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Scientific Factsheet
Univ.-Prof. Dr. Heinz Ludwig
Wilhelminenkrebsforschungsinstitut, 1. Medizinische Abteilung, Zentrum für Onkologie, Hämatologie und
Palliativmedizin, Wilhelminenspital Wien
Multiples Myelom: Neue Substanzen verbessern Prognose
Innerhalb der letzten Monate wurden 4 neue Substanzen, nämlich Carfilzomib, Panobinostat,
Daratumumab und Elotuzumab, bei vorbehandelten Patienten mit multiplem Myelom in Europa
zugelassen. Für die nächsten Monate ist die Markteinführung von Ixazomib zu erwarten. Damit
erfolgte eine fast schlagartige Erweiterung der Möglichkeiten für vorbehandelte Patienten mit
multiplem Myelom. Für die nahe Zukunft ist die Etablierung dieser Substanzen auch in der ErstlinienTherapie zu erwarten.
Innerhalb der letzten 8 Monate wurden beim multiplen Myelom 4 neue Medikamente (Panobinostat,
Carfilzomib, Elotuzumab und Daratumumab) in Europa zugelassen, und für die nahe Zukunft ist die
Marktzulassung von Ixazomib zu erwarten. Damit werden innerhalb eines Jahres fast genauso viele
neue Medikamente die Marktzulassung erreicht haben wie in den vorangegangenen Jahren seit der
Einführung von Melphalan. Die neuen Substanzen wurden bisher vorwiegend bei vorbehandelten
Patienten mit relapsiertem bzw. refraktärem Myelom geprüft. Aufgrund der beachtlichen
Therapieerfolge laufen nun zahlreiche Studien, welche die Wertigkeit der neuen Substanzen in
Kombination mit etablierten Therapien auch bei nicht vorbehandelten Patienten evaluieren. Im
Folgenden soll auf die wesentlichsten Studien mit den neuen Substanzen kurz eingegangen werden.
Carfilzomib
Carfilzomib („Tetrapeptide epoxyketone“) ist ein irreversibler Inhibitor des 20S-Proteasoms und ein
Derivat von Epoximicin, das bereits 1992 aus Actinomyceten isoliert wurde. Es weist wenig „Off
target“-Aktivität auf, weshalb es über ein sehr gutes Toleranzprofil verfügt. Carfilzomib führte bei
umfangreich vorbehandelten Patienten als Monotherapie zu einer Remissionsrate von 24 %, einem
progressionsfreien Überleben (PFS) von 3,7 Monaten und einer Gesamtüberlebenszeit (OS) von 19
Monaten (Tab.). Nachfolgende Phase-III-Studien belegten die hohe Wirkeffizienz und gute Toleranz
von Carfilzomib-basierten Kombinationen. So wurde in einem Vergleich von Lenalidomid +
Dexamethason mit Lenalidomid + Dexamethason + Carfilzomib (ASPIRE-Studie) in allen primären
Zielpunkten wie Ansprechrate, Rate an kompletten Remissionen, PFS (26,3 vs. 17,6 Monate) und OS
eine signifikante Überlegenheit der Carfilzomib-basierten Kombination gezeigt (Tab. und Abb. 1A).
Ähnlich überzeugende Resultate wurden im direkten Vergleich von Carfilzomib + Dexamethason mit
Bortezomib + Dexamethason beobachtet (PFS: 18,7 vs. 9,4 Monate). Hier konnte Carfilzomib als derzeit
wirksamster Proteasom-Inhibitor ausgewiesen werden (Tab. und Abb. 1B). Bei neudiagnostizierten,
nicht vorbehandelten Patienten wurden in Phase-IIStudien mit Carfilzomib-basierter Therapie sogar
Remissionsraten von bis zu 100 % und eine hohe Rate an kompletten Remissionen sowie an MRD(„minimal residual disease“-) negativem Status erreicht, wobei letztgenannter Befund nicht nur mit
einer Verlängerung des PFS, sondern auch mit einem längeren OS verbunden ist. Carfilzomib verfügt
über ein sehr gutes Toleranzprofil und führt nicht zu einer für Patienten oft belastenden
Polyneuropathie. In seltenen Fällen wurden infusionsbedingte hypertensive Kreislaufdysregulation
und bei einzelnen polymorbiden Patienten kardiale beziehungsweise renale Nebenwirkungen
beobachtet.
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Panobinostat
Beim multiplen Myelom kommt es zu einer Dysregulation der Histondeacetylierung, die sowohl Histonals auch Nicht-Histon-Zielstrukturen betrifft. Dies kann in weiterer Folge zu einer Inhibition von
Tumorsuppressorgenen, unter anderem p53, sowie zu Veränderungen der Degradierung von
fehlgefalteten Proteinen im Aggresom führen. Panobinostat inhibiert die Deacetylierung und führt zur
Aktivierung von für die Tumorkontrolle relevanten Genen sowie des Aggresoms. Nachdem In-vitroStudien eine synergistische Wirkung mit Bortezomib gezeigt haben, wurde in einer prospektiv
randomisierten Studie Panobinostat + Bortezomib-Dexamethason mit Bortezomib-Dexamethason
verglichen. Die Ergebnisse zeigten mit der Tripelkombination eine höhere Ansprechrate und eine
signifikante Verlängerung des PFS (Tab. und Abb. 1C). Der größte Nutzen der PanobinostatKombination wurde bei Patienten mit ≥ 2 Vortherapien (inklusive Bortezomib und Lenalidomid)
beobachtet (PFS: 12,5 vs. 4,7 Monate). Außerdem fand sich bei diesen Patienten eine signifikante
Verlängerung des behandlungsfreien Intervalls um 7,5 Monate. Allerdings war die Panobinostatbasierte Therapie mit einer deutlichen Erhöhung von Grad-3/4-Toxizitäten verbunden, wobei
Durchfall, Fatigue, PNP, Übelkeit und Thrombopenie sowie Leukopenie häufiger als bei den
Kontrollpatienten auftraten. Bortezomib wurde in dieser Studie noch intravenös verabreicht. Nach
Umstellung auf eine subkutane Applikation und mit optimierter Supportivtherapie sollte aber dieses
Problem besser beherrschbar werden.
Elotuzumab
Bei Elotuzumab handelt es sich um einen monoklonalen Antikörper gegen SLAMF7, eine
Membranstruktur, die vorwiegend auf Myelomzellen exprimiert ist. Eine Monotherapie mit
Elotuzumab führt zu keinem relevanten Ansprechen, allerdings findet sich eine synergistische Wirkung
mit Lenalidomid + Dexamethason und anderen Kombinationstherapien. In einer Phase-II-Studie
konnte mit der Kombination Elotuzumab + Lenalidomid + Dexamethason ein bemerkenswert langes
PFS von 29 Monaten beobachtet werden. Auf Basis dieser vorteilhaften Ergebnisse wurde diese
Kombination in einer Phase-III-Studie mit alleiniger Lenalidomid+Dexamethason-Therapie verglichen.
Mit der Tripelkombination konnte eine höhere Ansprechrate (79 % vs. 66 %) und eine signifikante
Verlängerung des PFS (19,4 vs. 14,9 Monate, Tab. und Abb. 1C) sowie eine Verlängerung des OS (47,7
vs. 36,6 Monate) erreicht werden. Die Behandlung mit Elotuzumab wurde hervorragend toleriert. Als
erwähnenswerte Nebenwirkungen sind nur eine erhöhte Inzidenz von Lymphopenie sowie
geringgradige Infusionsreaktionen bei 10 % der Patienten zu nennen, die meist nur während der ersten
Infusion auftraten. Eine weitere Phase-III-Studie mit Elotuzumab in Kombination mit Bortezomib +
Dexamethason bestätigte den Vorteil einer Elotuzumab-basierten Kombinationstherapie. Der
Unterschied im PFS war allerdings in der Kombination mit Bortezomib geringer als mit Lenalidomid
ausgefallen.
Ixazomib
Ixazomib ist der erste verfügbare oral applizierbare Proteasominhibitor. Die Resorption erfolgt relativ
schnell, sodass bereits nach einer Stunde Peak-Plasma-Spiegel erreicht werden. Die PlasmaHalbwertszeit liegt bei 2,3 Tagen und nach wiederholter Applikation bei 3,6 bis 11,6 Tagen, weswegen
die Substanz nur einmal wöchentlich verabreicht werden muss. In Phase-I/II-Studien wurde für eine
zweimal wöchentliche Applikation (Tage 1, 4, 8, 11) eine MTD von 2,9 mg und für eine wöchentliche
Applikation eine MTD von 4 mg eruiert. Mit letztgenanntem Dosis- und Applikationsschema wurde
Ixazomib in Kombination mit Lenalidomid + Dexamethason mit Lenalidomid + Dexamethason
verglichen. Dabei konnten mit der Tripelkombination signifikant höhere Ansprechraten und ein
signifikant längeres PFS (20,6 vs. 14,7 Monate) beobachtet werden (Tab. und Abb. 1D). Allerdings war
der Unterschied in den Ansprechraten (78,3 % vs. 71,5 %) trotz statistischer Signifikanz begrenzt,
während für das PFS ein Unterschied von etwa 6 Monaten zugunsten der Ixazomib-Kombination
erreicht werden konnte. Bemerkenswerterweise erfolgte die Trennung der Überlebenskurven erst 9
Monate nach Therapiebeginn, sodass „Good risk“-Patienten von der Therapie profitieren durften. Die
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Ixazomibbasierte Kombination zeigte in allen zytogenetischen Risikogruppen gleich gute Wirksamkeit
wie bei den Standardrisiko-Patienten.
Daratumumab
Bei Daratumumab handelt es sich um einen monoklonalen IgGK-Antikörper gegen CD38, einem
Glykoprotein, das auf Myelomzellen, aber auch auf CD4+- und CD8+-Lymphozyten, NK-Zellen und in
geringer Konzentration auch auf Erythrozyten exprimiert ist. Daratumumab führt, als Monosubstanz
verabreicht, bei umfangreich (≥ 5 Linien Vortherapie) vorbehandelten Patienten zu einer Ansprechrate
von etwa 30 % und ist die erste Immuntherapie beim multiplen Myelom mit „single agent activity“.
Mittlerweile wird der Antikörper in verschiedenen Kombinationen sowohl in der Erstlinientherapie als
auch bei vorbehandelten Patienten evaluiert. Beim letzten EHA-Kongress im Juni dieses Jahres wurden
beeindruckende Ergebnisse zweier Studien als late-breaking Abstracts vorgestellt. Antonio Palumbo
konnte bei vorbehandelten Patienten mit der Kombination Daratumumab + BortezomibDexamethason eine bisher beim multiplen Myelom nicht beobachtete Reduktion des Risikos für eine
Progression um 61 % im Vergleich zu Bortezomib-Dexamethason erreichen (CASTOR-Studie, Abb. 2).
Die Rate an Patienten ohne Progression nach einem Jahr lag bei 60,7 % in der experimentellen und bei
26,9 % in der Bortezomib-Dexamethason-Therapiegruppe. Bezüglich Gesamtüberleben fand sich ein
HR von 0,77 im Sinne eines Vorteils für die Tripelkombination, dieser ist derzeit allerdings nicht
statistisch signifikant. Ähnlich gute Resultate wurden mit Daratumumab in Kombination mit
Lenalidomid-Dexamethason im Vergleich zu Lenalidomid-Dexamethason von Meletios-Athanassios
Dimopoulos berichtet. Auch in dieser Studie (POLLUX) konnte das Progressionsrisiko im Vergleich zur
Behandlung ohne monoklonalen Antikörper um 63 % gesenkt werden. Die Gesamtansprechrate lag
mit der Tripelkombination bei stattlichen 93 % und die Rate an MRD-negativen Patienten bei 30 % bzw.
10 % (MRD-Ansprechtiefe 10–4 bzw. 10–6). Nach diesen hervorragenden Ergebnissen ist
Daratumumab auf dem besten Weg, das „Rituximab des multiplen Myeloms“ zu werden, wobei die
bisherigen Ergebnisse sogar einen im Vergleich zu Rituximab größeren Nutzen erwarten lassen.
Resümee
Die Einführung der neuen, oben beschriebenen Substanzen hat die Behandlungsmöglichkeiten von
Patienten mit multiplem Myelom wesentlich erweitert. Die bisher vorliegenden Ergebnisse aus großen
Phase-III-Studien bei vorbehandelten Patienten lassen erwarten, dass die derzeit laufenden Studien
auch in der Erstlinientherapie zu ebenso erfreulichen Ergebnissen führen werden, sodass das Ziel einer
langfristigen Krankheitskontrolle in greifbare Nähe rückt.
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