NSAR Arzneimittelinteraktion in der Schmerzmedizin durch Nicht-Opioid-Analgetika Norbert Schürmann, Moers Die Behandlung von Schmerzen, so suggeriert es uns die Werbung, ist oft so einfach. In der Apotheke bekommt der „Kunde“ schnell ein frei verkäufliches Präparat. Dies geschieht in Deutschland täglich etwa 380.000-mal am Tage – mit steigender Tendenz. Ist denn die Einnahme von frei verkäuflichen nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) so unbedenklich? Schließlich handelt es sich ja um nicht einmal rezeptpflichtige Medikamente. Die WHO Klassifikation der Stufe I–III spiegelt lediglich die analgetische Potenz der Substanzen wieder, nicht ihre breite Palette von Nebenwirkungen und die möglicher Organschäden. In der kurz bemessenen Beratungszeit hat der Apotheker kaum die Möglichkeit, ausreichend über Risiken und Nebenwirkungen, insbesondere über Arzneimittelinteraktionen, zu informieren. Die Folgen können bei unsachgemäßen und vor allem chronischen Gebrauch gravierend sein: Organveränderungen der Leber, Nieren, des Magen-DarmTrakts und Herz-Kreislauf-Veränderungen können aus dem unsachgemäßen Gebrauch resultieren. Der Einsatz der nichtsteroidalen Antirheumatika wird vor allem zur kurzfristigen Schmerztherapie mit oder ohne Entzündungszeichen sowie zur Fiebersenkung genutzt. Dies sind die klassischen Indikationen, einmal abgesehen von der thrombozytenaggregationshemmenden Wirkung der Acetylsalicylsäure (ASS). Schmerztherapie Plättchen­ aggregation Fieber Homöostase Tumorgenese Nierenfunktion Vasokonstriktion COX-1 Fertilität Frau Magen-/ Darm-SchleimhautIntegrität Nozizeption Immunsuppression Immunzellentwicklung allergische Reaktionen SpätphaseImmunglobuline COX-2 Angiogenese Vasodilatation Fertilität Mann AkutphaseImmunglobuline Entzündung Conferences unerwünschte (Neben-)Wirkungen Knochenresorption Wundheilung Prostaglandin-abhängige Funktionen Abbildung 1: Das komplexe Wirkungs- und Nebenwirkungsprofil der nichtsteroidalen Antirheumatika. 29 NSAR Bei einem jungen gesunden Patienten, der über keine Allergien und keine chronischen Erkrankungen berichtet, ist gegen die Verordnung von NSAR zur „kurzfristigen akuten Schmerztherapie“ nichts einzuwenden. Man möchte fast sagen, dafür sind NSAR gemacht! Häufig wird die gut gemeinte kurzfristige Einnahme leider zur Dauermedikation. Die auf den Werbefolien auftauchenden Patienten haben doch nichts gemein mit den realen Patienten, die uns täglich in der Ambulanz oder auf der Station begegnen. Die Patienten, die wir täglich behandeln, sind häufig multimorbide Patienten, nehmen im Durchschnitt 7 bis 10 Medikamente täglich ein, sind nicht selten adipös und/ oder haben ein metabolisches Syndrom. Das ist doch unsere Realität im täglichen Behandeln von Schmerzpatienten! Umso wichtiger erscheint es mir, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen (Abbildung 1) mit anderen Medikamenten bei der Indikation zur Schmerztherapie abzuwägen. Nebenwirkungen und medikamentöse Interaktionen Eine dauerhafte Einnahme von NSAR kann zur multiplen Organschädigung führen (Tabelle 1), die Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten sind noch vielfältiger: Conferences Tabelle 1: Potenzielle Organschädigungen durch nicht­ steroidale Antirheumatika. 30 NSAR Organ Acetylsalicylsäure Magen Celecoxib Darm Diclofenac Herz Etoricoxib Blutkreislauf Ibuprofen Leber Naproxen Niere Norbert Schürmann [email protected] •• ACE-Hemmer und Ibuprofen: Konkurrieren mit ACE-Hemmer am Glomerulus der Niere, verdrängen diesen, sodass keine ausreichende RR-Senkung durch den ACE-Hemmer mehr stattfinden kann. •• Aminoglykoside und alle NSAR: Verschlechterung der Nierenfunktion bei empfindlichen Patienten, Verringerung der Aminoglykosid-Clearance, erhöhter Plasmaspiegel. •• Baclofen und Ibuprofen: Verringerung der Baclo­ fen-Ausscheidung, die Toxizität von Baclofen steigt. •• Ciclosporin und Piroxicam: Hemmung der renalen Prostaglandinsynthese, die zur Aufrechterhaltung der glomerulären Filtration und des renalen Blutflusses benötigt werden. •• Digoxin und alle NSAR: Bei einer bestehenden Herzinsuffizienz können NSAR eine Niereninsuffizienz auslösen und verringern somit die Digitoxin-Ausscheidung •• Kortikosteroide und Indometacin, Naproxen: Führt zu einer Verdrängung der Steroide aus der Plasmaeiweißbindung. Die Konzentration freier Kortikosteroide erhöht sich. NSAR Tabelle 2: Entscheidungshilfe bei der Verordnung nicht­ steroidaler Antirheumatika. Anamnese Anmerkungen Alter? Nicht über dem 65. Lebensjahr verordnen. Magen-Darm-Erkrankungen bekannt? Kardiale Erkrankung (z. B. Herzinsuffizienz), Bluthochdruck bekannt? Leber und Nierenfunktion eingeschränkt? Kontraindikationen beachten­. Stoffwechselstörungen oder Diabetes mellitus vorhanden? Bestehen Allergien durch NSAR? Werden weitere Medikamente eingenommen? Wechselwirkungen beachten­. Fazit Die NSAR sind in der Behandlung akuter Schmerzzustände sinnvoll. Selbst bei kurzfristigem Gebrauch von nichtsteroidalen Antirheumatika sollte mit einem Arzt abgeklärt werden, ob der Gebrauch für den Patienten sinnvoll ist. Bei chronischen Schmerzpatienten sollte eine Opioidtherapie bevorzugt werden, zumal bei richtiger Indikation eine Opioidtherapie keine Organschäden verursacht, im Gegensatz zu den meisten NSAR. Selbstverständlich sind auch hier Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten zu berücksichtigen. Conferences •• Sulfonylharnstoffe und Salicylate: Hemmen den Metabolismus der Sulfonylharnstoffe. Verlängerung der Halbwertzeit der Sulfonylharnstoffe. Cave: Hypoglykämie. •• Lithium und alle NSAR: Hemmen die renale Ausscheidung von Lithium und erhöhen dessen Plasmakonzentration. •• Methotrexat (MTX) und alle NSAR: Hemmen die tubuläre Ausscheidung von MTX kompetitiv und die Prostaglandin-E2-Synthese, Reduktion der renalen Durchblutung führt zu einer erhöhten Plasmakonzentration vom MTX, diese wiederum zu einer erhöhten Toxizität. •• Phenytoin und Salicylate: Es kommt zu einer Verdrängung des Phenytoin aus der Plasmaeiweißbindung was zu einer Erhöhung der Phenytoin-Konzentration im Blut führt und zu einer verlängerten Wirkung. •• Natriumvalproat und Salicylate: Verdrängung des Natriumvalproat aus der Plasmaeiweißbindung, Erhöhung der Valproat-Konzentration. •• Phenprocoumon und alle NSAR: Synergistische Effekte auf die Blutgerinnung führen zu einem erhöhten Blutungsrisiko. •• Zidovudin und alle NSAR: Nukleosidische Reserve-Transkriptase-Inhibitoren gehören zur Gruppe der antiviralen Substanzen bei HIVinfizierten Patienten. In Kombination mit allen NSAR kommt es zu einer Verstärkung der hämatologischen Toxizität. •• Interaktionen von NSAR untereinander (ASS und Ibuprofen): Führt zu einer irreversiblen Funktionsstörung der Thrombozyten mit Interaktion am Cox-1-Enzym und hebt die irreversible Wirkung des ASS am Cox-1-Enzym auf. Trotz aller Interaktionen ist die Behandlung von Schmerzpatienten mit NSAR kein Hexenwerk. Die Tabelle 2 ist eine Entscheidungshilfe bei der Verordnung nichtsteroidaler Antirheumatika. 31