Einführung in die Volkswirtschaftslehre Ein theoriegeschichtlicher Überblick Christian Gehrke 2 Inhalt und Programm Scholastik Merkantilismus Physiokratie Klassik: Smith, Ricardo Neoklassik: Gossen, Marshall, Edgeworth Keynes Ausblick auf Mikroökonomik Ausblick auf Makroökonomik 3 Inhalt und Programm Ökonomische Theorien, ihre Herkunft und geschichtliche Entwicklung in systematischer Darstellung Wichtige Beiträge bedeutender Ökonomen und deren Interpretation mittels moderner analytischer Instrumente Vermittlung von grundlegenden Fragestellungen und Untersuchungsmethoden der Volkswirtschaftslehre 4 Inhalt und Programm Literaturhinweise Blaug, Mark (1997): Economic Theory in Retrospect, 1st ed. 1962, London: Irwin; (5th ed., Cambridge: CUP.) Kurz, Heinz D. [Hrsg.] (2008): Klassiker des ökonomischen Denkens. München: Beck. Kurz, Heinz D. (2013): Geschichte des ökonomischen Denkens, München: Beck. Roncaglia, Alessandro (2007): The Wealth of Ideas, Cambridge: CUP. Schumpeter, Joseph A. (1954), History of Economic Analysis, Oxford: OUP. 5 Inhalt und Programm Originalliteratur: Adam Smith ([1776] 1976), An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, Oxford: OUP. Adam Smith ([1776] 2004), Über Wesen und Ursachen des Reichtums der Völker, Düsseldorf: Wirtschaft & Finanzen. David Ricardo ([1817] 1951), On the Principles of Political Economy and Taxation, Cambridge: CUP. David Ricardo ([1817] 2006), Über die Grundsätze der Politischen Ökonomie und der Besteuerung, Marburg: Metropolis. 6 Inhalt und Programm Informationen zur Prüfung Elektronisch am PC 3 Termine pro Semester 60 Punkte positiv ab 50% Fragen zur Theorie und zur analytischen Anwendung Zusätzliche Prüfungsvorbereitung Tutorien jeweils ein bis zwei Kalenderwochen vor den Prüfungsterminen 7 Einleitung Kenneth Pomeranz konstatiert für Europa und dessen überseeische Siedlungsgebiete hohes und anhaltendes Wirtschaftswachstum sowie ein sich vergrößerndes Wohlstandsgefälle zum Rest der Welt („The Great Divergence“) Wachstum und Verteilung, in globalem und regionalem Maßstab, als Schwerpunkt volkswirtschaftlicher Forschung (vgl. Pomeranz, Kenneth (2000): The Great Divergence, Princeton: University Press.) 8 Einleitung Friedrich Schiller fragt in seiner Antrittsvorlesung nach der Bedeutung von „Universalgeschichte“ und dem Zweck ihres Studiums unterscheidet zwischen „Brotgelehrten“ und „philosophischen Köpfen“ Volkswirtschaftslehre auch als umfassendes und integrierendes Studium der gesellschaftlichen Entwicklung (vgl. Schiller, Friedrich (1789): Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? in Der Teutsche Merkur, 1773-89, 4. Bd. 1789, S.105-135, Weimar: Hofmann.) 9 Einleitung Joseph Alois Schumpeter sieht Innovationen als “die überragende Tatsache in der Wirtschaftsgeschichte der kapitalistischen Gesellschaft” beschäftigt sich mit unterschiedlichen Zyklen, und dem Einfluss des Unternehmertums beschreibt Zusammenhänge zwischen Konkurrenz, „schöpferischer Zerstörung“ und Globalisierung Volkswirtschaftslehre als Untersuchung und Deutung realökonomischer Vorgänge (vgl. Schumpeter, Alois (1911): Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung.) 10 Einleitung Arthur Cecil Pigou “When a man sets out upon any course of inquiry, the object of his search may be either light or fruit – either knowledge for its own sake or knowledge for the sake of the good things to which it leads” “In the sciences of human society, be their appeal as bearers of light ever so high, it is the promise of fruit and not of light that chiefly merits our regard” Praktische Ausrichtung als oftmaliges Hauptanliegen der Volkswirtschaftslehre (vgl. Pigou, Arthur C. (1920): The Economics of Welfare, S.2-3, London: Macmillan.) 11 Einleitung Fritz Machlup “Fruit can grow and ripen only where there is enough light, and that most inquiries that shed light on problems, societal or not, eventually prove useful to society” “I fear, however, that a requirement to justify each research project in the social sciences by its ‘promise of fruit’ can become a stultifying constraint” Erleuchtung im Sinne von Aufklärung als wichtiger theoretischer Beitrag der Volkswirtschaftslehre (vgl. Machlup, Fritz (1980): Knowledge and Knowledge Production, S.11, Princeton: University Press.) 12 Einleitung David Ricardo Nichts ist so praktisch wie eine gute Theorie “Leuten, die nur etwas für Tatsachen, nichts aber für die Theorie übrig haben, ist mit Skepsis zu begegnen. Sie sind kaum imstande, ihre Tatsachen zu ordnen. Sie sind notwendigerweise leichtgläubig, weil sie kein Bezugssystem besitzen.” Erkennen und Erklären von Strukturen und Zusammenhängen als Auftrag der theoretischen Volkswirtschaftslehre (vgl. Ricardo, David (1820) im Briefwechsel.) 13 Einleitung Joan Robinson Abstraktion als notwendiger Bestandteil volkswirtschaftlicher Theorien und Modelle Francis Picabia “Eine Theorie, die die ganze Wirklichkeit abzubilden versuchte, wäre ähnlich nützlich zur Orientierung wie eine Landkarte im Maßstab 1:1” “Notre tête est ronde pour permettre à la pensée de changer la direction” Volkswirtschaftlehre als offene und verbindende Wissenschaft (vgl. Picabia, Francis (1922).) 14 Einleitung Johann Wolfgang von Goethe sagt als Mephisto: “Was diese Wissenschaft betrifft, es ist so schwer den falschen Weg zu meiden, es liegt in ihr so viel verborgnes Gift, und von der Arznei ist’s kaum zu unterscheiden“ Volkswirtschaftslehre als Gemenge unterschiedlich motivierter Theorien und Ideen unter politischen, ideologischen und institutionellen Einflüssen 15 Einleitung John Maynard Keynes “The ideas of economists and political philosophers, both when they are right and when they are wrong, are more powerful than is commonly understood.“ “Indeed the world is ruled by little else.” Volkswirtschaftslehre als einflussreiche Wissenschaft auf Wirtschaft, Politik und Gesellschaft 16 Einleitung Adam Ferguson “History is the result of human action, but not the execution of any human design” erkennt die Relevanz von nicht intendierten (und häufig unvorhersehbaren) Konsequenzen zweckgerichteten menschlichen Handelns Volkswirtschaftslehre auch als verarbeitende Wissenschaft von externen Effekten und fehlender Rationalität (vgl. Ferguson, Adam (1793): An Essay on the History of Civil Society, 6. Aufl. (1. Aufl. 1767)) 17 Zum Begriff „Politische Ökonomie“ oikos nom (= Haus) (= Gesetz) oikonomike (= “Verwaltung des Haushalts”) (vgl. Ferguson, Adam (1793): An Essay on the History of Civil Society, 6. Aufl. (1. Aufl. 1767)) 18 Zum Begriff „Politische Ökonomie“ “Economie politique” “Economia politica” “Political Economy” “Politische Ökonomie” (= “Verwaltung der Staatsangelegenheiten) 19 Klassische Politische Ökonomie Adam Smith (1776): An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations David Ricardo (1817): On the Principles of Political Economy, and Taxation John Stuart Mill (1848): Principles of Political Economy, with some of their Applications to Social Philosophy Untersuchungen über die Gesetze der Produktion, Distribution und Konsumtion des gesellschaftlichen Reichtums 20 Marginalistische Revolution: Neoklassik William Stanley Jevons (1871): Theory of Political Economy Carl Menger (1871): Grundsätze der Volkswirthschaftslehre Léon Walras (1874): Eléments d’économie politique pure Alfred Marshall (1890): Principles of Economics “Economics is the science which studies human behaviour as a relationship between ends and scarce means which have alternative uses.” (Lionel Robbins, An Essay on the Nature and Significance of Economic Science, 1932) Allokationsprobleme 21 Scholastik Scholastik Mittelalterliche Schriften (~ 1100 – 1650) mit Aussagen zu ökonomischen Fragen Mönche, Rückgriff Kleriker, Wanderprediger auf Bibelzitate und auf Beiträge der antiken griechischen Philosophen Normative Überlegungen mit Schwerpunkt auf Gerechtigkeitsvorstellungen Wesentliche Unterschiede zur modernen ökonomischen Theorie 22 Scholastik Griechische Philosophen der Antike: Beiträge zur Ökonomik Xenophon (~430-354 BC): „Ökonomik“ „Von den Staatseinkünften der Athener“ Platon (427-347 BC): „Politeia“ (Staat) „Politikos“ (Staatsmann) „Nomoi“ (Gesetze) Aristoteles (384-322 BC): „Politik“ „Nikomachische Ethik“ 23 Scholastik Griechische Philosophen der Antike: Beiträge zur Ökonomik chrématistiké (Kunst der Bereicherung) Geld und Zins Gerechter Platon (427-347 BC) Tausch Aristoteles (384-322 BC) 24 Scholastik Griechische Philosophen der Antike: Beiträge zur Ökonomik Gerechtigkeit beim Tausch liegt vor, „… wenn der Unterschied, der zwischen dem Landwirt und dem Schuhmacher vorhanden ist, ebenso als Unterschied zwischen dem Produkt des Schuhmachers und dem Produkt des Landwirts wiederkehrt. Ich kann, ebenso wie der Ackerbauer gegen den Schuhmacher in einem gewissen Verhältnis steht, auch die Produkte beider in ein bestimmtes Verhältnis gegeneinander setzen.“ „… wenn der Schuhmacher und der Landwirt so miteinander tauschen, dass die Arbeit des einen der Arbeit des anderen entspricht, und jeder das hat, was ihm gebührt.“ (Aristoteles, Nikomachische Ethik) 25 Scholastik Scholastik Bedeutende Scholastiker: Thomas von Aquin (c.1224-1274), Summa Theologica Nicholas Oresme, Traictie de la premiere invention des monnaies (1360) San Bernadino von Siena, De Evangelio Aeterno (1484) Sant’Antonio von Florenz, Summa Theologica (1511) Jean Bodin (Johannes Budenius), Responses aux paradoxes du Sieur de Malestroict (1568) 26 Scholastik Zins und Wucher „Wenn Du Geld verleihst an einen aus meinem Volk, an einen Armen neben Dir, so sollst Du an ihm nicht wie ein Wucherer handeln; Du sollst keinerlei Zinsen von ihm nehmen.“ (Exodus 22, 24) San Bernadino von Siena (1380-1444) 27 Scholastik Zins und Wucher „Der Wucherer möchte, ohne zu arbeiten und selbst im Schlafe, einen Gewinn erzielen, was gegen das Gebot des Herrn verstößt, welches sagt: ‚Im Schweiße deines Angesichts sollst Du dein Brot essen.‘“ (Genesis 3, 19) 28 Scholastik Zins und Wucher „Zins nehmen für geborgtes Geld ist an sich ungerecht; denn es wird verkauft, was nicht ist, wodurch ganz offenbar eine Ungleichheit gebildet wird, die der Gerechtigkeit entgegen ist.“ Thomas von Aquin (1225-1274) Summa Theologica, Secunda Secundae, quaestio 78 29 Scholastik Zins und Wucher „Der Wucherer leiht dem Schuldner nichts, was ihm gehört, sondern nur die Zeit, die Gott gehört.“ „Die Wucherer sind Diebe, denn sie handeln mit der Zeit, die ihnen nicht gehört, und mit dem Eigentum eines anderen gegen den Willen des Besitzers zu handeln ist Diebstahl.“ „Die Wucherer sündigen gegen die Natur, indem sie aus Geld Geld erzeugen wollen, wie ein Pferd aus einem Pferd oder einen Esel aus einem Esel.“ (Thomas von Chobham, Summa confessorum) 30 Scholastik Zins und Wucher Debatten über Herkunft und Rechtfertigung des Zinses dauern bis heute an moralische Vorbehalte wurden in Europa politisch missbraucht, finden sich aber auch in anderen Gebieten und Weltreligionen Kollision mit modernen Grundannahmen von Profitrate, Risikozuschlag und Zeitpräferenz 31 Scholastik Gerechter Preis Gerechtigkeit beim Tausch liegt vor „…wenn der Schuhmacher und der Landwirt so miteinander tauschen, dass die Arbeit des einen der Arbeit des anderen entspricht und jeder das hat, was ihm gebührt.“ „…wenn der Unterschied, der zwischen dem Landwirt und dem Schuhmacher vorhanden ist, ebenso als Unterschied zwischen dem Produkt des Schuhmachers und dem Produkt des Landwirts wiederkehrt.“ 32 Scholastik Gerechter Preis Der Preis eines Gutes muss Standesgemäße Entlohnung ergibt sich aufgrund die Kosten der Produktion decken dem Produzenten ein standesgemäßes Leben ermöglichen der Schwere der Arbeit der notwendigen Qualifikation der öffentlichen Meinung über den Beruf Öffentliches Ansehen berücksichtigt die Abgeltung positiver Verantwortung (Lehrer) Abgeltung negativer Wahrnehmung (Henker) 33 Scholastik Gerechter Preis „Ich kann, ebenso wie der Ackerbauer gegen den Schuhmacher in einem gewissen Verhältnis steht, auch die Produkte beider in ein bestimmtes Verhältnis gegeneinander setzen.“ (vgl. Aristoteles (384-322 BC), Nikomachische Ethik) 34 Scholastik Gerechter Preis (justum praetium) Produzent A sei in der Lage, mit der Arbeit eines Tages die Menge x 1 zu erzeugen, Produzent B kann die Menge x erzeugen. 2 Um statusgemäß leben zu können, benötigt A A c , c Produzent A die Mengen 1 2 c A , und Produzent B benötigt die Mengen c1B , c 2B c B . Bei welchem(n) Tauschverhältnis(sen) erzielen die Produzenten einen „gerechten Preis“ für ihr Produkt? 35 Scholastik Gerechter Preis Individuum A kann eine gewisse Menge eines Gutes herstellen benötigt eine gewisse Menge an Gütern, um standesgemäß leben zu können 36 Scholastik Gerechter Preis = ! Individuum A bedarf daher eines entsprechenden Preisverhältnisses, um sich das standesgemäße Konsumbündel leisten zu können 37 Scholastik Gerechter Preis = ! Individuum B benötigt, um standesgemäß leben zu können, ebenfalls ein gewisses Preisverhältnis 38 Scholastik Gerechter Preis Beide Individuen A und B müssen sich ihre standesgemäßen Konsumbündel leisten können 39 Scholastik Gerechter Preis Es muss also gelten der Spielraum für das gerechte Preisverhältnis wird durch ein minimales Konsumbündel normativ festgesetzt 40 Scholastik Zehent (Zehnt) Staatliche Eingriffe müssen ein standesgemäßes Leben ermöglichen Besteuerungsmöglichkeit ergibt sich daher nur bei Überschuss unter Berücksichtigung aktueller Preise Alternativ ergibt sich eine Subvention, sofern die Bedingung für standesgemäßes Leben nicht erfüllt ist 41 Scholastik Zehent Individuum A kann eine absolute Steuer in Form einer Naturalabgabe entrichten kann selbige auch in Form einer proportionalen Anteil am hergestellten Gut entrichten 42 Scholastik Zehent eine an die Möglichkeiten und Bedürfnisse angepasste Besteuerung und Subvention korreliert durchaus mit Ausgestaltungen des modernen Leistungsfähigkeitsprinzips die normative Festlegung von Steuersätzen orientiert an einem Stand oder Status kollidiert aber mit liberalen Gleichheitsvorstellungen 43 Merkantilismus Merkantilismus (ca. 1500-1750) Bestandskonzept des Reichtums: Edelmetallbestände Exportüberschüsse Internationaler Handel als „Nullsummenspiel“ Wirtschaftspolitik: Exportförderung Importbeschränkung Bevölkerungspolitik Lohn- und Zinsregulierung Kolonialpolitik 44 Merkantilismus Merkantilistische Schriften Gerard de Malynes (1601): A Treatise of the Canker of England’s Commonwealth. Edward Misselden (1622): Free Trade; or the Means to make Trade Flourish wherein the causes of the Decay of Trade in this Kingdom are discovered. Edward Misselden (1623): The Circle of Commerce or the Ballance of Trade. Thomas Mun (1664): England’s Treasure by Forraign Trade. Or, the Balance of our Forraign Trade is the Rule of our Treasure. Joshua Child (1668): Brief Observations Concerning Trade and Interest of Money. Antonio Serra (1613): A Brief Treatise on the Causes which can make Gold and Silver Plentiful in Kingdoms where there are no Mines. Philipp Wilhelm von Hornigk (1684): Österreich über alles, wann es nur will. 45 Merkantilismus Quantitätstheorie M V Y P mit M für die Geldmenge V für die Umlaufgeschwindigkeit P für das Preisniveau Y für das Produktionsniveau 46 Merkantilismus Quantitätstheorie M V Y P dM V dt dM dt V M V dV M dt dV dt dM dt M dY P dP dt M M V dV dt V dY dt dt P Y P dY dt Y Y dP dt dP dt P Y Y P 47 Merkantilismus Quantitätstheorie dM dt M dV dt V dY dt Y dP dt P Mˆ Vˆ Yˆ Pˆ dx dt x xˆ Veränderun gsrate von x 48 Physiokratie François Quesnay (1694-1774) Physiokratie 49 Physiokratie Artikel : “Fermiers” (1756), “Grains” (1757), “Hommes” (1757) in Encyclopedie Tableau économique (1758) François Quesnay (1694-1774) Maximes générales du gouvernement économique d’un royaume agricole (1758) 50 Physiokratie Observations sur le mémoire de M. de St.-Péravy (1767) Valeurs et monnaies (1769) Réflexions sur la formation et la distribution des richesses ([1766] 1769-70) A.R.J. Turgot (1727-1781)