Prof. Dr. Kazimierz Rynkiewicz Die epistemische Koexistenz von Theorie und Wissen - aus wissenschaftstheoretischer Perspektive Vorlesung Ludwig-Maximilians-Universität München WS 2016/17 2 3 Vorlesung 15 (08.02.2017) 2.6. Exkurs: Kritik am Naturalismus mit dem Blick auf Kant 3. Dynamische Entfaltung der formalen Wissenschaften: Logik 3.1. Klassische Logik 3.1.1. Die symbolische Logik Exkurs: Kritik am Naturalismus mit dem Blick auf Kant Wenn die Naturwissenschaften Natur zum Gegenstand ihrer Analyse haben, dann müssen sie sich ebenfalls mit der äußeren Erfahrung und Naturgesetzen befassen. Kognitionswissenschaft, deren Struktur, Leistungen und geschichtliches Profil im Vorangehenden beschrieben wurden, liefert uns ein umfassendes Paket von Instrumenten, damit die äußere Erfahrung wissenschaftlich analysiert werden kann. Für die äußere Erfahrung, so behauptet etwa Kant, sind aber Naturgesetze konstitutiv. Deshalb schreibt er in der Anmerkung zur dritten Antinomie, dass die Naturgesetzlichkeit zum Merkmal empirischer Wahrheit gehört, welches Erfahrung vom Traum unterscheidet (vgl. KrV B 479). Darüber hinaus behauptet Kant im Anschluss an die drei Analogien der Erfahrung, dass die Objektivität in der Einsicht gründet, dass die Natur (=die Außenwelt) einen Zusammenhang nach empirischen Gesetzen bildet (vgl. KrV B 520f.). Diese das empirische Element hervorhebende Konstellation verführte jedoch einige angesehene Philosophen (z.B. Quine) zu einem naturalistischen Standpunkt, oder kurz zum Naturalismus. Es ist die Ansicht, dass die empirische Erkenntnis ausschließlich auf natürliche, empirisch zu erforschende Sachverhalte zurückzuführen sei. Der Naturalismus besteht als solcher aus einer Reihe von Ansichten, die sich nicht nur epistemologisch, sondern auch wissenschaftstheoretisch auswirken. So gibt es etwa den genetischen Naturalismus (GN), der in einer allgemeinen und einer besonderen Form auftritt: (1) Der allgemeine GN befasst sich mit der Erkenntnis überhaupt und erklärt ihre Entstehung lediglich aus natürlichen Faktoren, etwa gewissen Anlagen und Keimen, die sich im Laufe der Phylo- und Ontogenese entwickeln. Dabei ist der Beitrag von Kognitionswissenschaften nicht zu übersehen; und (2) Der besondere GN wird auch als Psychologismus bezeichnet, konzentriert sich nicht auf die Rechtfertigung von Aussagen, sondern auf die Beziehungen 4 zwischen Meinungszuständen empirischer Subjekte, und ist mit den alltäglichen Meinungen eng verbunden. Beim Entstehen, bei der Aufrechterhaltung und Veränderung persönlicher Meinungen wird also die Relevanz psychologischer Faktoren akzentuiert. Der kognitionswissenschaftlich fundierte GN ist jedoch weder für Erkenntnistheorie noch für Wissenschaftstheorie interessant. Diese beiden Wissenschaften interessieren sich vielmehr für den logischen Naturalismus (LN), der selbst für die Geltung nur natürliche Faktoren zulässt. Der LN setzt sich immer noch besonders gegen Descartes ab; d.h. der LN glaubt, selbst die Kritik Kants überspringen zu dürfen. Kants Theorie ist indessen einerseits anticartesisch, andererseits kompromisslos antinaturalistisch, und zwar in drei Autonomie-Thesen: (1) Erstens untersucht Kant die vorempirischen Bedingungen der Empirie, es geht ihm also um thematische Autonomie; (2) Vorausgesetzt, dass sich diese Bedingungen finden, stellt zweitens Kants Theorie einen autonomen und von allen empirischen Wissenschaften wie etwa Physik, Biologie und Psychologie usf. unabhängigen Forschungszweig dar, d.h. disziplinäre Autonomie; und (3) Drittens werden die thematische und die disziplinäre Autonomie erst durch die methodische Autonomie möglich, d.h. durch ein zweiteilig nichtempirisches Verfahren, durch den sowohl metaphysischen als auch transzendentalen Nachweis der vorempirischen Bedingungen. Der Naturalist bewertet das positive Selbstverständnis des Antinaturalisten – wie etwa eines Kants - negativ, d.h. als Ablehnung einer Kooperation mit den Kognitionswissenschaften, obwohl man aus deren immenser Erfahrung doch Neues lernen könne. In der Tat vollzieht sich aber (auch bei Kant) keine generelle Ablehnung, sondern sie betrifft lediglich eine schmale, aber grundlegende Frage. Diese Frage geht noch hinter das Thema zurück, mit dem sich manche Naturalisten befassen, hinter Strukturelemente der Wissenschaftspraxis wie Induktion, Hypothesenbildung, Erklärung und Theorie. Die fundamentalphilosophische Erkenntnistheorie fragt, ob die Empirie durch vorempirische Momente konstituiert werde, derartige Wissenschaftstheorie hingegen, wie die Empirie durch diese Momente konstituiert werde. Die Empirie kann selbst offenbar diese Frage nicht beantworten. Denn wie soll man über vorempirische Momente eine empirische Entscheidung treffen können? Argumentationslogisch gesehen ist die objektive Erkenntnis ein normativer Begriff, der – um dem Sein-Sollensfehler zu entgehen – durch die deskriptiven Aussagen empirischer Wissenschaften nicht eingelöst werden kann: 5 Wie will die Empirie in Frage stellen, dass die wahrheitsfähige Grundeinheit ein gegliedertes Ganzes, eine Aussage bzw. Proposition ist. Mit anderen Worten: Wahrheit bedeutet die tatsächliche Welt zu erkennen, dafür ist aber das Zusammenspiel von Anschauung und Begriff erforderlich. Oder wenn eine naturalistische Erkenntnistheorie den Prozess untersucht, der wahre Meinungen hervorzurufen verspricht, so interessiert sich eine fundamentalphilosophische und zugleich antinaturalistische Erkenntnistheorie für die normative Vorfrage, was hier „wahr“ heißt und welche geltungstheoretischen Faktoren für wahre Aussagen vorausgesetzt sind. Die Wissenschaftstheorie kann diese Frage noch weiter verfeinern. Wenn wir den Logischen Naturalismus (LN) aus Sicht der Kritik Kants betrachten, dann können wir also sagen, der LN sei eine Form des unplausiblen Empirismus. Kant argumentiert gegen ihn nicht mit übernatürlichen Faktoren. Wenn Kant vielmehr für Ereignisse in der Natur ausschließlich natürliche Erklärungen anerkennt, vertritt er sogar einen methodischen Naturalismus, der aber in einem erkenntnistheoretischen Antinaturalismus gründet: Für die natürlichen Erklärungen samt deren Exklusivrecht sind vornatürliche, für die Empirie nämlich vorempirische Faktoren konstitutiv. Das erste Gegenargument gegen den Logischen Naturalismus können wir der „Ästhetik“ Kants entnehmen. Es liegt in der Bindung der Erfahrung an zwei Anschauungsformen (d.h. Raum und Zeit), deren nähere Bestimmung zwar von der Erfahrung abhängt, ihre Grundform aber nicht. Selbst wenn wir Einiges bei Kant kritisieren können, dürfen wir jedoch nicht leugnen, dass auch drei weitere vorempirische Elemente für die Empirie konstitutiv sind: die Syntheseleistung des „Ich denke“, die Kategorien (die der Synthesis zur Bestimmtheit verhelfen) und die transzendentalen Schemata (die die Anwendung der Kategorien auf Erscheinungen ermöglichen. All diese Entitäten weisen auch einen logischen Charakter auf. Dynamische Entfaltung der formalen Wissenschaften: Logik Dass formale Wissenschaften für die wissenschaftstheoretischen Analysen durchaus erforderlich sind, leuchtet schon dann ein, wenn man die Begriffe „Theorie“ und „Wissenschaft“ betrachtet. Denn wenn wir etwas über eine Theorie und Wissenschaft sagen wollen, so haben wir grundlegende logische Prinzipien zu beachten, z.B. die logische Variante des Satzes vom Widerspruch. 6 Dieser Satz besagt, dass zwei kontradiktorisch entgegengesetzte Sätze nicht beide wahr sein können, bzw. dass dasselbe niemals zugleich bejaht und verneint werden darf. Wenn wir über formale Wissenschaften reden, denken wir meistens an die Logik als „Inbegriff formaler Wissenschaften“. Das Wort „Logik“ kommt vom griechischen lógos und wird als „Wort“, „Vernunft“, „Geist“ übersetzt. Über die Logik spricht man jedoch in mehreren Bedeutungen: Mit Kant können wir etwa unter der Logik die Lehre von den apriorischen Bestimmungen des Verstandes (Kategorien und Grundsätze) und der Vernunft (Ideen) verstehen (vgl. KrV B 74f.), mit Hegel den Versuch, die transzendentalen Bestimmungen des Verstandes und die ontologischen Bestimmungen des Seins dialektisch zusammenzudenken (vgl. Enz. §85f.), und schließlich mit Aristoteles die Lehre von der formalen Folgerichtigkeit des Denkens bzw. Sprechens. So schreibt Aristoteles bereits im ersten Buch seines „Organons“ Folgendes: „Unsere Arbeit verfolgt die Aufgabe, eine Methode zu finden, nach der wir über jedes aufgestellte Problem aus wahrscheinlichen Sätzen Schlüsse bilden können, und wenn wir selbst zur Rede stehen sollen, in keine Widersprüche geraten“ (Topik, 100a). Es steht außer Zweifel, dass es für Aristoteles nur den einen Weg bzw. die eine Methode gibt, um nicht in Widersprüche geraten zu müssen, nämlich die konsequente Beachtung logischer Gesetze. Wittgenstein erklärt indes in seinem „Tractatus“, warum wir uns auf die Logik verlassen können: „Die Logik muss für sich selber sorgen. Ein mögliches Zeichen muss auch bezeichnen können. Alles was in der Logik möglich ist, ist auch erlaubt. („Sokrates ist identisch“ heißt darum nichts, weil es keine Eigenschaft gibt, die „identisch“ heißt. Der Satz ist unsinnig, weil wir eine willkürliche Bestimmung nicht getroffen haben, aber nicht darum, weil das Symbol an und für sich unerlaubt wäre). Wir können uns, in gewissem Sinn, nicht in der Logik irren“ (TLP 5.473). Da die Logik „für sich selbst sorgen“ muss, kann sie dann auch garantieren, dass das logische Verfahren zu einem epistemisch gültigen Resultat führt, sobald nur die logischen Gesetze beachtet werden. In der „Sorge der Logik“ zeigt sich ihr dynamisches Entfaltungspotential, das sich auf der formalen Ebene auswirkt. Deshalb sprechen wir von einer formalen Logik, auf deren Leistungen auch die Wissenschaftstheorie angewiesen ist. Unser Augenmerk richtet sich hier nur auf die formale Logik. Diese beschäftigt sich mit den Beziehungen zwischen Prämissen eines Schlusses und der Schlussfolgerung selbst (d.h. der Konklusion). Die Konklusion und Prämissen 7 bilden eine sprachliche Einheit, die „Argument“ genannt wird. In der Logik wird die Struktur von Argumenten im Hinblick auf ihre Gültigkeit untersucht, unabhängig vom Inhalt der Aussagen. Darum wird nur mit bestimmten inhaltsleeren Zeichen oder Symbolen operiert. So wird es erlaubt sein, die in der Alltags- oder Fachsprache formulierten Schlüsse, deren Stimmigkeit nicht problemlos zu durchschauen ist, durch eine Übersetzung in die formalisierte Sprache der Logik auf ihre logische Korrektheit zu untersuchen. Seit dem 20. Jahrhundert wird die formale Logik durch die sogenannte Logistik ergänzt, d.h. die symbolische (bzw. mathematische) Logik. Die formale Logik kann man in die klassische und nicht-klassische Logik aufteilen. Klassische Logik Wenn wir über die klassische Logik reden, so denken wir in erster Linie an Aristoteles. In der Vorrede zu seiner „Kritik der reinen Vernunft“ schreibt Kant Folgendes: „Dass die Logik diesen sicheren Gang schon von den ältesten Zeiten her gegangen sei, lässt sich daraus ersehen, dass sie seit dem Aristoteles keinen Schritt rückwärts hat tun dürfen, wenn man ihr nicht etwa die Wegschaffung einiger entbehrlichen Subtilitäten, oder deutlichere Bestimmung des Vorgetragenen, als Verbesserungen anrechnen will, welches aber mehr zur Eleganz, als zur Sicherheit der Wissenschaft gehört“ (KrV B VIII). Kant würdigt also einerseits die Leistungen des Aristoteles auf dem Gebiet der Logik, weil Aristoteles die Grundlagen der Logik so formuliert hatte, dass sie aus ihr nicht mehr wegzudenken sind, andererseits weist er aber darauf hin, dass die Logik in der Zukunft noch verbessert bzw. verfeinert werden kann. Das bedeutet, in der Logik sind auch Fortschritte denkbar, wenn etwa ihre einzelnen Bereiche deutlicher herausgearbeitet werden. Gemeint sind vor allem folgende Bereiche: Aussagen-, Prädikaten-, Klassenlogik und Syllogistik. All diese Bereiche stellen also (heute) die Bestandteile der klassischen Logik dar. Sie beruht auf zwei semantischen Bedingungen bzw. Prinzipien: (1) dem Prinzip der Zweiwertigkeit - jede Aussage hat genau einen von zwei Wahrheitswerten, die meist als wahr und falsch bezeichnet werden; und (2) dem Prinzip der Kompositionalität – der Wahrheitswert einer zusammengesetzten Aussage ist zum einen eindeutig durch die Wahrheitswerte ihrer Teilaussagen bestimmt, zum anderen durch die Art, wie diese Teilaussagen zusammengesetzt sind. 8 Daher ergibt sich folgendes Schema: Die klassische Logik Aussagenlogik Prädikatenlogik Zweiwertigkeit + Kompositionalität Klassenlogik Syllogistik Der einfachste Typ von Logik ist also die „Aussagenlogik“; sie handelt von den Aussagensätzen und den sogenannten Satzoperatoren (=Junktoren), mit deren Hilfe aus solchen Sätzen neue, komplexere Sätze gebildet werden können. Eine Aussage bezieht sich auf einen Sachverhalt und besitzt einen Wahrheitswert, sie kann wahr oder falsch sein. Es gibt Elementaraussagen wie z.B. „München liegt in Bayern“ und zusammengesetzte Aussagen wie z.B. „Berlin liegt in Deutschland und Warschau liegt in Polen“. In der Aussagenlogik geht es weder um die Form der Aussagen noch um deren Inhalt, sondern ausschließlich um die Form ihrer Verbindung. Die verbindenden Wörter werden Junktoren genannt und symbolisch dargestellt. Die grundlegenden Junktoren sind also folgende: 1. Die Konjunktion „und“ (Symbol ˄ ) („Maria liebt Hans [p] und Adam liebt Eva [q]“); also p ˄ q 2. Die Disjunktion „oder“ (Symbol ˅ ) („John hat einen Audi A3 [p] oder Smith befindet sich in Warschau [q]“); also p˅q 3. Die Implikation „wenn…dann“ (Symbol → ) („Wenn Katrin ihr Abitur gut besteht, dann freut sich ihre Mutter sehr“); also p →q 4. Die Exklusion „nicht zugleich…und“ (Symbol | ) („Monika ist nicht zugleich in München und Warschau“); also p | q 5. Die Äquivalenz „genau dann, wenn“ (Symbol ↔ ) („Sebastian Vettel gewinnt das Rennen genau dann, wenn er die beste Zeit hat“); also p ↔ q In der Aussagenlogik werden zudem auch die Negatoren „ ¬ “ und (runde, eckige und geschweifte) Klammern verwendet, damit eine Aussage sich auf einen Sachverhalt zweckgemäß beziehen kann. Einen anderen Typ von Logik stellt die Prädikatenlogik dar. In der Prädikatenlogik kann man auch die innere Struktur von Sätzen darstellen, die aussagenlogisch nicht weiter zerlegbar sind. Die innere Struktur der Aussage „Die Banane ist gelb“ wird also durch das Prädikat („ist gelb“) und das 9 Argument („die Banane“) dargestellt. Für die Zuordnung von Prädikaten zu den Argumenten sind Prädikatoren zuständig. Während man also unter einem Prädikat die Beschaffenheit des Arguments versteht, enthält ein Prädikator hingegen die Beschaffenheit des Arguments plus Kopula und kann ein- oder mehrstellig sein. Nennen wir ein paar Beispiele: (1) Einstellige Prädikatoren sind {raucht} in „Peter raucht“, {ist die Hauptstadt Frankreichs} in „Paris ist die Hauptstadt Frankreichs“, {ist weiß} in „die Kreide ist weiß“ usf.; (2) Zweistellige Prädikatoren sind dagegen etwa {ist größer als} in „Hamburg ist größer als Bremen“, {ist Lehrer von} in „Sokrates ist Lehrer von Platon“, {begrüßt} in „Herr Müller begrüßt Herrn Lehman“ usf.; (3) Dreistellige Prädikatoren sind z.B. {gibt} in „Klaus gibt Dieter das Buch“, {ist Produkt von} in „12 ist Produkt von 3 mal 4“; (4) Neunstellige Prädikatoren sind etwa {liegt zwischen} in „Österreich liegt zwischen Liechtenstein, der Schweiz, der BRD, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Slowenien und Italien“ usf. Die Prädikatenlogik könnte man mit dem folgenden Schema auf den Punkt bringen: Prädikat Argument Prädikator In der Prädikatenlogik wird auch zwischen Prädikatenlogik der ersten Stufe und Prädikatenlogik höherer Stufe unterschieden, und zwar mit Hilfe der Quantoren „alle“ und „mindestens ein“. Mit anderen Worten: (1) Allquantor – „für alle X gilt“; und (2) Einsquantor – „für mindestens ein X gilt“. Mit der Prädikatenlogik ist Klassenlogik verbunden, in der auch Prädikatoren zum Einsatz kommen. Wie oben angedeutet, sind Prädikatoren Wörter, die einem Gegenstand zu- oder abgesprochen werden – im Gegensatz zu den Wörtern, die einen Gegenstand vertreten und darum als Eigennamen bezeichnet werden. Prädikatoren sind allgemein und werden deshalb von den Scholastikern Universalien genannt. Allgemeinheit lässt sich im Kontext des Begriffs „Prädikator“ extensional oder intensional verstehen. Wir können also von der Extension eines Prädikators sprechen – gemeint ist die Klasse seiner Designate, d.h. die Gesamtheit der Dinge, die er bezeichnet. Wir können aber auch von der Intension (Bedeutung) eines Prädikators reden, wobei die Intension das ist, was der Prädikator ausdrückt, d.h. was er dem Gegenstand zu- oder abspricht. 10 So leuchtet schnell ein, dass die Klassenlogik sich auf die Extension von Prädikatoren stützt. Mit anderen Worten: In der Klassenlogik steht die extensionale Betrachtungsweise im Vordergrund, weil jeder einstellige Prädikator eine Klasse bildet. Beispiele für Klassen sind etwa „die Dozenten“, „die Münchner“, „die roten Autos“ usf. Klassen können durch verschiedene Junktoren verknüpft werden, wodurch neue Klassen entstehen. So können wir etwa folgende Junktoren einsetzen: (1) Vereinigung – K ist die Klasse der Ärzte und R ist die Klasse der Fußballer. Durch Vereinigung von K und R ergibt sich also die neue Klasse, die sowohl Ärzte als auch Fußballer umfasst; (2) Differenz – K ist die Klasse der Rechtecke und L ist die Klasse der Quadrate. Die Rechtecke, die keine Quadrate sind, bilden dann die Differenzklasse; und (3) Durchschnitt – K ist die Klasse der Mädchen und L ist die Klasse der Maturanten. So sind Mädchen, die Maturanten sind, Elemente der Durchschnittsklasse. Das Ergebnis der Einsetzung der obigen drei Junktoren können wir sowohl schematisch als auch symbolisch darstellen: K L Vereinigung: K U L K L Differenz: K ‒ L K L Durchschnitt: K ∩ L Als Teil der klassischen Logik gilt auch Syllogistik. Sie geht auf Aristoteles zurück und lässt sich als Vorläufer der Prädikatenlogik verstehen. Für die Syllogistik sind Begriffe entscheidend. Darum schreibt Aristoteles in seiner „Ersten Analytik“: „Wenn sich also drei Begriffe zueinander so verhalten, dass der letzte (der Unterbegriff) in dem mittleren als Ganzem ist, und der mittlere in dem ersten (dem Oberbegriff) als Ganzem entweder ist oder nicht ist, so ergibt sich notwendig für die Außenbegriffe ein vollkommener Schluss. Mittleren Begriff […] (terminus medius) nenne ich denjenigen Begriff, der gleichzeitig in einem anderen ist und einen anderen in sich begreift – der auch durch seine Stellung der mittlere wird. […] Äußere Begriffe (termini extremi) nenne ich erstens den, der selbst in einem anderen ist, und zweitens den, in dem ein anderer ist“. (24bf) 11 Für das Verstehen der Funktionierung des Syllogismus ist vor allem der erste Teil des Zitates entscheidend, wo Aristoteles von dem Unterbegriff, Oberbegriff und vollkommenen Schluss redet. Es sind also drei Komponenten des Syllogismus: Obersatz (= 1. Prämisse): „Alle Fußballer sind Menschen“ Untersatz (=2. Prämisse): „Cristiano Ronaldo ist ein Fußballer“ Schlusssatz (=Konklusion): „Also ist Cristiano Ronaldo ein Mensch“ Das Verhältnis zwischen den drei obigen Sätzen, welche die Struktur des Syllogismus widerspiegeln, zeigt deutlich, dass es sich bei Syllogismus um einen Schluss handelt. Gemeint ist allerdings eine einfache Schlussfolgerung mit den Begriffen, die in ihr nicht weiter zerlegt werden. In der Prädikatenlogik werden die Begriffe dagegen nicht nur als einstellige Prädikate ausgedrückt, sondern man kann auch die innere Struktur von Begriffen analysieren und damit die Gültigkeit von Argumenten zeigen, die syllogistisch nicht fassbar sind (vgl. oben). So kann man hier folgendes klassisches Beispiel angeben: „Alle Pferde sind Tiere; also sind alle Pferdeköpfe Tierköpfe“. Die symbolische Logik Wir konnten oben bereits sehen, dass die klassische Logik als Aussagen-, Prädikatenlogik und Syllogistik ihre „semantische Botschaft“ mit Hilfe von Symbolen vermittelt. Der Einsatz von Symbolen kommt jedoch auf dem Gebiet der symbolischen Logik viel intensiver als im Bereich der oben genannten Typen von Logik vor. Die symbolische Logik wird auch als Logistik oder mathematische Logik bezeichnet; sie stellt ein Teilgebiet der Mathematik und der formalen Logik dar. Man kann drei grundlegende Etappen in der Entwicklung der mathematischen Logik unterscheiden. * Die erste Etappe wird mit G.W. Leibniz (1646-1716) in Verbindung gebracht, der als Logiker mathematische Ideen entwickelte. * Die zweite Etappe lässt sich mit dem 19. Jahrhundert identifizieren, in dem vor allem die Arbeiten von G. Frege (1848-1925) und E. Schröder (1841-1902) zu beachten sind. Diese Leistungen wurden von A.N. Whitehead (1861-1947) und B. Russell (1872-1970) fortgesetzt, insbesondere im umfassenden Werk „Principia Mathematica“, das aber in erster Linie nur eine formale Erweiterung der aristotelisch-stoischen Logik darstellt. 12 * Damit ist die dritte Etappe im Entwicklungsprozess der mathematischen Logik angebrochen. Charakteristisch sind für diese Etappe die sogenannten „heterodoxen“ Systeme, die nicht auf der aristotelisch-stoischen Grundlage erstellt werden. Gemeint sind vor allem die mehrwertige Logik von J. Łukasiewicz (1921) und die intuitionistische Logik von A. Heyting (1930). Auch das aristotelisch geprägte System von S. Leśniewski ist hier zu erwähnen. Leśniewski stellte in seiner Arbeit „Die Grundlagen der allgemeinen Mengenlehre“ das Modell einer axiomatischen Theorie dar. Sie beruht auf dem ursprünglichen Terminus, der in den Sätzen des Typus „Der Gegenstand P ist ein Teil des Gegenstandes P1“ auftritt. Auf dieser Grundlage definierte Leśniewski den Begriff, der für die Formulierung der Antinomie Russells entscheidend war, d.h. den Begriff, der in den Sätzen des Typus „Der Gegenstand P ist eine Klasse der Gegenstände m“ vorkommt. Erst dann konnte Leśniewski seine Analyse der Antinomie Russells fortsetzen und nach einer Lösung suchen. Die Herausarbeitung des Begriffs „Klasse im kollektiven Sinne“ (im Unterschied zur „Klasse im distributiven Sinne“) ermöglichte Leśniewski das Aufstellen einer deduktiven Theorie, die er „Mereologie“ nannte. Dabei spielte vor allem das intuitiv unterbaute „Gefühl der Korrektheit“ und der konsequente Gebrauch von einzelnen und allgemeinen Sätzen eine entscheidende Rolle. Wenn man die Thesen von Leśniewski genauer betrachtet, dann kann man feststellen, dass zwei Sachverhalte bei der mathematischen Logik zu beachten sind: (1) Zum einen wird es klar, auf welchen Gebieten die mathematische Logik erfahrbar ist – es ist ein kombinatorisches Studium von Inhalten. Dabei wird also nicht nur die syntaktische Perspektive in Betracht gezogen, d.h. die Analyse von formalen Zeichenketten als solchen, sondern auch die semantische, d.h. die Belegung solcher Zeichenketten mit Bedeutung. (2) Zum anderen ist eindeutig zu sagen, dass einige Missverständnisse im Verlaufe der Entwicklung der mathematischen Logik aufgetreten sind. Gemeint ist vor allem der Versuch einer Identifizierung der mathematischen Logik mit dem Neopositivismus, dessen logische Tendenzen nicht zuletzt durch Wittgenstein geprägt waren (vgl. TLP 5.551; 6.02). Auch wenn wir bei Wittgenstein über die Philosophie der Logik durchaus sprechen können, weil er logische Junktoren (z.B. „nicht“, „und“, „oder“ usf.), Quantoren („für alle Dinge“, „für einige Dinge“) und Wahrheitswerte („wahr“, „falsch“) ins Spiel bringt, lässt sich dies noch nicht als mathematische Logik im strengen Sinne betrachten. 13 Die mathematische Logik umfasst indes grundsätzlich folgende vier Gebiete: (1) Mengenlehre – ist die Analyse der Mengen, die abstrakte Kollektionen von Objekten sind. Während einfache Konzepte wie Teilmenge oft im Bereich der naiven Mengenlehre behandelt werden, so arbeitet die moderne Forschung im Bereich der axiomatischen Mengenlehre. Diese benutzt logische Methoden, um festzustellen, welche mathematischen Aussagen in verschiedenen formalen Theorien, wie z.B. in der Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre, beweisbar sind; (2) Beweistheorie – stellt die Untersuchung formaler Beweise und verschiedener logischer Systeme dar. Beweise werden als mathematische Objekte betrachtet, um sie mittels mathematischer Techniken untersuchen zu können; (3) Rekursionstheorie (=Berechenbarkeitstheorie) – zielt darauf ab, berechenbare Funktionen und Turing-Grade zu erforschen, welche die nicht berechenbaren Funktionen nach dem Grad ihrer Nicht-Berechenbarkeit klassifizieren. Darüber hinaus befasst sich die Rekursionstheorie mit der Analyse verallgemeinerter Berechenbarkeit und Definierbarkeit; und (4) Modelltheorie – untersucht Modelle von formalen Theorien. Die Menge aller Modelle einer bestimmten Theorie wird elementare Klasse genannt. Die klassische Modelltheorie versucht, die Eigenschaften von Modellen einer bestimmten elementaren Klasse zu bestimmen, bzw. herauszufinden, ob bestimmte Klassen von Strukturen elementar sind. Wenn wir allerdings logisch ehrlich sein wollen, dann müssen wir dabei auch betonen, dass sich keine genaue Grenze zwischen den obigen vier Gebieten der mathematischen Logik ziehen lässt. So kann man davon ausgehen, dass diese Gebiete teilweise aus sachlich-methodischer Sicht miteinander verflochten sein müssen. Diese Konstellation ergibt sich ferner daraus, dass jedes einzelne Gebiet eine ziemlich komplexe Struktur aufweist. Wir können dies etwa mit dem Beispiel von Modelltheorien verdeutlichen. Wollen wir also eine Modelltheorie entwerfen, dann haben wir vorab zwei Sachen zu klären: (1) Zum einen müssen wir festlegen, was wir unter einem Modell verstehen. Denn es gibt Herstellungsmodelle (Prägemodelle, Gussmodelle), Planungsmodelle (Baumodelle, Handlungsmodelle) usf. In diesen Modellen werden unterschiedliche Techniken wie Abbildung, Repräsentation, Simulation usf. eingesetzt. (2) Zum anderen muss die Struktur von den zu entwerfenden Modellen bestimmt werden. Was das Verständnis von Modellen anbelangt, interessieren uns hier bloß die Modelle von formalen Theorien, die aber auch beim Entwerfen von Herstellungs- und Planungsmodellen gut eingesetzt werden können. 14 Aus wissenschaftstheoretischer Sicht ist also die Frage nach mathematischen Strukturen viel interessanter. In der Mathematik werden Strukturen (unter Vermeidung einer von Hilbert bestimmten definitorischen Axiomatik) grundsätzlich als diejenigen Eigenschaften eingeführt, die eine formale Verknüpfung von Gegenständen oder Relationen erlauben. So führt etwa Russell den Strukturbegriff in die Grundlagentheorie der mathematischen Wissenschaftstheorie anhand einer Karte ein: „Ist ein Ort nördlich von einem anderen, so befindet sich die entsprechende Stelle auf der Karte oberhalb der anderen; liegt ein Ort westlich von einem anderen, so befindet sich die entsprechende Stelle auf der Karte links von der anderen und usf. Die Struktur der Karte entspricht der Gegend, die sie darstellt.“ (Russell, B., Einführung in die mathematische Philosophie, Hamburg 2002, 68f) Um zu erklären, wie die Ähnlichkeitsrelation zu konstituieren ist, führt Russell ein weiteres Beispiel ein. Damit sind folgende Beziehungspaare gegeben: ab, ac, ad, bc, ce, dc, de. Dabei sind a, b, c, d und e fünf beliebige Elemente, deren Relationen man schematisch wie folgt darstellen kann: A B D C E Für Russell ist also klar, dass die Struktur der Relation nicht von den besonderen Elementen abhängt, die das Feld der Relation bilden. Das Feld kann geändert werden, ohne dass sich die Struktur ändert, und die Struktur kann sich ändern, ohne dass dies beim Feld der Fall ist. Wenn wir z.B. das Paar AE im obigen Schema noch zusätzlich hinzufügen, dann verändern wir die Struktur, nicht aber das Feld. So weist Russell darauf hin, dass es eine Asymmetrie von Feld und Relation gibt. Dennoch müssen wir hier kritisch fragen, nach welchen Kriterien die Struktur der Relation einzuführen sei. Denn zum einen behauptet Russell, dass zwei Relationen die gleiche Struktur haben, falls die gleiche Karte für beide gilt; unter der Karte versteht Russell das Entsprechungsverhältnis der oben bestimmten Ähnlichkeitsrelationen (etwa zwischen Karte und Gegend). Zum anderen gilt es aber, dass die Ähnlichkeitsrelation genau dann besteht, wenn die gleiche Struktur existiert; und die gleiche Struktur liegt genau dann vor, wenn eine gleiche Ähnlichkeitsstruktur erkennbar ist. Daraus ergibt sich also, dass 15 diese Definition des Strukturbegriffs ein logischer Zirkel ist. Begreift man das Existieren der Ähnlichkeitsrelation als Interpretation der Struktur, welche die Struktur wahrmacht, und führt man wahre Strukturen als Modelle ein, dann folgt daraus, dass Modelle jeweils die Strukturen bestimmen, die Strukturen aber durch Modelle definiert werden. So können wir sagen, dass Russells Strukturbegriff, den er für die mathematische Wissenschaftstheorie und den daraus resultierenden Modellbegriff eingeführt hat, grundlegende sichtbare Schwächen aufweist.