Medizin Funktionelle Rückenschmerzen Wenn der Rücken verkrampft Harte Pisten, weicher Kunstschnee und schnelle Carvingski fordern nicht nur gute Technik, sondern vor allem körperliche Fitness. Meistens reicht die Zeit nicht, sich gezielt mit einem Krafttraining auf den Winterurlaub vorzubereiten und häufig kommt es schon nach dem ersten Tag auf der Piste zu Rückenschmerzen. Solche Beschwerden haben meist muskuläre Ursachen und werden als funktionelle oder unspezifische Rückenschmerzen bezeichnet. 46 Snowactive Mai 2016 kuläres Spannungsproblem handelt, sind in einem MRI oft keine eindeutigen Erklärungen für die Beschwerden erkennbar. Das unter­ scheidet die funktionellen von den strukturel­ len Rückenbeschwerden. Training stärkt Muskulatur Nachdem Dr. Marcus Baumann in der letz­ ten Ausgabe ausführlich über Rückenschmer­ zen mit einer strukturellen Ursache, zum Bei­ spiel ein Bandscheibenvorfall, berichtet hat, geht es jetzt um funktionelle Problematiken. Mehrheitlich, das heisst in über 80 Prozent der Fälle, sind die Muskeln und ihre Faszien die Auslöser von Rückenschmerzen. Zugrunde liegt diesen Problemen immer eine muskuläre Dysbalance, also ein Ungleichgewicht der Mus­ kulatur im Bereich des Rumpfes und der Extre­ mitäten. Solche Dysbalancen haben wir alle und das gilt für den Leistungssportler genau so wie für den Schreibtischtäter. Dysbalancen sind Anpas­ sungsreaktionen des Körpers, die automatisch erfolgen, um unseren Bewegungsapparat für seine typischen Anforderungen zu optimieren. Das kann ein Training sein, das besondere Eigenschaften des Körpers erfordert, das kön­ nen aber auch bestimmte Haltungen oder ein­ seitige Bewegungsabläufe bei der Arbeit sein. Muskuläre Dysbalancen sind also im Prinzip ein Ausdruck der Effizienz des menschlichen Körpers. Überbeanspruchung Fotos: zVg. / B&S Stockimage führt zu Problemen Diese Dysbalancen werden jedoch zu einem Problem, wenn der Bewegungsapparat Belas­ tungen ausgesetzt wird, die das muskuläre System überfordern. Das passiert im Winter­ sport untrainierten Sportlern unweigerlich. Der Körper reagiert sofort auf eine solche Überlastung und schützt sich, indem er die Spannung bestimmter Muskelgruppen erhöht. Dabei verkrampfen sich die Muskeln. Die ver­ änderte Spannung der Muskulatur bringt den Körper nun nach und nach aus der Balance und die muskuläre Spannung im Rücken und den Extremitäten steigt. Damit erhöht sich auch der Druck auf die Bandscheiben, die Wirbel­ gelenke und die Nerven, die aus der Wirbel­ säule austreten und es kann zu massiven Schmerzen kommen. Da es sich um ein mus­ Die gute Nachricht ist, dass jeder mit gezielter Dehnung den Körper wieder aus seiner Ver­ spannung herausbringen kann. Langfristig kann mit einem spezifischen Training die Mus­ kulatur gestärkt werden, sodass es zukünftig nicht zu einer Überlastung und den beschrie­ benen Schutzmechanismen des Körpers kom­ men kann. Der Schlüssel zur Entspannung verkrampfter Muskulatur ist die Behandlung der Muskel­ faszie – das ist die bindegewebige Hülle des Muskels. Muskelfaszien dienen nicht nur der «Verpackung» der Muskulatur, sie besitzen auch viele Rezeptoren (Fühler), die an der Regulation der Muskelspannung beteiligt sind. Die unkomplizierteste und gleichzeitig effek­ tivste Methode der Faszienbehandlung ist das sogenannte «self myofascial release». Hierbei handelt es sich um ein Ausrollen der Muskeln und Faszien mit Hilfe einer Schaumstoffrolle. Verspannte Muskeln einfach wegrollen Die Therapie mit der Faszienrolle ist einfach durchzuführen, intuitiv und auch für Anfänger ohne Vorkenntnisse möglich. Trotzdem sollte man sich vor der Anwendung mit seinem Arzt besprechen und sich die Übungen von einem Trainer oder Therapeuten richtig zeigen las­ sen. Das gilt insbesondere, wenn man regel­ mässig mit Rückenschmerzen zu kämpfen hat. Mit den Händen, Unterarmen oder Beinen ab­ gestützt, rollt man mehr oder weniger langsam und mit Unterstützung des eigenen Körperge­ wichts über die Rolle. An einzelnen Partien kann man auch eine Wei­ le verharren und den Druck verstärken. Pro Bereich sollten mindestens acht bis zehn Roll­ bewegungen durchgeführt werden. Anfangs sind die Bewegungen über die Rolle nicht so geschmeidig und auch teilweise schmerzhaft. Der Schmerz kann vermindert werden, indem das Körpergewicht mehr auf die stützenden Arme oder Beine verlagert wird. Bereits direkt nach der Behandlung fühlen sich die Muskeln deutlich entspannter an. Selten kann es am Tag danach zu einem muskelkaterähnlichen Schmerz kommen, der sich jedoch schnell legt. Empfohlen wird die Faszienmassage etwa zwei- bis dreimal pro Woche. In Phasen inten­ siver körperlicher Belastung oder bei akuten Rückenschmerzen kann es jedoch sinnvoll sein, sehr intensiv, bis zu fünfmal täglich zu rollen. Ziel ist vor und nach der sportlichen Belastung die Muskelspannung zu senken, um lockerer starten zu können und nachher Spannung aus der Muskulatur zu holen. So kann der im Laufe eines Ski-Urlaubs häufig auftretenden schritt­ weisen Verkrampfung des Körpers aktiv ent­ gegengearbeitet werden. Die Faszienmassage kann dabei gut mit anderen entspannenden Massnahmen wie Sauna oder Schwimmen kombiniert werden. Gezieltes Krafttraining gegen Überlastung Ein gezieltes Krafttraining für den ganzen Kör­ per hilft, Überlastungen des muskulären Sys­ tems beim Skifahren zu reduzieren und stellt die optimale Prophylaxe für Rückenschmerzen dar. Damit das Training effektiv wird, sollte man mindestens drei Monate vor den geplan­ ten Skiferien beginnen und nach Möglichkeit dreimal pro Woche trainieren. Wichtig ist, dass das Training individuell angepasst erfolgt und der gesamte Körper trainiert wird. Auch wenn man bereits Erfahrung mit Krafttraining hat, empfiehlt es sich, hierzu die Hilfe eines profes­ sionellen Trainers in Anspruch zu nehmen. Ziel des Trainings ist es, die Muskulatur zu stärken, um einer Überlastung und den beschriebenen Schutzmechanismen des Körpers vorzubeugen. Funktionell oder strukturell – das ist die Frage Ob die Rückenschmerzen, die einen regelmäs­ sig im Skiurlaub plagen, funktionell sind, oder ob ihnen vielmehr eine strukturelle Ursache wie ein Bandscheibenvorfall oder ein Ver­ schleiss der Wirbelsäule zugrunde liegt, sollte in einem ärztlichen Check-up überprüft wer­ den. Häufig kommen funktionelle und strukturelle Probleme auch in Kombination vor, das heisst eine strukturelle Veränderung führt erst durch das Auftreten muskulärer Überlastung zu Schmerzen. Eine gezielte Therapie kann dann erforderlich sein, bevor man selbst anfangen sollte, aktiv etwas gegen seine Rückschmerzen Dr. Gregor Deitmer zu tun. www.crossklinik.ch Dr. Gregor Deitmer Sportmediziner an der crossklinik Basel Mai 2016 Snowactive 47