Hans Jonas (1903-1993) • • • • • • • • • • • * Krefeld 1921 Studium der Philosophie u. Kunstgeschichte Uni Freiburg (E. Husserl, M. Heidegger) u. Berlin Landwirt. Ausbildung Phil. Diss. Der Begriff der Gnosis 1930 Augustin und das paulinische Freiheitsproblem. Ein philosophischer Beitrag zur Genesis der christlichabendländischen Freiheitsidee 1933 London 1935 Israel Teilnahme am 2. Weltkrieg 1949 Kanada 1955 New York 1979 Das Prinzip Verantwortung Charakteristika • Der universelle Vernunft verpflichtet: Philosoph. • Zwiespältiges Verhältnis zu seinen jüdischen Wurzeln • Existentialismus • Naturalistische Philosophie des Lebens • Ökologie • Auschwitz Prinzip Verantwortung • • • • • • • • Herkömmliche Ethiken bezogen sich auf den Mitmenschen; künftige Generationen – die Zukunft der Gesamtmenschheit kam nicht in den Blick Darum neue Imperative: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“ (36) Künftige vernünftige Wesen sind Subjekt von Rechten (Kind) Ausgangspunkt: Aristotelische Teleologie der Natur; sie ist kein neutrale Größe. Das Leben hat einen intrinsischen Wert. Das organische Leben bringt den Geist hervor. Dieser Geist ist für seine Grundlagen verantwortlich. • „Heuristik der Furcht“ • „Heiligkeit des Lebens“ • Techn. Macht zerstört die Ehrfurcht vor dem Leben • „Macher neuer Welten“ • „Jonglieren mit den Genen“ • Pflicht der Menschheit zur Existenz: der Mensch hat Verantwortung für das Vorhandensein von Wesen mit der Verantwortungsfähigkeit • Kein kollektiver Selbstmord der Menschheit • Kritik des marxistischen Utopismus (Ernst Bloch, Prinzip Hoffnung) • Jonas: Sozialismus = eher in der Lage, Ökologie zu realisieren. Metaphysische Vermutungen (1992) • 1. Sonderstellung des Menschen (Werkzeug, Bild, Grab) • 2. Ethik (ontol. Grundlegung) • 3. Gedanken über Gott nach Auschwitz 1. Evolution und Freiheit • Isolation des Menschen in der abendl. Tradition (Dualismus, Descartes) • Anliegen: Verbindungslinien zwischen organischer und menschlicher Welt • Methode: Aufdecken von Dimensionen der Innerlichkeit und Freiheit im organischen Bereich. Sein und Nichts • Polarität des Lebens zwischen Sein und Nichts. • Freiheit / Innerlichkeit / Selbstbezug durch Absonderung Bedrohung: Tod, Angst Evolutionismus und Freiheit Kontinuität des Lebens bis zum Menschen hin • Kein Dualismus, kein Materialismus Grundphänomen: • Stoffwechsel als Hinweis auf die Nichtidentität von Stoffsumme des Organismus und Organismus – Unterschied zur Maschine • Organismus als Prozess aktiver Selbstintegration. • Eigene Identität des Organismus – Freiheit und Abhängigkeit vom Stoff. • Grundfreiheit des Organismus: relative Unabhängigkeit der Form vom Stoff Freiheit und Notwendigkeit • Organische Freiheit – Notwendigkeit des Stoffwechsels; Freiheit als Tun des Notwendigen. • Stoffbezogenheit – Welthabe durch die Transzendenz des Mangels • Subjektivität / Innerlichkeit: Selbsttranszendenz und Rezeptivität – Kommunikativität (im Ggs zur ursprüngl. Vereinzelung) Raum, Zeit, Mittelbarkeit als Freiheitsindikatoren • Wahrnehmung, Bewegung Freiheit • Tierische Evolution als Raumgewinn durch freie Bewegung im Raum (Motilität), • Zeit als Differenz zwischen Trieb und Erfüllung (Ziel-Objekt). • Das Handeln: Mittelbarkeit als Kriterium des tierischen Lebens. Werkzeug, Bild und Grab Vom Transanimalischen im Menschen • Trotz Verortung des Menschen im Organischen, transzendiert er die bloße Biologie: Evolutionsbiologisch unfasslicher Überschuss: die transbiologischen, selbsterzeugten Zwecke – das Transanimlische: • Werkzeug, Bild und Grab als Merkmale des Transanimalischen Homo faber: Werkzeug • Eidetisches Element der Vorstellung und der Kontrolle der Hand • Freiheit der Erfindung Homo pictor: Bild • „biologische Nutzlosigkeit jeder bloßen Repräsentation“ • Bild legt offen, dass die Erscheinung als Erscheinung begriffen wird - freie Verfügung • definitio veritatis: adaequatio imaginis ad rem adaequatio intellectus ad rem Bild-Sprache, Wesenserfassung • Bilder, Sprache: neue Existenz der Dinge im Symbol • Namensgebung: Verdopplung der Welt • Bilder bieten das Allgemeine „der Büffel“ • Bilder und Benennung zeigen die Fähigkeit zur Abstraktion = Wesenserkenntnis Lascaux • 17.000 v. Chr. Auerochse, Pferd, Hirsch 17.000 v. Chr. Altamira, Nordspanien Jagdzauber, Schamanismus Höhlenmalerei, Les Trois Frères Homo sapiens: Grab • Biologischer Überschuss / Glaubensvorstellungen, Übersinnliche • Grab als Ort der Menschwerdung: Fragen nach Herkunft und Zukunft (Geschichte, Identität), Selbstverhältnis zur Endlichkeit (Metaphysik) • Frag-liche Existenz des Menschen: quaestio mihi factus sum. • Paläoanthropologie: Grab als sicherster Indikator für Menschsein Neandertaler: Gräber (?) Steinzeit Nachtrag zu den Gottesbeweisen • Kants Kritik der Gottesbeweise beseitigt das Bedürfnis der Vernunft und des Gefühls nicht. • Sinnfrage als Neuansatz: die Wahrheit von Sätzen über Vergangenes - ? • Wahrheit von Nichtseiendem = Vergangenem • Präsenz der Dinge gefordert zur Überprüfung einer wahren Aussage über sie. Kein Problem bei zeitlosen Gegenständen (Mathematik) oder bei Gegenstände, deren Vergangenheit in die Gegenwart reicht (Dinosaurier, Knochenfunde…) Pierre-Simon Laplace (1749-1827) • „Wir müssen also den gegenwärtigen Zustand des Universums als Folge eines früheren Zustandes ansehen und als Ursache des Zustandes, der danach kommt. Eine Intelligenz, die in einem gegebenen Augenblick alle Kräfte kennt, mit denen die Welt begabt ist, und die gegenwärtige Lage der Gebilde, die sie zusammensetzen, und die überdies umfassend genug wäre, diese Kenntnisse der Analyse zu unterwerfen, würde in der gleichen Formel die Bewegungen der größten Himmelskörper und die des leichtesten Atoms einbegreifen. Nichts wäre für sie ungewiss, Zukunft und Vergangenheit lägen klar vor ihren Augen.“ • Deterministische Welt: Aus der Gegenwart lässt sich Vergangenes deduzieren. Postulat eines ewigen Gedächtnisses • Die transzendentale Bedingung der Möglichkeit von endlich-historischer Existenz ist die Existenz eines absoluten, göttlichen Subjekts: dessen Gedächtnis, das eine Präsenz des Vergangenen darstellt und die Möglichkeit eröffnet, in Bezug auf Aussagen über Vergangenes zwischen wahr und falsch zu unterscheiden. • Die mentale Präsenz ersetzt die substantielle. • Erinnerung bezieht sich auf Kontingentes, Einmaliges, nicht auf Abgeleitetes. • = dieser Gott ist ein werdender, wenngleich ewig existierender Geist. Der Gottesbegriff nach Auschwitz • Festvortrag anlässlich der Verleihung des Dr. Leopold-Lucas-Preises für 1984 durch die Evangelisch-Theologische Fakultät der Universität Tübingen • Kant: von metaphysischen „Gegenständen“ kann die Vernunft nicht lassen, obwohl sie zu keiner Erkenntnis kommt. • Jonas: es bleibt daher möglich, nach dem Sinn und der Bedeutung metaphysischer Gegenstände zu fragen: nach dem Gottesbegriff. Exposition des Problems • Traditionelle Sinngebung des Leidens entfallen. • Erwählung Israels als Fluch. • Unterschied zum Christentum: Heil im Jenseits; Judentum: Gericht in der Geschichte, Gott als Herr der Geschichte Mythos • Selbstentäußerung Gottes. Selbstentsagung Gottes zugunsten der Welt; er überlässt sich der Welt. • Konsequenz: kein Vorwissen, keine Vorsehung, kein Vorherbestimmung. • Im Gang der Evolution erwacht „Gott“: Leben, Geist. • Schärfung der Selbstbezüge und Differenzen: Leid, Schmerz, Grausamkeiten. Mensch und Gott • • • • • • Disjunktion von Gut und Böse Transzendenz erwacht zu sich. Leidender Gott Werdender Gott Sich-Sorgender Gott Ohnmächtiger Gott? (Absolute Macht?) Jonas‘ These • „Nicht weil er [Gott] nicht wollte, sondern weil er nicht konnte, griff er nicht ein.“ • Gott ohne Einmischungsmöglichkeit in den Gang der Welt • Kabbala / Isaak Luria (1534–1572): Zim Zum,( צמצוםKontraktion) von En-Sof = ohne Ende = das Unendliche ( ἄπειρον) – das Unendliche wird als unbestimmtes „weißes“ Licht verstanden. Dieses Licht kontrahiert sich und gibt den dunklen Raum frei, in dem die Schöpfung sein kann.