Vorlesungen über die Philosophie der Religion 1. Einleitung (1827)

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Vorlesungen über die
Philosophie der Religion
1. Einleitung (1827)
1. 1 Religion (Theologie) und
Philosophie: Harmonie und Konflikt
• Deskription und Nominaldefinition der
Religion
• Religion „ist die Beziehung des menschlichen
Bewusstseins zu Gott“ … und der „Sonntag des
Lebens“.
• „Diese Stellung hat die Religion bei allen
Völkern und Menschen.“
Relphil als „Betrachtung“ der Religion
• …nicht als einen Gegenstand, sondern auf der
Grundlage einer prinzipiellen Gemeinsamkeit,
bei gleichem Inhalt.
• Dieser Inhalt ist Gott.
• Philosophie = Explikation der Religion und
somit Gottes.
• „So fallen Religion und Philosophie in eins
zusammen.“
Konfliktsituation
• Feindliches Verhältnis von Philosophie und
Religion: Philosophie verderbe die Religion.
• Die Tradition als gegenteiliges Vorbild: frühe
Kirche: Clemens von Alexandrien, Origenes,
MA: Anselm, Abaelard…
1. 2 Aktuelle Situation: Reduktion der
Konfliktsituation – wegen….
1. Inhalt: Phil rettet Dogmen gegenüber der
„Neologie“: Theol. der Aufklärung
– Historisch-kritische Exegese, keine Verbalinspiration
– Relativierung der Dogmen
– Ethische Orientierung
z.B. Johann Joachim Spalding (1714-1804): 1748
Betrachtung über die Bestimmung des Menschen;
1772 Nutzbarkeit des Predigtamts; 1797 Religion,
eine Angelegenheit des Menschen
Historische Behandlung der Dogmen statt
„absolute Entstehungsweise aus der Tiefe des
Geistes“: Tholuck….
Friedrich August Gottreu Tholuck
(1799-1877)
• Die spekulative Trinitätslehre des späteren Orients,
eine religionsphilosophische Monographie aus hs.
Qu. der Leydener, Oxforder u. Berliner Bibl. 1826
• Hegel: „Verdient die hohe christliche Erkenntniβ von
Gott als dem Dreyeinigen nicht eine gantz andere
Ehrfurcht, als sie nur so einem äuβerlich
historischen Gange zuzuschreiben? In Ihrer ganzen
Schrift habe ich keine Spur eines eigenen Sinns für
diese Lehre fühlen und finden können. Ich bin ein
Lutheraner und durch Philosophie ebenso gantz im
Luthertum befestigt; ich lasse mich nicht über
solche Grundlehre mit äuβerlich historischer
Erklärungsweise abspeisen. Es ist ein höherer Geist
darin als nur solcher menschlichen Tradition. Mir ist
ein Greuel, dergleichen auf eine Weise erklärt zu
sehen, wie etwa die Abstammung und Verbreitung
des Seidenbaues, der Kirschen, der Pocken u.s.f.
erklärt wird.“
2. Form: Unmittelbares Wissens von Gott als Religion, Glaube
und Vernunft.
Hintergrund = Friedrich Heinrich Jacobi (1743-1819):
Glaube als Element allen Erkennens und Handelns, als erste
unmittelbare Gewissheit der Realität ohne Gründe, a priori;
Überzeugung aus Gründen = Gewissheit aus zweiter Hand.
Unmittelbarer Glaube gegen vermittelnde Philosophie: sie
verendliche Gott (Jacobi).
Hegel:
+ unmittelbares Wissen von Gott; Bewusstsein und Gott sind
unzertrennlich.
- Verweigerung der Erkenntnis des göttlichen Wesens,
Thema ist nur die Religion, Reduktion auf Moral.
Ansatz der Relphil
• Ansatz bei einer Befragung des Bewusstseins, bei
diesem unmittelbaren Wissen von Gott - um aber
Gottes Wesen zu bestimmen, zu erkennen:
• Ergebnis: Gott ist Geist für den Geist (Manifestation);
theol.: Gott ist Geist in der Gemeinde.
• „Bestimmtes Wissen haben heißt Erkennen.“ Dieses
bestimmte Wissen soll man auch von Gott haben –
aber nicht in Gestalt „geschichtlicher Vielrednerei“,
sondern „nach der Notwendigkeit der Sache“,
„Entwicklung durch den Begriff“.
• Sachorientierung gilt ebenso für die Bibelauslegung;
„absoluter Halt ist nur der Begriff“ – nicht der
Buchstabe der Hl. Schrift
Erkenntnistheorie ?
• Zirkelproblem: Vernunft kann nur durch Vernunft
kritisch betrachtet werden. Konsequenz: Die
Relphil als selbstkritischer Vollzug der Erkenntnis.
• Jacobi: Anthropomorphismus, endliche Formen,
Kategorien der Phil. - Hegels Gegenargument:
eine endliche Form sei die Unmittelbarkeit des
Wissens, die Berufung auf eine Tatsache des
Bewusstseins.
• Untersuchung der Formen und Kategorien liegt
„im Rücken“ der Relphil: „Wissenschaft der Logik“
• Untrennbarkeit des unmittelbaren und
vermittelten Wissens.
• Überwindung „einseitig-endlichen Wissens“.
1. 3 Überblick über die relphil.
Vorlesung
• 1. Methode: der sich explizierende Begriff: Daher Ansatz
beim Begriff der Religion.
– Geist in Unmittelbarkeit und Einheit
• Begriff als Substanz der Sache, Keim des ganzen Baumes.
• 2. Bestimmtheit des Begriffs, der Begriff in seinen
bestimmten, endlichen, beschränkten Formen.
– Geist im endlichen Dasein, Differenz: Beginn gelebter Religion
(Gefühl, Gewissheit, Glaube, Vorstellung, Denken – unterschiede
zum religiösen, verständigen Denken: Kritik der Gottesbeweise)
• 3. wahrhafte, absolute Religion ohne Beschränkungen, der
wahrhafte Begriff, die absolute Idee.
– Geist als Rhythmus, ewiges Leben, Freiheit, Versöhnung
2. Der Begriff der Religion
• Relphil als „letzte Wissenschaft in der
Philosophie... [sie] ist also Resultat“.
2. 1 Der Begriff Gottes
• Relph als „wissenschaftliche Entwicklung,
Erkenntnis dessen, was Gott ist“…
• Anfang der Entwicklung ist „Gott im
unbestimmten Sinn“ als Resultat der Phil.
• Aber dieses Resultat ist in der Relphil als Anfang
und Erstes gesetzt.
• Dieser Anfang ist etwas Allgemeines, Gott ist
Allgemeines = „Gott ist absolute Substanz, die
allein wahrhafte Wirklichkeit.“ Alles andere hat
keinen Bestand in sich. (Substanzbegriff?)
Gott als das Allgemeine, Substanz
• Das Allgemeine ist vor allem für das Denken
zugänglich.
• → Religion hat ihren Sitz im Denken, da Gott das
Allgemeine ist; das Gefühl als Ort Gottes ist
sekundär.
• Auf der Ebene des Allgemeinen gibt es noch keine
Religion: zu ihr gehört Differenz, subjektiver
Geist.
• (Pantheismusvorwurf, Spinozismus – omnis
determinatio est negatio – Akosmismus,
Atheismus, Identitätssystem)
2. 2 Das Wissen von Gott
• „… mit dem Unterschied fängt Religion als solche
an.“
• = „geistiger Unterschied, ist Bewusstsein …
Wissen von diesem absoluten Inhalt“.
1. Ausgehend vom Inhalt, von Gott: Gott ist Urteil –
Schöpfung, des subjektiven Geistes, Geist für den
Geist;
- Gott als Manifestieren; Urform = Sohn, Mensch
als Ebenbild.
- Gotteserkenntnis gründet in Gottes
Selbstoffenbarung
2. Ausgehend vom Menschen: Weil wir Denkende sind
kommen wir zum schlechthin Allgemeinen = zu Gott.
a) unmittelbares Wissen, Gewissheit – von sich selbst und
Gott. Ist das Gewisse aber wahr?
– Glaube als unmittelbare Gewissheit (Friedrich Heinrich
Jacobi 1743-1819) Suche nach Gewissheit setzt
unmittelbare Gewissheit voraus.
– Kein vermitteltes Vernunftwissen, sondern
Glaubensgewissheit, z.B. dass wir einen Körper haben.
(Vgl. Michel Henry 1922-2002: Gewissheit vom eigenen,
mir „passierenden“ Leben)
– Unterschied zum Glauben im Sinn des Glaubens an Gott:
Glaube an Gott aufgrund eines Zeugnisses –
– Glaube aufgrund des Zeugnisses des eigenen Geistes
(keine Wunder, keine historische Beglaubigung)
„Jeder Inhalt hat Platz im Gefühl.“
b) Das Gefühl: es bietet eine Einheit des
Selbstgefühls mit dem im Gefühl präsenten
Gegenstand (Subjektivität).
• Defizit: Unentscheidbarkeit der
Wahrheitsfrage auf Gefühlsebene
• „Gefühlsreligion“: Herz als Quelle des Inhalts,
unangemessene Weise, um den Inhalt zu
wissen: Partikularität, Subjektivität →
• Notwendigkeit der vernünftigen Bestimmung
c) Die Vorstellung (Objektivität)
• Vorstellung von Gott
1. sinnl. Formen, Gestalten: Gott zeugt
einen Sohn, Zorn Gottes, Baum der
Erkenntnis, Mythen
Geschichtliches: im Mythos, Geschichte
Jesu: Gegenstand der Vernunft
„Der Inhalt ist empirisch, konkret…“ „…es
ist Geist darin“, den die Phil. hervorholt.
c) Vorstellung
2. nichtsinnliche Gestaltungen:
Handlungen… Erschaffung der Welt
Auf der Ebene der Vorstellung werden
Bestimmungen isoliert genommen und nur
durch ein „und“ & „auch“ verbunden: Gott
ist gerecht und barmherzig….
Bedeutung von Lehre, Unterricht für die
Vorstellung = Zeichen ihrer Objektivität
d) Das Denken (Gründe, Überzeugungen)
aa) Verhältnis zur Vorstellung
Analyse der einfachen Vorstellungen (blauer
Himmel); Aufzeigen von Widersprüchen: Gott
ist gerecht und gütig, der Mensch ist frei und
abhängig.
Im Modus der Notwendigkeit gilt es zu
erkennen: auch den Gegenstand „Gott“, d.h.
durch Beziehung auf anderes.
bb) Verhältnis unmittelbaren Wissens zu vermittl. Wissen
(= Denken)
Vermittlung der „Tatsache des Bewusstseins“
Nachweis von Notwendigkeiten, notwendigen
Beziehungen gegen die Naivität des Unmittelbaren.
Aber: Problematische Nachweise = endliche Weisen des
Auffassens: Ursache und Wirkung als zwei für sich
genommene Größen; dagegen: Aufweis der Vermittlung,
Dialektik von Ursache und Wirkung, Wechselwirkung….
Methode als Bewegung des Gegenstandes: Vermittlung
als Matrix endlicher Realität, Vermitteltheit der
Bestimmungen wie Sein – Nichts….
Wissen als Beziehung Unterschiedener: Subjekt – Objekt
• Auch Religion verträgt die Methoder der
Vermittlung, da auch sie sind vielfältig
vermittelt ist (Geschichte, Geist, Bilder…), so
dass ihr die Form wissender Vermittlung nicht
widerspricht.
cc) Das religiöse Wissen als Erhebung zu Gott
Erhebung zu Gott im vermittelnden Wissen =
Religion als Gottesbeweis
Diskussion der Gottesbeweise:
Zusammenhangzeigen zwischen Gott und
Sein.
Problem: Beweisgang und Sache als getrennte
Größen
Schiefheit: Sein Gottes erscheint in Abhängigkeit
vom Endlichen – hier hat die Kritik der
Gottesbeweise ihren berechtigen Ort.
Hegels Ansatz in der Gottesfrage
Hegel: Negation des Ausgangspunktes, des Endlichen,
als Erhebung zu Gott und als Beweis Gottes. Das
Endliche hat kein wahrhaftes Sein, es ist
Widerspruch: an ihm geht es zugrunde → „schlechte
Affirmation“: „langweilige Wiederholung“ des
Endlichen: das Endliche hängt von einem anderen
Endlichen ab. In der Abhängigkeit vom Gleichen
deutet sich ein Verhältnis der Selbigkeit: ein
unendliches Verhältnis; ergo: die Wahrheit des
Endlichen ist das Unendliche.
Oder: ein bloßes Festhalten (an) der Vergänglichkeit
des Endlichen würde es verabsolutieren.
• Falsches Bild von der Brücke….
Weitere Bemerkung zu den
Gottesbeweisen
• Kosmologischer Beweis: da in ihm das Unendliche als
Negation der Negation (des Endlichen) gefasst wird, ist
dieses Unendliche bereits eine Bestimmung, die allein
durch Negation erfolgt; es bestimmt sich zum Sein.
• Physikotheologische, teleolog. Beweis:
Problematik: Gott erschafft den Korkbaum und Stöpsel
Kant: Kritik der Urteilskraft
Endliche Lebendigkeit → absolute Lebendigkeit
Oder: das Endliche ist eine Schranke. Die Schranke als
solche wissen, heißt darüber hinaus sein.
Hegels Aufhebungsbeweis - Anselm
• Beweisform nach Hegel (322) als Selbstaufhebung
des Endlichen und Affirmation des Unendlichen.
• Beweisgang im Ausgang von Gott (Anselm 10331109)
• Kants Kritik
• Hegel: Unterschied zw Vorstellung und Begriff;
– der absolute Begriff enthält Sein als seine
Inhaltsbestimmung; Sein als Unmittelbarkeit des
Begriffs; die Bewegung des Begriffs zur Wirklichkeit.
Vergleich mit dem Ich.
– Untrennbarkeit des Begriffs und des Seins nur im Falle
Gottes (329).
2. 3 Kultus
• Praktische Betrachtung: Genuss der absoluten
Wahrheit.
• Voraussetzung des Kultes ist Versöhnung.
• Formen des Kultus:
1. Andacht; Innerlichkeit
2. Kulthandlung (Sakramente); Äußerlichkeit:
Opferkult als Vergegenwärtigung der Versöhnung
durch Verzicht auf eigene Dinge;
3. Sittlichkeit: moralisches Selbstopfer; „Negation
der partikulären Subjektivität“.
3. Die Bestimmte Religion
• Die Bestimmung macht aus dem Gedanken
von Gott einen Begriff, d.h. einen inhaltlich
gefüllten Begriff.
• Korrespondenz zwischen Gottesvorstellung
und Lebenssituation der Menschen:
Naturreligion = unfreie, „natürliche“
Menschen.
Gliederung der bestimmten Religion
• 1. Unmittelbare Naturreligion
– Einheit des Geistigen und Natürlichen, unfreier
Geist: Asien
• 2. Religion der Schönheit und Erhabenheit
– Erhebung des Geistigen über das Natürliche;
Gott als Individualität: Griechenland, Judentum
• 3. Religion der Zweckmäßigkeit
– In äußerer Form als Fatum: Römer
Die Religion der Erhabenheit oder die
Jüdische Religion
• Griechenland: das Natürliche wird zum Zeichen und
Medium des Geistigen (Götterstatue)
• „Der Löwe hat nicht Raum in einer Nuss, der unendliche
Geist nicht Raum in dem Kerker einer Judenseele.“
• Judentum: das Geistige steht über dem Natürlichen und
diesem gegenüber.
• 1. Gott ist danach weise Schöpfermacht, in sich aber
gestaltlos, auf sich bezogene Subjektivität, aber nur
abstrakte Weisheit, noch nicht in sich, durch sich bestimmt
(Sohn, Trinität), sondern nur im abstrakten Gegenüber zur
Welt (Schöpfung)
• Gott als der Anfangende, nicht als Resultat
2. Beziehung Gott - Erschaffenes
• Beziehungen Gottes zur Welt als Eigenschaften
göttlicher Selbstbestimmung
• 1. Güte Gottes: Dasein der nichtigen Welt;
„Auseinandergehen“ Gottes
• 2. Gerechtigkeit Gottes: Manifestation der
Nichtigkeit u. Schein-Selbständigkeit der Welt:
den endlichen Dingen geschieht dadurch Recht
• Gott zeigt sich in seiner Güte und Gerechtigkeit
zugleich als Subjekt, nicht als Substanz, der ihre
Attribute nur unmittelbar zugesprochen werden.
3. Die Welt
• Entgöttert, prosaische Dinge.
• Verstandes-Welt
Wunder werden zur Beglaubigung der Religion
in der Verstandes-Welt der Gesetzmäßigkeiten
erst möglich.
Aber: das eigentliche Wunder ist die Emergenz
des Geistes. Er bezeugt die Wahrheit der
Religion.
Erhabenheit
• Gott zeigt sich gegenüber der gottlosen Welt als der
Überlegene, Transzendente, Ewige – als Gericht über
die Welt.
• Die griechische Religion der Schönheit bringt hingegen
Gott und Natürliches zusammen.
• Zweck der erhabenen Gottes: seine Ehre durch alle
Völker zu erhalten.
• Jüdisches Gesetze, Sittlichkeit trotz Natürlichkeit (vgl.
Kant)
• Wohlergehen durch Gesetzeserfüllung: Gott als Band
zwischen Sittlichkeit und Wohlergehen (vgl. Kant)
• Hiob: belohnte Zuversicht in Gott. Entscheidend ist das
Recht-tun.
Defizienzen des jüdischen
Gottesbegriffs
• Gott nur als Einer, ohne innere Entwicklung
(Trinität)
• Nur Nationalgott, aber doch mit der Bestimmung
allen Völkern offenbar zu werden.
• Göttliche Gebote nur als abstrakte Vorschriften;
Handlungen des Menschen bleiben äußerlich.
Sitzung am 17.11.
• Die Vollendete Religion
Eva Marzullo
• S. 177-199
• 11. 13. Jan.
• Streit in der Hegel-Schule: Religion und
Metaphysik
• Lit. Walter Jaeschke, Vernunft in der Religion.
Stuttgart 1986, 361-436.
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