Die Biologie der Musik - Neurologische Grundlagen Für den Physiker ist Musik nichts weiter als die periodische Schwingung der einzelnen Luftmoleküle in einem Raum. Doch was ist das Besondere an dieser schwingenden Luft, dass kein Werbespot, kein Kino- oder Fernsehfilm und noch nicht einmal Kaufhäuser darauf verzichten wollen? Und das ist nicht erst seit kurzem so. Es ist bekannt, dass Menschen aller Kulturen seit zehntausenden von Jahren Musik machen. Sie benutzten Klanghölzer, bespannten Trommeln mit Tierleder, bauten Knochenflöten, spannten Tiersehnen auf. Diese Gegenstände hatten nur einen Zweck, die Luft in Schwingungen zu versetzen. Die Liebe zur Musik ist uns wahrscheinlich angeboren, schließlich können bereits zwei Monate alte Säuglinge Wohl- und Missklänge unterscheiden. Wenn uns Musik ergreift, erregt dies im Gehirn die gleichen Lustzentren wie beim Konsum von Schokolade, von Kokain oder beim Sex. Aber was passiert nun in unserem Kopf, wenn Luftdruckschwankungen auf unser Ohr treffen? Vom Ohr zum Gehirn – Die Digitalisierung von Schall Beginnen wir ganz vorne. Der Schall trifft in Form von Luftdruckschwankungen von außen auf unser Ohr, wird durch die Ohrmuschel, wie durch einen Trichter, konzentriert und muss anschließend den ca. 2,5 cm langen Gehörkanal passieren. Dieser ist evolutiv darauf optimiert Frequenzen zwischen 2000 und 5500 Hz um das Fünf- bis Zehnfache zu verstärken. Dieser Frequenzbereich ist besonders für das Verständnis der menschlichen Sprache wichtig. Am Ende des Gehörgangs trifft der Schall auf das Trommelfell, wo die Bewegung der Luftmoleküle in eine mechanische Bewegung des Trommelfells umgewandelt wird. Im Mittelohr befinden sich die drei Gehörknöchelchen (Hammer, Amboss, Steigbügel). Diese leiten die mechanische Bewegung des Trommelfells weiter auf das ovale Fenster, welches die Schwingung auf das Innenohr überträgt. Durch die Übertragung über die Gehörknöchelchen wird das Gehörte noch mal verstärkt. Diese Verstärkung ist notwendig, da das Innenohr mit Wasser gefüllt ist. Die Kraftübertragung von einem gasförmigen in ein wässriges Medium benötigt viel Energie. Wer schon einmal im Schwimmbad mit der flachen Hand aufs Wasser geschlagen hat, wird diesen Widerstand kennen. Das Innenohr wird wegen ihrem schneckenförmigen Aufbau auch Cochlea ("Schnecke") genannt. In der Cochlea werden die mechanischen Schwingungen in elektrische Nervenimpulse umgewandelt. Das Ohr benötigt nur 3500 Sinneszellen um das gesamte Frequenzband des menschlichen Hörvermögens (20 - 20.000Hz) abzubilden. Damit kommt der Hörsinn, im Vergleich zu den anderen menschlichen Sinnen, mit den wenigsten Sinneszellen aus, um die Umwelt abzubilden. Um die visuelle Umwelt zu erfassen benötigt ein Auge bereits 100 Millionen Lichtrezeptoren, vom Tastsinn, der über den ganzen Körper verteilt ist, ganz zu schweigen. Im Innenohr findet die Umwandlung von der mechanischen Bewegung in elektrische Nervenimpulse statt. Die Haarsinneszellen in der Cochlea liegen auf einer Membran hintereinander, wobei einzelne Bereiche der Membran und damit einzelne Haarzellen nur auf bestimmte Frequenzen reagieren. Eine Haarsinneszelle generiert also nur Nervenimpulse (Aktionspotentiale), wenn "ihr" Ton im Ohr ankommt. Hohe Frequenzen liegen dabei am Anfang der Schnecke (diese werden bei hohen Schalldruckpegeln zuerst irreversibel geschädigt), tiefe am Ende der Schnecke. In der Schnecke wird also eine Frequenzanalyse des eintreffenden Schalls durchgeführt. Von hier läuft dann der Nervus cochlearis (acusticus), der Hörnerv, zum Gehirn. Die Übertragungsgeschwindigkeit liegt bei ca. 50-100m/sek. Hierbei ist erstaunlich, dass sich Nervenimpulse, die vom Ohr kommen, von solchen, die von anderen Sinnen kommen in ihren Eigenschaften nicht mehr voneinander unterscheiden lassen. Eine Nervenzelle kennt ausschließlich zwei Zustände. Im angeregten Zustand leitet eine Nervenzelle einen ankommenden Nervenimpuls weiter, wird die Nervenzelle nicht durch einen Nervenimpuls erregt bleibt sie in Wartestellung. Daher wird das Gehirn oft mit einem Computer verglichen, dessen Datenverarbeitung erstaunliche Parallelen hierzu aufweißt. Bis heute ist jedoch nicht geklärt, wie unser Gehirn Informationen aus den verschiedenen Sinnen trennen kann, schließlich ist es etwas ganz anderes eine herzhafte Torte zu "Schmecken" als eine große Sinfonie zu hören. Trotzdem lässt sich mit dieser Tatsache erklären wie es zu dem Phänomen der Synästhesie kommt, bei dem Menschen Farben hören, oder Töne schmecken können. Die Hörbahn - mehr als ein Datenkabel Der Weg, den die akustische Information über die Neuronen vom Ohr bis zum Gehirn nimmt, wird als Hörbahn bezeichnet. Diese ist jedoch keine passive Bahn, die ausschließlich alle Informationen vom Ohr zum Gehirn weitergeleitet. Auf dem Weg über die Hörbahn werden die Informationen bereits vielfältig analysiert, modifiziert und gefiltert. Die eingehenden Daten von den 3500 Hörzellen pro Ohr werden in der Hörbahn aufgespalten bis sie am primären auditorischen Kortex von insgesamt ca. 100 Millionen Neuronen verarbeitet wird. Der auditorische Kortex ist eine Tonlandkarte. Dieses Phänomen kann am visuellen Kortex besser beschrieben werden. Hier wird das Bild, was das Auge sieht noch einmal originalgetreu abgebildet. Dem Kortex sind dann weitere assoziative Felder nachgeschaltet, die der Verarbeitung von Teilaspekten der Informationen dienen. Der Hirnstamm und die Gänsehaut Auf dem Weg ins Gehirn passiert die Information aus dem Ohr immer höhere und komplexere Verschaltungsebenen. Der Hirnstamm, die erste Station der Hörbahn, ist die Verlängerung des Rückenmarks und ist für ganz lebensnotwendige Funktionen wie den Herzschlag, Atmung, Blutkreislauf und Erbrechen zuständig. In der Medulla oblongata (Verlängertes Rückenmark), die zum Hirnstamm gehört, überkreuzen sich die Nervenbahnen des Hörsinns (sowie aller anderen Sinne), sodass die Informationen des rechten Ohres von der linken Gehirnseite verarbeitet werden und umgekehrt. Nach dem Hirnstamm gelangen die Nervenimpulse ins limbische System, wo unter anderem der Hypothalamus sitzt. Dieser ist für den Hormonhaushalt des Körpers zuständig und reguliert unser Gefühlsleben. Musik durchdringt also, noch bevor es in die höheren Gehirnareale kommt, die für höhere kognitive Aufgaben zuständig sind, Gehirnregionen die für unbewusste Reaktionen, Stimmungen und Gemüts-zustände verantwortlich sind. Dies könnte eine Erklärung dafür sein, das Musik so fundamental in unser Gefühlsleben Einfluss nimmt, und wir diese Reaktionen nicht beeinflussen können. Ein Krimi ohne Musik ist nur halb so gut wie mit Musik, genauso kennt jeder das Gefühl der Gänsehaut bei bestimmten Passagen der Lieblingsmusik. Assoziative Felder – Das ganze Gehirn arbeitet Das Großhirn ist in mehrere Bereiche untergliedert. Dazu gehören unter anderem der Temporallappen an den Flanken des Gehirns („Schläfenlappen“) und der Frontallappen hinter der Stirn. Vom limbischen System gelangen die Informationen erst zu den primären Arealen im Temporallappen. Im primären sensorischen Kortex werden die Eingänge auf ihren biologischen Stellenwert hin überprüft. Von hier werden die Informationen weiter auf sekundäre Areale im Frontallappen verteilt. So gelangen vom primären auditorischen Kortex Informationen in Gehirnareale die zur Verarbeitung von Rhythmen, Klangfarben, Tonhöhen, sowie in Areale die zur Planung und Verstehen von Musik benutzt werden, oder in Areale, wo der private Musikgeschmack, und kulturelle Besonderheiten, kodiert sind. Dabei fällt auf, dass Gehirnregionen die bei Rhythmuserkennung aktiv sind, mit denen, die für die Spracherkennung (Sprachrhythmus) zuständig, sind teilweise überlappen. Weiterhin konnte man zeigen, dass bei Pianisten Areale, die für die Motorik der Hände zuständig sind, aktiv werden, sobald sie das Musikstück, dass sie hören, schön einmal gespielt hatten. Neueste Studien zur Repräsentation von Musik im Gehirn ergaben, dass praktisch das gesamte Gehirn zur Musikverarbeitung beiträgt. Die zwei Gehirnhälften – Überblick und Genauigkeit Das Gehirn ist in zwei Gehirnhälften unterteilt. Diese werden rechte und linke Hemisphäre genannt. Die linke Gehirnhälfte ist in der Regel die dominante, was auch erklärt, dass die meisten Menschen Rechtshänder sind (Überkreuzung der Nervenbahnen). Durch Untersuchungen fand man heraus, dass die beiden Gehirnhälften unterschiedliche Aufgaben der Informationsverarbeitung erfüllen. Die linke Hemisphäre ist beispielsweise für das Verständnis der Sprache, mathematische Aufgaben, und detaillierte Informationen aus den sensorischen Eingängen optimiert. Die rechte Gehirnhälfte verarbeitet vor allem Muster- und Gesichtserkennung, Erkennung, räumliche und emotionale Zusammenhänge, nonverbales Verständnis und Emotionalität. Die rechte Gehirnhälfte ist also für das ganzheitliche Erleben der Umwelt zuständig, die Linke dagegen eher für Aufgaben, die detaillierte Genauigkeit benötigen. Diese Funktionsteilung ist bei Linkshändern teilweise vertauscht. Mit der Bildgebenden Kernspintomographie können Wissenschaftler heute einem lebenden Gehirn beim Arbeiten zusehen. Untersuchungen haben gezeigt, dass Nichtmusiker Musik meist mit der rechten Gehirnhälfte verarbeiten. Wie oben bereits beschrieben, liegen dort das ganzheitliche Erleben der Umwelt und die Verarbeitung der Emotionalität. Musiker dagegen verarbeiten Musik zudem auch mit der linken Gehirnhälfte die für eine detaillierte Betrachtung der Umwelt, sowie mathematischer Aufgaben, genutzt wird. Zudem wurde festgestellt das vor allem Pianisten, die eine besondere Feinmechanik und Koordination der Hände über Jahre trainieren, damit die Verbindung, den so genannten Balken (Corpus callosum), zwischen den Gehirnhälften beeinflussen. Dieser vergrößert sich bei Musikern und sorgt so für eine bessere und schnellere Abstimmung der beiden Gehirnhälften untereinander. Neuroplastizität – Veränderung durch Erfahrung Die Anzahl der Neuronen im Gehirn steht mit der Geburt weitgehend fest. Nach der Geburt werden, bis auf wenige Ausnahmen, keine neuen Nervenzellen mehr gebildet. Trotzdem ist das Gehirn kein statisches Organ. Die Forschungen im vergangenen Jahrzehnt haben gezeigt, dass das Gehirn im Gegenteil sehr plastisch auf seine Umwelt reagiert. Es passt sich zeitlebens an seine Umgebung an. So stehen im Gehirn eines Blinden viel mehr Neuronen für die Verarbeitung der auditorischen Eingänge zur Verfügung als bei einem Menschen der sehen kann. Das Lippen lesen ist ein gutes Beispiel dafür, dass Menschen mit einem Hörschaden hingegen ihre Umwelt viel detaillierter mit den Augen wahrnehmen können. Die Anpassungsvorgänge im Zentralnervensystem an die Lebenserfahrung eines Organismus nennt man Neuroplastizität. Lernt beispielsweise jemand Geige spielen, wächst das Areal zur Bedienung der linken Hand von ca. 1,5 auf 3,5cm an (letzteres nur bei frühkindlichem Beginn der Übungsstunden). Auch der umgekehrte Weg ist denkbar, so erlebt ein Armamputierter seinen nicht mehr vorhandenen Arm mit der Zeit schrumpfend und am Schluss nur noch Briefmarkengroß. Diese Veränderung beruht hauptsächlich darauf, dass zwischen Neuronen, die für das Lösen einer Aufgabe gleichzeitig aktiv sind, neue Verbindungen geknüpft werden. Die Anzahl der Verbindungen zwischen Neuronen in einem menschlichen Gehirn liegt im Billiardenbereich (10hoch15). Zudem werden häufig benutzte Neuronen stärker isoliert (ummantelt) und können damit Informationen schneller weiterleiten. Wie man heute weiß ist die Lebenserfahrung eines jeden Einzelnen in dessen Gehirn in Form von Verknüpfungen zwischen Nervenzellen kodiert und macht dessen Gehirn (und damit jeden Menschen) zu etwas Einmaligem. Musiker haben mehr Platz für Töne Fachleute zeichnen sich dadurch aus, dass sie eingehende Informationen automatisch mit bereits vorhandenen Informationen verknüpfen können. Der Wald, der für den Laien nur ein Wald ist, ist für den Maler ein Kunstwerk und für den Botaniker ein Lebensraum. Wie verändert sich das Gehirn eines Experten? Man untersuchte den Zusammenhang zwischen Raumvergrößerung im Gehirn und dem Erlernen eines Instruments. Es stellte sich heraus, dass Musiker weit mehr Platz im Gehirn für die auditorische Klanganalyse beanspruchen als Nichtmusiker. Weiterhin konnte festgestellt werden, dass dieses Phänomen instrumentenspezifisch ist. Ein Trompeter stellt mehr Areale für die Unterscheidung von Trompetentönen bereit als ein Geiger für Trompetentöne. Ein Geigenton wird umgekehrt im Gehirn eines Geigers mit mehr Neuronen verarbeitet als im Gehirn eines Trompeters. Beide benutzen, auch wenn sie ein fremdes Instrument hören, trotzdem mehr Neuronen zur Schallanalyse als ein Nichtmusiker. Universalien – oder jedes Gehirn ist anders Es gibt im Gehirn nicht „das Sprachzentrum“ oder „das Musikzentrum“. Es gibt ausschließlich Areale, die von einzelnen Eingängen eher angesprochen werden als andere. Für Sprache sind diese Areale bei allen Menschen ähnlicher als bei Musik. Das hängt mit der Vorbildung zusammen. Sprache lernt jeder Mensch ungefähr in einem ähnlichen Lebensalter, Zeitraster und auf ungefähr gleiche Weise. Im Gegensatz dazu ist die Vorbildung, wie, wann und wo jemand mit Musik in Berührung kommt sehr verschieden. So entwickelt sich auch das Gehirn anders, je nachdem ob ein Kind von den Eltern vorgesungen bekommen hat, früh mit Geige spielen beginnt, oder die ersten Musikerfahrung durch den Fernseher bekommen hat. In den letzten Jahrzehnten hat die Hirnforschung große Fortschritte gemacht, jedoch ist sie noch Meilenweit von einem umfassenden Bild der Funktion des Gehirns entfernt. Ein bekannter Neurologe beschreibt diese Tatsache so. „Das Einzige, was sich an allgemeinen Aussagen zur Lokalisation von Musik im Gehirn von Musikern sagen kann, ist, dass es keine allgemeinen Aussagen gibt“ (Gordon 1996) Michael Gilles Literaturangaben ALTENMÜLLER Eckart: Klavierspielen macht klug - Über die Wirkung von Musik. In: SWR2 Aula vom 14.12.2008 SPITZER, Manfred: Musik im Kopf, Schattauer-Verlag, Stuttgart 2007 WINBERGER, Norman M.: Wie Musik im Gehirn spielt. In: Spektrum Wissenschaft Juni 2005 Bildnachweise: http://www.musik.uni-osnabrueck.de/lehrende/enders/lehre/App_Musik_I/ohr.jpg (Stand: 04.01.2009). http://www.goethe.lb.bw.schule.de/faecher/biologie/biologie/mensch2/hirn.gif (Stand: 05.01.2009). http://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/GEHIRN/gehirn.gif (Stand: 20.12.2008). http://www.musik.uni-osnabrueck.de/lehrende/enders/lehre/App_Musik_I/Musik_Gehirn.jpg (Stand: 02.01.2009). http://www.mpg.de/bilderBerichteDokumente/multimedial/bilderWissenschaft/2003/05/nerv enzellenEmAufnahme/Web_Zoom.jpeg (Stand: 29.12.2008).