68-Jahre-Selbstbefreiung-KZ Buchenwald_Innenseiten

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68. Jahrestag
Selbstbefreiung
der Häftlinge
KZ Buchenwald
2013
Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora e. V.
Inhalt
Gedenken in der KZ-GedenkstätteMittelbau-Dora
– 12. April 2013
5
Jens-Christian Wagner 7
Christine Lieberknecht 11
Ryszard Szklany 17
General Louis Garnier 23
Gedenken an die Ermordung Sowjetischer
Kriegsgefangener – 13. April 2013
Wilfried Beater – Zum Gedenken
am Pferdestall am 13. April 2013 35
33
Zeitzeugen 41
Gedenkstein für das sowjetische Kriegsgefangenenlager 45
Das IV. Treffen der Nachkommen – 14. April 2013
Das Buchenwald-Lied 48
Besuch in Minsk 49
Meine Erinnerungen an schreckliche Zeiten 51
Heinrich Fink 56
Günter Pappenheim 60
Impressum
c/o Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora e. V.
Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin
Auflage: 1 000 Exemplare
Redaktion: Gerhard Hoffmann, Frankfurt (Oder)
Umschlag: Gerhard Hoffmann, Frankfurt (Oder) ©
Fotos: Gerhard Hoffmann (30), Peter Hochmuth (5), Carsten Wölk (1)
Satz: Heinz Schneider, Erkner
Druck: Druckerei Häuser KG, Köhlstraße 45, 50827 Köln
Peter Kleine 65
Jens Binner – Zum Hintergrund
der Massentransporte sowjetischer Gefangener i
n das Konzen­trationslager Buchenwald 1943/44 68
Boris Romanchenko 76
Ottomar Rothmann 79
Bertrand Herz 83
3
47
Heinrich Fink 85
Lena Sarah Carlebach 87
Erklärung 94
Заявление 96
Der Schwur von Buchenwald 98
Gedenken auf dem Ehemaligen Appellplatz
Buchenwald – 14. April 2013 Bertrand Herz – Allocution d’Introduction –
Cérémonies du 14 avril 2013 103
Grußwort zur Gedenkfeier am 14. April 2013 105
Gegen den Missbrauch von KZ-Gedenkstätten 109
101
Gedenken
in der KZ-Gedenkstätte
Mittelbau-Dora
12. April 2013
Albert Dlabaja 112
4
5
Dem 4. Treffen der Nachkommen in der Gedenkstätte Buchenwald am 13. und 14. April 2013 ging am 12. April 2013 eine Gedenkveranstaltung voraus, die in der Verantwortung der Gedenkstätte KZ Mittelbau-Dora lag.
Der Chronologie folgend dokumentieren wir dieses würdevolle
Gedenken, an dem Vertreter der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora teilnahmen.
Es gilt das gesprochene Wort!
Jens-Christian Wagner
Leiter der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora
Gedenkveranstaltung zum 68. Jahrestag der Befreiung des
KZ Mittelbau-Dora, 12. April 2013
Sehr geehrte Damen und Herren, vor allem aber sehr verehrte
Überlebende der KZ Buchenwald und Mittelbau-Dora, sehr herzlich begrüße ich Sie alle in der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora.
Gestern vor 68 Jahren rückten amerikanische Soldaten in Nordhausen ein und befreiten einige Hundert KZ-Häftlinge in Dora
und in der Boelcke-Kaserne. Alle anderen Gefangenen der
Mittelbau-Lager, mehr als 40 000 Männer und einige Hundert
Frauen, hatte die SS zuvor auf Todesmärsche geschickt. Die
Überlebenden befanden sich zum Teil noch im Mai 1945 in den
Händen der SS. Für sie ist der 11. April allenfalls ein symbolischer Befreiungstag.
Vor allem aber ist er ein Gedenktag; er erinnert an über 20 000
Menschen, die Mittelbau-Dora nicht überlebten – politische
Häftlinge, Juden, Sinti und Roma, Zeugen Jehovas, Kriegsgefangene, Verurteilte der Wehrmachtsjustiz sowie als homosexuell,
asozial oder kriminell Verfolgte.
Weil Gedenken und Erinnerung immer auch Wissen und eine
kritische Auseinandersetzung beinhalten sollten, stellen wir die
Veranstaltungen zum Jahrestag der Befreiung des KZ MittelbauDora unter ein inhaltliches Leitthema. Im vergangenen Jahr waren es die Sinti und Roma in Mittelbau-Dora, im kommenden
Jahr werden es jüdische Häftlinge sein, und in diesem Jahr ist es
das Thema Widerstand.
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Vor 80 Jahren, am 30. Januar 1933, kamen die Nationalsozialisten
in Deutschland an die Macht. Viele Deutsche begrüßten die Diktatur freudig. Doch es gab auch Deutsche, wenn auch eine Minderheit, die Widerstand leisteten. Das Regime bekämpfte seine
politischen Gegner mit Terror und brutaler Gewalt. Zehntausende verschwanden in Gefängnissen und Konzentrationslagern,
viele wurden ermordet.
1939 begann mit dem deutschen Überfall auf Polen der Zweite
Weltkrieg, der von deutscher Seite aus von Beginn an als Raubund Vernichtungskrieg geführt wurde. Doch die Europäer wehrten sich. Überall kämpften Widerstandsgruppen gegen die Besatzer, die mit brutalem Terror herrschten und Hunderttausende
in die Konzentrationslager deportierten. Dort setzten viele den
Widerstand fort und bezahlten das mit ihrem Leben. Darauf verweisen in Dora der Arrestzellenbau und die benachbarte Hinrichtungsstätte, die wir im vergangenen Jahr zu einem würdigen Gedenkort gestaltet haben. Heute Nachmittag übergeben wir diesen
Ort der Öffentlichkeit.
Wie Häftlinge in Mittelbau-Dora Widerstand leisteten und welche Gefahren damit verbunden waren, wird uns General Louis Garnier berichten. Als Mitglied der französischen Résistance
wurde er im Januar 1944 nach Buchenwald und wenig später in
das KZ Mittelbau-Dora deportiert.
Herr Garnier, es ist eine große Ehre für uns alle, dass Sie heute
zum 68. Jahrestag der Befreiung Buchenwalds und MittelbauDoras die Gedenkansprache halten.
Ein besonders eindrückliches Beispiel für Widerstand und Selbstbehauptung in den Lagern sind Zeugnisse aus dem KZ-Außenlager Holzen, die seit April 1945 als verschollen galten und im
vergangenen Jahr völlig überraschend wieder aufgetaucht sind.
Es handelt sich um Zeichnungen und schriftliche Dokumente,
die 1944/45 von den beiden Franzosen Camille Delétang und Armand Roux als Zeugnisse für die Nachwelt angefertigt wurden.
Delétangs Porträtzeichnungen rufen nicht nur viele Häftlinge in
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Erinnerung, die die Befreiung nicht erlebten, sondern sie verweisen auch auf gemeinsame Widerstandsgruppen polnischer und
französischer Gefangener.
Während des Todesmarsches von Holzen nach Bergen-Belsen
gingen die Dokumente am 8. April 1945 beim Massaker von Celle verloren. Niemand wusste, dass sie von einer Anwohnerin gefunden worden waren.
Ihre Familie übergab sie im Sommer letzten Jahres der Gedenkstätte, und nun präsentieren wir sie in der Ausstellung „Wiederentdeckt“, die im Anschluss an die Kranzniederlegung in der ehemaligen Feuerwache eröffnet wird, erstmals der Öffentlichkeit.
Für die Eröffnung der Ausstellung sind Gäste angereist, die ich
sehr herzlich begrüßen möchte – allen voran Dominique Garou
und Jean-Claude Roux und ihre Angehörigen als Vertreter der
Familien Delétang und Roux.
Dass Sie heute mit uns gemeinsam die Ausstellung mit den Zeugnissen Ihrer Großväter eröffnen werden, bewegt mich sehr.
Auch Frau Zylbermann möchte ich sehr herzlich begrüßen. Als
jüdisches Kind überlebte sie die Deportation nach Deutschland,
doch ihr Vater, der nach Holzen verschleppt wurde, starb. Es ehrt
und bewegt uns, dass Sie heute hier sind!
Danken möchte ich Herrn Prof. Klaus-Heinrich Standke, dass
das „Weimarer Dreieck“ die Schirmherrschaft über die Ausstellung übernommen hat, und ich danke sechs Stiftungen bzw. Firmen für die großzügige finanzielle Förderung derAusstellung:
• Arbeitsgemeinschaft selbständiger Kulturinstitute (AsKI)
• Kulturstiftung des Freistaats Thüringen
• Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen (Dr. Wurzel)
• Stiftung EVZ
• Stiftung der Kreissparkasse Nordhausen (Wolfgang Asche)
• Volkswagen AG (Manfred Grieger)
Noch eine zweite Ausstellung wird heute eröffnet. Sie können sie,
wenn Sie sich in diesem Raum umblicken, alle sehen: Es handelt
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Es gilt das gesprochen Wort!
sich um die fotografische und Text-Dokumentation einer Reise,
die Philippe Alkemade, Philippe Touzet und Jean-Pierre Tiercelin 2010 anlässlich des 65. Jahrestages der Befreiung nach Buchenwald, Dora und Ellrich führte. Allen dreien danke ich sehr,
dass wir die Ausstellung hier präsentieren dürfen!
Christine Lieberknecht
Sehr geehrte Damen und Herren, haben Sie nochmals vielen
Dank, dass Sie heute so zahlreich erschienen sind. Ich wünsche
Ihnen und uns einen würdigen Gedenktag, an dem diejenigen im
Mittelpunkt stehen, die heute unsere Ehrengäste sind: die ehemaligen Häftlinge und deren Angehörige.
Vielen Dank.
Grußwort zur Gedenkveranstaltung in der KZ-Gedenkstätte
Mittelbau-Dora, 12.April 2013
Ministerpräsidentin des Freistaats Thüringen
Sehr geehrte Frau Klaubert, Vizepräsidentin des Thüringer
Landtages,
sehr geehrter Herr Herz, Vorsitzender des Internationalen
Komitees Buchenwald-Dora,
sehr geehrter Herr Garnier, Überlebender, Mitglied des Beirates
ehemaliger Häftlinge des KZ Mittelbau-Dora,
sehr geehrter Herr van Hoey, Vorsitzender des Beirates
ehemaliger Häftlinge des KZ Mittelbau-Dora,
sehr geehrte Überlebende der Konzentrationslager Buchenwald,
Mittelbau-Dora und der Außenlager,
sehr geehrter Herr Szklany, Gesandter-Botschaftsrat der
Botschaft der Republik Polen,
sehr geehrter Herr Prof. Dr. Deufel, Staatssekretär TMBWK,
sehr geehrter Herr Rieder, Staatssekretär TIM,
sehr geehrter Herr Dr. Zeh, OB von Nordhausen,
sehr geehrter Herr Prof. Knigge, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora,
sehr geehrter Herr Dr. Wagner, Leiter der Gedenkstätte
Mittelbau-Dora,
mein besonderer Gruß gilt den ehemaligen Häftlingen der Konzentrationslager Buchenwald und Mittelbau Dora und ihren
Angehörigen.
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Sie sind heute in die „kalte Hölle“ von Mittelbau Dora zurückgekehrt, an die Stätte, an der Sie unvorstellbares Leid erfahren
haben, um mit uns Ihrer toten Kameraden und aller Opfer der
nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu gedenken.
Der Weg hierher, an den Ort Ihres Leidens, ist Ihnen nicht leicht
gefallen. Hier waren Sie tief im Berg lebendig begraben und täglich den Höllenknechten, der SS, und deren Willkür ausgeliefert.
Dazu kamen Hunger und Kälte und das teuflische Programm Ihrer Peiniger – das „Vernichtung durch Arbeit“ hieß als Zwangsarbeit für die deutsche Rüstungsindustrie. Viele Ihrer Kameraden
haben die schweren Monate des Stollenausbaus und die Brutalität
der SS-Männer während der Zwangsarbeit im KZ und auf den
Todesmärschen nicht überlebt.
Die vollkommene Entmenschlichung zeigte sich im Besonderen
bei der Evakuierung der Lager und auf den Todesmärschen wenige
Tage vor Kriegsende. Die Niederlage und den eigenen Untergang
vor Augen, töteten die SS-Schergen noch Tausende Häftlinge
aus den Lagern Mittelbau-Dora und Buchenwald auf bestialische
Weise.
Doch auch in dieser Hölle, in dieser Finsternis war Licht möglich. Dieses Licht zeigte sich in dem Willen der Häftlinge, der
Hölle, der Finsternis und den Peinigern zu widerstehen und sie
leisteten Widerstand. Dieser Widerstand reichte von der reinen
Selbstbehauptung bis hin zu organisierten Widerstandsaktionen.
Diesen Willen zur Selbstbehauptung beschreibt der ehemalige
Häftling François Le Lionnais in seinem Artikel „Die Malerei
in Dora“. Er schildert darin, wie das geistige Befassen mit der
bildenden Kunst für ihn zur Überlebenshilfe wurde. So lässt er in
seinen Imaginationen neue Kunstwerke entstehen. Diese geistige
und künstlerische Selbstverteidigung unter den schrecklichsten
äußeren Bedingungen wird dadurch zum Widerstand, indem sich
Le Lionnais menschlich nicht brechen und beugen lässt. Geist
und Kunst sind die Waffen seines individuellen Widerstands, den
er auf so erschütternde Weise beschreibt:
„Solchermaßen verbrachte ich die Tage in Dora, während der
endlosen Appelle im Schnee und im kalten Winterwind. Mein
Spiel jetzt perfekt beherrschend, brauchte ich nicht einmal mehr
die von anderen Malern gemalten Leinwände, um meine eigene
Welt der Farben und Formen zu schaffen. Einige Wochen vor der
Befreiung hatte ich genügend innere Elastizität zurück gewonnen, um mich erneut einem meiner alten Laster hinzugeben: der
Malerei im Geiste … Ich habe mich zum Spezialisten betörender
Landschaften und ungeheuerlicher Gesichter aufgeworfen.“
Weiter beschreibt Le Lionnais, dass die Erinnerungen an die
„Passacaglia“ von Bach ihm dabei halfen, eine besonders „scharfe
Desinfektion“ zu überstehen oder das ihm die Erinnerungen an
die Dichter – Shelley, Rimbaud oder Éluard – gerade in jenen
Momenten kamen, als für ihn der Hunger am größten war. Die
bildende Kunst, die Musik und die Literatur geben ihm die Kraft
und die Hoffnung, die Hölle von Dora zu überleben. Der innere
Widerstand war Überlebenswille, war sein Lebenszeichen!
Auf völlig andere Weise leistete Oberst Camille Delétang mit seinen gemalten Bildern und den Porträts seiner Mithäftlinge Widerstand. Ich bewundere den Mut von Oberst Delétang, denn
jegliche Art der künstlerischen Betätigung – sei es schreiben oder
malen – waren im KZ bei Todesstrafe verboten. Mit seinen Porträtzeichnungen leistete Oberst Delétang also offenen Widerstand.
Mit seinen 130 Porträtzeichnungen gab er seinen Kameraden wieder ein Gesicht und damit ihre Persönlichkeit und ein Stück Menschenwürde zurück. Damit sind einmalige künstlerische Zeitzeugen entstanden und uns erschüttert, dass viele der porträtierten
Mitgefangenen die Gräuel von Mittelbau-Dora nicht überlebten.
Es ist eine kleine Sensation, dass wir diese Bilder, nachdem sie
mehr als ein halbes Jahrhundert verschollen waren1, heute wieder
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1 Der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora wurde kürzlich von einer Familie aus Celle ein einzigartiger Fund übergeben: eine Mappe mit etwa
150 Häftlingszeichnungen sowie handschriftliche Dokumente samt einem
Häftlingstagebuch aus dem KZ-Außenlager Holzen im Weserbergland
(Niedersachsen). Über 67 Jahre galten die Zeichnungen und Dokumente
als verschollen. Die Zeichnungen, darunter 130 eindrucksvolle Porträts von
Häftlingen, stammen überwiegend vom französischen Oberst Camille Delétang (1886–1969).
zu tun, dass sich diese schrecklichen Verbrechen an der Menschheit niemals wiederholen können.
Einen wichtigen Beitrag der Prävention leisten Zeitzeugen, die
durch ihr Zeugnis und ihre Authentizität uns die Geschichte dieser Verbrechen und Gräuel lebendig näher bringen. Wie wichtig
es ist, Zeitzeugen Gehör schenken zu dürfen, hat an Wertschätzung einmal mehr seit dem schmerzlichen Tod Stepháne Hessels
gewonnen. Leider war durch seinen plötzlichen Tod eine Begegnung mit ihm nicht mehr möglich und ich konnte den Thüringer
Verdienstorden vor wenigen Tagen in Paris aber posthum seiner
Witwe überreichen.
Zeitzeugen bewahren das Gedächtnis Buchenwald und geben es
als ihr Vermächtnis an uns weiter. Buchenwald und MittelbauDora sind Lernorte der Geschichte gegen das Vergessen.
Sie sind Mahnung für uns, wachsam zu sein und wachsam zu bleiben und empfindlich wie ein Seismograph auch auf die geringsten
Erschütterungen unseres demokratischen Selbstverständnisses zu
reagieren.
Wir sind für ein NPD-Verbotsverfahren. Wir dürfen die Anhänger rechtsradikaler Ideen nicht verharmlosen, denn sie sind mit
ihrem menschenverachtenden aggressiv verfassungswidrigen Verhalten eine Gefahr für unseren Rechtsstaat.
Wir müssen mehr Fingerspitzengefühl zeigen und richtige Signale setzen: Ich finde es nicht in Ordnung, dass im Prozess um
die NSU-Morde, denen acht türkische und ein griechischer Mitbürger zum Opfer fielen, die Vertreter der türkischen und griechischen Presse keinen Zutritt erhalten sollen. Die Welle der
Empörung im In- und Ausland ist verständlich. Und es ist sehr
zu wünschen, dass eine angemessene gemeinsame Prozessbeobachtung vielleicht doch noch gelingt.
Wir brauchen auf der anderen Seite noch viel mehr Beispiele des
tatkräftigen Engagements gegen Intoleranz, gegen Fremdenhass,
für Demokratie und Menschenrechte. Wir müssen Flagge zeigen,
so wie Nordhäuser Bürger, die sich bei einer Gedenkveranstaltung für die Bombenopfer der Stadt mutig den Demagogen der
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betrachten können und dass wir heute die Ausstellung seiner Bilder als „Wiederentdeckt. Zeugnisse aus Holzen“ eröffnen können.
Mein besonderer Dank gilt an dieser Stelle der Deutsch-Französischen Kulturstiftung, der Volkswagen AG und dem Weimarer
Dreieck, die die Schirmherrschaft über diese Ausstellung übernommen haben.
Wir wollen, dass diese wie viele andere Dokumente im Gedächtnis der Menschheit bewahrt bleiben.
Auch deshalb unterstützt die Thüringer Landesregierung die Bewerbung der Gedenkstätte Buchenwald für eine Aufnahme in die
UNESCO-Liste des Kultur- und Naturerbes der Welt. Das Wissenschaftsministerium hat bereits einen Antrag an die Kultusministerkonferenz gesandt. Der Antrag der Gedenkstätte Buchenwald und Mittelbau-Dora stützt sich auf die Doppeldeutigkeit des
Ortes Weimar und ordnet sich in die Darstellung der Extreme
des 20. Jahrhunderts ein.
Die Parallelen zwischen den beiden Gedenkorten – Buchenwald
und Mittelbau-Dora – ergeben sich aus der Verbindung Weimars
mit der Hochstufe eines humanistischen Weltbildes in der Literatur der deutschen Klassik und der Barbarei auf dem Ettersberg;
und Mittelbau-Dora steht als Sinnbild der Versklavung von Menschen und der Verbindung von Höchstleistungen in der Naturwissenschaft und in der Technologie, die es Jahrzehnte später möglich
machten, die Menschheit auf den Mond zu führen. Dieses enge
Beieinander von menschlichem Abgrund – Mord, Verfolgung,
Zynismus und Tyrannei – und dem klassischen Humanitätsideal
sowie höchster menschlicher Intelligenz steht als Paradigma für
die Ambivalenz des 20. Jahrhunderts. Daraus ergibt sich für uns,
die Menschen im 21. Jahrhundert, die Verpflichtung, alles dafür
NPD in den Weg stellten. Die Nordhäuser Bürger haben wie viele Thüringer zum Beispiel die Bürger in Weimar, Jena und Gera
gezeigt, dass Demokratie von aktiven Bürgerinnen und Bürgern
lebt. Mit diesem bürgerschaftlichen Engagement bieten wir dem
braunen Ungeist unsere Stirn und verteidigen die Demokratie.
Mit diesem demokratischen Engagement wollen wir gemeinsam
eine Zukunft im Miteinander gestalten, in der Freiheit, Toleranz
und Menschenwürde im Mittelpunkt stehen.
Es gilt das gesprochene Wort!
Ryszard Szklany
Gesandter-Botschaftsrat der Botschaft der Republik Polen
Grußwort zur Gedenkveranstaltung in der KZ-Gedenkstätte
Mittelbau-Dora, 12.4.2013
Sehr geehrte Damen und Herren,
wir treffen uns heute zum 68. Jahrestag der Befreiung der wenigen hier noch am Leben verbliebenen Menschen und wollen, wie
jedes Jahr, anschaulich machen, dass wir die Opfer des Nazi-Regimes in Erinnerung behalten.
Sehr geehrte Damen und Herren,
am 1. September 1939 konnte niemand vorhersehen, dass jener
Tag das Schicksal Polens und Europas für die nächsten Jahrzehnte bestimmen würde. Der damals abgefeuerte erste Schuss war
auch der Beginn unermesslichen Leids für Millionen Menschen,
wobei der Anteil der Zivilisten, insbesondere in den besetzten
Ländern, sehr hoch war.
Auch hier in Dora zeigte der Mensch die bösartige Seite seiner Natur in jeder nur erdenklichen Weise. Unmittelbar nach dem Krieg
hielt es beinahe niemand für möglich, dass die tiefen Wunden
jemals heilen würden. Doch der Versöhnungsprozess zwischen
den europäischen Völkern und den Deutschen hat uns letztendlich auch den Glauben an die Menschen geschenkt. Das Gute der
menschlichen Natur hat wieder die Oberhand gewonnen. Unser
gegenseitiges Vertrauen verpflichtet uns nun, die Erinnerung an
die Kriegsgeschehnisse ständig zu bewahren. Diese Aufgabe dürfen wir nicht aus den Augen verlieren. Wichtig ist die alle unsere
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Herzen erfreuende Versöhnung. Die heutige alltägliche, tüchtige Zusammenarbeit unserer Länder in dem großen ­europäischen
Integrationsprozess ist zu einer Selbstverständlichkeit geworden.
Damit die von uns nun gelebte europäische Eintracht nicht gefährdet wird, brauchen wir eine ehrliche Erinnerungskultur, ja
Erinnerungspolitik. Wenn das Gegenteil mancherorts geschieht,
wenn es eine institutionell verabreichte Amnesie und es die politisch oder sentimental-politisch motivierten Versuchungen gibt,
die bisher unanfechtbare Beurteilung der Kriegsverbrechen zu relativieren, zu mildern oder gar zu bezweifeln, dann sind wir mit
einem sehr gefährlichen Spiel konfrontiert.
Leider muss man auch das gestehen, mangelte es immer an der
objektiven Beurteilung der verbrecherischen Schuld der Nazihenker. Und das in allen möglichen Konstellationen und aus unterschiedlichsten Beweggründen. Sogar gleich nach 1945, wo die
Wunden noch nicht geheilt waren, gab es, das muss eben hier in
Dora gesagt werden, an der Seite der Alliierten die ersten kalten
Kalkulationen, dass auch die Nazis der schlimmsten Sorte nützlich und somit straffrei sein konnten.
Wir erinnern uns, dass es die für die Raketenforschung der USA
wichtige Operation Paperclip gab. Es gab viele Umstände, warum
viele Naziverbrecher, unter ihnen auch die Angehörigen der Lagermannschaft Dora-Mittelbau von der gerechten Bestrafung im
Münchner Dora-Prozess und in den späteren Gerichtsanläufen
geschont wurden.
Versagt hatte auch die deutsche Nachkriegsjustiz. Aus Solidarität
mit den Tätern gab es immer wieder die Worte zu hören wie Verhandlungsunfähigkeit, Haftverschonung und Strafaufschub. Mit
der fortschreitenden Zeit mangelte es zunehmend an Zeugen und
Beweisen. Viele Verbrecher sind bei Kriegsende untergetaucht.
Die Entnazifizierung verlor im Zuge des Kalten Krieges zunehmend an Bedeutung. Eine allmähliche Abmilderung der Urteile
und vorzeitige Entlassungen aus der Haft fanden statt.
Es geht heute nicht mehr um die damaligen juristischen Tricksereien. Wenig interessieren uns nun die heute noch am Leben
verbliebenen Greise, die einstigen Wächter der verbrecherischen
KZ-Ordnung, die im verschiedenen Rang und unterschiedlicher
Hingabe dem „Dritten Reich“ gedient hatten.
Wichtig ist es zu wissen und immer wieder zu betonen, dass das
Verschweigen oder Vertuschen von Taten, für die ja keine Verjährung gilt, sehr gefährlich ist.
Wenig Wert werden die Beteuerungen über eine Freundschaft in
virtuell erdachten geometrischen Konstellationen haben, wenn
das nicht weit von Weimar entfernte damalige Dora-Dreieck aus
dem Gedächtnis der Polen, der Franzosen, der Deutschen und aller Europäer verschwindet. Der verbal deklarierten Versöhnung
und Freundschaft muss die ehrliche Geschichtsstunde der Jungen
im eigenen Lande zu Grunde liegen. Und dafür ist jedes Mittel
recht.
Es gibt zahlreiche schriftliche und veröffentlichte Erinnerungen.
Die meisten verdanken wir den damaligen französischen Lagerinsassen. Ich habe auch Erinnerungen der polnischen DoraHäftlinge gelesen, zerstreut im Internet und mit Sicherheit nicht
alle übersetzt ins Deutsche oder Französische. Es gibt Ausstellungen, es gibt ein gewaltiges Engagement der Menschen auch
hier in der vom Herrn Dr. Jens-Christian Wagner beispielhaft
geleiteten Gedenkstätte. Es gibt das Museum „La Coupole“ in
Frankreich. Schließlich haben wir das Kunsterbe der hier und in
anderen KZs eingekerkerten Menschen.
Es gibt Werke von Maurice de la Pintière, von José Fosty und des
heute in Erinnerung gerufenen Camille Delétang. Ein ehemaliger polnischer Dora-Häftling erzählte in seinen Erinnerungen,
dass dem im Lager herrschenden Terror zum Trotz die Menschen
die wichtigsten Werte und die innere seelische Freiheit bewahren
konnten. Als sehr hilfreich hierfür galten die Momente, in denen
sie miteinander über die Literatur, die Poesie reden konnten. Er
sprach auch vom Zeichnen. Vielleicht dachte er an den französischen Mitinsassen Camille Delétang …
Der Sinn des Widerstands im KZ war, möglichst viele Menschen dem Tod und der Verzweiflung zu entreißen, aber auch
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ihre Würde zu bewahren. Die Portraits von Camille Delétang
sind Zeugnisse vom Selbstwertgefühl und Unbeugsamkeit seiner
Leidensgenossen. In einem dem Celle-Fund gewidmeten Bericht vom September 2012 schrieb die britische Daily Mail erstaunt, was für Normalität, Menschenwürde und Nostalgie aus
den Delétang-Zeichnungen strahlt. Und das in dem Inferno eines
Konzentrationslagers.
Die französische Zeitung La Nouvelle République schrieb dazu:
„Les portraits des déportés dessinés par Delétang sont en effet saisissants“. Das sind in der Tat helle Sternzeichen des Optimismus
und der Zuversicht.
Ich danke Ihnen.
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Es gilt das gesprochene Wort!
General Louis Garnier
Überlebender des KZ Mittelbau-Dora und Ehrenpräsident der Association française Dora, Ellrich et Kommandos
Ansprache zur Gedenkveranstaltung in der KZ-Gedenkstätte
Mittelbau-Dora, 12.April 2013
Sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin,
Sehr geehrter Herr Botschafter,
Sehr geehrter Herr Bürgermeister,
Lieber Herr Wagner,
Liebe Freunde,
Bevor ich mit diesem Überblick über den Widerstand in Dora anfange, halte ich es für wichtig, Stéphane Hessel in Erinnerung zu
rufen, dessen Tätigkeit weit über den Bereich der Erinnerung an
die Deportation hinausgeht, der darin aber eine Hauptrolle gespielt hat und uns vor kurzer Zeit verlassen hat.
Und jetzt komme ich zum Kern der Sache:
Der Widerstand in den Konzentrationslagern hat zahlreiche
Zeugnisse hervorgebracht, die von den Historikern genau geprüft wurden. Er ist jetzt eine erwiesene Tatsache. Für diejenigen,
die wegen Widerstandshandlungen verhaftet worden waren, war
dieses Verhalten normal. Aber durch die Misshandlungen wurde
anderen Häftlingen das Wesen des Nazismus bewusst, was bei
ihnen ähnliche Reaktionen verursachte.
Aber was soll man in den Begriff Widerstand einschließen?
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Für mich impliziert Widerstand Risiko. Diesen Gesichtspunkt
will ich jetzt entwickeln. Ich werde die Bücher und Zeugnisse,
die ich gelesen habe, aber auch meine persönlichen Erfahrungen
nutzen, um zu versuchen, Ihnen einen möglichst vollkommenen
Überblick über den Widerstand in Dora und seinen Nebenlagern
zu geben.
Nahrung zu entwenden, um sie mit Kameraden zu teilen, war ein
Mittel, das knappe Alltagsessen zu verbessern. Unser Kamerad
Dutillieux erzählt in seinem Buch „Das Lager der Geheimwaffen“, wie der kleine Léon, der in Frankreich Strafgefangener war,
im SS-Vorrat mit einem Besen, den er mit Nägeln versehen hatte,
Kartoffeln stiehlt, die er mit seinen Kameraden teilt. Schließlich
wird er entdeckt und schwer geprügelt.
Das war ein geläufiges Verhalten, obgleich so ein originelles Verfahren selten benutzt wurde.
Erwähnt wird auch der Fall von Ärzten oder Krankenpflegern,
die auf eigenes Risiko in der SS-Apotheke Arzneien stahlen, um
sie ihren Kameraden zu geben.
Während der Existenz des Lagers Dora entwickelte sich der Krieg
zuungunsten von Deutschland. Über die Ereignisse auf dem Laufenden gehalten zu werden, half den Häftlingen durchzuhalten.
Deshalb hörten einige Kameraden, die das konnten, Radio, insbesondere englisches Radio. Über diskrete Wege verbreiteten sich
nachher die Nachrichten, die man so bekommen hatte.
In diesem Zusammenhang habe ich eine genaue Erinnerung:
Am 6. Juni 1944 arbeitete unser Kommando an dem Teil des
Zauns, der am entferntesten vom Eingang im Wald lag. Während
des Vormittags kam heimlich der Abbé Amyot d’Inville zu uns,
der im Januar 1945 in Dora gestorben ist. Er hat uns angekündigt,
dass die Alliierten in der Normandie gelandet waren und ist dann
genauso diskret wieder verschwunden.
Oft suchten Häftlinge auch Trost und theologischen Beistand bei
einem Priester. Soweit ich mich dessen entsinne, wurden ein oder
zwei Atheisten zum Katholizismus bekehrt. Dies war von der SS
nicht erwünscht.
In Dora wie in den anderen Lagern wurde die Frage gestellt, wie
sich die Nazis im Falle des Sieges der Alliierten gegenüber den
Häftlingen verhalten würden. Die Furcht, von der SS vor ihrer
Ankunft liquidiert zu werden, hat einige Prominente dazu gebracht, eine Organisation zu gründen, die sich diesem Massaker
widersetzen sollte. Diesem Plan nach sollten einige SS-Männer
liquidiert werden, ihre Waffen in Besitz der Häftlinge genommen
werden und die SS bis zur Ankunft der Alliierten zurückgehalten
werden.
Obgleich dieser Plan wenig Aussicht auf Erfolg hatte, verdiente er
es, gewagt zu werden.
Gewisse Mitglieder dieses Komplotts waren zu geschwätzig. Es
wurde aufgedeckt, was die Verhaftung vieler Teilnehmer verursachte, die hart vernommen wurden. Manche von ihnen wurden
liquidiert, andere retteten ihr Leben. Marcel Petit war einer der
Franzosen, die in diesem Komplott tätig waren. Als er verhaftet
worden war, war er Direktor der tierärztlichen Hochschule von
Toulouse. In Buchenwald habe ich das Glück gehabt, mit diesem
bemerkenswerten Mann bekannt zu werden und bin mit ihm in
Dora in Kontakt geblieben. Im Mai oder im Juni 1944 hat er mit
mir über das Komplott gesprochen und gefragt, ob ich bereit wäre,
im richtigen Moment an der Operation teilzunehmen. Ich hatte
ihm meine Zustimmung gegeben und die der drei Kameraden der
kleinen Gruppe, der ich angehörte. Glücklicherweise war Marcel
Petit sehr vorsichtig und wurde nicht verhaftet. Diejenigen, die
ihn gut kennen, wissen, dass er, auch wenn er verhaftet worden
wäre, stumm geblieben wäre.
So waren wir nicht beunruhigt.
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Andere Widerstandsarten betreffen die Ausführung der Arbeit. Die am häufigsten angewandte Methode bestand darin, das
kleinste Nachlassen der Aufsicht zu nutzen, was den doppelten
Vorteil hatte, der Kriegsindustrie zu schaden und die Kräfte der
Häftlinge zu schonen. Dies war besonders auf Baustellen der Fall,
bei Erdarbeiten oder der Güterbeförderung. Kaum hatten Kapos
und Vorarbeiter den Rücken gewandt, da ruhte die Kolonne. Im
Allgemeinen war ein Aufsichtssystem organisiert und es wurde
ein vereinbartes Wort benutzt. Bei den Franzosen wurde „vingtdeux“ (zweiundzwanzig) gebraucht, aber in meinem Kommando
fürchteten wir, dass dieses Wort bekannt sei und hatten es durch
„belote“ – den Namen eines Kartenspiels – ersetzt. In seinem
Zeugnis erwähnt mein alter Freund Amate das Merkwürdigste,
was ich kenne. In dem Kommando, dem er angehörte, warnte der
belgische Vorarbeiter so: Er schrie „Faites semblant“ (tut als ob). Es
gab eine andere Methode: sich an einem ruhigen Platz verstecken.
Dieses Verhalten war mit Risiken verbunden. Derjenige, der erwischt wurde, wurde mindestens schwer geprügelt. Oft kriegte er
fünfundzwanzig Gummischläge auf den Hintern. Aber während
der furchtbaren ersten Periode von Dora oder auf den furchtbaren
Baustellen der zweiten Periode wurden Häftlinge wegen Mangel
an Arbeitseifer von den Bestien – SS oder Häftlinge – ermordet.
Natürlich habe ich selber die heimlichen Entspannungsaugenblicke genutzt. Einmal wurde ich von einem SS-Mann überrascht,
der meine Nummer aufschrieb. Mein Kapo, der, obgleich er einen
grünen Winkel trug, kein schlechter Kerl war, hat mir die fünfundzwanzig Schläge erspart.
Bei den Sabotagen war die Absicht, der Kriegsindustrie zu schaden, sehr klar. Sie fanden im Wesentlichen bei der industriellen
Produktion statt.
Bei den Sowjetbürgern existierte eine Organisation. Bei den
Franzosen waren Sabotagen individuelle Aktionen. 1989 hat unser Verein um Berichte gebeten und zahlreiche Antworten erhalten. Einige haben die Häufigkeit der Sabotagen übertrieben. Aber
diese Aktionen brachten, auch wenn sie selten waren, gefährliche
Risiken mit sich.
Daran habe ich zwei schreckliche Erinnerungen. Zweimal, als
wir von Halle 28, wo wir arbeiteten, zurückkamen, sind wir in
einem Hauptstollen auf ein halbes Dutzend Erhängte gestoßen.
Der Sabotage überführt, waren sie an einem Flaschenzug festgemacht und vom Boden hochgezogen worden. Der Mund dieser
abgezehrten Gesichter war von einem Stück Holz geknebelt, um
zu verhindern, dass sie die SS beschimpften. Es war ein entsetzliches Bild.
Meine Arbeit in der Halle 28 bestand darin, den Verschluss der
Türen des Kegelstumpfes des Vorderteils der V2 zu verstärken. Es
handelte sich um eine grobe Arbeit, deren Ergebnis mit bloßem
Auge sichtbar war. Eine Sabotagehandlung wäre einem Selbstmordversuch gleichgekommen. Dies wurde uns bestätigt. Da wir
eines Tages besonders schlecht gearbeitet hatten, schlossen die
Türen nicht gut. Da wurden wir von einer Meute deutscher Zivilarbeiter, mit dem Ingenieur an der Spitze, umgeben. Da haben wir schlimme Minuten erlebt. Die Geistesgegenwart eines
Kameraden, der eine Erklärung erfunden hat, half uns aus dieser
schwierigen Lage.
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Auch die Flucht barg ein großes Risiko. Kameraden haben versucht, sich heimlich aus Dora oder seinen Nebenlagern davonzumachen. Fast alle wurden wieder ergriffen. Sogar Stephane
Hessel, der doch die deutsche Sprache vollkommen beherrschte,
wurde wieder gefasst. Wenn sie ins Lager zurückkamen, wurden
sie zum Schachtkommando eingeteilt, das mit besonders schwerer
Arbeit belastet war und trugen den Fluchtpunkt, ein rotes, rundes
Stück Stoff, das auf ihre Kleider genäht war und ihre Wächter auf
sie aufmerksam machte.
Aber die Sache konnte viel weiter gehen. Ende März oder Anfang
April 1944 hat die SS uns genötigt, dem Hängen von sechs Sowjetbürgern beizuwohnen, die nach ihrem Ausbruch verhaftet worden waren. Die Rolle des Henkers hat der Lagerälteste gespielt.
Diese Erzählung gibt mir die Gelegenheit, eine besonders ehrliche Widerstandshandlung zu erwähnen. Während der ersten
Monate von Dora hatte die SS zwei deutsche Kommunisten, Georg Thomas und Ludwig Szymczak zum ersten und zweiten Lagerältesten ernannt.
Im Februar 1944 haben es diese zwei Prominenten abgelehnt,
Henker von Häftlingen zu sein. Sie verloren ihre Funktion und
wurden mit fünf anderen deutschen Kommunisten am Tag vor
der Räumung des Lagers von der SS ermordet.
Während der Todesmärsche fanden zahlreiche Fluchtversuche
statt. Die kleine Gruppe von vier Häftlingen, der ich angehörte, hat es versucht. Aus dem Lager Ravensbrück, wohin uns eine
erste Evakuierung geführt hatte, wurden wir zu Fuß evakuiert.
Da sind wir von der Kolonne geflohen. Wir wurden am nächsten Tag von einem SS Mann entdeckt. Er führte uns zu einem
Hauptmann der Luftwaffe und schoss mir eine Kugel in die rechte Schulter. Der Hauptmann hat uns befreit und geraten, auf die
Rote Armee zu warten, die kurz darauf gekommen ist. Die meisten Entflohenen, die wieder gefasst wurden, haben dieses Glück
nicht gehabt: Sie wurden liquidiert.
Da alles für Deutschland verloren war, war diese von der Wehrmacht, der SS, dem Volkssturm und der Hitlerjugend betriebene
Verfolgungsjagd der Gipfel des Unsinns und der Barbarei.
Um nicht mit einer so tragischen Note zu enden, erwähne ich
jetzt eine letzte Widerstandsform: die SS und die deutschen Zivilisten zum Besten halten. Die Gelegenheiten für diesen Spaß
waren selten. Ich kann drei erwähnen.
Im Frühling 1944 arbeitete ich im Kommando Zaunbau,das den
Zaun des Lagers weiter ausbauen und an das Stromnetz anschließen sollte. Ihm gehörten etwa fünfzehn Franzosen, fünfzehn Sowjetbürger und ebenso viele italienische Kriegsgefangene an. Wir
arbeiteten auf einer großen Wiese außerhalb des Lagers, wohin
wir jeden Morgen unter der Leitung einiger SS Männer gebracht
wurden, die uns abends zurückführten.
Eines Tages bot ein junger Ukrainer dem Meister einen Blumenstrauß an, den er auf der Wiese gepflückt hatte. Die Blumen
waren mit einem leichten Metallstreifen gebunden: die alliierten
Flugzeuge benutzten diese Streifen, um die deutschen Radaranlagen zu täuschen, und einige lagen auf der Wiese. Der Meister hat
die Ironie des Geschenkes nicht bemerkt.
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Einige Tage später an einem schönen Tag, der die Stimmung entspannte, hat die SS bei der Rückkehr „Lily Marlen“ angestimmt.
Die Italiener, die dank ihrem Kontakt mit dem Afrikakorps dieses Lied kannten, sind in den Chor eingefallen. Als die deutsche
Armee in Russland zu scheitern begann, haben die Propagandadienste der freien Franzosen über das englische Radio ein Lied
singen lassen, das die Melodie von Lily Marlen benutzte, dessen
Text aber für die deutsche Armee nicht schmeichelhaft war. Das
Thema war: Ein Franzose fragte einen deutschen Soldaten über
die Ereignisse in Russland.
Ich zitiere jetzt die letzten Verse des Textes:
Il me repondit ou est foutre. Once les Russes au cul. Er antwortet
mir: „Wir sind kaputt. Die Russen folgen uns dicht am Arsch!“
Als die zweite Strophe angestimmt wurde, hörten wir Pierre Breton, den Führer der kleinen Gruppe, deren Flucht ich eben erzählt
habe, die Fassung des englischen Radios anstimmen. Während
einiger Sekunden waren wir von seiner Frechheit wie versteinert.
Dann, zuerst schüchtern, nachher mit festerer Stimme haben wir
mitgesungen. Und die SS, die Gott sei dank unseren Text nicht
verstanden hat, hat uns liebenswürdig angelächelt.
Später sind wir ins Lager zurückgekommen und waren bis zum
Ende des Tages froh.
Wenn die SS unseren Text verstanden hätte, hätten wir schlimme
Augenblicke durchlebt.
1945 hatte Pierre Breton eine andere Unterhaltung erfunden: mit
einer Nadel durchbohrte er die Reifen der Räder der deutschen
Zivilisten. So hat der Widerstand in sehr verschiedenen Formen
in der Galaxie Dora existiert.
Die letzte, die ich erwähnt habe, war harmlos, aber die anderen
konnten wichtigere Folgen haben. Keine war risikolos. Mehrere
haben zahlreiche Todesopfer von mutigen Männern gekostet.
Aber der Widerstand gegen den Nazismus ist nicht zu Ende.
Wenn fast alle ehemaligen Nazis umgekommen sind, haben die
Neonazis sie ersetzt.
Und der Kampf geht weiter.
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Verschiedene Behörden im Land Thüringen, Doktor Wagner und
seine Mannschaft wirken dabei mit. Der Stadtrat von Nordhausen hat unter der Leitung von Frau Rinke dasselbe getan und ich
bin sicher, dass der neue Bürgermeister, Herr Dr. Klaus Zeh, denselben Kampf kämpfen wird.
Und ich bin überzeugt, dass alle anwesenden Personen dieselbe
Denkweise vertreten.
Ich bin glücklich, Ihnen allen zu huldigen und zu sagen, dass die
ehemaligen Häftlinge und deren Angehörige Ihr Verhalten hoch
schätzen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Nach den Gedenkansprachen legten die Anwesenden Blumengebinde vor dem ehemaligen Krematorium nieder.
Danach erfolgte die Eröffnung der Ausstellung „WIEDERENTDECKT. Zeugnisse aus dem Konzentrationslager Holzen“ in der
ehemaligen Feuerwache.
Plakat zu Ausstellung „WIEDERENTDECKT. Zeugnisse aus dem
Konzentrationslager Holzen“
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Während der Todesmärsche im April 1945 gingen sie verloren,
im Sommer 2012 tauchten sie völlig überraschend wieder auf:
200 Häftlingsporträts und Aufzeichnungen aus dem Kommando
„Hecht“, einem Außenlager des KZ Buchenwald bei Holzen im
Weserbergland.
Die Porträts stammen von dem Franzosen Camille Delétang, die
handschriftlichen Aufzeichnungen, darunter ein Tagebuch, von
seinem Landsmann Armand Roux. Beide überlebten die Deportation, doch ihre Zeugnisse blieben jahrzehntelang verschwunden.
Gedenken
an die Ermordung
Sowjetischer
Kriegsgefangener
13. April 2013
Die Ausstellung „Wiederentdeckt“ präsentiert den einzigartigen
Quellenfund und zeichnet den Weg der Zeugnisse von ihrer Entstehung 1944/45 über ihren Verlust während des Massakers von
Celle im April 1945 bis zu ihrer Wiederentdeckung im Jahr 2012
nach. (Ausstellungsflyer)
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Der Ermordung von über 8 000 sowjetischen Kriegsgefangenen
ab Sommer 1941 in dem zur Genickschussanlage umgebauten
Pferdestall widmete die Lagerarbeitsgemeinschaft das Gedenken
am 13. April 2013.
Wilfried Beater
Zum Gedenken am Pferdestall am
13. April 2013
An den Grundmauern des Pferdestalls sprach Wilfried Beater.
Gerhard Hoffmann zitierte aus Zeitzeugenberichten.
Mit dem gemeinsamen Gang zum Gedenkstein für das sowjetische Kriegsgefangenenlager, wo Blumen niedergelegt wurden,
endete das Gedenken.
Im Jahr 1941 erteilte Heinrich Himmler den Auftrag, ein Sonderreferat zu bilden, das die Aufgabe hatte, den Mord an politischen
Kommissaren und jüdischen Soldaten der Roten Armee zu organisieren und durchzuführen. Der Chef der Gestapo, Heinrich
Müller und der Chef des Reichssicherheitshauptamtes, Reinhard
Heydrich, übernahmen diese Aufgabe.
Die Exekutionsbefehle wurden vorbereitet und durch Heinrich
Müller bestätigt.
Vor dem Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion standen die SD-Einsatzgruppen bereit, den im so genannten „Kommissarbefehl“ festgelegten Personenkreis zu ermorden.
Der Überfall auf die Sowjetunion erfolgte am 22. Juni 1941. Unmittelbar nach dem Überfall präzisierte Reinhard Heydrich in
seinem Einsatzbefehl Nr. 8 vom 17. Juli 1941 die einzelnen Aufgaben dieser Einsatzgruppen für die Überprüfung der Exekution
und Weiterleitung.
Die sowjetischen Kriegsgefangenen waren in drei Kategorien
einzuteilen.
• Arbeitskräfte und potentielle Verräter der Sowjetmacht wurden in das damalige Reich verschleppt.
• Die als „ politisch untragbar“ Bezeichneten kamen in die KZ
zur umgehenden Exekution.
• Schwache, kranke und verwundete Personen wurden bereits in
Lagernähe liquidiert (ermordet).
Mit einem Befehl des General-Feldmarschalls Keitel wurde die
Wehrmacht in diese Verbrechen einbezogen.
Die bevorstehende Ermordung der als „politisch untragbar“ erklärten Personen sollte geheim gehalten werden. Unter der
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In seiner Ansprache begrüßte der Vorsitzende der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora und Erste Vizepräsident des
Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos,
Günter Pappenheim, besonders herzlich die anwesenden ehemaligen Häftlinge aus der Sowjetunion.
Er hob den hohen Wert internationaler Solidarität im Konzentrationslager hervor. Das Ziel der SS, eine Abkehr von den so
genannten bolschewistischen Untermenschen zu erzeugen, hätte
sich in das Gegenteil verkehrt. Den sowjetischen Gefangenen öffneten sich in einer Welle der Solidarität die Herzen der anderen
Häftlinge im Lager.
Täuschungsmethode einer ärztlichen Untersuchung, zum Zwecke einer Entlassung wurden diese Menschen in die vorbereiteten Genickschussanlagen geführt. In diesen Massenmordanlagen
wurden nach vorsichtiger Schätzung 85 000 sowjetische Gefangene in den Konzentrationslagern umgebracht.
Im KZ-Buchenwald betrug die Anzahl der in der Genickschussanlage (Pferdestall) ermordeten sowjetischer Kriegsgefangener
8 483.
Der ehemalige Buchenwaldhäftling Ludwig Rusch berichtete 1945 über die Vorgänge um die Ermordung sowjetischen
Kriegsgefangenen:
„Im Oktober 1941 wurde mit der systematischen Ausrottung sowjetischer Kriegsgefangener begonnen. War die Ausführung dieser an
wehrlosen Kriegsgefangenen begangenen Morde in ihren Anfängen von tierischer Lust am Töten diktiert – man erschlug, erhängte
und zertrampelte sie – so steigerte sich mit der wachsenden Zahl der
zum „Liquidieren“ bestimmten Kriegsgefangenen auch die Mordtechnik. Sie steigerte sich bis zur ausgeklügelten raffiniert eingerichteten
Mordfabrik.“
(Zitat aus dem Bericht Ludwig Rusch)
Im KZ- Buchenwald wurde diese Mordfabrik in einem Pferdestall errichtet. Das Ergebnis: 8 483 ermordete, hinterrücks erschossene Menschen aus der Sowjetunion – eine brutale Missachtung der Genfer Konvention.
Ludwig Rusch beschreibt die Geschehnisse in dem deutlich erkennbaren Gebäude des Pferdestalls. Aus dem Lager für sowjetische Kriegsgefangene, das sich im KZ Buchenwald befand,
wurden sie auf einen Lastkraftwagen verladen und außerhalb des
Lagers zur „medizinischen Untersuchung, zwecks Entlassung“
gebracht. Sie standen vor dem Pferdestall und wurden von der
Westseite in den Auskleide-Raum getrieben. Sie wussten nicht,
dass sie dieses furchtbare Gebäude an der Ostseite als Leiche, als
von der SS ermordet, verlassen würden. Nackt und ohne ihre wenigen Habseligkeiten wurden sie an eine Messlatte gestellt, ein
SS-Stiefel stieß an die Wand. Das war das Zeichen, aus dem Nebenraum eine Klappe zu öffnen und einen gezielten Schuss in den
Kopf der Opfer abzugeben. Das war perverser, heimtückischer
Mord.
Ludwig Rusch sprach für alle KZ- Häftlinge. „Wir aber werden
nie die bestialische, vom Stolz geblähte Parole der Nazihenker vergessen: ‚Jede Minute eine Leiche!‘ “
Den politischen Häftlingen in Buchenwald ist es zu danken, dass
sie nicht nur das Geschehen der Morde ermitteln konnten, sondern auch die genaue Zahl der Ermordeten festgestellt haben.
Der ehemalige Häftling Armin Walther, der gemeinsam mit den
Häftlingen Herbert Morgenstern und Walter Jurich die Radioanlage, den Telefonanschluss Nr. 99 (Sonder-Kommando 99 =
Mordkommando Pferdestall) und die Funk- und Fernschreibverbindung technisch betreute, hat diese Informationsquellen abgehört und mitgelesen. Es gelang ihnen, die Funksprüche aus der
Gestapo-Zentrale in der Berliner Prinz-Albrecht-Straße mit dem
Rufzeichen „Oma“ zu dechiffrieren.
Diese hießen: Oma-Transport M 65, davon EX. 40 oder OmaTransport M 800, davon EX. 423.
EX. bedeutete: Beseitigen!
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Für alle 1 000 Exekutierten legte Armin Walter ein kleines Stück
Papier in einen Mikrophonbehälter. Die von ihm ermittelte Zahl
lautete 875 im Pferdestall ermordete sowjetische Kriegsgefangene.
1947 wurden in Dachau Vernehmungen zu den Ereignissen im
KZ-Buchenwald durchgeführt.
Zu den Erschießungen sowjetischer Kriegsgefangenen im Pferdestall sagte der beschuldigte SS-Oberscharführer Horst-Ernst
Dietrich, Angehöriger des Kommandos 99 über die von ihm
versuchsweise durchgeführte Erschießung von acht sowjetischen
Häftlingen aus. Somit ergibt sich die Gesamtzahl der heimtückisch ermordeten Menschen von 8 483.
Der Mörder Dietrich wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Die
Adenauer-Regierung sah es als angemessen an, ihn Anfang der
1950er Jahre zu begnadigen!
1961 stand der ehemalige SS-Hauptscharführer Wilhelm Schäfer vor dem Obersten Gericht der DDR. Er bestätigte die Morddurchführung und gab zu, selbst zwischen 100 und 150 Kriegsgefangene im Pferdestall erschossen zu haben. Er erhielt die
Todesstrafe. Diese wurde vollstreckt.
Die Namen der ermordeten sowjetischen Kriegsgefangenen sind
unbekannt!
Die Täter wurden kaum ermittelt und bestraft!
Eine Entschädigung ist nicht erfolgt und auch gesetzlich nicht
festgelegt!
Kann man sich damit zufrieden geben? Nein, man kann und darf
es nicht!
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Gestatten Sie mir, dass ich Ihnen erkläre, warum ich heute hier
spreche.
Mein Vater wurde in eine Wehrmachtsuniform gepresst und in
den faschistischen Krieg geschickt. Sein Ziel war klar. Er scharte
18 Gleichgesinnte um sich und es gelang ihm, diese unverletzt
über die Frontlinie zu bringen. Sie schlossen sich dem Nationalkomitee Freies Deutschland an. Mein Vater trat in die Rote Armee ein und war an Einsätzen hinter den faschistischen Frontlinien als Frontaufklärer tätig. Sein letzter Einsatz erfolgte, um
den Verteidigungsring der zur Festung erklärten Stadt Breslau
(Wrocław) zu durchdringen und dem kommandierenden General
Niehof ein Schreiben von Luitpold Steidle (Bevollmächtigter des
Nationalkomitee „Freies Deutschland“) zur kampflosen Übergabe der Stadt zu überbringen. General Niehof konnte sich nicht
entscheiden. Er opferte sinnlos tausende Menschen und hat die
Stadt Breslau der Zerstörung preisgegeben.
Bei einem Gefecht mit der SS wurde der Freund meines Vaters,
Horst Vieth, getötet.
Mein Vater kam lebend zurück und musste dann das Sterben und
die Zerstörung miterleben.
1945 wurde er von der sowjetischen Administration eingesetzt,
das KZ Sachsenhausen mit aufzulösen. Er sah die Tötungsmaschinerie der SS. 13 000 sowjetische Kriegsgefangene waren dort
die Opfer.
Mit einer faschistischen Wehrmachtsuniform in einen verbrecherischen Krieg geschickt und an der Seite der Roten Armee gegen
Faschismus, gegen diesen Krieg gekämpft zu haben, sah er diese
Verbrechen. Es waren seine Kameraden. Sie kämpften für ihre
Heimat, gegen den Faschismus … mein Vater kämpfte für seine
Heimat ohne Faschismus. Dieses gemeinsame Ziel hat sie verbunden. Sie zu ehren ist unsere Pflicht.
Wenn wir gemeinsam das Lied „Buchenwald ich kann dich nicht
vergessen …“ singen, dann können und dürfen wir nicht vergessen, dass diese sowjetischen Menschen dazu gehören.
Die Verpflichtung, den Faschismus mit seinen Wurzeln auszurotten, steht nach wie vor!
Eine Welt des Friedens zu schaffen – das muss gelingen!
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Zeitzeugen
Karl Barthel
Buchenwaldhäftling Nr. 853 (später 1221, 5635 und 1317)
„In den Morgenstunden des 22. Juni 1941 erreichte uns die Nachricht vom Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion …
… In aller Stille [wurde] im Werkstättengelände der Deutschen
Ausrüstungswerke ein Kugelfang gebaut. Er wurde so tief gegraben und außerdem an den Seiten mit Erde so hoch aufgeworfen,
daß man direkt vor dem Eingang stehen mußte, um erkennen zu
können, was innerhalb dieses Walles vor sich ging. … Jedesmal,
wenn Erschießungen bevorstanden, wurden Häftlinge beauftragt, Hobelspäne in den Kugelfang zu streuen. Auf diese Weise
wußten wir, wann Exekutionen stattfinden sollten. Die nächsten
Opfer ließen nicht lange auf sich warten. Es hieß: 8 Mitglieder
der Roten Armee, wahrscheinlich Offiziere, sind in den Arrest
eingeliefert worden.
Das waren die ersten 8!!
Zum Abendappell durften wir nicht abrücken. Alles mußte auf
dem Platz stehen bleiben. Die Acht wurden am Krematorium
vorbei nach dem Kugelfang geführt. Was sich dann abspielte, sah
nur die SS. …
Nach einigen Wochen … kamen dann fast Tag und Nacht Transporte auf Transporte. Alle waren Russen, und alle mußten ahnungslos denselben Weg gehen. Dieser Weg war der Weg in den
Tod!!
… Das ‚richtige‘ Verfahren war bald gefunden An die Stelle des
Kugelfangs trat der Genickschuß. … Die Opfer wurden statt ins
Lager sofort nach dem Pferdestall gefahren. Dieser liegt einige
100 m westlich außerhalb des Lagers. Der Pferdestall ist in verschiedene Räume aufgeteilt. Die Zugänge wurden schubweise in
einen Auskleideraum gebracht. …
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Nachdem sie sich alle entkleidet hatten, wurde jeder einzeln in
den ‚Aufnahmeraum‘ gerufen. Er wurde nach allem Möglichen
gefragt, bekam die Brust abgehört und wurde darauf zur Meßlatte geführt. Damit hatte das Opfer seinen letzten Schritt getan.
In dem Moment, in dem der Gefangene sich in gerader Haltung
unter dem Winkel der Meßlatte befand, krachte ein Schuß, und
er fiel nach vorn zu Boden. Durch eine Hintertür wurde der Tote
herausgeschleppt und in den bereit gestellten verdeckten Lastkraftwagen geworfen. Viele werden sich sagen, aber das ist doch
nicht möglich, erstens würden die im Auskleideraum Befindlichen die Schüsse hören und zweitens kann man das alles nicht
bewerkstelligen, ohne daß die Opfer bemerken, worum es geht.
Man muß jedoch wissen: Der Aufnahmeraum ist schalldicht. Die
der Meßlatte gegenüberstehende Wand ist mit Stoffstreifen dicht
behangen, so daß sich die Geschosse darin verfangen und weder die Wand beschädigen, noch durchschlagen. Vor der Meßlatte liegt ein großes Blech, von dem das Blut in einen Abfluß
geleitet wird. Dieses wurde sofort mit Wasser abgespült oder mit
Holzspänen so bestreut, daß der nächste keine Blutspuren mehr
entdecken konnte. Die Meßlatte wiederum stellt die Außenwand
eines in die Wand des Zimmers eingebauten Schrankes dar. Der
Schütze steht in diesem Schrank und kann somit von dem Opfer
nicht gesehen werden.
Auf diese Weise sind nicht nur Hundert, sondern Tausende vernichtet worden, darunter viele Frauen!“
Richard Kucharzcyk genannt Bua
Buchenwaldhäftling Nr. 921
„Sie standen nackt wie die Bäume im eiskalten Wind. Skelette
in Lumpen, halbverhungert, ohne Schuh, krank und verwundet.
Welch ein Hohn; sie standen auf dem Platz, den die Henker den
Rosengarten nannten. Wir haben an den Fenstern gehangen und
hinübergestarrt, wie sie dastanden, zu Tode erschöpft, aber selbst
die Sterbenden hielten sich noch aufrecht. …
Die SS grölte durch die Lautsprecher, daß es bei Todesstrafe verboten sei, mit den Bolschewisten auch nur ein Wort zu wechseln.
Als uns bekannt wurde, dass die Gefangenen auf ihrem Weg ins
Lager durch unsere Barackenstraße mußten, da sammelten wir
in aller Eile alles, was aufzutreiben war: Brot, den letzten Zigarettenstummel, der für den Sonntag bestimmt war, Lappen, die
karge Marmeladenration, eine Scheibe Wurst. Und als die sowjetischen Genossen von den drei Blockältesten begleitet, durch die
Lagerstraßen wankten, da war mir, als hielte die Welt den Atem
an. Wir vergaßen, daß die Henker über uns wachten. Wir rissen
die Türen auf und stürmten hinaus und liefen den sowjetischen
Genossen entgegen, schüttelten ihnen die Hände, umarmten sie.
Karl Barthel: Die Welt ohne Erbarmen. Greifenverlag Rudolstadt,
1946. (Seite 104 ff.)
Den Text schrieb Karl Barthel im KZ, das Manuskript konnte aus
dem Lager geschmuggelt werden. Barthels Frau bewahrte es sicher. Bereits 1946 lagen die Texte in Buchform vor.
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Wir schämten uns nicht der Tränen. Wir steckten ihnen zu, was
wir gesammelt hatten und machten ihnen Mut.“
In einem Brief an Richard Kucharczyk schrieb Boris Filatow:
„Damals, als ihr deutschen Kommunisten uns trotz Todesdrohung der Henker die Hände schütteltet, als ihr uns euer letztes
Stück Brot zustecktet und uns wieder Mut zum Leben machtet,
da haben wir begriffen, daß es auch ein anderes Deutschland gibt.
Auch Du weißt so gut wie ich, daß der Kampf noch nicht zu Ende
ist. Deshalb dürfen wir nicht müde werden, vor allem der Jugend
unsere Zeit vor Augen zu halten, sie immer wieder zu erinnern,
wachsam zu sein.“
Gedenkstein für das sowjetische
Kriegsgefangenenlager
Kurt Kylian: Da war uns neue Hoffnung gegeben. Richard Kucharzcyk, alias Bua, Buchenwaldhäftling Nr. 921[…] In: Neues Deutschland, 05. Nov. 1971, Wochenendausgabe.
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Das IV. Treffen
der Nachkommen
14. April 2013
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Das Buchenwald-Lied
Text Fritz Löhner-Beda, Musik Hermann Leopoldi
Wenn der Tag erwacht, eh´ die Sonne lacht,
Die Kolonnen ziehn zu des Tages Mühn
Hinein in den grauenden Morgen.
Und der Wald ist schwarz und der Himmel rot,
Und wir tragen im Brotsack ein Stückchen Brot
Und im Herzen, im Herzen die Sorgen.
O Buchenwald, ich kann dich nicht vergessen,
Weil du mein Schicksal bist.
Wer dich verließ, der kann es erst ermessen,
Wie wundervoll die Freiheit ist!
O Buchenwald, wir jammern nicht und klagen,
Und was auch unsere Zukunft sei –
Wir wollen trotzdem „ja“ zum Leben sagen,
Denn einmal kommt der Tag –
Dann sind wir frei!
Peter Hochmuth, Stellvertretender Vorsitzender der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora, hatte die Möglichkeit, an
einer Reise nach Belarus teilzunehmen. Er war von den Mitgliedern der Lagerarbeitsgemeinschaft gebeten worden, Albert
Pawlowitsch aus Minsk persönlich nach Buchenwald einzuladen.
Für das Reisetagebuch schrieb Peter Hochmuth:
Besuch in Minsk
Mittwoch, 3. April 2013
O Buchenwald …
Sergej Galuso, unserem unermüdlichen Reiseleiter, sei Dank.
Schon am ersten Tag, gerade aus Frankfurt (Oder) in Minsk angekommen, hatte ich ihm, engagiert im Gedenken an das KZ
Buchenwald, an seine Selbstbefreiung durch die Häftlinge am
11. April 1945, Adresse und Telefonnummer eines damals im KZ
Buchenwald inhaftierten Mannes aus Minsk gegeben. Mit dem
Bus ging die Fahrt gleich darauf weiter nach Mogilew. Im Hotel
kam Sergej auf mich zu. Kurz und knapp seine Worte: „In Minsk
zurück, wird es eine Begegnung mit Albert Pawlowitsch geben.“
Nun sind wir auf dem Weg dorthin.
Im Stadtinneren von Minsk liegt weit und breit meterhoch in allen Parkanlagen Schnee. Mit Räumfahrzeugen und LKWs werden die Farbahnen für Autos und Straßenbahnen frei gehalten.
In einer vielbefahrenen Straße bleibt unser Bus an einem weitläufigen Wohngebiet mit mehrstöckigen Häuserblöcken stehen. Am
Rand steht, auf seinen Stock gestützt und vorgebeugt, ein alter
Mann.
Ja, die „Sputnik“-Leute sind perfekt. Mit Albert Pawlowitsch so
verabredet, steht er nun, der damalige Häftling des KZ Buchenwald und wartet auf uns. Wir nehmen ihn in unsere Reisegesellschaft auf und weiter geht es.
Die Ghetto-Gedenkstätte, liegt in einer Nebenstraße, ist mit dem
großen Bus nicht zu erreichen. Wir verlassen das Fahrzeug und
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Unser Blut ist heiß und das Mädel fern,
Und der Wind singt leis, und ich hab sie so gern,
Wenn treu, wenn treu sie mir bliebe!
Die Steine sind hart, aber fest unser Schritt,
Und wir tragen die Picken und Spaten mit
Und im Herzen, im Herzen die Liebe!
O Buchenwald …
Die Nacht ist so kurz und der Tag so lang,
Doch ein Lied erklingt, das die Heimat sang,
Wir lassen den Mut uns nicht rauben!
Halte Schritt, Kamerad, und verlier nicht den Mut,
Denn wir tragen den Willen zum Leben im Blut
Und im Herzen, im Herzen den Glauben!
gehen zu Fuß weiter, an einem Krankenhaus vorbei. Reger Fußgängerverkehr, PKW haben ihre Mühe voranzukommen.
Besatzer nur ein Ziel, die Menschen im Ghetto eingepfercht,
Männer, Frauen, Kinder, in den Tod zu schicken. Draußen an
den Schluchten vor der Stadt hatten sie sich entkleidet aufzustellen. Unter dem Feuerhagel der Maschinengewehre fielen sie tot
oder noch lebend in die Gruben. Ebenfalls Ghetto-Häftlinge,
ihnen stand das gleiche Schicksal bevor, hatten ihre gefallenen
Brüder und Schwestern mit Erde zuzuschaufeln, für die Nachwelt
nicht mehr auffindbar.
Das Wort bekommt Albert Albertowitsch und er erzählt:
Meine Erinnerungen an schreckliche
Zeiten
Auch Albert Albertowitsch muss eine Pause einlegen. Sein Herz
schlägt stark, braucht eine Ruhepause. Gestützt von Helfern
geht es weiter. Schließlich sind wir durch Schneematsch und
Eis an dem ebenerdigen Haus angekommen und nicht nur wir
Deutschen allein. In den Räumen der Gedenkstätte finden sich
Studentinnen und Studenten der hauptstädtischen Universität
Minsk ein, ebenfalls in Erwartung der Stunden der Erinnerung
mit einem Bürger der Stadt, der vom Grauen der faschistischen
Besatzungsmacht erfasst war. Gekommen ist auch eine Frau im
vergleichbaren Alter. Sie erzählt später erstmalig von ihrem Weg,
an der Hand ihrer Mutter, die als deportierte Zwangsarbeiterin
ins Deutsche Reich verfrachtet worden war.
Zu Beginn beschreibt uns der Leiter des Hauses, Herr Dr. Viktor Balakirew, die Jahre des Ghettos. Es gab für die deutschen
Ich heiße Albert Albertowitsch Pawlowitsch und bin am 13.April
1926 in Minsk geboren.
1941, als der Große Vaterländische Krieg begann, hielt ich mich
bei meiner Schwester in Kursk auf. Mit Einfall der deutschen Armee kamen Hungermonate. Wir waren sogar gezwungen, Kleidung für Lebensmittel einzutauschen. So ging ich auf Bitten der
Mutter auf den Markt, um zu tauschen, damit wir etwas zum Essen hatten. Der Markt wurde von den Deutschen überfallen. SS
und Polizei hatten den Markt umzingelt und sie stellten Jugendliche, junge Männer und Frauen, an einer Seite auf. Andere wurden
hinausgewiesen. Ich war groß von Wuchs, trotz meines Alters,
ich war damals fünfzehn Jahre alt. So geriet ich in eine Reihe und
wurde mit allen anderen zur Güterstation getrieben, wo schon ein
Transport mit Leuten für die weitere Verladung in die Güterwagen wartete. Zwei Güterwaggons waren nicht besetzt. Offiziere
wählten aus der Reihe etwa einhundert Personen aus, belegten
mit denen die Waggons und der Zug fuhr los. Erst in Polen bekamen wir etwas zu essen und zu trinken und die Kübeleimer konnten entleert werden. Wie lange die Fahrt dauerte, kann ich nicht
genau sagen. Schließlich kamen wir in Hamburg an. Man öffnete
die Waggons, wir mussten uns in Reihen aufstellen. Dann kamen
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… auf dem Weg in die historische Werkstatt
„Ankäufer“. Jeder wählte Arbeitskräfte für sich aus. Ich geriet in
den Betrieb „HAK-Werk“ (Hanseatisches Kettenwerk), der an
der Bahnstation Ochsenzoll lag. Es gab da ein Osterarbeiterlager „Tannenkoppel“ und ich erhielt die Häftlingsnummer 119, die
ich bis zum Hafttage am 28. August 1944 trug. Iwan Dolbin und
ich versuchten vom „HAK-Werk“ die Flucht. Das geschah Anfang August. In Bautzen wurden wir wieder ergriffen. Ich wurde wegen Spionage verurteilt. Ich sprach Deutsch und kam ohne
Vermittlung des Dolmetschers aus. Iwan Dolbin konnte weder
Polnisch noch Deutsch. Ich konnte zwei Sprachen, da ich mich
schon zwei Jahre drauf vorbereitet hatte. Im Gestapo-Gefängnis
verbrachten wir etwa einen Monat. Danach wurden wir zusammen mit anderen Gefangenen mit dem Zug im „StolypinskiWaggon“2, je etwa 8 bis 10 Personen in einem Abteil, überführt.
Wir fuhren etwa zwei bis drei Tage und trafen im KZ Groß-Rosen ein. Dort erhielt ich die Häftlingsnummer 46 263 und Iwan
Dolbin eine nächste. Einmal begegnete ich ihm im Lager. Er
trug eine „Folien“- und ich eine „Aluminium“-Nummer. Zuletzt
wurden wir getrennt. Er wurde in das KZ Dora und ich in das
KZ Hartmannsdorf (Miłoszów) in Niederschlesien überstellt und
behielt dort dieselbe Nummer. Dort arbeitete ich an der Gewindefräsanlage. Mittlerweile gab man uns sehr karges Essen. Man
kochte Suppe aus Mohrrübenschalen und Baumblättern. Aber
man hörte Feuerwechsel. In der Nähe lag die Frontlinie und wir
dachten, wir werden bald frei sein. Aber das Schicksal bereitete
uns den Todesmarsch. Am Morgen nach dem Frühstück wurden
wir aufgestellt. Es war Anfang März 1945. Man schloss das Tor
auf und die Marschglieder der Häftlinge begaben sich hinter zwei
Wagen, womit die Familien der Lageroffiziere (in Uniform der
Luftwaffe) fuhren. Das Lager wurde am Tage des Abmarsches
aus dem Dorf Hartmannsdorf abgebrannt. Wir liefen etwa 25 Kilometer am Tag. Nach der ersten Übernachtung in einem Dorf, in
2 Waggons für den Transport von Häftlingen, eingeteilt in Abteile, in die
je sieben Gefangene gesperrt wurden.
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der Scheune eines Bauern, sagte der Lageroffizier aus „Fürsorge“
an: „Wer krank ist, wem die Beine schmerzen, wem es aus Altersgründen schwerfällt zu gehen, bitte ich, eine von den anderen
getrennte Reihe zu bilden. Ich kümmere mich um ein Fahrzeug,
so dass Sie nicht zu Fuß laufen müssen“. Zweiundzwanzig Mann
vollzogen seine Bitte. Wir gingen fort. Man führte die zweiundzwanzig Gefangenen vom Dorf weg auf die Seite und erschoss sie.
So wurde vor meinen Augen Ibragimow erschossen. Er fiel um.
Die SS warf ihn an den Rand. Er spuckte auf sie. Man hörte den
Schuss. Ein Arzt stellte seinen Tod fest. Nachher entnahm man
seine Nummer und seinen Winkel von der Häftlingsjacke. Auf
die Brust trug man seine Nummer auf. Ich habe das persönlich
gesehen. Ich ging als Letzter in der Reihe.
Am Morgen, angekommen in Weimar, und als wir uns bergauf
begaben, wurde Erschießung aus Vorsichtsgründen verboten. Es
war der 12. März 1945. Mein Kamerad Iwan Nagorny stürzte.
Und in dem Moment zeigte der Kommandoführer seine tierische Gewaltneigung. Der fing an, auf Iwans Kopf zu springen,
um ihn zu töten. Die Schädelhaut riss auf. Er sprang so zwei bis
drei Minuten. Ich hab das wahrhaftig mit meinen eigenen Augen
Deutsche Reisende und Studenten aus Minsk
53
gesehen. Wir mussten weiter laufen. Ich dachte, er hat Iwan
umgebracht.
Ich kam im Kleinen Lager in den Block 62 und bekam die Häftlingsnummer 135 679. Arbeiten musste ich im „Gustloff-Werk I“
als Schlosser bis zum 4. April 1945.
Am 11. April 1945 sah ich aus dem Fenster bewaffnete Häftlinge
mit roten Schleifen und es brach eine Schießerei aus. Ein paar
US-Panzer näherten sich dem Lager. Wir waren befreit.
Man bot uns einen halben Liter Suppe an, nachdem wir zwei
Tage gehungert hatten. Aber diejenigen ehemaligen Häftlinge,
die um mehr Portionen baten, gingen zugrunde.
Nach der Befreiung begegnete ich Iwan zufällig am Lagertor und
für immer sind seine Worte in meinem Gedächtnis verankert:
„Was für ein Mensch bin ich jetzt nach all dem, was ich erlebt
habe. Wie kann man damit leben?“ Ich habe ihn getröstet: „Wir
sind doch am Leben geblieben, allein dafür soll man Gott danken, dass er uns Kraft gab, alles zu überstehen.“
Wir verabschiedeten uns. Ich kann nicht sagen, ob er als Kriegsgefangener nach Einweisung in die sowjetische Besatzungszone
nicht in eines der sowjetischen Lager geriet (er war nach meiner
Ansicht Offizier). Soldaten erwarteten dort sieben Jahre und Offiziere fünfzehn Jahre Haft. Unter Begnadigten habe ich ihn nicht
gesehen. Drei bis fünf Tage nach unserem Treffen verlor ich das
Gedächtnis und es entfiel mir, wie ich ins Krankenrevier geriet.
Einen Monat verbrachte ich im Revier. Erst danach konnte ich
wieder selbständig laufen.
Wer in die UdSSR zurück wollte, sollte sich in der Schreibstube einfinden. Ich begab mich auch dorthin. Man stellte uns dort
Ausweise aus und von nun an galten wir als freie Leute. Man
gab uns Essenpakete und brachte uns in die sowjetisch besetzte
Zone, wo wir weiter geprüft wurden, der so genannten Filtration
ausgesetzt.
(Erinnerungen von Albert Albertowitsch Pawlowitsch, bearbeitet und ergänzt auf Grundlage von Archivmaterialien der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora von Peter
Hochmuth).
Die Zuhörer vereinen sich mit Albert Albertowitsch Pawlowitsch zu
einem Abschlusskreis
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Heinrich Fink
Vorsitzender der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund
der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN/BdA), Mitglied der
Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
Kameradinnen und Kameraden,
Genossinnen und Genossen,
wir haben uns heute hier in der Gedenkstätte Buchenwald zum
vierten Mal zum Treffen der Nachkommen versammelt, einem
Treffen der zweiten und dritten Generation derer, die im Konzentrationslager Buchenwald gelitten und Widerstand gegen die Unmenschlichkeit geleistet haben. Unter uns sind junge Leute, die
sich vorgenommen haben, über Menschen nachzudenken, über
Opfer zu reden, die hier im Konzentrationslager bestialisches
Verhalten von Kerkerschergen erleben mussten und die heute an
den Rand der Erinnerung gedrängt werden.
Bei unserem letzten Treffen gedachten wir der über 500 000 Sinti
und Roma, die in der Opferskala derer, die von den Faschisten
ermordet wurden, einen geringen Stellenwert haben.
Heute ist unser Thema:
Der solidarische antifaschistische Widerstand im Konzentrationslager Buchenwald beim Beginn der Massentransporte sowjetischer
Kriegs- und Zivilgefangener 1943.
Wir freuen uns, aus Belarus Albert Pawlowitsch mit seiner
Tochter Tamara und Andrej Moisenko; aus Russland Pawel Tichomirow mit seiner Begleiterin Maria Lapitchewa und Vadim
Antipenko mit seinem Betreuer Rafail Kumaew; aus der Ukraine
Boris Romanchenko, Petro Mischtschuk mit seiner Frau, Georgie
Woloschilow mit seiner Frau Ludmilla, Viktor Karpus mit seiner
Tochter Tatjana und Wladimr Pasternak sowie die Dolmetscherin
und Betreuerin Galina Shamkhalova und den Betreuer der ukrainischen Kameraden Ivan Nemichev sehr herzlich hier begrüßen
zu können. Haben Sie herzlichen
Dank, dass Sie bei
uns sind!
Ich habe meine
Kindheit in russischer Umgebung
verlebt und werde
nie vergessen, wie
glücklich meine
Liebe Freundinnen und Freunde,
wir sind tief bewegt und sehr beeindruckt, dass neun ehemalige
sowjetische Häftlinge, die das Inferno hier überlebten, unter uns
weilen.
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Großmutter war, wenn besondere Gäste kamen. „Gosti, Gosti“,
rief sie dann, das war das größte Glück, das sie haben konnte:
Gäste, mit denen man feiern konnte.
Wir haben heute Gäste, mit denen wir zusammen trauern.
Lassen Sie uns gemeinsam nachdenken darüber, welche Erinnerungen Sie bewegen, wenn Sie dieses Gelände betreten. Einige
von Ihnen sind mit ihrer KZ-Häftlingskleidung hier. Welche Erinnerungsschmerzen werden Sie haben?
Sie haben die Einladung der Gedenkstätte angenommen und Sie
sind der Einladung der Lagerarbeitsgemeinschaft BuchenwaldDora gefolgt.
Wir danken Ihnen besonders, Boris Romanchenko, dass Sie
nachher zu uns über Ihre Zeit hier sprechen werden.
Wir freuen uns, den Präsidenten des Internationalen Komitees
Buchenwald-Dora und Kommandos, Bertrand Herz, in unserer
Mitte zu haben. Er ist mit der Häftlingsnummer 69 592 mit dem
roten Winkel über dem gelben Fleck hier in Buchenwald gewesen. Sein Vater wurde hier ermordet, seine Mutter im KZ Ravensbrück. Er und seine Schwester haben das Konzentrationslager überlebt. Bertrand Herz wird zu uns sprechen.
Günter Pappenheim und seine Frau Margot sind hier. Günter war
von 1943 bis 1945 Häftling mit der Nummer 22 514 und dem roten
Winkel der politischen Häftlinge gekennzeichnet. Sein Vater war
bereits 1933 als einer der Ersten im KZ Börgermoor eingesperrt
und ist 1934 ermordet worden. Günter wird uns als Vorsitzender
der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora begrüßen.
Ravensbrück überstellt werden sollten. Darüber wird er zu uns
sprechen.
Herzlich willkommen Gert Schramm mit der Häftlingsnummer
49 489. Er war damals mit fünfzehn Jahren der jüngste politische
und auf Grund der Rassegesetze der einzige farbige Häftling in
Buchenwald.
Wir danken Euch allen, nicht nur, dass Ihr hier seid, sondern
auch dafür, dass Ihr berichten werdet, was Ihr erlebt habt.
Ich begrüße herzlich Gäste, die heute zu uns gekommen sind:
Die Bundestagsabgeordneten Kersten Steinke und Jens Petermann von der Partei DIE LINKE. Alle anderen Parteien sind
unserer Einladung nicht gefolgt.
Herr Bondajew, Stellvertretender Generalkonsul der Russischen
Föderation aus Leipzig ist hier.
Ich freue mich ganz besonders, dass Romani Rose und sein Stellvertreter Jaques Delfeld vom Zentralrat Deutscher Sinti und
Roma zu uns gekommen sind.
Herrn Professor Dr. Schramm, der Vorsitzende der Jüdischen
Landesgemeinde Thüringen hat seinen Stellvertreter entsandt.
Herr Klein, Bürgermeister von Weimar, wird in Vertretung des
Oberbürgermeisters zu uns sprechen.
Wir begrüßen Herrn Volkhardt Germer als Vorsitzenden des Fördervereins Buchenwald und Herrn Dr. Kummer als Vorsitzenden
der deutsch-russischen Freundschaftsgesellschaft in Thüringen.
Unser herzlicher Gruß gilt dem Historiker Dr. Binner und Lena
Sarah Carlebach.
Herzlich willkommen Ottomar Rothmann mit der Häftlingsnummer 6 028. Er hat in seiner Funktion als Schreiber des
Blockältesten an einer illegalen Solidaritätsaktion mitgewirkt,
als 1944 Transporte sowjetischer Frauen hier eintrafen, die nach
Musikalisch wird unser Treffen vom Duo Klassik, dem Ehepaar
Gerber, begleitet.
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Günter Pappenheim
unserer im Geheimen vorbereiteten Selbstbefreiung den entscheidenden Impuls verlieh.
Buchenwaldhäftling Nummer 22514
Als wir am 19. April 1945 auf dem Appellplatz der 56 000 ermordeten Kameraden gedachten, schworen wir
Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere
Losung.
Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist
unser Ziel.
Geschworen von 21 000 Überlebenden sind diese Worte noch in
ihrem 68. Jahr leider sehr aktuell.
Vorsitzender der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora e.V.
Erster Vizepräsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora
und Kommandos
Begrüßung zum 4. Treffen der Nachkommen am 14. April 2013
in Buchenwald
Für sehr viele meiner Kameraden und für mich war dieser Tag
der unserer Wiedergeburt. Von diesem
Tage an konnten wir
wieder frei atmen.
Und wir empfanden
tiefe Dankbarkeit
gegenüber den Soldaten der Armeen
der Antihitlerkoalition, deren Vormarsch
im Kampf gegen die
deutschen Faschisten
Wenn wir heute im Besonderen an die sowjetischen Kriegs- und
Zivilgefangenen erinnern, dann, weil mit der von der Roten Armee den deutschen Aggressoren zugefügten Niederlage 1943 in
Stalingrad die entscheidende Wende in diesem verheerenden
Krieg herbeigeführt wurde.
Damit waren jedoch die Verbrechen nicht beendet, denn 1943 kamen hier in Buchenwald Massentransporte sowjetischer Kriegsund Zivilgefangener an. Dazu gehörten viele Frauen und Jugendliche, die unter unbeschreiblichen Bedingungen Zwangsarbeit
leisten mussten.
Gequält und geschunden mussten sie arbeiten, um den Krieg gegen ihre Heimat zu verlängern. Ihnen galt die Solidarität der Kameraden. Von dem Wenigen wurde abgegeben, die kleine Geste
der Sympathiebekundung verlieh Kraft, ein Lächeln munterte
auf, ein Blick weckte Zuversicht.
Schon 1941, als die ersten Kriegsgefangenen ins Lager kamen,
gab es eine Welle internationaler Solidarität, mit der schlimmste
Not gelindert werden konnte. Unter Verletzung des Völkerrechts
erschossen SS-Leute auf dem Schießplatz an den Deutschen Ausrüstungswerken und in dem berüchtigten Pferdestall über 8 000
sowjetische Militärangehörige.
Schließlich war es die Kraft der Solidarität, dass die sowjetischen
Kriegs- und Zivilgefangenen in das Internationale Lagerkomitee
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Meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Freunde, Kameraden, Kampfgefährten,
ich bin sehr glücklich, Sie alle hier heute im Namen der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora begrüßen zu können.
Dass wir gemeinsam des 11. April 1945 gedenken, erfüllt mit
Freude und Zuversicht.
und in die Internationale Militärorganisation integriert werden
konnten. Dort leisteten sie vielfältige, entscheidende Beiträge zur
Selbstbefreiung der Häftlinge.
Die internationale Solidarität hatte sich im Lager zu einem Überlebensmittel entwickelt.
Das darf nicht vergessen werden, das gehört zur Erinnerung,
wenngleich Bestrebungen spürbar sind, es vergessen zu machen.
Im Schwur von Buchenwald heißt es:
Wir führten in vielen Sprachen den gleichen, harten, erbarmungslosen, opferreichen Kampf und dieser Kampf ist noch nicht zu
Ende.
Dass auch diese Aussage aktuelle Bedeutung hat, ist besonders
tragisch.
Heute, 68 Jahre nach der Zerschlagung des Hitlerfaschismus
Neofaschismus als Dummheit zu bezeichnen, die sich nicht verbieten lasse, ist eine zynische Verharmlosung und eine schwere
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Beleidigung aller Opfer des Faschismus. Mit derart schnoddriger und arroganter Begründung einen Verbotsantrag für die NPD
durch die Regierung abzuschmettern, beweist erneut, dass wirkliche Auseinandersetzung mit Neofaschismus politisch nicht gewollt ist. Es stellt sich nach dieser Ungeheuerlichkeit die Frage,
was denn in den fast fünfzig Jahren des Bestehens dieser neofaschistischen Partei gegen Dummheit unternommen wurde.
Und es scheint geboten, daran zu erinnern, dass in der Zeit der
Weimarer Republik die faschistische Gefahr schon einmal verharmlost und kleingeredet wurde. Mir könnte entgegengehalten
werden, die Situation sei heute ganz anders, das geeinte, starke
Europa sei eine wehrhafte Demokratie. Zweifel sind jedoch angebracht. Von militanten Rassisten gejagte Juden, Sinti und Roma
in einigen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, verbreiteter
Rassismus und Ausländerfeindlichkeit, Fremdenhass und Gewalt
lassen schon Fragen nach der Wehrhaftigkeit der Demokratie
stellen.
Die Zivilgesellschaft wird beschworen, Courage zu zeigen und
sich mit Neofaschismus, der beschönigend Rechtsextremismus
genannt wird, auseinanderzusetzen.
Und wenn sich Menschen den Neofaschisten in den Weg stellen, bekommen sie staatliche Repression zu spüren und Knüppel,
Pfefferspray, Pferdehufe, Gerichtsverfahren, Strafen. Mit nahezu
blindem Eifer wird verfolgt und verurteilt.
Das ist verordneter Anti-Antifaschismus.
Diesen endlich aufzugeben, fordern wir auch von dieser Stelle,
hier auf dem Ettersberg.
Vor 80 Jahren wurde den Nazis in Deutschland die Macht übergeben. Die Deutschen konnten sich aus eigener Kraft nicht aus
deren Klauen befreien.
Die Buchenwalder haben es getan. Sie haben ihre Peiniger, derer
sie habhaft werden konnten, im Block 17 festgesetzt, um sie den
Richtern der Völker zu übergeben.
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Diese Erinnerung haben wir zu bewahren. Das trägt dazu bei,
Voraussetzungen zu schaffen, dass sich Neofaschismus nicht noch
mehr ausbreiten kann.
Wir haben noch viel zu tun.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Freunde, Kameraden, Kampfgefährten,
ich möchte allen danken, die hierher kamen, um an unserem
Treffen der Nachkommen teilzunehmen.
Mein Dank gilt allen, die in oft mühevoller Arbeit das Treffen
vorbereiteten und all jenen, die unser Anliegen mit Spenden und
solidarischer Aufmerksamkeit unterstützen.
Vielen Dank!
Peter Kleine
Bürgermeister der Stadt Weimar
Sehr geehrter Herr Pappenheim,
sehr geehrter Herr Rothmann,
sehr geehrte Frau Carlebach,
ich begrüße sehr herzlich alle anwesenden ehemaligen Häftlinge
des Konzentrationslagers Buchenwald und ihre Angehörigen und
hoffe, dass Sie eine gute Anreise hatten!
Sehr verehrten Damen und Herren,
Ihnen, Herr Pappenheim, und der gesamten Lagerarbeitsgemeinschaft möchte ich zu allererst von Herzen für diese Einladung
danken. Es freut mich sehr, hier vor Ihnen einige Worte sagen zu
dürfen. Denn dies ist keine Selbstverständlichkeit.
Auch für mich ist dies ein ganz besonders bewegender Moment!
Es zeigt, wie eng das Verhältnis zwischen den ehemaligen Häftlingen, der Stadt Weimar und der Gedenkstätte Buchenwald inzwischen ist. Buchenwald ist ein Teil Weimars!
Zu dieser Verantwortung hat sich die Stadt Weimar gegenüber
den ehemaligen Häftlingen und Häftlingskomitees am 14. Juli
2007 bekannt. In einem bewegenden Akt übergaben uns die
Häftlingskomitees einen Teil ihres Erbes. Das Erbe des Gedenkens und der Verantwortung für die Zukunft – also das „Nie wieder“ des Buchenwald-Schwurs. Dieser Akt im Festsaal des Weimarer Rathauses bleibt der Stadt unvergessen!
Und ich versichere Ihnen: Wir stehen zu unserem Versprechen!
An diesem Wochenende des 68. Jahrestages der Befreiung gedenken Sie insbesondere auch der im Konzentrationslager Buchenwald ermordeten sowjetischen Gefangenen.
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Auch gegenüber den
sowjetischen Kriegsund Zivilgefangenen
trifft die Stadt Weimar eine ganz direkte Verantwortung.
Schon seit Ende 1941
wurden sowjetische
Kriegs- und Zivilgefangene tageweise an
Firmen der Umgebung zur Arbeit zwangsverpflichtet. In Weimar
beispielsweise an die Straßenbaugesellschaft, an das Staatsgut
Oberweimar, an die Unternehmen Walter, Mennog und Staupendhal und schließlich zur Schneeräumung an der Autobahn. Dies
sind nur wenige Beispiele.
Nicht vergessen bleiben darf auch, dass die meisten sowjetischen
Kriegsgefangenen ab dem Frühjahr 1942 im Steinbruch, in Trägerkolonnen und Schachtkommandos unter menschenverachtenden Bedingungen und großen Qualen arbeiten mussten. Hunderte von ihnen starben daran bereits nach wenigen Wochen. In den
Recherchen des Historikers Dr. Harry Stein für die Gedenkstätte
Buchenwald heißt es hierzu auch:
„Als sie ab Sommer 1942 auch in Werkstätten und Lagerkommandos arbeiteten, hatte sich ihre Zahl durch Tod und Verlegung
mehr als halbiert! In anderen Konzentrationslagern löste die SS die
Kriegsgefangenen - Arbeitslager zu diesem Zeitpunkt bereits wieder auf, doch in Buchenwald blieben sie mit drei Baracken bis zum
Kriegsende bestehen.“
verschärfte sich 1943 noch. Wir haben dies im Beitrag von Herrn
Pappenheim bereits gehört.
Nicht vergessen bleiben darf die Solidarität im Lager. Die Solidarität der Häftlinge mit den geschundenen, todkranken Menschen, die 1943 aus Nikolajew und aus anderen osteuropäischen
Orten in Weimar eintrafen. Diese Solidarität war ungeheuer und
sie bewies vor allem einen Mut, den man wohl kaum anders als
„Todesmut“ bezeichnen kann.
Meine Damen und Herren,
Ich möchte Ihre Zeit nicht übermäßig an Anspruch nehmen.
Dennoch möchte ich mich an dieser Stelle nochmals herzlich
für die Einladung bedanken. Und haben Sie auch Dank dafür,
dass Sie in diesem Jahr den sowjetischen Häftlingen und ihrem
Schicksal eine besondere Aufmerksamkeit schenken.
Dank sagen möchte ich Ihnen aber auch ausdrücklich dafür, dass
Sie nun schon zum vierten Mal als „Nachkommen“ Ihre Stimme
erheben. Diese Kontinuität des Gedenkens hat für uns, für Weimar, eine sehr große Bedeutung. Und selbstverständlich bieten
wir Ihnen unsere Unterstützung an, wenn Sie diese benötigen.
Ich wünsche Ihnen im Namen der Stadt Weimar und auch persönlich – alles Gute und viel Erfolg für Ihre wichtige Aufgabe.
Vielen Dank!
Gerade auch am Beispiel der sowjetischen Gefangenen im Konzentrationslager Buchenwald sieht man, wie eng die Stadt und
ihre Betriebe mit dem Konzentrationslager verbunden waren,
wie sehr die Stadt Weimar die Gefangenen des Konzentrationslagers ausnutzte unddavon profitierte. Wir alle wissen auch: Die
grauenvolle Lage der sowjetischen Gefangenen in Buchenwald
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Jens Binner
Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora
Zum Hintergrund der Massentransporte
sowjetischer Gefangener in das Konzen­
trationslager Buchenwald 1943/443
Was war nun der Hintergrund für diese Massendeportationen
im dritten Jahr der deutschen Herrschaft in den besetzten Gebieten der Sowjetunion? Warum wurde der knappe Transportraum nicht für militärische Zwecke reserviert anstatt zahlreiche
Zivilisten damit ins Reichsgebiet zu bringen? Verständlich ist
diese Entwicklung nur vor dem Hintergrund der deutschen Besatzungsherrschaft von der Planungsphase an im Zusammenspiel
mit der militärischen Entwicklung sowie der Funktionsweise der
deutschen Kriegswirtschaft.
3 Vortrag, gehalten am 14. April 2013 auf dem Treffen der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora e.V. Die Vortragsform wurde beibehalten,
daher beinhaltet das Manuskript auch keine Anmerkungen. Nachfragen
beim Autor unter: [email protected].
Der Überfall auf die Sowjetunion wurde ab Ende 1940 konkret
geplant, unter den deutschen Eliten hatte jedoch bereits frühzeitig Einigkeit darüber geherrscht, dass ein Krieg gegen die Sowjetunion unvermeidlich sei, um Deutschland den angeblich so
knappen „Lebensraum“ zu verschaffen. Aufgrund der hohen ideologischen Übereinstimmung in den Führungskreisen von Partei,
Staat, Wehrmacht und Wirtschaft in Bezug auf die zukünftige
Behandlung der Sowjetunion und ihrer Bürger, wurde der Krieg
gegen die Sowjetunion von vornherein nach anderen Grundsätzen geplant, als die vorangegangenen Feldzüge. Es ging nun nicht
mehr darum, einen Gegner zu besiegen und gewisse territoriale
Gewinne zu erreichen. Jetzt war ein neuartiger Vernichtungsund Raubkrieg das Ziel, der mit der totalen Auslöschung des
Feindes enden sollte.
Dementsprechend wurde auch die zivile Verwaltung der zukünftigen besetzten Gebiete geplant. Die Bedürfnisse der einheimischen Bevölkerung spielten dabei keine Rolle. Vielmehr stand
die Ausbeutung des eroberten Territoriums für die Zwecke der
Wehrmacht und den Bedarf des Reichsgebietes im Vordergrund.
Exemplarisch zeigt dies der sogenannte „Hungerplan“, der im
Mai 1941 auf höchster politischer Ebene abgestimmt wurde. Dabei wurde festgelegt, dass aus der Sowjetunion das Möglichste an
Lebensmitteln herauszupressen war, auch wenn dabei „zweifellos
zig Millionen Menschen verhungern werden“, wie der Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium Backe feststellte. Doch
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Die Massentransporte
sowjetischer Gefangener
in das Konzentrationslager Buchenwald in den
Jahren 1943 und 1944
hängen unmittelbar mit
der deutschen Herrschaft in den besetzten
Gebieten der Sowjetunion zusammen, genauer
gesagt mit der Veränderung dieses Besatzungsregimes im Zeichen der unabwendbaren
Niederlage und des beginnenden Rückzugs der Wehrmacht. Zwischen August 1943 und März 1944 gelangten so mehrere Tausend
Sowjetbürger in das Konzentrationslager Buchenwald oder seine
Außenlager, darunter viele Frauen und Jugendliche. Die Transporte kamen dabei vorrangig aus der Ukraine, etwa aus Dnepropetrowsk, Kiew, Nikolaew oder Kirowograd.
nicht nur Getreide oder andere Lebensmittel waren als Beute vorgesehen; nein, es ging von Beginn an auch um die Menschen in
der besetzten Sowjetunion. Der Mangel an Arbeitskräften war
eines der größten Probleme der deutschen Kriegswirtschaft und
man stellte sich die Sowjetunion als schier unerschöpfliches Menschenpotential vor, das man als Arbeitssklaven nutzen konnte.
Neben pragmatischen Überlegungen, bei denen es vor allem um
billige, ja, kostenlose Arbeitskräfte ging, spielte der Rassismus als
wesentliche ideologische Grundlage des Nationalsozialismus eine
gewichtige Rolle. Und da man die Slawen danach auf der Stufe
von „Untermenschen“ sah, zögerte man zunächst auch, sie als Arbeiter ins Reich zu holen. Erst ab Frühjahr 1942, nachdem durch
die Niederlage der Wehrmacht vor Moskau klar geworden war,
dass die Sowjetunion nicht der Koloss auf tönernen Füßen war,
den man sich zurecht fantasiert hatte, wurden die Bemühungen
zum Einsatz der Menschen aus der Sowjetunion in Deutschland
systematisiert. Wesentliche Instanz dabei war der neuernannte
„Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz“ Fritz Sauckel,
der auch Gauleiter von Thüringen war und in Weimar residierte.
Er erstellte umfangreiche Pläne zur Verschleppung von Millionen sowjetischer Bürgerinnen und Bürger. Dabei gab man sich
anfangs noch der Illusion hin, dass besonders in der Ukraine
mit einem hohen Grad an Freiwilligkeit zur Arbeitsaufnahme in
Deutschland gerechnet werden konnte. Aufgrund der gewaltsamen Entkulakisierung der 20er sowie der Hungersnot und dem
Großen Terror der 30er Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts gab
es dort zwar tatsächlich ein beträchtliches Ausmaß an Gegnerschaft zum Stalinismus, aber die deutsche Besatzung ab Sommer
1941 hatte sich allzu schnell als reine Terrorherrschaft offenbart,
um dieses Potential tatsächlich nutzbar machen zu können. Und
so gab es in der Folge verschiedene Versuche, die fantastischen
Zahlen der Sauckel-Pläne zu erfüllen. Man setzte dabei vor allem
auf ein Quotensystem, indem man jedem Dorf und jeder Siedlung vorgab, wie viel Arbeiter sie nach Deutschland zu schicken
hatten. Weil diese Quoten häufig nicht zu erfüllen waren, kam
es schon dabei regelmäßig zu gewaltsamen Verschleppungen und
weiteren Verbrechen.
Doch 1943 – und dies bildet den konkreten Hintergrund für die
Massentransporte sowjetischer Bürger in das Konzentrationslager Buchenwald ab Sommer 1943 – radikalisierte sich diese Praxis
noch einmal. Den Auftakt dazu bildete die Ausrufung des „Totalen Krieges“ durch Propagandaminister Joseph Goebbels nach der
Niederlage der Wehrmacht bei Stalingrad im Februar 1943 und
die sich daran anschließenden, immer erfolgreicher verlaufenden
Gegenoffensiven der Roten Armee. Zeitgleich hatte Adolf Hitler
befohlen, dass beim Rückzug der Wehrmacht in der Sowjetunion
die Gebiete, die man räumen musste, vollkommen zerstört werden
sollten und die Bevölkerung verschleppt werden sollte. In einem
Schreiben der Wehrmacht, mit dem dieser Befehl an unterstellte
Verbände weitergegeben wurde, heißt es dazu: „Es ist befohlen,
alles nachhaltig zu zerstören. Der Bevölkerung dürfen keine Lebensmittel gelassen werden, dem Feind darf nur ein Aschengebiet
bleiben.“ Und auch Himmler forderte im September 1943, dass
beim Rückzug in der Ukraine „kein Mensch zurückbleiben darf,
kein Stück Vieh, kein einziger Zentner Getreide, keine einzige
Eisenbahnschiene“.
Trotz des beständig kleiner werdenden Gebietes, das die Deutschen in der Sowjetunion besetzt halten konnten, erstellte Sauckel
immer neue Pläne mit utopischen Forderungen nach Arbeitern.
Verschärft hatte sich die Situation mittlerweile auch dadurch,
dass nicht nur der Bedarf der Wehrmacht in den besetzten Gebieten sowie in Deutschland der Privatwirtschaft – vom großen
Rüstungsunternehmen bis zum kleinsten Bauernhof oder Handwerksbetrieb – und der staatlichen Unternehmen erfüllt werden
musste, sondern auch die SS dazu übergegangen war, ein großes
Wirtschaftsimperium mit zahllosen Außenlagern oder SS-eigenen Fabriken aufzubauen. Folgerichtig hatte Himmler bereits
im Dezember 1942 angeordnet, dass bis Ende Januar 1943 mindestens 35 000 in Deutschland geflohene und wiederergriffene
Zwangsarbeiter in die Konzentrationslager zu überführen seien.
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In den besetzten Gebieten war das Ergebnis eine gnadenlose
Konkurrenz um die arbeitsfähigen Menschen, die sich noch im
deutschen Machtbereich befanden. Bald ging es auch nicht mehr
nur um die arbeitsfähigen Menschen, sondern um jeden, egal, ob
minderjährig, krank, schwanger oder alt.
Die Forderungen von Sauckel waren mit dem beschriebenen
Quotensystem nicht mehr zu erfüllen. Daher ging man zur jahrgangsweisen Aushebung über, indem man bestimmte Jahrgänge
komplett dazu aufforderte, sich den deutschen Arbeitsbehörden
zur Verfügung zu stellen. Dabei sollten Frauen und Männer bis
zum Geburtsjahr 1925 erfasst werden, in der Praxis gelangten
oftmals aber auch Jüngere in die Fänge der Deutschen. Mit dem
Jahrgangsprinzip war der Startschuss für eine gnadenlose Jagd
nach der letzten Seele gegeben worden. Razzien, bei denen etwa
Kinos, Schulen oder andere öffentliche Gebäude, aber auch ganze
Dörfer umstellt wurden, um die Menschen darin möglichst komplett und ohne dass sie die Gelegenheit erhielten, Gepäck von zu
Hause zu holen, nach Deutschland zu transportieren, waren bald
an der Tagesordnung. Um Arbeitskräfte zu bekommen, wurden
auch Geiseln genommen, Häuser oder gleich ganze Dörfer und
selbst kleinere Städte abgebrannt – Nina Schalagina, die später im Buchenwalder Außenlager der Hasag in Taucha arbeiten
musste, hat dies als 14jährige in Klinzy erlebt. Und die Gestapo vertrat in diesem System sozusagen die Interessen der SS, indem nun auch die Häftlinge in den Gestapo-Gefängnissen nach
Deutschland zur Arbeit geschickt wurden, dabei aber innerhalb
des SS-Machtbereichs blieben und so vorrangig in die Außenlager kamen. Häufig hat die Gestapo speziell zu diesem Zweck
große Verhaftungsaktionen initiiert, denen vorrangig diejenigen
zum Opfer fielen, die bereits früher ins Visier der Gestapo geraten
waren – so wie Aleksandra Lawrik, deren Weg nach Buchenwald
auf diese Weise begonnen hat.
Die Berichte von deutscher Seite spiegeln die Radikalisierung im
Jahr 1943 sehr gut wieder. Außerdem wird deutlich, dass die beschriebenen Maßnahmen keine Gewaltexzesse waren, sondern
durch die Anordnungen der höheren Stellen gezielt befohlen worden waren. So hatte der Generalkommissar im ukrainischen Luzk
bereits im September 1942 festgelegt, dass wegen der besonderen
Dringlichkeit der „Reichswerbung“ – wie die Verschleppung der
Menschen nach Deutschland offiziell genannt wurde – „Gehöfte
von Arbeitsverweigerern niederzubrennen sind“. Außerdem sollten Verwandte als Geiseln in Zwangsarbeitslager gebracht werden. Gegen diese Maßnahmen regte sich auch auf deutscher Seite
Kritik, aber nicht aus Mitgefühl mit der einheimischen Bevölkerung, sondern weil diese Methoden die Menschen in Scharen
zu den Partisanen trieben und somit die Widerstandsbewegung
erheblich verstärkten. Ein deutscher Gebietskommissar in der
Ukraine reagierte auf derartige Kritik jedoch mit den Worten:
„Es muss endlich zu Maßnahmen gegriffen werden, welche der
immer störrischer werdenden ukrainischen Jugend klar machen
sollten, dass unsere Anweisungen für sie bindend sind. Ich ließ
die Häuser beider Flüchtlinge niederbrennen. Der Erfolg war,
dass man in der Folgezeit wieder bereitwillig den Anordnungen
bezüglich Arbeitseinsatz nachkam.“
Dazu kam die erwähnte Verschleppung der Bevölkerung beim
Rückzug, die allerdings vor allem aufgrund des schnellen Vormarsches der Roten Armee weitgehend chaotisch verlief. Die geforderten Zahlen konnten so nie erreicht werden, zumal der Widerstand der Bevölkerung beständig anwuchs und die ungeordneten
Zustände häufig Gelegenheit zur Flucht boten. Aus dem Donbass-Gebiet liegen dazu Zahlen vor. So meldete die Wehrmacht
knapp 10 Prozent der Bevölkerung als evakuiert, das waren etwa
600 000 Menschen. Davon hat aber nur etwas mehr als die Hälfte
tatsächlich den Dnepr überschritten und in den weiter westlich
liegenden Auffangräumen kamen wiederum nur knapp 127 000
Menschen an. Immer noch eine gewaltige Zahl, aber es wird auch
deutlich, dass der Anspruch der totalen Evakuierung zu diesem
Zeitpunkt bereits weltfremd war. Die Wehrmacht selbst nannte in ihrem Bericht zu dieser Evakuierung die Ablehnung dieser
Maßnahmen durch die Bevölkerung als wichtigen Grund für den
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– aus deutscher Sicht – Misserfolg. Es heißt dort: „Der wichtigste Grund ist, dass die Bevölkerung die Evakuierung in weitem
Maße ablehnte. Diese Haltung der Bevölkerung ist auch die Begründung dafür, dass in Marsch gesetzte Trecks sich in kürzester
Zeit verflüchtigen.“
Eine weitere Steigerung erfuhren diese Maßnahmen 1944, als
vorrangig auf dem Gebiet des heutigen Belarus auch systematisch
Jugendliche im Alter von 10 bis 14 Jahren verschleppt werden
sollten. Dieses als HEU-Aktion betitelte Unternehmen – wobei
„HEU“ für „heimatlos, elternlos, unterkunftslos“ steht – wurde
propagandistisch als Schutz dieser Kinder vor den Partisanen
gerechtfertigt, aber in der Realität ging es um Arbeitskräfte vor
allem für die deutsche Rüstungsindustrie. Allerdings konnten die
geplanten Zahlen dabei nicht verwirklicht werden. Von den ursprünglich vorgesehenen bis zu 50 000 Jugendlichen gelangte aber
immerhin knapp die Hälfte nach Deutschland.
Überhaupt standen bei vielen Aktionen zur Erfassung von Arbeitskräften ab 1943 Aufwand und Ergebnis in keinem vernünftigen
Verhältnis. Ein Beispiel dafür ist das sogenannte Unternehmen
„Zauberflöte“, bei dem die Deutschen im April 1943 innerhalb
von sechs Tagen die gesamte Stadt Minsk nach Arbeitskräften
durchkämmten. Das magere Ergebnis waren 350 Menschen, die
man nach Deutschland schicken konnte. Speziell im besetzten
Belarus wurden im Zeichen der dort besonders starken Partisanentätigkeit auch häufig weit mehr Menschen ermordet, als man
als Arbeitskräfte gewinnen konnte. Bei der Aktion „Erntefest 2“
im Februar 1943 wurden zum Beispiel in einem Gebiet westlich
von Minsk innerhalb einer knappen Woche 2325 Menschen erschossen und nur 272 zur Arbeit im Reich erfasst, obwohl die
Verschickung ins Reich mittlerweile allerhöchste Priorität hatte.
Wenn man sich die Bilanz der beiden Jahre 1943 und 1944 aus
Sicht der deutschen Besatzungsverwaltung ansieht, dann ist es
erstaunlich, wie viele Menschen trotz der genannten zunehmenden Schwierigkeiten nach Deutschland gebracht werden konnten.
Man kommt dabei auf eine Gesamtzahl von über einer Million.
Mehr als die Hälfte der Zivilarbeiter aus der Sowjetunion, die bei
Kriegsende im Deutschen Reich waren, sind also nach der Niederlage von Stalingrad verschleppt worden. Wie geschildert waren einzelne Aktionen zur Arbeitererfassung dabei häufig wenig
ergiebig, aber die Vielzahl der Aktionen und die immer weiter
gesteigerte Brutalität und Skrupellosigkeit führte schließlich zu
diesem Ergebnis. Doch die geschilderten Fakten und die genannten Zahlen bleiben abstrakt. Sie geben eine Vorstellung von der
Radikalisierung auf deutscher Seite im Angesicht des verlorenen
Krieges, eine Radikalisierung, die sich bis zum 8. Mai 1945 fortsetzen sollte und etwa in den Todesmärschen bei der Räumung
der Konzentrationslager besonders augenfällig ist. Aber die Fakten und Zahlen sagen uns nichts darüber, wie die einzelnen Menschen in der besetzten Sowjetunion ihre Verschleppung erlebt
haben, wie ihr Schicksal und das ihrer Familien davon beeinflusst
wurde, wie häufig ihr gesamtes weiteres Leben dadurch geprägt
wurde. Darüber erfahren wir nur etwas aus biographischen Berichten und Aufzeichnungen der Zeitzeugen, die dies unmittelbar
erlebt haben.
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Ich wurde am 20. Januar 1926 im Dorf
Bondari, Sumskoj
Oblast, in der Ukraine geboren Mein
Heimatdorf liegt in
einer wunderschönen
Landschaft, umgeben
von reichen Wäldern.
Nach der Okkupation
durch die Deutschen sind dort sehr viele Menschen zu den Partisanen gegangen. Aus Angst davor, dass sich immer mehr Menschen den Partisanen anschließen könnten, führten die Deutschen
viele Festnahmen durch. Ende 1942 kam, um die Unterstützung
der Partisanen zu verhindern, der Befehl „Alle Männer von sechzehn bis sechzig Jahre werden nach Deutschland deportiert!“ So
bin ich im Dezember 1942, wie viele andere Dorf bewohner, im
Güterwaggon nach Dortmund gekommen. Mit einem Freund
kam ich in Dortmund an. Als Sechzehnjähriger musste ich, gemeinsam mit anderen Jugendlichen aus der Ukraine, fünf Tage im
Schacht Kohle mit dem Presslufthammer gewinnen. Ein Freund
von mir kam dort ums Leben. Drei Freunde und ich versuchten
von dort wegzukommen. Wir flohen bis zu einem Güterbahnhof
und versteckten uns mit der Absicht und der Hoffnung, mit einem Zug den Weg in die Heimat zu finden. Das ist uns nicht
gelungen, wir wurden nach ein paar Tagen gefasst und so bin ich
über mehrere Gefängnisse in Dortmund, Bochum, Kassel, Weimar nach Buchenwal gekommen. Am 29. Januar 1943 kam ich im
Lager an und erhielt die Nummer 9 870. Mit meinen Kameraden
war ich im Kleinen Lager im Block 61. Wir mussten im Schachtkommando an verschiedenen Stellen im Lager schwer arbeiten.
Später war ich im Steinbruch, wo ich fast ums Leben gekommen
wäre. Dann kam ich mit anderen Häftlingen, wir waren zu einem Kommando von etwa fünfhundert Mann zusammengestellt,
nach Peenemünde, wo wir an den Raketen V 1 und V 2 arbeiteten.
Nach einem Luftangriff dort kam ich zurück nach Buchenwald
und von dort nach Mittelbau-Dora. In Mittelbau-Dora war ich
neun Monate unter der Erde, im Stollen. Nach dieser Zeit durften wir die Stollen verlassen und wurden in Baracken untergebracht. Bis 25. März 1945 war ich Mittelbau-Dora. An diesem
Tag wurden wir in Waggons verladen, hundert Häftlinge in einen
Waggon, um uns nach Bergen-Belsen zu bringen. Das sollte der
Transport in den Tod sein. Zum Glück sind wir von den Alliierten befreit worden und so bin ich am Leben geblieben.
Ich war in unterschiedlichen Konzentrationslagern und habe in
vielfältigen Situationen von deutschen, französischen, italienische, spanischen Kameraden viel Unterstützung und Freundschaft erfahren. Die Solidarität hat uns am Leben erhalten. Ich
hatte das Glück, auch in der Haft und den Konzentrationslagern,
nette deutsche Menschen (darunter Zivilarbeiter) getroffen zu
haben. Mit Essen und Trinken haben sie uns – man nannte uns
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Es gilt das gesprochene Wort!
Boris Romanchenko
Ukrainischer Vizepräsident im internationalen Komitees
Buchenwald-Dora und Kommandos
Liebe Damen und Herren (deutsch),
liebe Kameraden,
ich bedanke mich, dass ich heute hier sein darf.
Ich heiße Boris Timofeewitsch Romanchenko (Романченко
Борис Тимофеевич). Ich bin Ukrainer.
Zur Zeit meiner Gefangenschaft in Deutschland wurden
Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion jedoch meist nur unter der
Bezeichnung „Ost“ geführt.
Untermenschen - das Leben gerettet. Das war sehr mutig, weil es
verboten war. Sie haben damit ihr eigenes Leben riskiert.
Ottomar Rothmann
Liebe Freunde, ich danke Euch für die Einladung und Eure
Aufmerksamkeit.
Von ganzem Herzen wünsche ich Euch viel Glück und dass niemand das erlebt, was wir ehemaligen Haftlinge erlebt haben!
Ich war seit 1943 politischer Schutzhäftling mit der Nummer 6 028 auf dem
Block 17 des Konz e nt r at ion s l a g e r s
Buchenwald.
Übersetzung: Galina Shamkhalova
Bearbeitet: G. Hoffmann
Dieser Block hatte
eine besondere Bedeutung. Er galt als Zugangsblock, auch Isolierblock und war mit
einem Stacheldrahtverhau von den anderen Blocks abgetrennt.
Alle Zugänge, außer den größeren Transporten, kamen für ca.
14 Tage auf Block 17, bis die Kameraden nach dieser Zeit auf die
anderen Blocks, entsprechend ihrer Nationalität verlegt wurden.
Eine weitere Besonderheit bestand darin, dass alle Außenkommandos von Buchenwald dem Block 17 zugeordnet waren. Wer
von den Kameraden z. B. Genehmigung hatte, Post zu schreiben oder zu senden, musste als Anschrift immer KL Bu Block 17
angeben. Die meisten von ihnen haben den Block von innen gar
nicht gekannt. Auf diesen Block 17 war ich als Schreiber eingesetzt. In dieser Eigenschaft bekam ich davon Kenntnis, dass seit
ca. 1944 auch Frauen in den Außenkommandos von Buchenwald
eingeliefert werden.
Im Sommer 1944 wurden auch wir auf dem Block von Folgendem
überrascht: Von der Häftlingsschreibstube wurde mir zu meiner Verwunderung vom Kapo mitgeteilt, dass noch am gleichen
Abend nach dem Appell unser Block auf Befehl des Rapportführers geräumt werden muss. Nur die Kameraden, die ständig
auf dem Block arbeiten, wie Blockältester, Schreiber und Stubendienst müssen auf dem Block verbleiben. Einen Grund für
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diesen Befehl konnte der mir sonst meist gut informierte Kapo
der Schreibstube, Hans Neumeister, nicht nennen. Gleichzeitig
wurde mir die Liste übergeben, nach welcher ich die Kameraden
auf andere Blocks zu verlegen hatte. Im Dauerlauf begab ich mich
zurück auf unseren Block, um schnell alle Vorbereitungen für diesen Umzug zu treffen. Ich kann mich dunkel daran erinnern, dass
gegen 22 Uhr alles durchgeführt war.
Am anderen Vormittag – wir waren gerade mit dem Reinigen des
Blocks fertig geworden – wurde der Blockälteste zur Schreibstube
gerufen. Wir waren beide überrascht, als wir erfuhren, dass ein
Transport russischer Frauen auf dem Block untergebracht werden
sollte. Der Befehl des Lagerkommandanten, Hermann Pister,
dass kein anderer Häftling zu diesen Frauen Kontakt aufnehmen
darf, wurde uns ebenfalls übermittelt.
Es war gegen Mittag, als die angekündigten weiblichen Häftlinge
– ca. 50–60 – vom Blockführer Schramm dem Blockältesten Otto
Storch übergeben wurden. Sie waren Frauen aller Altersgruppen.
Sie waren in einem schwachen körperlichen Zustand, sehr ausgehungert und mangelhaft gekleidet. Die Verständigung zwischen
uns klappte wunderbar, natürlich gebrochen. Unsere Kameradinnen aus dem fernen Russland spürten sofort, dass vor ihnen andere Deutsche standen. Deutsche, die mit ihnen im gemeinsamen
Kampf gegen den Faschismus vereint waren. Es sei mir erspart
zu erwähnen, welchen Demütigungen unsere Frauen von den SSBanditen ausgesetzt waren.
Die Ankunft von Frauen und Mädchen im Lager löste eine Welle
der Solidarität aus. Von jedem Block wurden gesammelte Rationen Lebensmittel wie Brot, Margarine, Marmelade, aber auch
Bekleidungsstücke gebracht und den Frauen übergeben. Sie spürten die Solidarität und die ganze Liebe des Häftlingslagers. Dieser Akt der Häftlingssolidarität war eine wichtige Aufgabe im
Überlebenskampf hinter Stacheldraht.
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Es gab aber noch mehr zu tun. Viele russische Häftlingskameraden wollten wissen, ob ihre Mütter, Frauen, Schwestern, Töchter
oder andere Verwandte unter den hier Eingelieferten waren. Auch
Zusammentreffen sollten wir ermöglichen. Den gleichen Wunsch
hatten natürlich auch unsere Frauen. Wir nutzten die Dunkelheit,
um entgegen dem Befehl des Kommandanten die inzwischen mit
Hilfe der Häftlingsschreibstube ermittelten Angehörigen heimlich in den Block einzuschleusen. Es finden sich keine Worte,
um dieses Wiedersehen im Block 17, dem Quarantäneblock, zu
schildern. Wie viele Zusammenkünfte es gab, ist mir nicht mehr
bekannt.
Fest steht, dass mir und anderen Kameraden dieses Erlebnis neue
Kraft gegeben hat, die Anstrengungen hinter Stacheldraht im
Kampf gegen die Faschisten zu erhöhen.
Unsere Frauen verblieben einige Tage auf unserem Block, bevor
sie in das berüchtigte Frauenkonzentrationslager Ravensbrück
abtransportiert wurden. Jeder Handschlag, jede Umarmung und
jeder Kuss beim Abschied sind unvergesslich in Erinnerung geblieben. Wir trennten uns in der Gewissheit, dass die Stunde des
Sieges über den Faschismus nicht mehr fern ist. Jetzt hatten wir
auch die Gewissheit und nicht mehr nur die Hoffnung. Ob wir
den Sieg noch erleben werden, wussten wir nicht.
Trotz der Kürze ihres Aufenthaltes in Buchenwald werden unsere Frauen Buchenwald nicht vergessen. Ja, so ist es wirklich,
Buchenwald kann man nicht vergessen, nicht die Qualen und
Demütigungen, nicht die grauenvollen äußeren Umstände und
Lebensbedingungen im Lager. Aber unvergessen bleibt auch die
Hilfe und Solidarität, der gemeinsame Wille zum Überleben der
Kameraden hinter Stacheldraht. Diese Tatsache kommt auch im
Refrain des Buchenwaldliedes zum Ausdruck. Da heißt es u. a.:
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„Oh Buchenwald ich kann dich nicht vergessen,
weil du mein Schicksal bist.
Wer dich verließ, der kann es erst ermessen,
wie wundervoll die Freiheit ist.“
Am 19. April 1945 haben wir auf unserer Trauerkundgebung auf
dem ehemaligen Appellplatz u. a. geschworen:
„Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist
unser Ziel.“
Ein Blick in unsere Geschichte verpflichtet uns, alle Kraft gegen
Neo-Nazis, Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Intoleranz in
jeder Form einzusetzen.
Das sind wir unseren demokratischen Freiheiten schuldig.
Es gilt das gesprochene Wort!
Bertrand Herz
Präsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und
Kommandos
Liebe Freunde, liebe Kameraden,
ich danke Ihnen, dass Sie mich eingeladen haben, an Ihrem
Treffen teilzunehmen und ich fühle mich sehr geehrt, dass ich
heute hier an der Seite meiner deutschen Kameraden sein kann.
Ich freue mich, dass Sie sich entschieden haben, meinen mutigen
sowjetischen Kameraden die Ehre zu erweisen und ich will über
meine eigenen Erfahrungen zu Ihnen sprechen.
Wir wissen alle, dass
die Nationalsozialisten gegenüber den
sowjetischen Kriegsgefangenen die Genfer
Konvention nicht angewendet haben und
auf welche schändliche Weise sie diese
Kriegsgefangenen behandelten. Wir kennen viele Bilder, wie deutsche Soldaten sowjetische Kriegsgefangene, Tausende, Zehntausende dieser Männer
bewachten, Menschen, die kein Dach über dem Kopf hatten und
nichts zu essen bekamen. Schlimmer als Tiere wurden sie behandelt. Wenn man das Lager Buchenwald besichtigt, erfährt man,
dass über achttausend sowjetische Militärangehörige im Pferdestall ermordet wurden.
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Ich habe persönlich einige sowjetische Kameraden getroffen, wobei ich nicht weiß, ob sie Kriegsgefangene oder zivile Häftlinge
waren, wir hatten schließlich alle die Uniformen der Häftlinge
an. Ich traf sie im Kleinen Lager und dann in dem Transport,
mit dem ich im Dezember 1943 zusammen mit meinem Vater von
Buchenwald in das Außenkommando Niederorschel gekommen
bin. Mein Vater starb in diesem Lager.
In diesem Transport befanden sich vielleicht hundert sowjetische
Kameraden, zu denen ich in Kontakt gekommen bin. Wir hatten
ausgezeichnete Beziehungen. Ich will nicht verheimlichen, dass
es im Lager bei den vielen Nationalitäten auch Schwierigkeiten
untereinander gab, was nicht nur an Sprachproblemen lag. Es gab
viele Gründe.
Aber ich als Franzose habe die sowjetischen Kameraden immer
als ganz besonders herzlich kennengelernt. Sie halfen mir – und
das kann ich ganz sicher sagen – dass ich überlebte.
Wie hier schon gesagt wurde, ich erfuhr davon erst nach der Deportation, haben die sowjetischen Kameraden wichtige Aufgaben
beim bewaffneten illegalen Widerstand und bei der Befreiung des
Lagers Buchenwald erfüllt. Wir Franzosen wussten im Prinzip
immer, in welch unglaublich schlimmer Weise die sowjetischen
Kameraden behandelt wurden und dass sie ganz besonders viel
Mut auf bringen mussten, um diese wichtige Rolle beim illegalen Widerstand wahrzunehmen. Natürlich hat es im Widerstand
besonders viele Deutsche gegeben, Franzosen, Angehörige vieler
anderer Nationen, aber die Rolle, die die sowjetischen Kameraden
einnahmen, hat mich immer in der Sympathie für sie bestätigt.
Ich freue mich, dass Sie den sowjetischen Kameraden heute die
Ehre erweisen und danke Ihnen im Namen des Internationalen
Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos dafür.
Übersetzung: Franka Günther
Bearbeitung: G. Hoffmann
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Heinrich Fink
Bevor Lena Sarah Carlebach aus Zeitzeugenberichten vortragen
wird, erlaube ich mir, Ihnen einen besonderen Beweggrund zu
sagen, der mich mit Buchenwald sehr stark verbindet.
Als Dietrich Bonhoeffer vom Gefängnis Berlin-Tegel am 2. Februar 1945 abtransportiert wurde, brachte man ihn nach Buchenwald,
um ihn auf Geheiß Hitlers ermorden zu lassen. Es ist bewegend
für mich, 68 Jahre nach der Ermordung von Dietrich Bonhoeffer
hier an diesem Ort zu sein. Seine Erkenntnisse und Überzeugungen haben bereits drei Christengenerationen seitdem geprägt. Er
ist unermüdlich für Frieden und Völkerverständigung eingetreten
und gegen den Ungeist antikommunistischer Vorurteile.
Im SS-Arrest, also im SS-Bereich des Lagers, war er mit Wassilij
Kokorin zusammen, dem Neffen des sowjetischen Außenministers Molotow. Franz von Hammerstein berichtete, wie er nach
Tagen von Bonhoeffers Aufenthalt in Buchenwald erfahren hat.
Er sprach davon, wie Kokorin ‑ Kommunist und Russe ‑ und
Bonhoeffer ‑ Christ und Deutscher ‑ intensiv die Zeit nutzten,
um miteinander zu diskutieren. Kokorin war sehr an dem interessiert, was der Theologe dachte, wie er Gott interpretierte in dieser
gottlosen Zeit, und Bonhoeffer wollte wissen, wie ein Kommunist
in dem wahnsinnigen Krieg zwischen Deutschland und Russland
denkt.
Beide wurden dann abtransportiert. Franz von Hammerstein traf
auf sie noch einmal in Schönburg, bevor der Transport mit Bonhoeffer und Kokorin getrennt wurde. Sie waren noch gemeinsam
in einer Schule untergebracht. Am Karfreitag 1945 hatte Kokorin
Bonhoeffer gebeten, eine Andacht zu halten.
Kokorin kam danach auf die so genannte Alpenfestung. Bonhoeffers Transport ging nach Flossenbürg, wo er am 9. April 1945
nachts in einem Standgerichtsverfahren zum Tode verurteilt und
erhängt wurde.
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Franz von Hammerstein war als Sippenhäftling in dem Transport in Richtung Österreich. Er sprach wiederholt von der kurzen Begegnung mit Bonhoeffer und dem für ihn schmerzlichen
Abschied, wobei er immer hoffte, dass sie noch das Kriegsende
erleben würden.
Martin Niemöller klagte vor uns Studenten: Warum haben wir
uns erst in den Konzentrationslagern kennen gelernt? Hätten wir
uns doch früher besonnen, hätten wir vieles verhindert, vielleicht
sogar den Hitlerfaschismus. Doch der Antikommunismus in unserer Kirche hat uns davon abgehalten, ein vernünftiges Bündnis
mit den antifaschistischen Kräften einzugehen.
Das ist es, was uns heute bewegen sollte: Bündnisse zu schaffen,
Bündnisse zum Beispiel, dass Gedenkstätten weiterhin Mahnstätten bleiben; Bündnisse, dass Geschichte in keiner Weise verfälscht werden darf.
Lena Sarah Carlebach liest aus Zeitzeugenberichten sowjetischer
Frauen, die hier in Buchenwald waren. Lena ist die Enkelin von
Emil Carlebach. Er hatte im KZ Buchenwald eine sehr wichtige Funktion. Als Blockältester des Blocks 21, des so genannten
Judenblocks, hat er durch viel Klugheit und Konspiration vielen
Juden das Leben gerettet.
Für mich gehört sein Name nach Yad Vashem.
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Lena Sarah Carlebach
las aus Erinnerungen
sowjetischer Frauen
Aleksandra Pawlowna Lawrik
Alexandra Pawlowna Lawrik wird als
Aleksandra Pawlowna Wischnjak am 18.
Juli 1918 im ukrainischen Dnepropetrowsk geboren.
Sie besucht die Mittelschule und tritt
in den Komsomol ein. Nach der Lehre arbeitet sie als Buchhalterin in einem Industriebetrieb. Sie wird Mitglied der KPdSU, gewählte Deputierte
des Stadtsowjets und Redakteurin der
Betriebszeitung.
In einem Interview mit Irmgard Seidel berichtete Aleksandra
Pawlowna Lawrik:
„Am 09. August 1943 wurde Dnepropetrowsk erstmals bombardiert. Daraufhin begann man, das Werk, in dem ich arbeitete,
und die Arbeiter zu evakuieren.
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Ich hatte einen Sohn von fünf Jahren. Mein Mann wurde schon
am zweiten Kriegstag in die Rote Armee eingezogen. Er war
Reserveoffizier.
Ich wollte nicht mit Vater, Mutter und dem kleinen Kind evakuiert werden und wir gingen deshalb in der Nähe von Dnepropetrowsk auf ’s Land. 35 Tage lang gab es harte Kämpfe um die Stadt,
bis sie besetzt wurde.
Auch das Dorf, in dem wir lebten wurde eingenommen und wir
wurden wieder zurück in die Stadt geschickt. Dort mussten wir
uns bei der Gestapo registrieren lassen und ich musste sagen, dass
ich Kommunistin bin.
Deshalb war ich 1942 schon einmal von der Gestapo verhaftet,
aber wieder freigelassen worden.
Im September 1943 wurde ich erneut verhaftet und in ein Sammellager gebracht.
Mein Vater auch. Er hatte ein Magengeschwür und war deshalb
operiert worden.
Aus dem Krankenhaus war er entlassen worden, damit er nach
Deutschland abtransportiert werden konnte.
Vom 10. bis 19. September waren wir unterwegs nach Deutschland, Frauen und Männer in getrennten Waggons. In einem
Waggon haben die Frauen die Dielen herausgerissen.
Alle Frauen, bis auf eine, haben den Wagen durch diese Öffnung
verlassen. Eine hatte so fest geschlafen, dass sie nichts mitbekommen hat. Als die ukrainischen Polizisten am nächsten Tag nur
diese Frau fanden, haben sie sie so zusammen geschlagen, dass ihr
Körper ganz schwarz wurde. Bei der Desinfektion in Buchenwald
habe ich es gesehen und erfahren, was passiert war.
In Buchenwald verbrachten wir drei Tage in einer umzäunten Baracke, die in der Nähe des Lagertores stand. Manche Deutsche
betrachteten uns in erster Linie mit Verwunderung. Sie sagten, sie
hätten Frauen schon elf Jahre nicht gesehen. Einige steckten uns
etwas von ihren Rationen durch den Stacheldraht zu. Auch Franzosen, die Rotkreuzpakete erhielten. Eh wir nach Ravensbrück
gebracht wurden, sah ich meinen Vater noch einmal wieder.
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Er starb am 20. April 1944 in Buchenwald.“
Aleksandra Pawlowna Lawrik blieb zwei Monate im Frauen
Konzentrationslager Ravensbrück. Danach wurde sie ins Buchenwalder Frauenaußenlager IG Farben Wolfen gebracht, in dem sie
Zwangsarbeit leisten musste.
Farida Chodshajewna Saliksjanowa
Farida Chodshajewna Saliksjanowa
wird am 23. Mai 1920 in Moskau in
einer Arbeiterfamilie geboren. Der
Nationalität nach ist sie Tatarin. Die
Eltern haben außer ihr noch zehn
weitere Kinder. Nach der Mittelschule
beginnt Farida, Architektur zu studieren. Sie wird Mitglied im Komsomol.
Während des großen Vaterländischen
Krieges meldet sie sich freiwillig
zur Roten Armee. Als Aufklärerin
kämpft sie im Hinterland des Feindes.
Durch Verrat gerät sie 1943 in deutsche Gefangenschaft.
Nachdem sie das Angebot, für die gegnerische Aufklärung zu arbeiten, ausschlägt, wird sie Ende 1943 zunächst in ein Straflager
in Estland gebracht, danach ins Zuchthaus Brandenburg und im
September 1944 ins Konzentrationslager Ravensbrück. Dort erhält sie das rote Dreieck mit der Aufschrift „SU“ für „sowjetische
Kriegsgefangene“.
In einem Interview in Ravensbrück berichtete Farida am 13. September 1999:
„Von Ravensbrück wurden wir nach Meuselwitz gebracht. Das
war ein Außenlager von Buchenwald. Für uns Kriegsgefangene
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gab es eine separate Baracke. Die Bedingungen waren für uns, im
Vergleich zum übrigen Lager, ganz anders.
Worin kam das zum Ausdruck? Dort war eine Fabrik, wo irgendwelche Teile für die Rüstung hergestellt wurden. Dorthin zu gelangen, war ein Privileg, weil es dort warm war.
Dort war die Arbeit nicht so schwer. Dort gab es verschiedene
Arbeiten. Einige arbeiteten an Werkzeugmaschinen, andere verrichteten andere Arbeiten. Mit einem Wort – die Arbeit war dort
nicht körperlich schwer. Und was dort noch so besonders war,
war die Früh- und die Nachtschicht. Wenn jemand in die Nachtschicht kam, hatte er die Möglichkeit sich zu waschen. Das war
das Angenehmste. Deshalb war es der Traum eines Jeden, in die
Nachtschicht zu kommen. Es gab eine Mittagspause von 40 Minuten Länge. Da konnte man sich entweder waschen oder schlafen, besser gesagt schlummern. Aber Kriegsgefangene wurden
nicht dorthin gelassen. Kriegsgefangene verrichteten Außenarbeiten, nur Außenarbeiten. Dort waren irgendwelche Baustellen.
Wir schleppten Betonplatten in Loren. Wir beluden Karren mit
Zement und Sand.
Am Sonntag war für das Lager arbeitsfreier Tag. Aber für die
Kriegsgefangenen gab es keinen freien Tag. Uns brachte man zu
Aufräum- und Reinigungsarbeiten in die Stadt.
Dort waren Toiletten.
Im Allgemeinen gab es verschiedene Arbeiten in der Stadt. Zwei
Vorfälle waren schrecklich. Man hatte uns irgendwo hingebracht, damit wir nicht explodierte Bomben sicherstellten. Das
war irgendwo in der Umgebung von Meuselwitz. Ich kann es
nicht mehr genau sagen. Wir wurden dorthin gebracht. Als die
Bomben hergestellt wurden, hat sie jemand so präpariert, dass sie
nicht explodierten. Wer es auch immer getan hat – ihm sei Dank!
Zumindest sind sie nicht explodiert als wir sie ausgruben und
sicherstellten. Auf diese Art und Weise, weil wir solches Glück
hatten, sind wir am Leben geblieben. Das war auch eine Arbeit
für Kriegsgefangene.
Die Baracke war separat. Verpflegt wurden wir genauso wie die
übrigen Lagerinsassen. Bestraft wurden wir für alles Mögliche.
Dazu kann ich auch einen Vorfall erzählen.
Ich wollte auch irgendwie in die Nachtschicht gelangen, um mich
zu waschen. Ein Mädchen war krank, und ich versuchte, an ihrer Stelle zu gehen. Und wirklich – ich schaffte es zu gehen und
konnte mich auch waschen. Aber danach erhielt ich Peitschenhiebe auf meinen Rücken. Davon habe ich bis jetzt Probleme mit der
Wirbelsäule. Dieser Schmerz ist mir, wie soll ich sagen, erhalten
geblieben. Aber damals gelang es mir, mich zu waschen. Aber im
Übrigen kann man sagen, dass die Kriegsgefangenen besonderen,
sehr restriktiven Bedingungen ausgesetzt waren.“
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Nina Iwanowna Schalagina
Nina Schalagina wird als Nina
Adrejewska am 13. Oktober 1928
in Surasz, Brjansker Gebiet, in
der Sowjetunion geboren. Im
September 1943 brennen die
Deutschen die Stadt Klinzy, in
die die Familie übergesiedelt ist,
nieder.
Nina, ihre 40-jährige Mutter
Walentina und die fünfjährige
Schwester Elena werden mit den
anderen Einwohnern auf dem
Bahnhof zusammengetrieben
und in Viehwaggons verladen. Nach vierwöchiger Fahrt erreichen
sie am 10. Oktober 1943 die sächsische Stadt Chemnitz. Das Arbeitsamt der Stadt registriert die Fünfzehnjährige und weist sie
in das Ostarbeitslager Chemnitz-Borna ein. Um der körperlichen
Schwerstarbeit und dem ständigen Hunger zu entgehen, unternimmt sie im August 1944 einen Fluchtversuch mit der Mutter.
Er misslingt. Die Gestapo verhaftet Nina, verhört sie im Polizeigefängnis Berlin-Alexanderplatz und schlägt sie brutal.
Am 28. September 1944 bringt man sie ins Konzentrationslager
Ravensbrück. Dort trifft sie ihre Mutter wieder. Mit der Häftlingsbezeichnung „Russische Zivilarbeiterin“ werden beide Frauen am 06. Oktober 1944 in das Außenlager des KZ Buchenwald,
Hasag Taucha überstellt.
Im März 2001 berichtete Nina Iwanowna Schalagina:
„Nach zwei Wochen in Ravensbrück ging ich am 16. September 1944 auf Transport in das Konzentrationslager Buchenwald,
schon unter meiner 3. Nummer 38 966.
Im Frauenarbeitslager von Buchenwald waren alle Hilfsarbeiter (für Hofarbeiten, Entladearbeiten von Kohle und andere
Hilfsarbeiten).
Im Lager herrschte strenges Regime. Wer zum Beispiel eine
Möhre beim Entladen für die Küche mit ins Lager nahm, musste
mit anderen eine Stunde mit erhobenen Händen bei jedem Wetter
Strafstehen. Es gab nur kaltes Wasser am offenen Waschpilz, der
sich im Freien befand und nur ein Dach besaß, und wo sich die
Häftlinge bei Minus 10 Grad unter Aufsicht waschen mussten.
Aber um die Waschanlage herum lag eine dünne Schneeschicht.
Wir arbeiteten 14 Stunden am Tage, dabei verblieb nur wenig
Zeit, um die Brühe zu löffeln und sich ein wenig zu erholen. Und
ungeachtet der schweren Bedingungen war ich doch am Leben
geblieben – das Mädchen, die Halbwüchsige – ohne Kindheit,
ohne Sonne und Freude.
Mit dem Vormarsch der Sowjetarmee Anfang März, als das
Brummen unserer Flugzeuge zu hören war, fassten wir wieder
Mut, schauten mit der Hoffnung auf Befreiung in den Himmel;
die Aufseher und Begleitposten jedoch, die uns zur Arbeit führten, wirkten sehr missmutig und aufgeregt.
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Im März 1945 trieb man uns bei der Annäherung der Sowjetarmee in den dunklen Keller eines der Gebäude, wo wir die Nacht
verbrachten. Die Häftlinge hatten nur einen Gedanken: wird
man uns durch Gas vernichten? Aber am Morgen wurde die Tür
des Kellers geöffnet, wir erhielten eine Brotration und ein Stück
Margarine, eine graue Häftlingsdecke, einen Becher (Konservendose) und dann ließ man uns in Marschordnung in fünfer Reihen
antreten. Unter der Bewachung von Soldaten führte man uns wieder ins Ungewisse. Die mehrtausendköpfige Kolonne von Häftlingen Buchenwalds, Männer und Frauen mit einer Nummer auf
der Brust, auf dem Rücken mit roten Kreuzen durch Ölfarbe gekennzeichnet, machte sich auf den Weg. Zu hören waren nur das
Schlurfen der Holzschuhe, das Bellen der Hunde und die Rufe
der Begleitposten.“
Die Kolonne führte man zwei Wochen mit kurzen Pausen zum
Empfang von Verpflegung für die Soldaten, die Hunde und Häftlinge, die kaum Möglichkeit zur Erholung gaben, über das gefrorene Land.
Die älteren Häftlinge, die keine Kräfte mehr zum Gehen hatten, fielen vor Müdigkeit und Hunger nieder, und blieben auf der
Fahrbahn liegen. Auch ich war von Kräften gekommen, die Beine knickten ein, aber mutig stützten mich meine Begleiter, meine
Mutter und drei Mädchen, die fest entschlossen waren, zu fliehen. Die Kolonne marschierte Tag und Nacht.
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schlimmste Not zu lindern. An die Größe internationaler Solidarität zu erinnern, sie zu bewahren und zu beleben, war eines der
Anliegen des 4. Treffens der Nachkommen.
Mit großer Sorge sehen wir neofaschistische Entwicklungen in
Europa, die einhergehen mit Gleichsetzungsversuchen von Faschismus und dem Sozialismusversuch, mit Geschichtsverfälschung und Geschichtsrevisionismus.
Wir erwarten von politischen Zuständigen der Bundesrepublik
Deutschland, dass sie aus historischer Verantwortung ihren Einfluss in der Europäischen Union geltend machen, damit in den
Mitgliedsländern neofaschistische Aktivitäten unterbunden werden, um ihr weiteres Erstarken zu verhindern.
Erklärung
Der vor 68 Jahren von 21 000 befreiten Häftlingen geleistete
Schwur von Buchenwald artikulierte den Wunsch und die Verpflichtung, sich für eine Welt des Friedens und der Freiheit einzusetzen, in der es keine Wurzeln für Faschismus mehr gibt. Bis in
die Gegenwart hat die Umsetzung des Schwurs hohe Aktualität.
Am 14. April 2013 trafen sich, eingeladen von der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora, auf dem Ettersberg bei Weimar ehemalige Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald,
Vertreter ehemaliger sowjetischer Häftlinge, die als Kriegs- und
Zivilgefangene im Lager und seinen Außenlagern waren, hinterbliebene Angehörige und Nachkommen, Antifaschistinnen und
Antifaschisten.
Deutsche politische Häftlinge initiierten beispiellos mutige Solidaritätsaktionen, die den sowjetischen Kriegsgefangenen 1941
und den Massenankünften sowjetischer Kriegs- und Zivilgefangener, darunter viele Frauen, 1943 galten und dazu beitrugen,
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Das setzt voraus, dass in der Bundesrepublik Deutschland alles
unternommen wird, der Verharmlosung von Verbrechen des deutschen Faschismus konsequent und wirksam entgegen zu wirken,
was ein endgültiges und nachhaltiges Verbot der NPD und ihrer
Gliederungen einschließt.
Wir fordern dringend die allseitige Unterstützung zivilgesellschaftlichen Engagements in der Auseinandersetzung mit aktuellem Neofaschismus.
Weil unser Gedenken uns verpflichtet, aktiv politisch zu handeln,
um das Vermächtnis des antifaschistischen Widerstands zu bewahren, wenden wir uns entschieden gegen Kriegsbeteiligung,
Rüstungsexporte, latenten und offenen Rassismus, geschürte
Fremdenfeindlichkeit und nationale Überheblichkeit.
Allein Frieden, Demokratie, Freiheit und solidarisches Miteinander bieten Voraussetzungen für das Zusammenleben der
Menschen.
Buchenwald, am 14. April 2013
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Заявление
Клятва 21.000 освобожденных заключенных Бухенвальда,
принесенная 68 лет назад, выражала желание и обязательство бороться за мир на земном шаре и свободу, за мир, в
котором больше не будет корней фашизма.
Выполнение этой клятвы высоко актуально и в нынешнее
время.
По приглашению комитета лагеря Бухенвальд-Дора 14го
апреля 2013 на горе Эттерсберг возле Веймара встретились
бывшие заключенные концентрационного лагеря Бухенвальд, представители бывших советских заключенных,
которые пребывали в лагере и его филиалах как военнопленные или гражданские лица,
близкие родственники покойных и их потомков а также
антифашисты.
Немецкие политические заключенные проявили инициативу для безпримерно мужественных акций солидарности. Они были направлены на поддержку советских
военнопленных 1941-го года и массам советских военнопленных и гражданских лиц, поступившим в 1943 году.
Среди последних находились много женщин. Эти действия солидарности помогли смягчать самую страшную
беду.
Вспомнить, сохранить и оживить величину этой международной солидарности было одной из задач четвертой
встречи потомков.
Мы смотрим с большой озабоченностью на актуальные
неофашистские развития в Европе. Эти процессы связаны с попытками отождествления фашизма с социалистической попыткой, с искажением истории а также с ревизионизмом истории.
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Мы ожидаем от политически ответственных лиц Федеративной Республики Германии, что они, исходя из исторической ответственности, используют все свое влияние
в Евросоюзе, чтобы пресечь неофашистские действия в
союзных странах и воспрепятствовать дальнейшему усилению этих идей.
Это предполагает, что в Федеративной Республике Германии будут приняты все необходимые меры, чтобы решительно и эффективно противодействовать предуменьшению преступлений немецкого фашизма. Это включает
также окончательное запрещение НПГ (Национальнодемократической Партии Германии) и ее подразделений.
Мы требуем незамедлительную и всестороннюю поддержку гражданских инициатив в борьбе с актуальным
неофашизмом.
Так как наша память обязывает нас к активному политическому действию,
чтобы выполнить завещание антифашистского
сопротивления,
мы решительно выступаем против участия в военных
конфликтах, экспорта вооружений, скрытого и открытого рассизма, разжигания враждебного отношения к иностранцам и национального высокомерия.
Только мир, демократия, свобода и солидарное отношение друг к другу создают предпосылки для совместной
жизни людей.
Бухенвальд, 14го апреля 2013 г.
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Der Schwur von Buchenwald
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Gedenken
auf dem Ehemaligen
Appellplatz Buchenwald
14. April 2013
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Am 14. April 2013 fand auf dem ehemaligen Appellplatz des KZ
Buchenwald das Gedenken des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos statt, das in der Verantwortung
der Gedenkstätte KZ Buchenwald lag.
Nach Bertrand Herz sprach Albert Dlabaja als Vertreter Österreichs im Internationalen Komitee Buchenwald-Dora und
Kommandos. Michael Kogon würdigte Stefan Hessel. Mit einer
gemeinsamen Erklärung des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos und des Beirates der Überlebenden
des Konzentrationslagers Buchenwald endete das Gedenken.
Bertrand Herz
Allocution d’Introduction –
Cérémonies du 14 avril 2013
Nous sommes réunis pour célébrer le 68ème anniversaire de la
libération, le 11 avril 1945, des 21.000 rescapés du camp de Buchenwald. Quelques jours plus tard, le 19 avril, ces survivants rendaient hommage à leurs 56.000 camarades assassinés. Pour rester
dignes de leur sacrifice, ils juraient solennellement de construire
un monde nouveau de paix et de liberté.
Mais beaucoup d’entre
nous durent aussi penser que ce jour était la
fin d’un épouvantable
cauchemar commencé 12 ans plus tôt, en
1933.
Il y a, en effet, 80 ans
cette année, Hitler
accède au pouvoir et
établit immédiatement
une impitoyable dictature : interdiction
de toute opposition tels que les partis politiques et les syndicats,
création des camps de concentration pour y enfermer les courageux opposants, antifascistes allemands et réduire au silence voire
conduire à la mort ces premiers internés.
A peine deux ans plus tard, par es lois de Nuremberg de 1935, Hitler instaure un Etat raciste, excluant les communautés soi-disant
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« inférieures », Juifs et Sinté et Roms, de la race allemande soidisant des « seigneurs ».
A peine 5 ans plus tard, il y a 75 ans cette année, en 1938, par le
chantage et la menace, puis par l’agression, Hitler commence à
mettre en œuvre la conquête de l’Europe qui devait conduire à
l’asservissement des peuples à une race « supérieure » régnant en
maîtresse sur des races « inférieures » esclaves.
Encore un an plus tard, en mars 1939, Hitler détruit l’Etat tchécoslovaque et crée le « protectorat de Bohême Moravie » et l’Etat
de Slovaquie asservis au Reich.
À partir de septembre 1939, il attaque et détruit la Pologne, dont
l’Etat est réduit au gouvernement général esclave des nazis.
En 1940, Hitler occupe les Etats de l’Ouest et du Nord de l’Europe, et annexe au Grand Reich les terres françaises d’Alsace et de
Lorraine.
En 1941 débute une atroce guerre d’extermination des nazis contre
les peuples des Balkans puis de l’Union soviétique.
Parallèlement se met en place la tentative d’extermination totale
des communautés juive et sinté et roms.
Il fallut la résistance courageuse des peuples asservis et le combat
des armées alliées pour qu’à partir de 1942, le rêve hitlérien du
Reich de mille ans soit contenu puis enfin définitivement brisé.
Les patriotes qui, dans les différents pays européens, luttèrent
contre le fascisme : d’abord les Allemands, puis les Autrichiens
dès 1938, enfin tous les patriotes des pays occupés se retrouvèrent
nombreux dans les camps.
Ils y continuèrent la lutte contre les nazis, et construisirent solidairement entre eux une Europe de liberté et de dignité loin de la
folle Europe meurtrière des nazis.
De ce combat naissait, il y a 70 ans, en 1943, le Comité international clandestin.
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Certes l’histoire ne se répète pas toujours. Toutefois, nous devons
méditer la facilité avec laquelle Hitler a répandu en Europe la pire
des barbaries.
Nous devons combattre de toutes nos forces la renaissance en
Europe même des idéologies néonazies, du racisme, de l’antisémitisme, de l’intolérance, et plus généralement la violence aveugle et
le mépris des droits de l’homme qui s’insinuent et se
banalisent de façon hélas ordinaire dans nos sociétés
C’est à ce prix seulement que nous pourrons commencer à réaliser
le Serment juré le 19 avril 1945.
Dans quelques minutes, Albert Dlabaja, représentant de l’Autriche au Comité international, nous parlera de la résistance des
antifascistes autrichiens, dont son père, face à Hitler.
Après avoir écouté Albert Dlabaja, nous rendrons hommage à une
grande figure, récemment disparue, et grand Européen : Stéphane
Hessel, un des premiers résistants français rallié au général de
Gaulle, qui n’échappa à une mort atroce au camp de Buchenwald
que grâce à la résistance clandestine internationale du camp.
Bertrand Herz
Grußwort zur
Gedenkfeier am 14. April 2013
Wir sind heute zusammen gekommen, um am 68. Jahrestag der
Befreiung der 21 000 Überlebenden des KZ Buchenwald am
11. April 1945 zu gedenken. Ein paar Tage später, am 19. April
1945, ehrten diese Überlebenden ihre 56 000 ermordeten Kameraden. Um sich dieses Opfers würdig zu erweisen, schworen sie feierlich, eine neue Welt des Friedens und der Freiheit aufzubauen.
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Aber viele von uns mussten auch daran denken, dass dieser Tag
das Ende eines schrecklichen Albtraums war, der 1933, also 12
Jahre zuvor, begonnen hatte.
Vor genau 80 Jahren kommt Hitler an die Macht und beginnt
sofort damit, eine unerbittliche Diktatur zu errichten: er verbietet
jede Art von Opposition und damit die politischen Parteien und
die Gewerkschaften und er errichtet die Konzentrationslager, um
dort die mutigen Oppositionellen wie die deutschen Antifaschisten einzusperren und diese ersten Häftlinge zum Schweigen zu
bringen oder auch zu töten.
Knapp zwei Jahre später wird Nazi-Deutschland durch die Nürnberger Gesetze von 1935 ein rassistischer Staat, in dem die sogenannten „minderwertigen“ Rassen der Juden und der Sinti und
Roma aus der Gemeinschaft der sogenannten deutschen „Herrenrasse“ ausgeschlossen werden.
Und vor 75 Jahren, also 5 Jahre später im Jahr 1938, beginnt Hitler mit der Eroberung Europas - zuerst durch Erpressung und
Drohungen, später durch Überfälle - was zu einer Unterwerfung
der Völker unter eine „überlegene“ Rasse führen sollte, die über
die versklavten „minderwertigen“ Rassen herrschte.
Im März 1939, fast genau ein Jahr danach, zerschlägt Hitler die
Tschecho-Slowakische Republik, und schafft das dem Reich unterworfene „Protektorat Böhmen und Mähren“ und die Slowakei.
Von September 1939 an führt er Krieg gegen Polen und zerstört
das Land, das von den Nationalsozialisten als Generalgouvernement versklavt wird.
1940 besetzt Hitler die Staaten Nord- und West-Europas und annektiert für das „Großdeutsche Reich“ das französische Gebiet
von Elsaß und Lothringen.
1941 beginnt ein fürchterlicher Vernichtungskrieg der Nationalsozialisten gegen die Völker des Balkans und der Sowjetunion.
Zeitgleich wird der Versuch der vollständigen Vernichtung der
Juden und der Sinti und Roma unternommen.
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Erst durch den mutigen Widerstand der unterjochten Völker und
den Kampf der Alliierten wurde Hitlers Traum von einem tausendjährigen Reich nach 1942 Einhalt geboten und schließlich
zerstört.
Die Patrioten, die in den verschiedenen europäischen Ländern
gegen den Faschismus gekämpft hatten – zuerst die Deutschen,
dann von 1938 an die Österreicher und schließlich die Patrioten
aller besetzten Länder – fanden sich in großer Zahl in den Lagern
wieder.
Auch dort setzten sie den Kampf gegen die Nationalsozialisten
fort und erschufen solidarisch miteinander ein Europa der Freiheit und der Würde, das dem mörderischen Europa der Nazis
entgegenstand.
Aus diesem Kampf heraus entstand 1943, also vor 70 Jahren, das
internationale Illegale Lagerkomitee.
Natürlich gibt es in der Geschichte keine einfachen Wiederholungen. Dennoch sollte es uns zu denken geben, wie mühelos
Hitler die schlimmste Barbarei über ganz Europa verbreitet hat.
Wir müssen mit all unserer Kraft das Wiederaufleben von neonazistischer Ideologie, von Rassismus, Antisemitismus, Intoleranz und blinder Gewalt allgemein sowie die Missachtung der
Menschenrechte in Europa bekämpfen, die sich leider auf ganz
gewöhnliche Weise in unseren Gesellschaften breit machen und
banal zu sein scheinen.
Nur unter dieser Voraussetzung können wir beginnen, den
Schwur vom 19. April 1945 umzusetzen.
Albert Dlabaja, der Vertreter Österreichs im Internationalen Komitee, wird gleich das Wort ergreifen und uns vom Widerstand
berichten, den die österreichischen Antifaschisten, zu denen auch
sein Vater gehörte, gegen Hitler leisteten.
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Nach dem Beitrag von Albert Dlabaja werden wir einen großen
Europäer ehren, der kürzlich verstorben ist: Stéphane Hessel,
der zu den ersten französischen Widerstandskämpfern um General de Gaulle gehörte und der von der internationalen illegalen
Widerstandsorganisation in Buchenwald vor einem schrecklichen
Tod bewahrt wurde.
Übersetzung: Franka Günther
Comité international
BUCHENWALD-DORA
ET KOMMANDOS
Beirat der Überlebenden
des Konzentrationslagers
Buchenwald
Bertrand Herz
Floréal Barrier
PrésidentVorsitzender
Gegen den Missbrauch von
KZ-Gedenkstätten
Erklärung des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und
Kommandos und des Beirates der Überlebenden des Konzentrationslagers Buchenwald an der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und
Mittelbau-Dora aus Anlass des 68. Jahrestages der Befreiung
Seit Dezember 2012 hat Tuvia Tenenbom die Arbeit der Stiftung
Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora immer wieder
in einer Weise öffentlich angegriffen und diffamiert, die uns tief
beunruhigt. Ohne die Geschichte der Konzentrationslager Buchenwald und Mittelbau-Dora zu kennen, ohne mit der Arbeit
der Stiftung vertraut zu sein und ohne mit uns, den Überlebenden, gesprochen zu haben, behauptet Herr Tenenbom, dass das
ehemalige KZ Buchenwald, in dem die SS über 56 000 Menschen
ermordet hat, heute ein „Disneyland“ sei, das von verkappten Antisemiten geführt würde. Diese Vorwürfe sind so abstrus, dass sie
sich selbst ad absurdum führen.
Wir weisen die Unterstellungen trotzdem öffentlich zurück, weil
wir in diesen Unterstellungen eine Entwicklung der Erinnerungskultur sehen, der wir entschieden entgegentreten. Die Orte unseres Leidens und unseres Widerstands dürfen auch dann, wenn
wir nicht mehr sind, nicht missbraucht werden, so wie dies Herr
Tenenbom tut. Wir akzeptieren nicht, dass unsere Geschichte,
dass die Geschichte der in den Lagern ermordeten Menschen für
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kommerzielle Zwecke ausgeschlachtet oder dass sie für politische
Zwecke instrumentalisiert wird. Wir erinnern an die auch vom
Internationalen Komitee Buchenwald-Dora und Kommandos
mitverfasste gemeinsame Erklärung der Häftlingskomitees aller
Konzentrations- und Vernichtungslager vom 27. Januar 2009, die
wir dem Deutschen Bundestag übergeben haben. Dort heißt es:
„Nationalsozialismus und Krieg haben in Europa eine schreckliche Bilanz hinterlassen: Millionenfacher Mord, Hunderttausendfache ‚Vernichtung durch Arbeit‘, Versklavung der Völker, Entwürdigung der Menschen.
Wir, die ehemaligen Häftlinge, haben die Lager überlebt. Seither gedenken wir der Millionen Opfer, die an diesen Orten um
ihr Leben gebracht wurden. Wir schworen, eine neue Welt des
Friedens und der Freiheit aufzubauen. Und wir haben zeitlebens
Zeugnis abgelegt von den Verbrechen der Nationalsozialisten.
Wir haben uns engagiert, um eine Wiederkehr dieser unvergleichlichen Verbrechen zu verhindern.
(…) Nur das konsequente Bewusstmachen der Vergangenheit
kann falsche Entwicklungen in Gegenwart und Zukunft verhindern. (…) Erinnerung und Gedenken stehen immer wieder in
Gefahr, instrumentalisiert zu werden. Anstatt unsere Ideale gegen Unterdrückung und Verletzung der Menschenrechte und für
Frieden, Demokratie, Toleranz und Selbstbestimmung durchzusetzen, wird Geschichte nicht selten benutzt, um zwischen Menschen, Gruppen und Völkern Zwietracht zu säen.“
Homosexuellen oder Deserteuren der Wehrmacht bis hin zur
Verfolgung von Sinti und Roma, bis hin zur Shoa. Keine Gruppe, die in Buchenwald gelitten hat, niemand, der in Buchenwald
Widerstand geleistet hat, darf vergessen werden! Wir wenden
uns deshalb an alle, in diesem Sinne unseren Kampf für eine gerechte, friedliche, von Rassismus und Antisemitismus freie Welt
mit wachem Bewusstsein und uneingeschränktem Blick auf die
Geschichte des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen fortzusetzen. Buchenwald kann nicht ungeschehen gemacht werden.
Aber wir haben in der Vergangenheit gemeinsam mit der Stiftung
Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora gezeigt, wie
aus Orten des Grauens Orte uneingeschränkter Erinnerung und
aufrichtigen Gedenkens, wie aus Orten des Grauens Orte historischen und politischen Lernens und der transnationalen Verständigung und Aussöhnung werden können. Wir fordern dazu auf,
diesen Weg fortzusetzen und die Gedenkstätten nicht zum Spielball von Geschäftemachern oder politischen Scharlatanen werden
zu lassen.
Dagegen wenden wir uns! Gemeinsam mit der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora arbeiten wir seit der
Gründung der Stiftung in diesem Geist zusammen! Besonders
wichtig ist es uns, die Erinnerung daran wach zu halten, dass alle
Formen nationalsozialistischer Verfolgung und nationalsozialistischer Gräuel Teil der Geschichte des KZ Buchenwald sind.
Von der Verfolgung politischer Gegner und Widerstandskämpfer aus ganz Europa, über die Verfolgung von Zeugen Jehovas,
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Es gilt das gesprochene Wort!
Albert Dlabaja
Rede auf der Gedenkfeier am 14.4.2013
Liebe ehemalige Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald,
liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten,
meine sehr verehrten Damen und Herren.
Österreich hat am Dienstag, dem 12. März 2013 zum 75. Jahrestag des sogenannten Anschlusses an Nazi-Deutschland der Ereignisse des 12. März 1938 gedacht.
Die Politik des Jahres 1933 ist geprägt durch die Machtergreifung
der Nationalsozialisten unter Adolf Hitler im deutschen Reich
und dem damit verbundenen Ende der Weimarer Republik und
dem beginn des „Dritten Reiches“.
In Österreich kommt es am 4. März 1933 aufgrund einer Verfahrenstechnischen Unachtsamkeit zur Beschlussunfähigkeit des
Parlaments, die der Bundeskanzler Engelbert Dollfuß für einen
Staatsstreich nutzt, indem er diese als „Selbstausschaltung des
Parlaments“ bezeichnet. Als der Nationalrat am 15. März 1933
zusammentreten will, um diesen Verfahrensfehler zu korrigieren,
werden die Abgeordneten von der austrofaschistischen Bundesregierung mit Polizeigewalt am Zusammentreten gehindert.
Das nationalsozialistische Deutschland betrieb den Anschluss
Österreichs weniger aus nationalen Überlegungen, sondern aus
Kalkül: Österreich bildete den Brückenkopf zur Eroberung von
Ost- und Südosteuropa. 1934 musste sich Hitler vom Putschversuch österreichischer Nationalsozialisten noch distanzieren, da er
zu diesem Zeitpunkt außenpolitische Schwierigkeiten mit England, Frankreich und Italien befürchtete. Österreich sollte nun
von innen politisch, wirtschaftlich und kulturell nationalsozialistisch unterwandert werden.
1938 hatte sich die Lage so entwickelt, dass Hitler die Österreichfrage in Angriff nehmen konnte. Von Anfang an konnten
sich die reichsdeutschen Sicherheitsbehörden in ihrer Tätigkeit
auf österreichische Nationalsozialisten stützen, die schon während des Umsturzes am 11. März 1938 mit Massenverhaftungen,
Misshandlungen und Morden begonnen hatten. Vor allem die
pogromartigen Ausschreitungen gegen die Juden mit dem Höhepunkt Novemberpogrom 1938 waren das Werk österreichischer
Nationalsozialisten.
Am 15. März 1938 hielt Adolf Hitler seine berühmt-berüchtigte
„Anschluss“-Rede. Und zwar auf dem Balkon am Wiener Heldenplatz. 250 000 Menschen hörten jubelnd an diesem 15. März 1938
ihrem neuen Führer zu, wie er mit sich überschlagender Stimme
„den Eintritt meiner Heimat in das Deutsche Reich“ verkündete.
Es hat aber auch jene Menschen gegeben,, die über die Ereignisse im März 1938 entsetzt waren und flüchteten, Suizid begingen
oder in den Widerstand gingen.
• 31. März 1933: In Österreich verbietet die Dollfuß-Regierung
den Republikanischen Schutzbund
• 26. Mai 1933: Die KPÖ wird verboten
• 11. November 1933: In Österreich wird die 1920 abgeschaffte
Todesstrafe wieder eingeführt
Der 12. März 1938 war ein „Tag der Katastrophe“ und auch ein
„Tag der Schande“.
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Die Opfertheorie ist weit verbreitet gewesen und hat gelautet:
„Das Übel des Nationalsozialismus kam von außen, die Befehle
kamen von oben und wir waren vor allem Opfer.“ Man habe die
Katastrophe hinter sich lassen wollen, die Wunden der Vergangenheit sollten verheilen: Ich erinnere deshalb an Rosa Jochmann,
Häftling des KZ Ravensbrück, später sozialdemokratische Abgeordnete im Österreichischen Parlament, deren Motto gelautet
hat: „Vergessen nein, verzeihen ja.“
Im Konzentrationslager Buchenwald waren im Zeitraum von
1937 bis 1945 ca. 6 600 Österreicher inhaftiert. Viele davon wurden in andere Konzentrationslager deportiert oder sind im Lager
verstorben. Nach der Befreiung 1945 gab es noch etwa 620 überlebende österreichische Antifaschisten.
Zum Gedenken an den hochverehrten Stéphane Hessel, ehemaliger Häftling im KZ Buchenwald, der sich unermüdlich für
Menschenrechte, Völkerverständigung und Frieden einsetzte,
sprach Dr. Michael Kogon. Er hatte den Essay „Empört euch!“
von Stéphane Hessel auf dessen Wunsch vom Französischen ins
Deutsche übertragen. Sein Vater, Eugen Kogon, war maßgeblich
an der Rettung des Lebens von Stéphane Hessel beteiligt.
Es ist unser aller Verpflichtung uns permanent und vehement gegen ein vergessen und gegen jede Relativierung dieser Ereignisse,
ihrer Voraussetzungen und fatalen Auswirkungen zu stemmen.
Wir alle sind verpflichtet, die Demokratie und den Parlamentarismus entschlossen zu verteidigen und noch viel stärker jegliche
Versuche zu bekämpfen, diese desaströse Ideologie, wie Faschismus, Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit, wieder in der Gesellschaft zu verankern.
Ich schlage deshalb vor und ersuche euch um Unterstützung und
Mithilfe, dass das ehemalige Lagergelände des Konzentrationslagers Buchenwald als Zeugnis der nationalsozialistischen Verbrechen und der Geschichte des 20. Jahrhunderts in die Welterbeliste
aufgenommen wird.
Ich danke für ihre Aufmerksamkeit.
Mit einer Schweigeminute gedachten die Versammelten auf dem
Appellplatz des ehemaligen russischen Häftlings
Walerij Wasiljewitsch Galilejew,
der am 13. April 2013 in Buchenwald verstorben war.
Er hatte am 12. April 2013 an der Gedenkveranstaltung anlässlich des 68. Jahrestages der Befreiung des KZ Mittelbau-Dora
teilgenommen.
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