2 Zahlen 2.1 Natürliche Zahlen 2.1.1 Menge der natürlichen Zahlen Der Ausgangspunkt für den Aufbau der Zahlenbereiche ist die Menge N = {0, 1, 2, 3, ...} der natürlichen Zahlen 0, 1, 2, 3, 4, ... 2.1.2 Induktionsprinzip Unmittelbar verbunden mit den natürlichen Zahlen ist das Prinzip der vollständigen Induktion. Satz 2.1 (Prinzip der vollständigen Induktion). Für jedes n ∈ N≥n0 = {n0 , n0 +1, . . .} seien A(n) von n ∈ N≥n0 abhängende mathematische Aussage. Wenn • A(n0 ) wahr ist und • für jedes n ≥ n0 aus A(n) auch A(n + 1) folgt, dann gilt A(n) für alle n ∈ N≥n0 . Beispiel 2.2. Die Ungleichung n2 ≥ n + 5 gilt für alle natürlichen Zahlen n ≥ 3. (Beweis durch vollständige Induktion) 1. Induktionsanfang: Die Ungleichung gilt für n = n0 = 3, da 32 = 9 ≥ 8 = 3 + 5 . 2. Induktionsschritt: Die Ungleichung gelte für ein beliebiges n ≥ 3, d. h., es sei n2 ≥ n + 5 . (2.1) Zu zeigen ist, dass sie dann auch für n + 1 gilt. Nun, es gilt unter Verwendung von (2.1) (n + 1)2 = n2 + 2n + 1 ≥ n + 5 + 2n + 1 ≥ (n + 1) + 5 . 25 2 Zahlen 2.1.3 Prinzip der rekursiven Definition Ein Begriff B(n), der für alle natürlichen Zahlen n ≥ n0 definiert werden soll, kann folgendermaßen festgelegt werden: 1. Definiere B(n) für n = n0 . 2. Definiere B(n) für n ∈ N≥n0 unter Zuhilfenahme der (hypothetisch) bereits erfolgten Definition von B(n0 ), . . . , B(n − 1). Definition 2.3. Für n ∈ N und x ∈ N definieren wir die Potenzen mit natürlichem Exponenten rekursiv durch x0 := 1 , xn := x · xn−1 (n ∈ N≥1 ) . Bemerkung 2.4. Insbesondere wurde 00 := 1 definiert, was später z. B. beim binomischen Lehrsatz, Polynomen und Potenzreihen benutzt wird. 2.2 Kombinatorik 2.2.1 Permutationen 2.2.1.1 Anordnung ohne Wiederholung Aufgabe ist, n verschiedene Objekte auf n Plätze anzuordnen. Anordnen heißt insbesondere, die Reihenfolge zu beachten. Für den ersten Platz gibt es n Objekte zur Auswahl, für den zweiten Platz sind es noch n − 1 Objekte, . . . , für den vorletzten Platz noch zwei Objekte, auf den letzten Platz kommt das verbleibende Objekt. Es sind somit n · (n − 1) · · · · · 2 · 1 Möglichkeiten. Für n ∈ N definieren wir n! (sprich: n-Fakultät) rekursiv durch 0! := 1 , n! := n · (n − 1)! = n · (n − 1) · · · 2 · 1 für n ∈ N≥1 . Damit gilt zum Beispiel 0! = 1 , 26 1! = 1 · 0! = 1 , 2! = 2 · 1! = 2 , 3! = 3 · 2! = 6 , 4! = 4 · 3! = 24 , . . . . 2.2 Kombinatorik Definition 2.5. Sei M eine endliche Menge. Eine Anordnung aller Elemente von M unter Beachtung der Reihenfolge und ohne Wiederholung von Elementen heißt Permutation. Satz 2.6. Sei n ∈ N \ {0}. Dann besitzt eine n-elementige Menge genau n! Permutationen. Beispiel 2.7. Es werde die Menge {1, 2, 3} betrachtet. Deren Elemente kann man in folgenden Weisen anordnen: 1−2−3, 1−3−2, 2−1−3, 2−3−1, 3−1−2, 3−2−1. Dies sind 6 = 3! Anordnungen. Beispiel 2.8. Ein Firmenvertreter hat sich beim Besuch von 6 Kunden A, B, C, D, E, F zu überlegen, welche der 6! = 1 · 2 · 3 · 4 · 5 · 6 = 720 möglichen Reihenfolgen er wählt. Beispiel 2.9. Um 20 Studenten in einer Reihe antreten zu lassen, gibt es 20! = 2 432 902 008 176 640 000 Möglichkeiten. (Würde man pro Anordnung nur 1 Sekunden benötigen, bräuchte man wegen 2 432 902 008 176 640 000 ≈ 70 · 109 60 · 60 · 24 · 365 etwa 70 Milliarden Jahre. Das Weltall ist erst etwa 14 Milliarden Jahre alt. 2.2.1.2 Anordnung mit Wiederholung Aufgabe ist, insgesamt n Objekte aus k Klassen zu ℓ1 , ℓ2 , . . . , ℓk Mitgliedern, ℓ1 + ℓ2 + · · · + ℓk = n anzuordnen, wobei die Reihenfolge unter den Mitgliedern einer Klasse nicht beachtet werden soll. Unter Beachtung aller Reihenfolgen wären es n! Möglichkeiten. Nun soll die Reihenfolge der ℓ1 Mitgliedern der ersten Klasse nicht beachtet werden. Dies sind ℓ1 ! Möglichkeiten. Es verbleiben noch n!/ℓ1 ! Möglichkeiten. Für man die Betrachtungen bis zu k-ten Klasse weiter, so erhält man die Zahl der gesuchten Möglichkeiten als n! . ℓ1 ! · ℓ2 ! · · · · · ℓk ! Eine andere Interpretation der Aufgabe ist, k Objekte unter Beachtung der Reihenfolge anzuordnen, wobei das erste Objekt ℓ1 -mal, das zweite ℓ2 -mal, . . . , das k-te ℓk -mal auftreten soll (und mehrmals wiederholte Objekte wegen ihrer Gleichheit auch in der Reihenfolge nicht unterscheiden werden können). Beispiel 2.10. Es soll die Anzahl aller Zeichenketten aus den Buchstaben a, b und c bestimmt werden, bei denen a viermal, b dreimal und c zweimal vorkommen. Hier haben wir ℓ1 = 4, ℓ2 = 3, ℓ3 = 2 und n = 4 + 3 + 2 = 9. Somit ist die gesuchte Anzahl 9·8·7·6·5·4·3·2·1 9·8·7·6·5 9·8·7·5 9! = = = = 9 · 4 · 7 · 5 = 1260 . 4!3!2! (4 · 3 · 2 · 1) · (3 · 2 · 1) · (2 · 1) 3·2·2 2 27 2 Zahlen 2.2.2 Variationen 2.2.2.1 Auswahl mit Beachtung der Reihenfolge und ohne Wiederholung Es sind k ≤ n Objekte aus n Objekten mit Beachtung der Reihenfolge ohne Wiederholung auszuwählen: Für das erste Objekt haben wir n Möglichkeiten, für das zweite n − 1, . . . , für das k-te Objekt noch n − k + 1. Dies gesuchte Anzahl ist somit Vkn = n · (n − 1) · · · · · (n − k + 1) = n · (n − 1) · · · · · (n − k + 1)(n − k) · · · · · 2 · 1 n! = . (n − k) · · · · · 2 · 1 (n − k)! Diese Auswahl heißt auch „ohne Zurücklegen“ anstatt „ohne Wiederholung“. Definition 2.11. Eine Auswahl von k verschiedenen Elementen mit Berücksichtigung der Reihenfolge aus eine endlichen heißt Variation k-ter Ordnung . Satz 2.12. Ist M eine n-elementige Menge, so gibt es Vkn = n! (n − k)! Variationen k-ter Ordnung von M . Beispiel 2.13. Es seien vier Zahlen aus {1, 2, ..., 6} vier Zahlen auszuwählen und in einer Reihe anzuordnen. Die Anzahl der möglichen Auswahlen ist V46 = 6! 6·5·4·3·2·1 = = 6 · 5 · 4 · 3 = 360 . (6 − 4)! 2·1 Beispiel 2.14. Ein zehnköpfiges Leistungsgremium habe einen 1. und 2. Sprecher zu wählen. Die Anzahl der möglichen Auswahlen ist V210 = 10! 10 · 9 · 8 · 7 · 6 · 5 · 4 · 3 · 2 · 1 = = 10 · 9 = 90 . (10 − 2)! 8·7·6·5·4·3·2·1 Beispiel 2.15. Ein Firmenvertreter, der 3 seiner 6 Kunden an einem Tag besuchen kann, überlegt sich, in vielen verschieden Reihenfolgen er sie besuchen könnte. Die Anzahl der möglichen Auswahlen ist V36 = 6! 6·5·4·3·2·1 = = 6 · 5 · 4 = 120 . (6 − 3)! 3·2·1 Beispiel 2.16. Aus den n = 3 Buchstaben a, b, c können V23 = 3!/(3 − 2)! = 3! = 6 zweibuchstabige Zeichenketten ohne Wiederholung und unter Beachtung der Reihenfolge erzeugt werden, nämlich ab , ac , ba , bc , ca , cb . 28 2.2 Kombinatorik 2.2.2.2 Auswahl mit Beachtung der Reihenfolge und mit Wiederholung Es sind k ≤ n Objekte aus n Objekten mit Beachtung der Reihenfolge und mit zugelassener Wiederholung auszuwählen: Für jedes der k Objekte haben wir jeweils n Möglichkeiten. Dies gesuchte Anzahl ist somit W n V k = nk . Diese Auswahl heißt auch „mit Zurücklegen“ anstatt „mit Wiederholung“. Beispiel 2.17. Aus den n = 2 Ziffern 0 und 1 können so 22 = 8 dreiziffrige Zeichenketten mit Wiederholung und unter Beachtung der Reihenfolge erzeugt werden: 000 , 001 , 010 , 011 , 100 , 101 , 110 , 111 . 2.2.3 Kombinationen 2.2.3.1 Auswahl ohne Beachtung der Reihenfolge und ohne Wiederholung Es sind k ≤ n Objekte aus n Objekten ohne Beachtung der Reihenfolge und ohne Wiederholung auszuwählen: Wir haben Vnk Möglichkeiten für die Auswahl von k Objekten aus n unter Beachtung der Reihenfolge. Diese k ausgewählten Objekte lassen sich auf jeweils k! Arten anordnen. Die gesuchte Anzahl ist damit Ckn = Vkn /k! = n! . k!(n − k)! Diese Auswahl heißt auch „ohne Zurücklegen“ anstatt „ohne Wiederholung“. Definition 2.18. Für k, n ∈ N, n ≥ k setzen wir n! n := k!(n − k)! k und lesen „n über k“ oder „k aus n“. Definition 2.19. Sei M eine Menge. Die Auswahl von k Elementen von M ohne Beachtung der Reihenfolge und ohne Wiederholung von Elementen heißt Kombination zur k-ten Klasse. Satz 2.20. Seien n, k ∈ N, 0 < k ≤ n. Dann gibt es n n Ck = k Kombinationen einer n-elementigen Menge zur k-ten Klasse. 29 2 Zahlen Beispiel 2.21. Bei „6 aus 49“ sind sechs Zahlen aus 49 ohne Wiederholung (d. h. ohne Zurücklegen) zu ziehen. Die Anzahl ist C649 = 49 · 48 · 47 · 46 · 45 · 44 49! = = 13 983 816 . 6!(49 − 6)! 6·5·4·3·2·1 Hier sehen wir auch einen Trick: Nicht 49! ausrechnen, sondern mit (49 − 6)! kürzen! Beispiel 2.22. Aus {1, 2, 3, 4, 5, 6} sind 4 Zahlen ohne Wiederholung und ohne Beachtung der Reihenfolge auszuwählen. Die Anzahl der möglichen Auswahlen ist 6 6·5·4·3 6 = C4 = = 15 4 1·2·3·4 und zwar gibt es folgende Auswahlen: {1, 2, 3, 4}, {1, 2, 3, 5}, {1, 2, 3, 6}, {1, 2, 4, 5}, {1, 2, 4, 6}, {1, 2, 5, 6}, {1, 3, 4, 5}, {1, 3, 4, 6}, {1, 3, 5, 6}, {1, 4, 5, 6}, {2, 3, 4, 5}, {2, 3, 4, 6}, {2, 3, 5, 6}, {2, 4, 5, 6}, {3, 4, 5, 6} . Beispiel 2.23. Ein zehnköpfiges Leistungsgremium habe zwei gleichberechtigte Sprecher zu wählen. Es gibt hierfür C210 Möglichkeiten für diese Wahl. = 10 2 = 10 · 9 = 45 1·2 Rechenregeln für 1 ≤ k ≤ n: n n n+1 n n n n n n . + = , = = n, = = 1, = k k−1 k n−k k n−1 1 n 0 Diese Formeln sind Grundlage für das Pascalsche 0 1 0 1 1 k 2 1 2 k 3 1 3 k 4 1 4 6 k 5 1 5 10 k .. .. . . Dreieck: 1 1 3 1 4 10 1 5 Folgerung 2.24. Seien n, k ∈ N, 0 < k ≤ n. Dann gibt es Teilmengen einer n-elementigen Menge. 30 1 n k verschiedene, k-elementige 2.3 Rationale und Reelle Zahlen 2.2.3.2 Auswahl ohne Beachtung der Reihenfolge und mit Wiederholung Es sind k ≤ n Objekte aus n Objekten ohne Beachtung der Reihenfolge aber mit zugelassener Wiederholung auszuwählen. Diese Anzahl ist komplizierter herzuleiten und sei nur der Vollständigkeit halber angegeben: n+k−1 W n Ck = . k 2.2.4 Zusammenfassung Permutation anordnen ohne Wiederh. mit Wiederh. n! = n · (n − 1) · · · · · 1 n! ℓ1 !·ℓ2 !·····ℓk ! Variation Kombination k aus n auswählen mit Reihenfolge ohne Reihenfolge n n! n! = nk Vkn = (n−k)! = k · k! Ckn = k!(n−k)! WV n = nk WC n = n+k−1 k k k 2.3 Rationale und Reelle Zahlen 2.3.1 Weitere Zahlenbereiche Der Aufbau weiterer Zahlenbereiche lässt sich in folgendem Schema darstellen: N = {0, 1, 2, ...} Menge der natürlichen Zahlen a, b ∈ N a+b∈N a·b∈N (Addition) (Multiplikation) ↓ Z = {..., −2, −1, 0, 1, 2, ...} Menge der ganzen Zahlen a, b ∈ Z a + b ∈ Z, a · b ∈ Z a−b∈Z (Subtraktion) ↓ Q = { pq | p ∈ Z ∨ q ∈ Z \ {0}} Menge der rationalen Zahlen a, b ∈ Q, a − b ∈ Q, a + b ∈ Q, a · b ∈ Q, a : b ∈ Q für b 6= 0 (Division) ↓ R Menge aller reellen Zahlen (Menge der Dezimalbrüche) a, b ∈ R, a − b ∈ R a + b ∈ R, a · b ∈ R a : b ∈ R (für b 6= 0) 31 2 Zahlen 2.3.2 Gemeinsame Eigenschaften der rationalen und reellen Zahlen Im Folgenden sei K ∈ {Q, R}, K sei also die Menge der rationalen bzw. der reellen Zahlen. 2.3.2.1 Algebraische Eigenschaften Die Addition „+“ und die Multiplikation „·“ besitzen folgende Eigenschaften: ∀x, y ∈ K : x + y = y + x ∀x, y ∈ K : x · y = y · x ∀x, y, z ∈ K : x + (y + z) = (x + y) + z x · (y · z) = (x · y) · z ∀x, y, z ∈ K : x · (y + z) = x · y + x · z ∀x ∈ K : x + 0 = x, 1 · x = x ∀x ∈ K : ∃=1 − x ∈ K : x + (−x) = 0 ∀x ∈ K \ {0}∃=1 x−1 ∈ K : x−1 · x = 0) (Kommutativgesetze) (Assoziativgesetze) (Distributivgesetz) (neutrale Elemente 0 bzw. 1 (additiv inverse Zahl) (multiplikativ inverse Zahl) Definition 2.25. Eine Menge K mit Operationen + und · und Elementen 0 6= 1 und obigen Gesetzen heißt (Zahlen-) Körper . Zahlenkörper sind also die Mengen, in denen wir „richtig“ rechnen können, in dem Sinne, dass alle aus der Schule bekannten Rechenregeln gelten. Wir werden später die komplexen Zahlen als einen weiteren Körper kennenlernen. In einem Körper sind Subtraktion und Division über Addition bzw. Multiplikation definiert: x − y := x + (−y) , x : y := x · y −1 , die Division aber nur für y 6= 0. Weitere Gesetze wie 0 · x = 0 und −1 · x = −x folgen aus den Körpergesetzen. Bemerkung 2.26. Wenn man unter Beihaltung der bisherigen Eigenschaften von Addition und Multiplikation eine Division durch 0 definieren will, so folgt 0 = 1 und weiter K = {0}, was nicht sehr nützlich wäre. 2.3.2.2 Ordnungseigenschaften In K ∈ {Q, R} gibt es eine Ordnungsrelation ≤ und eine Relation < definiert durch x<y mit folgenden Eigenschaften: 32 :⇔ x≤y und x 6= y 2.3 Rationale und Reelle Zahlen ∀x ∈ K : x ≤ x ∀x, y ∈ K : (x ≤ y ∧ y ≤ x) ⇒ x = y ∀x, y, z ∈ K : (x ≤ y ∧ y ≤ z) ⇒ x ≤ z ∀x, y ∈ K : x ≤ y ∨ y ≤ x ∀x, y ∈ K : x < y ⇒ ∃u ∈ K(x < u < y) ∀x, y, z ∈ K : x < y ⇔ x + z < y + z ∀x, y, z ∈ K : z > 0 ⇒ (x < y ⇔ x · z < y · z) (Reflexivität) (Antisymmetrie) (Transitivität) (totale Ordnung) (Dichtheit) (Verträglichkeit mit Addition) (Verträglichkeit mit Multiplikation) Damit gilt die Trichotomie-Eigenschaft: Für je zwei Zahlen x, y ∈ K gilt genau eine der drei Beziehungen x<y, x=y, x>y. Eine Zahl x ∈ K heißt positiv , nichtnegativ , nichtpositiv bzw. negativ , wenn x > 0, x ≥ 0, x ≤ 0 bzw. x < 0. Definition 2.27. Ein Körper K mit einer Ordnungsrelation mit obigen Eigenschaften heißt total angeordneter Körper . Q und R sind also total angeordnete Körper. Der Körper C der komplexen Zahlen wird sich hingegen als nicht anordenbar erweisen. 2.3.3 Unterschiede der rationalen und reellen Zahlen Bezüglich der algebraischen und Ordnungseigenschaften gibt es keine Unterschiede zwischen den rationalen und den reellen Zahlen. Die Erweiterung der rationalen Zahlen zu den reellen Zahlen ist jedoch notwendig, da allein schon Rechtecke mit rationalen Seitenlängen keine rationale Diagonalenlänge haben müssen. Beispiel 2.28. Wir √ betrachten √ ein Quadrat mit der Seitenlänge 1. Dann ist nach dem Satz von Pythagoras 12 + 12 = 2 die Diagonalenlänge dieses Quadrates. √ √ Angenomen, 2 wäre rational. Dann gibt es ganze Zahlen p und q mit q 6= 0 und 2 = pq . Ohne Beschränkung der Allgemeinheit können wir annehmen, dass p und q teilerfremd sind: Anderfalls teilen wir p und q durch ihren größten gemeinsamen Teiler. Durch Quadrieren und Multiplikation mit q 2 folgt nun 2q 2 = p2 , (2.2) Wegen p2 eine gerade Zahl ist. Da das Quadrat ungerader Zahlen ungerade ist, muss p folglich eine gerade Zahl sein, d. h. es existiert eine ganze Zahl p0 mit p = 2 · p0 . Setzen wir dies in (2.2) ein und dividieren dann durch 2, so folgt q 2 = 2p0 , weswegen auch q gerade sein muss, im Widerspruch zur Teilerfremdheit von p und q. Folglich √ ist die Annahme, 2 wäre rational, falsch. Durch die Erweiterung der rationalen Zahlen zu den reellen Zahlen wird erst die Definition von Potenz- und Exponentialfunktion und weiterer Funktionen möglich. 33 2 Zahlen 2.4 Rechnen mit Gleichungen und Ungleichungen Ein Grundproblem der Mathematik ist die Ermittelung aller Lösungen von Systemen von Gleichungen und Ungleichungen. Am günstigsten ist immer eine äquivalente Umformung von Gleichungen und Ungleichungen. 2.4.1 Äquivalente Umformungen Äquivalente Umformungen sind Umformungen, welche die Lösungsmenge nicht verändern. Nichtäquivalente Umformungen führen zu einer Änderung der Lösungsmenge der Gleichungen oder Ungleichungen: Es können scheinbar Lösungen hinzukommen aber es können auch Lösungen verloren gehen. Folgende Regeln zur äquivalenten Umformung (für a, b, x, y, p, q ∈ R beliebig) ergeben sich aus den Eigenschaften der reellen Zahlen: x=y x≤y x≤y x=y ⇔ x+a=y+a ⇔ x+a≤y+b, ⇔ ⇔ x≤y ⇔ 0<x≤y ⇔ x+a≤y+a falls a ≤ b ax = ay , falls a 6= 0 ( ax ≤ ay , falls a > 0 ax ≥ ay , falls a < 0 1 1 0< ≤ . y x Folgende Regeln können zur Lösung von Gleichungen genutzt werden: xy = 0 ⇔ x2 = a2 ⇔ x2 + px + q = 0 ⇔ x = 0 oder y = 0 x = a oder x = −a r r p p p2 p2 x=− + − q oder x = − − −q, 2 4 2 4 wenn p2 ≥ 4q. Beispiel 2.29. Man bestimme die Lösungsmenge L der folgenden Gleichung (x − 2)2 + x = 2 . 34 2.4 Rechnen mit Gleichungen und Ungleichungen Es gibt mehrere Lösungsweg, einer davon ist der folgende: ⇔ ⇔ (x − 2)2 + x = 2 x2 − 4x + 4 + x = 2 x2 − 3x + 2 = 0 r −3 9 + −2=2 x= − 2 4 r 9 −3 − −2=1, oder x = − 2 4 ⇒ und damit L = {1, 2}. 2.4.2 Rechnen mit Beträgen Das Rechnen mit Beträgen wird vom Anwender oft als unangenehm empfunden, da der Begriff "Betrag" zweigeteilt definiert ist. Man kann aber alle Schwierigkeiten ausräumen, wenn man sich stur an die Definition und die Rechenregeln hält. Diese seien im folgenden benannt. Definition 2.30. Für eine reelle Zahl a ∈ R wird der Betrag von a festgesetzt durch |a| := a, falls a ≥ 0 und |a| := −a, falls a < 0. Beispiel 2.31. Es gilt |3| = 3, aber auch | − 3| = 3 = −(−3). Rechenregeln (für a, b, x ∈ R beliebig): | − a| = |a| −|a| ≤ a ≤ |a| |a · b| = |a| · |b| 1 = 1 (a 6= 0) a |a| |a + b| ≤ |a| + |b| |a| ≤ |b| |x − a| ≤ b √ ⇔ ⇔ a2 = |a| (Dreiecksungleichung) −b ≤ a ≤ b oder b ≤ a ≤ −b a−b≤x≤a+b |a|2 = a2 Beispiel 2.32. Es sei A = {x | |x − 2| < 3}. Wegen ( ( x<5 x−2<3 für x − 2 ≥ 0 ⇐⇒ |x − 2| < 3 ⇐⇒ x > −1 −x + 2 < 3 für x − 2 < 0 für x ≥ 2 für x < 2 folgt A = {x | −1 < x < 5}. 35 2 Zahlen Beispiel 2.33. Ein Unternehmen legt fest, dass der Preis x einer Ware höchstens 20% (von x) gegenüber dem unverbindlichen Richtpreis von e 48 variieren darf. Für die Preisspanne gilt also |x − 48| ≤ 0.2 · x Für x ≥ 48 ergibt sich x − 48 ≤ 0.2 · x , 0.8x ≤ 48 , x ≤ 60 . Für x < 48 ergibt sich 48 − x ≤ 0.2 · x , 1.2 · x ≥ 48 , x ≥ 40 . Das heißt, für den Preis x ergibt sich die Spanne 40 ≤ x ≤ 60 . Eine Auflösung komplizierterer Betragsungleichungen geschieht in der Regel durch Fallunterscheidung oder durch Veranschaulichung auf der Zahlengeraden. Beispiel 2.34. Man bestimme die Lösungsmenge L von |x + 1| + |x − 1| ≤ 2 . Fallunterscheidung: 1. Fall: x < −1. Dann gilt |x + 1| + |x − 1| ≤ 2 ⇔ −(x + 1) − (x − 1) ≤ 2 ⇔ x ≥ −1 , und daher L1 = ] − ∞, −1[ ∩ [−1, ∞[ = ∅. 2. Fall: −1 ≤ x < 1. Dann gilt |x + 1| + |x − 1| ≤ 2 ⇔ (x + 1) − (x − 1) ≤ 2 ⇔ 2≤2, (x + 1) + (x − 1) ≤ 2 ⇔ x≤1, und daher L2 = [−1, 1[ ∩ R = [−1, 1[. 3. Fall: 1 ≤ x. Dann gilt |x + 1| + |x − 1| ≤ 2 ⇔ und daher L3 = [1, ∞[ ∩ ] − ∞, 1] = {1}. Zusammengefasst: L = L1 ∪ L2 ∪ L3 = [−1, 1]. 2.5 Weitere Definitionen und Aussagen 2.5.1 Summen und Produkte Für vorgegebene Zahlen ak , ak+1 , . . . , an , . . . ∈ R setzen wir rekursiv fest: 36 2.5 Weitere Definitionen und Aussagen n X i=k n Y ai := 0 ai := 1 n X für n < k , i=k n Y für n < k , i=k i=k ai := an + ai = an · n−1 X i=k n−1 Y ai = ak + · · · + an für n ≥ k , ai = ak · · · · · an für n ≥ k . i=k Aus der Dreiecksungleichung folgt mit vollständiger Induktion: n n X X |ai | . ai ≤ i=0 i=0 Beispiel 2.35. Für n ∈ N gilt n! = n Y i. i=1 Satz 2.36 (Binomischer Lehrsatz). Für a, b ∈ R und n ∈ N gilt n X n k n−k n a b . (a + b) = k k=0 Folgerungen: 2n = (1 + 1)n = n X n k=0 k 1k 1n−k = n X n k=0 k , (1 + x)n = n X n k=0 k xk . Folgerung 2.37. Sei n ∈ N>0 . Dann hat die Potenzmenge 2M einer n-elementigen Menge 2n Elemente. 2.5.2 Potenzen und Wurzeln Wir definieren hier die Potenzen mit reellen Exponenten. Definition 2.38. Für x ∈ R werden n-ten Potzenz xn rekursiv definiert durch x0 = 1 , xk+1 = x · xk . Definition 2.39. Für x ∈ R≥0 und n ∈ N≥1 ist die n-te Wurzel nichtnegative Lösung der Gleichung w der Gleichung wn = x. √ n x definiert als die 37 2 Zahlen Definition 2.40. Für x ∈ R>0 und r ∈ Q≥0 , r = pq mit p, q ∈ N≥1 , definieren wir die Potenzen mit rationalen Exponenten durch p √ p 1 xr := x q := q x und x−r := r . x Durch einen Grenzübergang kann die Definition von rationalen zu reellen Exponenten ausgedehnt werden. Die Definition kann zum Teil auch auf nichtpositive Basen fortgesetzt werden. Die Potenzen zu positiven Basen a, b genügen folgenden Potenzgesetzen: ar · as = ar+s , ar /as = ar−s , ar br = (ab)r , ar /br = (a/b)r , (ar )s = ars . Bemerkung 2.41. Die Potenzgesetze gelten nicht für negative Basen. Zum Beispiel gilt für x ∈ R und nicht √ √ x2 = |x| x2 = x (häufiger Fehler!), z.B. p (−1)2 = 1. 2.5.3 Logarithmen Definition 2.42. Es seien a > 0, a 6= 1, b > 0. Wir definieren den Logarithmus von b zur Basis a als die Lösung x der Gleichung ax = b. Bemerkung 2.43. Es gilt also nach Definition aloga b = b . (2.3) Aus den Potenzgesetzen ergeben sich folgende Logarithmengesetze für a, b > 0, 6= 1, x, y > 0, r ∈ R: loga b · logb a = 1 , r loga (x ) = r loga x , loga (xy) = loga x + loga y , logb x = logb a · loga x . Übliche Basen sind 10, 2 (in der Informatik) und die irrationale Zahl e = 2.71828 . . .. 38