Die vierte Wahrheit

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V.4. Die vierte Wahrheit
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V.4. Die vierte Wahrheit – der Weg zur Befreiung vom Leid
„Dies, wahrlich ihr Mönche, ist die edle Wahrheit vom Wege, der zur Vernichtung des Leides führt.
Es ist der edle achtteilige Pfad, der da heißt: rechte Anschauung, rechte Ge sinnung, rechte Rede, rechte Tat, rechtes Leben, rechtes Streben, rechtes
Überdenken und rechtes Sichversenken.“
(Gunsser 33; Vin.Pit.Mahavagga 1,6,17ff)
Die vierte Wahrheit gibt die Mittel an, mit denen das Freiwerden von dem Durst, die
Erlösung, zu erreichen ist. Sie bestehen aus acht Anweisungen, die der Bestrebte
befolgen kann. Bestimmt wurden sie nicht in einem Zug von Buddha so formuliert,
sondern wuchsen erst im Lauf der Praxis zur jetzigen Gestalt zusammen. Die Formulierungen sind für uns freilich nicht leicht verstehbar. Von HWSchumann werden sie
sinngemäß so erklärt:
1. Rechte Anschauung meint, sich das richtige Wissen zu erwerben, nämlich die
Lehre Buddhas, wie sie zB in den vier edlen Wahrheiten zusammengefasst ist.
2. Rechte Gesinnung bedeutet Wohlwollen gegenüber allen Lebewesen und den
Verzicht auf alles, was nicht unbedingt zum Leben notwendig ist.
3. Rechte Rede verbietet zu lügen und über andere schlecht zu reden.
4. Rechte Tat bedeutet, kein Geschöpf zu töten, keine fremden Dinge an sich zu
nehmen, nicht ausschweifend zu leben.
5. Rechtes Leben verlangt, als Laie einem Broterwerb nachzugehen, durch den er
niemandem Leid zufügt. Dazu gehört, nicht mit Waffen, nicht mit Lebewesen, nicht
mit Fleisch, nicht mit berauschenden Getränken, nicht mit Gift zu handeln.
6. Rechtes Streben meint die „Bewachung der Sinnestore“, nämlich schädliche Eindrücke von sich fernzuhalten, stattdessen das Denken auf heilsame Inhalte zu richten, sich nicht von Affekten leiten zu lassen.
7. Rechtes Überdenken richtet sich darauf, achtsam zu leben, alles, was man tut und
erlebt, aufmerksam und rücksichtsvoll zu tun und bewusst wahrzunehmen.
8. Rechtes Sichversenken schließlich ist die richtige Meditation. Auch hier empfahl
Buddha einen „mittleren Weg“. Vor seiner Erleuchtung erlernte er zahlreiche Medita-
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tionstechniken, in denen er es zwar zur Meisterschaft brachte. Aber er verwarf einige
der ausgefeilten Übungen und grenzte die „buddhistische“ Meditation auf ein erträgliches Maß ein – das für uns immer noch viel wäre.
(HWSchumann I,98-108; Zotz 85-90)
Diese Regeln kann man in drei Gruppen einteilen: Einmal soll der Buddhist sich um
Erkenntnis bemühen, sich in die buddhistische Lehre vertiefen und die Zusammenhänge immer besser begreifen, wie es zum Leid kommt und wie er davon befreit werden kann. Als zweites umreißen die Anweisungen das ethische Verhalten, wie es für
einen buddhistischen Menschen angemessen ist. Der dritte Bereich ist die Meditation. Buddha gewann die Erleuchtung während intensiven Meditierens, und daher gehört regelmäßiges Sichversenken zu jeder buddhistischen Lebensführung. In ihr
bringt der Buddhist seinen Körper, seine Gefühle, seine Gedanken zur Ruhe. Er
dämpft seine innere Unrast und übt sich darin, achtsam zu sein und seine Lebens führung auf ein Erlöschen des Lebensdurstes auszurichten.
Jesus
Beginnen wir mit dem zuletzt Angesprochenen, der Meditation. Sie scheint im Leben
Jesu keine große Rolle gespielt zu haben. Freilich entdecken wir, wenn wir darauf
achten, kleine Hinweise. Einige Male heißt es:
„In der Frühe, als es noch dunkel war, stand er auf und ging in eine einsame
Gegend, um zu beten.“ (Markus 1,35; 14,32ff; vgl. Matthäus 14,13.22; Lukas
5,15; 6,12 u.ö.)
Allerdings wird nie gesagt, dass Jesus meditiert habe, sondern es heißt immer, er
habe gebetet. Meditation und Gebet sind zwar verwandte Übungen der Frömmigkeit,
aber doch auch verschieden. Der Meditierende bringt sich zur Ruhe und „versenkt“
sich in sich selbst. Der Betende redet mit Gott. Trotzdem setzt auch das Gebet Ruhe
und ein bestimmtes Maß an Versenkung voraus, und der Meditierende sucht oft nicht
nur sich selbst, sondern oft auch die Nähe zu Gott oder den „Grund des Seins“.
Ich meine, eine „Lehre“ von der Erlösung in der ausgeprägten Form wie bei Buddha
kommt in der Verkündigung Jesu nicht vor. Jesus lebte in der jüdischen Frömmigkeit,
aber er machte sie nicht zur Bedingung für die Menschen und für die „Aufnahme“ in
das Reich Gottes. Soweit es in den Evangelien berichtet wurde, grenzte er sich sogar immer wieder gegen Regeln dieser seiner angestammten Frömmigkeit ab, wie
zB. der strengen Heiligung des Sabbats, oder er korrigierte Sätze aus dem Gesetz:
„Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt wurde- - - Ich aber sage euch…“
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(Matthäus 5,21ff). Sonst lehrte er „nur“, hingebungsvoll und ungeteilt Gott zu vertrauen (Mt 6,25ff) und den Mitmenschen in Güte zu begegnen. Allem nach kam es ihm
allein auf diese beide Haltungen an, Vertrauen auf Gott und mitmenschliche Güte.
Die ethischen Auffassungen Buddhas, von denen wir oben lesen konnten, kehren indes genauso in der Predigt Jesu wieder. Die Ethik beider soll in einem eigenen Kapitel dargestellt werden.
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