Die Religionsphilosophie Hegels Prof. Dr. Michael Schulz Arbeitsbereich Philosophie und Theorie der Religionen Philosophische Fakultät, Universität Bonn Brühlerstrasse 7 D-53119 BONN Tel. 0228-735030 Mobile: 01788683225 [email protected] www.ptr.uni-bonn.de Einführung in Hegels Religionsphilosophie: (1) geschichtliche Hintergründe; (2) Ort im Hegelschen System • 1. Die Genese der Religionsphilosophie Aufklärung: Krise des Offenbarungsglaubens – Problem seiner kontingent-geschichtlichen Basis mit universellem Anspruch • 2. Religionsphilosophie: der geschichtliche Modus des Geistes in seinem triadischen Selbstbezug Englischer Deismus Friedrich Nietzsche: Deismus ist der Religionsphilosophie der Aufklärung John Toland (1670-1722) • Christianity not mysterious (1696) = dogmenfreies Christentum • Suffizienz der natürlichen Religion • Offenbarungsgestützte Religion als Hilfe zur Lebbarkeit der natürlichen Religion. Deismus Religion of Nature Matthew Tindal (1657-1733) • Christianity as Old as the Creation, or the Gospel a Republication of the Religion of Nature (1730). • „Bibel des Deismus“ Natürliche Religion • 16.-18. Jh. (1) Natürl. Religion = Vorbereitung auf die Erkenntnis der Offenbarung verstanden. • (2) nR als Kriterium für Offenbarungsrel. • Jean Bodin (1529 o. 1530-1596): religio naturalis, mentibus hominum insita; die nR macht Christus und Mohammed überflüssig. • Inhalt der nR sind moralische Gebote, keine ausführliche Gotteslehre Natürliche Religion Herbert von Cherbury (1583-1648), De veritate: veritates catholicae • 1. Existenz Gottes • 2. Verehrungswürdigkeit des höchsten Wesens • 3. moralische Lebensführung als Gottesverehrung • 4. Buße für Vergehen • 5. jenseitige Belohnung, Bestrafung Die problematische Geschichtlichkeit der Offenbarung • G.E. Lessing, Über den Beweis des Geistes und der Kraft, in: Werke, Bd. IIX, hrsg. von H.G. Göpfert, Darmstadt 1996, 9-14, 12: • „Das, das ist der garstige breite Graben, über den ich nicht kommen kann (...) zufällige Geschichtswahrheiten können der Beweis von notwendigen Vernunftwahrheiten nie werden.“ Krise der natürlichen Religion und des Deismus David Hume (1711-1776): Dialogues concerning natural religion (1779) • Primat des Polytheismus (gegen Tindal) • Problematisierung des aposteriorischen Gottesbeweises: Kausalität, Finalität nur als Modi und Gewohnheiten menschlichen Erkennens, nicht generalisierbar für einen Gottesbeweis. Denkgesetze müssen nicht Gesetze der Natur sein. • - des apriorischen (ein ens necessarium könnte auch die Welt sein, deren Eigenschaften nicht alle bekannt sein müssen; religiös unbedeutend). • Es bleibt die Hoffnung auf künftige Offenbarung und Klärung. Ende der natürlichen Rel. u. Theol. Phil. Ende: Immanuel Kant (1774-1804) wird Humes Schrift bekannt als er die KrV redigiert, bei dem Nachweis der Unmöglichkeit eines physikotheologischen Beweises spielt sie eine Rolle. Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik 1783: Hume‘s Schrift dient der Überwindung des dogmatischen Anthropomorphismus des Theismus Theol. Ende: • 1780 gelangen die Dialoge zu Johann Georg Hamann (17301788): Er begrüßt sie und benutzt sie zum Nachweis, dass das Christentum nicht auf eine natürliche Religion zurückgeführt werden kann. Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (1793, 1794) • • • • ≠ natürliche Religion oder Theologie ≠ Gottesbeweise ≠ konfessionelle Apologie = Vernunft begründet (symbolische Anthropomorphismus) • = sich abgrenzend vom Offenbarungsglaube • = Grenzwanderung zwischen einem kritischen selbstkontrollierten Denken und der Theologie (Hermann Deuser, Relphil, Berlin 2009, 7). Konfessionell-apologetischer Typus der Religionsphilosophie Sigismund von Storchenau, SJ, Philosoph, Theologe (1731-1797) Die Philosophie der Religion 6 vol. 1773-1789 (91810, niederländ. Übersetzungen 1790, 1822, 1826). Bedeutung: Rezeption des Rationalismus (Chr. Wolff) These: die richtige Philosophie beschützt erfolgreich die Religion und erlaubt eine Widerlegung des falschen Glaubens, des Protestantismus. Kant – Philosoph des Protestanismus? Überkonfessionell? • Konfessionalisierung Kants? • Friedrich Paulsen (1846-1908) 1) wegen Kants „Anti-Intellektualität“, die dem rationalistischem Dogmatismus des Katholizismus widerspricht 2) Kants Begriff eines praktischen Vernunftglaubens entspreche Luthers Theologie des Glaubens als Herzenssache Andere: Autonomie, Subjektivität • Katholischer Kant? Kants Kritik des sola fide, sola gratia, sola scriptura; führende Rolle der Vernunft; Kants Lob für aufgeklärte Katholiken und ihre Zustimmung zur Bedeutung der Vernunft und des verantwortlichen Handelns • Kant selbst nennt Konfessionen, Kirchen „Religionsparteien“ und „Sekten“ Hegel – „im Luthertum befestigt“ • Friedrich August Gottreu Tholuck (1799-1877), Die spekulative Trinitätslehre des späteren Orients, Berlin 1826 • Hegel weiß sich als „ein Lutheraner und durch Philosophie ebenso ganz im Luthertum befestigt.“ Zum luther. Credo gehört die Trinität, deren historische Ableitung nur einen ungenügenden Zugang darstellt, ergo: „Ich lasse mich nicht über solche Grundlehre [über die Trinität] mit äußerlich historischer Erklärungsweise abspeisen. ... Mir ist es ein Greuel, dergleichen auf eine Weise erklärt zu sehen, wie etwa die Abstammung und Verbreitung des Seidenbaues, der Kirschen, der Pocken u.s.f. erklärt wird.“ • Relphil. Verteidigung des luther. Abendmahlverständnisses Kants transkonfesisoneller praktischer Vernunftglaube • Ausgangspunkt: Vernunfttatsache des Sittengesetzes: „Handle so, dass die Maxime deines Willens als Prinzip einer allg. Gesetzgebung gelten könne.“ (KpV A 54f). • Dieses Sittengesetz ist ein praktisches Gesetz, das die Basis bildet für die drei Postulate, die die Relph ermöglichen: • Ein Postulat der reinen praktischen Vernunft nennen wir „einen theoretischen, als solchen aber nicht erweislichen Satz ..., sofern er einem a priori unbedingt geltenden praktischen Gesetze unzertrennlich anhängt“ (KpV A 220). Postulate Einschränkung der Erkenntnis: • Der theoretische Satz ist nicht erweislich. • Das praktische Gesetz ist nicht wissenschaftlich erweislich, es gilt aber a priori und unbedingt, und zwar als Vernunfttatsache. • Satz und Gesetz sind unzertrennlich, da sie in einem strikten Zusammenhang stehen. Die Postulate der Freiheit, unsterblichen Seele und der Existenz Gottes • Das praktische Sittengesetz setzt transzendental Freiheit voraus. • Das Sittengesetz setzt seine Erfüllbarkeit voraus: unendlicher Prozess wegen Sinnengebundenheit → unsterbliche Seele • Ziel des Sittengesetzes ist die Glückseligkeit in Korrespondenz zur erworbenen Glückswürdigkeit = das höchste Gut. Dieses kann nur unter der Voraussetzung der Existenz Gottes gedacht werden, der die Macht hat, diese Korrespondenz zu bewirken. Moralphil. Religionsbegründung • Das Sittengesetz, das das Postulat Gottes ermöglicht, ermöglicht es ebenso, dass es selbst als Gebot Gottes verstanden wird. Religion ist daher die Erfüllung aller Menschenpflichten als göttlicher Gebote. Gottes Gebote verlangen nichts, was über die Vernunft hinausgeht. Kirchenregeln, Liturgie usw. können immer nur der Stärkung der moral. Gesinnung dienen, beeinflussen aber nicht das Verhältnis zu Gott. Gottesverehrung ist gelebte Sittlichkeit. Moralphil. Religionsbegründung • Daran, dass der Mensch nicht tut, was er soll, aber an sich auch können müsste, entdeckt er sich als Sünder. Sünde ist die Vertauschung von Sittlichkeit durch Sinnlichkeit. • Erbsünde ist die „ungeschickliche“ Ausdruck für die Allgemeinheit der Sünde. Moralphil. Religionsbegründung • Rettung, Erlösung geschieht durch Umkehr in Ausrichtung am Ideal einer Gott wohlgefälligen Menschheit, an Christus. Entscheidend ist die innere Ausrichtung, nicht der sittliche Erfolg, der irdisch nie vollkommen sein wird (simul iustus et peccator). Gott rechnet eschatologisch die Gesinnung als vollbrachte Tat. Popularisierung der Relphil Kants • Carl Leonhard Reinhold (1757-1823) verwendet den Begriff der Relphil zur Bezeichnung der Begründungsart des praktischen Gottesgedankens. • Johann Friedrich Kleuker (1749-1827): Kants Philosophie der Religion lehrt, was reine Religion ist und wie sie beschaffen sein muss, wie sie kein Gift, vielmehr Balsam für die Menschheit sein soll. Von Kant zu Hegel Der moralische Gottesgedanke überzeugt nur ein Jahrzehnt. • Allgemeine Gewissheit: eine theoretische Begründung der Existenz Gottes ist unmöglich. • Es bleibt die moralphilosophische Begründung. • Diese jedoch lässt sich bestreiten: 1. Eine moralische Welt bedürfte Gottes nicht. 2. Die Disproportionalität zw. Tugend und Glückseligkeit könnte als Argument gegen Gott angeführt werden. Die Fragen entzündeten sich immer wieder an dem Zusammenhang von der unbedingten Verpflichtung zur Sittlichkeit und der Glückseligkeit, die nicht Motiv der Sittlichkeit ist. Die Glückseligkeit könnte sogar moralisch in Irre leiten, indem sie von der Sittlichkeit als exklusiver Triebfeder des sittlichen Handelns ablenkt. Von Kant zu Hegel 3. Unklare Zuordnungen: Autonomie des Sittengesetzes; Abhängigkeit seines Sinns vom Gottesgedanken. 4. Die Transformation der Religion in Moral: Verlust der heilgeschichtlichen Zentraldogmen: Trinität und Inkarnation, denn sie bieten fürs Praktische nichts. Vgl. Judentum und Islam. Jesus nur als Vorbild (Bergpredigt). Gottmenschentum Jesu als Gefahr für Moral: Entmutigung wegen Unerreichbarkeit des Göttlichen. 5. Die Postulatenlehre wird aber auch zu Begründung ev. Dogmatik herangezogen, was Hegels erste Kritik am moralischen Gottesgedanken provoziert, aber ihn zunächst an Kants Postulatenthese festhalten lässt. Religion in Hegels „Theol. Jugendschriften“ • 1907 hg. v. Herman Nohl (1879-1960) • Wilhelm Dilthey (1833-1911): Popularisierung der Jugendschriften in Abwendung vom Hegel des Systems • 1792-93 Tübingen: subjektive Religion zur Beförderung der Moral; im Unterschied zu Kant betrachtet Hegel die Religion als Triebfeder der Moral. Mit dem Begriff der Volksreligion versucht H. die Kluft zwischen einer subjektiven, in der Vernunft gründenden Rel. und dem objektivierenden Volksglauben zu überwinden: Volksreligion als Einheit von Vernunft und Phantasie / Sinnlichkeit. 1793-1797 Bern • • • • • • 1793-1797 Bern (Hauslehrer): verstärktes Kant-Studium; Rezeption Lessings: das Problem des Historischen. Christentum ungeeignet als Volksreligion wegen seines privaten Charakters. Hegel verfasst ein Leben Jesu im Geist von Kants Rationalismus: Hintergrund und Motivation zu dieser Schrift ist die Postulatenlehre Kants, die zur Rechtfertigung der gesamten ev. Dogmatik herangezogen wird, was Hegels Überzeugung nach einen Missbrauch der Relphil Kants darstellt und deren kritisches Potential konterkariert Die rel. Triebfeder der Moral gewinnt also an Eigengewicht und lenkt von der Moral ab: Glaube an Seligkeit, Christus – lässt die Verpflichtung zum Handeln um des Sittengesetzes willen zurücktreten. Deshalb plädiert nun auch Hegel für eine vernunft- und moralbegründete Religion allein. Diese Tugendreligion sei auch die Jesu – diesem Nachweis gilt das Leben Jesu. Andererseits bleibt das Problem der „Positivität“ (Geschichtlichkeit, Dogmatik) des Christentums: wie ist deren Genese zu erklären? Das NT widersetzt sich der Transformation Jesu in einen bloßen Morallehrer, das Leben Jesu selbst ist Botschaft. So kommt es zu einer Abwendung von einer rein moralischen Deutung der Person Jesu. Fassbar wird diese Neujustierung im Fragment Die Positivität des Christentums: Religion geht über Moral hinaus. 1797-1800 Frankfurt • 1797 (Hauslehrerstelle in Frankfurt auf Vermittlung Hölderlins) • Zentrale Termini dieser Zeit: Liebe, Leben, Geist – • Der Religionsbegriff wird im Rekurs auf den Begriff der Liebe rekonstruiert: Liebe bietet die Einheit von Verschiedenem; so sei auch Gott die Einheit von Entgegengesetztem: Subjekt – Objekt, Freiheit – Natur, Mensch – Gott. • Systemfragment 1800: Religion als Erhebung vom endlichen zum unendlichen Leben • Dieses unendliche Leben ist Geist als Einheit des Mannigfaltigen. • Rel. steht über der Phil., weil sie letzte Einheiten repräsentiert, die Phil hingegen Unterscheidungen offen- und festlegt. • Kritik an der Vorstellung vom exklusiven Gottesverhältnis Jesu, an der Eschatologie: Kriterium = gelungene, misslungene Vereinigung von Gott und Mensch 1801-1806 Jena • 1801 Übersiedlung nach Jena, mögl. dank einer Erbschaft, Habil., Privatdozent, 1805 a.o.Prof.) • 1806/7 Phänomenologie des Geistes: Gliederung: Vorrede, Einleitung A. Bewusstsein B. Selbstbewusstsein C. Vernunft AA. Vernunft BB. Der Geist CC. Die Religion DD. Das absolute Wissen Die Phä im System (Logik, Natur- und Geistphilosophie): sie ist Teil des subjektiven Geistes: Bewusstsein, Selbstbewusstsein, Vernunft Erratischer Block, außerhalb des Systems, eigene Würde. Angekündigt als 1. Teil des Systems der Wissenschaft, Logik und Metaphysik sollen folgen, dann sagt Hegel Logik, Natur- und Geistphilosophie sollen sich anschließen. 1. Titel: Wissenschaft der Erfahrung des Bewusstseins, 2. Titel: Wissenschaft der Phä des Geistes., sie ist Darstellung des erscheinenden Wissens. Ausgangspunkt ist das natürliche Bewusstsein, das problematisiert wird. Aus verschiedenen Äußerungen Hegels ist aber zu entnehmen: die Phä ist Einleitung in das System, indem sie den Begriff der reinen Wissenschaft, der Logik erzeugt; die Phä ist aber nicht voraussetzungsloser Anfang, weshalb die Phä in das System integriert wird. Die Vorrede der Phä • Vorrede: zum System überhaupt • Ziel: Für das Religionskapitel wie für die gesamte Konzeption der Phä ist es ausschlaggebend, dass Hegel „Wahrheit“, „Wissen“ und „Wissenschaft“ an eine Verbindung mit dem Absoluten bindet. Nur wenn Wahrheit und Wissen an das Absolute rückgebunden sind, wenn sich Absolutes in ihnen Ausdruck verschafft und darstellt – wenn Wissen absolutes Wissen ist, nur dann handelt es sich um ein wissenschaftliches, allumfassend begründetes Wissen, nur dann hat Philosophie die Form des Systems erreicht, d.h., alles Wissen ist von einem Prinzip aus zu entwickeln. („Die wahre Gestalt, in welcher Wahrheit existiert, kann allein das wissenschaftliche System derselben sein.“) • Das Absolute am Wissen, das Wissenschaft garantiert, ist seine vollkommene Einheit von Subjekt und Objekt, formalem und materialem Aspekt des Erkennens, von Erkennendem und Erkanntem. Nichts Wissbares bleibt ausgeklammert, verlangt noch weitere Begründungen; ebensowenig hat das Erkennen etwas noch nicht erfasst. Das Wissen schwebt und schwingt in sich, es ist „ab-solut“, also losgelöst von Voraussetzungen, Bedingungen, die es konditionieren könnten. • Das absolute Wissen steht am Ende der Phä und bezeichnet den eigentlichen wissenschaftlichen Standpunkt, die vollkommene Transparaenz und Einsicht. Vorrede • Dieses absolute Wissen denkt Hegel als Subjekt, das sich zugleich Objekt ist. Der vollkommene Selbstbezug, in dem das Ich von niemandem und nichts abhängt, vielmehr alles in sich integriert hat, ist absolut, losgelöst von allem anderen. • Alle Wahrheiten und Einsichten versteht Hegel als Momente der Selbstbestimmung des Absoluten. Nur vom Allumfassenden des Absoluten, vom Ganzen aus kann das Einzelne verstanden werden. Das Wahre ist daher das Ganze (omnitudo realitatis). Das Ganze ist die Entwicklung absoluter Subjektivität zu vollendetem Wissen. • Das Absolute als Subjekt verstanden ist niemals ein fixierbarer Punkt, an den man Prädikate heftet; es ist als Deduktion der Prädikate, Bestimmungen. • Mit dem Begriff „Geist“ drückt Hegel ebenso diesen Prozess der Selbstbestimmung des Absoluten aus. Methode • Methode: Der Weg zu diesem Absoluten (Geist, Subjekt) ist die „Erfahrung des Bewusstseins“ mit sich selbst: • „Dies Werden der Wissenschaft überhaupt oder des Wissens ist es, was diese Phänomenologie des Geistes darstellt. Das Wissen, wie es zuerst ist, oder der unmittelbare Geist ist das Geistlose, das sinnliche Bewusstsein.“ • Diese Erfahrung ist dialektische Bewegung, ein Fortschritt durch das „bestimmte Negative“, durch „bestimmte Negation“, d.h. der Ausgangspunkt und alle weiteren Zwischenstufen werden jeweils in ihrer Einseitigkeit überwunden. • Die Methode und alle Zwischenergebnisse sind selbst Struktur und Momente des absoluten Wissens, der umfassenden Subjektivität, ihr niemals äußerlich. Der Weg gehört zum Ziel. Zur Erfahrung des Bewusstseins gehört daher die Erfahrung, Selbstbestimmung des Absoluten zu sein, was innerhalb der Geschichte der Menschheit wirklich wird. • In der Geschichte der Religionen steht das Christentum für die Vorstellung vom Absoluten als einem Subjekt, das sich im menschlichen Subjekt manifestiert (Inkarnation, Christus). Sinnliche Gewissheit als Einstieg • Hegel setzt mit dem unmittelbar sinnlich Gewissen an, um zu zeigen: unmittelbar sinnliches Gewisses wie zB hell, Tag, heiß…. ist nur fassbar von seiner Negation her: durch Bezug auf dunkel, Nacht, kalt, das jedoch im Moment, in dem hell, Tag… gegeben ist, gerade nicht sinnlich gewiss ist. Erinnerung ist gefragt, die erinnerte Erfahrung an Dunkelheit, Nacht usw., d.h. erst ein geistiger Vorgang, der sich auf nicht unmittelbar sinnlich Gewisses bezieht, macht das sinnlich Gewisse als solches erkennbar. • Das unmittelbar sinnlich Gewisse ist also im exklusiven Bezug auf sich eine Scheingewissheit, nichtsagend. Diesen Schein gilt es zu durchschauen und zu negieren, indem die Unmittelbarkeit des Gegebenen negiert wird, freilich nicht das Gegebene selbst. Es handelt sich nicht um eine Totalnegation, sondern um jene bestimmte und gezielte Negation, die zu mehr Bestimmung führe soll, zu mehr Erkenntnis. Sinnliche Gewissheit als Einstieg • Auch das Ich, das „jetzt“ etwas erfährt, ist seiner selbst nur unmittelbar gewiss, wenn es sich in dieser Unmittelbarkeit auch bewusst wird und sie auszusagen vermag. In diesem Moment ist das „Jetzt“ der Erfahrung schon Vergangenheit geworden und nichts Unmittelbares mehr, sondern eine vermittelte Unmittelbarkeit. Das Ich der sinnlichen Gewissheit treibt über sich hinaus und bietet selbst keine definitive Gewissheit, keine unhintergehbare Erkenntnis. Ergebnis: Das Bewusstsein hat mithin eine Erfahrung mit sich und dem ihm scheinbar unmittelbar Gewissen gemacht und in einem ersten Anlauf die Vermittlungsstruktur von Objekt und Subjekt wahrgenommen. • Implizit und explizit diskutiert Hegel den Empirismus und Skeptizismus. Das Absolute auf der Ebene des Bewusstseins • Das Absolute wird als etwas Leeres begriffen; aller Reichtum der Erkenntnis soll ja im Empirischen liegen. • Der über die sinnliche Gewissheit hinausführende Verstand erfasst das Absolute in Form von Allgemeinheit, das die Dinge bestimmt: ihr Inneres und Übersinnliches, ihre Gesetzmäßigkeiten. Der Verstand installiert eine jenseitige, unbewegliche, quasi-platonische Welt der Gesetze, die jedoch ohne Selbst sei, also noch nicht Geist. Bewusstsein → Selbstbewusstsein • Sinnlich vermittelte Gegenstände haben und erkennen bezeichnet die Struktur des Bewusstseins. Dessen Voraussetzung ist aber das Selbstbewusstsein. Nur ein Selbstbezug, in dem das Bewusstsein sich Objekt ist, ermöglicht es, überhaupt Bewusstseins-Objekte zu haben. • Hegel versucht außerdem zu zeigen, wie die Welt der Gegenstände selbstbezügliche Strukturen aufweist, so dass das Bewusstsein im Anblick des Gegenstandes ein anderes Bewusstsein anschaut und sich damit als Selbstbewusstsein erfährt. – Die nähere Analyse der Gegenstände zeigt, dass sie Einheiten sind, die eine Einheit von verschiedenen Eigenschaften darstellen; dass sie – je dichter ihre Komplexität von Einheit und Vielheit wird – ein Inneres und Äußeres besitzen, folglich dadurch die Struktur eines inneren, sich äußernden Lebens aufweisen und schließlich als Selbstbezug und Selbstvermittlung im Bezug auf Äußeres, Anderes erscheinen, also selbst die Struktur des Bewusstsein darstellen. Selbstbewusstsein → Vernunft → Geist • Voraussetzung des Selbstbewusstseins ist seine Beziehung zu anderem Selbstbewusstsein, dessen Anerkennung (Anspielungen an Fichte). Der endliche Geist bedarf seines Gegenübers, der Andersheit, der Selbstanschauung und Vermittlung. Selbstbewusstsein, das sich auf Selbstbewusstsein bezieht, nennt Hegel Geist. • Das Verhältnis der Selbstbewusstseine ist nicht mechanisch, sondern als Freiheitsverhältnis zu begreifen, weshalb in concreto verschiedene Verhältnisse möglich sind. (vgl. die Dialektik von Herrschaft und Knecht). • Der Standpunkt der Vernunft wird erreicht, wenn die Gewissheit gegeben ist, dass das Bewusstsein alle Realität ist. Hierin zeigt sich Hegels Idealismus: Die Realität ist kein Ding, sondern in ihr erscheint das Allgemeine, Geistige, das in der Erkenntnis erfasst wird (Begriffe, Gesetzmäßigkeiten, Gattungen….). Aber Hegel kennt auch den umgekehrten Standpunkt, nach dem selbst der Geist als Ding aufgefasst wird. Das Absolute im Horizont des Selbstbewusstseins • Das Selbstbewusstsein erfasst im Denken seine eigene Freiheit: denkend ist das Ich bei sich, nicht von anderen abhängig, also frei. • Stoizismus und Skeptizismus gelten Hegel als geschichtliche Erscheinungen dieser entdeckten Freiheit durch Denken. In beiden Konstellationen tritt das Denken jedoch in einen Gegensatz: zur Faktizität der Welt und zur eigenen Identität, die durch die Skepsis gefährdet wird. Dabei wird das Absolute als Maßstab in Anspruch genommen, um die eigene Unversöhntheit zu erfassen → unglückliches Bewusstsein. • Obgleich die Vernunft zur Versöhnung anleitet, ist sie religiös nicht bedeutsam, weil sie das Absolute unmittelbar mit der Realität gleichsetzt. Religion setzt aber ein Verhältnis zum Absoluten voraus. Geist, das Absolute • Geist meint nicht nur das Verhältnis der Selbstbewusstseine im Sinn des objektiven Geistes, sondern auch die vernünftige Wirklichkeit, schließlich das Absolute. Die Pole dieses Beziehungsgefüges können unterschiedlich zugeordnet und dadurch unterschiedliche geistesgeschichtliche Konfigurationen ergeben: Nach Einschätzung Hegels habe die Aufklärung das Absolute entleert, vom Subjekt entfernt und die Religion verführt, sich an die zufälligen Geschichtswahrheiten zu halten (G.E. Lessing). Das Selbstbewusstsein wird zum unglücklichen Bewusstsein, zum Wissen um sein Getrenntsein vom Absoluten. • Das Absolute qua Geist erscheint aber als Mitte der Selbstbewussteine, als beider Einheitsgrund. Ja beide Selbstbewusstseine können als das „zur Zweiheit ausgedehnte Ich“ des Geistes verstanden werden. Religion • Das Relkap setzt neu ein. Bislang sei der Gedankengang vom Bewusstsein aus erfolgt. Jetzt beabsichtigt Hegel, vom Absoluten aus zu denken auf das Bewusstsein hin. Bislang war das Absolute als Objekt Thema der Überlegungen, jetzt soll es als Subjekt eingeführt werden. • „Der sich selbst wissende Geist ist in der Religion unmittelbar sein eigenes reines Selbstbewusstsein.“ • Problem der Vorstellung. • Bis dieses Ziel erreicht ist, durchläuft der Geist im Modus des menschlichen Bewusstseins verschiedene Stadien, die in der Religionsgeschichte offenkundig werden: • Natürliche Religion • Kunst-Religion und • Offenbare Religion. Natürliche Religion Der sich wissende Geist in der Form der Unmittelbarkeit und des Seins (= Unvermitteltheit) • Lichtwesen (Perser) • Pflanze und Tier (Inder) • Werkmeister (Ägypten) • Bewusstsein: dem Geist steht eine bestimmte Gestalt vor Augen, in der er sich erscheint. Kunstreligion 1. Das abstrakte Kunstwerk (Bildsäule: Ansatz von Subjektivität, Sprache) 2. Das lebendige Kunstwerk (Kult: Einheit von Akteur, Sprache und Kunstwerk) 3. Das geistige Kunstwerk (Schauspiel: Auftritt der Götter, des Schicksals; Anthropomorphisierung des Göttlichen in Göttern, Ironie als Ende des göttlichen Gegenüber) Die offenbare Religion • Vorbereitung von zwei Seiten aus (548f): 1. „von oben“: Substanz → Subjekt: Entäußerung der Substanz in der Kunstsäule, Sprache, Dichtung, Kult. Geschieht als „bewusstloser Übergang“, noch ohne Selbst. Ergebnis nur ein Selbstbewusstsein an sich. 2. „von unten“: Sehnsucht des Menschen in der Welt des römischen Rechts, in Stoizismus und Skeptizismus: alles Fluchtversuche, unglückliches Bewusstsein. Inkarnation • „Es kann daher von diesem Geiste, der die Form der Substanz verlassen und in der Gestalt des Selbstbewusstseins in das Dasein tritt, gesagt werden – wenn man sich der aus der natürlichen Zeugung hergenommenen Verhältnisse bedienen will -, dass es eine wirkliche Mutter, aber einen ansichseienden Vater hat; denn die Wirklichkeit oder das Selbstbewusstsein und das Ansich als die Substanz sind seine beiden Momente, durch deren gegenseitige Entäußerung, jedes zum anderen werdend, es als diese ihre Einheit ins Dasein tritt.“ (550) Inkarnation als unmittelbarer Kontakt mit dem absoluten Wesen / Substanz • Schwärmerei als bloß eingebildete Einheit von Substanz und Selbst. • Um Projektionen zu vermeiden, muss einmal dem Bewusstsein einmal die Priorität des Selbstbezugs aufgehen, durch das sein Gegenstand bestimmt ist. Das geschieht durch die Inkarnation. Die Inkarnation bietet die „unmittelbare Gewissheit“. „es ist wirklich an dem“ (551), dass der Geist als Selbstbewusstsein da ist. Kein komplexes Schlussverfahren auf Gott ist vonnöten, sondern das Bewusstsein „geht von dem unmittelbaren gegenwärtigen Dasein aus und erkennt den Gott in ihm“ (551) Gott als menschliches Selbstbewusstsein • „… dieser Gott wird unmittelbar als Selbst, als ein wirklicher einzelner Mensch, sinnlich angeschaut; so nur ist er Selbstbewusstsein.“ (552) • Menschwerden Gott ist „der einfache Inhalt der absoluten Religion“. • Offenbarkeit Gottes = Geist. Im spekulativen Wissen ist Gott erreichbar; dieses Wissen ist die Religion (554) Vorläufigkeit der Religion • Der Geist ist nur in der Unmittelbarkeit dieses einzelne Selbstbewusstsein, als sinnliches Anderes in Entgegensetzung zum Allgemeinen. Das einzelne Selbst muss als allgemeines verständlich werden können, d.h. ist in der Form des Begriffs gedacht werden. • Religion bleibt auf der Ebene der Vorstellung (555, 556). • Die gottmenschliche Einheit ist jetzt ein „Gewesensein“ (555), ist „jetzt im Geiste auferstanden“, als das „allgemeine Selbstbewusstsein der Gemeine“ (556). Vorstellung und Begriff • Vorstellen ist nicht begreifendes Denken; der Inhalt ist ohne seine Notwendigkeit erfasst, statt des Begriffs wird von natürlichen Verhältnissen wie Vater und Sohn gesprochen. • Erschaffung der Welt = Vorstellung • Absolute notwendige Bewegung = Begriff • Sündenfall = Vorstellung; Begriff = Ungleichwerden, Selbst-unterscheidung • Böse = insichseiende Fürsich sein; Gute = selbstlose Einheit; beide müssen zur Einheit gebracht werden (567). Die Differenzen der Vorstellung • Der Tod des göttlichen Menschen = Tod des abstrakten Wesens und unmittelbarer Einzelheit. • Die Gemeinde hat den Inhalt in der Form der Vorstellung, spricht von fremder Genugtuung. • Vorstellungshafte Verjenseitigung der gottmenschlichen Einheit: Vergangheit des Christusereignisses, Zukünftig: Ewigkeit. • „… für das Selbstbewusstsein hat diese unmittelbare Gegenwart noch nicht Geistgestalt.“ (574) 1807-08 Bamberg 1808-1816 Nürnberg • 1808ff: Philosophische Enzyklopädie für die Oberklasse: Religionslehre § 207 • 1810: Religionslehre für alle Klassen • 1812, 1816 Ausarbeitung der Wissenschaft der Logik – Bezug zur Phänomenologie 1816-1818 Heidelberg • Enzyklopädie der phil. Wissenschaften: • Logik, Realphilosophien (Natur- und Geistphilosophien): – Der absolute Geist: Kunst, Geoffenbart Religion, Philosophie 1818-1831, Berlin Vorlesungen über Religionsphilosophie • 1921 • 1824 • 1827 • 1831 Jakob Schlesinger, 1831 Stellung der Religionsphilosophie im System • 1. Phänomenologie: Erfahrung des Bewusstseins für zum absoluten Wissen • 2. Die Logik stellt die Formen, Kategorien dieses Wissen dar; diese Kategorien sind Vorbildner der Realphilosophien • 3. Realphilosophien: – 3.1 Naturphilosophie – 3.2 Geistphilosophie: vorletzte Form des Geistes ist die Religion (Vorstellung), gefolgt von der Form der Philosophie (Begriff)