber eine temporale Beziehung im Sinne eines zeitlichen
Zusammenhangs zwischen den umschriebenen Ereignissen etabliert werden
kann.
Die Einordnung der Verbalserie als syntaktische Koordination kann auf das
Konzept von Bloomfield zurückgeführt werden (1933, S. 195). Laut Bloomfield
ist jede syntaktische Konstruktion aus zwei Komponenten zusammengesetzt und
kann als exozentrische oder endozentrische Konstruktion eingeordnet werden.
Die exozentrische Konstruktion gehört einer grammatischen Kategorie an, die
sich von den grammatischen Kategorien ihrer unmittelbaren Konstituenten
unterscheidet:
(III.1)
Wo3 xue2
zhong1wen2.
ich
Chinesisch
lernen
Ich lerne Chinesisch.
Die Phrasenstrukturregel für diesen Satz lautet:
S  NP VP.
Der Satz hat keine direkten Komponenten der Kategorie S und ist somit eine
exozentrische Konstruktion.
Es werden zwei Arten von endozentrischen Konstruktionen unterschieden. Die
subordinative endozentrische Konstruktion enthält eine Komponente, die der
gleichen Kategorie wie die gesamte Konstruktion angehört:
(III.2)
man4man0
de0
pao3
langsam
KOMPL.de
laufen
langsam laufen
Die Phrasenstrukturregel für diesen Satz lautet:
VP  A
V
V ist, wie auch VP, ein verbaler Ausdruck.
Die koordinative endozentrische Konstruktion enthält zwei oder mehr
Komponenten, die der gleichen Kategorie wie die gesamte Konstruktion
angehören:
(III.3)
chang4ge1 tiao2wu3
singen
tanzen
singen und tanzen
VP  V
V
Gemäß dem Konzept von Bloomfield kann eine Konstruktion mit zwei verbalen
Ausdrücken also als Koordination eingeordnet werden:
(III.4)
Ta1 chang4ge1 tiao2wu3.
er
singen
tanzen
Er singt und tanzt.
Während dieser Satz nicht nur syntaktisch, sondern auch semantisch als
Koordination interpretiert wird, bieten sich bei den folgenden Beispielen
unterschiedliche Deutungen der Struktur an, je nachdem, ob man bei der
Interpretation der syntaktischen Struktur oder aber dem Konzeptwissen Vorrang
gibt:
(III.5.a) Ta1
er
lai2
jiu3ba1 chang4ge1.
kommen
Bar
singen
Er kommt in die Bar und singt.
Er kommt in die Bar, um zu singen.
(III.5.b) Ta1
er
he1
jiu3
chang4ge1.
trinken
Wein
singen
Er trinkt Wein und singt.
Wein trinkend singt er.
(III.5.c) Ta1
Er
na2
hua4tong1 chang4ge1.
nehmen
Mikro
singen.
Er nimmt ein Mikro und singt.
Er singt mit einem Mikro.
Wir sehen, dass die gleiche syntaktische Struktur bei verschiedener lexikalischer
Ausgestaltung die Etablierung unterschiedlicher semantischer Beziehungen
zwischen den Konstituenten erlaubt.
Bei einer koordinativen Deutung werden die Inhalte der Verbalphrasen als
voneinander unabhängige Einheiten aufgefasst; die syntaktische Struktur leistet
also keinen Beitrag zum semantischen Gehalt. Wenn man jedoch von der
koordinativen Lesart absieht, kann man sehen, dass, je nach der lexikalischen
Ausgestaltung der Konstituenten und unter Einbezug von Weltwissen,
unterschiedliche Beziehungen zwischen den Gliedern derselben Struktur
etabliert werden können. Wie lässt sich eine solche Anreicherung der Semantik
einer scheinbar koordinierten Konstruktion erklären? Ich werde versuchen, dies
unter Zuhilfenahme des Ansatzes von Seuren, der die SVC als Verb – (Pseudo)Komplement- Konstruktion erklärt (1990), zu veranschaulichen.
Seuren führt das Konzept der Pseudokomplementation ein, um die syntaktische
Struktur von SVCs in afrikanischen Sprachen zu erklären. Bei der
Pseudokomplementation wird ein eingebetteter Satz syntaktisch wie ein
gewöhnliches Satzobjekt behandelt. Semantisch gesehen drückt das
Komplement jedoch den Zweck, Umstand bzw. das Ergebnis einer Handlung
aus:
(III.6)
He went fishing.
Er ging fischen.
„fishing“ wird hier syntaktisch als Teilsatz analysiert. Es kann jedoch kein
Objekt sein, da das Hauptverb „go“ intransitiv ist. Das Pseudokomplement
erfüllt also eine Ersatzfunktion: Es vervollständigt die „defekte“ syntaktische
Struktur des Verbs, die es nicht erlaubt, Argumente zum Ausdruck semantischer
Kategorien wie Zweck, Instrument, Resultat usw. anzunehmen. In nichtserialisierenden Sprachen werden diese Funktionen von Komplementen oder
Modifikatoren, z. B. in Form von Präpositionalphrasen, übernommen:
(III.7.a) Er schreibt mit einem Pinsel Zeichen.
Da die Ausdrucksmöglichkeiten von Präpositionen im Chinesischen – wie auch
in vielen anderen serialisierenden Sprachen – begrenzt sind, werden hier statt
Präpositionalphrasen Komplemente bzw. Modifikatoren in VP-Form verwendet,
was zur Bildung von SVCs führt:
(III.7.b) Ta1
er
yong4
bi3
xie3
zi4.
benutzen
Pinsel
schreiben
Zeichen
Er schreibt mit einem Pinsel Zeichen.
Andere Beispiele sind:
Zweck:
(III.8)
Wo3 mai3
shu1
du2.
ich
Bücher
lesen
kaufen
Ich kaufe Bücher, um (sie) zu lesen.
Umstand:
(III.9)
Ta1 pao3bu4
duan4
le0
tui3.
Er
brechen
perfASP
Bein
joggen
Beim Joggen hat er sich das Bein gebrochen.
Ergebnis:
(III.10) Ta1
er
tian1tian1 lian4
zhong1yu2
xue2hui4 le0.
täglich
schließlich
lernen
üben
perfASP
Er hat täglich geübt und es schließlich gelernt.
usw.
Die Auffassung von Seuren scheint sich in typologischer Hinsicht an das von
Schiller (1990) für die Erklärung subordinativer SVCs postulierte „Semantic
Case Instantiation Principle“ anzulehnen. Schiller behauptet, dass semantische
Beziehungen durch den konkretesten Mechanismus umschrieben werden, der in
einer Sprache möglich ist. Der Begriff „konkret“ bezieht sich dabei auf die
Möglichkeit einer einheitlichen Interpretation durch Muttersprachler. Zur
Umschreibung semantischer Beziehungen wie Instrument, Zweck, Ort,
Ursprung einer Handlung wendet eine Sprache Mittel nach der folgenden
Hierarchie an:
1. Morphologiche Mittel (Flexionssystem)
2. Syntaktische Mittel (lexikalische Ausdrücke, meist Präpositionen
durch Bildung von Präpositionalphrasen)
3. Subordinative Serienverbkonstruktionen
Eine flexionsreiche Sprache wie Russisch markiert die Fälle der NPs durch
Endungen:
(III.11) Ja
pischu
NOM.ich
bukvy
kist´ju.
schreibe ACC.Zeichen
INSTR.Pinsel
Ich schreibe Zeichen mit einem Pinsel.
Im Deutschen wird hingegen die Präposition „mit“ verwendet, um „Pinsel“ als
Instrument zu markieren. Es gibt im Chinesischen keine entsprechende
Kasusmarkierung oder Präposition; deswegen werden die Verben na2: nehmen
oder yong4: benutzen gebraucht, was zur Bildung einer SVC führt:
(III.12) Wo3 yong4 (na2)
Ich
benutzen (nehmen)
bi3
xie3
Pinsel schreiben
zi4.
Zeichen.
Ich schreibe Zeichen mit einem Pinsel.
Ich benutze einen Pinsel und schreibe Zeichen.
Man sieht, worin die Zweideutigkeit dieser Aussage liegt: Der Pinsel kann
einerseits als Instrument interpretiert werden, mit dem die Haupthandlung
ausgeführt wird; andererseits ist es möglich, dass die Benutzung des Pinsels und
das Schreiben der Zeichen zwei unabhängige, simultan oder sukzessiv
ablaufende Handlungen darstellen und es sich in diesem Falle um eine
koordinative Konstruktion handelt.
In dem oberen Beispiel (III.12) bereitet es uns in der Regel keine Probleme, den
subordinativen Zusammenhang zwischen den beiden Verbalphrasen richtig zu
interpretieren; dies kann zu einem großen Teil dadurch erklärt werden, dass wir
bei der Interpretation zweideutiger Aussagen auf unser konzeptuelles Wissen
zurückgreifen, insbesondere wenn die Aussage nicht in einen aufklärendem
Kontext gesetzt werden kann. Im westlichen wie auch im chinesischen
Kulturkreis wird das Schreiben von Zeichen mit einem Pinsel als eine Handlung
aufgefasst. Kommen jedoch kulturelle Unterschiede ins Spiel, sind
Deutungsprobleme möglich, da verschiedene Kulturen die Zusammenhänge
zwischen Handlungen unterschiedlich interpretieren können.
Seuren und Schiller begründen die Bildung von subordinativen SVCs in einer
Sprache durch das Fehlen grammatischer Mittel zur Markierung semantischer
Zusammenhänge. Wir haben gesehen, dass SVCs häufig verwendet werden, um
Ergebnisse, Umstände, Instrumente oder Zwecke von Handlungen zu
umschreiben; im Gegensatz zu morphologischen oder syntaktischen
Spezifizierungen semantischer Beziehungen erlauben SVCs jedoch keine
eindeutige Bestimmung der jeweiligen Zusammenhänge.
III.2 Die SVC als Satzkonstituente
Zu Anfang der syntaktischen Analyse von chinesischen SVCs werde ich
untersuchen, wie die SVC als grammatische Einheit eingeordnet werden kann.
Da SVCs in der früheren chinesischen Linguistik häufig als komplexe Sätze
bzw. „Kontraktionssätze“ betrachtet wurden, wird untersucht, wie diese
Kategorisierungen begründet wurden und inwieweit sie der heutigen Auffassung
von SVCs entsprechen. Andererseits werden SVCs auch mit verbalen
Komposita verglichen; wir werden sehen, dass es im Chinesischen eine Gruppe
von SVCs gibt, die Ähnlichkeit mit aus mehreren Verben bestehenden
lexikalischen Einheiten hat. Um einen gemeinsamen Nenner für die
Unterscheidung von SVCs in satz- und wortähnliche Einheiten zu finden, wird
schließlich angenommen, dass sich die SVC im Satz wie eine komplexe
Prädikateinheit verhält – eine Annahme, die sich syntaktisch z. B. durch die oft
verzweigte Struktur der thematischen Beziehungen, semantisch durch die
Auffassung der SVC als ein einziges Ereignis beschreibende Konstruktion
untermauern lässt.
III.2.1 SVC als komplexer Satz
Ein komplexer Satz besteht aus mehreren Teilsätzen. Wenn man die SVC als
komplexen Satz betrachtet, muss man sie in zwei Teilsätze aufteilen:
(III.13)
Die Subjekt-NP des zweiten Teilsatzes wird getilgt, sofern sie mit der SubjektNP des ersten Teilsatzes identisch ist. In einer solchen Konstruktion kann das
Subjekt des zweiten Teilsatzes in der Regel ohne wiederholte Realisierung aus
dem Kontext erschlossen werden.
Die Einordnung von Verbalserien als komplexe Sätze wird von Lü Shuxiang
eingeführt (1942/44). Lü Shuxiang betrachtet in seiner Grammatik SVCs nicht
als separate grammatische Kategorie, sondern ordnet SVC-ähnliche Beispiele
Kategorien allgemeiner syntaktischer Konstruktionen zu. Sätze wie (III.14)
werden von ihm als „komplexe Sätze“ eingeordnet, während der
kompositumähnliche Ausdruck (III.15) als „einfacher“ koordinierter Satz
betrachtet wird:
(III.14) da3kai1 chuang1hu1 tou1tou1
öffnen
Fenster
durchlassen
kong1qi4
Luft
das Fenster öffnen, um kurz durchzulüften
(III.15) jiu4
retten
guo2
jiu4
ren2
Land
retten
Menschen
das Land und die Menschen retten
Es werden keine eindeutigen Kriterien für die Unterscheidung komplexer Sätze
von einfachen Sätzen gegeben; jedoch entsteht der Eindruck, dass die Einteilung
der Verbalserien enthaltenden Sätze in einfache und komplexe Sätze der
heutigen Unterscheidung von Koordination und Subordination entspricht. Die
Konstituenten der SVC werden als zwei Teilsätze betrachtet; dabei muss weder
das Subjekt des zweiten Satzes realisiert werden, noch muss die semantische
Beziehung zwischen den Sätzen durch eine Konjunktion markiert werden. Diese
„ausgelassenen“ Elemente gehen bei einer syntaktischen Anordnung wie der
von subordinativen SVCs aus dem Kontext hervor. Bei der Zerlegung der SVCs
in Haupt- und Nebensätze bedient sich Lü Shuxiang ausschließlich semantischer
Kriterien: Sätze, die Ziel, Zweck, Art und Weise usw. einer Handlung
ausdrücken, gelten als Nebensätze subordinativer Konstruktionen. Dieses
Kriterium erweist sich jedoch als unzuverlässig, da SVCs mehrere Interpretation
erlauben. Ein Satz wie (III.16) kann je nach Kontext zweifellos koordinativ oder
subordinativ interpretiert werden:
(III.16) guan1shang4 men2 jing4jing4
schließen
Tür
beruhigen
xin1
Herz
die Tür schließen und zur Ruhe kommen
die Tür schließen, um zur Ruhe zu kommen
Eine rein semantische Einteilung von Verbalserien in koordinative und
subordinative Konstruktionen ist deswegen für eine formale Analyse nicht
ausreichend.
Andere Grammatiker haben den Versuch unternommen, zusätzliche Kriterien
für die Unterscheidung einfacher und komplexer Sätze mit mehreren Verben zu
etablieren. So wurden vor allem Markierungen der Trennung der Verbalphrasen
– Kommas im schriftlichen und Pausen im mündlichen Gebrauch – als Merkmal
für den komplexen Satz genannt (Wang Li 1990). Konstituenten von
Verbalserien werden in der Regel nicht durch Pausen markiert:
(III.17.a) Ta1 zou3guo4qu4
kai1
men2.
er
hinübergehen
öffnen
Tür.
Er ging hinüber und öffnete die Tür.
Er ging hinüber, um die Tür zu öffnen.
Dieser Satz kann als einfacher Satz mit einem SVC-Prädikat betrachtet werden;
setzt man ein Komma zwischen die Verben, wird das Objekt von V2
automatisch mir der Verfügungspartikel ba in die präverbale Position
verschoben:
(III.17.b) Ta1
er
zou3guo4qu4,
ba3
men2 kai1kai0.
hinübergehen
BA
Tür
kurz öffnen
Er ging hinüber und öffnete kurz die Tür.
Dieser Satz wird als komplexer Satz mit ausgespartem Subjekt im zweiten
Teilsatz betrachtet.
Ein anderes Unterscheidungsmerkmal komplexer Sätze ist, dass sich ein
grammatikalisch korrekter sowie semantisch unveränderter Satz ergibt, wenn
man das ausgesparte Subjekt wieder einsetzt:
(III.18.a) Zhe4
der
zhi3 niao3
jiao4
le0
ji3
CL
rufen
perfASP
einige Laut
Vogel
sheng1, you4
wieder
xiang4 tian1kong1 fei1qu4.
zu
Himmel
fliegen
Dieser Vogel gab ein paar Laute von sich und flog wieder zum
Himmel hinauf. (Wippermann 1993, S. 188)
Das Subjekt des zweiten Teilsatzes kann wieder eingesetzt werden:
(III.18.b) Zhe4
der
zhi3 niao3
jiao4
le0
ji3
sheng1,
CL
rufen
perfASP
einige
Laut
Vogel
zhe zhi
niao
you
xiang tiankong feiqu
der CL
Vogel
wieder zu
Himmel
fliegen.
Dieser Vogel gab ein paar Laute von sich, dieser Vogel flog wieder
zum Himmel hinauf.
Das Beispiel ist in dieser Hinsicht ein komplexer Satz. Im Gegensatz dazu ergibt
sich bei dem Satz (III.19.a) eine Sinnverzerrung, wenn das Subjekt des zweiten
Teilsatzes wieder realisiert wird (III.19.b):
(III.19.a) Hen3 duo1
sehr
viele
ren2
dao4
Mei3guo2
nian4shu1.
Mensch
gehen nach
Amerika
studieren.
Sehr viele Menschen gehen nach Amerika, um zu studieren.
(III.19.b) Hen3
ren2
dao4
Mei3guo2,
hen3
duo1
viele
Mensch
gehen nach
Amerika
sehr
viele
sehr
duo1
ren2
nian4shu1.
Mensch
studieren.
Sehr viele Menschen gehen nach Amerika, sehr viele Menschen
studieren.
Satz (III.19.a) ist also ein einfacher Satz.
Diese Einsatzprobe scheint auf syntaktischer Ebene zuverlässiger zu sein als das
Merkmal der Pause für komplexe Sätze. Die Nicht-Einsetzbarkeit eines sich
wiederholenden Subjekts kann jedoch nicht immer rein syntaktisch erklärt
werden; sie ist vielmehr auch von stilistischen, situationalen usw. Faktoren
abhängig. Für eine Einteilung SVC-ähnlicher Konstruktionen in komplexe und
einfache Strukturen müssten also zusätzliche Merkmale bestimmt werden, die
eine einschlägige syntaktische Unterscheidung erlauben.
III.2.2 SVC als Kontraktionssatz
Wang Li führt den Begriff des Kontraktionssatzes als Untertyp von komplexen
Sätzen ein (Wang Li 1943, S. 149). Der Kontraktionssatz besteht aus zwei
Teilsätzen mit unterschiedlichen Subjekten, die jedoch ohne Konjunktion bzw.
Komma aneinandergereiht werden:
(III.20) Ba3 na4
BA
dieses
hai2zi4 la1guo4lai2 wo3
qiao2qiao2
pi2rou4.
Kind
ansehen
Äußeres
herbringen
ich
Bring das Kind mal her, ich sehe es mir mal an. (Wang Li 1943, S. 151)
Dieser Satz wird als eine hybride Form betrachtet: es handelt sich eindeutig
nicht um einen einfachen Satz, da er aus zwei vollständigen Teilsätzen besteht.
Da jedoch die Trennung der beiden Sätze weder durch ein Komma noch durch
eine Konjunktion markiert wird, wird er auch nicht als komplexer Satz
eingestuft. Wang Li postuliert hierfür den Kontraktionssatz als neue
syntaktische Kategorie „zwischen einfachem und komplexen Satz“:
(III.21)
Die zweite NP wird nach wie vor getilgt, sofern sie mit der ersten NP
koreferentiell ist.
Wang Li gibt Beispiele für Kontraktionssätze, die heute als subordinative oder
koordinative Verbalserien eingeordnet werden:
(III.22) Ta1
er
fang4xia4
fan4
zou3.
niederstellen
essen
weggehen
Er stellte das Essen nieder und ging.
(III.23) Ta1
er
chu1qu4
kai1
men2.
hinausgehen
öffnen
Tür
Er ging hinaus und öffnete die Tür.
Wang Li deutet hierbei bereits an, dass in koordinativen Konstruktionen eine
zeitliche Abhängigkeit zwischen den beschriebenen Ereignissen besteht: das
erste Ereignis muss abgeschlossen sein, bevor das zweite Ereignis anfangen
kann.
Es bleibt jedoch unklar, wie Kontraktionssätze, deren Verben ein gemeinsames
Subjekt teilen, von einfachen Sätzen, die ebenfalls durch die Abwesenheit von
Kommas oder Konjunktionen charakterisiert werden, unterschieden werden
können. Wang Li gibt keine semantischen Kriterien zur Unterscheidung dieser
Strukturen, jedoch entsteht der Eindruck, dass nur Konstruktionen, deren
Konstituenten in einer zeitlichen oder anderen semantischen
Abhängigkeitsbeziehung stehen, als Kontraktionssätze eingeordnet werden.
III.2.3 SVC als Kompositum
Nach dem Versuch, die SVC als komplexe syntaktische Struktur einzuordnen,
wollen wir das Problem von einer anderen Seite angehen und Gemeinsamkeiten
zwischen SVCs und lexikalischen Komposita betrachten. Zwischen den
Konstituenten der SVC besteht oft eine enge Verknüpfung. Diese weist eher die
Charakteristika einer Kombination von Wörtern in einem verbalen Kompositum
als die einer Aufeinanderfolge unabhängiger syntaktischer Einheiten auf
(Zwicky 1990). In der Tat haben lexikalische Komposita eine Reihe von
Eigenschaften, die für die Analyse von SVCs relevant sein können. Komposita
werden aus einzelnen Wörtern zusammengesetzt; SVCs bestehen im
Chinesischen oft aus Phrasen, intransitive Verben werden jedoch ohne
Komplemente kombiniert und ergeben wortähnliche Einheiten, die in nichtserialisierenden Sprachen mit einem Prädikat übersetzt werden. SVCs im
Chinesischen können in dieser Hinsicht als Vorgänger der vielfältigen
Resultativkonstruktionen, die sich im Laufe der Zeit zu lexikalischen Komposita
entwickelt haben, betrachtet werden. Die Wörter eines Kompositums werden
ohne Markierung nebeneinander gestellt. Zwischen ihnen besteht eine enge
semantische Verbindung; in der SVC wird in der Regel Bezug auf ein
übergreifendes Ereignis genommen.
Wie wir jedoch im Abschnitt I.3.1 (Verbalkomposita) gesehen haben, stellt das
Kompositum ein lexikalisches Phänomen mit begrenzter Produktivität dar,
während die SVC als syntaktische Erscheinung analysiert wird und auch in
uneingeschränkt produktiven Formen vorkommt. Es muss angemerkt werden,
dass SVCs bestimmter Kategorien (s. III.4.2) häufig von
Lexikalisierungsprozessen betroffen werden. Sie entwickeln sich sodann zu
Komposita und verlieren dadurch ihre semantische Ambiguität.
In diesem Abschnitt konnten wir sehen, das eine Charakterisierung der SVC als
Aneinanderreihung unabhängiger syntaktischer Einheiten im Sinne komplexer
Saätze problematisch ist; eine Klassifizierung als Komposita ist ebenfalls nicht
möglich, da Komposita in einem begrenzten lexikalischen Rahmen gebildet
werden und ein unterschiedliches syntaktisches Verhalten aufweisen. Um unsere
Analyse auf SVC-interner Ebene fortsetzen zu können, müssen wir einen
Rahmen bestimmen, der eine Umgrenzung der SVC als Konstituente innerhalb
des Satzgefüges und somit eine Unterscheidung der Satzelemente in SVCexterne und SVC-interne Komponenten erlaubt. An dieser Stelle nehmen wir an,
dass die SVC als im Satzgefüge als Gesamteinheit mit Prädikatfunktion fungiert.
III.2.4 SVC als komplexes Prädikat
Neben dem Prädikat können SVCs im Satz auch als Subjekte, Objekte,
Komplemente und Attribute fungieren. Um eine logische Abgrenzung der SVC
als zusammengehörende Einheit zu ermöglichen, werden wir die SVC jedoch
hauptsächlich in ihrer Prädikatfunktion untersuchen, wie sich dies für eine aus
Verbalphrasen bestehende Konstruktion anbietet.
Die Verben einer SVC agieren als eine syntaktische Einheit und können keine
separaten Markierungen syntaktischer oder semantischer Abhängigkeit
annehmen. Betrachtet man als SVCs eingeteilte Konstruktionen in anderen
serialisierenden Sprachen, so stellt man fest, dass gleiche Verben
unterschiedliche Transitivitätsstrukturen haben können, wenn sie in SVCs und
einzeln verwendet werden können. SVCs werden in nicht-serialisierenden
Sprachen meist mit einem einzigen Prädikat übersetzt (Durie 1997: 291); die
Interpretation kann sich jedoch ändern, wenn die SVC in eine koordinative
Struktur mit den gleichen Konstituenten umgewandelt wird.
Bei unserer Analyse semantischer Abhängigkeitsbeziehungen und der
verzweigten Argumentstruktur von Verbalserien werden wir die SVC also
weiterhin auf funktionaler Ebene als prädikative Einheit betrachten, um somit
eine klare Abgrenzung von anderen Satzkomponenten zu gewährleisten.
III.3 Syntaktische und semantische Zusammenhänge in der SVC
III.3.1 Semantische Ausdrucksmöglichkeiten
Im Folgenden seien die geläufigen Ausdrucksmöglichkeiten von SVCs im
Chinesischen zusammengefasst.
Wenn man annimmt, dass SVCs dem Ausdruck temporaler und/oder
funktionaler Abhängigkeiten dienen, kann man die verschiedenen semantischen
Zusammenhänge nach der zeitlichen Beziehung (sukzessiv/simultan) einteilen:
Die Konstituenten der sequentiellen SVC sind auf syntaktischer und semantischer
Ebene gleichrangig; für die anderen Kategorien werden wir annehmen, dass
zwischen den Konstituenten in jedem Falle eine hierarchische Beziehung auf
semantischer Ebene besteht. Die SVCs bestehen also jeweils aus einer
übergeordneten und einer untergeordneten VP.
1. Sukzessivität und temporale Abhängigkeit
a. Sequentialität
Die sequentielle SVC drückt eine Folge aufeinanderfolgender Ereignisse aus:
(III.24) Wo3
ich
qi3
chuang2 chuan1
yi1fu0.
aufstehen
Bett
Kleidung
anziehen
Ich bin aufgestanden und habe mich angezogen.
(III.25) Ta1
er
chu1qu4
kai1
men2.
hinausgehen
öffnen
Tür
Er geht hinaus und öffnet die Tür.
(III.26) Ta1
er
qu3
qian2
qu4
guang4jie1.
abheben
Geld
gehen
einkaufen
Er hebt Geld ab und geht einkaufen.
Ausschlaggebend bei der Deutung dieser SVCs ist, dass sie mehrere Ereignisse
bezeichnen, die sich unter Einbezug von konzeptuellem Wissen in eine logische
Abfolge bringen lassen. Bei einem Positionswechsel der Glieder entstehen
immer grammatische Sätze, die Bedeutung der ursprünglichen Aussage wird
jedoch verändert:
(III.27) Ta1
er
kai1
men2 chu1qu4.
öffnen
Tür
hinausgehen
Er öffnet die Tür und geht hinaus.
(III.28) Ta1
Er
qu4
guang4jie1
qu3
qian2.
gehen
einkaufen
abheben
Geld
Er geht einkaufen und hebt Geld ab.
Solche Konstruktionen werden als asymmetrische Koordination betrachtet
(Wippermann 1993, S. 246). Im Unterschied dazu kann bei der symmetrischen
Koordination in der Regel keine spezifische zeitliche Abhängigkeit zwischen
den Gliedern etabliert werden:
(III.29) Zai4
auf
wan3hui4 ta1
he1
jiu3
tiao2wu3.
Party
trinken
Wein
tanzen
er
Auf der Party trinkt er Wein und tanzt.
(III.30) Ta1
er
tian1tian1 xie3
xin4
hui4
ke4.
täglich
Brief
empfangen
Besucher.
schreiben
Er schreibt täglich Briefe und empfängt Besucher.
In diesem Sätzen können die Konstituenten ohne Bedeutungsänderung
vertauscht werden. Die Ereignisse in den Beispielen können sukzessiv, simultan
oder abwechselnd ablaufen und sich beliebig wiederholen, wobei auch
Konzeptwissen nicht zur Identifizierung einer vorzuziehenden Interpretation
beiträgt; zur Deutung der zeitlichen Beziehung können nur pragmatische und
kontextgebundene Faktoren herangezogen werden.
b. Temporalität
Der Ausdruck der „Temporalität“ (shijian, Wippermann 1993: 209) wird hier
der Vollständigkeit halber angeführt. Er wird von einigen chinesischen
Grammatikern (z. B. Chao 1968: 336) als mögliche semantische Variante der
SVC angeführt, weist jedoch starke Ähnlichkeit mit der Sequentialität auf. Die
erste Komponente wird dabei als relative „Zeitangabe“ interpretiert:
(III.31) Ni3
du
chi1
le0
wan3fan4
qu4
kan4
essen
perfASP
Abendessen
gehen sehen
dian4ying3.
Film
Du isst zu Abend und gehst (dann) ins Kino.
Nach dem Abendessen gehst du ins Kino.
(III.32) Wo3men0 deng3
wir
warten
ta1
zou3
tao3lun4
zhe4
jian4 shi4.
er
gehen
diskutieren
diese
CL
Sache
Wir warten, bis er geht, und diskutieren dann diese Angelegenheit.
(III.33) deng3
yi1
huir4
qu4
warten
ein
bißchen
gehen
etwas warten und gehen (etwas später gehen)
An diesen Beispielen lässt sich argumentieren, dass das in der ersten VP
beschriebene Ereignis weniger des semantischen Gehalts wegen erwähnt wird,
sondern eher der zeitlichen Positionierung des zweiten Ereignisses dient; dieses
beinhaltet offenbar den eigentlichen semantischen Wert der SVC. Mit der
Zeitpartikel yi3hou4: nachdem/danach lassen sich solche Konstruktionen in
komplexe Sätze umwandeln:
(III.34) Ni3 chi1
du
le0
wan3fan4
yi3hou4 qu4
kan4
essen perfASP Abendessen danach gehen sehen
dian4ying3.
Film
Nachdem du zu Abend gegessen hast, gehst du ins Kino.
Die Grenzziehung zwischen der temporalen und der sequentiellen Beziehung
der SVC-Konstituenten ist subtil und erfordert den Einbezug situationaler
Faktoren. Im Rahmen einer formalen Analyse sollte es jedoch akzeptabel sein,
dass beide Typen als sequentielle SVCs zusammengefasst werden: die dabei
implizierte Aufeinanderfolge der geschilderten Ereignisse trägt auch dem
semantischen Gehalt von SVCs, die ein Ereignis zum Zwecke einer relativen
Zeitangabe beschreiben, Rechnung.
2. Sukzessivität / Simultaneität und funktionale Abhängigkeit
a. Zweck / Ziel (Finalität)
Bei finalen Sätzen stellt in der Regel die durch die VP2 umschriebene Handlung
den Zweck der Handlung in VP1 dar:
(III.35.a) Wo3 zhe4
ci4
hui2lai2
he2
ni3 suan4
zhang3.
ich
diese
Mal
zurückkommen mit
du
abrechnen
Rechnung
Dieses Mal komme ich zurück, um mit dir abzurechnen.
Eine solche Struktur lässt sich mit der Konjunktion (shi4) wei4le0: um in einen
komplexen Satz umwandeln und dadurch entambiguisieren:
(III.35.b) Wo3 zhe4
ich
diese
ci4
hui2lai2
shi4 wei4le0 he2 ni3 suan4
Mal zurückkommen sein um
mit du
abrechnen
zhang3.
Rechnung
Dieses Mal komme ich zurück, um mit dir abzurechnen.
b. Ursache / Folge (Kausalität)
Kausale SVCs drücken in der SVCs eine Situation oder ein Ereignis aus, an
denen die durch das Subjekt bezeichnete Einheit gewollt oder ungewollt
beteiligt. Diese Situation trägt das in VP2 umschriebene Ereignis als
Auswirkung nach sich:
(III.36.a) Wo3 wei2fan3
ich
verletzen
ji4lü4
bei4
pi1ping2
le0.
Disziplin
PASS
Kritik
perfASP
Ich habe die Disziplin verletzt und (aus diesem Grund) Kritik erlitten.
(III.36.b) Wo3 you3
ich
haben
shi4
bu4
chu1qu4.
Angelegenheit
nicht
ausgehen
Ich habe zu tun und gehe (deshalb) nicht aus.
Durch die Kombination mit der kausalen Konjunktion yin1wei4: weil entstehen
komplexe Sätze, die eindeutig interpretiert werden können:
(III.37.a) Wo3 yin1wei4 wei2fan3
ji4lü4
bei4
pi1ping2 le0.
ich
weil
verletzen
Disziplin PASS
Kritik
perfASP
Weil ich die Disziplin verletzt habe, habe ich Kritik erlitten.
(III.37.b) Wo3
ich
yin1wei4 you3
shi4
bu4
chu1qu4.
weil
Angelegenheit
nicht
ausgehen
haben
Ich gehe nicht aus, weil ich zu tun habe.
3. Simultaneität und temporale Abhängigkeit
SVCs werden selten zum Ausdruck der temporalen Beziehung zweier
gleichzeitig ablaufender Handlungen verwendet. Bei simultanen Handlungen
dienen SVCs in der Regel dem Ausdruck funktionaler Zusammenhänge
zwischen den Inhalten der beiden Konstituenten.
Zur Betonung der simultanen zeitlichen Beziehung zwischen den beschriebenen
Handlungen können die beiden VPs durch die Partikel des durativen Aspekts
zhe markiert werden:
(III.38) Ta1
er
chi1
zhe0
fan4
essen durASP Essen
kan4
zhe0
bao4.
lesen
durASP
Zeitschrift
Er isst und liest (gleichzeitig) eine Zeitschrift.
4. Simultaneität und funktionale Abhängigkeit
Die VP2 dient dem Ausdruck des übergreifenden Ereignisses. Die VP1 gibt die
Art und Weise, einen Umstand oder eine Bedingung an, die dieses Ereignis
begleiten.
a. Umstand
Die erste VP gibt einen Umstand an, unter dem das durch die VP2 beschriebene
Ereignis stattfindet:
(III.39) Ta1
er
zuo4
fei1ji1
fa1sheng1
le0
shi4gu4.
sitzen
Flugzeug
passieren
perfASP
Unfall
Ein Unfall ist passiert, als er im Flugzeug saß.
Die VP1 ist semantisch der VP2 untergeordnet.
b. Instrumentalität / Modalität
Die VP1 beschreibt die Art und Weise, auf die eine Handlung ausgeführt wird;
bei instrumentalen SVCs werden meistens die Verben na: nehmen / yong:
benutzen als V1 verwendet:
(III.40.a) Ta1 na2
kuai4zi4
chi1
fan4.
er
Stäbchen
essen
Essen
nehmen
Er nimmt Stäbchen und isst. / Er isst mit Stäbchen.
(III.40.b) Ta1 qi2
er
reiten
ma3
chou1yan1.
Pferd
rauchen
Er reitet ein Pferd und raucht.
Auf dem Pferd reitend raucht er.
Solche Sätze können durch die Partikel des durativen Aspekts zhe in der VP1,
die die simultane Zeitbeziehung zwischen den Handlungen festlegt,
entambiguisiert werden:
(III.41.a) Ta1 na2
er
nehmen
zhe0
kuai4zi4
chi1
fan4.
durASP
Stäbchen
essen
Essen
Er nimmt beim Essen Stäbchen.
(III.41.b) Ta1
er
qi2
zhe0
ma3
chou1yan1.
reiten
durASP
Pferd
rauchen
Auf dem Pferd reitend raucht er.
c. Konditionalität (Bedingung)
Manchmal wird auch die Konditionalität als möglicher interner Zusammenhang
der Verbalserie angeführt:
„[Chinesische Grammatiker] meinen, dass das erste Glied einer Verbalserie die
Bedingung ausdrücke, unter der die durch das zweite Konjunkt bezeichnete
Handlung stattfindet.“ (Wippermann 1993, S. 208)
Betrachtet man die Beispiele, die für konditionale SVCs angeführt werden, fällt
auf, dass es sich dabei meist um Sätze mit Modalverben handelt:
(III.42) You3
haben
shen2me0 shi4qing0
ke3yi3
zhao3
wo3.
welche
können
suchen
mich
Problem
Wenn du ein Problem hast, kannst du mich aufsuchen.
(III.43) Ni3
du
mai3
zhe4
kaufen diese
zhong3
CL
Wang2fu4jing3
qu4.
Wangfujing
gehen
yi1liao4 yao4
Stoff
müssen
dao4
zu
Wenn du einen solchen Stoff kaufen willst, musst du zur WangfujingStraße gehen.
Wir können also sehen, dass SVCs in vielfältigen semantischen Varianten
vorkommen können; unabhängig von dem Bedeutungszusammenhang wird
dabei dennoch die gleiche lineare Struktur (V
(NP)
V
(NP)) beibehalten.
Diese Struktur kann durch Aspektmarkierung ergänzt werden. In dem folgenden
Abschnitt untersuche ich, wie Aspektpartikeln zu einer semantischen
Entambiguisierung der zeitlichen und kausalen Beziehungen in SVCs beitragen
können.
III.3.2 Entambiguisierung durch Aspektmarkierung
In dem vorhergehenden Abschnitt wurden die möglichen semantischen
Abhängigkeiten zwischen den Konstituenten von SVCs angeführt. Dabei haben
wir einige Beispiele gesehen, in denen einzelne Konstituenten eine unabhängige
Aspektmarkierung mit den Partikeln zhe (durativer Aspekt) bzw. le (perfektiver
Aspekt) tragen:
(III.44) Ni3 chi1
du
essen
le0
wan3fan4
qu4
kan4 dian4ying3.
perf.ASP
Abendessen
gehen
sehen Film
Du isst zu Abend und gehst (dann) ins Kino. / Nach dem Abendessen
gehst du ins Kino.
(III.45) Ta1
er
qi2
zhe0
ma3
chou1yan1.
reiten
durASP
Pferd
rauchen
Auf dem Pferd reitend raucht er.
Es wurde auch festgestellt, dass die Aspektmarkierung teils zu einer
Spezifizierung der temporalen Beziehung zwischen den Ereignissen beitragen
kann. Ich werde diese Erkenntnis anhand weiterer Beispiele systematisieren
sowie einige Regeln für die Auswirkungen von Aspektmarkierungen auf die
Bedeutung der SVCs aufstellen.
Chang (1990) führt eine ansatzweise Analyse der aspektuellen Markierung von
SVCs durch. Es sei nochmals erwähnt, dass sich Changs Auffassung von SVCs,
die an Bakers Ansatz (1989) anlehnt, auf Konstruktionen begrenzt, die die
Bedingung der „shared reference“ erfüllen.
Im Gegensatz jedoch zu Baker, dessen zweiköpfige SVC eine
Aspektmarkierung für jedes Verb erlaubt, behauptet Chang, dass jeweils nur ein
Verb der SVC markiert werden kann.
Diese Behauptung erklärt Chang durch die thematischen Strukturen der Verben.
Laut Bresnan / Kanerva (1989) werden bei der Kongruenzmarkierung Verben
mit einer „starken“ thematischen Struktur ([Agent, Patient], [Agent, Theme])
vor Verben mit „schwachen“ thematischen Strukturen ([Agent, Benefactive],
[Agent, Goal] und andere reduzierte Strukturen) markiert. Im Chinesischen gibt
es keine Kongruenzmarkierungen; es werden lediglich syntaktische Partikel zur
Markierung des Aspekts angewendet, die laut Chang in der gleichen Weise
verteilt werden wie Kongruenzmarkierungen. Dies sei an Changs Beispiel
illustriert:
(III.46.a) Ta1 zhong3
er
anpflanzen
cai4
mai4.
Gemüse
verkaufen
Er pflanzt Gemüse an, um es zu verkaufen.
Chang stellt die Struktur wie folgt dar:
(III.46.b)
An dieser Stelle soll vorerst nicht untersucht werden, inwieweit die Analyse des
Satzes als koordinative Struktur gerechtfertigt ist. Wir lesen an der Darstellung
lediglich die thematischen Strukturen der beiden Verben ab: das Verb zhong hat
die „starke“ thematische Struktur V[Ag, Pt]. Das Verb mai hat die reduzierte
Struktur [R-Ag, R-Pt] (mit R = reduziert), die als „schwächer“ gilt. Dieses
Schema ist allgemein gültig für Konstruktionen mit getilgten Objekten; aus der
Behauptung von Chang können wir folgern, dass in solchen Konstruktionen
immer das V1 die Aspektmarkierung erhält:
(III.47) Ta1
zhong3
le0
cai4
mai4.
er
anpflanzen
perfASP
Gemüse
verkaufen
Er hat Gemüse angepflanzt, um es zu verkaufen.
Chang führt also eine Erklärung der perfektiven Aspektmarkierung des ersten
Verbs anhand der thematischen Struktur ein. Wir wollen jedoch untersuchen,
inwieweit sich diese Begründung auch auf komplexe Konstruktionen mit
mehreren Objekten, die wir hier im Rahmen der SVCs betrachten, anwenden
lässt. Wir werden dabei sehen, dass in solchen SVCs durchaus mehrere
Markierungen, und zwar auch mit der Partikel des durativen Aspekts zhe,
zulässig sind. Aspektmarkierungen können die Interpretationsmöglichkeiten von
SVCs einschränken. Je nachdem, ob sie symmetrisch oder asymmetrisch sind,
können sie ferner eine neutrale koordinative Konstruktion in eine semantisch
subordinative SVC, und vice versa, umwandeln.
Nach Gang dienen Aspektmarkierungen in Verbalserien der Spezifizierung der
zeitlichen Beziehung zwischen den Gliedern: In einer Verbserie kann der
perfektive Aspektmarker analog zu einem durativen Aspektmarker eine
spezifische temporale Beziehung von Ereignissen
erzwingen (Gang 1997, S. 146). Er führt dazu folgendes Beispiel ein:
(III.48) Ta1 mai4
hua4
mai3
shu1.
Er
Bilder
kaufen
Büch
verkaufen
Er verkauft Bilder und kauft Bücher.
Ohne Berücksichtigung kontextueller und pragmatischer Faktoren würde man
diese SVC am ehesten als koordinative Kombination von zwei konsekutiven,
sich abwechselnden oder parallelen Ereignissen auffassen. Eine Markierung der
beiden Verben mit le spezifiziert jedoch die interne temporale Beziehung in der
SVC2 („Zeitexklusion“, s. Gang 1997, S. 146):
(III.49) Ta1 mai3
Er
le0
hua4 mai3
verkaufen perfASP Bild
le0
kaufen perfASP
shu1.
Buch
Er hat Bilder verkauft und dann Bücher gekauft.
2
Die Motivation für eine konsekutive Interpretation in diesem Falle kann einem Nicht-Muttersprachler
schwer nachvollziehbar erscheinen, trägt le doch im Einzelnen nur zu einer symmetrischen Markierung der
Vollendung der beiden Handlungen bei, was an sich keinen zeitlichen Zusammenhang zwischen diesen herstellt.
Des Weiteren wandelt sich die unspezifische zeitliche Beziehung bei einer
symmetrischen Markierung des Durativs mit zhe in eine simultane Beziehung:
(III.50) Ta1 yao1huang2 (zhe0)
Er wiegen
tou2 chang4 (zhe0)
yi1
(durASP) Kopf singen (durASP) ein
shou3 ge1.
CL
Lied
Er wiegt den Kopf und singt ein Lied.
Durch die Markierung wird eine „Zeitinklusion“ (Gang 1997, S. 144) erreicht,
die Handlungen überlappen sich im Zeitablauf.
Wir sehen also, dass durch den durativen Aspekt die Simultaneität von
Handlungen ausgedrückt wird, während der perfektive Aspekt eine konsekutive
Beziehung zwischen Ereignissen etabliert. Unter Bezugnahme auf die im
vorhergehenden Abschnitt angeführten Interpretationsmöglichkeiten von SVCs
wollen wir weiterhin untersuchen, wie die Semantik von SVCs durch
Aspektmarkierung spezifiziert werden kann. Wir werden vor allem sehen, dass
sich eine unmarkierte zweideutige SVC durch asymmetrische Aspektmarkierung
in eine eindeutig interpretierbare subordinative Konstruktion umwandeln kann.
A. Konsekutive Beziehung mit le
Wir konnten die Sequentialität und die Temporalität als
Ausdrucksmöglichkeiten für SVCs mit temporalen Beziehungen, jedoch ohne
funktionale Abhängigkeit identifizieren. Die Sequentialität kann, wie oben
gesehen, durch eine Markierung der beiden Konstituenten mit le spezifiziert
werden:
(III.51) Wo3 qi3
Ich
aufstehen
le0
chuang2 chuan1
perfASP Bett
le0
anziehen perfASP
yi1fu0.
Kleidung
Ich bin aus dem Bett aufgestanden und habe mich angezogen.
Ebenso kann die Temporalität mit dem perfektiven Aspekt ausgedrückt werden.
Wie wir im Abschnit I.2.1 (Aspektmarkierung) sehen konnten, wird le
verwendet, um ein eingrenzbares, bestimmtes Ereignis zu markieren. In einem
Satz wie
(III.52) Ni3 chi1
Du
le0
wan3fan4
qu4
kan4
dian4ying3.
perfASP
Abendessen
gehen
sehen
Film
essen
Nachdem du zu Abend gegessen hast, gehst du ins Kino.
stellt wanfan ein nicht abgegrenztes, unbestimmtes Ereignis dar. Wie ist in
diesem Falle die Verwendung von le zu erklären? Wir haben gesehen, dass le
zur Markierung des ersten Glieds einer Ereigniskette verwendet werden kann, da
es dadurch eine zeitliche Abgrenzung durch das ihm nachfolgende Ereignis
erfährt. In der Tat würde der alleinstehende Satz
(III.53) ?Ni3
du
chi1
le0
wan3fan4.
essen
perfASP
Abendessen
(Du hast Abendessen gegessen.)
Interpretationsschwierigkeiten verursachen, da man intuitiv eine Fortführung
des Gedanken durch einen folgenden Hauptsatz erwartet. In der SVC wird diese
Funktion durch das zweite Glied übernommen; die VP1 ist der VP2
untergeordnet. Die Temporalität in Form einer situationalen Zeitangabe wird in
SVCs also durch eine Markierung der ersten Konstituente mit dem perfektiven
Aspekt ausgedrückt, wobei die folgende Struktur entsteht:
V1
le
(NP)
V2
(NP)
In dieser linearen Abfolge können sich jedoch auch finale SVCs, die neben der
Zeitexklusion auch eine funktionale Abhängigkeit ausdrücken, präsentieren:
(III.54) Ta1 mai4
Er
verkaufen
le0
hua4 mai3
perfASP Bild
kaufen
shu1.
Buch
finale Interpretation: Er hat Bilder verkauft, um Bücher zu kaufen.
temporale Interpretation: Nachdem er Bilder verkauft hat, hat er
Bücher gekauft.
Bei der Unterscheidung von Temporalität und Finalität muss deshalb auf
Konzeptwissen zurückgegriffen werden.
Als Varianten für funktionale Abhängigkeiten zwischen Konstituenten von
SVCs mit einer konsekutiven zeitlichen Beziehung haben wir die Finalität
(Zweck einer Handlung) sowie die Kausalität (Ursache und Folge) untersucht.
Die kausale Abhängigkeitsbeziehung wird durch eine Markierung der zweiten
VP hergestellt:
V1
(NP)
V2
le
(III.55) Ta1 xie3
Er
schreiben
(NP)
zi4
ai4
le0
ma3.
Zeichen
PASS: erleiden
perfASP
beschimpfen
Wegen Schreiben wurde er beschimpft.
Zur Markierung einer finalen Beziehung nimmt die erste VP le0 an:
V1
le
(III.56) Ta1
er
(NP)
V2
(NP)
mai4
le0
hua4
mai3
shu1.
verkaufen
perfASP
Bild
kaufen
Buch
Er hat Bilder verkauft, um Bücher zu kaufen.
2. Simultane Beziehung mit zhe0
Wie schon im vorhergehenden Abschnitt erwähnt wurde, kann die Simultaneität
ohne funktionalen Zusammenhang stattfindender Ereignisse durch eine
symmetrische Markierung mit zhe ausgedrückt werden:
(III.57) Ta1 mai4
Er
verkaufen
zhe0
hua4 mai3
durASP Bild
kaufen
zhe0
shu1.
durASP
Buch
Er verkauft Bilder und kauft (gleichzeitig) Bücher.
Derartige Konstruktionen sind weniger geläufig. In der Regel bleiben SVCs mit
simultanen Handlungen unmarkiert; man überlässt es dem Empfänger der
Nachricht, aus dem situationalen und sprachlichen Kontext auf die zeitliche
Beziehung zwischen den Ereignissen zu schließen.
Hingegen wird zhe häufig in den „untergeordneten“ Konstituenten
subordinativer Konstruktionen verwendet. Zum Ausdruck der Instrumentalität
oder der Modalität kann die erste VP mit zhe markiert werden:
(III.58) Ta1 qi2
Er
reiten
zhe0
ma3
chou1yan1.
durASP
Pferd
rauchen.
Ein Pferd reitend raucht er.
(III.59) Ta1 na2
er
halten
zhe0
bi3
xie3
zi4.
durASP
Stift
schreiben
Zeichen
Modalität: Einen Stift haltend schreibt er Zeichen.
Instrumentalität: Er schreibt mit einem Stift Zeichen.
Aus den zwei theoretisch möglichen Interpretationen des letzten Beispiels würde
die zweite vorgezogen werden, soweit kein spezifischer Kontext die erste
Deutung favorisiert.
Wir konnten also feststellen, dass SVCs, die aspektuell markiert werden, in
manchen Fällen ihre Zweideutigkeit verlieren. Auch andere Charakteristika,
wie z. B. die Anordnung der Konstituenten nach dem Prinzip der zeitlichen
Abfolge (s. Finalität), können durch Aspektmarkierung überschrieben werden.
Diese Differenzen führen dazu, dass markierte SVCs von chinesischen
Wissenschaftlern oft als „besondere Gruppe“ von SVCs betrachtet werden. Die
Aspektpartikeln üben in der Tat eine spezifische semantische Funktion aus, die
der von funktionalen oder temporalen Konjunktionen (mit denen sie auch häufig
in nicht-serialisierenden Sprachen übersetzt werden) gleichkommt. Sie
„ersetzen“ sozusagen diese Konjunktionen, die nur in komplexen Sätzen, aber
nicht in SVCs verwendet werden können. Hier bietet es sich also an, markierte
SVCs im Sinne der in Abschnitt II.3.1.1 betrachteten komplexe Sätze und die
Partikeln in ihren spezifischen Positionen im Sinne „reduzierter“ Fassungen der
Konjunktionen, die zur Schilderung von Zusammenhängen in komplexen Sätzen
verwendet werden, zu betrachten. Die Motivation solcher SVCs könnte zum
Beispiel im Streben zur Ökonomie sprachlicher Mittel, in der Betonung der
Auffassung der geschilderten Ereignissen als eine einheitliche Situation oder in
der allgemeinen Tendenz der chinesischen Sprache zu impliziten
Zusammenhängen zwischen sprachlichen Äußerungen und dem Kontext- bzw.
Konzeptwissen der Empfänger zu finden sein.
III.3.3 Argumentstruktur und thematische Beziehungen
In diesem Abschnitt werden wir uns den Verzweigungen, die in der
thematischen Struktur von SVCs möglich sind, zuwenden. Wir werden sehen,
dass subordinative SVCs häufig gemeinsame interne semantische Argumente
aufweisen; dies ist einer der Gründe dafür, dass die SVC als zusammengehörige
funktionale Einheit aufgefasst werden sollte.
Wir betrachten zuerst aspektuell unmarkierte SVCs mit transitiven Verben und
untersuchen, welche Verzweigungen der Argumentstruktur und der
thematischen Beziehungen in diesem Fall möglich sind. Dabei sollen vor allem
die Analyse von Baker sowie die Annahmen der Theta-Theorie als Grundlage
dienen. Wir werden sehen, dass Argumente in solchen Konstruktionen häufig
mehrere thematische Rollen zugewiesen bekommen, was auch zur
Spezifizierung der Beziehung zwischen den Konstituenten beitragen kann.
Baker behauptet, dass das Vorhandensein eines gemeinsamen direkten Objekts
eine Bedingung für die Bildung von SVCs mit transitiven Verben ist. Dieses
Kriterium schränkt jedoch das Spektrum möglicher SVCs stark ein. Baker
benutzt folgendes Beispiel aus Yoruba:
(III.60) Kofi
Kofi
naki
Amba kiri.
schlagen
Amba
töten.
Kofi hat Amba totgeschlagen.
In diesem Satz nehmen die Verben naki und kiri beide das Objekt Amba an. Wir
sehen, dass das zweite Verb praktisch das Resultat der durch das erste Verb
beschriebenen Handlung ausdrückt. Im Chinesischen würde ein analoger
Zusammenhang durch ein lexikalisches Kompositum ausgedrückt werden:
(III.61) Zhang1
Zhang
da3
si3
le0
Li3.
schlagen
sterben
perfASP
Li
Zhang hat Li totgeschlagen.
Die SVC-interne NP „Li“ ist hier nicht mehr das gemeinsame Objekt der beiden
Verben, sondern das Objekt von V1 und das Subjekt von V2. Das zweite Verb
wird aufgrund einer reduzierten thematischen Struktur in der VP1 inkorporiert
(Chang).
Komposita sollen jedoch an dieser Stelle nicht in die Betrachtung einbezogen
werden, da sie nicht frei formbar sind und im Gegensatz zu SVCs keine
produktive grammatische Technik, sondern eine lexikalische Erscheinung
darstellen.
Ein chinesisches SVC-Beispiel, in dem die zwei VPs tatsächlich ein direktes
Objekt teilen, wäre:
(III.62.a) Ta1 mai3
shu1
du2.
er
Buch
lesen.
kaufen
Er kauft Bücher, um sie zu lesen.
Dieses Beispiel kann auch mit der Struktur von Baker analysiert werden:
(III.62.b)
Chang erweitert das Kriterium des gemeinsamen Objekts von Baker, indem er
die Bedingung aufstellt, dass die Objekte der beiden Verben nicht nur
linguistisch identisch sein, sondern auch der gleichen Einheit innerhalb der
realen Weltordnung entsprechen müssen („shared reference“). Das Beispiel
(III.63.a) Ta1 dao4
er
le0
san1 bei1
eingießen perfASP
yi1
bei1.
ein
Tasse
cha2
drei CL:Tasse Tee
he1
le0
trinken
perfASP
Er hat 3 Tassen Tee eingegossen und eine Tasse (davon) getrunken.
ist nach Chang keine SVC. Obwohl cha hier als Objekt aufgefasst werden kann,
beziehen sich die beiden NPs nicht auf dieselbe faktische Einheit; die
entsprechende SVC-Konstruktion würde wie folgt aussehen:
(III.63.b) Ta1 dao4
er
le0
san1 bei1
cha2 he1
eingießen perfASP drei CL:Tasse Tee
le0.
trinken perfASP
Er hat 3 Tassen Tee eingegossen und (drei Tassen Tee) getrunken.
Um die Bedingung der Koreferenz zu erfüllen, müssen die beiden NPs identisch
sein. Bei dieser Konstellation wird die zweite Kopie der NP getilgt.
Die Tilgung der Objekt – NP von V2 kann einerseits durch die Wortreihenfolge
von SVO- Sprachen gerechtfertigt werden: eine Konstituente Xm mit m  0
kann nur Theta-Rollen an links davon liegende Konstituenten zuweisen; da z. B.
in (3) das V2 „du“ direkt an ein X´- Niveau projiziert, kann es also nur eine
links davon platzierte NP als Objekt subkategorisieren. Andererseits scheint es
im Chinesischen wie auch in anderen Sprachen üblich zu sein, identische
Argumente von verschiedenen Verben aus Ökonomiegründen nicht zu
wiederholen, soweit sie aus dem linguistischen oder situationalen Kontext
gefolgert werden können.
Diese Praktik thematisiert Ross in dem Directionality Constraint; er behauptet,
dass identische Elemente in einer koordinierten Struktur nach vorwärts getilgt
werden, soweit sie linksseitig verzweigt sind. Rechtsseitig verzweigte Elemente
werden rückwärts getilgt. Nehmen wir an, dass unser Beispielsatz ursprünglich
ein Satz mit zwei vollständigen, koordinierten Verbalphrasen war:
(III.64.a) Ta1 mai3
er
kaufen
shu1
du2
Bücher lesen
shu1.
Bücher
Er kauft Bücher und liest Bücher.
so müsste Rückwärtstilgung angewendet werden:
(III.64.b) * Ta
er
mai3
du2
shu1.
kaufen
lesen
Bücher
Es entsteht ein ungrammatikalisches Satzgefüge.
Dies ist natürlich dadurch bedingt, dass einsilbige Verben im Chinesischen nicht
direkt aufeinanderfolgen können.
Betrachten wir also ein Beispiel mit der gleichen Struktur, aber mit mehrsilbigen
Verben:
(III.65.a) Ta1 chuang4zuo4
er
komponieren
yue4qu3
yan2chu1
yue4qu3.
Musikstück
aufführen
Musikstück
Er komponiert Musikstücke und führt Musikstücke auf.
Bei Anwendung von Ross´ Directionality Constraint erhält man:
(III.65.b) Ta1
er
chuang4zuo4
yan2chu1
yue4qu3.
komponieren
aufführen
Musikstück
Er komponiert und führt Musikstücke auf.
Dieses Beispiel ist grammatikalisch korrekt und kann als Musterbeispiel der
Koordination mit rückwärtsgehender Objekttilgung angesehen werden: weder
wissen wir, ob er die gleichen Musikstücke aufführt, die er auch komponiert,
noch kann aus der Konstruktion die semantische Beziehung zwischen dem
Komponieren und dem Aufführen der Musikstücke erschlossen werden. Es ist
also eine bloße Aneinanderreihung von zwei semantischen Inhalten.
Wenn man präzisieren will, dass er komponiert, um aufzuführen, also die Idee
des Zwecks der ersten Handlung vermitteln will, wird man die Aussage wie
folgt formulieren:
(III.65) Ta1
er
chuang4zuo4
yue4qu3
yan2chu1.
komponieren
Musikstücke
aufführen
Er komponiert Musikstücke, um sie aufzuführen.
Die Objekt-NP wurde nach vorne getilgt.
Wie kann dieser Widerspruch mit Ross´ Regel erklärt werden?
Ross´ Regel gilt nur für koordinierte Aussagen. Für Konstruktionen mit
funktionalen Abhängigkeiten hat Huang ein anderes Konzept – die „anaphoric
ellipsis“ – eingeführt. Huang´s Untersuchung der Komponententilgung setzt bei
A-nicht-A-Fragen im Chinesischen an. Er beobachtet, dass eine Derivation von
A-nicht-A-Fragen als reduzierte Koordination nach Ross´ problematisch ist. Der
Satz
(III.66) Ni3 xi3huan1 zhe4
du
mögen
dieses
Magst du dieses Buch?
ben3 shu1
bu4
CL
nicht mögen
Buch
xi3huan1?
müsste laut Ross unkorrekt sein; dass dies jedoch nicht der Fall ist, begründet
Huang durch die Einführung der anaphorischen Ellipse, laut der die zweite
Kopie des identischen Elements getilgt werden kann.
Chang erweitert die Wirkung von Huang´s Regel auf bestimmte SVCs; sie
begründet also auch die Akzeptierbarkeit des letzten Beispiels. Die anaphorische
Ellipse wird von Chang an einer Reihe von Beispielen von SVCs untersucht, bis
klar wird, dass sie allgemein auf Konstruktionen mit einer temporalen
Beziehung zwischen den Komponenten – wie z. B. SVCs mit gemeinsamen
Objekten - angewendet werden kann. Ross´ Directionality Constaint kann
hingegen nur auf Koordinationsstrukturen angewendet werden.
Wir haben in diesem Abschnitt die durch Baker beschriebene SVC mit einem
einzigen Objekt für die beiden Verben untersucht. Im Chinesischen werden
solche SVCs gebraucht, um den Zweck einer Handlung darzustellen. Ferner
kann V1 in solchen Konstruktionen nicht frei gewählt werden. Es ist denkbar,
dass das erste Verb in solchen Konstruktionen einer begrenzten lexikalischen
Klasse angehört: V1 bezeichnet meistens eine gewollte Handlung der
Besitzergreifung, die Umplatzierung oder aber die Schaffung einer Einheit, über
die als Ergebnis in einer bestimmten Art verfügt werden kann; dies sei anhand
einiger weiterer Beispiele veranschaulicht:
(III.67) Ta1men0 dou1
sie
alle
zi4ji3
zuo4
yi1fu0
chuan1.
selber
machen
Kleidung
tragen
Sie fertigen selber Kleidung an, um sie zu tragen.
(III.68) Wo3 dao4
bei1
jiu3
he1.
8ch
Glas
Wein
trinken
einschenken
Ich schenke ein Glas Wein ein, um es zu trinken.
(III.69) jie4
leihen
ta1
de0
fang2zi0 zhu4
yi1 xia4
er
POSS
Haus
ein bißchen
sein Haus kurz benutzen
wohnen
Das von Baker postulierte Kriterium des gemeinsamen Objekts hat also eine
stark einschränkende Wirkung; es lässt viele der Konstruktionen außer acht, die
„typische“ Merkmale von SVCs aufweisen und nicht eindeutig als Koordination
oder Subordination eingeordnet werden können.
Für die Analyse chinesischer SVCs ist auch der dritte Abschnitt von Baker´s
Analyse interessant, in dem er „Ausnahmen“ („apparent exceptions to object
sharing“) anführt. Baker kommt zu dem Schluss, dass die Unterscheidung der
GB-Theorie zwischen Argumenten, denen Theta-Rollen zugewiesen werden,
und Adjunkten, die in thematischen Beziehungen bestehen, nicht gerechtfertigt
ist. Thematische Rollen wie Instrument, Benefactive, Comitative und Manner
sollten vielmehr auf die gleiche Weise wie die Theta-Rollen Theme, Goal und
Location analysiert werden. Im Chinesischen können vor allem für die Lokativund die Instrument-Rolle Analogien gefunden werden:
- Instrument
Bei der instrumentalen SVC weist das V2 dem Objekt von V1 eine
Instrumentrolle zu:
(III.70) Ta1
er
yong4
shou3
chi1
fan4.
benutzen
Hand
essen
Essen
Er isst mit den Händen.
- Lokativ
Ein V2, das eine Lokativ-NP subkategorisiert, weist in Yoruba an das Objekt
des ersten Verbs eine Theme-Rolle zu:
(Yoruba)
(III.71) gbe
eru
tragen Gepäck
ka
para
stellen auf
Regal
das Gepäck auf das Regal stellen
In einigen SVCs im Chinesischen können ebenfalls Lokative spezifiziert
werden; die thematische Struktur ist jedoch von Baker´s Beispielen
abweichend. Es gibt 2 Fälle, in denen das Objekt des ersten Verbs von dem
zweiten Verb eine Lokativ-Rolle zugewiesen bekommen kann:
a. Finale SVCs mit Bewegungs-/Richtungsverben, die mit einer Zielangabe
kombiniert werden:
(III.72) Wo3
ich
qu4
shi4chang3
mai3
cai4.
gehen
Markt
kaufen
Gemüse
Ich gehe auf den Markt, um Gemüse zu kaufen.
(III.73) Wo3 hui2
Ich
zurückgehen
jia1
shui4jiao4.
Haus
schlafen
Ich gehe zurück nach Hause, um zu schlafen.
b. SVC zum Ausdruck der Art und Weise von Ortsangabe gefolgtem Haltungsverb
als V1:
(III.74) Wo3
ich
tang2
zai4
chuang2 shang4
xiang3.
liegen
auf
Bett
denken
darauf
Auf dem Bett liegend denke ich nach.
(III.75) Ta1men0 zhan4
sie
stehen
zai4
men2kou3
chao3jia4.
vor
Eingang
sich streiten
Vor dem Türeingang stehend streiten sie sich.
Bei diesen zwei Möglichkeiten ist die Ziel- bzw. Ortsangabe für das erste Verb
gleichzeitig der Ort, an dem die durch das zweite Verb beschriebene Handlung
stattfindet.
III.4 Semantische und lexikalische Zusammensetzung von SVCs
SVCs können nach semantischen und lexikalischen Gesichtspunkten in asymmetrische
und symmetrische Konstruktionen eingeteilt werden (Aikhenvald 21). Asymmetrische
SVCs enthalten ein Verb aus einer semantisch oder grammatisch eingeschränkten
Klasse (untergeordnetes Verb) sowie ein Verb, das ohne Einschränkungen gewählt
werden kann (übergeordnetes Verb):
… often there is in the [SVC] construction one „lexical verb“, selected from a large
class, and one or more „grammatical“ verbs, selected from a very limited, closed class.
(Jansen, Koopman & Muysken, 1977)
Das „lexikalische“, übergeordnete Verb bezeichnet das Hauptereignis, das die SVC
umschreibt. Das untergeordnete Verb hingegen dient als semantischer Modifikator; so
kann es die direktionale Orientierung der Handlung angeben oder einen Wert für Aspekt
/ Zeit spezifizieren. Das übergeordnete Verb ist der Kopf der Konstruktion; eine
asymmetrische SVC kann in allen Fällen als Subordination analysiert werden. Die
Reihenfolge der Komponenten folgt nicht unbedingt dem Prinzip der zeitlichen
Aufeinanderfolge, sondern ist vom Typ der Konstruktion abhängig. Asymmetrische
Konstruktionen unterliegen oft Grammatikalisierungsprozessen, bei denen das
eingeschränkt wählbare Verb seine verbalen Eigenschaften bei Verwendung in SVCs z.
B. zugunsten einer präpositionalen Funktion teilweise aufgibt. In anderen
grammatischen Kontexten kann das Verb jedoch seine lexikalische Kategorie
beibehalten.
Die Verben symmetrischer Konstruktionen können frei gewählt werden ; ihre
Kombination wird nur durch die Bedingung der semantischen Kompatibilität
eingeschränkt. Die Reihenfolge der Komponenten folgt dem TS-Prinzip, sie gibt also
die tatsächliche Abfolge des Ereignisses im Zeitverlauf wieder. Die Konstituenten der
symmetrischen SVC sind gleichwertig, sie hat also mehrere Köpfe; die symmetrische
SVC kommt der Koordination am nächsten, wird von dieser jedoch durch die NichtPermutierbarkeit der Glieder und den zeitlichen Zusammenhang zwischen den
beschriebenen Ereignissen unterschieden. Symmetrische SVCs werden häufig
lexikalisiert und entwickeln sich zu verbalen Komposita.
Es folgt eine Aufstellung der einzelnen Funktionen, die durch SVCs der zwei
Kategorien in serialisierenden Sprachen erfüllt werden können. Wir werden sehen, dass
einige der Kombinationen im Chinesischen noch als SVCs verwendet werden, während
andere sich als Ergebnis von Lexikalisierungs- und Grammatikalisierungsprozessen zu
Komposita bzw. Koverben oder Partikeln entwickelt haben.
III.4.1 Asymmetrische SVCs
1.1 Direktionale SVCs
Die „deiktische“ SVC dient der Spezifizierung der Richtung bzw. Orientierung einer
Handlung. Das untergeordnete Verb ist in den meisten Fällen ein Bewegungsverb mit
einer inhärenten Richtungsangabe. Deiktische SVCs kommen in den meisten
serialisierenden Sprachen vor und sind hoch produktiv.
Chinesisch verfügt nicht über deiktische SVCs in diesem Sinne. Die Richtung einer
Handlung wird durch Direktionalsuffixe ausgedrückt:
(III.76) Ni3
du
na2
xie1
yi1fu0
lai2.
bringen
einige
Kleider
RESULT.kommen
Bring ein paar Kleider her.
Sehr häufig sind jedoch im Chinesischen Konstruktionen mit Kombinationen von lai:
kommen / qu: gehen. Die semantische Interpretation ist anders. Es handelt sich um
finale Konstruktionen, in denen die Konstituente mit dem frei wählbaren Verb als
„Zweck“ der mit lai / qu beschriebenen Intention interpretiert wird. Lai wird immer
als erstes Verb verwendet:
(III.77) Wo3
ich
lai2
tiao2wu3.
kommen
tanzen
Ich komme, um zu tanzen.
Qu kann sowohl als V1 wie auch als V2 eingesetzt werden:
(III.78) Wo3
ich
qu4
mai3
cai4.
gehen
kaufen
Gemüse
Ich gehe Gemüse kaufen.
(III.79) Wo3
ich
mai3
cai4
qu4.
kaufen
Gemüse
gehen
Ich gehe Gemüse kaufen.
Es kann bezweifelt werden, dass solche Konstruktionen SVCs sind. Der Grund dafür
könnte in der eigenartigen lexikalischen Beschaffenheit der zwei Verben liegen, die in
diesen Aussagen in der Regel ihre ursprüngliche Bedeutung verlieren und dem
Ausdruck einer Absicht dienen. In seiner typologisch orientierten Analyse der SVCs
beschreibt Seuren SVCs mit diesen Verben wie folgt:
Such constructions [constructions with go/come as V1, JL] are rife in a vast number of
languages that are otherwise under no suspicion of allowing for serial verbs. … French
has, for example, elle est allée boire (“she has gone drinking”), and Italian likewise: à
andata beré. … Such cases must be ruled out, or else, it is felt, we miss out on what
SVCs really are and all sorts of languages that are clearly not of the serializing type
must then be thought to have SVCs. (Seuren 23)
Im Gegensatz dazu können finale SVCs mit qu/lai als V1 in Kombination mit einer
Ortsangabe als SVCs betrachtet werden, da das V1 hierbei seine ursprüngliche
Bedeutung beibehält:
(III.80) Wo3
Ich
lai2
di4ting1 tiao2wu3.
kommen
Disco
tanzen
Ich komme in die Disco, um zu tanzen.
(III.81) Wo3 qu4
Ich
gehen
shi4chang3 mai3
cai4.
Markt
Gemüse
kaufen
Ich gehe auf den Markt, um Gemüse zu kaufen.
Ähnliche Konstruktionen sind auch in Kombination mit anderen Verben der
Fortbewegung möglich; da diese jedoch im Gegensatz zu qu und lai keine intrinsische
Spezifikation der Richtung haben, müssen sie mit einem Direktionalsuffix verwendet
werden:
(III.82) Wo3men0 pa2
wir
klettern
shang4 qu4
zhao4 zhao4pian4.
DIR.hinauf
Fotos machen
Wir klettern hinauf, um Fotos zu machen.
(III.83) Ta1
er
pao3
hui2
jia1
chi1
fan4.
rennen
DIR.zurück
Haus
essen
Essen
Er rennt nach Hause zurück, um zu essen.
1.2 Aspektuelle SVCs
Asymmetrische SVCs werden in manchen Sprachen verwendet, um eine Äußerung
durch eine aspektuelle Dimension anzureichern. Sie können Verben enthalten, die z. B.
die Kontinuität, die Wiederholung oder die Beendigung einer Handlung ausdrücken. Im
Chinesischen werden zu diesem Zweck jedoch keine SVCs, sondern Aspektpartikeln
(perfektiv: le, durativ: zhe) sowie Resultativsuffixe (Beendigung: wan, zhao, hao, liao,
Kontinuität: xiaqu) verwendet.
1.3 Valenzsteigernde SVCs
Vor allem in Sprachen, in denen eine Tendenz zur Vermeidung von Verben mit
dreistelliger Valenz erkennbar ist, werden SVCs oft zur Einführung neuer Argumente
verwendet. Die entsprechenden untergeordneten Verben weisen diesen Argumenten
Rollen wie Benefaktiv, Kausativ, Instrument und Komitativ zu.
Im Chinesischen wird die Valenz häufig durch Koverbkonstruktionen ausgeweitet; die
folgenden Rollen können jedoch auch anhand von SVCs zugewiesen werden:
-
Instrument: mit den Verben na: nehmen / yong: brauchen, benutzen:
(III.84) Ta1 na2
Er
nehmen
yi1
ge4
li4zi0
jie3shi4
ein
CL
Beispiel erläutern
ta1 de0
er
xiang3fa3.
POSS Gedanke
Er erläutert seinen Gedanken mit/an einem Beispiel.
(III.85) Ta1
Er
yong4
kuai4zi0
chi1
fan4.
benutzen
Stäbchen
essen
Essen
Er isst mit Stäbchen.
-
Komitativ: mit dem Verb pei: begleiten:
(III.86) Wo3
ich
pei2
ta1 qu4
kan4
dian4ying3.
begleiten
er
sehen
Film
gehen
Ich gehe mit ihm ins Kino.
Ein Argument, dem eine Komitativ-Rolle zugewiesen wird, wird häufig auch mit den
Koverben he:und sowie gen:mit markiert.
Das Benefaktiv kann mit den Koverben gei / wei in ihrer präpositionalen Funktion
(„für“) ausgedrückt werden.
III.4.2 Symmetrische SVCs
Symmetrische SVCs können in allen Varianten vorkommen, die unter III.3.1
(Semantische Ausdrucksmöglichkeiten) aufgelistet wurden . Sie stellen eine
Herausforderung für die formale Analyse dar, da sie nur wenige lexikalische
Anhaltspunkte für die Analyse der internen Beziehungen bieten; es ist also nicht
möglich, auf theoretischer Basis Kategorien von Verben aufzustellen, die in
symmetrischen SVCs kombiniert werden können. Für bestimmte Konstruktionstypen
können jedoch Annahmen darüber getroffen werden, welche Verben bzw. Verbklassen
darin am ehesten kombiniert werden können.
Dazu gehört zum Beispiel die Konstruktion mit gemeinsamen direkten Objekt; wie wir
gesehen haben, dient diese Konstruktion immer dem Ausdruck der Finalität. Durch das
V1 wird eine direkte Einwirkung (in Form einer Besitzergreifung, einer Bewegung oder
einer Schaffung) auf eine Einheit ausgedrückt mit dem Ziel, über diese Einheit durch
die mit V2 beschriebene Handlung zu verfügen:
(III.87) Wo3
Ich
mai3
yi1fu0
chuan0.
kaufen
Kleidung
anziehen
Ich kaufe Kleidung, um sie anzuziehen.
(III.88) Wo3
ich
na2
yi1fu0
chuan1.
nehmen
Kleidung
anziehen
Ich nehme Kleidung, um sie anzuziehen.
(III.89) Wo3
ich
zuo4
yi1fu0
chuan1.
machen
Kleidung
anziehen
Ich fertige Kleidung, um sie anzuziehen.
Es kann also angenommen werden, dass die Klasse von Verben, die als V1 in SVCs mit
gemeinsamen Objekt vorkommen, eingegrenzt werden kann und somit eine
geschlossene Klasse darstellt.
Auch in Bezug auf SVCs, die Modalität ausdrücken, können Annahmen über eine
häufige Verwendung von Verben bestimmter Klassen getroffen werden. So werden oft
Haltungsverben zum Ausdruck der Art und Weise, auf die eine Handlung ausgeführt
wird, gebraucht:
(III.90) Ta1
er
zuo4
zhe0
xie3
xin4.
sitzen
durASP
schreiben
Brief
Er schreibt sitzend einen Brief.
Durch die Partikel zhe kann diese Konstruktion eindeutig als Modalitäts-SVC
interpretiert werden (s. III.3.2).
Dies ändert sich jedoch, sobald das Haltungsverb mit einem Komplement kombiniert
wird:
(III.91) Ta1 zuo4
er
sitzen
zai4 di4
shang4 xie3
xin4.
auf
darauf
Brief
Erde
schreiben
Er schreibt auf der Erde sitzend einen Brief.
(III.92) Ta1
er
zuo4
zai4
di4
shang4
gan3mao4
le0.
sitzen
auf
Erde
darauf
sich erkälten
perfASP
Weil er auf der Erde gesessen hat, hat er sich erkältet.
Im zweiten Beispiel bietet sich eine kausale Interpretation an.
Die möglichen Komponenten und Kombinationen von unmarkierten symmetrischen
SVCs können nicht vollständig durch Bildung lexikalischer Klassen erfasst werden, da
ihre Interpretation immer durch einen Grad von Willkürlichkeit, die durch den
unumgänglichen Einbezug von Kontext- und Konzeptwissen entsteht, geprägt wird.
Neben einer syntaktischen Typisierung von Verben, die in den beschriebenen SVCArten kombiniert werden können, ist für manche Konstruktionen jedoch auch die
Aufstellung semantischer bzw. lexikalischer Verbklassen denkbar, die die für diese
Konstruktionen charakteristischen Verben bzw. ihre Kombinationsmöglichkeiten
zusammenfassen.
Zum Abschluss dieses Teils sollen noch einmal die essentiell erscheinenden
Eigenschaften der chinesischen SVC zusammengefasst werden:
Syntaktische Eigenschaften

Die SVC besteht aus zwei oder mehr Verbalphrasen, die ohne syntaktische
Markierung aneinandergereiht werden.

Die Verbalphrasen haben ein einziges externes Argument (das Subjekt).

Jede Konstituente der SVC kann in einem anderen syntaktischen Kontext
auch alleine als Prädikat eines Satzes fungieren.

Die Glieder einer aspektuell unmarkierten SVC können permutiert werden.
Semantische Eigenschaften

Die SVC dient der Beschreibung eines übergreifenden Ereignisses.

Das übergreifende Ereignis besteht aus Teilereignissen, die den einzelnen
Konstituenten entsprechen; jedes Teilereignis kann bei isolierter
Betrachtung als unabhängiges Ereignis aufgefasst werden.

In der unmarkierten SVC können die Beziehungen zwischen den
Teilereignissen auf mehrere Arten interpretiert werden.

Unter Einbezug von Konzept- und Kontextwissen gibt es eine
vorzuziehende Interpretation, bei der eine zeitliche und eventuell zusätzlich
eine funktionale Abhängigkeitsbeziehung zwischen den Konstituenten
etabliert wird.

Eine Permutation der Konstituenten führt zu einer Sinnverzerrung; dabei ist
möglich, dass ein Ausdruck entsteht, der den semantischen Kriterien der SVC
nicht mehr entspricht.
IV. Darstellung chinesischer SVCs im Rahmen
von HPSG
IV.1 Einführung in die HPSG
Die Kopfgesteuerte Phrasenstrukturgrammatik, die ich in diesem Kapitel als
Rahmen für die Darstellung der SVC verwende, gehört zu den
beschränkungsbasierten Formalismen; diese können laut Shieber (1986, S.
6−7 ) durch folgende Eigenschaften charakterisiert werden:
 Oberflächenorientierung: Es wird die lineare Abfolge sprachlicher
Zeichen im Satz dargestellt.
 Informationalität: Mit den Zeichenabfolgen werden bestimmte
Informationen verknüpft.
 Induktivität: Durch die Assoziation von Zeichenabfolgen und von
Informationen können neue Strukturen generiert werden.
 Deklarativität: Es werden lediglich mögliche Kombinationen von
Zeichenabfolgen und Informationen dargestellt; ihre computertechnische
Verarbeitung wird dabei außer Acht gelassen.
Andere beschränkungsbasierte Grammatiken dieser Art sind:
 Kategorialgrammatik (CG)
 General Phrase Structure Grammar (GPSG)
 Lexical Functional Grammar (LFG)
 Functional Unification Grammar (FUG)
 Definite Clause Grammar (DCG)
Die HPSG ist eine generative Grammatiktheorie: Sie führt eine Reihe von
Regeln und Prinzipien ein, anhand derer alle möglichen Konstruktionen
einer Sprache erzeugt bzw. lizensiert werden können. Hierzu wird ein
Lexikon verwendet, in dessen Einträgen eine große Anzahl von
Informationen zu einzelnen linguistischen Objekten gespeichert ist. Zur
Modellierung von Informationen über Lexikoneinträge und
Grammatikregeln werden komplexe Merkmalstrukturen verwendet, die
phonologische, syntaktische und semantische Beschränkungen vereinen. In
diesem Abschnitt werden der Aufbau der Merkmalstrukturen, die
wesentlichen Funktionsprinzipien und Grammatikregeln in HPSG
vorgestellt. Ich richte mich dabei nach dem im Standardwerk von
Pollard/Sag (1994) eingeführten Rahmen; an einigen Stellen lehnen sich die
Beschreibung wie auch die nachfolgende SVC-Analyse an Müller 2007
sowie Sag/Wasow/Bender 2003 an.
IV.1.1 Aufbau der Merkmalstruktur in HPSG
Linguistische Zeichen (signs) bilden den Analysegegenstand von HPSG.
Die Objekte werden als Merkmalstrukturen (feature structures), die
komplexe Informationsbündel sind, modelliert. Merkmalstrukturen sind
zusammengesetzt aus Paaren von Attributen und den ihnen zugewiesenen
Werten, wobei der Wert eines Attributs atomar oder aber wiederum eine
komplexe Merkmalstruktur sein kann. Jede Merkmalstruktur beinhaltet
komplexe Informationen über die phonologischen, syntaktischen und
semantischen Eigenschaften eines sprachlichen Zeichens; die phonologische
Form des Zeichens wird in dem Merkmal PHON angegeben. Syntaktische
und semantische Informationen werden in dem Merkmal SYNSEM geordnet.
Außer Merkmalstrukturen gibt es auch Merkmalbeschreibungen, in denen
nur die für konkrete Analysen relevanten Teile von Merkmalstrukturen der
modellierten Objekte enthalten sind.
Wohlgeformte linguistische Strukturen erfahren in der HPSG eine zweifache
Einschränkung: Sie werden einerseits durch Lexikoneinträge und andererseits durch
die Grammatikregeln, die auf sie angewendet werden, begrenzt.
Das Lexikon ist nach einer Typenhierarchie organisiert. In den Beschreibungen
einzelner Typen werden Merkmale spezifiziert, die in Merkmalstrukturen
linguistischer Objekte dieses Typs angegeben werden müssen. Jeder wohlgeformten
vollständigen Merkmalstruktur wird ein maximaler Typ zugeordnet, d. h. ein Typ der
untersten Hierarchieebene. Wir geben den Typ in der oberen Zeile der
Merkmalstruktur bzw. –beschreibung in kursiver Schrift an.
Anhand von Grammatikregeln werden Werte von Merkmalen festgelegt, die in der
Merkmalbeschreibung einer durch diese Grammatikregel lizenzierten Phrase
angenommen werden müssen: Die Beschreibungen der Töchter müssen mit den
durch Grammatikregeln postulierten Einschränkungen unifizierbar sein. Unifikation
in diesem Sinne bedeutet, dass die Merkmalstrukturen zusätzliche Informationen
enthalten können. Sie dürfen jedoch keine Informationen aufnehmen, die den
Angaben in der Grammatikregel widersprechen.
Identische Bestandteile innerhalb von Merkmalbeschreibungen werden
anhand von Strukturteilung markiert. Durch Strukturteilung kann angegeben
werden, dass zwei unterschiedliche Merkmale in einer Struktur den gleichen
Wert annehmen. Sie werden in diesem Fall durch Kennzeichnung mit einer
Zahl in einer Box (z. B.
) miteinander identifiziert; eine
solche
Markierung ist für einen atomaren Wert wie auch für eine komplexe
Struktur möglich. Mittels Strukturteilung können u. a. Verknüpfungen
zwischen Informationen zu syntaktischer und semantischer Beschaffenheit
eines Zeichens dargestellt werden. So können z. B. die semantischen Rollen,
die von einem Verb zugewiesen werden, mit entsprechenden Indizes der
syntaktischen Argumente in der Valenzliste dieses Verbs identifiziert
werden.
Jede Merkmalstruktur beinhaltet die Merkmale PHON und SYNSEM. Der Wert
von PHON ist eine Abfolge von Phonemen, die der phonologischen Form des
beschriebenen Zeichens entspricht; der Wert von SYNSEM ist eine komplexe
Struktur vom Typ synsem mit den Merkmalen LOC und NONLOC. Mit Hilfe
des NONLOC-Merkmals werden Fernabhängigkeiten beschrieben. Für die
folgende SVC-Analyse ist das NONLOC-Merkmal irrelevant, weshalb seine
Beschaffenheit vorerst außer Acht gelassen wird. In dem LOC-Merkmal
werden die lokalen Eigenschaften eines Zeichens spezifiziert: Es hat die
zwei Komponenten CAT und CONTENT. CAT dient der Darstellung
syntaktischer Informationen, während CONTENT den semantischen Gehalt
des Zeichens modelliert. Der Grundaufbau unserer Merkmalstruktur, die zur
Beschreibung einer linguistischen Einheit vom Typ Zeichen (sign)
verwendet wird, sieht demnach wie folgt aus:
(IV.1)
Wir betrachten nun die zwei SYNSEM-Merkmale CAT und CONTENT.
Der Wert des CAT-Merkmals ist eine komplexe Struktur mit den Merkmalen
HEAD und SUBCAT; für Verben und Verbalphrasen nehmen wir als
zusätzliches CAT-Merkmal SPR (SPECIFIER) an. In HEAD wird die
grammatische Kategorie des Zeichens spezifiziert: Sie wird als
syntaktischer Typ des Zeichens kursiv in der oberen Zeile der Struktur von
HEAD angegeben. Es müssen zudem andere kategorienspezifische
Informationen angeführt werden, die dem Kopf des Zeichens eigen sind. So
enthält die HEAD-Struktur von Nomen z. B. das Merkmal Kasus (CASE),
während für Verben die Verbform (VFORM) angegeben werden muss.
Die Merkmale SUBCAT und SPR dienen der Darstellung der syntaktischen
Valenz, d. h. der Argumente, mit denen das Zeichen kombiniert werden
muss, damit eine vollständig gesättigte Phrase bzw. ein Satz entsteht. Der
Wert von SUBCAT ist eine Liste (markiert durch spitze Klammern: <...>) von
synsem-Objekten, die den SYNSEM-Werten der Komplemente eines Zeichens
entsprechen. Die Reihenfolge der Komplemente in der Liste entspricht der
folgenden Obliquesshierarchie:
1. Direktes Objekt
2. Indirektes Objekt
3. Verbale / prädikative Komplemente
Der Wert des SPECIFIER-Merkmals eines Verbs ist der SYNSEM-Wert seines
Subjekts. Die Strukturierung der Subkategorisierungseigenschaften von
Verben dient einer differenzierten Darstellung interner und externer
Argumente.
Im Folgenden seien als Beispiel die CAT-Werte der einzelnen Wörter sowie
des Satzes (IV.2 a) dargestellt:
(IV.2 a)
Ta1 zhong3
cai4.
er anpflanzen Gemüse
Er pflanzt Gemüse an.
(IV.2 b)
ta1(er):
(IV.2 c)
zhong3(anpflanzen):
(IV.2 d)
cai4 (Gemüse):
(IV.2 e)
Gesamtstruktur:
Wir stellen die semantischen Eigenschaften eines Zeichens im SYNSEM-Merkmal
CONTENT dar. Eine Merkmalstruktur vom Typ content enthält die Merkmale INDEX
und RESTR. Der INDEX-Wert identifiziert die Situation oder das Individuum, auf das
in einer Konstruktion Bezug genommen wird. Der Wert von RESTR ist eine Liste von
Sachverhalten (Prädikationen), die auf eine Situation zutreffen müssen, damit eine
Aussage darauf angewendet werden kann. Das CONTENT-Merkmal ist wie folgt
eingebettet:
(IV.3)
In Strukturen vom Typ predication werden die an einer Situation beteiligten
Individuen und die zwischen ihnen bestehende Beziehung angegeben. Die Anzahl
der Argumente einer Prädikation ist abhängig von der Stelligkeit der Beziehung:
Nomen, die sich in der Regel nicht auf Situationen, sondern auf Individuen beziehen,
haben eine einstellige Prädikation. Der Index des Individuums, auf das sie sich
beziehen, wird unter dem Merkmal INSTANCE angegeben:
(IV.3) CONTENT-Wert von shu1: book
Für den Indexwert von Nomen wird bei der Beschreibung von Sprachen mit Nominalflexion
eine komplexe Struktur mit den Merkmalen GENUS, NUMERUS und PERSON verwendet.
Chinesische Nomina haben jedoch keinen GENUS-Wert, das Attribut
GENUS ist also nicht im Index enthalten. Ähnlich verhält es sich mit
NUMERUS, da die meisten nominalen Objekte keine morphologische
Markierung der Anzahl annehmen können3 : Der NUMERUS-Wert bleibt in diesen Fällen
unterspezifiziert. Hingegen führen wir SHAPE als INDEX-Merkmal ein (s. Gang 1997, S.
86); es dient der Umschreibung der äußeren Form eines Objekts, in Übereinstimmung mit der
das Nomen mit einem Klassifikator kombiniert werden kann:
(IV.5) Index eines chinesischen Nomens
Die Stelligkeit der Prädikationen verbaler Objekte entspricht meistens der
Anzahl der von ihnen angenommenen syntaktischen Argumente.
Intransitive Verben haben wie Nomina einstellige Prädikationen: Sie weisen
3
Eine Ausnahme sind die Personalpronomen women (wir), nimen (ihr), tamen (sie) , sowie einige sich
auf Menschengruppen beziehenden Pluralnomina, wie z. B. xueshengmen (Schüler), haizimen (Kinder).
nur eine Agens-Rolle zu. Transitive Verben umschreiben Situationen, an
denen mehr als ein Individuum beteiligt ist, und erhalten somit mehrstellige
Prädikationen:
(IV.6) RESTR-Wert von zhong3: anpflanzen:
Neben der Angabe der Relation und der Indexe der daran beteiligten Individuen
enthält die Prädikation des Verbs ein Merkmal EVENT, dessen Wert mit dem Index
des Ereignisses koindiziert ist:
(IV.7) CONTENT-Wert von zhong3: anpflanzen:
Zur Verknüpfung der syntaktischen Argumente in den Valenzmerkmalen
SPR und SUBCAT mit den semantischen Rollen im CONTENT-Merkmal
werden die Indizes der Individuen mit in den Listen angeführt; dieses
Verfahren wird auch als „Linking“ bezeichnet. Der SYNSEM-Wert für das
finite Verb zhong: anpflanzen sieht dann wie folgt aus:
(IV.8)
Diese Darstellung semantischer Eigenschaften einzelner Wörter soll als Grundlage
für die im nächsten Abschnitt erläuterten Prinzipien dienen, anhand derer die
semantische Zusammensetzung von Phrasen sowie die Beziehungen zwischen ihren
Konstituenten abgeleitet werden.
IV.1.2 Prinzipien und Grammatikregeln
Wir haben den Aufbau von Merkmalbeschreibungen erläutert und gesehen,
wie sie einzelne linguistische Objekte in HPSG modellieren. Nun betrachten
wir, wie der Formalismus Phrasen und Sätze lizensiert. Eine Phrase ist
wohlgeformt, wenn sie alle in HPSG postulierten grammatischen Prinzipien
und Regeln erfüllt. Dazu gehören universelle Prinzipien, wie z. B. das
Kopfmerkmalprinzip, sowie spezifische Regeln, die sich auf
Konstruktionen bestimmter Sprachen beziehen.
Zur Darstellung der Zusammensetzung von phrasalen Strukturen mit Kopf
(headed-phrase) werden die Merkmale HEAD-DAUGHTER (HEAD-DTR) und
NON-HEAD-DAUGHTERS (NON-HEAD-DTRS) eingeführt. Der Wert von HEADDAUGHTER ist ein synsem-Objekt; der Wert von NON-HEAD-DTRS ist eine
Liste von synsem-Objekten. Eine Phrase kann also nur eine Kopftochter,
aber mehrere oder keine Nicht-Kopftöchter haben. Die DTRS-Merkmale
werden wie folgt in die Merkmalbeschreibung eingebettet:
(IV.9)
Die Anzahl und Beschaffenheit der Argumente, durch die eine Phrase
saturiert wird, wird festgelegt durch das Valenzprinzip; dieses besagt, dass
der SUBCAT-Wert der Kopftochter einer Kopf-Komplement-Phrase der Summe des
SUBCATWertes der Mutter und der SYNSEM-Werte der als Nicht-Kopftöchter
realisierten Komplemente entspricht:
(IV.10)
Valenzprinzip (Valence Principle):
Ein anderes wichtiges Prinzip ist das Kopfmerkmalprinzip; es stellt sicher,
dass Informationen, die für die Distribution einer Konstituente relevant sind,
von der Kopftochter an die Mutter weitergegeben werden. Das
Kopfmerkmalprinzip besagt, dass in Strukturen mit Kopf die Werte der
HEAD-Merkmale von Kopftochter und Mutter identisch sind:
(IV.11)
Kopfmerkmalprinzip (Head Feature Principle)
Wie wir bereits gesehen haben, beinhaltet das Kopfmerkmal Informationen
zur grammatischen Kategorie der Konstituente sowe andere
wortartspezifische Merkmale. Durch das Kopfmerkmalprinzip wird die
Projektion dieser Informationen an den Mutterknoten gewährleistet.
Der Bedeutung von Phrasen wird durch zwei semantische Prinzipien eingeschränkt.
Durch das Prinzip der semantischen Zusammensetzung wird sichergestellt, dass der
CONTENT-Wert einer Phrase alle Relationen der in ihr enthaltenen Konstituenten
enthält:
(IV.12) Prinzip der semantischen Zusammensetzung (Semantic Compositionality
Principle)
Das zweite Prinzip besagt, dass in einer Struktur mit Kopf der INDEX-Wert der
Mutter dem INDEX-Wert der Kopftochter entspricht; dadurch wird der Gehalt der
Kopftochter als semantischer Hauptbeitrag der Phrase markiert:
(IV.13) Prinzip der semantischen Vererbung (Semantic Inheritance Principle,
vorläufige Version)
Diese Version des Vererbungsprinzips wird im nächsten Abschnitt einer
Modifikation unterzogen, die die Darstellung von Kopf-Adjunkt-Strukturen
ermöglicht. Zur Darstellung der Beziehung zwischen Konstituenten einer
SVC werden wir außerdem eine neue Prädikation im CONTENT-Wert der
Mutter einführen.
An dem Beispiel (IV.14) sei noch einmal die Interaktion der vier erläuterten Prinzipien
(Valenzprinzip, Kopfmerkmalprinzip, Prinzip der semantischen Zusammensetzung und
Prinzip der
semantischen Vererbung) in einem einfachen Satz mit der Zusammensetzung [NP
V NP] dargestellt:
(IV.14 a)
Ta1 zhong3
cai4.
er anpflanzen Gemüse
Er pflanzt Gemüse an.
(IV.14 b)
Die vorgestellten Prinzipien dienen der Verteilung und Identifikation von
Informationen in grammatischen Strukturen. Die Zusammensetzung von Strukturen
wird anhand von Regeln, die mögliche Konfigurationen unmittelbarer Dominanzen
von Subkonstituenten beschreiben (immediate dominance schemata: Schemata der
unmittelbaren Dominanz, bzw. Grammatikregeln), festgelegt. Im folgenden
Abschnitt werden die für unsere Analyse relevanten Dominanzschemata erläutert.
IV.2 Darstellung der chinesischen SVC in HPSG – eine
Konstruktion zwischen Subordination und Koordination
Der beschriebene Rahmen soll nun auf verschiedene Typen der SVC
angewendet werden. Wir richten uns nach der folgenden Hierarchie von
SVC-Typen, für die schrittweise Beschränkungen eingeführt werden:
(IV.16)
Diese Typen sollen im Folgenden auf der Basis einer allgemeinen
Merkmalbeschreibung, die für alle Strukturen vom Typ svc gültig ist,
betrachtet werden. Wir werden uns dabei einer Kombination von
Merkmalen koordinativer und subordinativer Strukturen bedienen und
SVCs als hybride Konstruktionen betrachten, die in unterschiedlichem
Maße Merkmale dieser beiden Strukturtypen aufweisen. Die sequentielle
SVC, bei der lediglich eine temporale Abhängigkeitsbeziehung besteht,
wird als asymmetrische Koordination analysiert. Dieser Typ wird auch
als „iterative“ SVC (iterative-svc) betrachtet, da hierbei eine infinite
Anzahl von Konstituenten kombiniert werden können.
Es wird parallel eine Analyse von Koordinationsstrukturen in HPSG (nach
Sag/Wasow/Bender 2003) eingeführt, deren syntaktische Form ebenfalls
auf die iterative SVC anwendbar ist.
Anschließend wird die funktionale SVC analysiert. Ihre semantische
Struktur weist Eigenschaften subordinativer Konstruktionen auf.
Funktionale SVCs können im Lichte des von Wälchli (1998, S. 85)
Wir lehnen uns hier an Sag et al. 1985 an, wo englische Koordinationsstrukturen in die zwei
Gruppen binary-coordinative-phrase und iterated-coordinative-phrase eingeteilt werden.
vorgeschlagenen Konzepts der „Pseudo-Koordination“ betrachtet werden:
Der Autor bezieht sich dabei auf vermeintlich koordinative Strukturen,
deren Bedeutung mit subordinativen Sätzen paraphrasiert werden kann. Wir
behandeln diesen SVC-Typ als geschlossene „binäre“ Konstruktion, die aus
genau zwei voneinander abhängigen Konstituenten besteht. Die Analyse
beschränkt sich vorerst auf Konstruktionen, für die aufgrund von
syntaktischer Markierung mit Aspektpartikeln bzw. von Objektteilung eine
eindeutige Interpretation festgelegt werden kann.
IV.2.1 Allgemeine Beschränkungen für den Obertyp svc
Die Merkmalbeschreibung für den Obertyp svc kann auf alle SVC-Arten
angewendet werden. Wir postulieren hier die folgende Beschränkung:
(IV.17)
In den Kopfmerkmalen der Konstituenten wie auch der gesamten
Konstruktion wird verb als Kategorie angegeben. Die SPR-Werte der
Töchter und der Mutter sind strukturgeteilt: Sie selegieren die gleiche
Nominativ-NP als Subjekt.
Gemäß dem Prinzip der semantischen Zusammensetzung werden alle
RESTR-Werte der Töchter in die RESTR-Liste der Mutter aufgenommen.
Zusätzlich wird eine Prädikation eingeführt, die die Beziehung zwischen
den SVC-Konstituenten beschreibt. Der Wert vom Merkmal RELN dieser
Prädikation hat den Typ svc-reln mit den folgenden Untertypen:
(IV.18)
Die Prädikation nimmt die EVENT-Werte der Konstituenten als Argumente
auf. Im Merkmal EVENT wird der Index des übergreifenden
zusammengesetzten Ereignisses, das durch die SVC beschrieben wird,
angegeben.
IV.2.2 Die sequentielle SVC: Asymmetrie, Asyndese, Iterativität
1) Verbale Koordination – semantische und syntaktische
Differenzierung
Es können zwei semantische Varianten der Koordination unterschieden
werden – die symmetrische und die asymmetrische Koordination. Bei der
symmetrischen Konstruktion können die Konstituenten ohne semantische
Änderung vertauscht werden, weil in einer bestimmten pragmatischen
Situation – auch unter Bezug kontextueller oder konzeptueller Faktoren –
keine temporale oder funktionale Abhängigkeit zwischen ihnen
festgestellt werden kann; dies ist so bei dem viel zitierten Beispiel:
(IV.19)
Ta1 xie3
xin4
er
Brief
schreiben
hui4
empfangen
ke4.
Besuch
Er schreibt Briefe und empfängt Besucher.
Im Gegensatz dazu können die Glieder der asymmetrischen
Koordinationsstruktur nicht ohne Weiteres permutiert werden. Im
Chinesischen werden zwei Arten der asymmetrischen verbalen
Koordination unterschieden: die idiomatische (Chao 1968, S. 268) und die
sequentielle asymmetrische Koordination (Wippermann 1993, S. 254).
Die idiomatische Asymmetrie wird beobachtet in komposita-ähnlichen
koordinativen Strukturen mit einer konventionalisierten Reihenfolge der
Konjunkte: “the order of items in coordination is grammatically reversible,
though sometimes idiomatically irreversible” (Chao 1968, S. 267).
Beispiele idiomatischer Asymmetrie in der verbalen Koordination sind die
folgenden Ausdrücke, die sich mittlerweile als feste Redewendungen
etabliert haben:
(IV.20.a)
fang4
huo3
sha4
ren2
legen
Feuer
töten
Mensch
Feuer legen und Menschen töten
(IV.20.b)
chi1
he1
piao2
du3
essen
trinken
Bordell besuchen
um Geld spielen
essen, trinken, Bordelle besuchen und um Geld spielen
Die sequentielle Asymmetrie bezieht sich hingegen auf Konstruktionen, die
frei gebildet werden können; die Konjunkte beschreiben Handlungen in
einer logisch erschließbaren Reihenfolge:
(IV.21)
Ta1 bi4ye4
kai1shi3
gong1zuo4.
er
anfangen
arbeiten
Abschluß machen
Er macht seinen Abschluss und fängt an zu arbeiten.
In der chinesischen wie auch in der allgemeinen Linguistik wurden diverse
Versuche unternommen, den Unterschied zwischen symmetrischer und
asymmetrischer Koordination darzustellen. Lakoff versucht, den
Unterschied zwischen dieser asymmetrischen und der symmetrischen
Verbalkoordination in der englischen Sprache durch die Einführung zweier
Konjunktionen, nämlich and1 und and2, zu erklären; and2 wird dabei die
Bedeutung „and then“ zugewiesen (Lakoff 1971). Li Jinxi unterscheidet
zwei Arten koordinierter Prädikate – das parallele und das sequentielle
Prädikat. Es bleibt jedoch ersichtlich, dass die Interpretation einer
Konstruktion als symmetrische oder asymmetrische sequentielle
Koordination von individuellen und kulturellen Gegebenheiten des Hörers
abhängig ist und einen hohen Grad an Willkür beibehält. Wir nehmen die
Asymmetrie als Eigenschaft der sequentiellen SVC an, da diese als eine
Struktur mit fester Reihenfolge der umschriebenen Ereignisse analysiert
wird.
Die für uns relevante syntaktische Unterscheidung betrifft die Art der
Verknüpfung zwischen den Konstituenten: koordinative Strukturen können
syndetisch oder asyndetisch sein. In der syndetischen Konstruktion werden
die Konstituenten durch Konjunktionen miteinander verknüpft.
Die syndetische Koordination ist die in den indoeuropäischen Sprachen
vorherrschende Koordinationsform, bei der die koordinative Beziehung
zwischen den Konstituenten durch Konjunktionen spezifiziert wird
(Haspelmath 2000, S. 6). Im Falle der Asyndese werden die einzelnen
Glieder ohne syntaktische Markierung aneinandergereiht.
Es wird zwischen der Monosyndese und der Bisyndese unterschieden. Im
Falle der Polysyndese werden sämtliche Konstituenten mit Konjunktionen
markiert, bei der Monosyndese hingegen nur die letzten zwei Konstituenten.
2) Asymmetrische Koordination und sequentielle SVC in HPSG
Sag/Wasow/Bender (2003, S. 443-446) führen eine Analyse der
syndetischen Koordinationkonstruktion durch, wie sie im Englischen gängig
ist. Es wird eine eingeschränkte Sichtweise der Koordination angewendet:
nur Konstruktionen mit gleichen syntaktischen Kategorien der
Konstituenten können in der vorgeschlagenen Form analysiert werden.
Konstruktionen, deren Glieder verschiedenen Kategorien angehören und
lediglich über identische Distributionseigenschaften verfügen, werden
ausgeschlossen.
Das eingeführte Dominanzschema lizensiert koordinative Strukturen durch
die folgenden drei Mechanismen:

Unifikation der SYNSEM | LOC | CAT | SUBCAT-Werte der Konstituenten
und der Mutter

Unifikation der SYNSEM | LOC | CAT | HEAD | FORM-Werte der
Konstituenten und der Mutter

Auflistung der SYNSEM | LOC | CONTENT | RESTR -Werte der einzelnen
Konstituenten als Argumente des Ereignisses in der RESTR-Liste der
Konjunktion; der SYNSEM | LOC | CONTENT | INDEX-Wert der
Konjunktion wird anschließend an die Mutter vererbt.
(IV.22)
Schema der symmetrischen syndetischen Koordination nach Sag/Wasow
Im Unterschied dazu ist die hier untersuchte sequentielle SVC eine
asymmetrische und asyndetische Konstruktion: Es gibt keine Konjunktion,
die in ihrer RESTR-Liste eine Amalgamierung der Prädikationen der
Konjunkte mit einer Spezifizierung der Beziehung enthält; eine solche
Prädikation wurde aber für den Mutterknoten des Obertyps postuliert. Wir
geben der Beziehung dieser Prädikation den Wert temp-excl-reln. Wie bei
dem vorgestellten Koordinationsschema sind die Konstituenten in ihrer
Anzahl unbeschränkt, können jedoch nicht frei vertauscht werden.
Die Syntax der iterativen SVC wird durch Strukturteilung der CAT-Werte
beschränkt. Wir postulieren ASPECT als neues Kopfmerkmal des
chinesischen Verbs; es kann die folgenden Werte annehmen:
(IV.23)
Der HEAD-Wert hat demnach die folgende Struktur:
(IV.24)
Die sequentielle SVC nimmt entweder keinen oder den perfektiven Aspekt
an; in letzterem Falle werden beide Verbalphrasen symmetrisch markiert.
Unter Berücksichtigung der für den Obertyp postulierten Strukturteilungen
für Kategorie, Verbform und SPR-Wert lässt sich vollständige Identifikation
der CAT-Werte herleiten. Die Einschränkung für die sequentielle SVC sieht
somit wie folgt aus:
(IV.25)
IV.2.3 Modifikationsbeziehungen in der binären SVC
Zwischen den Konstituenten binärer SVCs bestehen semantische
Subordinationsbeziehungen: Sie werden verwendet, um Art und Weise,
Instrument, Ursache und Folge bzw. Ergebnis einer Handlung zu
beschreiben. Vor der Beschreibung von Einschränkungen für binäre SVCs
bietet sich deswegen eine kurze Betrachtung der Darstellung von
Subordination in HPSG an.
Subordinative Zusammenhänge werden durch endozentrische Strukturen,
die der gleichen Kategorie wie der lexikalische Kopf angehören,
ausgedrückt. Der Kopf projiziert wichtige syntaktische Eigenschaften an
den Mutterknoten. Es werden grundsätzlich zwei Arten von subordinativen
Konstruktionen unterschieden: die Komplementation und die Modifikation.
Die Komplementation wird in HPSG als Struktur vom Typ headcomplement-structure analysiert. Komplemente werden vom lexikalischen
Kopf selegiert, der ihnen semantische Rollen zuweist. Ein Kopf kann dabei
mehrere Komplemente verlangen. Jedes Komplement bezeichnet ein
Individuum, das unmittelbar an dem umschriebenen Ereignis teilnimmt und
damit essentiell für die Interpretation ist. Der semantische Hauptbeitrag der
Konstruktion entspricht dem semantischen Gehalt des Kopfes: Der
CONTENT-Wert der Mutter wird mit dem CONTENT der Kopftochter
identifiziert. Das folgende Schema zeigt, wie Kopfmerkmal- und Valenzprinzip in KopfKomplement-Strukturen agieren:
(IV.26)
Schema der unmittelbaren Dominanz einer Kopf-Komplement-
Struktur
Modifikationsstrukturen werden als head-adjunct-structures eingeteilt.
Adjunkte sind optional und werden herangezogen, um eine genauere
Beschreibung einer bestimmten Situation zu erzielen. Im Unterschied zu
Komplementen bekommen Adjunkte keine semantischen Rollen durch ihren
Kopf zugewiesen. Wir nehmen hier an, dass ein lexikalischer Kopf keine
Adjunkte verlangen kann; stattdessen selegiert ein Adjunkt seinen Kopf
über das HEAD-Merkmal MOD, dessen Wert dem SYNSEM-Wert des Kopfes
entspricht. Die Sichtweise, dass Köpfe von Adjunkten subkategorisiert
werden, wird auch in Pollard/Sag (1996), Müller (2007) sowie
Sag/Wasow/Bender (2003) vertreten. Der semantische Beitrag des Kopfes
wird durch Koindizierung mit dem Argument der Adjunktprädikation in die
Semantik des Adjunkts integriert. Der gesamte semantische Beitrag der
Phrase ist also im Adjunkt dargestellt; deswegen wird auch der Index des
Mutterknotens nicht von der Kopf-, sondern von der Adjunkttochter vererbt.
Die Kopf-Adjunkt-Struktur kann wie folgt dargestellt werden:
(IV.27) Schema der unmittelbaren Dominanz einer Kopf-Adjunkt-Struktur
An dieser Stelle muss das im Abschnitt IV.1.2 vorgestellte Semantikprinzip
über die Vererbung der Index-Werte modifiziert werden. Dazu führen wir
den Typ head-non-adjunct-structure als Untertyp von headed-phrase ein:
Prinzip der semantischen Vererbung (Semantic Inheritance Principle,
endgültige Version)
(IV.28.a)
(IV.28.b)
Die binäre SVC wird im Folgenden als Untertyp von head-adjunct-structure
analysiert. Zur Darstellung der semantischen Zusammenhänge benutzen wir atomare
Werte vom Typ funct-reln (IV.15):
(IV.29)
Als Untertypen der binären SVC betrachten wir die SVC mit Aspektmarkierung
(aspect-marked-svc) sowie die SVC mit gemeinsamen Objekt (shared-objectsvc).
Die SVC mit Aspektmarkierung hat die Untertypen durative-marked-svc und
perfective-marked-svc. In der durativen SVC ist die VP mit Aspektmarkierung die
Adjunkttochter und steht immer an erster Stelle. In der perfektiven SVC ist die
markierte VP die Kopftochter; ihre Stellung ist von der internen funktionalen
Beziehung abhängig:
(IV.30.a)
(IV.30.b)
Durativ markierte SVC
Perfektiv markierte SVC
Für die perfektive SVC sind die Subtypen cause-svc und final-svc spezifiziert. Die
Prädikation der internen Beziehung nimmt Werte vom Typ funct-excl-relation (cause
oder final) an. Die VP1 ist im ersteren Falle die Adjunkttochter und bei der finalen
SVC die Kopftochter.
Als letzten Typ der binären SVC betrachten wir die SVC mit gemeinsamen Objekt.
Es handelt sich dabei um eine Struktur mit Finalitätsbeziehung; sie nimmt somit die
gleichen semantischen Einschränkungen wie die finale SVC an. In der sharedobject-svc gibt es jedoch nur ein internes Argument, das als Objekt der beiden
Verben fungiert. Zur Darstellung der Objektteilung führen wir eine Modifikation der Werte
SUBCAT und SPECIFIER ein. Die Elemente der Listen, die sich bis jetzt aus SYNSEMWerten zu
realisierender Komplement zusammensetzten, werden durch Strukturen vom Typ
argument ersetzt:
(IV.31)
Der SYNSEM-Wert eines Komplements wird nun unter ARGUMENT angegeben. Die
booleschen Merkmale REALIZED und RAISED werden von Przepiórkowski (1999) und
Meurers (1999) zur Darstellung der Argumente von Anhebungsverben vorgeschlagen.
Anhebungsverben sind Verben, die ein verbales Komplement verlangen und ein
semantisches Argument dieses Komplements syntaktisch realisieren, so dass es nicht
mehr vom eingebetteten Verb verlangt zu werden braucht. Man unterscheidet
zwischen Subjekt- und Objektanhebungsverben; bei der Subjektanhebung wird das
Subjekt des verbalen Komplement mit dem Subjekt des Hauptverbs identifiziert,
während Objektanhebungsverben das Subjekt des eingebetteten Verbs als Objekt
annehmen. Objektanhebungsverben bilden das Hauptverb in Pivotalkonstruktionen
(Abschnitt I.3.2). Ein Beispiel für Anhebung im Chinesischen ist:
(IV.32 a)
Wo3 ji4xu4
xue2
yi1.
Ich weitermachen lernen Medizin.
Ich studiere weiter Medizin.
Unter Verwendung der eingeführten Merkmalstruktur in den SUBCAT-Listen lässt
sich die syntaktische Struktur dieser Subjektanhebungskonstruktion wie folgt
darstellen:
(IV.32 b)
Mit der Strukturierung der SUBCAT-Elemente geht eine Änderung in der Handhabung
der SUBCAT-Liste einher. In Müller (2007, S. 335) wird vorgeschlagen, dass
realisierte Argumente nicht aus der Valenzliste getilgt, sondern lediglich als
[REALIZED +] markiert werden. Dadurch werden in der Merkmalstruktur der Mutter
alle Argumente des Kopfes aufgelistet.
Mit den zwei eingeführten Modifikationen postulieren wir die folgende syntaktische
Einschränkung für shared-object-svcs:
(IV.33)
Das gemeinsame Objekt wird vom ersten Verb realisiert. Es wird nicht in der
zweiten VP wiederholt, was durch [REALIZED -] gekennzeichnet ist. Durch den
negativen Wert von RAISED in der SUBCAT-Liste der zweiten VP wird angegeben,
dass es sich hierbei nicht um ein angehobenes Objekt, sondern um ein semantisches
Argument beider Verben handelt.
IV.3 Alternative HPSG-Analysen: SVCs in Ga, Thai und Akan
In diesem Abschnitt wird ein Überblick über die Anwendung des HPSG-Formalismus auf
SVCs in anderen Sprachen (Ga: Dakubu/Hellan/Beermann 2007, Akan: Hellan / Beermann /
Andenes 2003, Thai: Muansuwam 2000) gegeben. Die Analyse Dakubu/Hellan/Beermann
(2007) beschreibt Serienverben in Ga; Ga weist neben den erwähnten zwei Grundtypen
(iterative und binäre SVC) eine andere Art von Verbserialisierung auf, bei der semantische
Hauptverben durch Präverben subkategorisiert werden; die dabei entstehenden Strukturen
werden sodann als Konstituenten von SVCs verwendet. Bei der Analyse von SVCs in Akan
konzentrieren sich die Autoren auf die verschiedenen Möglichkeiten der Darstellung
gemeinsamer Argumente. Binäre SVCs in Akan (auch ISVC: Integrated Serial Verb
Construction) zeichnen sich ebenfalls durch häufiges Vorkommen bestimmter Verben aus,
die jedoch – ähnlich den chinesischen Koverben – ihre Funktion als Vollverben beibehalten;
im Gegensatz zu den Präverben in Ga können sie keine Verbalphrasen als Komplemente
selegieren, weshalb die Autoren hier durchgehend eine Modifikationsstruktur anwenden. In
Abschnitt IV.3.2 wird eine Analyse von direktionalen SVCs in Thai vorgestellt. Ähnlich den
SVCs in Ga können hier zwei Verbalphrasen, von denen eine ein deiktisches Verb enthält,
eine Kopf-Komplement-Struktur bilden. Während in Ga jedoch das Verb einer eingegrenzten
lexikalischen Klasse als Kopf fungiert, wird für Thai eine Struktur verwendet, in der das
deiktische Verb von dem in der linearen Abfolge vorhergehenden Verb selegiert wird. Die
Reihenfolge der Konstituenten ist im Übrigen relativ frei; um die bestehenden lexikalischen
Beschränkungen bezüglich der Oberflächenstruktur darzustellen, baut der Autor eine
dreistufige Struktur, in der er ein Koordinations- und ein Komplementationsschema vereinigt.
IV.3.1 SVCs in Ga (Dakubu/Hellan/Beermann 2007)
SVCs in Ga weisen größtenteils die Charakteristika auf, die in sprachübergreifenden
Beschreibungen von Serienverben angegeben werden: Sie bestehen aus aneinander gereihten
Verbalphrasen, die nicht durch Koordinations- oder Subordinationspartikel in eine eindeutige
semantische Beziehung zueinander gebracht werden und ein gemeinsames Subjekt teilen. Die
Verbalphrasen kongruieren in Bezug auf Aspekt, Modus und Tempus. Die zwei
beschriebenen semantischen Ausprägungen von SVCs – asymmetrische Koordination zur
Darstellung der zeitlichen Beziehung zwischen Ereignissen und Subordination – kommen in
Ga ebenfalls vor.
Ga weist jedoch eine andere Form der verbalen Serialisierung auf: Es handelt sich um
Verbalserien auf Wortebene, wobei Elemente, die in der Phrase als Einzelverben analysiert
werden, aus mehreren Verben – typischerweise aus einem Hauptverb und einem oder
mehreren Präverben –
zusammengesetzt werden und als unmittelbare Konstituenten in einer
SVC fungieren können. Dakubu/Hellan/Beermann bezeichnen diese Formen als Extended
Verb Complexes (EVC).
SVCs werden als Adjunktstrukturen analysiert: Die erste VP ist vollständig saturiert und kann
als unabhängiges Prädikat vorkommen; die zweite VP wird als modifizierendes Adjunkt
dargestellt:
(IV.35 a)
Akwele hoo
nii
aha
Akwele kochen Sachen geben
Akwele kocht für uns.
(IV.35 b)
wə.
uns.
EVCs werden hingegen als Komplementstrukturen analysiert. Es werden vier Präverben
unterschieden, die Verbalphrasen als Komplemente subkategorisieren:

ke: bewegen

ka: nicht dürfen

ba: kommen

ya: gehen
Diese Präverben sind transitiv und nehmen das semantische Hauptverb der EVC als
Komplement an4. Das folgende Schema zeigt ein Beispiel für eine maximale Konfiguration in
der EVC:
(IV.36)
4
Die Präverben ba: kommen und ya: gehen haben Homophone, die als Hauptverben mit verwandter
Bedeutung fungieren können.
Auch in Ga sind gemeinsame interne Argumente möglich. In semantischer Hinsicht
beschränken sich solche Konstruktionen, anders als im Chinesischen, nicht auf finale
Zusammenhänge:
(IV.37) Benefaktiv-SVC
Akwele baa
hoo
nii
aha
wə.
Akwele FUT.kommen kochen Dinge geben uns
Akwele wird für uns kochen.
Das direkte Objekt von hoo: kochen als erstem Hauptverb ist mit dem direkten Objekt von
aha: geben koindiziert. Um solche gemeinsamen Argumente darzustellen, verwenden Dakubu
/Hellan/Beermann das CAT-Merkmal QVAL (qualitative valence), das in Hellan
/Beermann/Andenes 2003 eingeführt wird und den in LFG (Lexical Functional Grammar)
verwendeten grammatischen Funktionen entspricht. Der Wert von QVAL ist eine
Merkmalstruktur mit den syntaktischen Rollen der Argumente eines Verbs als Merkmale; in
unserem Beispiel werden die SYNSEM-Werte des Subjekts und des direkten Objekts
angegeben und an die höhere Ebene projiziert:
(IV.38)
Auch in Bezug auf die Aspektverteilung unterscheiden sich SVCs in Ga vom Chinesischen:
Während Aspektpartikeln in chinesischen SVCs zur Spezifizierung der Zusammenhänge
zwischen Verbalphrasen beitragen und somit eine Funktion erfüllen können, die der von
Subordinationsmarkierungen ähnlich ist, wird der Aspekt in SVCs in Ga ausschließlich in
seiner ursprünglichen semantischen Funktion verwendet; Dakubu/Hellan/Beermann nehmen
den Aspekt Merkmal im CONTENT-Wert auf. In der Regel wird die VP1, die auch die
Kopftochter ist, markiert; diese Markierung legt den Aspektwert der Schwester-VPs fest und
projiziert ihn an die phrasale Ebene:
(IV.39)
Da diese Beschränkung sowohl für Adjunktion (SVCs ohne Präverben) wie auch für
Komplementation (EVCs mit Präverben) gilt, wird sie für den Obertyp dieser beiden
Strukturen (head-initial-v-binary-v-structure) definiert.
IV.3.2 SVCs in Akan (Hellan / Beermann / Andenes 2003)
Hellan/Beermann/Andenes führen eine Analyse von SVCs in Akan mit besonderer
Berücksichtigung der für Argumentteilung möglichen Strukturen durch. Die zwei Grundtypen
der Verbserialisierung werden hier als Clause-Chaining Constructions (CC) und Iterated
Serial Verb Constructions (ISVC) untersucht.
CCs erlauben die Kombination einer beliebigen Anzahl von Verben, von denen jedes seine
Bedeutung als Vollverb beibehält. Die lineare Reihenfolge der Verben entspricht der Abfolge
der Ereignisse im Zeitablauf:
(IV.40)
Ama tu-u
bayerε
twitwa
noa
di-i.
Ama entwurzeln Süßkartoffeln schneiden kochen essen
Ama entwurzelte, schnitt, kochte und aß die Süßkartoffeln.
CCs werden anhand mehrerer Kriterien von Koordinationsstrukturen unterschieden; dazu
gehört die Möglichkeit der wh-Extraktion in CCs, der sich auf die gesamte Konstruktion
ausdehnende Skopus von Verneinungspartikeln sowie die Sukzessivität als obligatorischer
zeitlicher Zusammenhang zwischen den beschriebenen Ereignissen.
Im Gegensatz zu CCs bestehen ISVCs (Iterated Serial Verb Constructions) aus genau zwei
Verbalphrasen, zwischen denen eine determinierbare funktionale Beziehung besteht: „in
ISVCs, only two verbs take part to express a clearly identifiable situational profile“ (Hellan
/Beermann/ Andenes 2003, S. 1). Es gibt mehrere „situationale Profile“, denen jeweils
unterschiedliche semantische und syntaktische Konfigurationen zugeordnet werden; sie
werden unter dem Obertyp der ISVC zusammengefasst.
SVCs in Akan können gemeinsame interne und externe Argumente haben; in dem folgenden
Beispiel ist die NP „Ama“ Subjekt der zwei Verben:
(IV.41)
Ama noa
di.
Ama kochen essen
Ama kochte und aß.
Die Autoren unterscheiden hierbei mehrere mögliche Strukturen. Bei der Token-Teilung
(token-sharing) realisiert ein Argument direkt die grammatische Funktion des Subjekts oder
Objekts bzw. entsprechende thematische Rollen von mehreren Verben. Bei der
Referenzteilung (reference-sharing) wird die grammatische Funktion oder Rolle des
Arguments nur für das erste Verb realisiert; das zweite Verb subkategorisiert ein anderes
Element, das mit dem Argument des ersten Verbs koreferiert. In Abhängigkeit von der
Beschaffenheit des koreferentiellen Arguments wird zwischen overter und coverter
Referenzteilung unterschieden. Im ersteren Falle fungiert eine overte Anapher als Argument
eines nicht-initialen Verbs. Bei der coverten Referenz selegiert dieses Verb ein phonologisch
leeres Pronomen.
Die Objektteilung im folgenden Beispiel scheint auf coverte Referenz zu deuten:
(IV.42)
Ama tu-u
bayerε
twitwa
noa
di-i.
Ama entwurzeln
Süßkartoffeln schneiden kochen essen
Ama entwurzelte, schnitt, kochte und aß die Süßkartoffeln.
Dies wird von den Autoren jedoch abgelehnt: In Akan werden Pronomen in der dritten Person
nur realisiert, insofern sie belebt sind oder von einem Adverb gefolgt werden. Wenn man z. B.
ein belebtes Objekt für eine SVC mit der gleichen Struktur annimmt, wird dieses tatsächlich
für jedes Verb als overtes Pronomen realisiert:
(IV.43)
Ama t
ad adanko
dware-e no
Ama kaufen Kaninchen baden
es
yεn-n
no.
aufziehen
es
Ama kaufte ein Kaninchen, badete es und zog es auf.
Daraus wird gefolgert, dass gemeinsame Objekte durch overte Referenzteilung lizensiert
werden.
Strukturen, in denen Objekte phonologisch nicht realisiert werden, werden also nicht auf
Eigenschaften von SVCs, sondern auf die allgemeine Abhängigkeit der Realisierbarkeit von
Pronomen von der Beschaffenheit ihres Referents zurückgeführt.
Anders ist es mit Subjektpronomen, die in SVCs nur einmal als Affixe des ersten Verbs
realisiert werden. Für Subjekte der nachfolgenden Verben werden koindizierte Nullpronomina
angenommen. Die Zuweisung der Subjektfunktion kann kontextabhängig sein, weshalb
Token-Teilung ausgeschlossen wird:
(IV.44)
Ama de
sika
ma-a Kofi
k
Ama
Geld
geben Kofi
gehen
-
nehmen
e.
Ama nahm das Geld, gab es Kofi und ging.
 Ama nahm das Geld, gab es Kofi, und er ging.
Die NPs „Ama“ und „Kofi“ sind zwei mögliche Antezedenten für das Subjekt von „ging“.
Zu den lexikalischen Eigenschaften einiger Verben gehört außerdem, dass diese nicht das
Objekt vorhergehender Verben als Subjekt annehmen können, auch wenn dies in
semantischer Hinsicht möglich wäre.
Subjektteilung wird demnach als coverte Referenzteilung analysiert; die Zuweisung der
Subjektrolle des zweiten Verbs an ein Argument des initialen Verbs ist von dem Kontext, der
lexikalischen Beschaffenheit des nicht-initialen Verbs sowie von der internen Logik des
Ereignisses abhängig.
Für die Analyse von CC-SVCs werden zwei Subtypen der VP unterschieden: die singleverbal-phrase und die clause-chain. Strukturen vom Typ clause-chain werden als rekursive
Modifikationsstrukturen dargestellt, deren Kopftochter vom Typ single-verbal-phrase von
einer clause-chain modifiziert wird; der Autor postuliert jedoch keine Einschränkung für die
Terminierung der Rekursion. Gemeinsame Objekte werden in den SUBCAT-Werten
koindiziert. Die Koreferenz der Objekte wird durch Koindizierung in dem Merkmal QVAL
(QUALITATIVE VALENCE, s. VI.3.1) gewährleistet. Die semantische Darstellung wird
durch das CONTENT-Merkmal CUMULATIVE-INDEX (CUMINDEX) ergänzt, das der
gesamten Ereignisfolge einen Indexwert zuweist.
(IV.45)
ISVCs (Integrated Serial Verb Constructions) werden ebenfalls als Adjunktstrukturen
analysiert; hier wird für gemeinsame Argumente jedoch Token-Teilung angenommen. ISVCs
setzen sich zusammen aus einer VP mit einem „minimalen“ Verb, das besonders häufig als
erstes Verb in SVCs vorkommt, und einer VP mit einem frei wählbaren Hauptverb. Die
Autoren beschreiben am Beispiel des Verbs de: nehmen drei Arten von ISVCs, die
unterschiedlichen „situationalen Profilen“ entsprechen:
- de + ditransitives Verb
- de zur Einführung einer Instrument-Rolle
- de + Bewegungsverb
Ditransitive Verben, die in einfachen VPs verwendet werden, haben häufig Beschränkungen
bezüglich ihrer möglichen Objekte: Sie selegieren ein unbestimmtes Objekt, das kein
Pronomen sein kann. Um ein bestimmtes oder pronominales Objekt auszudrücken, werden
SVCs mit minimalen Verben gebildet:
(IV.46 a)
-fεm-m
me ne p nk
3sg.leihen mir sein Pferd
Er lieh mir sein Pferd.
(IV.46 b)
-fεm-m
me no.
3sg.leihen mir es
Er lieh es mir.
(IV.46 c)
-de
3sg.nehmen es
no
fεm-m
leihen
me.
mir
Er lieh es mir.
Für die Objekte wird in diesem Fall Token-Teilung der thematischen Rollen postuliert; die
RESTR-Listen nehmen die Bezeichnungen der jeweiligen Rollen auf:
(IV.47)
Bei SVCs, in denen das Objekt des Verbs de: nehmen eine vom nachfolgenden Vollverb
zugewiesene Instrumentrolle annimmt, wird der Index dieses Objekts ebenfalls in die
Relation des zweiten Verbs aufgenommen:
(IV.48 a)
-de
nkrante
twa
duabasa.
3sg.nehmen Schwert schneiden Ast
Er schnitt den Ast mit einem Schwert.
(IV.48 b)
In dieser Weise werden auch ISVCs gehandhabt, in denen ein minimales Verb mit einem
Bewegungsverb kombiniert wird:
(IV.49 a)
Kofi de
atadeε no
sεn-n
daewa so.
Kofi nehmen Kleid DEF hängen Nagel an
Kofi nahm das Kleid und hängte es an den Nagel.
„Atadeε“, welches hier das direkte Objekt des Verbs „de“ ist, ist zugleich auch ThemaArgument des Verbs „sεn“; „daewa“ nimmt eine Locativ-Rolle für das Verb „sεn“ an:
(IV.49 b)
IV.3 Direktionale SVCs in Thai (Muansuwam 2000)
Direktionale SVCs in Thai weisen ebenfalls einen Teil der allgemein für SVCs
angenommenen Charakteristika auf: Sie bestehen aus mehreren finiten Verbalphrasen, die
nicht in einer Prädikat-Argument-Beziehung zueinander stehen, aber dem gleichen Satz
angehören. Dabei kann eine Vielzahl von Verbalkomplexen kombiniert werden. Diese
Verbalkomplexe unterscheiden sich lexikalisch bedingt in ihrem Verhalten bezüglich
Konstituentenstruktur und Oberflächenreihenfolge; der Autor verwendet in seiner Analyse ein
aus Koordinationsstruktur und Komplementation kombiniertes ID-Schema sowie eine
lexikalische Kategorisierung der verbalen Köpfe, die ihre möglichen Positionen SVC-Gefüge
beschränkt.
Die in SVCs vorkommenden Verben werden nach ihrer Semantik unterschieden und drücken
unterschiedlichen Aspekte von Bewegungen aus:
1. Art und Weise der Fortbewegung (wiη: rennen, dən: laufen usw.)
2. geometrische Form der Fortbewegung (won: kreisen, troη: gerade gehen)
3. Richtung in Bezug auf eine vorhergehende Fortbewegung (nาาn : zurückkommen, thาาj :
zurücktreten usw.)
4. Richtung in Bezug auf die Außenwelt (ləəj: durchgehen, khâam: kreuzen, khâw:
hineingehen)
5. Richtung in Bezug auf den Sprecher (deiktische Verben: paj: gehen, maa: kommen)
Das folgende Beispiel zeigt eine Maximalkonfiguration dieser fünf Verbarten:
(IV.49)
Malee wiη
troη
saphaan
k
p
khâam
paj.
Malee rennen gerade gehen zurückkommen überkreuzen Brücke hinausgehen gehen
Die Brücke überquerend rannte Malee gerade (vom Sprecher weg) zurück.
Anhand von zwei syntaktischen Tests (Einfügung von Adverbialen, Ersetzung mehrerer
Verben durch eine „do so“-Verbalphrase im nachfolgenden Satz) beweist der Autor, dass alle
Verben außer einem eventuellen deiktischen Verb und seinem linearen Vorgänger
unabhängige Konstituenten sind. Das deiktische Verb wird von dem vorhergehenden Verb als
Komplement selegiert.
In Bezug auf die Oberflächenstruktur unterscheidet der Autor symmetrische und
asymmetrische SVCs. Die Reihenfolge der Konstituenten in symmetrischen SVCs kann frei
vertauscht werden. Diese Beobachtung schließt die Anwendung früherer SVC-Analysen
(Sebba 1987, Baker 1989), die vom Autor erwähnt werden, aus, da sie eine feste Reihenfolge
der Verben vorhersagen. Asymmetrische SVCs sind durch zwei Beschränkungen
charakterisiert:
1. Verben der Art und Weise einer Fortbewegung (1) können nur an erster Stelle in
der SVC stehen.
2. deiktische Verben (5) können nur an letzter Stelle stehen.
Zur Darstellung dieser Beschränkungen führt der Autor den Typ serial predicate ein:
(IV.50)
Für Objekte vom Typ serial predicate werden im Kopfmerkmal die booleschen Merkmale
FIRST und LAST mit folgenden Werteverteilungen eingeführt:
- Verben der Art und Weise: [first +]
- Verben, die deiktische Verben als Komplemente annehmen: [last +]
- andere Verben:
Direktionale SVCs werden nun anhand einer Struktur vom Typ co-headed-phrase analysiert:
(IV.51)
Dieser Typ unterscheidet sich von der strict-headed-phrase dadurch, dass der Phrasenkopf
Merkmalwerte verschiedener Töchter aufnehmen kann. In dem beschriebenen Fall werden der
FIRST-Wert der ersten Tochter und der LAST-Wert der letzten Tochter kombiniert:
(IV.52)
Der Autor schlägt ein dreistufiges Dominanzschema vor: Auf der untersten Ebene wird das
deiktische Verb als Komplement des vorhergehenden Verbs subkategorisiert. Im
Kopfmerkmal der dabei entstehenden Komplementationsstruktur wird [last +] spezifiziert.
Anschließend wird sie in einer rekursiven koordinationsähnlichen Struktur vom Typ coheaded-phrase mit den restlichen Verbalkomplexen verknüpft:
(IV.53)
Die beschriebenen Analysen zeigen eine Reihe von Versuchen, SVCs anhand von
Koordinations-, Modifikations- und Komplementationsstrukturen zu erklären. Wir haben
gesehen, dass die Autoren bei der Beschreibung von Strukturen, die lexikalisch nicht
beschränkt sind, zu einer Modifikationsannahme tendieren, während Verben begrenzter
lexikalischer Klassen (Präverben in Ga, deiktische Verben in Thai) anhand von
Komplementation analysiert werden, was auf Grammatikalisierungs- bzw.
Lexikalisierungsprozesse hindeuten kann. Solche Komplementationsstrukturen sind auf
chinesische SVCs nicht anwendbar, da es keine eindeutig eingrenzbaren Klassen von Verben
gibt, die in SVCs als Töchter von Komplement-VPs fungieren. Auffallend sind die
Divergenzen zwischen den syntaktischen und semantischen hierarchischen Strukturen:
Verbalphrasen, die den semantischen Hauptbeitrag der SVC tragen, werden z. B. bei Hellan /
Beermann / Andenes 2003 durchgehend als Adjunkte analysiert, während Verben, die
teilweise nur der Einführung zusätzlicher Argumente bzw. semantischer Rollen für das
Hauptverb dienen, als Köpfe dargestellt werden. Die Analysen sind auf die Darstellung
möglicher syntaktischer Beziehungen in SVCs fokussiert und lassen semantische
Ambiguitäten größtenteils außer acht; daraus läßt sich schließen, dass die Problematik der
Zweideutigkeit interner Zusammenhänge für SVCs in diesem Sprachen nicht relevant ist.
Dies muss bei einem Vergleich mit chinesischen SVCs, die zwar eine einheitliche
syntaktische Erscheinung aufweisen, jedoch in unmarkierter Form mehrere Interpretationen
zulassen, berücksichtigt werden; wir haben bei der Analyse chinesischer SVCs
Aspektpartikeln als „Hilfsmittel“ einbezogen, um den beschriebenen SVCs eindeutige interne
Beziehungen zuzuordnen. Da Aspektmarkierungen in SVCs jedoch eine konjunktionsähnliche
Funktion haben und SVCs andererseits gerade durch die Abwesenheit von overten
Konjunktionspartikeln charakterisiert werden, müssten die internen Zusammenhänge in einer
unmarkierten Konstruktion bei einer formalen Analyse unterspezifiziert, sowie die Frage nach
der Auflösung der semantischen Ambiguität offen bleiben.
Zusammenfassung und Ausblick
In dieser Arbeit wurde die Problematik der chinesischen Verbalserie unter den
Gesichtspunkten der Undefiniertheit des SVC-Begriffs in der Linguistik sowie der
semantischen Zweideutigkeit von SVCs im Chinesischen dargestellt.
Nach einem kurzen Umriss chinesischer Verbalkonstruktionen und mehrerer
Definitionsversuche von SVCs, die für afrikanische Sprachen und für Chinesisch
unternommen wurden, habe ich eine Reihe allgemeingültiger Eigenschaften
chinesischer SVCs aufgestellt und ihre semantischen, syntaktischen und
lexikalischen Varianten beschrieben. Diese Beschreibung wurde sodann als
Grundlage bei der Erstellung einer Typenhierarchie im Sinne des HPSGFormalismus herangezogen, anhand der eine Modellierung der SVCs durch
Merkmalstrukturen möglich wurde. Als wichtigste Unterscheidung diente dabei die
Unterteilung von SVCs in asymmetrische koordinative Konstruktionen mit
temporaler Abhängigkeit zwischen den Konstituenten (Sukzessivität) sowie
Modifikationsstrukturen, die neben einer temporalen auch eine funktionale
Beziehung (Ursache – Wirkung, Finalität, Instrument-/Mannerbeziehung)
beschreiben. Wir haben jedoch im Laufe der Analysen festgestellt, dass SVCs in
ihrer ursprünglichen, unmarkierten Form (V
NP
V
NP) semantisch
zweideutig sind. Bei der formalen Analyse haben wir uns deshalb syntaktischer
Markierungen bedient, anhand derer eine SVC, deren Interpretation von Kontextund Konzeptwissen abhängt, eindeutig gemacht werden kann.
Eines der bei der Analyse betrachteten Probleme war die Darstellung des
semantischen Mehrwerts, der durch die Aneinanderreihung von Verbalphrasen
zusätzlich zu den Bedeutungen der einzelnen Konstituenten entsteht. Die HPSGAnalyse erfolgte für sequentielle SVCs anhand eines abgewandelten
Koordinationsschemas; für SVCs mit funktionalen Relationen wurde ein
Adjunktschema verwendet, bei dem eine Verbalphrase als Adjunkt der Verbalphrase,
die das Kernereignis beschreibt, fungiert.
Infolge des Fehlens einer eindeutigen und hinreichend präzisen Definition in der
Literatur bietet sich ein selektiver Umgang mit den behandelten Texten an.
So werden bei der Untersuchung von Abhandlungen zu chinesischen SVCs zwei
Richtungen deutlich: Einige Autoren (Wippermann 1993, Chen 1993,
Paul 2004) versuchen, die allgemein als SVCs verstandenen Konstruktionen
durch andere, eindeutig definierte syntaktische Strukturen zu erklären. Sie
kommen in ihren Analysen zu der Schlussfolgerung, dass SVCs als solche im
Chinesischen nicht existieren, und schlagen eine Abschaffung des Begriffs
vor:
“…the SVC, as it is currently understood, has no theoretical status
in the grammar of Mandarin Chinese i.e., it does not represent a
unique construction associated with a predictable set of properties
(though there are evidently sentences containing more than one
verb in Chinese). Instead, the phenomena subsumed under the one
label SVC in fact turn out to represent separate constructions with
completely different properties. The term SVC should therefore be
banned from Chinese linguistics, at least for the structures
subsumed so far under this label.” (Paul 2004, S. 20)
“… da sich die … Annahme, dass die Verbalserie eine eigenständige
syntaktische Konstruktion sei, die sich von anderen syntaktischen
Konstruktionen, insbesondere der Koordination, abgrenzen lasse, nicht
halten lässt, ergibt sich die Frage, ob der Begriff der Verbalserie in der
chinesischen Grammatik überhaupt beibehalten werden sollte.“
(Wippermann 1993, S. 365)
Andererseits gibt es Ansätze für sehr restriktive Beschreibungen: So schlägt z. B. Dai
(1990) die deiktische Konstruktionen mit den Bewegungsverben lai2: kommen /
qu4: gehen als „typische“ SVC-Konstellation vor; Chang (1990) überträgt die auf
gemeinsamen internen Argementen basierende Analyse von Baker
auf das Chinesische und behandelt ausschließlich SVCs mit gemeinsamer
interner Referenz. Wippermann (1993) ordnet diese Konstruktionen als
Subordination ein; nach einer sehr vollständigen Analyse der
Verbalserienanalysen in der chinesischen Linguistik charakterisiert sie die
„Verbalserie“ im Chinesischen durch eine feste Reihenfolge der Ereignisse,
was der von uns als asymmetrische Koordination analysierten sequentiellen
SVC entspricht.
Der Begriff bleibt demnach auch im Lichte zahlreicher Analysen weiterhin schwer
greifbar. Einerseits liegen den Beschreibungen von SVCs im Chinesischen oft
Definitionen von SVCs in afrikanischen Sprachen zugrunde. Diese Übertragung von
der afrikanischen Linguistik„erzwingt“ Definitionen, die den sprachlichen
Besonderheiten des Chinesischen nicht voll gerecht werden können: Die afrikanische
SVC ist von distinktiven syntaktischen und morphologischen Charakteristika
geprägt, während entsprechende Strukturen im Chinesischen lediglich die
bereits definierte Struktur der Koordination aufweisen, deren semantische
Mehrdeutigkeit durch die Konzept- und Kontextgebundenheit der Sprache
bedingt ist. Andererseits sind die Untersuchungen stark
oberflächengebunden: „a structure labelled „serialized verb construction“
refers in all cases to a surface arrangement of lexical items rather than the
form of the underlying representation...“ (Vis 1978, S. 117). Es bietet sich
deswegen an, die SVC als Oberbegriff für diverse Formen von
unmittelbaren Abfolgen finiter Verbalphrasen, die in einem semantischen
Zusammenhang zueinander stehen, zu betrachten, und spezifische
Beschreibungen bzw. Einschränkungen für die einzelnen darunter
zusammengefassten Strukturen abzuleiten.
Bei der hier erfolgten Analyse wurden überwiegend SVC-Varianten betrachtet, die
infolge ihrer syntaktischen Zusammensetzung eindeutige Zuordnungen von
Bedeutungen erlauben. Neben der sequentiellen SVC, die entweder keine oder eine
symmetrische Aspektmarkierung annimmt, sind das Konstruktionen mit
asymmetrischer Aspektmarkierung sowie SVCs mit gemeinsamen internen
Argumenten. Bei der Charakterisierung wurden jedoch gewisse Unterschiede im
syntaktischen Verhalten, z. B. Möglichkeiten der Extraktion von Verbalphrasen,
nicht einbezogen. Solche Unterschiede führen zu der Vermutung, dass chinesische
SVCs tatsächlich auf unterschiedliche komplexe Prädikatkonstruktionen
zurückgeführt werden können; infolge der Tendenz der chinesischen Sprache zur
Aussparung sprachlicher Elemente, deren Bedeutung durch Einbezug von Kontextoder Konzeptwissen erschlossen werden kann, ist eine “Reduktion” dieser
Konstruktionen zu einer einzigen linearen Struktur denkbar. Dies wird dadurch
untermauert, dass viele SVCs durch Ergänzung mit syntaktischen Konjunktionen zu
komplexen Sätzen erweitert werden können (s. Abschnitt III.3.1). Für eine solche
Begründung der Serialisierung im Chinesischen würde sich eine vertiefende Analyse
der Prädikatkonstruktionen und ihrer Entwicklung im Zeitablauf anbieten; auf der
Grundlage solcher Beschreibungen wäre der Versuch von SVC-Darstellungen
denkbar, die nun nicht mehr in einer eigenen Typenhierarchie klassifiziert, sondern
unter den jeweiligen bestehenden komplexen Prädikaten eingeordnet wären.
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