Cholesterin und Schlaganfallrisiko

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Botenstoff
Beispiele für Botenstoffe und ihre Wirkung.
Als Botenstoff (Mediator, Signalstoff, Elicitor, Semiochemikalie) bezeichnet man
verschiedene chemische Stoffe, die in einem Organismus oder zwischen Spezies der
Übertragung von Signalen bzw. Informationen (chemische Kommunikation) dienen.
Botenstoffe sind essentiell für das Zusammenspiel der Zellen in einem Organismus
(Kommunikation zwischen den Zellen). Bei Pflanzen regulieren Botenstoffe u.a. das
Wachstum und die Entwicklung sowie auch den eigenen Schutz, z. B. vor Krankheitserregern
oder Fressfeinden.[1][2]
Die Kommunikation zwischen den Organismen erfolgt häufig auch über chemische
Botenstoffe, die sog. Semiochemikalien. Bei den Semiochemikalien wird generell zwischen
Pheromonen und Allelochemikalien unterschieden. Während Pheromone der Kommunikation
zwischen Organismen einer Art (intraspezifisch) dienen, vermitteln Allelochemikalien
Informationen zwischen verschiedenen Arten (interspezifisch). Beispiele für eine
interspezifische Wirkung sind


das Vermögen einiger Pflanzen, über bestimmte Stoffe, die sog. Allomone Parasiten
von Pflanzenschädlingen anzulocken.[1]
das Anlocken von Nachtfaltern als Beute durch eine Spinnenart mittels eines
Sexualpheromons.[3]
Die Botenstoffe können in verschiedene funktionelle Gruppen oder gemäß ihrer Funktion und
Wirkung unterteilt werden, wobei die Einteilung häufig gleitende Übergänge hat bzw. recht
willkürlich ist:
Gruppen von Botenstoffen[4]
Gruppe
Bemerkungen, Eigenschaften
1
Beispiel(e)
Referenzen
Hormone
werden im Organismus
synthetisiert und übermitteln an
Organe, Gewebe oder
Zellgruppen, die vom
Bildungsort mehr oder weniger
weit entfernt liegen können,
Signale od. Botschaften, die auf
deren Funktion bestimmte
physiologische Wirkungen
ausüben; dabei wirken Hormone
nicht direkt, sondern indirekt,
beispielsweise durch
Veränderung der
Enzymkonzentration
[5]
Neuropeptide (Cytokine;
spezielle Neurotransmitter
des Gehirns); regeln die
Stärke von bestimmten
Botenstoffe des Nervensystems,
Reaktionen; Endorphine
die die Nervenzellen erregen
Neurotransmitter
hemmen beispielsweise
oder hemmen; eng begrenzte
starke Schmerzen, können
lokale Wirkung;
aber auch Glücksgefühle
und Entspannung nach
starken körperlichen
Anstrengungen vermitteln
[6][7]
Parahormone
Botenstoffe, die in irgendeiner
Weise nicht alle Kriterien
erfüllen, die für die Definition
eines Hormons notwendig sind
Kohlendioxid: fungiert im
Rahmen der
Atmungsregulation als
Kommunikationsstoff
[8]
Pheromone
Werden in die Umgebung
ausgeschieden und lösen einen
bestimmten Effekt oder ein
bestimmtes Verhalten aus;
Pheromone wirken, im
Gegensatz zu den Allomonen
zwischen Individuen derselben
Spezies (intraspezifisch)
Pheromone beeinflussen
beispielsweise auch das
Zusammenleben der
Menschen
[9]
Botenstoffe in Pflanzen;
beeinflussen Wachstums- und
Ethylen, Auxine; Auxine
stimulieren in geringer
Konzentration Wachstums-
Phytohormone
2
[10]
Differenzierungsprozesse
und Entwicklungsprozesse
wie Zellteilung und
Zellstreckung in der
Pflanze. Ethylen ist bei
Pflanzen an
Wachstumsvorgängen und
Stressreaktionen beteiligt
Unterteilung von Botenstoffen (Semiochemikalien) nach ihrer Funktion und
Wirkung[11]
Wirkung
Stoffklasse
Bezeichnung und
Wirkung
Intraspezifisch Pheromone
Primer: physiologische
Veränderung
Intraspezifisch Pheromone
Releaser:
Verhaltensänderung
Allomone: Vorteil für
produzierenden
Interspezifisch Allelochemikalien Organismus bzw.
Schaden für
Empfänger
Beispiel(e)
Antibiotika,
Toxine,
fraßhemmende
Geschmacksstoffe
bei Pflanzen
Kairomone: Vorteil für
Interspezifisch Allelochemikalien empfangenden
Organismus
Synonome: Vorteil für
produzierenden und
Interspezifisch Allelochemikalien
Blütenduft
empfangenden
Organismus
Apneumone:
Freisetzung durch
Interspezifisch Allelochemikalien abiotische Substrate;
können für Empfänger
von Vorteil und für das
3
Referenzen
Substrat bewohnende
Organismen von
Nachteil sein
Triglyceride
Allgemeine Struktur von Triacylglycerinen. Die Reste R stehen für die
Kohlenwasserstoffketten meist verschiedener Fettsäuren.
Triglyceride, Triglyzeride, auch Glycerol-Triester, sind dreifache Ester des dreiwertigen
Alkohols Glycerin mit drei Säuremolekülen. Verbindungen mit Carbonsäuren sollten nach der
IUPAC-Empfehlung ausschließlich als Triacylglycerine bezeichnet werden. Die Vorsilbe Tri
verweist auf drei Acyl-Säurereste, die mit Glycerin verestert sind.
Triacylglycerine mit drei Fettsäuren sind die Verbindungen in Fetten und fetten Ölen.
Natürliche Fette bestehen zum überwiegenden Teil aus Triglyceriden mit drei langkettigen
Fettsäuren, die meist aus unverzweigten Ketten mit 4 bis 26, typischerweise 12 bis 22
Kohlenstoff-Atomen bestehen. Sind sie bei Raumtemperatur flüssig, werden sie auch als Öle
oder, um sie von den Mineralölen zu unterscheiden, fette Öle bezeichnet. Reine
Triacylglycerine von Fettsäuren werden auch als Neutralfette bezeichnet.
Man kann zwischen


MCTs (medium chain triglycerides) (6 bis 12 C-Atome)
LCTs (long chain triglycerides) (14 bis 24 C-Atome)
unterscheiden, MCTs haben Fettsäuren mittlerer Länge gebunden, LCTs haben Fettsäuren
großer Länge gebunden.
Phosphoglyceride wie z.B. Lecithine sind Triglyceride aus zwei Fettsäuren und einer
organischen Phosphorsäureverbindung. Beide Verbindungstypen zählen zur Klasse der
Lipide. Neben pflanzlichen und tierische Triglyceriden gibt es auch synthetische Triglyceride.
4
Cholesterin
Strukturformel
Allgemeines
Name
Cholesterin
Andere Namen



Summenformel
C27H46O
CAS-Nummer
57-88-5
PubChem
5997
DrugBank
EXPT00945
Cholesterol
Cholest-5-en-3β-ol
5-Cholesten-3β-ol
Kurzbeschreibung weißer, fast geruchloser Feststoff
Eigenschaften
Molare Masse
386,67 g·mol−1
Aggregatzustand
fest
Dichte
1,07 g·cm−3 (20 °C) [1]
Schmelzpunkt
147–150 °C [1]
Siedepunkt
Zersetzung bei 360 °C [1]
Löslichkeit
praktisch unlöslich in Wasser
Sicherheitshinweise
Gefahrstoffkennzeichnung [1]
keine Gefahrensymbole
R- und S-Sätze
R: keine R-Sätze
S: keine S-Sätze
5
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet.
Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei
Standardbedingungen.
Nummerierung der Kohlenstoffringe und Bezeichnung der Ringe im Cholesteringerüst.
Das Cholesterin (auch Cholesterol) ist ein in allen tierischen Zellen vorkommender
Naturstoff. Der Name leitet sich vom griechischen „chole“ (Galle) und „stereos“ (fest) ab, da
es in Gallensteinen bereits im 18. Jahrhundert gefunden wurde.
Inhaltsverzeichnis
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1 Funktion
2 Chemische Einordnung
3 Biosynthese und Abbau
4 Cholesterinbiosynthese
5 Cholesterintransport (Lipoproteine)
6 Blutspiegel
o 6.1 Gesamtcholesterinspiegel
o 6.2 LDL-Cholesterinspiegel
o 6.3 HDL-Cholesterinspiegel
o 6.4 Quotienten
o 6.5 Messung und Labor-Referenzwerte
o 6.6 Einheiten und Umrechnung
7 Erkrankungen
o 7.1 Familiäre Hypercholesterinämie
o 7.2 Gallensteine
o 7.3 Weitere Krankheitsformen
8 Cholesterin und die Koronare Herzkrankheit (KHK)
o 8.1 Bedeutung der Hypothese
o 8.2 Empirische Hinweise
o 8.3 Die Rolle von High Density Lipoprotein und Low Density Lipoprotein
o 8.4 Zielwerte und Richtlinien
o 8.5 Kritik
 8.5.1 Zweifel an der Kausalkette Ernährung – Cholesterin – KHKErkrankung
 8.5.2 Kritische Bewertung von Nutzen und Risiko einer
medikamentösen Cholesterin-Senkung
 8.5.3 Einfluss wirtschaftlicher Faktoren auf Forschung,
Fachgesellschaften und veröffentlichte Meinung
6
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
9 Cholesterin und Schlaganfallrisiko
o 9.1 Serum-Cholesterinspiegel und Schlaganfallrisiko
o 9.2 Cholesterinsenkende Medikamente und ihr Einfluss auf das SchlaganfallRisiko
10 Cholesterin und Krebserkrankungen
o 10.1 Serum-Cholesterinspiegel und Krebsrisiko
o 10.2 Cholesterinsenkende Medikamente und ihr Einfluss auf das Krebsrisiko
 10.2.1 Erhöhung des Krebsrisikos
 10.2.2 Senkung des Krebsrisikos
 10.2.3 Kein Einfluss auf Krebsrisiko
11 Cholesterin und Ernährung
o 11.1 Empfehlung bei hohem Cholesterinspiegel
o 11.2 Einfluss der Ernährung auf den Cholesterinspiegel
o 11.3 Einfluss der Ernährung auf den Cholesterinspiegel durch Prostaglandine
o 11.4 Cholesterin und Schwangerschaft
o 11.5 Cholesterin und Muttermilch
12 Cholesterin, Psyche und Gedächtnis
o 12.1 Cholesterin und Gewaltbereitschaft
o 12.2 Cholesterin und Depressionen
o 12.3 Cholesterin und Gedächtnis
o 12.4 Cholesterinsenkung und Albträume
13 Arzneimittel
o 13.1 Fibrate
o 13.2 Statine
o 13.3 Ezetimib
14 Studien
o 14.1 Framingham-Studie
o 14.2 Metastudien
o 14.3 CARE
o 14.4 EXCEL
o 14.5 4S
o 14.6 PROCAM
o 14.7 LIPID
o 14.8 HPS
o 14.9 4D
o 14.10 Hu 1999
15 Zitate
16 Einzelnachweise
17 Literatur
18 Weblinks
Funktion
Cholesterin ist ein lebenswichtiges Lipid und ein wichtiger Bestandteil der Plasmamembran.
Hier erhöht es die Stabilität der Membran und wirkt zusammen mit Proteinen in der
Zellmembran an der Ein- und Ausschleusung von Signalstoffen mit. Der Cholesteringehalt
des menschlichen Körpers beträgt etwa 140 g. Da es wasserunlöslich ist, befinden sich über
95 % des Cholesterins intrazellulär. Im Blut wird es gebunden an Lipoproteine transportiert,
7
die mit zunehmender Dichte als Chylomikronen, VLDL, IDL, LDL und HDL bezeichnet
werden.
Cholesterin ist außerdem Vorstufe der Gallensäuren und Steroidhormone. Es wird durch das
Cholesterin-Seitenkettentrennungsenzym zu Pregnenolon umgewandelt, welches wiederum
die Ausgangsverbindung für die Hormone/Corticoide (Testosteron, Östradiol, Cortisol,
Progesteron und Aldosteron) und für die Gallensäuren (Cholanssäure und Cholsäure) ist.[2]
Ein Zwischenprodukt der Cholesterinbiosynthese, das 7-Dehydrocholesterin, ist das
Provitamin zur Bildung von Vitamin D durch UV-Licht.
Neue Forschungen zeigen zudem, dass der Körper Cholesterin zur Biosynthese
herzwirksamer Glykoside nutzt. Welche Bedeutung diese endogen synthetisierten Glykoside
haben, ist noch weitgehend unbekannt.
Beispielsweise aufgrund von Sedimentfunden mit chemischen Cholesterin-Verwandten
(Sterolen) wird von einigen Forschern angenommen, dass das Cholesterinmolekül für den
Fall, dass es nie anders als in belebter Materie auftrat, auch evolutionsgeschichtlich sehr alt
wäre.[3] Die Biosynthese des Moleküls funktioniere allerdings erst, seit Sauerstoff in der
Atmosphäre vorhanden sei. In Bakterien und den Membranen von Mitochondrien finde sich
aus diesem Grund kaum Cholesterin. Pflanzen und Pilze enthalten ebenfalls kein Cholesterin,
dafür aber andere, strukturell ähnliche Sterole.
Chemische Einordnung
Cholesterin ist ein polyzyklischer Alkohol. Herkömmlich wird es als zur Gruppe der Sterine
(Sterole) gehörendes Steroid zu den Lipiden gerechnet. Entgegen einer verbreiteten
Verwechslung ist es jedoch kein Fett, selbst die Einordnung als Lipid ist nicht zwingend.
Biosynthese und Abbau
Cholesterin ist ein für Menschen und Tiere lebenswichtiges Zoosterin. Beim Menschen wird
Cholesterin zum Großteil (90 %) im Körper selbst hergestellt (synthetisiert), beim
Erwachsenen in einer Menge von 1 bis 2 g pro Tag, und nur zu einem kleinen Teil mit der
Nahrung aufgenommen. Die Cholesterinresorption liegt im Durchschnitt bei 0,1 bis 0,3 g pro
Tag und kann höchstens auf 0,5 g pro Tag gesteigert werden. Das entspricht 30 bis 60 % des
in der Nahrung enthaltenen Cholesterins.
Beim Menschen sind die Leber und die Darmschleimhaut die Hauptorte der
Cholesterinsynthese. Die Biosynthese des Moleküls erfolgt über viele Zwischenstufen aus der
aktivierten Essigsäure, dem Acetyl-Coenzym A. Außer in Leber und Darm kann die
Cholesterinbiosynthese mit wenigen Ausnahmen in fast allen Zellen des Körpers ablaufen.
Das Gehirn synthetisiert das von ihm benötigte Cholesterin vollständig selbst, da dieses die
Blut-Hirn-Schranke nicht passieren kann.
Organe mit hohem Cholesterinbedarf sind das Gehirn sowie die Steroidhormone
produzierenden Organe (Nebennieren, Eierstöcke und Hoden). Etwa ein Viertel des gesamten
Cholesterins ist im Gehirn enthalten, wo es vor allem in den lipidreichen Myelinscheiden der
Axone vorkommt.[4]
8
Das Gleichgewicht zwischen benötigtem, selbst produziertem und über die Nahrung
aufgenommenem Cholesterin wird über vielfältige Mechanismen aufrechterhalten. Als
wichtig kann dabei die Hemmung der HMG-CoA-Reduktase, des wichtigsten Enzyms der
Cholesterinbiosynthese, durch Cholesterin gelten (noch stärker wird die HMG-CoAReduktase durch Lanosterol, eine Vorstufe von Cholesterin, gehemmt). Damit hemmen
Produkte dieses Stoffwechselwegs (Cholesterinsynthese) „ihr“ Enzym; dies ist ein typisches
Beispiel negativer Rückkopplung. Außerdem verkürzt sich die Halbwertszeit der HMG-CoAReduktase bei erhöhtem Lanosterolspiegel stark, da sie dann vermehrt an Insigs
(insulininduzierte Gene) bindet, was schließlich zu ihrem Abbau im Proteasom führt. Es gibt
noch viele andere, weniger direkte Regulationsmechanismen, die auf transkriptioneller Ebene
ablaufen. Hier sind die Proteine SCAP, Insig-1 und -2 wichtig, die in Anwesenheit von
Cholesterin, für das sie eine Bindungsstelle besitzen, über die proteolytische Aktivierung von
SREBPs die Aktivität einer größeren Anzahl Gene regulieren. Auch Insulin spielt hier eine
Rolle, da es u. a. die Transkription von SREBP1c steigert.
Die HMG-CoA-Reduktase, das Schlüsselenzym der Cholesterinbiosynthese, kann spezifisch
und effektiv durch verschiedene Substanzen gehemmt werden (beispielsweise Statine, die als
HMG-CoA-Reduktase-Hemmer eine bestimmte Klasse von Medikamenten darstellen). Über
den LDL-Rezeptor wird die Aufnahme in die Zelle aktiviert.
Die Höhe des Cholesterinspiegels hängt vor allem von der körpereigenen Produktion ab und
erst in zweiter Linie von der Zufuhr über die Nahrung. Daneben gibt es eine Vielzahl
genetisch bedingter Hypercholesterinämien. Auch als Folge anderer Erkrankungen kann der
Cholesterinspiegel erhöht sein (beispielsweise durch Hypothyreose, Niereninsuffizienz oder
metabolisches Syndrom).
Cholesterin wird über die Leber ausgeschieden, indem es in Form von Gallensäuren über die
Gallenwege in den Darm sezerniert wird. Diese Gallensäuren sind gleichzeitig für die
Resorption wasserunlöslicher Nahrungsbestandteile, also auch Cholesterin, erforderlich.
Cholesterin wird durch Gallensäuren emulgiert und im Dünndarm resorbiert. Da etwa 90 %
der Gallensäuren wieder aufgenommen werden, ist die Ausscheidung von Cholesterin
dementsprechend ineffektiv. Durch Einnahme von Medikamenten wie Colestyramin, die
Gallensäuren binden und die Wiederaufnahme damit erschweren, kann die
Cholesterinausscheidung gesteigert werden. Allerdings wird die Senkung des
Cholesterinspiegels durch Zunahme der LDL-Rezeptordichte auf Leberzellen und die damit
gesteigerte Cholesterinaufnahme aus dem Blut in die Leber teilweise durch eine vermehrte
Neusynthese ausgeglichen.
9
Cholesterinbiosynthese
Cholesterinbiosynthese.
Aus drei Molekülen aktivierter Essigsäure (Acetyl-CoA) entsteht über das Zwischenprodukt
Acetoacetyl-CoA das β-Hydroxymethylglutaryl-CoA (β-HMG-CoA). Mit Hilfe des Enzyms
HMG-CoA-Reduktase und NADPH wird das β-HMG-CoA zu Mevalonat reduziert. Letzterer
ist der geschwindigkeitsbestimmende Schritt der gesamten Synthese.
Die Biosynthese des Cholesterins geht von den Endprodukten des
Mevalonatbiosyntheseweges, von Dimethylallylpyrophosphat und von
Isopentenylpyrophosphat aus. Das oben genannte Schlüsselenzym, die HMG-CoA-Reduktase,
befindet sich im Mevalonatbiosyntheseweg, deshalb wird hier auf die Artikel
Dimethylallylpyrophosphat und Terpene verwiesen. Dimethylallylpyrophosphat (DMAPP)
und Isopentenylpyrophosphat (IPP) werden durch eine Kopf zu Schwanz Kondensation durch
die Farnesylpyrophosphatsynthase zu Geranylpyrophosphat (GPP) verknüpft, die gleiche
Farnesylpyrophosphatsynthase verknüpft anschließend durch eine weitere Kopf zu Schwanz
Kondensation ein weiteres IPP mit dem GPP zu Farnesylpyrophosphat (FPP). Zwei FPP
werden in einer Kopf zu Kopf Kondensation, über die Zwischenverbindung
Praesqualenpyrophosphat, durch die Squalensynthase zu Squalen verknüpft. Squalen reagiert
durch die Squalenepoxidase zu 2,3-Epoxysqualen, welches durch die Squalenoxidocyclase,
über ein Protosterol-Kation, zu Lanosterol reagiert. Lanosterol wird über neunzehn
verschiedene Zwischenverbindungen zu Cholesterin umgewandelt, dieser gesamte
enzymatische Prozess ist in der Membran des Endoplasmatischen Retikulums lokalisiert.
Cholesterin ist wiederum eine Ausgangsverbindung für menschliche Hormone, wie im
Abschnitt Funktion beschrieben.
10
Cholesterintransport (Lipoproteine)
Da Cholesterin in Wasser unlöslich ist, erfolgt der Transport im Blutplasma zusammen mit
anderen lipophilen Substanzen wie Phospholipiden, Triglyceriden oder Fettsäuren, mit Hilfe
von Transportvesikeln, den Lipoproteinen.
Das über die Nahrung zugeführte Cholesterin sowie Triglyceride werden nach der Resorption
aus dem Darm von den Chylomikronen aufgenommen und von dort in die Gewebe
transportiert. Lipoproteine verschiedener Dichte (VLDL, IDL und LDL) transportieren selbst
hergestelltes und aufgenommenes Cholesterin von der Leber zu den Geweben. HDL nehmen
Cholesterin aus den Geweben auf und bringen es zur Leber zurück. Das Cholesterin in den
Lipoproteinen ist überwiegend mit Fettsäuren verestert. Das Spektrum dieser Fettsäuren ist in
starkem Maße durch die mit der Nahrung aufgenommenen Triglyceride zu beeinflussen. Dies
zeigen insbesondere Studien an Bevölkerungsgruppen mit speziellen Ernährungsformen wie
z.B. Vegetarier und Veganer.[5]
Für den Abbau des LDL-Cholesterins im Blut gibt es im menschlichen Körper zwei
voneinander unabhängige Wege, den LDL-Rezeptorweg und den sogenannten ScavengerPathway. Der größte Teil, ca. 65 % des LDL-Cholesterins im Plasma, wird über LDLRezeptoren verstoffwechselt. LDL-Rezeptoren findet man in allen Zelltypen der Arterien und
in Hepatozyten (Leberzellen). Neben dem LDL-Rezeptorweg werden circa 15 % des LDLCholesterins im Plasma über den sogenannten Scavenger Pathway in den Blutgefäßen
abgebaut. Als Scavenger-Zellen werden die Makrophagen bezeichnet. Sie besitzen
sogenannte Scavenger-Rezeptoren, über die chemisch modifizierte (oxidierte) LDL
ungehemmt und konzentrationsunabhängig aufgenommen und gespeichert werden können.
Zusammenfassend lassen sich drei verschiedene Wege beschreiben, die das Cholesterin
(unabhängig ob über die Nahrung oder selbst synthetisiert) im Organismus nimmt:
1. Ausscheidung in die Galle und damit in einen enterohepatischen Kreislauf (Leber →
Galle → Darm → Lymphe → Blut → Leber).
2. Umwandlung zu Gallensäuren, die an den Darm abgegeben werden.
3. Abgabe ins Blut in Form von Lipoproteinen (VLDL → LDL → HDL) zur Synthese
von Steroiden und Bildung von Membranen in anderen Organen.
Blutspiegel
Der durchschnittliche Gesamtcholesterinspiegel wie auch die LDL- und HDL-Spiegel der
gesunden Normalbevölkerung sind von Land zu Land verschieden und darüber hinaus altersund geschlechtsabhängig. Eine Korrelation zwischen den Blutcholesterin-Werten und dem
Body-Mass-Index besteht nicht.
11
Gesamtcholesterinspiegel
Generell nimmt der Gesamtcholesterinspiegel mit dem Alter deutlich zu. In der Regel ist er
bei jungen Frauen etwas niedriger als bei jungen Männern. Mit zunehmendem Alter gleicht
sich dieser Unterschied jedoch aus, und ältere Frauen haben schließlich im Mittel einen
höheren Cholesterinspiegel als ältere Männer. Einen Sonderfall stellt die Schwangerschaft
dar, in der der Gesamtcholesterinspiegel im Normalfall deutlich erhöht ist.
Der durchschnittliche Gesamtcholesterinspiegel der Altersgruppe zwischen 35 und 65 Jahren
in Deutschland liegt bei etwa 236 mg/dl (entspricht 6,1 mmol/l), die Standardabweichung bei
±46 mg/dl. Das bedeutet näherungsweise, dass etwa zwei Drittel der deutschen Bevölkerung
in dieser Altersgruppe einen Gesamtcholesterinwert im Bereich zwischen 190 mg/dl und
280 mg/dl aufweisen, und jeweils ein Sechstel der Deutschen in dieser Altersgruppe Werte
oberhalb beziehungsweise unterhalb dieses Bereichs.
LDL-Cholesterinspiegel
s. Hauptartikel: Low Density Lipoprotein
Der LDL-Cholesterinspiegel unterliegt einer ähnlichen alters- und geschlechtsabhängigen
Verteilung. Auch hier ist der altersabhängige Anstieg bei den Frauen deutlich stärker
ausgeprägt als bei den Männern. Der Mittelwert der Altersgruppe zwischen 35 und 65 Jahren
liegt dabei bei den deutschen Frauen bei 164 mg/dl (Standardabweichung ±44 mg/dl), bei den
Männern bei 168 mg/dl (±43 mg/dl).
HDL-Cholesterinspiegel
s. Hauptartikel: High Density Lipoprotein
Der durchschnittliche HDL-Spiegel unterscheidet sich stärker zwischen den beiden
Geschlechtern, wobei Frauen im mittleren Alter einen höheren HDL-Spiegel aufweisen als
12
Männer. Die Altersabhängigkeit zeigt sich hier bei beiden Geschlechtern in einem Absinken
ab einem Alter von etwa 55 Jahren. Der durchschnittliche HDL-Spiegel bei den deutschen
Frauen in der Altersgruppe zwischen 35 und 65 Jahren liegt bei 45 mg/dl (±12 mg/dl), bei den
Männern bei 37 mg/dl (±11 mg/dl).
Quotienten
Auf Grundlage der vorgenannten Parameter werden gelegentlich Quotienten aus diesen
Werten bestimmt. Der Mittelwert des Quotienten aus LDL- und HDL-Spiegel liegt für die
deutschen Frauen zwischen 35 und 65 Jahren bei 3,9 (±1,6), bei den Männern bei 4,9 (±1,9).
Die entsprechenden Durchschnittswerte für den Quotienten aus dem Gesamtcholesterin- und
dem HDL-Spiegel liegen für die Frauen bei 5,7 (±2,1), für die Männer bei 7,0 (±2,3).
Messung und Labor-Referenzwerte
Die Bestimmung der Konzentration von Cholesterin im Blut in medizinischen Routinelabors
gehört heute zu den Bestimmungsmethoden, die in Deutschland ringversuchspflichtig sind.
Ein Ringversuch ist die externe Qualitätskontrolle von Laborparametern, die von der
Bundesärztekammer kontrolliert und zertifiziert wird. An die so genannten „Richtlinien der
Bundesärztekammer“ (RiLiBÄK) muss sich jedes Labor in Deutschland halten. Der
Referenzbereich (oftmals irreführend als „Normalwert“ bezeichnet) ist vom Messgerät und
der Methode abhängig. Für die Bestimmung von Cholesterin werden in Deutschland in den
meisten Labors Geräte von Roche Diagnostics (früher Boehringer Mannheim) verwendet. Auf
dem Modell Hitachi wird als Referenzwert für das Gesamtcholesterin 110–230 mg/dl
angegeben. Beim neueren Gerät Modular wird als Referenzbereich <240 mg/dl angegeben.
Die Referenzbereiche wurden in den letzten Jahren mehrfach nach oben korrigiert. Um eine
Verfälschung der Ergebnisse auszuschließen, wird die Bestimmung häufig erst 12 bis 16
Stunden nach der letzten Mahlzeit durchgeführt.
Lange Zeit wurde im Labor nur das Gesamtcholesterin bestimmt, da die direkte Messung der
verschiedenen Lipoproteine nicht möglich bzw. sehr aufwendig war. Das hat sich mittlerweile
geändert. Das LDL-Cholesterin wird nicht direkt bestimmt, sondern aus den direkt
gemessenen Werten für Gesamtcholesterin, Triglyceride und HDL nach Friedewald et al.[6]
abgeschätzt als Gesamtcholesterin minus HDL-Cholesterin minus ein Fünftel des
Triglyceridwertes (alle Angaben in mg/dl). Diese Methode kann nicht angewendet werden für
Triglyzeridwerte über 400 mg/dl oder bei Vorliegen einer Chylomikronämie. Verschiedene
Korrekturfaktoren sind vorgeschlagen worden, um die Präzision dieser Abschätzung zu
erhöhen, jedoch sind sie bisher nicht in die klinische Praxis eingegangen. Der
Referenzbereich für den LDL-Cholesterinspiegel wird für Frauen und Männer zwischen 70
und 180 mg/dl angegeben.
13
Einheiten und Umrechnung
In Westdeutschland wird für die Angabe der Konzentration von Cholesterin im Blut häufig
die Einheit „mg/dl“ (Milligramm pro Deziliter) verwendet. In Ostdeutschland wird dagegen –
wie im angelsächsischen Sprachraum – überwiegend die Einheit „mmol/l“ (Millimol pro
Liter, vergleiche Milli und Mol) benutzt. Für Cholesterin (nicht jedoch für Triglyceride oder
andere Stoffe) gilt der folgende Zusammenhang zwischen diesen Maßeinheiten:
1 mg/dl = 0,02586 mmol/l
1 mmol/l = 38,67 mg/dl
Beispiel:
236 mg/dl = 236 · 0,02586 mmol/l = 6,10 mmol/l
6,10 mmol/l = 6,10 · 38,67 mg/dl = 236 mg/dl
Für Triglyceride gelten die folgenden Umrechnungsformeln:
1 mg/dl = 0,0113 mmol/l
1 mmol/l = 88,57 mg/dl
Erkrankungen
Zu den bekannten Erkrankungen im Zusammenhang mit Cholesterin gehören die familiäre
Hypercholesterinämie und Gallensteine (Gallenkonkrement).
Familiäre Hypercholesterinämie
Es gibt erbliche Störungen des Cholesterinstoffwechsels (familiäre Hypercholesterinämie),
die unabhängig von der Nahrungsaufnahme zu stark erhöhten Cholesterinwerten im Blut
führen. Bei einer der bekannten Formen der Hypercholesterinämie sind die LDL-Rezeptoren
nur unvollständig ausgebildet oder fehlen ganz.
Heterozygote Träger dieser Erbfaktoren sind überdurchschnittlich häufig schon in jüngeren
Jahren von Herzinfarkten und anderen Gefäßkrankheiten betroffen. Gemäß einer
Untersuchung aus dem Jahre 1991 gilt dies nicht mehr für ältere Personen. Hier geht die
Mortalität sogar deutlich zurück und liegt nur bei 44 % gegenüber dem Standard [7].
Die Prävalenz der häufigsten monogenetischen Hypercholesterinämie, der sogenannten
autosomal dominanten familiären Hypercholesterinämie, liegt bei ca 1:500. Allerdings scheint
es im Verlauf der letzten 200 Jahre eine bedeutende Variabilität in der Häufigkeit von
Symptomen bei Betroffenen gegeben zu haben, was auf eine Interaktion einer veränderten
Umwelt (beispielsweise Ernährung, Lebensstil) mit dem Genotyp hindeutet [8].
14
Gallensteine
Cholesterin wird mit der Gallensäure im Darm vom Körper aufgenommen. Dabei wird
Cholesterin emulgiert und im Dünndarm resorbiert. Die Löslichkeit von Cholesterin in der
Gesamtgalle liegt bei 0,26 %. Bei einer Veränderung der Zusammensetzung der Galle kommt
es zur Bildung von Cholesterinsteinen. 80 % der Gallensteine sind cholesterinreich und 50 %
reine Cholesterinsteine. Die Bildung von Gallensteinen erfolgt nur in der Gallenblase.
Weitere Krankheitsformen
Weniger bekannte Erkrankungen sind zum Beispiel die Cholesterinspeicherkrankheit
(Xanthomatose oder Hand-Schüller-Christian-Syndrom) bei der Cholesterin krankhaft unter
anderem in der Haut gespeichert wird.
Mit einer Häufigkeit von ca. 1:60.000 kommt in Europa das Smith-Lemli-Opitz-Syndrom
(SLO) vor. Grund für die Erkrankung mit SLO-Syndrom ist ein Defekt des letzten Enzyms
des Cholesterin-Biosynthesewegs, der 7-Dehydrocholesterin-Reduktase. Das klinische Bild ist
gekennzeichnet durch geistige Retardierung, Wachstumsprobleme, Entwicklungsstörungen
und Gesichtsveränderungen.
Weiterhin ist eine Hypocholesterinämie bekannt, bei der der Cholesterinspiegel unter
130 mg/dl im Blut vorliegt. Dies tritt vor allem bei Leberschädigung oder Behandlung mit
Cortison auf. Dabei kann unter anderem das Vitamin E nicht mehr an seine entsprechenden
Zielorte transportiert werden.
Cholesterin und die Koronare Herzkrankheit (KHK)
Herz-Kreislauferkrankungen, dabei insbesondere die koronare Herzerkrankung (KHK), lösten
mit steigendem Lebensstandard im 20. Jahrhundert in den westlichen Industrienationen die
Infektionskrankheiten als häufigste Todesursache ab. Wesentlich dazu beigetragen hat die
steigende Lebenserwartung bei einem gleichzeitigen Rückgang von Infektionskrankheiten,
besonders aufgrund verbesserter hygienischer Verhältnisse und der zunehmenden Verbreitung
von Antibiotika. In den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts fand die Hypothese des
amerikanischen Ernährungsforschers Ancel Keys große Beachtung, diese Entwicklung sei
zusätzlich dadurch begünstigt, dass der steigende Wohlstand mit einer falschen, zu
fetthaltigen Ernährung einhergehe. Insbesondere führe eine cholesterinreiche Ernährung (in
erster Linie Fleisch, Hühnerei, Milch, Butter und andere Milchprodukte) zu einem erhöhten
Cholesterinspiegel, und der erhöhte Cholesterinspiegel führe wiederum zu Arteriosklerose. Da
die Mehrzahl der Herzinfarkte durch Arteriosklerose ausgelöst wird, sei die Aufnahme von
cholesterinhaltiger Nahrung somit eine wesentliche Ursache für Herzinfarkte (Diese These ist
immer mehr umstritten. Siehe dazu den Abschnitt Kritik).
Bedeutung der Hypothese
Die Hypothese, cholesterinreiche Ernährung und ein hoher Blut-Cholesterinspiegel spielen
eine ursächliche Rolle bei der Entstehung von Herzinfarkten, hat in den vergangenen
Jahrzehnten im wissenschaftlichen Umfeld wie in der öffentlichen Wahrnehmung große
Verbreitung gefunden und bildet heute in der medizinischen Praxis ein wesentliches Element
der vorbeugenden Behandlung von Herzinfarkten. Sie führte insbesondere in den USA, aber
auch in Europa zur Verbreitung künstlich cholesterinreduzierter oder cholesterinfreier
15
Lebensmittel (beispielsweise Margarine), und darüber hinaus zu einer routinemäßigen
Verschreibung von Medikamenten zur Senkung des Cholesterinspiegels.
Cholesterinsenker stellen heute das weltweit umsatzstärkste Segment des Pharmamarktes dar.
Im Jahre 2004 wurden mit Cholesterinsenkern weltweit Umsätze von 27 Milliarden Dollar
erzielt, bei einer Wachstumsrate von 10,9 %. Umsatzstärkstes Medikament ist Atorvastatin
(Lipitor®, Sortis®) des US-Herstellers Pfizer, welches 2005 einen Umsatz von weltweit
12,2 Milliarden Dollar erzielte.[9] Dieses Medikament spielt allerdings auf dem deutschen
Markt heute keine wesentliche Rolle mehr, seit die Krankenkassen eine Festbetragsregelung
für Statine eingeführt haben.
Weltweit nehmen etwa 25 Millionen Menschen regelmäßig cholesterinsenkende Präparate
ein.
Empirische Hinweise
Die Hypothese stützt sich vor allem auf folgende Beobachtungen:



Bei Hasen und anderen überwiegend vegetarisch lebenden Tieren führt im Tierversuch
die Verabreichung einer stark cholesterinhaltigen Nahrung (Milch, Eigelb) zur
Entwicklung einer Arteriosklerose. Diese Beobachtung wurde erstmals 1908 von dem
russischen Wissenschaftler Alexander Ignatowski veröffentlicht. Umstritten ist
allerdings die Übertragbarkeit dieser Ergebnisse auf den Menschen, da dessen
natürlicher Regelmechanismus für die Höhe des Cholesterinspiegels die Aufnahme
von Cholesterin über die Nahrung nahezu vollständig kompensiert. Daher wurden
später ähnliche Untersuchungen an Schweinen vorgenommen, welche eine 70 %
Homologie zum Menschen aufweisen, beziehungsweise auch an Affen, mit ähnlichen
Ergebnissen wie bei den Hasen. Bei einzelnen der untersuchten Affenarten (wie die
Schweine meist Allesfresser mit überwiegend vegetarischer Ernährung) fand man
allerdings starke individuelle Unterschiede auch innerhalb einer Art. Bei einzelnen
Individuen lässt sich der Cholesterinspiegel demnach durch die Ernährung
beeinflussen („hyperresponders“), bei anderen nicht („hypo-responders“).
Cholesterin ist ein wesentlicher Bestandteil der arteriosklerotischen Plaques. Dies
wurde 1910 vom deutschen Chemiker und späteren Nobelpreisträger Adolf Windaus
nachgewiesen.
Ancel Keys veröffentlichte in den 1950er Jahren aufsehenerregende vergleichende
Studien von sechs bzw. sieben Ländern, in denen er für diese Länder
länderübergreifend eine Korrelation zwischen der KHK-Rate und dem Anteil
tierischer Fette in der Ernährung zeigte. Insbesondere in Japan zeigte sich eine
niedrige KHK-Rate bei gleichzeitig geringem Anteil tierischer Fette in der Nahrung,
in den USA zeigte sich das Gegenteil. Später wurde ihm allerdings zum Vorwurf
gemacht, dass er gezielt nur diejenigen der zu diesem Zeitpunkt veröffentlichten
Länder-Datensätze präsentiert hätte, die die von ihm postulierte Korrelation zu
unterstützen scheinen. Andere Studien, welche die KHK-Rate von eingewanderten
Japanern in den USA untersuchten, konstatierten eine Angleichung der niedrigeren
japanischen an die USA-KHK-Rate. Dies könnte wiederum für ernährungsbedingte
Faktoren sprechen, wäre aber auch durch andere Faktoren erklärbar, die mit dem
Lebensstil zusammenhängen. Kritiker stellen darüber hinaus die in beiden Fällen
vorausgesetzte Vergleichbarkeit der von verschiedenen Ländern veröffentlichten
Todesursachen in Frage, da bei der Feststellung der Todesursache auch kulturelle
Faktoren eine Rolle spielten.
16




Bei jüngeren Männern bis zum Alter von etwa 45 Jahren geht ein hoher Gesamt- bzw.
LDL-Cholesterinspiegel mit einem erhöhten Auftreten von KHK-Erkrankungen einher
und stellt dabei neben den weiteren bekannten Risikofaktoren einen eigenständigen
Risikofaktor dar. Das bedeutet, dass sich diese Korrelation nicht allein durch die
Korrelation des Cholesterinspiegels mit anderen bekannten KHK-Risikofaktoren
erklären lässt. Weitere bekannte Risikofaktoren sind Lebensalter, Geschlecht, positive
Familienanamnese (d. h. Auftreten von Herzinfarkt in der näheren Verwandtschaft),
Rauchen, Diabetes mellitus, Bluthochdruck, Übergewicht und Bewegungsmangel. Für
jüngere wie ältere Frauen und für ältere Männer stellt ein hoher Cholesterinspiegel
allerdings entgegen der weit verbreiteten Meinung keinen Risikofaktor für KHKErkrankungen dar.
Patienten mit familiärer Hypercholesterinämie haben aufgrund eines erblichen
Gendefekts einen sehr hohen Cholesterinspiegel (oft 400 mg/dl und mehr), und in
jungen Jahren ein gegenüber der Normalbevölkerung um ein Vielfaches gesteigertes
KHK-Risiko. Durch die Vergabe verschiedener Lipidsenker konnte die
Lebenserwartung dieser Patienten erhöht werden. Das KHK-Risiko dieser Patienten
normalisiert sich allerdings in einem Alter ab etwa 55 Jahren.
In zahlreichen Studien wurde demonstriert, dass die Einnahme von Medikamenten zur
Cholesterinsenkung insbesondere bei männlichen KHK-Hochrisikopatienten zu einem
Rückgang des Herzinfarktrisikos führen kann, der allerdings in aller Regel durch eine
Zunahme anderer Todesursachen kompensiert wurde. In den vergangenen Jahren
konnte mit der Medikamentengruppe der Statine in einzelnen Studien erstmals auch
ein geringer lebensverlängernder Nutzen der Einnahme eines CholesterinsenkungsPräparats demonstriert werden. Dieser zeigte sich allerdings nur in einem Teil der
durchgeführten Studien und nur bei männlichen KHK-Hochrisikopatienten mittleren
Alters.
Menschen mit einer bestimmten Variante im Gen für den Low-DensityLipoprotein(LDL-)Rezeptor haben ein Leben lang niedrigere Cholesterinspiegel im
Blut. Das Herzinfarkt-Risiko ist bei diesen Menschen um 23% vermindert.[10]
Die Rolle von High Density Lipoprotein und Low Density Lipoprotein
Die ursprüngliche Hypothese, ein erhöhter Cholesterinspiegel sei kausal verantwortlich für
die koronare Herzerkrankung, wird in jüngerer Zeit meist in etwas modifizierter Form
vertreten. Unterschieden wird nun zwischen HDL- und LDL-Cholesterin, wobei ein hoher
HDL-Cholesterinspiegel als günstig, ein hoher LDL-Spiegel dagegen als weniger günstig
angesehen wird. Entsprechend dieser Vorstellung wird HDL populärwissenschaftlich als
„gutes“ Cholesterin bezeichnet, LDL als „schlechtes“ oder „böses“ Cholesterin. Diese
Vorstellung stützt sich im Wesentlichen auf folgende Beobachtungen:


HDL dient dem Transport von Cholesterin vom Gewebe zur Leber, LDL dient dem
Transport in umgekehrter Richtung. Auf Grundlage dieser Erkenntnis wird vermutet,
dass ein hoher HDL-Spiegel und ein niedriger LDL-Spiegel dazu führen, dass im
Verhältnis mehr Cholesterin von den Gefäßen zur Leber transportiert wird und sich
deshalb weniger arteriosklerotische Plaques bilden können.
Das Verhältnis von HDL und LDL korreliert noch stärker als der
Gesamtcholesterinspiegel mit den bekannten Risikofaktoren für Arteriosklerose, wie
Alter, Geschlecht, Rauchen, Übergewicht und Bewegungsmangel. Betrachtet man also
lediglich die HDL- und LDL-Spiegel, ohne eine Normierung bezüglich der bekannten
Risikofaktoren vorzunehmen, so zeigt sich der vermutete Zusammenhang sehr
17

deutlich. Allerdings ergibt sich nach dem Herausrechnen dieser Korrelationen keine
höhere prognostische Kraft für das KHK-Risiko als beim Gesamtcholesterinspiegel.
In wissenschaftlichen Untersuchungen der letzten 20–30 Jahre hat man festgestellt,
dass die arteriosklerotischen Plaques überwiegend aus chemisch modifizierten
(oxidiertem) LDL-Cholesterin entstehen (siehe auch Lipoprotein-induced
atherosclerosis Hypothese unter Arteriosklerose).
Zielwerte und Richtlinien [Bearbeiten]
Die Hypothese, Cholesterin sei kausal verantwortlich für Herzinfarkte, führte bereits in den
1960er Jahren zu einer breit angelegten öffentlichen Informationskampagne in den USA, um
die Bevölkerung vor den möglichen Gefahren eines hohen Cholesterinspiegels zu warnen. Im
Jahre 1984 warnte das amerikanische Nachrichtenmagazin Time in einer Titelgeschichte vor
dem Verzehr von Eiern und Wurst. Im Jahre 1985 wurde zur Ausweitung dieser Kampagne
durch die American Heart Association (AHA, Amerikanischer Kardiologenverband) das
National Cholesterol Education Program (NCEP, Nationales CholesterinErziehungsprogramm) ins Leben gerufen. Das NCEP gibt seit seiner Gründung regelmäßig
Empfehlungen heraus, an denen sich die Behandlung von Patienten mit hohem
Cholesterinspiegel orientieren soll. In Deutschland ist die Deutsche Gesellschaft für
Kardiologie (DGK) die entsprechende Fachgesellschaft, die eigene Zielwerte herausgibt, die
aber in der Regel den amerikanischen Werten sehr ähnlich sind. Eine vergleichbare Rolle wie
das NCEP übernimmt in Deutschland die industrienahe Lipid-Liga.
Die grundlegenden Richtlinien der NCEP III, denen sich die europäischen und deutschen
Gesellschaften angeschlossen haben, unterscheiden drei gestaffelte Risikogruppen. Zur
Gruppe 1 zählen alle Patienten, die bereits eine KHK entwickelt haben oder ein
vergleichbares Risiko aufweisen (dazu zählt z. B. auch eine Diabeteserkrankung). Diese
Patienten haben ein 10-Jahres-Risiko für ein kardiales Ereignis von >20 %. Zur Gruppe 2
zählen die Patienten, die mindestens zwei Risikofaktoren aufweisen, zur Gruppe 3 die
Patienten, die weniger als zwei Risikofaktoren aufweisen.[11]
Patienten der Gruppe 1 sollten bei LDL-Werten über 100 mg/dl Lebensstiländerungen
vornehmen (Ernährung etc.), bei Werten über 130 mg/dl eine medikamentöse Therapie
beginnen. Ziel sollte für sie sein, LDL-Werte unter 100 mg/dl zu erreichen.
Patienten der Gruppe 2 sollten bei LDL-Werten über 130 mg/dl Lebensstiländerungen
vornehmen, bei Werten über 130 mg/dl oder 160 mg/dl (abhängig von der spezifischen
Risikoberechnung) eine medikamentöse Therapie beginnen. Ziel sollte sein, LDL-Werte unter
130 mg/dl zu erreichen.
Patienten der Gruppe 3 sollten bei LDL-Werten über 160 mg/dl eine Lebensstiländerung
vornehmen und eine medikamentöse Therapie erwägen, ab 190 mg/dl wird eine
medikamentöse Therapie dringend empfohlen.
Als Risikofaktoren gelten:




Rauchen
erhöhter Blutdruck (über 140/90 mmHg oder eine aktuelle hypertensive Behandlung)
niedriges HDL-Cholesterin (<40 mg/dl)
KHK-Erkrankungen in der Familie (bei männlichen Verwandten ersten Grades unter
55 Jahren oder weiblichen Verwandten ersten Grades unter 65 Jahren)
18

Alter (Männer über 45, Frauen über 55 Jahre)
Als Lebensstiländerungen werden empfohlen:




Reduktion der verzehrten gesättigten Fettsäuren (<7 % der Gesamtkalorien) und
Cholesterins
Nichtmedikamentöse Therapieoptionen zur LDL-Senkung (z. B. pflanzliche Sterole (2
g/Tag) etc.)
Gewichtsreduktion
Erhöhte körperliche Betätigung
Die Anwendung dieser Zielwerte wird von den deutschen Fachgesellschaften der Kardiologen
und Internisten unterstützt und befürwortet.[12]
Kritik
Die Forderung, ein (LDL-)Cholesterinspiegel oberhalb der publizierten Zielwerte müsse
gegebenenfalls durch Ernährungsumstellung und/oder eine medikamentöse Therapie
abgesenkt werden, war und ist umstritten. Im Folgenden werden die wichtigsten Kritikpunkte
aufgeführt:
Zweifel an der Kausalkette Ernährung – Cholesterin – KHK-Erkrankung
Auf Basis der umfangreichen Studienlage zu dieser Fragestellung werden Zweifel daran
geäußert, dass beim Menschen überhaupt ein relevanter Zusammenhang zwischen Ernährung
und Cholesterinspiegel besteht (vgl. Einfluss der Ernährung auf den Cholesterinspiegel). Die
Empfehlungen zur Ernährungsumstellung seien daher von vorneherein zum Scheitern
verurteilt und führten regelmäßig dazu, dass sich gesunde Menschen anschließend einer meist
lebenslangen medikamentösen Therapie unterziehen.



Cholesterin ist Bestandteil der Zellwände und eine der häufigsten im Körper
vorkommenden Substanzen. Sie spielt, wie die unten aufgeführten Beispiele zeigen,
unter anderem für den Gehirnstoffwechsel eine wichtige Rolle - weshalb der Körper
sich auch nicht auf die Zufuhr von außen verlässt, sondern den Spiegel selbst reguliert.
Welche Nebenfolgen man mit medikamentösen Eingriffen in diesen Mechanismus
auslöst, ist kaum abzusehen.
Ein hoher (LDL-)Cholesterinspiegel korreliert nur bei Männern bis 45 Jahren mit der
Anzahl der KHK-Erkrankungen. Aus einer bloßen Korrelation lasse sich aber noch
nicht einmal bei dieser Bevölkerungsgruppe auf eine Kausalität schließen.
Wahrscheinlicher sei vielmehr eine gemeinsame Ursache für den Anstieg des
Cholesterinspiegels und des KHK-Risikos. Unter anderem wird vermutet,
Cholesterinablagerungen in den Arterien könnten eine Reparaturmaßnahme sein, mit
der der Körper auf geschädigte Blutgefäße reagiert. Unterdrückt man diese
Reparaturmaßnahme durch Reduzierung des freien Cholesterins, dann mag dies in
Extremfällen die Infarktgefahr reduzieren, aber nur um den Preis anderer, womöglich
größerer Schäden – etwa eines erhöhten Krebsrisikos (s. unten). Dazu passt der
nächste Kritikpunkt:
Ein hoher (LDL-)Cholesterinspiegel ist statistisch nicht mit einer Verkürzung der
Lebenserwartung verknüpft. Das Senken des Infarktrisikos wird also, so es überhaupt
stattfindet, durch das Ansteigen anderer tödlicher Krankheiten jedenfalls wieder
ausgeglichen.
19


Wäre ein hoher Serum-(LDL)-Cholesterinspiegel ein Auslöser für Arteriosklerose, so
müsste sich in pathologischen Untersuchungen an verstorbenen Patienten eine
deutliche Korrelation zwischen dem (LDL-)Cholesterinspiegel und dem Grad der
arteriosklerotischen Veränderungen der Gefäße zeigen. Dieser Zusammenhang müsste
sich sogar weitaus deutlicher zeigen, als eine etwaige Korrelation mit der KHK-Rate,
da nur ein Teil der Herzinfarkte durch Arteriosklerose ausgelöst wird. Eine 1998
veröffentlichte Analyse aller vorliegenden Autopsiestudien zu dieser Fragestellung
kommt jedoch auch unter Berücksichtigung der methodischen Schwächen der
Untersuchungen zur einzig möglichen Schlussfolgerung, dass es keine signifikante
Beziehung zwischen Serum-Cholesterin und Atherogenese gibt.
Die größte jemals durchgeführte Ernährungs-Interventionsstudie, die Anfang 2006
veröffentlicht wurde, zeigte keinerlei Vorteile einer fettarmen Ernährung. Weder das
Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen, noch das Risiko für Schlaganfall, noch das
Risiko für verschiedene Krebserkrankungen konnte durch die Ernährungsumstellung
(weniger Fett, mehr Obst und Gemüse) reduziert werden. An der Studie nahmen fast
50.000 Frauen im Alter zwischen 50 und 79 Jahren teil, die über einen Zeitraum von
etwa 8 Jahren beobachtet wurden. Der LDL-Cholesterinspiegel der Studienteilnehmer
reduzierte sich durch die Ernährungsumstellung nur marginal um durchschnittlich
2,7 mg/dl (0,07 mmol/l).
Kritische Bewertung von Nutzen und Risiko einer medikamentösen CholesterinSenkung
Die Ergebnisse von Studien zur medikamentösen Senkung des Cholesterinspiegels
rechtfertigen nach Ansicht von Kritikern keineswegs den breiten Einsatz dieser Medikamente.
In einer Vielzahl von Studien sei zwar ein Nachweis erbracht worden, dass sich mit diesen
Medikamenten effektiv eine Absenkung des Cholesterinspiegels erzielen lasse. Die Erfolge
im Hinblick auf einen echten Patientennutzen, insbesondere eine lebensverlängernde
Wirkung, seien jedoch gering.




Die Fokussierung auf die Höhe des Cholesterinspiegels und auf das KHK-Risiko führe
dazu, dass solche Cholesterin-Senkungs-Studien von den Autoren selbst dann noch als
Erfolg dargestellt würden, wenn es, wie in einzelnen Studien geschehen, in der
Behandlungsgruppe zu einem erheblichen und statistisch signifikanten Anstieg von
Krebserkrankungen und Todesfällen gekommen sei.
Der Nutzen von Statinen bei der Reduktion des Herzinfarktrisikos insbesondere von
männlichen KHK-Hochrisikopatienten sei auch durch andere Wirkmechanismen
erklärlich als durch die Absenkung des Cholesterinspiegels. Dafür spreche auch, dass
der Ausgangs-Cholesterinspiegel für den Erfolg einer Statin-Behandlung keine Rolle
spielt.
Statine haben im Vergleich zu anderen Gruppen von Lipid-Senkern relativ seltene,
aber u. U. schwerste Nebenwirkungen, teilweise mit tödlichen Folgen.
Die medikamentöse Absenkung des Cholesterinspiegels im ersten
Schwangerschaftsdrittel, z. B. mit Statinen, führt mit hoher Wahrscheinlichkeit zu
schwersten Fehlbildungen in der Ausbildung des zentralen Nervensystems und der
Gliedmaßen des Kindes, vergleichbar mit Schädigungen durch Thalidomid. Eine
Verschreibung von Cholesterinsenkern in der Schwangerschaft ist deshalb
kontraindiziert. Kritiker bemängeln, dass eine Verschreibung an junge Frauen bei
Sicherstellung einer „zuverlässigen“ Verhütung dennoch zulässig ist, was dazu geführt
hat, dass zahlreiche entsprechende Fälle in der medizinischen Literatur dokumentiert
sind.
20


Der LDL-Cholesterinspiegel korreliert mit der Gedächtnisleistung und mit anderen
kognitiven Funktionen. Eine Absenkung des LDL-Cholesterinspiegels führt zu einem
signifikanten Rückgang von Gedächtnisleistung und Aufmerksamkeit. Als mögliche
Erklärung für diesen in verschiedenen Studien beobachteten Effekt kommt die
Tatsache in Frage, dass Cholesterin bekanntermaßen bei der Ausbildung von Synapsen
im Gehirn eine wesentliche Rolle spielt. Die Ausbildung von Synapsen ist wiederum
von wesentlicher Bedeutung beim Lernen und bei der Funktion des Gedächtnisses.
Bekannt ist auch, dass sich der Cholesterinspiegel bei Gabe von Statinen nicht nur im
Blut, sondern auch im Gehirn deutlich absenkt. In diesem Zusammenhang ist es
bemerkenswert, dass in der medizinischen Literatur zahlreiche Fälle von totalem
Gedächtnisverlust im direkten Zusammenhang mit der Einnahme von
cholesterinsenkenden Präparaten dokumentiert sind.
Eine kritische Bewertung der Studien zur Auswirkung von Cholesterin,
Cholesterinsenkern und Ernährung finden sich in dem Buch „Mythos Cholesterin“ von
Uffe Ravnskov. Er untersucht nicht nur die statistischen Methoden und die
Vorgehensweise innerhalb der Studien von 1953 bis 2003, sondern stellt auch die
wirtschaftliche Interessenlage der Auftraggeber der Studien vor.
Einfluss wirtschaftlicher Faktoren auf Forschung, Fachgesellschaften und
veröffentlichte Meinung
Folgt man den Richtlinien und Zielwerten, so handelt es sich bei dem überwiegenden Teil der
erwachsenen Bevölkerung um behandlungsbedürftige „KHK-Risikopatienten“. So sollte etwa
ein gesunder 40-jähriger deutscher Mann mit normalem Blutdruck, der nie geraucht hat und
keine KHK-Erkrankungen in der Verwandtschaft hat, mit für seine Altersgruppe
durchschnittlichen LDL- und HDL-Werten (168 mg/dl bzw. 37 mg/dl), entsprechend den
Richtlinien bereits eine medikamentöse Therapie in Erwägung ziehen. Erreicht er mit diesen
durchschnittlichen HDL- und LDL-Werten das Alter von 45 Jahren, so gehört er bereits in die
„Risikoklasse 2“, in der er entsprechend den Richtlinien bereits mittels einer medikamentösen
Therapie seinen LDL-Spiegel auf 130 mg/dl absenken sollte. Erreicht er ein
durchschnittliches Lebensalter, so ist damit zu rechnen, dass er etwa 35 Jahre lang regelmäßig
Medikamente zur Cholesterinsenkung einnehmen wird. Demgegenüber liegt bis heute keine
einzige Studie vor, die für diesen „Patienten“ auch nur einen geringfügigen Nutzen einer
Cholesterinsenkungstherapie zeigen würde. Kritiker sehen in diesen Richtlinien daher in
erster Linie ein Instrument zur Steigerung der Umsätze der pharmazeutischen Industrie.

Die überwiegende Zahl der Forscher im Bereich Cholesterin und KHK-Erkrankungen,
darunter auch die Autoren der NCEP-Richtlinien und die Vorstände der deutschen
DGFF (Lipid-Liga), seien in einem hohen Maße finanziell von Fördermitteln der
Pharma-Industrie abhängig oder profitierten sogar persönlich von Beratungs- und
Vortragshonoraren oder Aktienoptionen dieser Firmen, für die wiederum die
Medikamente zur Cholesterinsenkung der größte Umsatzträger sind. Folgen dieser
Abhängigkeit seien:
o Die Tatsache, dass ein hoher Cholesterinspiegel, anders als vielfach suggeriert,
statistisch nicht mit einer Verkürzung der Lebenserwartung verknüpft ist,
würde in der kardiologischen Fachwelt weitgehend ignoriert.
o Gleiches gelte für Hinweise auf die Bedeutung des Cholesterinspiegels für die
Gedächtnisleistung und Aufmerksamkeit sowie für Hinweise darauf, dass
21
o
o
o
niedrige Cholesterinspiegel einen Risikofaktor für verschiedene
Krebserkrankungen darstellen.
Wissenschaftliche Studien, die einen Zusammenhang zwischen KHKErkrankungen und Cholesterin zu belegen scheinen, werden sechsmal häufiger
zitiert als Studien, deren Ergebnisse zu dieser Hypothese eher im Widerspruch
stehen, obwohl sich die Gesamtzahl der veröffentlichten Studien insgesamt in
der Waage hält.
Ergebnisse von Studien, die für die Hersteller der CholesterinsenkungsPräparate ungünstig verlaufen seien, würden zum Teil nicht vollständig
veröffentlicht, so etwa im Fall der EXCEL-Studie.
Die wissenschaftliche Qualität der fast ausschließlich von Herstellern
finanzierten Medikamentenstudien zum Thema Cholesterinsenkung wird in
Frage gestellt. So bezeichnete etwa im Jahr 2005 das deutsche Institut für
Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen die wissenschaftliche
Qualität der vorliegenden Statin-Studien generell als „mangelhaft“. Besonders
die als einer der wichtigsten Belege für den Nutzen einer Statin-Behandlung
angeführte 4S-Studie steht methodisch erheblich in der Kritik.
Der hohe Grad der Finanzierung durch Mittel der Pharmaindustrie trifft für den
Großteil der gesamten medizinischen Forschung und Entwicklung zu. Gerade
universitäre Institute werden von öffentlicher Seite dringend angehalten, Drittmittel
für ihre Forschungsarbeit einzutreiben. Letzteres gilt jedoch nicht für die besonders
problematischen direkten finanziellen Zuwendungen der Pharmaindustrie an
sogenannte „Meinungsbildner“, die in Form von sogenannten Beratungs- und
Vortragshonoraren ausgezahlt werden. Nach einer Untersuchung aus dem Jahr 2001
werden etwa 3 % des Marketingbudgets der Pharmaindustrie – im Falle von
cholesterinsenkenden Präparaten entspräche dieser Anteil jährlich einem dreistelligen
Euro-Millionenbetrag – in Form von substanziellen Zuwendungen an eine relativ
kleine Gruppe von meist international, national oder regional bekannten Professoren
ausgeschüttet. Diese finanziellen Verflechtungen werden in Deutschland i. d. R. auch
dann nicht transparent gemacht, wenn sich solche Professoren etwa in Beiträgen oder
Kommentaren für Fachzeitschriften oder in Publikumsmedien für den verstärkten
Einsatz von cholesterinsenkenden Präparaten aussprechen. Seit Januar 2006 fordert
das „Deutsche Ärzteblatt“ allerdings seine Autoren auf, solche Abhängigkeiten
bekanntzugeben und zu veröffentlichen, entsprechend den Gepflogenheiten in
internationalen Fachpublikationen. In einer im Jahre 2005 veröffentlichten Studie
kritisiert der deutsche Zweig der internationalen Anti-Korruptions-Organisation
Transparency International sowohl die Abhängigkeit der medizinischen Forschung
von der Pharma-Industrie als auch die nach seiner Ansicht „alltägliche Praxis der
Pharmaindustrie“, sich medizinische Meinungsbildner zu „kaufen“, und spricht in
diesem Zusammenhang von einer „strukturellen Korruption“.


Die Vorsitzende des Verbandes deutscher Medizinjournalisten (VDMJ) hält es für
eine gängige Praxis, dass auch Medizinjournalisten von der Pharmaindustrie für ihre
Artikel bezahlt werden. Das enorme wirtschaftliche Gewicht von
Cholesterinsenkungspräparaten für die Pharma-Industrie führt nach Ansicht von
Kritikern gerade aus diesem Grunde zu einer ebenso häufigen wie unkritischen
Thematisierung von Cholesterin und Cholesterinsenkern in Publikumsmedien.
Die Abhängigkeit der meisten an medizinische Praktiker (niedergelassene Ärzte oder
Krankenhausärzte) gerichteten medizinischen Publikationen (z. B. Ärzte-Zeitung,
Medical Tribune, Der Internist) vom Werbebudget der großen Pharmakonzerne
22


verhindere eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema in solchen Zeitschriften.
Die Redaktion der Fachpublikation „BDI aktuell“ des Berufsverbandes deutscher
Internisten (BDI) führt einen kritischen Artikel zum Thema Cholesterinsenkung mit
den Worten ein: „... und kommt zu Schlussfolgerungen, die Deutschland-weit kein
Anzeigen-finanziertes medizinisches Blatt zu drucken bereit wäre.“[13]
Apotheken partizipieren in Deutschland mit einer Gewinnspanne von 3 % und einem
Festzuschlag von 5,80 Euro (8,10 Euro abzüglich eines Kassenrabatts von 2,30 Euro)
pro Packung an den Medikamentenumsätzen. Wie für die Pharmaindustrie stellen
Cholesterinsenker daher auch für Apotheken einen Hauptumsatzträger dar.
Gleichzeitig spielen Apothekerfunktionäre und Apotheker eine wesentliche Rolle bei
der Aufrechterhaltung der öffentlichen Aufmerksamkeit für das Thema
Cholesterinspiegel-Messung und -Senkung. So treten etwa Funktionäre von
Apothekerkammern oder Apothekerverbänden in Gesundheitssendungen als
„Cholesterin-Experten“ auf oder veröffentlichen Ratgeber zum Thema
Cholesterinsenkung. Zahlreiche Apotheken wirken bei dem von der Lipid-Liga
veranstalteten „Tag des Cholesterins“ mit. Darüber hinaus wird das Thema in den in
Apotheken ausliegenden kostenlosen Publikationen regelmäßig im Sinne der
Cholesterin-KHK-Hypothese aufgegriffen. Kritiker stellen angesichts der klaren
Interessenkollision in Frage, ob bei diesem Engagement ausschließlich das
Patientenwohl im Vordergrund steht.[14][15][16]
Auf politischer Ebene spielen industrienahe Denkfabriken wie das „Stockholm
Network“ eine große Rolle bei der Verbreitung der Botschaft, dass
Cholesterinsenkung notwendig und nützlich sei. So veröffentlichte das „Stockholm
Network“ mit seiner Unterorganisation „Centre for the New Europe“ (CNE) im Jahre
2006 eine Studie mit dem Titel „Cholesterin: Die öffentlichen Politik - Implikationen,
des nicht genugtuns “ (Cholesterol: The Public Policy Implications of Not Doing
Enough) und prophezeit eine „Gesundheitskrise“ bis 2020, falls die gegenwärtige
Praxis des „Cholesterin-Managements“ nicht im Sinne einer verstärkten Anwendung
von Cholesterinsenkungspräparaten geändert würde. Zu den Gründern des „Stockholm
Network“ gehört Pfizer-Vorstand Michael W. Hodin; im Vorstand des CNE sitzt
darüber hinaus Catherine Windels, die gleichzeitig als „Director of International
Affairs“ für Pfizer tätig ist. Berichten zufolge erhält das CNE über 50 % seiner
Finanzierung alleine von Pfizer, dessen Hauptumsatzträger der Cholesterinsenker
Lipitor/Sortis ist, daneben soll auch der Pharmakonzern Merck Sharp & Dohme
(MSD), Hersteller der Cholesterinsenker Zocor und Ezetrol (Ezetimb), zur
Finanzierung der Organisation beitragen. Zocor ist mit 4,4 Milliarden Dollar
Jahresumsatz (2005) Hauptumsatzträger von MSD. Der genannte Bericht selbst wurde
nach Angaben des Stockholm Network durch die Pharmakonzerne MSD und Schering
Plough Corporation finanziert; letzterer vermarktet Ezetrol gemeinsam mit
MSD.[17][18][19][20][21][22][23][24]
23
Cholesterin und Schlaganfallrisiko
Ein hoher Cholesterinspiegel wird häufig als Risikofaktor für Schlaganfälle dargestellt. Die
industrienahe Lipid-Liga bezeichnet Cholesterin als einen der wichtigsten Risikofaktoren für
Schlaganfälle[25], und gelegentlich wird Cholesterin sogar als „der wichtigste Risikofaktor“[26]
für Schlaganfälle dargestellt, und eine Senkung des Cholesterinspiegels wird als
Vorbeugemaßnahme empfohlen.
Tatsächlich existiert nach Studienlage kein Zusammenhang zwischen dem Cholesterinspiegel
und dem Schlaganfallrisiko, der diese Behauptung rechtfertigen würde, und eine mögliche
Rolle des Serum-Cholesterins bei der Entstehung von Schlaganfällen und ein Nutzen von
cholesterinsenkenden Medikamenten ist umstritten.[27]
Serum-Cholesterinspiegel und Schlaganfallrisiko
In der Framingham-Studie, der größten zu dieser Fragestellung vorliegenden Kohortenstudie,
findet sich keinerlei Korrelation zwischen dem Cholesterinspiegel und dem
Schlaganfallrisiko.[28]
Auch eine Metaanalyse von 45 Kohortenstudien mit insgesamt 450.000 beobachteten
Individuen und über 13.000 beobachteten Schlaganfällen ergab keinerlei Korrelation
zwischen dem Cholesterinspiegel und dem Schlaganfallrisiko. Allenfalls bei unter 45-jährigen
Patienten besteht möglicherweise eine leichte positive Korrelation.[29]
Andere Studien zeigen bei jungen Frauen ebenfalls eine positive Korrelation zwischen dem
(in diesem Alter allerdings absolut gesehen sehr geringen) Schlaganfallrisiko und dem
Cholesterinspiegel, während bei älteren Frauen ab dem 50. Lebensjahr das Schlaganfallrisiko
mit steigendem Cholesterinspiegel sogar sinkt.[30]
Unterscheidet man zwischen den unterschiedlichen Arten von Schlaganfällen, so sind niedrige
Cholesterinspiegel mit einem leicht erhöhten Risiko für hämorrhagische Schlaganfälle
verbunden, während hohe Cholesterinspiegel mit einem leicht erhöhten Risiko für
ischämische Schlaganfälle einhergehen.[31]
Cholesterinsenkende Medikamente und ihr Einfluss auf das SchlaganfallRisiko
Bis heute liegt keine randomisierte Studie vor, die dafür angelegt war, den Einfluss von
Cholesterinsenkung auf das Schlaganfallrisiko zu untersuchen. Allerdings können die
vorliegenden Cholesterinsenkungs-Studien zur KHK-Prävention, meist mit KHKHochrisikopatienten (i. d. R. mit vorangegangenem Herzinfarkt oder Diabetes) als Probanden,
als Grundlage für entsprechende Auswertungen herangezogen werden.
In einer im Jahr 2003 veröffentlichten Meta-Analyse von 38 randomisierten
Cholesterinsenkungs-Studien mit unterschiedlichen Präparaten zeigte sich in der
Behandlungsgruppe eine zwar geringe aber statistisch signifikante relative Reduzierung der
Schlaganfall-Häufigkeit um 17 Prozent, gleichzeitig jedoch eine nicht signifikante Zunahme
der tödlichen Schlaganfälle um 9 Prozent.[32] Statine sind dabei die einzige Wirkstoffgruppe,
die zu einer statistisch signifikanten Reduzierung des Schlaganfallsrisikos führt.
Möglicherweise ist hierfür allerdings die geringe aber statistisch signifikant nachgewiesene
24
blutdrucksenkende Wirkung von Statinen verantwortlich; Bluthochdruck gilt als wichtiger
Schlaganfall-Risikofaktor.[33]
In der einzigen vorliegenden randomisierten Cholesterinsenkungsstudie mit älteren Patienten
(PROSPER) zeigte sich ebenfalls ein Rückgang nichttödlicher ischämischer Schlaganfälle bei
einer gleichzeitigen Zunahme tödlicher Schlaganfälle. In der im Jahre 2005 veröffentlichten
4D-Studie mit unter Typ2-Diabetes leidenden Dialysepatienten kam es zu einer statistisch
signifikanten Verdopplung der tödlichen Schlaganfälle in der mit Statinen behandelten
Gruppe (siehe Abschnitt „Studien“).
Cholesterin und Krebserkrankungen
Serum-Cholesterinspiegel und Krebsrisiko
Bei Krebserkrankung ist der Cholesterinspiegel z.B. von Brustkrebskranken Frauen im
Vergleich zu Gesunden erhöht.[34][35] Bei fortschreitendem Leberkrebs wird die
Cholesterinbildung eingeschränkt und als Folge sinkt auch der Serum-Cholesterinspiegel.
Cholesterinsenkende Medikamente und ihr Einfluss auf das Krebsrisiko
Von besonderer Bedeutung ist darüber hinaus die Fragestellung, ob eine Cholesterinsenkung
eine präventive Wirkung gegenüber bestimmten Krebserkrankungen hat, oder ob diese die
Entstehung von Krebserkrankungen sogar begünstigt.
Erhöhung des Krebsrisikos
Eine im Juli 2007 veröffentlichte Metaanalyse von prospektiven Cholesterinsenkungsstudien
ergab eine signifikante Korrelation des Krebsrisikos mit der Einnahme von Statinen. Je
niedriger die erzielten LDL-Cholesterinwerte, desto höher war der Anteil der Patienten, die an
Krebs erkrankten. Innerhalb einer Beobachtungsdauer zwischen einem und fünf Jahren wurde
in der Gruppe der Patienten mit den niedrigsten erzielten LDL-Cholesterinspiegeln etwa eine
zusätzliche Krebserkrankung auf 1000 Patienten beobachtet. [36]
In der 1996 veröffentlichten CARE-Studie[37] hatte sich ein hochsignifikanter Anstieg der
Brustkrebsfälle in der mit Pravastatin behandelten Gruppe gezeigt (von 1 auf 12). In der 2002
veröffentlichten PROSPER-Studie[38] mit einem im Vergleich zu anderen Statin-Studien
vergleichsweise hohen mittleren Alter (und damit Krebsrisiko) der Probanden fand sich ein
statistisch signifikanter Anstieg von Krebserkrankungen in der mit Pravastatin behandelten
Gruppe. Auch in der 4S- und HPS-Studie zeigte sich jeweils ein (nicht signifikanter) Anstieg
von Krebserkrankungen in der mit Simvastatin behandelten Gruppe.[39]
Senkung des Krebsrisikos
In den letzten Jahren fand auf der Grundlage verschiedener Fall-Kontroll-Studien die
gegenteilige Hypothese große Beachtung, Statine hätten möglicherweise gegen verschiedene
Krebserkrankungen (u. a. Prostata-Karzinom[40], Kolorektal-Karzinom[41], Brustkrebs[42],
Nierenkrebs[43]) sogar eine vorbeugende Wirkung. Grundlage für die zum Teil euphorische
Medienberichterstattung[44] war folgende Beobachtung: Unter denjenigen Patienten, die die
jeweilige Krebserkrankung entwickelt hatten, war der Anteil der Patienten, die
25
Cholesterinsenker eingenommen hatten niedriger, als in einer Vergleichsgruppe ohne
Krebserkrankung.
Solche nicht randomisierten Fall-Kontroll-Studien sind allerdings statistisch nur begrenzt
aussagekräftig[45], und erlauben insbesondere keinerlei Aussage über UrsacheWirkungsbeziehungen (siehe auch Fall-Kontroll-Studie). Der hier beobachtete Effekt kann
beispielsweise auch darauf beruhen, dass Patienten mit hohem Cholesterinspiegel, die
bekanntermaßen eine niedrigere Krebsrate haben, häufiger Cholesterinsenker verschrieben
bekommen. Bei dieser Verschreibungspraxis würde sich auch bei einem völlig wirkungsfreien
Medikament ergeben, dass diejenigen Patienten, die das Medikament einnehmen, eine
niedrigere Krebsrate aufweisen.
Kein Einfluss auf Krebsrisiko
Die Fragestellung, ob Statine eine präventive Wirkung gegen das Kolorektal-Karzinom
haben, wurde in einer 2006 veröffentlichten Analyse einer großen Kohortenstudie geprüft. Es
fand sich jedoch eine nicht signifikante Erhöhung des Krebsrisikos bei der Patientengruppe,
die mit cholesterinsenkenden Mitteln behandelt worden war[46].
Eine im gleichen Jahr erschienene Meta-Analyse der zahlreichen Statin-Studien kommt
gleichfalls zu dem Schluss, dass eine Cholesterinsenkung mit Statinen eindeutig keine
präventive Wirkung gegenüber Krebserkrankungen hat, weder auf die Gesamtheit aller
Krebserkrankungen noch auf einzelne Krebsarten, die Entstehung von Krebs jedoch auch
nicht statistisch signifikant begünstigt. [47]
Die eindeutig negativen Ergebnisse der beiden letztgenannten Studien lassen weitere Studien
zu der erhofften krebspräventiven Wirkung von Cholesterinsenkungspräparaten nach
Einschätzung von Experten nicht sinnvoll erscheinen.[48]
Cholesterin und Ernährung
Das Hühnerei wird wegen des hohen Cholesteringehalts im Eigelb häufig als
„Cholesterinbombe“ angeprangert.
Nach einer Diagnose eines hohen Cholesterinspiegels wird in der Regel als erste Maßnahme
eine fettmodifizierte und cholesterinarme Ernährung empfohlen. Diese Empfehlung ist
allerdings umstritten.
Empfehlung bei hohem Cholesterinspiegel
26
Gemäß den Empfehlungen der DGFF (Lipid-Liga) sollten hierbei folgende Punkte bei der
Nahrungsaufnahme bedacht werden:
1.
2.
3.
4.
5.
6.
Weniger fettes Fleisch, Innereien, Wurstwaren, Käse und Eigelb
Fettarme Zubereitung
Weniger tierische Lebensmittel
Mehrmals am Tag frisches Obst und Gemüse
Verwendung von Pflanzenöl
Verzicht auf Alkohol
Einfluss der Ernährung auf den Cholesterinspiegel
Kritiker halten dagegen, dass der Einfluss einer kurzfristigen Nahrungsumstellung auf den
Cholesterinspiegel nur gering ist, da die Nahrungsaufnahme nur ein geringer Anteil bei der
Bildung von Cholesterin ist.
Eine prospektive Studie, die Verbundstudie Ernährungserhebung und Risikofaktoren Analytik
(VERA, von 1985 bis 1988 mit 25.000 Teilnehmern) ergab, dass auch bei verschiedenen
Mengen von gesättigten, aber auch ungesättigten Fettsäuren sowohl die HDL- als auch die
LDL-Werte sich, wenn überhaupt, nur minimal änderten. Dagegen wird wiederum
eingewendet, die Zusammensetzung des LDLs werde ignoriert: es gebe Hinweise, dass es
einen Unterschied machen würde, mit welchen Fettsäuren (überwiegend ungesättigt wie bei
Veganern versus überwiegend gesättigte) das Lipoprotein LDL „bestückt“ sei. Die
Oxidierbarkeit des LDLs, und damit eine potenzielle Schädigung der Gefäße, hänge von den
transportierten Fettsäuren ab, und hier würden die ungesättigten Fettsäuren besser
abschneiden - besonders in Verbindung mit Vitamin E, welches ebenfalls in den LDLMolekülen im Blut transportiert wird. Selbst wenn sich diese Zusammenhänge bestätigen
sollten, bleibt unbewiesen, dass der Anteil ungesättigter Fette an der Nahrung seinerseits
Einfluss auf die Zusammensetzung des LDLs hat, und welche ungesättigten Fettsäuren dabei
welche Wirkung haben.
Allerdings lässt sich durch eine langfristige drastische Verringerung der Fettzufuhr, z. B.
durch einen verlängerten Fastentest, auch der Cholesterinspiegel senken. Bei Vegetariern und
Veganern werden verringerte Cholesterinspiegel beobachtet, deren Ursache allerdings nicht
geklärt ist: sie können auf ihrer geringen Cholesterinaufnahme mit der Nahrung beruhen, aber
auch Nebeneffekt einer insgesamt gesundheitsbewußteren Lebensweise sein. Dafür spricht,
dass man (gegenüber US-Amerikanern) deutlich verringerte Cholesterinwerte auch in
Gruppen gefunden hat, die sich fast ausschließlich von Milch und Fleisch ernähren (belegt für
Massai-Angehörige und von Samburu-Männer).
Nicht beobachtet werden konnte umgekehrt eine Erhöhung des Cholesterinspiegels (über als
normal geltende Werte hinaus) durch eine besonders cholesterinhaltige Nahrung. Dies belegt
etwa eine Studie an der Universität Missouri-Columbia, bei der selbst ein wöchentlicher
Verzehr von 24 Eiern den Cholesterinspiegel nicht steigern konnte.
Einfluss der Ernährung auf den Cholesterinspiegel durch Prostaglandine
Neben der umstrittenen These des Einflusses von direkter Aufnahme von Cholesterin in der
Nahrung besteht auch ein Einfluss der Ernährung auf die Cholesterinsynthese durch die
Beeinflussung der Synthese von Prostaglandinen. Prostaglandine sind Gewebshormone, die
27
unter Anderem die Synthese von Cholesterin steuern, wobei ein Prostaglandin in die eine
Richtung wirkt (etwa das cholesterinsenkende Serie-1 PGE1) und ein anderes gegensätzlich
(hier Serie-2 PGE2). Die Bildung von Serie-1 oder Serie-2 Prostaglandinen wiederum wird
durch das Verhältnis von mehrfach ungesättigten Fettsäuren (omega-3 zu omega-6) in der
Nahrung beeinflusst[49][50]. Prostaglandine steuern außer der Cholesterinsynthese auch andere
Faktoren der Entstehung von Arteriosklerose, so z.B. Lipoprotein(A) und
Entzündungsparameter. Die Ernährungsempfehlungen, um die Prostaglandine günstig zur
Cholesterinsenkung zu beeinflussen, wären etwa:



Erhöhung des Anteils an Omega-3-Ölen (Leinöl, Walnussöl) generell,
Erhöhung des Verhältnisses von Omega-3-Ölen zu Omega-6-Ölen,[51]
direkte Aufnahme von langkettigen Omega-3-Fettsäuren („Fischöl“).[52]
Cholesterin und Schwangerschaft
Niedrige Cholesterinspiegel der werdenden Mutter (Gesamtcholesterin unter 160 mg/dl) sind
ein Risikofaktor für Frühgeburt und niedriges Geburtsgewicht.[53]
Cholesterin und Muttermilch
Muttermilch enthält einen sehr hohen Anteil an Cholesterin (ca. 25 mg / 100 g, Kuhmilch
enthält nur ca. 12 mg / 100 g). Es wird vermutet, dass der höhere Cholesterinanteil der
Muttermilch dafür verantwortlich sein könnte, dass gestillte Kinder später im Mittel einen
höheren IQ entwickeln, auch weil bekannt ist, dass Cholesterin beim Aufbau des Gehirns und
Nervensystems eine wesentliche Rolle spielt. Babynahrungshersteller verzichten auf die
Anreicherung von Muttermilch-Ersatz mit Cholesterin, vermutlich weil sie wegen negativer
Assoziationen der Verbraucher mit diesem Stoff mit Absatzproblemen rechnen müssten.
Cholesterin, Psyche und Gedächtnis
Cholesterin und Gewaltbereitschaft
In einer im Jahre 2005 veröffentlichten Studie zeigte sich ein statistisch signifikanter
Zusammenhang zwischen einem niedrigen Gesamtcholesterinspiegel bei Kindern und
Schulverweisen. Kinder und Jugendliche mit einem Gesamtcholesterinspiegel unterhalb des
25-Prozent-Perzentils (<145 mg/dl) hatten eine fast dreifach erhöhte Wahrscheinlichkeit, in
ihrer Schullaufbahn von der Schule verwiesen worden zu sein. Dies wird von den Autoren als
weiterer Hinweis dafür gewertet, dass niedrige Cholesterinspiegel mit einer erhöhten
Aggressivität im Zusammenhang stehen.[54]
Cholesterin und Depressionen
Niedrige Cholesterinspiegel haben sich in verschiedenen Studien als Risikofaktor für das
Auftreten von Depressionen herausgestellt. So zeigte sich beispielsweise bei jungen,
gesunden Frauen mit einem Gesamtcholesterinspiegel unterhalb von 4,14mmol/l (160 mg/dl)
ein etwa doppelt so hohes Risiko für das Auftreten von Depressionen wie bei Frauen mit
mittlerem bis hohem Cholesterinspiegel.[55]
Auch die Einnahme von cholesterinsenkenden Medikamenten begünstigt offenbar die
Entstehung von Depressionen. So zeigte sich in einer Studie an 234 älteren, depressiven
28
Patienten, dass diejenigen Patienten, die Cholesterinsenker einnahmen, ein statistisch
signifikant um fast 80% erhöhtes relatives Risiko für das Auftreten eines Rückfalls hatten als
Patienten ohne diese Medikation.[56] In einer placebokontrollierten Studie an über 70-jährigen
Patienten zeigte sich, dass die Stimmungslage der Patienten in der mit einem
Cholesterinsenker behandelten Patientengruppe statistisch signifikant negativ beeinträchtigt
war.[57]
Von möglichen positiven Auswirkungen der Statin-Einnahme auf die Psyche berichtet eine
Kohortenstudie, in der Patienten, die über Zeitraum von vier Jahren ununterbrochen Statine
eingenommen hatten mit solchen Patienten verglichen wurden, die gar nicht oder nur mit
Unterbrechungen Statine eingenommen hatten. In der ersten Gruppe zeigte sich eine
reduzierte Prävalenz von Depressionen, die jedoch nicht mit dem Maß der
Cholesterinsenkung in Zusammenhang stand.[58] Die Aussagekraft dieser Studie ist jedoch
dadurch beeinträchtigt, dass Patienten, die z. B. wegen möglicher Nebenwirkungen der
Medikamenteneinnahme aus der Studie ausschieden, in der Auswertung nicht berücksichtigt
werden konnten.
Cholesterin und Gedächtnis
In verschiedenen Studien wurde der Einfluss einer Cholesterinsenkung auf die
Gedächtnisleistung untersucht. In einer im Jahr 2000 veröffentlichten Studie an 192 gesunden
Erwachsenen zeigte sich, dass sowohl die Gedächtnisleistung als auch die Aufmerksamkeit
der Probanden in der mit Lovastatin behandelten Gruppe signifikant schlechter ausfiel als in
der Kontrollgruppe. Der Leistungsunterschied war signifikant verknüpft mit den absoluten
LDL-Cholesterinwerten nach der Behandlung, d. h. niedrigere Cholesterinwerte gingen mit
einer schlechteren Gedächtnisleistung einher. Auch in einer an 326 Frauen mittleren Alters
durchgeführten und 2003 veröffentlichten Studie zeigte sich eine lineare Korrelation der
Gedächtnisleistung mit dem LDL-Cholesterinspiegel.
In einem im Jahr 2003 veröffentlichten Übersichtsartikel werden 60 Fälle von totalem
Gedächtnisverlust im Zusammenhang mit einer Statin-Behandlung beschrieben. Nach
Absetzen der Statin-Behandlung verschwanden in etwas weniger als der Hälfte der
dokumentierten Fälle die Gedächtnisstörungen ganz oder teilweise.
Cholesterinsenkung und Albträume
Niedrige Serum-Cholesterinspiegel stehen offenbar mit dem Auftreten von nächtlichen
Albträumen in Verbindung.[59] Darüber hinaus gibt es einzelne Fallberichte, in denen ein
direkter Zusammenhang zwischen der Einnahme von Cholesterinsenkern und dem Auftreten
von Albträumen beschrieben wurde.[60]
Arzneimittel
Die ersten Mittel zur Senkung des Cholesterinspiegels waren Gallensäureaustauscherharze
(Cholestipol). Später kamen dann Fibrate sowie Nikotinsäurepräparate und deren Derivate auf
den Markt. Heute werden in diesem Indikationsbereich fast nur noch Statine und
Cholesterinwiederaufnahmehemmer eingesetzt, in Einzelfällen noch Fibrate.
29
Fibrate
Derzeit sind die Wirkstoffe Bezafibrat, Fenofibrat und Gemfibrozil im Einsatz. Fibrate
zeichnen sich durch eine gute Triglyceridsenkung aus und werden heute deshalb vor allem bei
Diabetikern eingesetzt.
Statine
Als die zur Zeit wirksamsten Medikamente zur Senkung des Cholesterinspiegels gilt die
Gruppe der Statine. Sie gehören zur Gruppe der HMG-CoA-Reduktase-Hemmer (CSEHemmer), da sie das Schlüsselenzym der Cholesterinsynthese in der Zelle, die β-Hydroxy-βmethylglutaryl-Coenzym-A-Reduktase hemmen. Als Folge stellt die Zelle benötigtes
Cholesterin nicht mehr selbst her, sondern nimmt Cholesterin aus dem Blut, über LDLRezeptoren, auf.
Derzeit sind in Deutschland die Wirkstoffe Lovastatin, Simvastatin, Pravastatin, Fluvastatin
und Atorvastatin am Markt. Der Wirkstoff Cerivastatin (Zenas, Lipobay) wurde im Jahr 2001
vom Hersteller Bayer vom Markt genommen, nachdem – vor allem, da es trotz
Warnhinweisen in einer riskanten Kombination mit Fibraten verordnet wurde – Todesfälle
und schwere Gewebeschäden im Zusammenhang mit der Einnahme des Medikaments
aufgetreten waren. Der Wirkstoff Rosuvastatin befindet sich derzeit im Zulassungsverfahren
und ist in einigen europäischen Ländern bereits im Handel (Crestor). Statine bewirken eine
starke LDL-Senkung, aber eine eher schwache Triglycerid-Senkung und HDL-Steigerung.
Ezetimib
Der relativ neuartige Wirkstoff Ezetimib ist ein im Darm wirkender, selektiver
Cholesterinwiederaufnahmehemmer, der gezielt das Niemann-Pick C1-Like 1 (NPC1-L1)Protein blockiert. NPC1-L1 sitzt in der Membran von Entherozyten der Dünndarmwand und
ist für die Aufnahme von Cholesterin und Phytosterolen aus dem Darm zuständig. Laut
Fachinformation ist Ezetimib für folgende Anwendungsgebiete zugelassen:
Primäre Hypercholesterinämie
Ezetimib ist zusammen mit einem HMGCoA-Reduktase-Hemmer (Statin) eingenommen
begleitend zu Diät angezeigt zur Anwendung bei Patienten mit primärer (heterozygoter
familiärer und nicht familiärer) Hypercholesterinämie, bei denen die Therapie mit einem
Statin allein nicht ausreicht.
Monotherapie
Eine Monotherapie mit Ezetimib ist begleitend zu Diät angezeigt zur Anwendung bei
Patienten mit primärer (heterozygoter familiärer und nicht familiärer) Hypercholesterinämie,
bei denen ein Statin als ungeeignet erachtet oder nicht vertragen wird.
Homozygote familiäre Hypercholesterinämie (HoFH)
Ezetimib ist zusammen mit einem Statin eingenommen begleitend zu Diät angezeigt zur
Anwendung bei Patienten mit homozygoter familiärer Hypercholesterinämie. Die Patienten
können weitere begleitende Therapien (wie LDL-Apherese) erhalten.
30
Homozygote Sitosterinämie (Phytosterinämie)
Ezetimib ist begleitend zu Diät angezeigt zur Anwendung bei Patienten mit homozygoter
familiärer Sitosterinämie.
Studien, welche die Wirkung von Ezetimib zur Prävention der Komplikationen von
Atherosklerose belegen, sind noch nicht abgeschlossen
Studien
In zahlreichen Studien wurde die Auswirkung des Cholesterinspiegels auf die Inzidenz von
Herz-Kreislauferkrankungen untersucht, aber auch andere Fragestellungen im Zusammenhang
mit dem Cholesterinspiegel. Die Vielzahl der Studien macht das Heranziehen einzelner
Studien zur Begründung eines Effekts grundsätzlich problematisch, da die Durchführung
mehrerer Studien zur Beantwortung der gleichen Fragestellung die vermeintliche statistische
Signifikanz einer einzelnen Studie außer Kraft setzen kann. So genügen im Mittel zwanzig für
sich betrachtet methodisch korrekt angelegte Studien, um einen nicht vorhandenen Effekt
einmal statistisch signifikant „nachzuweisen“. Metastudien gewinnen daher im
Zusammenhang mit der Cholesterin-Thematik ein besonderes Gewicht. Auch diese sind
jedoch durch den sogenannten „Publikationsbias“ (engl) beeinflusst.
Framingham-Studie
Eine der wegweisenden Studien auf dem Gebiet der Untersuchung von KHK-Risikofaktoren
war die Framingham-Studie, die heute als die wichtigste epidemiologische Studie der USA
gilt. Sie untersuchte 6.000 Personen zweier Generationen in Framingham/Massachusetts.
Über die Framingham wurden bis zum heutigen Tag über 1.000 wissenschaftliche
Publikationen erstellt. Im Rahmen dieser Studie wurden unter anderem nachgewiesen, dass
Rauchen und Übergewicht wichtige KHK-Risikofaktoren sind. Es ergab sich darüber hinaus,
dass bei Männern im Alter von 30–59 Jahren das Auftreten von KHK entsprechend dem
Cholesteringehalt im Blut erhöht ist. Bei Männern in den Dreißigern wiesen die Personen mit
dem höchsten Gesamtcholesteringehalt im Blut ein viermal höheres Risiko auf als diejenigen
mit dem geringsten Cholesterin. Für Frauen und für Personen über 50 Jahre zeigte sich kein
solcher Zusammenhang.
Eine Prüfung der Framingham-Studie im Jahre 1987 zeigte, dass eine Absenkung des
Cholesterinspiegels um 1 mg/dl tatsächlich zu einer Steigerung der Gesamttodesrate von 11 %
und zu einer Steigerung der Todesrate durch Herzkrankheiten um 14 % führt. Die Darstellung
in der ursprünglichen Veröffentlichung wurde teilweise kritisiert, da in ihr der gegenteilige
Eindruck erweckt worden sein soll. Die Framingham-Studie ist in der Zwischenzeit als eines
der Musterbeispiele zum Interpretationsspielraum von Studien in die Lehrbücher
eingegangen.
Metastudien
Das American National Heart, Lung and Blood-Institute führte Metastudien zum
gesundheitlichen Nutzen der Cholesterinsenkung durch. 19 Studien wurden analysiert.
Untersucht wurden 650.000 Menschen und 70.000 Todesfälle: Geringe Cholesterinspiegel
gehen nicht mit einer allgemeinen Erhöhung der Lebenserwartung einher, sondern beziehen
sich nur auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen, sie erhöhen das Risiko von Schlaganfällen und das
31
Krebsrisiko. Allerdings ist immer noch umstritten, wo hier Ursache und Wirkung liegen; zum
Zeitpunkt der Messung könnten niedrige wie auch hohe Cholesterinspiegel auch durch (noch
nicht diagnostizierte) Krankheiten im Anfangsstadium verursacht sein. Als gesichert gilt, dass
sehr hohe, sehr niedrige und fallende Cholesterinspiegel mit einer erhöhten Mortalität
verbunden sind, wobei unklar bleibt, ob das Cholesterin Ursache oder eben nur Indiz eines
verschlechterten
Naturstoffe (engl. natural products) sind chemische Stoffe, welche aus der belebten oder
unbelebten Natur gewonnen werden.[1] Naturstoffe besitzen häufig biologische Aktivität und
finden auch als Arzneistoffe Anwendung. Auch wenn der Begriff Naturstoff sich sprachlich
und inhaltlich vom Kunststoff absetzt, können auch totalsynthetisch gewonnene Substanzen
als Naturstoffe betrachtet werden, nach anderer Definition sind sie naturidentische Stoffe
(Beispiele für Unterscheidungen aufgrund gesetzlicher Vorgaben: Ascorbinsäure und Vitamin
E).
Bekannte Beispiele für Naturstoffe, die als Arzneistoffe verwendet werden, sind Penicilline,
Aminoglykoside und andere Antibiotika, Taxol, Morphin, Cyclosporin, Mevastatin und
Digitalisglykoside. Naturstoffe zeichnen sich oft durch ihre hohe chemische/strukturelle
Komplexität aus, was eine rein synthetische Herstellung erschwert oder verhindert. Außerdem
zeichnen sich Naturstoffe häufig dadurch aus, dass sie ein äußerst komplexes Gemisch einer
Vielzahl einander sehr ähnlicher Stoffe (z. B. Isomere oder Polymere differierender
Kettenlänge bzw. Verzweigung) darstellen. Eben dieser hohe Grad an Komplexität und
Diversität macht die Naturstoffchemie ziemlich unübersichtlich, führt allerdings auch zur
einmaligen Stellung der Naturstoffe als Therapeutika unterschiedlicher Krankheitsbilder. Die
Reindarstellung von Naturstoffen gestaltet sich in der Regel als anspruchsvolles Unterfangen.
Die Einteilung von Naturstoffen in verschiedene Klassen ist über ihre Produzenten
(Bakterien, Pilze, etc.) sowie ihre chemische Struktur (Polyketide, Nichtribosomale Peptide,
Terpene, Glykoside, etc.) möglich.
Inhaltsverzeichnis


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
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
1 Definition im Chemikalienrecht
2 Quellen von Naturstoffen
o 2.1 Mineralische Naturstoffe
o 2.2 Naturstoffe aus Pflanzen
o 2.3 Naturstoffe aus Bakterien
o 2.4 Marine Naturstoffe
3 Verwendung
4 Gefahrstoffe
o 4.1 Toxine
o 4.2 Reizstoffe
o 4.3 Entzündliche Stoffe
5 Siehe auch
6 Einzelnachweise
32
Definition im Chemikalienrecht
In der Verordnung EG 1907/2006 („REACH“) wird ein Naturstoff, wie folgt, definiert:
natürlich vorkommender Stoff als solcher, unverarbeitet oder lediglich manuell, mechanisch
oder durch Gravitationskraft, durch Auflösung in Wasser, durch Flotation, durch Extraktion
mit Wasser, durch Dampfdestillation oder durch Erhitzung zum Wasserentzug verarbeitet
oder durch beliebige Mittel aus der Luft entnommen.
Quellen von Naturstoffen
Die Gewinnung von Naturstoffen erfolgt aus unterschiedlichen Mineralien, Pflanzen, Tieren
oder Mikroorganismen. Hierzu werden Blätter, Nadeln, tierische Gewebe oder
Fermentationsbrühen extrahiert. Ein so hergestellter Rohextrakt besteht aus einem Gemisch
unterschiedlicher Substanzen, die durch aufwändige Trennmethoden gereinigt werden müssen
um das sogenannte aktive Prinzip zu isolieren. Da Naturstoffe zumeist keine ersichtliche
Bedeutung für den Organismus, aus welchem sie gewonnen werden besitzen, handelt sich
zumeist um sogenannte Sekundärmetabolite.
Mineralische Naturstoffe
Hierzu gehören beispielsweise Wasser, Edelsteine, Kalk.
Naturstoffe aus Pflanzen
Die ältesten bekannten pharmazeutischen Substanzen entstammen der Ethnomedizin. So
waren die schmerzlindernden und fiebersenkenden Wirkungen der Weidenrinde (Salix,
Salicylat enthaltend) oder die Antimalariaaktivität der Artemisia annua lange vor der
Entdeckung ihres aktiven Prinzips bekannt.
Beispiele für pflanzliche Wirkstoffe sind Chinin, Kokain, Digitalis oder Opium. Neben diesen
altbekannten Naturstoffen sind Pflanzen auch für die moderne pharmazeutische Forschung
von immenser Bedeutung. Das aus der pazifischen Eibe (Taxus brevifolia) isolierte Taxol
dient unter dem Namen Paclitaxel als Antikrebsmedikament, die Bekämpfung der Malaria ist
durch die Anwendung des Artemisinins aus Artemisia annua verbessert worden. Häufig sind
die Produzenten der aus Pflanzen isolierten Naturstoffe nicht die Pflanzen selbst sondern in
Symbiose (vgl. Endosymbiontentheorie) lebende Bakterien und Pilze.
Naturstoffe aus Bakterien
Viele der Bakterien, welche Anwendung als Produzenten von Naturstoffen finden, werden aus
Erdproben isoliert. Ihre Fermentation in großen Volumina von Nährmedien macht eine
Isolierung der aktiven Substanzen möglich. Den größten Bekanntheitsgrad unter den aus
Bakterien isolierten Naturstoffen besitzen Antibiotika wie Erythromycin, Vancomycin,
Rifamycin oder Tetracyclin. Weitere wichtige bakterielle Naturstoffe sind Immunsuppressiva
wie Rapamycin und Tacrolimus und Cytostatika wie Mitomycin und Doxorubicin. Das Suffix
der Nomenklatur bakterieller Naturstoffe richtet sich häufig nach der biologischen Aktivität
und dem produzierenden Organismus. Die Endungen -mycin und -micin stehen für
antibakterielle Aktivität, erstgenannte Substanzen (Bsp. Kanamycin) wurden aus Streptomyces
33
sp., letztgenannte (Bsp. Gentamicin) aus Micromonospora sp. isoliert. Das Suffix -carcin
(Bsp. Tetrocarcin) hingegen deutet eine cytotoxische Aktivität an.
Marine Naturstoffe
Ein in jüngster Zeit stark untersuchtes Gebiet der Naturstoffe beschäftigt sich mit Metaboliten
marinen Ursprungs. Als Produzenten dienen hierbei vor allem Korallen, Schwämme oder
Algen. Ein bekannter Vertreter dieser Naturstoffklasse ist das Discodermolid. Die Gewinnung
solcher Naturstoffe ist aus ökologischer Hinsicht problematisch. Häufig handelt es sich wie
bei Pflanzen um Naturstoffe aus Bakterien und Pilzen, welche (vgl. Naturstoffe aus Pflanzen)
in Symbiose mit Wirtsorganismen wie Schwämmen leben.
Verwendung
Naturstoffe finden in allen Produkten Anwendung, zumindest als Rohstoffe: Nahrungsmittel,
Arzneimittel, Baustoffen, technischen Produkten (Kautschuk als Rohstoff in Reifen, Quarz als
Rohstoff für Glas oder Halbleiter, Erz als Rohstoff im Metallbau), Energieträgern (Mineralöl,
Kohle, Uran), Pflanzenfasern als Rohstoff für Papierprodukte …
Naturstoffe können vielfältig aufbereitet werden: Sammeln, Isolieren, Waschen, Zerkleinern,
mit anderen (Natur-) Stoffen kombinieren …
Gefahrstoffe
Naturstoffe sind nicht prinzipiell gefahrlos, nur weil sie in der Natur vorkommen.
Toxine
Sehr viele Akutgifte sind Naturstoffe (Beispiele: Arsen, Digitalistoxin), aber auch viele Gifte
chronischer Intoxikationen (z. B. Asbest und die meisten Schwermetalle).
Reizstoffe
Praktisch alle hydrophilen Naturstoffe sind als lyophylisierte Trockenpulver reizend,
besonders für Augen und Lunge. Außerdem können praktisch alle Trockenpulver von
Naturstoffen organischen Ursprungs Allergien auslösen (sind allergisierend). Sie werden
daher in manchem Sicherheitsdatenblatt als Reizstoffe ausgewiesen (z. B. die meisten
Aminosäuren). Nach EU-Richtlinie sind solche Naturstoffe jedoch in aller Regel keine
Gefahrstoffe
Die Galle (gr. χολή cholé; lat. bilis) ist eine zähe Körperflüssigkeit, die in der Leber
produziert wird, um in der Gallenblase gespeichert und zu den Mahlzeiten in den
Zwölffingerdarm (Duodenum) ausgeschüttet zu werden. Ihre Färbung wechselt je nach Anteil
der hauptsächlichen Farbstoffe Bilirubin und Biliverdin von gelblich bis grünlich. Stark
eingedickt nimmt sie einen bräunlichen Ton an.
Die Galle dient der Fettverdauung, indem sie Lipide emulgiert, das heißt in kleine, für
fettspaltende Enzyme (Lipasen) angreifbare Tröpfchen zersetzt. Weiterhin ist die Galle ein
34
Ausscheidungsmedium für Substanzen, die schwer wasserlöslich sind und in der Leber in eine
eliminierbare Form gebracht werden.
Die Fortbewegung der Galle in den Gallenwegen einschließlich zugehöriger
Bewegungsabläufe der Gallenblase und Gallengänge wird als Cholekinese bezeichnet.
Inhaltsverzeichnis


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
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
1 Zusammensetzung
2 Physiologie
o 2.1 Bildung
o 2.2 Transport und Speicherung
o 2.3 Bedeutung
o 2.4 Kreislauf der Gallensalze
3 Beschwerden
4 Nutzung
5 Kulturgeschichte
6 Quellen
o 6.1 Literatur
o 6.2 Einzelnachweise
7 Weblinks
Zusammensetzung
Galle besteht zum größten Teil aus Wasser (82 %) in dem
Elektrolytgehalt [1]
anorganische Elektrolyte in einer ähnlichen Zusammensetzung
Ion
Anteil
wie im Blutplasma gelöst sind (siehe Tabelle rechts). Galle ist
leicht alkalisch. Die wichtigsten funktionellen Bestandteile sind
Na+
130–165 mmol/l
jedoch die Gallensalze (12 %), denen eine zentrale Rolle in der
Fettverdauung zukommt. Daneben enthält sie auch Alkalische
K+
3–12 mmol/l
Phosphatasen, eine Gruppe von Enzymen, die Phosphorsäureester
Cl−
90–120 mmol/l
hydrolysieren.
HCO3− 30 mmol/l
Weiterhin findet man in der Galle Lecithin und andere
pH-Wert 8,0–8,5
Phospholipide (4 %), nicht verestertes Cholesterin (0,7 %) und
Abbauprodukte der Leber, die durch die Galle in den
Verdauungstrakt gelangen und von dort mit dem Kot ausgeschieden werden. Zu den letzteren
gehören Bilirubin, das Abbauprodukt des Blutfarbstoffs Hämoglobin, sowie einige Hormone
und Medikamente.
Ihre Farbe erhält die Galle im Wesentlichen durch die Gallenfarbstoffe: das gelbliche
Bilirubin und das grünliche Biliverdin. Bilirubin wird im Darm von den dort ansässigen
Bakterien unter anderem zu Stercobilin, Bilifuscin und Mesobilifuscin abgebaut, die dem
Stuhl seine charakteristische Färbung geben.
Der Transport von Cholesterin in der Galle findet in Mizellen statt, die aus Lecithin,
Cholesterin und Gallensalzen gebildet werden. Das Mischungsverhältnis dieser drei Stoffe
darf nur in sehr engen Grenzen schwanken, damit der Transport des Cholesterins
35
funktionieren kann. Andernfalls kristallisiert das Cholesterin aus und es kommt zur Bildung
von Gallensteinen.
Physiologie
Bildung
Der menschliche Körper produziert täglich etwa 700 ml Galle, die interdigestiv, das heißt
zwischen den Mahlzeiten, in der Gallenblase gespeichert werden.
Galle wird in den Zellen der Leber, den Hepatozyten produziert. Zwischen zwei benachbarten
Hepatozyten befinden sich die Gallenkanälchen (Canaliculi), in die die Galle durch
Transmembrantransport ausgeschieden wird. Diese Canaliculi vereinigen sich zu größeren
Kanälen, die letztendlich die Galle zum Verdauungstrakt befördern (siehe unten).
Stoffe, die in die Canaliculi abgesondert werden, sind Lecithin, konjugierte Gallensalze,
Cholesterin, mit Glucuronsäure konjugierte Hormone und Bilirubin. Mit Glutathion
konjugierte Medikamente können ebenfalls mit der Galle ausgeschieden werden. Die
Hepatozyten entnehmen die konjugierten Gallensalze aus den Sinusoiden, mikroskopischen
Blutgefäßen, die Blut zu den Hepatozyten transportieren.
Die Leberzellen besitzen sowohl in ihrer den Sinusoiden als auch den Canaliculi anliegenden
Zellmembranen Transportproteine (Carrier) speziell für Gallensalze. Aus den Sinusoiden
werden sie mithilfe eines Natrium-Symport-Transportproteins (NTCP = Na+-taurocholate
cotransporting polypeptide) sekundär aktiv aufgenommen, während sie primär aktiv mit Hilfe
eines ATP-abhängigen Transporters (hBSEP: human bile salt export pump, auch cBAT:
canalicular bile acid transporter) in das Lumen der Canaliculi ausgeschieden werden.
Transport und Speicherung
Gallenwege und -blase (hier grün dargestellt)
Die extrahepatischen (außerhalb der Leber gelegenen) Gallenwege beginnen mit dem Ductus
hepaticus communis (gemeinsamer Lebergang), von dem der Ductus cysticus (Verbindung
zwischen Gallenblase und Hauptgallengang) zur Gallenblase abzweigt. Der Abschnitt nach
dieser Abzweigung heißt Ductus choledochus und mündet schließlich zusammen mit dem
Ductus pancreaticus der Bauchspeicheldrüse in den Zwölffingerdarm auf der Papilla duodeni
major.
In der Gallenblase wird die Galle gespeichert und auf etwa zehn Prozent ihres Volumens[2]
eingedickt. Gelangen Lipide mit der Nahrung in den Dünndarm, so regen diese die Produktion
36
des Hormons Cholecystokinin (CCK) in der Dünndarmschleimhaut an. CCK stimuliert die
glatte Muskulatur in der Organwand der Gallenblase, so dass diese sich zusammenzieht und
ihr Inhalt dem Speisebrei im Duodenum beigemischt wird. Erhöhte Aktivität des
parasympathischen Nervus vagus (Vagotonus) hat denselben Effekt. Eine Gallenblase ist
jedoch nicht bei allen Wirbeltieren ausgebildet.
Bedeutung
Die Galle spielt eine wichtige Rolle bei der Aufnahme von Fetten aus der Speise und trägt zur
Neutralisierung des nach Magenpassage stark sauren Speisebreis bei. Sie dient auch der
Ausscheidung verschiedener Substanzen aus dem Körper wie Cholesterin, Bilirubin sowie
vieler Medikamente und ihrer Stoffwechselprodukte. Die Gallebildung ist wesentlich für das
Gleichgewicht des Cholesterins im Körper.
Die Gallensalze dienen der Fettverdauung, indem sie Mizellen mit den wasserunlöslichen
Bestandteilen der Nahrung (Triacylglyceride, freie Fettsäuren, Vitamine und Cholesterin)
bilden und damit deren Transport im Blut ermöglichen. Medikamente und ihre
Abbauprodukte werden mit Glutathion konjugiert und damit wasserlöslich gemacht, um dann
mit der Galle durch den Verdauungstrakt und letztendlich den Kot ausgeschieden zu werden.
Dies betrifft ebenso Stoffwechselprodukte wie Bilirubin, das aus dem Abbau von Hämoglobin
in den Leberzellen entsteht. Weitere Aufgaben sind die Ausscheidung von Schwermetallen,
die Neutralisierung des Zwölffingerdarms nach Magenentleerung und die Aktivierung der
Bauchspeicheldrüsenenzyme. Gallensäuren wirken außerdem bakterizid.
Kreislauf der Gallensalze
Gallensalze werden in primäre und sekundäre Gallensalze unterteilt. Die primären
Gallensalze, Cholat und Chenodesoxycholat, werden von der Leber aus Cholesterin
synthetisiert. Diese werden von Bakterien im Verdauungstrakt teilweise in sekundäre
Gallensalze, Desoxycholat und Lithocholat umgewandelt. Die Gallensalze werden dann im
Verdauungstrakt dekonjugiert, von der Schleimhaut absorbiert und in der Pfortader (Vena
portae), gebunden an Albumin, wieder zur Leber transportiert. Dort werden sie
aufgenommen, wieder mit Taurin und Glycin konjugiert und erneut in die Galle abgesondert.
Dieser Kreislauf wird als Enterohepatischer Gallensalzkreislauf bezeichnet und gewährleistet,
dass der Gallensalzbestand des Körpers von nur zwei bis vier Gramm den Bedarf der
Fettabsorption von 20–30 g decken kann. Dabei zirkuliert er täglich fünf- bis zehnmal. Nur
etwa 0,3–0,6 g Gallensalze gehen verloren und müssen in der Leber neu synthetisiert werden.
Gallensalze, die nicht mit Taurin oder Glycin konjugiert sind, werden sofort wieder
absorbiert, während jene, die konjugiert sind, erst im Ileum (Krummdarm) an der
Fettverdauung teilnehmen.
37
Beschwerden
Gallensteine in der Gallenblase
Bei Störung von Gallebildung oder Gallesekretion beim Menschen auftretende Symptome
lassen sich durch ihre Funktionen bei der Fettverdauung und der Ausscheidung von
Stoffwechselendprodukten erklären. Eine Verstopfung der Gallenwege mit Rückhaltung von
Galle nennt man im medizinischen Sprachgebrauch Cholestase. Bei dieser tritt eine
Fettunverträglichkeit auf, da dieses nur noch in geringem Umfang aus dem Darm absorbiert
werden kann. Höhere Fettzufuhr in der Nahrung führt zu fettigem Stuhl (Steatorrhoe).
Weiterhin tritt der sogenannte posthepatische Ikterus (Gelbsucht) auf, da das
Hämoglobinabbauprodukt Bilirubin, ein gelber Farbstoff, nicht mehr ordnungsgemäß
ausgeschieden werden kann und eine Gelbfärbung der Haut und Schleimhäute verursacht.
Durch das Fehlen der Gallenfarbstoffe nimmt der Stuhl eine lehmartige Färbung an, die als
acholisch bezeichnet wird. Diese Verstopfungen können verschiedene Ursachen wie Tumore
der Bauchspeicheldrüse, Gallenblase, Gallengänge oder des Zwölffingerdarms haben. Eine
andere Ursache können Gallensteine im Ductus hepaticus communis oder im Ductus
choledochus sein. Verlegungen des Ductus cysticus führen nur selten zur Blockade der
Gallenabgabe (Mirizzi-Syndrom).
Gallensteine sind Kristallisationsprodukte, die entstehen, wenn das Mischungsverhältnis
zwischen Lecithin, Cholesterin und den Gallensalzen aus dem Gleichgewicht gerät.
Symptome treten nur in etwa einem Viertel aller Fälle auf. Dazu gehören Koliken,
Druckschmerzen im rechten Oberbauch und die oben erwähnte Gelbsucht. In seltenen Fällen
kommt es auch zu Rückenschmerzen.
Nutzung
Galle-Agar wird aus Rindergalle gewonnen und ist ein in der Mikrobiologie verwendeter
Nährboden. Abhängig vom neben der Galle enthaltenen Substrat können zahlreiche Keime
wie zum Beispiel Streptokokken, Salmonellen und Shigellen, aber auch Pilze angezüchtet
werden. Sollen Salmonellen aus dem Blut eines Patienten angereichert werden, so wird eine
Galle-Bouillon, bestehend aus drei Teilen Galle und einem Teil Blut, gemischt. In ihr können
sich die Salmonellen vermehren.
Für die Herstellung von Gallseife wird ebenfalls Rindergalle verwendet.
38
Kulturgeschichte
Das Wort Galle (mhd. galle, ahd. galla) leitet sich von der indogermanischen Wurzel *ghel-,
„gelb, grün“ ab; die Galle ist somit nach ihrer Farbe benannt. Aus dieser Wurzel hat sich im
Griechischen χολή (cholé) „Galle“ entwickelt; die Cholera (χολέρα, choléra;
„Gallendurchfall“) erhielt ihren Namen durch die fälschlichen Annahme, sie würde durch eine
Gallenstörung verursacht.
In der Humoralpathologie der Hippokratiker, die um 400 v. Chr. entwickelt wurde und die
medizinische Lehre für über tausend Jahre bestimmte, bis sie mit Paracelsus an Bedeutung
verlor, nimmt die Galle eine zentrale Rolle ein. Es wurde dabei zwischen Gelber Galle und
Schwarzer Galle unterschieden. Diese beiden gehören, neben Blut und Schleim, zu den vier
so genannten Kardinalsäften. Befinden sich diese im Gleichgewicht (Eukrasie), sei der
Mensch gesund. Bei einem Ungleichgewicht (Dyskrasie) komme es zur Krankheit. Gelbe
Galle werde in der Leber produziert und mit Cholerikern assoziiert. Als schwarze Galle wurde
geronnenes Blut fehlgedeutet. Es werde nach der Humoralpathologie in den Hoden und der
Milz produziert und mit Melancholikern (von mélaina cholé, schwarze Galle) in Verbindung
gebracht. Sprichwörtliche Ausdrücke wie „mir kommt die Galle hoch“ beziehungsweise „Gift
und Galle spucken“, beides Metaphern für Wut, begründen sich in dieser Lehre.
Lipide
Lipide (von griechisch λίπος lípos „Fett“) ist eine Sammelbezeichnung für ganz oder
zumindest größtenteils wasserunlösliche (hydrophobe) Naturstoffe, die sich dagegen aufgrund
ihrer geringen Polarität sehr gut in hydrophoben beziehungsweise lipophilen Lösungsmitteln
wie Hexan lösen. Ihre Wasserunlöslichkeit rührt vor allem von den langen
Kohlenwasserstoff-Resten, welche die allermeisten Lipide besitzen.
In lebenden Organismen werden Lipide hauptsächlich als Strukturkomponente in
Zellmembranen, als Energiespeicher oder als Signalmoleküle gebraucht. Die meisten
biologischen Lipide sind amphiphil, besitzen also einen lipophilen Kohlenwasserstoff-Rest
und eine polare hydrophile Kopfgruppe, deshalb bilden sie in polaren Lösungsmitteln wie
Wasser Micellen oder Membranen. Oft wird der Begriff „Fett“ als Synonym für Lipide
gebraucht, jedoch stellen die Fette (Triglyceride) nur eine Untergruppe der Lipide dar.
Die Lipide können in sieben Gruppen eingeteilt werden: Fettsäuren, Triacylglyceride (Fette
und Öle), Wachse, Phospholipide, Sphingolipide, Lipopolysaccharide und Isoprenoide
(Steroide, Carotinoide etc.)
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Inhaltsverzeichnis
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




1 Fettsäuren, Triacylglyceride (Fette und fette Öle) und Wachse
o 1.1 Fettsäuren
o 1.2 Triacylglyceride
o 1.3 Wachse
2 Membranbildende Lipide
o 2.1 Phospholipide
o 2.2 Sphingolipide
o 2.3 Glycolipide
3 Isoprenoide
o 3.1 Steroide
o 3.2 Carotinoide
4 Biologische Funktionen
o 4.1 Essentielle Fettsäuren
o 4.2 Fettlösliche Vitamine
5 Literatur
6 Weblinks
Fettsäuren, Triacylglyceride (Fette und fette Öle) und
Wachse
Die Triacylglycerole (Triglyceride) machen mit mehr als 90 Prozent den Hauptanteil der
Nahrungslipide aus. Sie sind ein wichtiger Energielieferant (1 g Fett enthält 39 kJ Energie, 1 g
Zucker nur 17 kJ). Außerdem bilden Triglyceride den wichtigsten Energiespeicher des
Körpers (Zucker, d. h. Glucose, wird dagegen in viel geringerer Menge als Glycogen in der
Leber gespeichert), sie sind ein guter Kälteschutz in der Haut und schützen diese auch vor
Verletzungen. Alle wichtigen Organe werden durch einen Fettmantel geschützt.
Fettsäuren
Sowohl Myristinsäure (eine gesättigte Fettsäure) als auch Myristoleinsäure (eine ungesättigte
Fettsäure) haben 14 Kohlenstoffatome. Myristoleinsäure weist im Gegensatz zur
Myristinsäure eine Doppelbindung auf.
Fettsäuren sind meist unverzweigte Monocarbonsäuren, die aus einer Kette aus
Kohlenstoffatomen bestehen, an deren einem Ende sich eine Carboxylgruppe befindet (siehe
Bild).
40
Unterschieden wird zwischen gesättigten Fettsäuren, in denen keine Doppelbindungen
vorkommen, und ungesättigten Fettsäuren, die eine oder mehrere Doppelbindungen besitzen
(in der Natur meist in cis-Stellung und nicht in Konjugation miteinander). Die einfachste
gesättigte Fettsäure ist die Buttersäure und enthält nur vier Kohlenstoffatome. Wichtige
Vertreter der ungesättigten Fettsäuren sind Ölsäure (einfach ungesättigt) und Arachidonsäure
(vierfach ungesättigt). Je mehr Doppelbindungen eine Fettsäure enthält, desto niedriger liegt
ihr Schmelzpunkt. Ungesättigte Fettsäuren können vom tierischen Organismus nur unter
Einschränkung synthetisiert werden. Man bezeichnet daher all jene Fettsäuren, die mit der
Nahrung aufgenommen werden müssen, als essenzielle Fettsäuren (s. u.).
Triacylglyceride
Allgemeine Struktur der Triacylglycerole.
Die Seitenketten R1, R2 und R3 stehen für Alkylreste der Fettsäuren.
Triacylglyceride (allgem.: Fette und fette Öle) stellen, wie oben erwähnt, die größte Gruppe
der Nahrungslipide dar. Sowohl Fette als auch Öle sind Dreifachester des Glycerins und
werden als Triacylglyceride bezeichnet. Werden Triacylglyceride durch Verseifung gespalten,
entstehen Glycerol und die entsprechenden Salze der Fettsäuren.
Es gibt zwei Arten von Triacylglyceriden, einfache und gemischte: Bei einfachen
Triacylglyceriden sind die Seitenketten (also die Fettsäurereste) identisch, bei gemischten sind
sie verschieden.
Die Ursache dafür, dass Fett fest und Öl flüssig ist, liegt im wesentlich höheren Anteil an
ungesättigten Fettsäuren in Ölen. Die ungesättigten Fettsäuren besitzen meist cisDoppelbindungen, was die Kristallbildung erschwert und somit den Schmelzpunkt
heruntersetzt.
Sind in einem Triacylglycerid die Seitenketten R1 und R3 verschieden, so liegt ein chirales
Molekül vor und man kann eine optische Aktivität beobachten (d. h. das Spiegelbild des
Moleküls ist nicht deckungsgleich mit dem Original und eine Lösung des Moleküles ist in der
Lage, einfallendes polarisiertes Licht zu drehen).
41
Wachse
Bestandteile von Bienenwachs als Stellvertreter für Wachse
Wachse sind Einfachester von Fettsäuren und unterscheiden sich als solche von den DreifachEstern der Fette und Öle. Sowohl der Säuren- als auch der Alkoholteil von Wachsen haben
lange gesättigte Alkylreste. Im Gegensatz zu Triglyceriden sind Wachse weniger „ölig“,
außerdem härter und poröser.
Eine andere Definition (Deutsche Gesellschaft für Fettwissenschaft) sieht Wachse als
Stoffklasse, die ausschließlich über ihre mechanisch-physikalischen Eigenschaften definiert
wird. Laut dieser Definition sind Wachse bei 20 °C knetbar, fest bis brüchig hart, sie weisen
eine grobe bis feinkristalline Struktur auf, farblich sind sie durchscheinend bis opak
(undurchsichtig), aber nicht glasartig, über 40 °C schmelzen sie ohne Zersetzung, wenig
oberhalb des Schmelzpunktes sind sie leicht flüssig (wenig viskos), weisen eine stark
temperaturabhängige Konsistenz und Löslichkeit auf und sind unter leichtem Druck polierbar.
Membranbildende Lipide
Membranbildende Lipide sind Lipide, die einen hydrophilen und einen hydrophoben Teil
besitzen – also amphiphil sind. Dies erlaubt es ihnen, in polaren Lösungsmitteln wie Wasser
je nach Beschaffenheit entweder Mizellen (kugelförmige Aggregate aus amphiphilen
Molekülen, die sich in einem Dispersionsmedium spontan zusammenlagern) oder
Doppellipidschichten zu bilden – wobei immer der hydrophile Teil mit dem polaren
Lösungsmittel interagiert. Aus diesen Doppellipidschichten sind alle Biomembranen
aufgebaut, welche den Inhalt einer Zelle gegen die Umgebung abgrenzen. Membranbildende
Lipide gehören daher zu einer der Grundvoraussetzungen für Leben im Allgemeinen.
Phospholipide
Allgemeine Struktur der Phosphoglyceride
Die Reste R1 und R2 bestimmen die Fettsäuren, der Rest X bestimmt die Klasse. Bei X = H
liegt Phosphatidsäure vor
Phospholipide bilden den Hauptbestandteil von Biomembranen. Man unterscheidet dabei
Phosphoglyceride und Sphingomyeline. Die Struktur der Phosphogylzeride leitet sich von der
Phosphatidsäure ab, welche den Triglyceriden ähnelt, mit dem Unterschied, dass sich an der
42
C3-Hydroxylgruppe statt des Acylrestes eine Phosphorylgruppe befindet. Sphingomyeline
hingegen unterscheiden sich von Glycerolipiden durch ihr Sphingosin-Grundgerüst. Die
Phosphorsäurediestergruppe aller Phospholipide ist hydrophil (d. h. interagiert mit Wasser)
und wird „Kopf“ genannt. Die Acylreste beziehungsweise der unpolare Teil des Sphingosins
werden als „Schwanz“ bezeichnet und sind hydrophob. Dieser gegensätzliche Charakter führt
zur Bildung von Lipid-Doppelschichten, bei denen der hydrophobe Teil der Membranlipide
nach innen und der hydrophile Teil nach außen zeigen. Die wichtigsten am Aufbau von
Biomembranen beteiligten Phospholipide sind die Phosphoglyceride Phosphatidylcholin
(auch Lecithin), Phosphatidylethanolamin, Phosphatidylserin, Phosphatidylcholin und auch
Sphingomyeline. Letztere zählen sowohl zu den Phospho- als auch den Sphingolipiden.
Phosphatidylethanolamin und Phosphatidylserin werden auch als Kephaline bezeichnet. Eine
vor allem in der intrazellulären Weiterleitung extrazelluärer Signale (Signaltransduktion)
wichtige Gruppe der Phosphoglyceride sind die in verschiedenen Phosphorylierungsstufen
auftretenden Phosphatidylinositole; als Kopfgruppe besitzen sie ein Phosphoinositol.
Sphingolipide
Allgemeine Struktur der Sphingolipide
Verschiedene Reste (R) ergeben unterschiedliche Untergruppen.
Wasserstoff – Ceramide
Phosphocholin oder Phosphoethanolamin – Sphingomyeline
Saccharid – Glycolipide
Sphingolipide sind ebenfalls Bestandteile von Zellmembranen. Ihr Grundgerüst besteht aus
einer Fettsäure und Sphingosin. Sie werden unterschieden in die Gruppen der Ceramide, der
Sphingomyeline und Glycolipide. Sphingolipide finden sich im Nervengewebe, sie spielen
eine wichtige Rolle in der Signalübertragung und der Interaktion einzelner Zellen.
Glycolipide
Glycolipide sind phosphatfreie, sphingosinhaltige Lipide mit einem glycosidisch an die 1Hydroxyl-Gruppe des Sphingosin gebundenen Kohlenhydrat-Anteil. Sie bilden häufig die
Außenseite biologischer Membranen, wobei ihr Kohlenhydrat-Anteil auf der Zellmembran
präsentiert wird. Es wird vermutet, dass diese eine Rolle in der Kommunikation und
Interaktion zwischen einzelnen Zellen spielen. Glycolipide werden in Cerebroside,
Ganglioside und Sulfatide unterschieden.
Isoprenoide
Als Isoprenoide (auch Terpenoide) werden Verbindungen bezeichnet, die auf
Isopreneinheiten aufbauen. Zu den Lipiden zählende Verbindungen sind die Steroide und die
Carotinoide. Natürlich vorkommende Steroide gehören zu den Triterpenoid-Derivaten
(Triterpenoid bedeutet es besteht aus 30 Kohlenstoffatomen), da sie alle ausgehend von
Squalen biosynthetisiert werden. Carotinoide werden zu den Tetraterpenoid-Derivaten (40
Kohlenstoffatome) gezählt, sie leiten sich von Lycopen ab.
43
Steroide
Grundstruktur aller Steroide, das Steran-Molekül
Alle Steroide haben als Grundstruktur ein System aus vier, üblicherweise trans-verbundenen
Kohlenstoffringen, drei sechseckigen und einem fünfeckigen. Der bekannteste Vertreter der
Steroide ist das zu den Sterinen zählende Cholesterin. Es ist unter anderem auch ein
essentieller Bestandteil aller Zellmembranen mit Ausnahme der Innenmembran der
Mitochondrien, und kann somit im erweiterten Sinne auch zu den Membranlipiden gezählt
werden. Es liegt in der Regel in veresterter Form als Cholesterinester der Fettsäuren vor. Das
Spektrum der Fettsäuren der Cholesterinester ist stark ernährungsabhängig.
Gallensäuren, die an der Fettverdauung beteiligt sind, besitzen einen hydrophoben und einen
hydrophilen Teil, können somit Fette ummanteln und damit deren Absorption im
Verdauungstrakt erleichtern.
Sexualhormone sind in den Eierstöcken und den Hoden produzierte Steroide, die die
Fortpflanzung und die Ausbildung der sekundären Geschlechtsmerkmale steuern. Die
weiblichen Geschlechtshormone sind Progesteron und Östrogen, die männlichen Androgene
(z. B. Testosteron und Androsteron).
Weitere Beispiele sind andere Zoo-, Myco- und Phytosterine und deren Ester wie z.B.
Ergosterin, Vitamin D und Herzglycoside (z. B. Digitalis und Strophantin). Phytosterine wie
z.B. β-Sitosterin, Stigmasterin und Campesterin und deren Ester treten vermehrt bei
vegetarischer Ernährung im Humanserum auf.
44
Carotinoide
Carotinoide sind Polymerisationsprodukte von Isopren, die ausschließlich in Pflanzen
hergestellt werden und dort als gelb bis rötliche Farbstoffe fungieren. Sie bestehen meist aus
ungesättigten Kohlenwasserstoffketten und deren Oxidationsprodukten, und sind aus acht
Isopren-Einheiten aufgebaut. Sie werden in Carotine und Xanthophylle unterschieden. Das
bekannteste und am häufigsten vorkommende Carotinoid ist das β-Carotin, auch bekannt als
Provitamin A. Es wird im Körper in Retinol (Vitamin A) umgewandelt, das eine wichtige
Rolle für den Sehvorgang spielt.
Biologische Funktionen
Die biologischen Funktionen der Lipide sind ebenso vielfältig wie ihre chemische Struktur.
Sie dienen als








Brennstoff (β-Oxidation der Fettsäuren)
Energiespeicher (Triacylglycerole)
Membranbausteine (Phospholipide)
Signalmoleküle (Diacylglycerol; IP3-Kaskade)
Hormone (Eicosanoide; Prostaglandine etc.)
Fettlösliche Vitamine (Vitamine A, D, E, K)
Cofaktoren (Dolichol)
Pigmente (Carotinoide)
Während manche Lipide vom menschlichen Körper im Fettstoffwechsel selbst gebildet
werden können, müssen andere mit der Nahrung aufgenommen werden. Daher werden diese
als essentielle Lipide bezeichnet.
Essentielle Fettsäuren
Doppelbindungen in der Kohlenwasserstoff-Kette einer Fettsäure, die mehr als neun C-Atome
von der Carboxyl-Gruppe entfernt sind, kann der Organismus nicht eigenständig herstellen.
Diese sind jedoch von wichtiger Bedeutung und müssen daher über die Nahrung
aufgenommen werden, deshalb werden sie als essentiell bezeichnet. Zu den Vertretern der
essentiellen Omega-3-Fettsäuren zählen die Linolensäure, Eicosapentaensäure und
Docosahexaensäure. Essentielle Omega-6-Fettsäuren sind die Linolsäure und die
Arachidonsäure. Aus der Arachidonsäure werden Eikosanoide synthetisiert, diese sind
wichtige Gewebshormone und Mediatoren im Körper. Omega-9-Fettsäuren sind nicht
essentiell, da sie aus Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren synthetisiert werden können.
Mögliche Quellen für Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren in Nahrungsmitteln sind Fische,
Leinsamen, Sojaöl, Hanföl, Kürbiskerne oder Walnüsse.
Essentielle Fettsäuren spielen eine wichtige Rolle in vielen Stoffwechselprozessen, und es
gibt Hinweise, dass Mängel oder Ungleichgewichte in der Aufnahme der essentiellen
Fettsäuren Ursache zahlreicher Krankheiten sind.
45
Fettlösliche Vitamine
Die fettlöslichen Vitamine sind:



Vitamin A, ein Terpen, das eine wichtige Rolle zum einen beim Sehvorgang, zum
anderen für Wachstum, Funktion und Aufbau von Haut und Schleimhäuten spielt,
Vitamin D, zuständig für die Regelung der Kalzium- und Phosphor-Konzentrationen
im Blut und somit für die Knochenstabilität von entscheidender Bedeutung
Vitamin E, ein Terpenoid mit antioxidativer Wirkung und
Vitamin K, ein Terpenoid, das bei der Blutgerinnung mitwirkt.

Lipoproteine


Lipoproteine sind nicht-kovalente Aggregate aus Lipid und Protein und bilden
mizellenähnliche Partikel mit einem unpolaren Kern aus Cholesterinestern und
Triglyceriden und einer zur wässrigen Phase gerichteten Hülle mit polaren,
hydrophilen Anteilen bestehend aus Protein, Phospholipiden und den
Hydroxylgruppen von unverestertem Cholesterin. Sie dienen in allen Tierklassen dem
Transport der wasserunlöslichen Lipide (Fette) wie Cholesterin im Blut. Nach ihren
funktionellen und physikalischen Eigenschaften, z. B. ihres Verhaltens in der
Elektrophorese oder die durch Ultrazentrifugation bestimmbare Dichte, werden die
Lipoproteine in fünf Klassen eingeteilt: VLDL, IDL, LDL, HDL (Alphalipoprotein)
und VHDL, sowie die Chylomikronen. In folgender Tabelle sind die
Säugerlipoproteine mit einigen Unterformen aufgeführt.

Lipoprotein
Durchmesser
(nm)
Apolipoproteine
Konzentration Konzentration
bei Männern
bei Frauen
(g/l)
(g/l)
ApoB-48, ApoA-I &
II, ApoC-II & III,
< 0,1
ApoE
< 0,1
VLDL - Very Low
Density
50
Lipoprotein
ApoB-100, ApoC-II,
0,5-2,0
ApoE
0,5-1,5
IDL - Intermediate
Density
30
Lipoprotein
ApoB-100, ApoC-II,
ApoE
Chylomikronen
LDL - Low
Density
< 1000
21
ApoB-100
46
2,0-3,5
2,0-3,0
Lipoprotein
Lipoprotein a Lp(a)
25
ApoB-100, Apo(a)
0,01-0,5
0,01-0,5
HDL - High Density Lipoprotein
HDLE
12
ApoA-I & II
<0,05
<0,05
HDL2
10
ApoA-I & II
0,5-1,0
0,5-1,0
HDL3
8
ApoA-I & II
1,0-2,0
1,0-2,0
0,1-0,2
0,1-0,2
VHDL - Very
High Density
Lipoprotein



7
Über die Nahrung zugeführtes Cholesterin sowie Triglyceride werden vom Dünndarm
aufgenommen und dann in Form von Chylomikronen in die Blutbahn abgegeben. Dort
werden sie durch die Einwirkung von endothelialen Lipasen zu den so genannten
Chylomikronen Remnants, die schließlich von der Leber aufgenommen werden.
VLDL, so wie seine Metabolite IDL und vor allem LDL, transportieren vom Körper
selbst synthetisiertes Cholesterin und die von den Chylomikronen aufgenommenen
Triglyceride von der Leber zu den peripheren Geweben. HDL (genauer HDL3)
nehmen Cholesterin unter Vermittlung des Enzyms Lecithin-CholesterinAcyltransferase (LCAT) aus den Geweben, aber auch von anderen Lipoproteinen auf,
und transportieren es zur Leber zurück (reverser Cholesterintransport). Das
transportierte Cholesterin in den Lipoproteinen ist überwiegend mit Fettsäuren
verestert.
Über 75 % des Kohlen- und des Wasserstoffes in energieliefernden Substraten im
Stoffwechsel sind Lipidbestandteile.
Die Transportproteine werden als Apolipoproteine (ApoLp) bezeichnet. Sie geben den
Lipidmizellen Stabilität und bestimmen im Stoffwechsel der Lipidoproteine die
Umsatzgeschwindigkeit und dirigieren sie zu bestimmten Zielorganen.
47
Chylomikronen
Chylomikron-Struktur
ApoA, ApoB, ApoC, ApoE (Apolipoproteine); T (Triacylglycerol); C (Cholesterol); grün
(Phospholipide)
Chylomikronen sind Lipoproteinpartikel von 0,5–1,0 µm Durchmesser und einer Dichte von
unter 1,000 g/ml, die vom Dünndarm in die Blutbahn sezerniert werden. Ihr Lipidkern enthält
hauptsächlich Triacylglyceride sowie eine im Vergleich geringe Menge an Cholesterinestern.
In die Cholesterin-haltige Phospholipidhülle ist Apolipoprotein B-48 als
Strukturapolipoprotein eingelagert. Weitere Apolipoproteine, die z. T. zu einem späteren
Zeitpunkt auf Chylomikronen übertragen werden, sind Apolipoprotein E (ApoE), die
Apolipoprotein-C-Familie sowie Apolipoprotein A-IV.
Die Chylomikronen transportieren die im Darm aufgenommenen Nahrungsfette zur Leber und
haben in etwa folgende Zusammensetzung:




1 % Eiweiß
4 % Cholesterin und Cholesterinester
5 % Phospholipide
90 % Triglyceride
Chylomikronen gelangen über Lymphgefäße und den Milchbrustgang (Ductus thoracicus) in
die Blutbahn. In den Kapillaren des Fett- und Muskelgewebes spaltet die Lipoproteinlipase
einen Großteil der in den Chylomikronen enthaltenen Triglyceride. Die freigesetzten
Fettsäuren werden dann in die umliegenden Fett- und Muskelzellen aufgenommen und
gespeichert bzw. verbraucht. Die in der Blutbahn zurückbleibenden Partikel, die nun einen
stark erhöhten relativen Cholesteringehalt haben, werden als Chylomikronen-Remnants
bezeichnet. An sie lagert sich das Apolipoprotein E an, welches schließlich die
rezeptorvermittelte Aufnahme der Chylomikronen-Remnants in die Leber vermittelt
(insbesondere über den Membranrezeptor LRP1, in geringerem Maße auch über den LDLRezeptor). Wird ca. zehn Stunden keine Nahrung aufgenommen, sind Chylomikronen nicht
mehr nachweisbar.
48
Steroidhormon
Steroidhormone sind Steroide, die als Hormone wirken. Zu ihnen gehören die
Sexualhormone der Keimdrüsen und die Corticosteroide der Nebennierenrinde. Die
Steroidhormone der Säugetiere können in fünf Gruppen eingeteilt werden, nach den
Steroidrezeptoren an denen sie binden: Glucocorticoide, Mineralocorticoide, Androgene,
Estrogene und Gestagene.
Inhaltsverzeichnis
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

1 Stoffgruppe
2 Metabolismus
3 Regelmechanismus
4 Therapeutische Anwendung
5 Weblinks
Stoffgruppe
Steroidhormone leiten sich vom Cholesterin ab und sind daher gut fettlöslich und schwer
wasserlöslich. Dadurch können sie im Gegensatz zu den anderen Hormongruppen direkt in
die Zelle gelangen und brauchen keinen Second Messenger. Dort binden sie an ihre
entsprechenden Rezeptoren und können so ihre Wirkung entfalten. Der Steroid-RezeptorKomplex gelangt dann in den Zellkern, wo er auf den Stoffwechsel der Zelle Einfluss nehmen
kann. Im Zellkern bewirkt er die Transkription spezifischer DNA-Abschnitte, sodass
beispielsweise andere Struktur-Proteine hergestellt werden, welche die
Membraneigenschaften der Zelle dauerhaft verändern können. Steroidhormone sind sogar in
der Lage, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden. Ihre Wirkungsdauer geht von einigen
Stunden bis zu Tagen, wonach sie in der Leber wieder abgebaut werden.
Metabolismus
Ausgehend vom Cholesterin entsteht Pregnenolon, welches die zentrale
Ausgangsverbindung der Steroidhormonbiosythese ist.
Regelmechanismus
Der Ausstoß der Steroidhormone wird von den Peptidhormonen der Hypophyse kontrolliert,
welche wiederum von Neuronen des Hypothalamus gesteuert wird. Beim Transport über die
Blutbahn sind sie durch ihre wasserabweisenden Eigenschaften auf Plasmaproteine und
spezielle Transportproteine angewiesen.
49
Hormon
Epinephrin (Adrenalin), ein Hormon aus der Gruppe der Katecholamine
Ein Hormon (griech. ὁρμάω hormáō „antreiben“) ist ein biochemischer Botenstoff.
Hormone übermitteln innerhalb eines Lebewesens Informationen von einem Organ zum
anderen oder von einem Gewebe zum anderen, ähnlich wie es auch Nerven tun. Im Vergleich
erreichen die durch Nerven vermittelten Informationen sehr schnell ihr Zielorgan, während
der Informationsfluss durch Hormone vergleichsweise langsam von statten geht. Dabei sind
die Zeiträume von der Hormonausschüttung bis zur Hormonwirkung je nach Hormon sehr
unterschiedlich, einige Hormone wirken sehr schnell (z. B. Adrenalin), während die Wirkung
von anderen Hormonen wie z. B. Steroidhormonen erst nach Stunden einsetzt.
Hormone bei Tieren werden durch das Blut oder bei Insekten, Krebsen oder Schnecken mit
der vergleichbaren Hämolymphe zu ihren Zielorganen transportiert. Das ist das Wesen der
endokrinen Wirkung. Gewebshormone, die im selben Organ gebildet werden und wirken, sind
dagegen parakrine Stimulatoren.
Inhaltsverzeichnis
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1 Allgemeine Einführung
2 Hormonbildende Zellen
3 Endokrine Kaskaden: Hypothalamisch-Hypophysäre Achsen
4 Hormonfreisetzung
5 Hormonähnliche Stoffe
6 Endokrinologie
7 Beispiele für hormonelle Regulation
8 Einteilung nach chemischer Klassifikation
9 Einteilung nach Herkunft
10 Biochemische Eigenschaften
11 Liste von pflanzlichen Hormonen
12 Hormone in der Umwelt
13 Siehe auch
14 Quellen
15 Literatur
16 Weblinks
50
Allgemeine Einführung [Bearbeiten]
Hormone wurden seit den frühen Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts entdeckt; der Begriff
Hormon wurde 1905 von Ernest Starling geprägt. Er entdeckte, dass bei der Stimulation durch
Salzsäure aus der Darmwand ein Stoff freigesetzt wurde, der die Pankreas-Sekretion anregte
(ein Augenzeugenbericht[1]). Diesen Stoff nannte er Sekretin. Hormone wirken nur auf
bestimmte Zielorgane. Nur dort finden sich spezielle Hormonrezeptoren, an welche die
Hormonmoleküle binden. Häufig sind diese Rezeptoren Membranproteine, die auf der
Zelloberfläche das Hormon binden und auf der Innenseite der Membran nach Hormonbindung
Signale auslösen. Einige Hormone (Schilddrüsenhormon, Vitamin D3 und die
Steroidhormone, s. u.) erreichen ihre Rezeptoren erst, wenn sie die Zellmembran durch
Diffusion durchdrungen haben. Ihre Rezeptoren liegen im Zytoplasma vor oder im Zellkern.
Nach der Bindung von Hormon und Rezeptor aggregieren die Rezeptor/Hormon-Komplexe
zu Rezeptordimeren, dringen in den Zellkern und steuern dort Genaktivierung.
Hormonbildende Zellen
Hormone werden von speziellen Hormonproduzierenden Zellen gebildet: Diese finden sich in
Drüsen, in der Hirnanhangdrüse (Hypophyse), der Zirbeldrüse, der Schilddrüse, der
Nebenniere, den Langerhans’schen Inselzellen der Bauchspeicheldrüse. Einige Hormone
werden auch von Nervenzellen gebildet, diese nennt man Neurohormone oder Neuropeptide.
Hormone des Magen/Darm-Traktes finden sich verteilt in den Krypten. Zudem werden in der
Leber Vorstufen des Angiotensins gebildet. Geschlechtshormone werden von spezialisierten
Zellen der weiblichen oder männlichen Geschlechtsorgane gebildet: Theca- und GranulosaZellen bei der Frau und Leydig-Zellen beim Mann.
Charakteristisch für die hormonproduzierenden Zellen sind Enzyme, die nur in diesen Zellen
vorkommen. Die Freisetzung der Hormone ist individuell für jedes Hormon geregelt. Häufig
werden Hormone in der Zelle gespeichert und nach Stimulation durch einen
Freisetzungsstimulus freigesetzt. Die Freisetzungsstimuli können Freisetzungshormone
(Releasing-Hormone) sein, Liberine, siehe unten.
Endokrine Kaskaden: Hypothalamisch-Hypophysäre
Achsen
Häufig finden wir hormonelle Achsen:



die hypothalamisch-hypophysär-gonadotrophe Achse: Das Gonadotropin-Releasing
Hormon (GnRH) aus Nervenzellen des Hypothalamus setzt in der Hypophyse die
Gonadotropine frei, die wiederum in den Geschlechtsorganen die Bildung von
Sexualsteroiden anregen.
die hypothalamisch-hypophysär-adrenotrophe Achse: Das Corticotropin-Releasing
Hormon (CRH) aus Nervenzellen des Hypothalamus setzt in der Hypophyse das
ACTH frei, das in der Nebenniere die Kortisol-Bildung anregt.
die hypothalamisch-hypophysär-thyreotrophe Achse: Thyreotropin-Releasing Hormon
(TRH) aus Nervenzellen des Hypothalamus setzt in der Hypophyse das Thyrotropin
frei, das in der Schilddrüse die Freisetzung des Tyroxin und des Trijodthyronin anregt.
51
Hormonfreisetzung
Die Hormonfreisetzung (mit Ausnahme der parakrinen Stimulatoren) erfolgt in der Nähe von
Blutgefäßen, die viele kleine Fenster haben, durch die Hormone direkt ins Blut übergehen
können. Bei auf die Sekretion von Neuropeptiden spezialisierten Stellen spricht man von
Neurohämalorganen. Durch die Bindung eines Stimulus für die Hormonfreisetzung kommt es
häufig in der Zelle zu einem Anstieg des intrazellulären Kalziums. Dieser Kalzium-Anstieg
erlaubt die Fusion der Zellorganellen, in denen sich die vorgefertigten Hormone befinden, mit
der Zellmembran. In dem Moment, in dem die Membran Organelle mit der Zellmembran
fusioniert, haben die Hormon freien Zugang zum Raum außerhalb der Zelle und können in die
dort benachbarten Blutgefäße durch die gefensterten Blutgefäßwand wandern.
Hormonähnliche Stoffe
Die bei Pflanzen vorkommenden Hormone werden als Phytohormone bezeichnet. Sie teilen
mit den tierischen Hormonen die Eigenschaft, Signalwirkung über eine größere Distanz zu
entfalten und in geringen Konzentrationen wirksam zu sein.

Die bei Tieren vorkommenden Pheromone sind Botenstoffe zwischen Individuen. Sie
sind nicht an den Organismus gebunden, in dem sie gebildet wurden und können über
große Distanzen signalisieren.
Endokrinologie
Die Wissenschaft, die sich mit der Erforschung der Hormone befasst, ist die Endokrinologie.
Ein Wissenschaftler oder Arzt, der sich mit der Erforschung der Hormone, ihrer
Wirkungsweisen und mit Erkrankungen des hormonalen Geschehens beschäftigt, wird als
Endokrinologe bezeichnet.
Beispiele für hormonelle Regulation [Bearbeiten]
52
Beispiel für einen Rückkopplungsmechanismus





Zuckerstoffwechsel, Fettstoffwechsel, Nahrungsaufnahme
Menstruationszyklus der Frau, Sexualentwicklung bei Mann und Frau
Knochenwachstum
Anpassung an Angst und Stress
Thyreotroper Regelkreis
Hormone werden selber:
1. durch Regelkreise (Rückkopplung, feedback system; in der hypothalamischhypophysären-thyreotrophen Achse zum Beispiel unterdrückt das Endprodukt
Schilddrüsenhormon (Trijodthyronin) die Bildung des TRH im Hypothalamus und des
Thyreotropins aus der Hypophyse.),
Die Freisetzung der meisten Hormone wird durch negative Rückkopplungen gesteuert,
wie beispielsweise die der Glukokortikoide der Nebennierenrinde. Der Hypothalamus
setzt corticotropin-releasing-Hormon (CRH) frei, das in der Hypophyse die
Freisetzung von adrenocortocotrophes Hormone (ACTH) stimuliert (blauer Pfeil +).
Dieses stimuliert in der Nebennierenrinde die Bildung und Freisetzung von Kortisol
und anderen Glukokortikoiden (blauer Pfeil +). Über das Blut in das Gehirn und die
Hypophyse gebracht unterdrückt Kortisol andererseits die Bildung und Freisetzung
von CRH und ACTH (rote Pfeile −), wodurch die Kortisolbildung wieder aussetzt.[2]
2. durch das autonome Nervensystem sowie
3. durch nichthormonelle chemische Botenstoffe wie zum Beispiel die
Kalziumkonzentration oder die Glukosekonzentration im Blut reguliert.
Einteilung nach chemischer Klassifikation
Protein- und Peptidhormone mit charakteristischer Aminosäuresequenz
o
o
o
Neuropeptide des Hypothalamus:
 Freisetzungshormone für LH/FSH, TSH, ACTH, GH
 Somatostatin
 Agouti-ähnliches Peptid
 Neuropeptid Y
 Leptin
 Ghrelin
Glykoproteinhormone der Adenohypophyse:
 Follikelstimulierendes Hormon Follitropin (FSH)
 Luteinisierendes Hormon Luteotropin (LH)
 Schilddrüsenstimulierendes Hormon Thyreotropin (TSH)
 Adrenocortikotropin (ACTH)
weitere adenohypophysäre Hormone:
 Wachstumshormone: GH
 Prolaktin
 Melanozytenstimulierendes Hormon (MSH)
 Galanin
 Kisspeptin
53
o
o
o
o
o
o
o

Neuropeptide der Neurohypophyse:
 Adiuretin (Vasopressin)
 Oxytocin
Hormone der Nebenschilddrüsen
 Parathormon
 Kalzitonin
Hormon des Herzen
 Atrial-Natriuretisches Peptid (ANP)
Hormone der pankreatischen Inselzellen:
 Insulin
 Glucagon
 Somatostatin
 Pankreatisches Polypeptid
Peptidhormone des Magen- und Darmtraktes
 Cholezystokinin (CCK)
 Sekretin
 Gastrin
 Ghrelin
 Vasoaktives intestinales Peptid (VIP)
 Gastro-inbitorisches Peptid (GIP)
 Peptid Tyrosyl-Tyrosin (PYY)
Peptidhormon der Leber
 Insulin-like growth factor (IGF)
Proteinhormone der Gonaden
 Inhibin und Aktivin
Protein/Peptid-Hormone bei Vertebraten, nicht beim Menschen gefunden
o bei Lurchen
 Caerulein

o

bei Fischen
 Stanniokalzin; jetzt auch beim Menschen (und weiteren Vertebraten)
zwei Stanniokalzine mit noch unbekannter Funktion gefunden
Aminosäurederivate
o Katecholamine
 Adrenalin
 Noradrenalin
 Dopamin
o Thyroxin (T4) und Triiodthyronin (T3)
o Serotonin und Melatonin

Isoprenderivate – wie Juvenilhormon und Neotenin bei Insekten

Steroidhormone – wie die Nebennierenrinden- und Geschlechtshormone
o Mineralocorticoide – wie Aldosteron
o Glucocorticoide – wie Cortisol
o Estrogene – wie Estradiol
o Gestagene – wie Progesteron
o Androgene – wie Testosteron
54

Arachidonsäurederivate (Eicosanoide)
o Prostaglandine
o Leukotriene
o Thromboxane
Einteilung nach Herkunft
Es gibt spezielle Hormondrüsen, in denen hormonbildende Zellen im engen Verbund
zusammenhängen. Viele Hormone werden aber von Zellen gebildet, die nicht ausschließlich
mit hormonbildenden Zellen im Verbund stehen. So liegen die Zellen, die Gastrin bilden,
vereinzelt in den Liebermann’schen Krypten des Magens vor. Ähnlich ist es mit den Zellen
für die Hormone Cholezystokinin, Sekretin oder Somatostatin in der Darmwand.
Entscheidend für die Hormonproduktion ist nicht die äußere Umgebung einer Zelle,
sondern die Ausrüstung innerhalb mit den charakteristischen Enzymen.



Spezialisierte Hormondrüsen
o Hypophyse
 Hypophysen-Vorderlappen, die Adenohypophyse): Hier werden
LH/FSH, ACTH, Prolaktin, GH und TSH gebildet.
 Hypophysen-Hinterlappen, Neurohypophyse): Diese ist keine
Hormondrüse im eigentlichen Sinne, da hier die Hormone Oxytozin
und Vasopressin (Adiuretin) an Nervenenden ausgeschüttet werden,
wobei die Nervenzellkerne sich im Hypothalamus befinden und deren
Nervenbahnen durch den Hypophysenstiel laufen.
o Zirbeldrüse: Bildung des Hormons Melatonin
o Schilddrüse: Bildung des Schilddrüsenhormons
 Nebenschilddrüse (Parathyroidea): Bildung von Parathormon und
Calzitonin
o Nebenniere: Bildung von Aldosteron (Mineralokortikoid), Androgenen
(Androstendion) und Adrenalin (Epinephrin).
o Inselzellen in der Bauchspeicheldrüse: Bildung von Insulin, Glukagon,
Somatostatin und Pankreatischem Polypeptid
Neurohormone, die von Neuronen im ZNS produziert werden.
o Hypothalamische Neuropeptide: Bildung von GnRH,CRH,TRH oder GHRH:
Speicherung an den Nervenenden in der Eminentia mediana; Bildung von
Oxytozin und Vasopressin (Adiuretin), Speicherung an den Nervenenden in
der Neurohypophyse; Bildung von NPY, GHrelin, Agouti-ähnlichem Peptid
Gewebe mit Hormonbildenden Zellen:
o Haut: Bildung von Vitamin D3 durch Bestrahlung von 7-Dehydrocholesterin
mit UV-Licht
o Herz: Bildung des Atrial-Natriuretischen Peptides durch Muskelzellen
(Myozyten) des rechten Herzvorhofes
o Leber: Bildung des Angiotensinogen, des Vorläufers des Angiotensin, Bildung
von Insulin-ähnlichen Wachstumsfaktoren (IGF)
o Magen- und Darmtrakt: Bildung von Cholezystokinin, Gastrin, Sekretin,
GHrelin aus einzeln in die Magen- oder Darmwand verteilten endokrinen
Zellen.
o Gonaden
55


Hoden: Bildung von Testosteron (und Östradiol) durch die LeydigZellen, von Inhibin und Aktivin
 Ovarien: Bildung von Testosteron durch Theka-Zellen und durch
Östradiol durch Granulosa-Zellen, Bildung von Inhibin und Aktivin
Weitere Organe mit Steuerungsfunktion bestimmter endokriner Regelkreise
o Niere: Die Zellen des juxtaglomerulären Apparates setzen bei erniedrigtem
Blutdruck das Enzym Renin frei, das das Angiotensinogen aus der Leber zum
Angiotensin I spaltet.
o Lunge: Hier wird das Angiotensin I durch das Angiotensin-konvertierende
Enzym (ACE) zum wirksamen Angiotensin II verkürzt.
Biochemische Eigenschaften
Man unterscheidet zwischen zwei Arten von Hormonen:


Lipidunlösliche Hormone (Peptide):
Diese Substanzen können wegen ihrer Lipidunlöslichkeit die Zellmembran nicht
passieren. Stattdessen binden sie sich an spezifische membrangebundene Rezeptoren
der Zielzellen. Zusammen mit dem Rezeptor wird ein Hormon-Rezeptor-Komplex
gebildet. Der Rezeptor aktiviert ein Enzym, welches ATP in cyclisches AMP (cAMP,
ein Second Messenger) umwandeln kann. Das cAMP bindet an einen hemmenden
Proteinanteil, welches wiederum an ein anderes Enzym im Cytoplasma gebunden ist
und dieses Enzym vorläufig deaktiviert. Durch die Bindung von cAMP an den
hemmenden Proteinanteil wird dieser vom Enzym getrennt. Das Enzym wird dadurch
aktiviert und bewirkt seinerseits bestimmte Stoffwechselprozesse in der Zelle.
Lipidlösliche Hormone (Steroide):
Diese Substanzen können aufgrund ihrer Lipidlöslichkeit durch die Zellmembran in
die Zelle eindringen. Der Stoff bindet im Cytoplasma an spezifische Rezeptoren und
bildet ein Hormon-Protein-Komplex. Dieser Komplex hat, im Gegensatz zum
ursprünglichen Hormon, die Fähigkeit, durch die Zellkernmembran zur DNA zu
gelangen. Es werden nun spezifische Gene aktiviert, es kommt zur Proteinbiosynthese.
Steroidhormone stammen alle vom Cholesterin ab und werden in den Mitochondrien, mittels
Enzymen aus Cholesterin gebildet. Hierbei wird immer erst ein Gestagen gebildet aus dem
dann ein Glucocorticoid, ein Mineralocorticoid oder ein Androgen gebildet wird. Aus
Androgenen werden Estrogene gebildet. Diese Reihenfolge ist starr, d. h. es kann aus einem
Gestagen nicht sofort ein Estrogen gebildet werden. Aus diesem Grund nennt man
Steroidhormone auch Precurser-Hormone.








Aldosteron → Dursthormon, Salzzurückhaltung im Körper
Angiotensin I und Angiotensin II → u. a. Stimulierung der Aldosteron und AdiuretinFreisetzung
Antidiuretisches Hormon = ADH = Adiuretin = Vasopressin → Wasserzurückhaltung
im Körper
ANP = atriale natriuretische Peptide
Calciferol (Vitamin D3: Cholecalciferol; Vitamin D2: Ergocalciferol), mehr Hormon
als Vitamin
Calcitonin
(Cardionatrin = ANP)
Cholecystokinin (CCK) = Pankreozymin
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Corticotropin-releasing Hormon (CRH)
Cortisol Cortison = Stresshormon 2
Dopamin (DA)
Erythropoietin (EPO) Hormon, das die Bildung von roten Blutkörperchen anregt
Follikel stimulierendes Hormon (FSH)
Gastrin
Glucagon – Blutzucker steigernd
Gonadotropin-releasing Hormon GnRH
Humanes Choriongonadotropin (HCG)
Insulin – Blutzucker senkend
Insulin-like growth factor
Leptin
Luteinisierendes Hormon LH
Melatonin = Beeinflusst den Tag-Nacht-Rhythmus des Körpers
Neuropeptid Y
Noradrenalin (NA)
Östrogen = Weibliches Sexualhormon
Oxytocin = Soziales Bindungshormon, Geburtshormon
Parathormon (PTH)
Phenethylamin (PEA) = Glückshormon
POMC = Vorstufe von vielen Hormonen und Regulation der Nahrungsaufnahme
Progesteron = Gelbkörperhormon
Prolaktin (PRL)
Schilddrüsenhormone Thyroxin T4 und Triiodthyronin T3
Secretin
Serotonin = 5-Hydroxytryptamin (5-HT)
Somatoliberin – Growth-hormone-releasing-hormone – GHRH
Somatostatin
Somatotropin = Wachstumshormone = HGH (Human Growth Hormon)
Testosteron = Männliches Sexualhormon
Thrombopoietin
Thyroidea stimulierendes Hormon TSH
TSH-Releasing Hormon TRH
Thyroxin T4
Triiodthyronin T3
Eine spezielle Gruppe von Hormonen sind die trophischen Hormone, die andere
Hormondrüsen zur Produktion anregen. So regt das Thyroidea stimulierende Hormon (TSH)
das Wachstum und die Aktivität der Schilddrüse an.
Hunger-Hormone:




Ghrelin
PYY-336 Sattheitshormon
Leptin
Orexine
57
Liste von pflanzlichen Hormonen Auxin



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


Cytokinin
Ethylen
Abszisinsäure
Gibberellinsäure
Brassinosteroid
Jasmonsäure
Salicylsäure
Hormone in der Umwelt
Besondere Aufmerksamkeit verdient die Tatsache, dass Hormone zunehmend in die Umwelt
eingetragen werden und später über die pflanzliche und tierische Nahrungskette in
ungünstiger und unkontrollierter Dosierung vom Menschen wieder aufgenommen werden.
Ein Beispiel sind die Hormone der Anti-Baby-Pille, die von Kläranlagen nicht erkannt und
gefiltert werden. Sie werden mit dem „sauberen“ Wasser in die Flüsse eingeleitet.
Da die Kläranlagen auf den Medikamenteneintrag nicht ausgelegt sind, gelangen
Medikamente und ihre Rückstände fast ungehindert über die Oberflächengewässer auch
wieder ins Trinkwasser. Mehr als 180 der 3000 in Deutschland zugelassenen Wirkstoffe
lassen sich in deutschen Gewässern nachweisen: Von Hormonen und Lipidsenkern über
Schmerzmittel und Antibiotika bis hin zum Röntgenkontrastmittel.[3]
Auch bestimmte Schadstoffe wie beispielsweise DDT, PCB, PBDE oder Phthalate wirken wie
Hormone und beeinflussen etwa die immer früher einsetzende erste Monatsperiode bei
Mädchen.
Gewebshormone
Während "klassische" (glanduläre) Hormone in Drüsen gebildet werden, entstehen die
Gewebshormone in spezialisierten Einzelzellen, die über ein Gewebe verteilt sein können.
Gewebshormone vom parakrinen Typ gelangen durch Diffusion zu ihren Erfolgsorganen,
während solche vom endokrinen Typ über den Blutkreislauf dorthin gelangen
Beispiele Biogene Amine wie Histamin und Serotonin. Diese entstehen durch
Decarboxylierung aus Histidin bzw. Tryptophan. Beide agieren über Rezeptoren entweder als
Gewebshormon oder als Neurotransmitter. Die Signaltransduktion kann hierbei über GProteine (cAMP, PLC, 5HT-1,2 und 4) oder über die Öffnung von Kationen-Kanälen (5HT3)erfolgen.


Peptidhormone wie die Angiotensine.
Kinine. Kininogene sind höhermolekulare Plasmaproteine, aus denen durch
verschiedene lokal aktivierte Proteasen (z.B. Kallikrein) Peptidmediatoren freigesetzt
werden können. Ein wichtiges Produkt ist Bradykinin, ein Nonapeptid, das
58


gefäßerweiternd, blutdrucksenkend und auf die glatte Muskulatur von Bronchien,
Darm und Uterus kontrahierend wirkt.
die Eikosanoide, C-20-Fettsäurederivate, die sich in drei Untergruppen aufteilen
lassen: Prostaglandine (PG), Leukotriene und Epoxide. Es ist kaum möglich, alle
Wirkungen darzustellen, jedoch gilt, dass PG und andere Eikosanoide an fast allen
Signalwegen als lokal wirksame second messenger beteiligt sind.
Gase mit Signalfunktion: NO (Stickoxid, Stickstoffmonoxid) wird durch NitroxidSynthase aus Arginin hergestellt. Das Gas hat folgende Wirkungen: Gefäßtonusregulierend, Herzkontraktion-fördernd, manchmal toxische Effekte. Es ist
Neurotransmitter und beeinflusst die Genexpression. Teils ist es für diese Wirkungen
selbst verantwortlich, teils sind es seine Umwandlungsprodukte N2O3, ONOO−
(Peroxynitrid), NO− oder NO2.
Katecholamine
Katecholamine, auch Catecholamine oder Brenzcatechinamine, sind eine Klasse von
körpereigenen und künstlichen Stoffen, die an den sympathischen Alpha- und BetaRezeptoren des Herz-Kreislaufsystems eine anregende Wirkung haben. Somit fungieren
Katcholamine als Hormone, die pharmazeutisch zu den Sympathomimetika zählen. Sie sind
alle chemisch ähnlich aufgebaut (sie alle sind Derivate des 1,2-Dihydroxybenzols, englisch
Catechol, ferner Phenylethylamine mit Catechol als Ortho-Diphenolfunktion in 3,4-Position).
Im Speziellen fasst man unter dem Begriff Katecholamin die Hormone und Neurotransmitter
Adrenalin, Noradrenalin und Dopamin, sowie die Arzneistoffe Isoprenalin, Dobutamin und
Dopexamin zusammen.
Inhaltsverzeichnis




1 Physiologie
o 1.1 Biosynthese
o 1.2 Wirkungen
o 1.3 Nebenwirkungen
2 Katecholamine in der Diagnostik
3 Katecholamine in der Therapie
4 Weblinks
59
Physiologie
Biosynthese
Biosynthese der Katecholamine aus L-Tyrosin.
60
Die Biosynthese der Katecholamine findet in den Nebennieren und im Nervensystem statt. Sie
geht von der Aminosäure Tyrosin aus (s. Abb.), die zunächst mittels des Enzyms
Tyrosinhydroxylase zu Levodopa umgewandelt wird. Im nächsten Schritt entsteht aus Dopa
mithilfe der aromatische-L-Aminosäure-Decarboxylase Dopamin. Dopamin kann in einem
weiteren Schritt zu Noradrenalin hydroxyliert werden, wozu die Dopaminhydroxylase
gebraucht wird. Den optionalen letzten Schritt, die Methylierung von Noradrenalin zu
Adrenalin, katalysiert die Noradrenalin-N-Methyltransferase.
Wirkungen

grobe Einteilung im niedrigen und mittleren Dosisbereich:
o Adrenalin
 steigert Blutdruck und Herzfrequenz.
o Noradrenalin.
 steigert vor allem den Blutdruck, nicht so sehr die Herzfrequenz
o Isoprenalin.
 steigert vor allem die Herzfrequenz, nicht so sehr den Blutdruck.
o Dopamin
 positiv inotrop
o Dobutamin
 positiv inotrop
Nebenwirkungen



Alle sind in höherer Dosis arrhythmogen;
alle sind in hoher Dosis kardiotoxisch;
in hoher Dosis Kreislaufzentralisation unter Noradrenalin.
Katecholamine in der Diagnostik
Die aus dem Nebennierenmark und aus den sympathischen Nerven freigesetzten
Katecholamine Noradrenalin und Adrenalin werden zu etwa 1 % im Harn ausgeschieden. 80–
85 % der Katecholaminausscheidung erfolgen als Vanillinmandelsäure und ca. 15 % als
Metanephrine.
Bei Verdacht auf Phäochromozytom ist die Bestimmung von freien Metanephrinen im Harn
notwendig, da diese Tumore meist große Mengen Noradrenalin produzieren. Die Bestimmung
der Metanephrine erfolgt dabei im Urin, der über 24 Stunden gesammelt wurde. Zusätzlich
wird meist eine Bestimmung im Blutserum vorgenommen.
Katecholamine in der Therapie
Katecholamine stehen auch als Medikamente zur Verfügung. Sie werden fast ausschließlich
in der Intensivmedizin und bei Reanimation verabreicht. Sie sind stark wirksam und werden
meist intravenös gegeben. Eine alternative Verabreichungsform bei der Reanimation stellt die
endotracheale Gabe von Adrenalin dar. Dies ist dann sinnvoll, wenn ein Endotrachealtubus,
aber kein intravenöser Zugang zur Verfügung steht. Die Resorptionsgeschwindigkeit ist
vergleichbar, die Dosis muss jedoch angepasst werden. Neuere Studien haben jedoch gezeigt,
dass die endotracheale Applikation der intravenösen deutlich unterlegen ist. So lässt sich die
61
Resorptionsgeschwindigkeit eben nicht zuverlässig bestimmen, es kann zu Depotbildungen
kommen, die nach der Wiederkehr einer spontanen Blutzirkulation noch zu
Herzrhythmusstörungen führen. In den 2005er Richtlinien des ERC wird daher die
endobronchiale Gabe nur noch im Ausnahmefall empfohlen und nicht wie früher als
Regelmaßnahme.
Bei der Katecholaminanwendung zur Kreislaufstabilisierung in der Intensivmedizin ist auf
eine sehr gleichmäßige Zufuhr in den Körper zu achten, da sonst erhebliche Druck- und
Herzfrequenzspitzen, bzw. (bei Unterbrechung der Zufuhr) Blutdruck- und
Herzfrequenzabfälle auftreten können. Eine enge Herzkreislaufüberwachung ist unabdingbar,
da diese Stoffe in höherer Dosierung ein erhebliches arrhythmogenes Potential haben (d. h.
Herzrhythmusstörungen bis hin zum Kammerflimmern auslösen können). Bei der
Anwendung kann es zu Herzinfarkten und Hirnblutungen durch zu hohen Blutdruck kommen.
Die Wirksamkeit der Katecholamine beim kardiogenen Schock ist bis jetzt nicht eindeutig
belegt. Auch sonst beruht der Einsatz der Katecholamine in der Intensivmedizin meist auf
empirischer Erfahrung. Randomisierte Vergleichsstudien sind Mangelware, da die
Katecholamine vor der verbreiteten Akzeptanz der Kriterien der „Evidence based medicine“
zur Verfügung standen und ihre Anwendung oft der einzige Weg ist, eine mit dem Überleben
vereinbare Kreislaufsituation aufrechtzuerhalten, so dass sich Vergleichsstudien mit Placebos
aus ethischen Gründen verbieten.
Angiotensin I
Angiotensin I
Kugelmodell nach PDB 1N9U
Größe
10 Aminosäuren
Precursor
Angiotensinogen
Bezeichner
Gen-Namen
AGT; ANHU; SERPINA8
Externe IDs
OMIM: 106150 UniProt: P01019
MGI: 87963
62
Angiotensin I ist ein Dekapeptid und ein Prohormon. Es ist ein wichtiges Bindeglied in dem
für die Aufrechterhaltung des Blutdrucks und des Wasserhaushaltes zuständigen ReninAngiotensin-Aldosteron-System (RAAS).
Inhaltsverzeichnis




1 Struktur
2 Wirkmechanismus
3 Geschichte
4 Quellen
Struktur
Die Primärstruktur von Angiotensin I besteht aus zehn Aminosäuren (H2N-Asp–Arg–Val–
Tyr–Ile–His–Pro–Phe–His–Leu–COOH) mit einer Molekülmasse von 1296,49 Da.[1]
Wirkmechanismus
Angiotensin I wird im Organismus enzymatisch durch Renin aus Angiotensinogen gebildet.
Es ist selbst weitgehend inaktiv. In Gegenwart des Angiotensin Converting Enzyme (ACE)
wird Angiotensin I in das Oktapeptid Angiotensin II gespalten, welches für die
blutgefäßkontrahierenden Wirkungen verantwortlich ist.
Ein weiterer, von Angiotensin I ausgehender Aktivierungsweg wurde erst kürzlich entdeckt.
Angiotensin I kann in Gegenwart des Angiotensin Converting Enzyme Typ 2 und weiterer
Peptidasen zum Heptapeptid Angiotensin(1-7) gespalten werden, welches mit einem bisher
noch unbekannten Angiotensin-Rezeptor interagiert.
Geschichte
Angiotensin, ursprünglich Angiotonin bzw. Hypertensin genannt, wurde erstmals 1940 durch
I.H. Page beschrieben. Er stellte fest, dass das in der Leber gebildete Angiotensinogen ein
Substrat für das der Niere entstammende Enzym Renin ist. Als Resultat einer enzymatischen
Umsetzung konnte eine Substanz gefunden werden, die zu einer Vasokonstriktion und einer
Blutdrucksteigerung führt. Es benötigte aber noch mehr als ein Jahrzehnt bis durch Leonard
T. Skeggs gezeigt werden konnte, dass das Angiotensin ein Gemisch aus mindestens zwei
verschiedenen Substanzen ist: dem weitgehend inaktiven Angiotensin I und dem
gefäßkontrahierenden Angiotensin II.
63
Angiotensin II
Angiotensin II
Kalottenmodell nach PDB 1N9V
Größe
Precursor
8 Aminosäuren
Angiotensinogen
Bezeichner
Gen-Namen
AGT; ANHU; SERPINA8
Externe IDs
OMIM: 106150 UniProt: P01019
MGI: 87963
Arzneistoffangaben
ATC-Code
C01CX06
Angiotensin II ist ein zu den Gewebshormonen zählendes Peptidhormon, bestehend aus acht
Aminosäuren (Oktapeptid). Es nimmt die Schlüsselposition in dem für die Aufrechterhaltung
des Blutdrucks und des Wasserhaushaltes zuständigen Renin-Angiotensin-Aldosteron-System
(RAAS) ein.
Inhaltsverzeichnis


1 Biochemie
o 1.1 Struktur
o 1.2 Biosynthese
o 1.3 Wirkmechanismus
o 1.4 Abbau
2 Geschichte
64

3 Quellenangaben
Biochemie
Struktur
Die Primärstruktur von Angiotensin II besteht aus acht Aminosäuren (H2N-Asp–Arg–Val–
Tyr–Ile–His–Pro–Phe–COOH) mit einer Molekülmasse von 1046,19 Da.[1]
Biosynthese
Angiotensin II wird aus dem Dekapeptid Angiotensin I im Organismus enzymatisch durch das
Angiotensin Converting Enzyme (ACE) gespalten. Das Angiotensin Converting Enzyme ist
der Angriffspunkt der ACE-Hemmer.
Wirkmechanismus
Das gebildete Angiotensin II interagiert mit Angiotensin-Rezeptoren (AT-Rezeptoren). Durch
eine Aktivierung des AT1-Rezeptors kann primär in Blutgefäßen eine Kontraktion, in der
Niere eine erniedrigte glomeruläre Filtration bei gleichzeitig verminderter Na+-Ausscheidung,
in der Nebenniere eine Stimulierung der Aldosteron- und Adrenalinfreisetzung und in der
Hypophyse eine Freisetzung von Vasopressin beobachtet werden. Auch das Durstgefühl wird
auf eine akute Stimulation von AT1-Rezeptoren im Hypothalamus zurückgeführt. Eine
chronische Stimulation des AT1-Rezeptors führt hingegen zu einer Stimulation mitogener
Effekte und somit beispielsweise zur Hypertrophie des Herzes. Akute und chronische
Wirkungen von Angiotensin II auf den AT1-Rezeptor können indirekt durch ACE-Hemmer
und direkt durch AT1-Rezeptorantagonisten (Sartane) unterdrückt werden.
Angiotensin II zeigt ebenfalls eine hohe Affinität zu AT2-Rezeptoren. Die Bedeutung dieser
Rezeptoren an den durch Angiotensin II vermittelten Effekten ist hingegen umstritten.
Angiotensinamid, ein Abkömmling des Angiotensin II, ist ein kardiostimulierender und
blutdrucksteigernder Arzneistoff.
Abbau
Angiotensin II wird durch Aminopeptidasen in einem mehrstufigen Prozess zu inaktiven
Produkten abgebaut. Anfallende Zwischenprodukte, wie das Angiotensin III und das
Angiotensin IV können jedoch durchaus noch eine biologische Aktivität besitzen.
Angiotensin III bindet mit mäßiger Potenz an den AT1-Rezeptor, während Angiotensin IV ein
Ligand an dem noch wenig erforschten AT4-Rezeptor ist.
Ein alternativer Spaltungsweg des Angiotensins II mit Hilfe des Angiotensin Converting
Enzyme Typ 2 wurde erst kürzlich entdeckt.
65
Geschichte
Angiotensin, ursprünglich Angiotonin bzw. Hypertensin genannt, wurde erstmals 1940 durch
I. H. Page beschrieben. Er stellte fest, dass das in der Leber gebildete Angiotensinogen ein
Substrat für das der Niere entstammende Enzym Renin ist. Als Resultat einer enzymatischen
Umsetzung konnte eine Substanz gefunden werden, die zu einer Vasokonstriktion und einer
Blutdrucksteigerung führt. Es benötigte aber noch mehr als ein Jahrzehnt bis durch Leonard
T. Skeggs gezeigt werden konnte, dass das Angiotensin ein Gemisch aus mindestens zwei
verschiedenen Substanzen ist: dem weitgehend inaktiven Angiotensin I und dem
gefäßkontrahierenden Angiotensin II.
Releasing-Hormone
Releasing-Hormone, auch Liberine, sind Neuropeptide, die in bestimmten Kerngebieten im
Hypothalamus gebildet werden. Die Nerven enden in der Eminentia mediana (einem
Neurohämalorgan am unteren Rand des Hypothalamus). Hier werden unter der Kontrolle von
weiteren Hormonen und Neurotransmittern die Releasing-Hormone in Blutgefäße
ausgeschüttet, die direkt zum Hypophysenvorderlappen reichen. Man spricht von einem
Portalsystem. In der Hypophyse regen die Releasing-Hormone die Freisetzung anderer
Hormone an. Somatostatin und Dopamin sind Release-Inhibiting-Hormone (Statine), also
Regulatoren, die die Freisetzung unterdrücken. Die Bildung der Hormone der Hypophyse
steht nicht unter der Kontrolle der Releasing-Hormone, nur deren Freisetzung:
Inhaltsverzeichnis




1 Die hypothalamischen Releasing-Hormone des Menschen und ihre Wirkung
2 Die hypothalamischen Release-inhibiting-Hormone des Menschen und ihre Wirkung
3 Referenzen
4 Literatur
Die hypothalamischen Releasing-Hormone des Menschen
und ihre Wirkung





TRH (Thyreotropin-Releasing-Hormon), auch Thyreoliberin, bewirkt die Freisetzung
von Thyreotropin (TSH).
CRH (Corticotropin-Releasing-Hormon), auch Corticoliberin, bewirkt die Freisetzung
von Adrenocorticotropin (ACTH).
GnRH (Gonadotropin-Releasing-Hormon), auch Gonadoliberin, bewirkt die
Freisetzung des Follikelstimulierenden Hormons (FSH) und des Luteinisierenden
Hormons (LH).
GHRH (Growth-Hormone-Releasing-Hormon), auch Somatoliberin, bewirkt die
Freisetzung von Somatotropin (Wachstumshormon, Growth Hormone, GH).
PRH (Prolaktin-Releasing-Hormon) gibt es nach dem Stand der Wissenschaft nicht.
Die Prolaktin-Releasing Peptide (PrRP) (aus dem Hypophysenzwischenlappen)[1]
66
können zwar in der Zellkultur Prolaktin-Freisetzung erreichen, aber dort, wo die
übrigen Releasing-Hormone ins Portalsystem freigesetzt werden, um dann zur
Hypophyse transportiert zu werden, in der Eminentia mediana, findet man die PrRPNeuronen nicht. Daher bestehen große Zweifel, ob die hypophysäre ProlaktinFreisetzung durch PrRP stimuliert wird[2]. Die Prolaktin-Freisetzung steht unter
negativer Regulation von Dopamin (siehe unten).
Die hypothalamischen Release-inhibiting-Hormone des
Menschen und ihre Wirkung


Somatostatin Gemeinsam mit Somatoliberin (Wachstumshormon-Releasing-Hormon)
steuert Somatotostatin die Freisetzung des Wachstumshormon. Darüber hinaus ist es
ein Regulator weiterer Hormonfreisetzungen in den Langerhans'schen Inselzellen und
im Magen- und Darmtrakt.
Dopamin Anders als die vorstehenden Neuropeptide ist Dopamin kein Neuropeptid,
sondern als Derivat des Tyrosins ein Katecholamin. Es wirkt sowohl als
Neurotransmitter als auch als Hormon. Von der Eminentia mediana freigesetzt und
über das Portalsystem zur Hypophyse transportiert, unterdrückt es als Hormon die
Prolaktinfreisetzung.
Parathormon
Parathormon
Bänder-/Stäbchenmodell von Aminosäuren 1-34 des PTH nach PDB 1BWX
Vorhandene Strukturdaten: 1bwx, 1et1, 1fvy, 1hph, 1hpy, 1zwa, 1zwb, 1zwc, 1zwd,
1zwe, 1zwf, 1zwg
Größe
Precursor
84 Aminosäuren
(115 Aminosäuren)
Bezeichner
Gen-Namen
PTH;
Externe IDs
OMIM: 168450 UniProt: P01270
MGI: 97799
67
Vorkommen
Homologie-Familie
Übergeordnetes
Taxon
Parathormon
Amnioten
Das Parathormon, auch Parathyrin (PTH), ist ein Peptidhormon, bestehend aus 84
Aminosäuren[1], welches in den Nebenschilddrüsen (Epithelkörperchen) gebildet wird. Die
Hauptfunktion des Parathormons ist die Erhöhung der Calcium-Konzentration im Blutplasma.
Eine Verminderung dieser Konzentration induziert vermehrte PTH-Sekretion. Verschiedene
Ursachen können für einen zu hohen bzw. zu niedrigen Gehalt des Bluts an PTH
verantwortlich sein (Hyperparathyreoidismus bzw. Hypoparathyreoidismus). Veränderungen
im PTH-Gen, die zu Hypoparathyroidismus führen, sind bekannt.
Inhaltsverzeichnis







1 Biosynthese
2 Abbau
3 Mechanismus und Steuerung der Sekretion
4 Wirkungen
o 4.1 Induktion der Osteolyse
o 4.2 Hemmung der Phosphatresorption
o 4.3 Induktion der Biosynthese von Calcitriol
5 Klinik
6 Quellen
7 Literatur
Biosynthese
Das Parathormon wird als PräPro-Hormon (115 Aminosäuren) an membrangebundenen
Ribosomen synthetisiert und cotranslational unter Abspaltung der aminoterminalen
Signalsequenz (Prä-Sequenz) prozessiert, so dass Pro-Parathormon (90 Aminosäuren)
entsteht. Durch Prozessierung im Golgi-Apparat entsteht das fertige Parathormon (siehe
Translation).
Abbau
Das Parathormon besitzt nur eine Halbwertzeit von wenigen Minuten und wird sowohl in den
Epithelkörperchen selbst, als auch in der Leber und der Niere proteolytisch abgebaut. Da nur
ein sehr kleiner Anteil des Parathormons für die biologische Aktivität verantwortlich ist,
entstehen bei der Proteolyse teilweise Zwischenprodukte, die noch biologische Aktivität
aufweisen und im Blut nachweisbar sind.
68
Mechanismus und Steuerung der Sekretion
Die PTH-Sekretionsrate wird in Abhängigkeit von der Plasma-Calcium-Konzentration
(ionisierte Fraktion) reziprok reguliert, das heißt ein Anstieg über den Normalwert hemmt die
PTH-Sekretion (negative Rückkopplung). Bei einer Konzentration von 1 mmol/l ionisiertem
Plasma-Calcium wird die maximale PTH-Sekretionsrate erreicht und bei 1,25 mmol/l eine
minimale Sekretionsrate von 10 %. Ein Anstieg über 1,25 mmol/l führt also zu keiner
weiteren Senkung der PTH-Sekretionsrate (basale Sekretionsaktivität).
Für diesen Regulationsmechanismus ist der 1993 entdeckte Calciumsensitive Rezeptor
verantwortlich. Dabei handelt es sich um einen G-Protein-gekoppelten Rezeptor, der bei
Aktivierung durch den Liganden (hohe Calcium-Konzentration) den Inositolphosphatweg in
Gang setzt, der zur Erhöhung der cytoplasmatischen Inositoltriphosphat- und DiacylglycerinKonzentration führt. Wahrscheinlich hemmt Inositoltriphosphat die Adenylylcyclase, so dass
die cytoplasmatische cAMP-Konzentration abfällt und dadurch die Sekretion von
Parathormon sinkt.
Wirkungen
Induktion der Osteolyse
PTH führt indirekt zur Reifung und Aktivierung der Osteoklasten und damit zu einer
Calcium-Phosphat-Mobilisierung aus dem Knochengewebe.
Die Osteoklasten und die Stromazellen des Knochens besitzen PTH-Rezeptoren. Bei Bindung
von Parathormon an den Rezeptoren wird u. a. der Osteoklasten-differenzierende Faktor
(ODF, engl.: Osteoclast differentiating factor) in die Plasmamembran der Osteoblasten
eingebaut. ODF interagiert mit RANK (Receptor aktivator of nuclear factor κB), einem
Membranrezeptor, der von Osteoklasten exponiert wird und bei Aktivierung die
Osteoklastogenese fördert. Eine negative Kalziumbilanz des Knochens tritt jedoch nur bei
pathologisch erhöhten PTH-Konzentrationen auf.
Hemmung der Phosphatresorption
PTH hemmt in der Niere die Phosphat-Resorption (Wiederaufnahme) im proximalen Tubulus
und erhöht die Calcium-Resorption (Wiederaufnahme) im distalen Tubulus. Phosphat wird in
erster Linie über einen Natrium-Phosphat-Kotransporter (NPT2) aus dem Primärharn zurück
in die Nierenepithelzellen des proximalen Tubulus transportiert. Von dort gelangt Phosphat
zurück ins Blut. Wenn über die Nahrung ausreichend Phosphat aufgenommen wird, hemmt
Parathormon die Phosphatrückaufnahme in der Niere. Die Hemmung findet dadurch statt,
dass unter der Parathormonwirkung der NPT2-Kotransporter internalisiert und in Lysosomen
abgebaut wird. Dadurch wird die Zahl aktiver Transportmoleküle auf der Zelle stark reduziert.
Der Phosphatspiegel im Blut sinkt also, da mehr Phosphat mit dem Urin ausgeschieden wird.
Dies ist durchaus sinnvoll, da dadurch im Blut wieder mehr freies ionisiertes Calcium
vorliegen kann (das bei zu hoher Phosphatkonzentration mit diesem in der Niere einen
schwerlöslichen Komplex bildet, der ausfällt und zur sogenannten Kalkniere führt).
69
Induktion der Biosynthese von Calcitriol
Des Weiteren steigert PTH die Aktivität der 1α-Hydroxylase, dem Schlüsselenzym der
Calcitriol-Biosynthese (Vitamin D3), die vor allem in der Niere lokalisiert ist, und mit deren
Hilfe (Vitamin D3) PTH auch die enterale Calcium-Resorption im terminalen Ileum erhöht.
Klinik
Blutwert (Referenzbereich):

Parathormon im Serum: 12-72 ng/l bzw. 1,5-6,0 pmol/l
Erhöhte Blutwerte (Hyperparathyreoidismus):

Entartete Epithelkörperchen (Adenome oder selten Karzinome) unterliegen nicht mehr
der kalziumabhängigen Sekretionssteuerung. Es kommt zur unkontrollierten Erhöhung
des Parathormonspiegels (primärer Hyperparathyreoidismus) und dadurch zur
Hyperkalzämie.

Auf eine Hypokalzämie infolge von Nieren- Leber- oder Darmerkrankungen reagiert
der Körper mit einer verstärkten Sekretion von Parathormon (sekundärer
Hyperparathyreoidismus) durch Hyperplasie der Epithelkörperchen.

Wird die Ursache für einen sekundären Hyperparathyreoidismus plötzlich therapiert
(z.B. Nierentransplantation) bleibt die Basalsekretion vom Parathormon aufgrund der
reaktiven Epithelkörperchenhyperplasie erhöht (tertiärer Hyperparathyreoidismus).
Folge ist eine Hyperkalzämie.

Im Rahmen von malignen Erkrankungen (Bronchialkarzinom, Mammakarzinom,
Prostatakarzinom, Plasmozytom) kann es zur paraneoplastischen Hyperkalzämie
kommen. Die entarteten Zellen bilden ein dem Parathormon verwandtes Peptid
(PTHrP), welches wie Parathormon wirkt (Pseudohyperparathyreoidismus).
Erniedrigte Blutwerte (Hypoparathyreoidismus):

Nach Schilddrüsenoperationen, Epithelkörperchenadenomentfernung oder autoimmun
kann ein Parathormonmangel entstehen. Es kommt zum Absinken des
Kalziumspiegels und in der Folge zur hypokalzämischen Tetanie. Die Konstellation
Hypokalzämie, Hypomagnesiämie und Hyperphosphatämie bei normaler
Nierenfunktion (Kreatininspiegel) sowie Ausschluss einer Malassimilation
(Albuminspiegel) deutet auf eine Funktionsstörung der Epithelkörperchen hin. Ein
erniedrigter Blutspiegel von Parathormon beweist die Diagnose
Hypoparathyreoidismus.
70
Hyperparathyreoidismus
Klassifikation nach ICD-10
E21.0Primärer Hyperparathyreoidismus
E21.1Sekundärer Hyperparathyreoidismus
E21.2Tertiärer, quartärer oder quintärer
Hyperparathyreoidismus
ICD-10 online (WHO-Version 2006)
Hyperparathyreoidismus (HPT) ist eine Regulationsstörung der Epithelkörperchen
(Nebenschilddrüsen). Der Hyperparathyreoidismus ist gekennzeichnet durch eine vermehrte
Bildung von Nebenschilddrüsenhormon (Parathormon), welches den Calcium-Spiegel im Blut
reguliert.
Liegt der vermehrten Bildung von Parathormon eine gutartige Geschwulst (Adenom) der
Nebenschilddrüse zugrunde, spricht man von einer primären Überfunktion der
Nebenschilddrüsen (Primärer Hyperparathyreoidismus). Kennzeichen des primären
Hyperparathyreoidismus sind ein erhöhter Parathormon-Spiegel und ein erhöhtes SerumCalcium.
Ist die vermehrte Bildung von Parathormon die adäquate Reaktion der Nebenschilddrüsen auf
ein vermindertes Serum-Calcium (z. B. bei Vitamin D - Mangel), spricht man von
sekundärem Hyperparathyreoidismus. Charakteristisch für den sekundären
Hyperparathyreoidismus ist ein erhöhter Parathormon-Spiegel bei niedrigem Serum-Calcium.
Eine wichtige Ursache des sekundären Hyperparathyreoidismus ist die verminderte
Aktivierung von Vitamin D aufgrund einer chronischen Nierenerkrankung.
Ein über lange Zeit bestehender sekundärer Hyperparathyreoidismus kann aufgrund einer
chronischen Überstimulierung der Nebenschilddrüsen zu einem inadäquaten Anstieg des
Parathormons führen. Parathormon-Spiegel und Serum-Calcium sind erhöht, man spricht von
tertiärem Hyperparathyreoidismus. Vom primären Hyperparathyreoidismus kann der
tertiäre Hyperparathyreoidismus durch die Krankenvorgeschichte abgegrenzt werden.
Folgen des Hyperparathyreoidismus sind Abbau von Knochensubstanz aufgrund einer
vermehrten Calcium-Freisetzung aus dem Knochen, Nierensteine aufgrund einer vermehrten
Calcium-Ausscheidung in den Urin, Verkalkungen der Blutgefäße durch Ablagerung von
Calcium und Phosphat sowie eine Vielzahl weiterer, zum Teil unspezifischer Symptome. Da
eine Bestimmung des Serum-Calciums häufig im Rahmen einer Routine-Blutuntersuchung
erfolgt, wird die Diagnose meist in einem frühen Stadium gestellt, in dem noch keine oder nur
unspezifische Symptome bestehen.
Die Therapie des primären Hyperparathyreoidismus erfolgt durch operative Entfernung des
Nebenschilddrüsen-Adenoms. Ist eine Operation nicht möglich oder wird diese nicht
gewünscht, kann bei geringgradig erhöhtem Serum-Calcium der Krankeitsverlauf durch
regelmäßige Kontrollen von Parathormon und Calcium beobachtet werden. Bei stark
erhöhtem Calcium kann die Bildung von Parathormon durch das Medikament Cinacalcet
gehemmt werden.
71
Der sekundäre Hyperparathyreoidismus wird behandelt mit Vitamin D, Cinacalcet und
Phosphatbindern, letztere senken bei chronischer Nierenkrankheit erhöhte Phosphatspiegel.
Der tertäre Hyperparathyreoidismus wird durch operative Entfernung der Nebenschildrüsen
behandelt. Um eine ausreichende Bildung von Parathormon zu gewährleisten, wird entweder
ein Teil eines Epithelkörperches belassen (subtotale Parathyreoidektomie) oder ein Teil eines
Epithelkörperchens wird an anderer Stelle in einen Muskel eingepflanzt (autologe
Retransplantation).
Inhaltsverzeichnis

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
1 Die Nebenschilddrüsen (Epithelkörperchen)
2 Parathormon und Calcium-Haushalt
3 Primärer Hyperparathyreoidismus
o 3.1 Pathogenese
o 3.2 Ätiologie
 3.2.1 Ionisierende Strahlung
 3.2.2 Genetische Veränderungen
o 3.3 Klinik
4 Sekundärer Hyperparathyreoidismus
5 Tertiärer Hyperparathyreoidismus
6 Quartärer und quintärer Hyperparathyreoidismus
7 Symptome des Hyperparathyreoidismus
o 7.1 Asymptomatischer Hyperparathyreoidismus
o 7.2 Symptomatischer Hyperparathyreoidismus
8 Epidemiologie
9 Histologie
o 9.1 Nebenschilddrüse
o 9.2 Knochen
10 Diagnose
o 10.1 Diagnose des primären Hyperparathyreoidismus
o 10.2 Differentialdiagnose des primären Hyperparathyreoidismus
o 10.3 Diagnose des sekundären Hyperparathyreoidismus
o 10.4 Differentialdiagnose des sekundären Hyperparathyreoidismus
o 10.5 Klinische Chemie
o 10.6 Osteodensitometrie
o 10.7 Lokalisationsdiagnostik
11 Therapie des Hyperparathyreoidismus
o 11.1 Therapie des primären Hyperparathyreoidismus
 11.1.1 Chirurgische Therapie
 11.1.2 Nicht chirurgische Therapie
o 11.2 Therapie des sekundären Hyperparathyreoidismus
 11.2.1 Sekundärer Hyperparathyreoidismus bei chronischem
Nierenversagen
o 11.3 Therapie des tertiären Hyperparathyreoidismus
12 Siehe auch
13 Quellen
o 13.1 Weblinks
o 13.2 Leitlinien
72
o
13.3 Einzelnachweise
Die Nebenschilddrüsen (Epithelkörperchen)
Die Epithelkörperchen sind in etwa linsengroße Organe. Sie haben einen Durchmesser von 5
bis 8 mm und ein Gewicht von etwa 20 bis 50 mg. Sie liegen in der Regel jeweils hinten am
oberen und unteren Pol der Schilddrüse. Selten können aber auch Nebenschilddrüsen im
Bereich des Thorax gefunden werden. Der Grund findet sich in der embryologischen
Entwicklung der Nebenschilddrüsen. Die meisten Menschen haben vier Epithelkörperchen.
Sie bilden das Parathormon, ein Hormon, welches den Calciumspiegel im Körper reguliert.
Parathormon und Calcium-Haushalt
Parathormon und Calcitriol sind die beiden hauptsächlichen Hormone, welche den CalciumPhosphat-Haushalt regulieren. Parathormon hält den Serum-Spiegel von Calcium in einem
engen Bereich, kurzfristig durch vermehrte Rückresorption von Calcium im Tubulussystem
der Niere und Förderung der Freisetzung von Calcium durch Abbau von Knochensubstanz.
Längerfristig fördert Parathormon die Umwandlung von Calcidiol in Calcitriol und stimuliert
so die Calcium-Aufnahme im Darm.
Die Sekretion von Parathormon wird durch den calciumsensitiven Rezeptor reguliert, welcher
an der Oberfläche der Nebenschilddrüsen-Zellen exprimiert wird. Eine Zunahme der
Konzentration an ionisiertem Calcium führt über eine Aktivierung des calciumsensitiven
Rezeptors zu einer Hemmung der Parathormon-Sekretion, ein Abfall des ionisierten Calciums
führt zu einer gesteigerten Sekretion von Parathormon.
Primärer Hyperparathyreoidismus
Pathogenese
Bei Patienten mit primärem Hyperparathyreoidismus ist die Parathormon-Sekretion in
Relation zur Calcium-Konzentration im Serum inadäquat hoch, ausgelöst durch ein Adenom
oder eine Hyperplasie einer oder mehrerer Nebenschilddrüsen (Epithelkörperchen). Ursache
der vermehrten Parathormon-Sekretion ist eine verminderte Sensitivität (Empfindlichkeit) des
calciumsensitiven Rezeptors aufgrund einer verminderten Anzahl von calciumsensitiven
Rezeptoren pro Nebenschilddrüsen-Zelle und/oder eine vermehrte Masse an
Nebenschilddrüsen-Gewebe durch eine vermehrte Anzahl an Nebenschilddrüsen-Zellen. Die
Regulation der Parathormon-Sekretion ist dabei nicht vollständig aufgehoben, es ist aber eine
höhere Calcium-Konzentration erforderlich, um die Parathormon-Sekretion zu hemmen - der
Soll-Wert der Calcium-Konzentration ist nach rechts verschoben.[1][2]
Ätiologie
Nur in seltenen Fällen kann eine Ursache des primären Hyperparathyreoidismus, ionisierende
Strahlung oder genetische Veränderungen gefunden werden.
73
Ionisierende Strahlung
Eine erhöhte Inzidenz von primärem Hyperparathyreoidismus fand sich nach Bestrahlung der
Halsregion[3], das Risiko, einen primären Hyperparathyreoidismus zu entwickeln steigt mit der
Strahlendosis.[4] Auch bei Überlebenden des Atombombenabwurfs auf Hiroshima fand sich
eine erhöhte Inzidenz an primärem Hyperparathyreoidismus.[5] Bei Patienten mit
Hyperparathyreoidismus,der durch Strahlung ausgelöst wurde, ist die Inzidenz von
Schilddrüsenkrebs erhöht, ansonsten unterscheidet sich der Verlauf aber nicht von Patienten
mit idiopathischem Hyperparathyreoidismus (d.h. Hyperparathyreoidismus ohne
nachweisbare Ursache).[6] Die Daten zum Auftreten eines primären Hyperparathyreoidismus
nach Radiojodtherapie sind widersprüchlich, eine Studie fand ein gehäuftes Auftreten [7], in
einer weiteren Studie konnte ein Zusammenhang zwischen Radiojodtherapie und
Hyperparathyreoidismus dagegen nicht bestätigt werden.[8]
Genetische Veränderungen
Bei primärem Hyperparathyreoidismus findet sich in der Regel eine monoklonale
Vermehrung atypischer Nebenschilddrüsenzellen, d.h. die veränderten Zellen gehen auf eine
einzige veränderte Mutterzelle zurück. Im veränderten Nebenschildrüsengewebe wurden
Mutationen in einer ganzen Reihe von Genen nachgewiesen: In Genen, welche das
Zellwachstum kontrollieren, in Protoonkogenen sowie in Tumorsuppressorgenen.
Im einzelnen wurden bisher Veränderungen in folgenden Genen beschrieben:




CYCLIN D1 hat multiple Funktionen beim Zellwachstum, bei der Zelldifferenzierung
und im Zellstoffwechsel. Eine erhöhte Aktivität von Cyclin D1 spielt eine wichtige
Rolle bei der Entstehung von Tumoren einschließlich von Adenomen der
Nebenschilddrüse.
Multiple endokrine Neoplasie Typ I; MEN1: Inaktivierende Mutationen in MEN1,
einem Tumorsuppressorgen führen zu autosomal-dominant vererbten Neoplasien von
Nebenschilddrüsen, der Hypophyse und der Inselzellen im Pankreas sowie zu
vermehrtem Auftreten von Magengeschwüren.
HRPT2 kodiert für das Protein Parafibromin, das im Komples mit weiteren Proteinen
(PAF1 und CTR9) an RNA-Polymerase II und an Histon-Methyltransferase bindet.
Mutationen in HRPT2 führen zu Adenomen der Nebenschilddrüsen in Verbindung mit
Kiefer-Tumoren, sowie zu Nebenschilddrüsenkarzinom.
RET kodiert für eine Rezeptor-Tyrosinkinase. Mutationen führen unter anderem zur
multiplen endokrinen Neoplasie Typ IIA. Die betroffenen Patienten entwickeln CZell-Karzinome der Schilddrüse, Phäochromozytome und in 15 bis 20 % der Patienten
einen primären Hyperparathyreoidismus.
Klinik
Der erhöhte Parathormonspiegel führt zu einem gesteigerten Knochenabbau und damit zu
einer erhöhten Calcium-Konzentration im Blut. Der Knochen wird demineralisiert.
Knochenschmerzen können auftreten. In der Niere sorgt das Parathormon für eine
verminderte Calciumausscheidung mit dem Urin, so dass die Calciummenge im Blut
zusätzlich ansteigt. Durch die Rückresorption von Calcium aus dem Urin, kann das
Löslichkeitsprodukt überschritten werden. In der Folge entstehen Nierensteine. Außerdem
können Gallensteine und Entzündungen der Bauchspeicheldrüse auftreten. Die Beschwerden
74
des Hyperparathyreoidismus werden gerne mit den drei Worten "Stein-, Bein- und
Magenpein" umschrieben.
Sekundärer Hyperparathyreoidismus
Ursache hier ist eine verstärkte Hormonproduktion als Reaktion auf einen erhöhten
Calciumverlust (Hypokalzämie) des Körpers. Durch die kompensatorisch vermehrte
Hormonproduktion kann die Calcium-Konzentration im Blut im unteren Normalbereich
liegen.
Zugrunde liegende Erkrankungen des sekundären Hyperparathyreoidismus:





Chronische Niereninsuffizienz (typisch: Calciumspiegel niedrig, Phosphatspiegel zu
hoch)
Malassimilationssyndrom: Störung der Calcium-Aufnahme im Darm.
Leberzirrhose: Gestörte Umwandlung von Vitamin D3 (Cholecalciferol) in 25Hydroxycholecalciferol in der Leber. Durch das fehlende aktive Vitamin D3 wird im
Darm weniger Calcium aufgenommen und in der Niere weniger Calcium reabsorbiert.
Cholestase: Durch den Mangel an Gallensäuren ist die Resorption von Vitamin D3 aus
der Nahrung gestört.
Fehlende Sonnenlichtexposition: In der Haut kann Vitamin D3 nicht mehr aus
Cholesterin (bzw. 7-Dehydro-Cholesterin) gebildet werden.
Tertiärer Hyperparathyreoidismus
Wenn über einen längeren Zeitraum ein sekundärer Hyperparathyreoidismus besteht, wird
außer der Funktion der Nebenschilddrüsen auch deren Wachstum stimuliert, so dass es
schließlich zu einer autonomen Überproduktion in den Epithelkörperchen kommen kann. Wie
beim primären Hyperparathyreoidismus ist der Regelkreis an der Stelle der
Nebenschilddrüsen aufgetrennt.
Quartärer und quintärer Hyperparathyreoidismus
Selten sind quartäre und quintäre Formen eines Hyperparathyreoidismus. Als quartärer
Hyperparathyreoidismus wird ein sekundärer Hyperparathyreoidismus auf dem Boden einer
Nierenschädigung bezeichnet, wenn die Nierenschädigung ihrerseits durch einen primären
Hyperparathyreoidismus verursacht worden war. Pathophysiologisch gesehen ist der
Regelkreis wie beim sekundären Hyperparathyreoidismus an der Niere aufgetrennt. Als
quintär wird ein Hyperparathyreoidismus bezeichnet, wenn die Entkoppelung der
Parathormonsekretion aus einem oder mehreren verbliebenen Epithelkörperchen auf einem
langjährigen quartären Hyperparathyreoidismus beruht.
Symptome des Hyperparathyreoidismus
Bei Diagnosestellung eines primären Hyperparathyreoidismus können folgende
Krankheitsmanifestationen bestehen:

zufällig entdeckte Erhöhung des Calciumspiegels im Blut, ohne dass klinische
Krankheitszeichen bestehen (asymptomatische Hyperkalziämie),
75



Erhöhung des Calciumspiegels im Blut mit klinischen Krankheitszeichen
(symptomatische Hyperkalziämie),
Folgekrankheiten des Hyperparathyreoidismus: verminderte Knochendichte
(Osteopenie), Knochenschwund (Osteoporose), Nierensteine (Nephrolithiasis),
selten typische Knochenveränderungen (Osteitis fibrosa cystica) oder
hyperparathyreotischen Krise.
In früheren Jahren standen bei Erstmanifestation meist die klassischen Symptome der
fortgeschrittenen Erkrankung im Vordergrund: Stein-Bein-Magen-Pein durch Nierensteine,
pathologische Frakturen und Magengeschwüre. Seit der Zunahme von Blutuntersuchungen
und Knochendichtemessungen überwiegen symptomlose (asymptomatische) und
symptomarme (oligosymptomatische) Verläufe.[9]
Asymptomatischer Hyperparathyreoidismus
Mindestens 80 % der Patienten mit primärem Hyperparathyreoidismus werden durch den
Zufallsbefund eines erhöhten Serum-Calciums diagnostiziert. Diese Patienten haben meist
eine milde (im Mittel 2,8 mmol/, Norm 2,1–2,6 mmol/l) und intermittierende Hyperkalziämie.
[10]
Gelegentlich sind die Calcium-Spiegel normal, und der primäre Hyperparathyreoidismus
wird aufgrund einer verminderten Knochendichte festgestellt.[9] Bei genauerer Anamnese
geben manche Patienten unspezifische Sypmtome an wie Appetitlosigkeit (Anorexie), milde
depressive Verstimmung[11], milde Gedächtnis- oder neuromuskuläre Störungen. [12]
Häufig besteht bei primärem Hyperparathyreoidismus ein Vitamin D - Mangel, der die
Diagnose verschleiern kann. Nach Gabe von Vitamin D kann es dann zu einem Anstieg des
Calciumspiegels kommen, der auf die Diagnose hinweist.[13] Bei Vitamin D Mangel und
Hyperparathyreoidismus kann es aber auch zu ausgeprägteren Krankheitsbildern kommen mit
größeren Nebenschilddrüsen-Adenomen, höheren Konzentrationen an Parathormon, erhöhtem
Knochenumbau und vermehrten Knochenbrüchen.[14]
Symptomatischer Hyperparathyreoidismus
Durch den erhöhten Parathormonspiegel wird Calcium aus den Knochen abgebaut. Die
Knochendichte nimmt ab, Calciumspiegel im Blut und Calciumausscheidung im Urin steigen
an.
Der erhöhte Calciumspiegel im Blut (Hyperkalzämie) führt zu unspezifischen Beschwerden
Appetitlosigkeit (Anorexie), Übelkeit (Nausea), Verstopfung (Obstipation), gesteigerter Durst
(Polydipsie) und vermehrte Harnproduktion (Polyurie).
Am Knochen kommt es zu Osteoporose und pathologischen Frakturen, insbesondere im
Bereich der Wirbelsäule.[15]
Bei langjährigem sekundärem renalen Hyperparathyreoidismus können in den Knochen sog.
braune Tumore auftreten, die aus knochen-abbauenden Zellen (Osteoklasten) und
Bindegewebe bestehen. Die Bezeichnung brauner Tumor bezieht sich auf die braune Färbung,
die von Einblutungen hervorgerufen wird.[16]
In der Nieren führt die erhöhte Calciumausscheidung zum Ausfällen von Nierensteinen
(Nephrolithiais), Weichteilverkalkungen (Nephrokalzinose), Nierenkoliken, chronischem
76
Nierenversagen und Störungen der Tubulusfunktion. Die Nierensteine bestehen vorwiegend
aus Calciumoxalat, seltener Calciumphosphat. Bei etwa 15-20% der Patienten mit primärem
Hyperparathyreoidismus liegen Nierensteine vor, dem gegenüber findet sich bei etwa 5% der
Nierensteinträger ein primärer Hyperparathyreoidismus als Ursache des Steinleidens.[17]
Häufig klagen Patienten über neuromuskuläre Beschwerden wie Schwäche, Abgeschlagenheit
und Müdgkeit. [18]
Zudem treten bei Patienten mit primärem Hyperparathyreoidismus häufiger als in der
Normlabevölkerung psychiatrische Erkrankungen auf wie Teilnahmslosigkeit (Lethargie),
Depressionen, Verlust des Realitätsbezuges (Psychosen), verminderte soziale
Interaktionsfähigkeit und Einschränkung der kognitiven Fähigkeiten (Demenz). Exakte
Zahlen hierzu liegen aber nicht vor.[19]
Es besteht eine erhöhte Prävalenz an Bluthochdruck[20], Übergewicht [21] und gestörter
Glukosetoleranz [22] sowie an rheumatologischen Erkrankungen wie erhöhter Harnsäure
(Hyperurikämie), Gicht und Pseudogicht[23]. Es gibt Hinweise darauf, dass die Prävalenz von
Krebserkrankungen bei primärem Hyperparathyreoidismus erhöht ist, und das erhöhte
Krebsrisiko auch nach operativer Entfernung des Nebenschilddrüsenadenoms fortbesteht.
Aufgrund dieser Befunde wird über gemeinsame prädisponierende Faktoren für
Hyperparathreoidismus und Krebserkrankungen spekuliert.[24][25][26]
Bei Patienten mit primärem Hyperparathyreoidismus besteht eine hohe Inzidenz an
kardiovaskuläre Erkrankungen, insbsondere Linksherzhypertrophie sowie Verkalkungen von
Herzmuskel (Myokard), Aorten- und Mitralklappe. Das Risiko, an einer Herzerkrankung zu
versterben, ist möglicherweise erhöht.[27][28]
Bereits bei mildem primärem Hyperparathyreoidismus kommt es zu einer Versteifung der
Blutgefäße.[29][30]
Insbesondere beim sekundärem renalem Hyperparathyreoidismus kann es zu schweren
Verkalkungen der Gefäße kommen, darunter auch der Herzkranzgefäße. Die Folgen sind eine
erheblich erhöhte Morbidität und Mortalität an kardiovaskuläre Erkrankungen.[31][32]
Die enge Verzahnung zwischen Knochen- und Herzkreislauferkrankung beim sekundären
Hyperparathyreoidismushat hat dazu geführt, dass in den neuesten Leitlinien der Begriff
Renale Osteopathie durch den Begriff Renale Mineral- und Knochenerkrankung (Chronic
kidney disease-mineral and bone disorder) ersetzt wurde, welcher sowohl
Knochenstoffwechselstörung als auch Gefäßverkalkungen und deren Folgen beihaltet.[33]
Eine besonders schwere Komplikation des sekundären Hyperparathyreoidismus ist die
(Calciphylaxie), bei der Calciumablagerungen zu Thrombosen in den Arteriolen der Haut
führen. Diese können schwere Durchblutungsstörungen mit ausgedehnten Haut-Nekrosen
hervorrufen, die häufig zum Tode führen.[34]
Außerdem wird die Gastrinproduktion angeregt, so dass es zu einer
Magenschleimhautentzündung (Gastritis) und Zwölffingerdarmgeschwür (Ulcus duodeni)
kommen kann. [35]
77
Epidemiologie
Die Häufigkeit des primären Hyperparathyreoidismus hat in den letzten Jahren abgenommen.
In einem amerikanischen Register betrug die Inzidenz im Zeitraum von 1993 bis 2001 21,6
Fälle pro 100,000 Personen-Jahre, im Zeitraum von 1983 bis 1992 29,1 Fälle und von 1974
bis 1982 82,5 Fälle. Die Gründe für diese Abnahme der Häufigkeit sind nicht bekannt,
mögliche Ursachen sind eine verminderte Exposition gegenüber ionisierender Strahlung und
eine verbesserte Versorgung mit Vitamin D.
Der primäre Hyperparathyreoidismus kann in jedem Lebensalter auftreten, die meisten
Erkrankungen manifestieren sich aber erst nach dem 45. Lebensjahr. Frauen sind etwa doppelt
so oft betroffen wie Männer, möglicherweise weil der nach der Menopause eintretende
Knochenabbau einen latenten Hyperparathyreoidismus demaskieren kann. [36]
Histologie
Nebenschilddrüse
Bei primärem Hyperparathyreoidismus werden bei der feingeweblichen Untersuchung der
Nebenschilddrüsen folgende Veränderungen beschrieben:[37]



In 89 % der Fälle von primärem Hyperparathyreoidismus wird eine einzelne gutartige
Geschwulst (Adenom) der Nebenschilddrüse gefunden, in etwa 5 % der Fälle finden
sich zwei Adenome.[38] Die meisten Adenome werden von den Hauptzellen der
Nebenschilddrüse gebildet und sind von einer Kapsel umgeben. Gelegentlich werden
Adenome gefunden, die aus oxyphilen Zellen bestehen, diese Adenome sind in der
Regel größer. Es gibt auch Parathormon-bildende Adenome im Thymus.[39]
In 6% der Fälle findet sich eine glanduläre Hyperplasie, d.h. eine diffuse
Vergrößerung aller vier Nebenschilddrüsenkörperchen durch Vermehrung der
Hauptzellen. Sehr selten wird eine glanduläre Hyperplasie durch eine Vermehrung von
Klarzellen hervorgerufen.[40]
In ca. 2 % der Fälle findet sich ein Nebenschilddrüsenkarzinom, das gekennzeichnet
ist durch Invasion von Kapsel und Gefäßen, Lymphknoten- und Fernmetastasen.[41]
Knochen
Bei der feingeweblichen Untersuchung des Knochens finden sich Veränderungen, die als
Osteitis fibrosa beschrieben werden. Der erhöhte Parathormon-Spiegel aktiviert Osteoklasten.
Die vermehrte Osteoklasten-Tätigkeit führt zu einem Abbau von Knochensubstanz. Die
feingewebliche Untersuchung zeigt Mikrofrakturen und Einblutungen. Es bilden sich
Hohlräume, die gefüllt sind mit Bindegewebe, Osteoklasten und Hämosiderin-beladenen
Makrophagen. Zunehmende Auflösung (Resorption) von Knochengewebe und
bindegewebiger Umbau (Fibrose) führt zur Bildung von Knochenzysten, die mit bloßem
Auge sichtbar sind. Bei weiterem Fortschreiten der Erkrankung verschmelzen die
Knochenzysten zu braunen Tumoren, die braune Färbung ist Folge von Einblutungen und
Hämosiderinablagerungen (Fallbeispiele und Abb. unter [42][43])
78
Diagnose
Diagnose des primären Hyperparathyreoidismus
Erster Hinweis auf das Vorliegen eines primären Hyperparathyreoidismus ist ein erhöhter
Calcium-Spiegel (Hyperkalzämie). Andere Ursachen einer Hyperkalzämie können durch
Bestimmung der Parathormon-Konzentration abgegrenzt werden. [10] Die Diagnose eines
primären Hyperparathyreoidismus wird gestellt, wenn das Parathormon erhöht ist, oder wenn
das Parathormon zwar im Normalbereich von 10 bis 60 pg/ml liegt, aber relativ erhöht ist,
bezogen auf einen gleichzeitig erhöhten Calcium-Spiegel. [44] Etwa 80-90% der Patienten mit
primärem Hyperparathyreoidismus haben ein erhöhtes Parathormon, bei 10-20% der
Patienten liegt das Parathormon im Normalbereich.[45]
Differentialdiagnose des primären Hyperparathyreoidismus
Häufigste Ursache einer Hyperkalzämie sind neben dem Hyperparathyreoidismus bösartige
Krebserkrankungen. Meist ist bei Auftreten einer Hyperkalzämie die Krebserkrankung
bekannt und weit fortgeschritten, zudem sind die Calciumspiegel bei Krebserkrankungen
höher und die damit verbundenen Symptome schwerer. Das Parathormon ist bei
Hyperkalzämie aufgrund einer Krebserkrankung meist sehr niedrig.
Andere Ursachen einer Hyperkalzämie wie Milch-Alkali-Syndrom, Sarkoidose und Vitamin
D-Überdosierung können ebenfalls durch ein erniedrigtes Parathormon vom
Hyperparathyreoidismus abgegrenzt werden.
Bei der familiären hypokalzurischen Hyperkalzämie (FHH) ist die Calcium-Ausscheidung im
Urin vermindert, bei Patienten mit primärem Hyperparathyreoidismus ist die CalciumAusscheidung dagegen normal oder erhöht.[46]
Thiaziddiuretika vermindern die Calciumausscheidung über die Nieren und führen zu einer
milden Hyperkalzämie. Bei Patienten mit mildem Hyperparathyreoidismus können
Thiaziddiuretika die Grunderkrankung demaskieren, in dem sie zu einem deutlichen CalciumAnstieg im Serum führen. Fällt ein erhöhter Calcium-Spiegel nach Absetzen von
Thiaziddiuretika nicht ab, spricht dies für das Vorliegen eines primären
Hyperparathyreoidismus.
Lithium verstärkt die Parathormon-Sekretion und vermindert die Calciumausscheidung über
die Nieren, es kommt zu Hyperkalzämie und Hypokalzurie, einige Patienten weisen erhöhte
Parathormon-Spiegel auf. Nach Absetzen des Lithium kann sich die Hyperkalzämie
normalisieren, nach längerer (über 10 Jahre) dauernder Behandlung mit Lithium ist eine
Normalisierung der Calcium-Spiegel nach Beendigung der Therapie weniger wahrscheinlich.
Diagnose des sekundären Hyperparathyreoidismus
Der sekundäre Hyperparathyreoidismus ist charakterisiert durch einen erniedrigten CalciumSpiegels mit adäquatem Anstieg des Parathormons.
Häufigste Ursache des sekundären Hyperparathyreoidismus ist eine verminderte Produktion
von aktiviertem Vitamin D (Calcitriol) aufgrund einer chronischen
Nierenfunktionseinschränkung.
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Weitere Ursachen eines sekundären Hyperparathyreoidismus sind:












verminderte Calcium-Zufuhr mit der Nahrung
verminderte Calcium-Aufnahme über den Darm (Calcium-Malabsorption)
erhöhtes Phosphat (Hyperphosphatämie)
Vitamin D - Mangel
Adipositaschirurgie
Zöliakie
Exokrine Pankreasinsuffizienz
Calciumverluste über die Nieren
Idiopathische Hyperkalzurie
Schleifendiuretika
Verminderter Knochenumbau, z. B. aufgrund von Bisphosphonaten
Hungry bone syndrome - Syndrom des hungrigen Knochens
Differentialdiagnose des sekundären Hyperparathyreoidismus
Einige Patienten mit primärem Hyperparathyreoidismus haben normales Serum-Calcium
(Normocalzämischer primärer Hyperparathyreoidismus). In diesen Fällen ist die Abgrenzung
zwischen primärem und sekundärem Hyperparathyreoidismus schwierig. Häufig ist eine
verminderte Knochendichte erste Manifestation der Erkrankung.
Ursachen des normocalzämischen primären Hyperparathyreoidismus sind:


Frühstadium oder unvollständige Ausprägung ("forme fruste") der Erkrankung; im
Verlauf von 3 Jahren entwickeln etwa 40% der Betroffenen weitere KrankheitsManifestationen (in der Hälfte der Fälle Hyperkalzämie, ansonsten Nierensteine,
Knochenbrüche, Hyperkalzurie, Osteoporose). [47] Verlaufskontrollen sind daher
angezeigt.
Primärer Hyperparathyreoidismus bei gleichzeitigem Vitamin D-Mangel
Klinische Chemie
Die Diagnose wird durch Laboruntersuchungen gestellt.

Ein erhöhtes oder im hohen Normalbereich liegendes Parathormon weist bei
gleichzeitig erhöhtem Serum-Calcium auf einen primären Hyperparathyreoidismus
hin.

Die Calcium-Ausscheidung im 24 Stunden Sammelurin ist bei ca. 40% der Patienten
mit primärem Hyperparathyreoidismus erhöht, bei ca. 60% normal. Bei einer CalciumAusscheidung über 400 mg/24 h steigt das Risiko von Nierensteinen. Eine
verminderte Calcium-Ausscheidung findet sich bei Familiärer hypokalzurischer
Hyperkalzämie oder bei primärem Hyperparathyreoidismus bei gleichzeitig
bestehendem mit Vitamin D - Mangel.

Durch einen verminderten Blutspiegel an 25(OH)Vitamin D3 kann ein primärer
Hyperparathyreoidismus bei gleichzeitig bestehendem mit Vitamin D - Mangel von
einer Familiären hypokalzurischen Hyperkalzämie abgegrenzt werden.
80

Bei primärem Hyperparathyreoidismus liegen die Serumspiegel von Calcitriol im
hochnormalem Bereich oder sind erhöht, bei sekundärem Hyperparathreoidismus
aufgrund eines chronischen Nierenversagens sind die Calcitriol-Spiegel vermindert.

Bei primärem Hyperparathyreoidismus ist die Phosphat-Ausscheidung über die Nieren
erhöht, der Phosphatspiegel im Serum ist vermindert (Hypophosphatämie) oder liegt
im niedrig normalen Bereich. Bei sekundärem renalem Hyperparathyreoidismus ist
der Phosphatspíegel typischerweise erhöht.

Ein erhöhtes Serum-Kreatinin weist auf eine Nierenfunktionseinschränkung. Diese
kann Folge der Hyperkalzämie bei primärem Hyperparathyreoidismus sein aber auch
Ursache eines sekundären Hyperparathyreoidismus.

Biochemisch Marker des Knochenumsatzes (z. B. die Alkalische Phosphatase) liegen
bei primärem und sekundärem Hyperparathyreoidismus im hochnormalen oder
erhöhten Bereich.
Osteodensitometrie
Bei Patienten mit primärem Hyperparathyreoidismus ist der Mineralsalzgehalt des Knochens
vermindert. Die Knochendichtemessung (Osteodensitometrie) ist nicht zur Diagnosestellung
erforderlich, sondern zur Beurteilung der Schwere der Erkrankung, zur Verlaufsbeobachtung
und zur Entscheidung, ob eine konservative oder eine operative Therapie angezeigt ist.
Bei Patienten mit sekundärem renalem Hyperparathyreoidismus besteht keine enge Beziehung
zwischen Knochenbrüchen und Knochendichte. Eine routinemäßige Knochendichtemessung
ist bei renalem Hyperparathyreoidismus nach dem derzeitigen Kenntnisstand nicht
sinnvoll.[48][49]
Lokalisationsdiagnostik
Vor einer geplanten Operation können Lokalisation und Größe der betroffenen
Nebenschilddrüsenkörperchen durch Sonografie, Szintigrafie mit Technetium-99m-Sestamibi,
Computertomografie oder Kernspintomografie dargestellt werden.
Therapie des Hyperparathyreoidismus
Therapie des primären Hyperparathyreoidismus
Chirurgische Therapie
Die chirurgische Entfernung des (oder aller) vergrößerten Epithelkörperchens, führt im
Vergleich zur Verlaufsbeobachtung zu einer Verbesserung von Knochendichte und
Lebensqualität [50] sowie zu einer Verminderung von Knochenbrüchen, insbesondere von
Schenkelhalsfrakturen. [51] In der Mehrzahl der asymptomatischen Patienten finden sich aber
auch bei langer Verlaufsbeobachtung keine Hinweise auf ein Fortschreiten der Erkrankung
wie Abnahme von Knochendichte, Anstieg von Calcium und Parathormon oder Auftreten von
Nierensteinen. Aus diesem Grund wurden Leitlinien entwickelt, deren Ziel ist, diejenigen
Patienten einer chirurgischen Therapie zuzuführen, bei denen das Risiko für Organschäden
oder ein Fortschreiten der Erkrankung am höchsten ist.
81
Kriterien des 2002 NIH Workshop on Asymptomatic Primary Hyperparathyroidism[52] zur
chirurgischen Therapie:






Serum Calcium 0,25 mmol/l (1,0 mg/dl) über der oberen Normgrenze.
Calcium Ausscheidung im Urin über 10 mmol/Tag (400 mg/Tag) bei normaler Kost.
Kreatinin-Clearance 30% des Altersdurchschnitts oder weniger.
Knochendichte an Hüfte, Lendenwirbelsäule oder Radius mehr als 2,5
Standardabweichungen unter dem Mittel (T-Wert < -2,5).
Alter unter 50 Jahren.
Regelmäßige Verlaufskontrollen nicht gewährleistet.
Die Operation sollte nur von erfahrenen Chirurgen durchgeführt werden.
Nicht chirurgische Therapie
Obwohl die chirurgische Therapie zu einer definitiven Heilung des primären
Hyperparathyreoidismus führt, werden nicht alle Patienten operiert, insbesondere bei Fehlen
von Symptomen, nur geringer Erhöhung des Calciums, bei einem Lebensalter über 50 Jahren,
wenn schwere Begleiterkrankungen bestehen oder wenn eine Operation nicht gewünscht wird.
In diesen Fällen stehen folgende nicht operative Verfahren zur Verfügung:





Bisphosphonate hemmen den Knochenabbau durch Osteoklasten. Alendronat führt bei
asymptomatischem primären Hyperparathyreoidismus zu einer Zunahme der
Knochenmasse. Risedronat senkt erhöhte Calcium-Spiegel.
Raloxifen ist ein selektver Östrogenrezeptor-Modulator. Bei postmenopausalen Frauen
mit primärem Hyperparathyreoidismus senkt Raloxifen das Serum-Calcium. Nach
sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung kann alternativ eine Östrogen-Ersatztherapie in
Erwägung gezogen werden.
Seit 2004 sind Calcimimetika (z. B. Cinacalcet) verfügbar, die am calciumsensitiven
Rezeptor der Nebenschilddrüsenzelle angreifen und somit direkt die
Parathormonausscheidung hemmen.
Perkutane Alkoholablation: Durch Injektion von Alkohol in das vergrößerte
Nebenschilddrüsenkörperchen kann dieses zerstört werden. Nebenwirkungen sind eine
Schädigung des Nervus laryngeus recurrens und ein zu starkes Absinken des SerumCalciums (Hypokalzämie)
Darüber hinaus werden eine calciumarme Ernährung mit ausreichendem Gehalt an
Vitamin D sowie regelmäßige körperliche Betätigung empfohlen[53]
Bei Patienten, bei denen keine Operation durchgeführt wird, werden Calcium halbjährlich,
Kreatinin und Knochendichte jährlich kontrolliert. Bei Hinweisen auf ein Fortschreiten der
Erkrankung wird operiert.
Therapie des sekundären Hyperparathyreoidismus [Bearbeiten]
Der sekundäre Hyperparathyreoidismus wird im Allgemeinen durch Beseitigung der
Grunderkrankung behandelt. Für den sekundäre Hyperparathyreoidismus infolge eines
chronischen Nierenversagens existiert eine abgestufte, durch Leitlinien festgelegte
medikamentöse Therapie.
Sekundärer Hyperparathyreoidismus bei chronischem Nierenversagen [Bearbeiten]
82
Der sekundäre Hyperparathyreoidismus bei chronischem Nierenversagen wird mit
phosphatarmer Diät, Vitamin-D-Metaboliten, Phosphatbindern und Cinalcalcet
behandelt.[54][55]
Liegt der Parathormonspiegel im Stadium 2-3 des chronischen Nierenversagens über 70
pg/ml, (bzw. > 110 pg/ml im Stadium 4 oder > 300 pg/ml im Stadium 5) wird mit einer
phosphatreduzierten Ernährung begonnen. Gelingt es nicht, durch eine phosphatarme Diät den
Phosphatspiegel ausreichend zu senken, werden Medikamente eingesetzt, welche das mit der
Nahrung zugeführte Phosphat im Darm binden (orale Phosphatbinder): Calciumcarbonat,
Calciumacetat, Aluminiumhydroxid, Sevelamer oder Lanthancarbonat. Calciumhaltige
Phosphatbinder werden wegen der Gefahr der Weichteilverkalkung nicht bei erhöhten
Calcium-Werten eingesetzt, die Menge ist begrenzt auf 2,5g Calcium pro Tag.
Aluminiumhaltige Phosphatbinder werden wegen der Gefahr der Aluminiumablagerung in
Knochen und Gehirn nur bei sehr hohen Phosphatspiegeln und über einen begrenzten
Zeitraum angewandt.
Ein verminderter Vitamin D - Spiegel im Serum, (25(OH)Vitamin-D3 < 30 ng/ml) wird durch
Gabe von Vitamin D ausgeglichen. Sinkt der Parathormonspiegel trotz dieser Maßnahmen
nicht in den Zielbereich, wird zusätzlich aktives Vitamin D (Alfacalcidol oder Calcitriol)
verabreicht. Nebenwirkung der Therapie mit aktivem Vitamin D ist ein Anstieg des Calciumund Phosphatspiegels mit der Gefahr von Weichteilverkalkungen. Diese Nebenwirkung ist
geringer bei Verwendung von pharmakologisch veränderten Vitamin D Metaboliten wie
Paricalcitol.
Führen phosphatarme Diät, Phosphatbinder und Vitamin D - Metaboliten nicht zum Erfolg,
wird Cinacalcet, ein Antagonist des calciumsensitiven Rezeptors eingesetzt.
Ohne Therapie ist ein Übergang in einen tertiären Hyperparathyreoidismus wahrscheinlich.
Therapie des tertiären Hyperparathyreoidismus [Bearbeiten]
Steigt der Parathormonspiegel trotz medikamentöser Therapie auf Werte über 1000 pg/ml und
kommt es zu Knochenveränderungen und therapierefraktärer Hyperkalzämie und/oder
Hyperphosphatämie müssen alle 4 (bis 8) Epithelkörperchen entfernt (Parathyroidektomie)
und anschließend ein Teil eines Epithelkörperchens in Unterarm oder Musculus
sternocleidomastoideus autotransplantiert werden, da sonst gar keine Parathormonbildung
mehr stattfinden könnte. Alternativ kann auch eine subtotale Parathyroidektomie erfolgen,
d.h. ein Nebenschilddrüsenkörperchen wird nicht vollständig entfernt.[56]
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