1.3 Dynamik des Massepunktes Im vorangegangenen Kapitel „Kinematik“ wurde die Bewegung von Körpern betrachtet, ohne dabei die Frage nach den Ursachen für diese Bewegung zu beantworten. Im Folgenden sollen nun die Ursachen der Bewegung von Körpern näher untersucht werden: Die Ursache für jegliche Art von Bewegungen von Körpern bezeichnet man in der Physik als Kraft F (engl. „force“). So sind sowohl für die Bewegungen von Körpern im Alltag (Autos, Fahrräder, Menschen,…), als auch für die Bewegungen von Körpern im atomaren Bereich (Atome, Moleküle,…) oder im astrophysikalischen Bereich (Planeten, Sterne, Galaxien,…) physikalische Kräfte verantwortlich. Merksatz: Die Ursache dafür, dass ein Körper seine Geschwindigkeit, seine Bewegungsrichtung oder seine Form ändert wird in der Physik Kraft genannt. Der Zusammenhang zwischen Kräften, die auf Körper wirken, und der Bewegung, die sie ausführen, wird Dynamik genannt. Eine Kraft ist eine vektorielle (gerichtete) physikalische Größe, das heißt, sie besitzt sowohl einen Betrag, der die Stärke der Kraft angibt, als auch eine Richtung, die angibt, wohin die Kraft wirkt. In Zeichnungen werden Kräfte deshalb durch Pfeile dargestellt: Länge des Pfeile: Betrag (Stärke) der Kraft Richtung des Pfeils: Richtung der Kraft Hierzu ein Beispiel: Zwei Schüler ziehen an einem Tau. Dabei übt jeder Schüler auf den anderen eine nach außen gerichtete Kraft aus. Wie man in der Zeichnung erkennen kann, hat die Kraft des linken Schülers einen größeren Betrag als die Kraft des rechten Schülers. Der linke Schüler gewinnt somit das Tauziehen, und beide Schüler bewegen sich nach links. © M. Brennscheidt 1.3.1 Die Newtonschen Axiome Zur physikalischen Beschreibung von Kräften führte Isaac Newton wesentliche Grundannahmen ein, die sog. Newtonschen Axiome. Diese Axiome bilden die Grundlage der gesamten klassischen Mechanik. Sie können nicht aus anderen Überlegungen hergeleitet werden, sind jedoch durch einfache Experimente nachweisbar. Der Trägheitssatz (Erstes Newtonsches Axiom) Jeder Körper behält seine Geschwindigkeit nach Betrag und Richtung bei ( ), wenn er nicht durch auf ihn einwirkende Kräfte dazu gezwungen wird, seinen Bewegungszustand zu ändern. So kann sich beispielsweise der Motorradfahrer in der folgenden Abbildung sicher sein, dass sich das Motorrad mit der gleichen Geschwindigkeit durch die Luft bewegt wie er selbst, solange keine zusätzliche Kraft zum Beispiel durch starken Seitenwind auf das Motorrad wirkt. [04] Motorrad Sprung Auch das Verhalten von Körpern in Schwerelosigkeit zeigt die Gültigkeit des Trägheitssatzes. Verliert ein Astronaut bei einem Außeneinsatz durch eine ungeschickte Bewegung einen Schraubenschlüssel, so bewegt sich der Schraubenschlüssel geradlinig mit konstanter Geschwindigkeit vom Astronauten weg. Erst eine auf den Schlüssel wirkende Kraft, wie zum Beispiel die Anziehungskraft der Erde, kann den Schraubenschlüssel von seiner geradlinig gleichförmigen Bewegung abbringen. © M. Brennscheidt Grundgleichung der Mechanik (Zweites Newtonsches Axiom) Wirkt auf einen Körper mit der Masse die Kraft , so erfährt dieser die Beschleunigung . Dabei sind Masse und Kraft proportional zueinander. Das heißt, dass bei einer kleinen Masse nur eine kleine Kraft benötigt wird um den Körper auf einen bestimmten Wert zu beschleunigen. Bei einer großen Masse ist für die gleiche Beschleunigung eine entsprechend größere Kraft erforderlich. Dabei ergibt sich als Proportionalitätskonstante die resultierende Beschleunigung des Körpers: Umgeschrieben ergibt sich schließlich die Grundgleichung der Mechanik: Die Kraft , die einen Körper mit der Masse aus Masse und Beschleunigung. um den Wert beschleunigt, ist gleich dem Produkt Die Grundgleichung der Mechanik lässt sich an einfachen Beispielen aus dem Alltag nachvollziehen: Ein leichter Sportwagen und ein schwerer LKW stehen an einer Ampel und fahren gleichzeitig los. Um den LKW genauso stark zu beschleunigen wie den Sportwagen, benötigt der LKW einen Motor mit einer wesentlich höheren Kraft als der des Sportwagens: Betrachtet man zwei PKW mit der gleichen Masse aber unterschiedlichen Motoren, so kann der PKW mit dem stärkeren Motor auch stärker beschleunigen als der PKW mit dem schwächeren Motor: Anmerkung: Mit Hilfe der Grundgleichung der Mechanik kann die Einheit „Newton“ in SI-Einheiten umgewandelt werden: © M. Brennscheidt Im Folgenden werden nun die wesentlichen Kräfte der Mechanik und deren Wirkungen näher betrachtet. 1.3.2 Die Gewichtskraft Auf sämtlichen Himmelkörpern (Erde, Mond, Mars, …) wirkt auf Körper mit einer Masse eine bestimmte Anziehungskraft, die in Richtung des Mittelpunkts des jeweiligen Himmelskörpers zeigt. Diese Anziehungskraft wird Gewichtskraft genannt. Sie wird durch die Gravitation (allgemeine Massenanziehung) des jeweiligen Himmelskörpers geliefert. Aus diesem Grund unterscheidet sich die Stärke der Gewichtskraft je nach Masse des Himmelskörpers stark. So beträgt die Gewichtskraft eines Körpers mit gleicher Masse auf dem Mond nur ca. ein Sechstel der Gewichtskraft auf der Erde. Aus diesem Grund ist es Astronauten auf dem Mond möglich, sehr schwere Gegenstände und Ausrüstungen zu tragen. Gemäß der Grundgleichung der Mechanik ist auch die Gewichtskraft proportional zur Masse des Körpers auf den die Gewichtskraft wirkt. Die Proportionalitätskonstante ist hier die Fallbeschleunigung bzw. der Ortsfaktor g des jeweiligen Himmelskörpers: Auf der Erde besitzt den Wert: Anmerkung: Die Formel für die Gewichtskraft wurde zuerst von Galileo Galilei aufgestellt. Sie wird deshalb auch Galileisches Gravitationsgesetz genannt. Galilei bestimmte den Ortsfaktor der Erde durch zahlreiche Fallexperimente vom schiefen Turm von Pisa. © M. Brennscheidt Beispiele für Ortsfaktoren: Himmelskörper Ortsfaktor Merkur Venus Erde Mars Jupiter Saturn Uranus Neptun Erdmond Sonne in 3,7 8,87 9,81 3,73 24,9 11,1 9,0 11,4 1,62 247 1.3.3 Die Gravitationskraft Auf der Erde fallen sämtliche Gegenstände in Richtung Erdoberfläche bzw. genauer in Richtung Erdmittelpunkt. Hieraus kann geschlossen werden, dass die Erde eine anziehende Kraft auf alle massebehafteten Körper ausübt, die in Richtung Erdmittelpunkt wirkt. Isaac Newton erweiterte diese Überlegung durch die Annahme, dass nicht nur die Erde eine anziehende Kraft auf einen Körper ausübt, sondern dass dieser Körper auch eine betraglich gleich große Kraft auf die Erde ausübt. Er vermutete sogar, dass sämtliche massebehafteten Körper sich gegenseitig anziehen, egal wie groß ihre Masse ist. So ziehen sich beispielsweise zwei Mehlsäcke in einer Vorratskammer genauso gegenseitig an wie zum Beispiel die Sonne die Planeten. Da jedoch die Erdanziehungskraft, die auch auf die Mehlsäcke wirkt, um ein Vielfaches größer ist als die gegenseitige Anziehungskraft der Mehlsäcke, bewegen sich die Mehlsäcke im Alltag nicht aufeinander zu, sondern bleiben an ihrem Platz. Die Vermutung der allgemeinen Massenanziehung © M. Brennscheidt konnte erst im Jahr 1797 durch Henry Cavendish mit einer sog. Gravitations-Drehwaage experimentell nachgewiesen werden. Gravitation: Die Eigenschaft der Körper, ausschließlich aufgrund ihrer Masse aufeinander Kräfte auszuüben, wird Gravitation genannt. Die Gravitationskraft zwischen zwei Körpern ist immer anziehend (nie abstoßend) und wird nur durch die Masse der beteiligten Körper bestimmt. Die Gravitationskräfte wirken zwischen Körpern, ohne dass ein Übertragungsmechanismus feststellbar ist. Es ist insbesondere für die Kraftübertragung kein Zwischenmedium erforderlich. Die zwischen zwei Körpern auftretende Gravitationskraft wird durch das Newtonsche Gravitationsgesetz beschrieben. Das Newtonsche Gravitationsgesetz: Zwei kugelförmige Körper ziehen sich mit der Kraft an, deren Betrag dem Produkt ihrer Massen und proportional und dem Quadrat des Abstands ihrer Mittelpunkte umgekehrt proportional ist. Dabei ist G die sog. Gravitationskonstante, die die Stärke der Gravitation angibt. Die Gravitationskonstante ist eine universelle Konstante, die im gesamten Universum gleich ist: Die Richtung der Gravitationskraft fällt mit der Verbindung der Kugelmitte zusammen. Beispiel: Die Erde zieht den Mond an und zwingt ihn auf eine Kreisbahn. Dabei ist anzumerken, dass die Erde den Mond im gleichen Maße anzieht wie der Mond die Erde (3.Newtonsches Axiom: „Actio=Reactio“). Dass der Mond um die Erde kreist und nicht umgekehrt, ist lediglich auf die größere Masse der Erde zurückzuführen. © M. Brennscheidt „Newton vs. Galilei“ Noch bevor Isaac Newton sein Gesetz zur allgemeinen Massenanziehung aufstellte hatte bereits Galileo Galilei sein eigenes Gravitationsgesetz aufgestellt (siehe Kapitel: Gewichtskraft). Mit dem Galileischen Gravitationsgesetz kann die gravitative Anziehung von allen Gegenständen auf der Erdoberfläche fehlerfrei beschrieben werden. Demnach werden Körper mit der Gewichtskraft von der Erde angezogen und in Richtung Erdboden beschleunigt. Den Ortsfaktor bzw. die Erdbeschleunigung bestimmte Galilei experimentell. Was Galilei nicht wissen konnte ist, dass dieser Wert des Ortsfaktors nur auf der Erdoberfläche gilt. Für andere Himmelskörper wie zum Beispiel den Mond muss dieser, wie im vorigen Kapitel beschrieben, neu bestimmt bzw. berechnet werden. Die große Leistung von Isaac Newton war es nun, dieses spezielle Gravitationsgesetz auf beliebige Körper mit beliebiger Masse zu übertragen. Das Newtonsche Gravitationsgesetz ist somit eine Verallgemeinerung des Galileischen Gravitationsgesetzes. Die Galileische Formel lässt sich ganz einfach aus dem allgemeinen Gravitationsgesetz ableiten: Befindet sich ein Mensch mit der Masse auf der Erdoberfläche, so wird er von der Erde mit der Masse angezogen. Der Abstand zwischen Erdmittelpunkt und Mittelpunkt des Menschen kann in guter Näherung mit dem Erdradius gleichgesetzt werden, da der Mensch im Vergleich zur Erde sehr klein ist und sich direkt auf der Erdoberfläche befindet. Setzt man diese Werte in das allgemeine Gravitationsgesetz ein, so ergibt sich: Anmerkung: Nach der obigen Überlegung ist das Galileische Gravitationsgesetz nur ein Spezialfall des Newtonschen Gravitationsgesetzes. Gemäß Albert Einstein ist jedoch auch das Newtonsche Gravitationsgesetz wiederum nur ein Spezialfall der allgemeinen Relativitätstheorie, die die Eigenschaften der Gravitation beschreibt. Hieraus darf jedoch nicht geschlossen werden, dass das Newtonsche, sowie das Galileische Gravitationsgesetz falsch sind. Beide Gesetze besitzen lediglich Grenzen, in denen sie gültig sind. 1.3.4 Die Federkraft Mit Federkraft bezeichnet man die Kraft, die auf Körper wirkt, die an einer Spiralfeder angehängt wurden. Sie wirkt der Gewichtskraft der Körper entgegen und sorgt somit für ein Kräftegleichgewicht. Innerhalb eines gewissen Bereichs (solange bis die Feder überdehnt ist) nimmt die Federkraft mit zunehmender angehängter Masse zu, sodass die Gewichtskraft immer ausgeglichen wird. Die Verlängerung der Feder gehorcht dem sog. Hookeschen Gesetz. © M. Brennscheidt Hookessches Gesetz: Die Verlängerung einer Feder ist proportional zur Kraft mit der die Feder ausgelenkt wird: Die Proportionalitätskonstante wird Federkonstante oder auch Federhärte genannt und mit bezeichnet. Da die Federkonstante materialabhängig ist, muss sie für jede Feder separat bestimmt werden. Das Hookesche Gesetz lautet somit: Das Hookesche Gesetz gilt nur im elastischen, nicht überdehnten Bereich der Feder. Das folgende Diagramm zeigt den proportionalen Zusammenhang zwischen Auslenkung und Kraft zweier unterschiedlicher Federn. Es ist zu erkennen, dass bei einer harten Feder bereits bei einer kleinen Auslenkung s eine große Kraft F aufgewendet werden muss, wohingegen bei einer weichen Feder eine viel kleinere Kraft benötigt wird. Anmerkung: Je nach Wahl des Koordinatensystems kann die Federkraft auch mit einem negativen Vorzeichen versehen werden: . © M. Brennscheidt 1.3.5 Reibungskräfte Wird ein auf einer Oberfläche aufliegender Körper verschoben, so entsteht zwischen Körper und Oberfläche „Reibung“. Bei der Reibung handelt es sich um Kräfte, die der Verschiebungsrichtung des Körpers entgegengesetzt gerichtet sind. Reibungskräfte entstehen an der Grenzfläche zwischen zwei Oberflächen. Da jede Oberfläche eine gewisse Rauigkeit besitzt (siehe Lupenansicht) können zwei Körper nicht widerstandslos aneinander vorbeigleiten. Beide Oberflächen „verhaken“ sich ähnlich wie bei einem Klettverschluss. Die Struktur der Oberfläche ist von Material zu Material unterschiedlich, sodass auch die Reibung materialabhängig ist. So ist beispielsweise die Reibung zwischen Autoreifen aus Gummi und Straßenbelag aus Asphalt relativ groß, wohingegen sie zwischen Gummi und Eis sehr gering ist. Aus diesem Grund können Autos im Sommer ohne Probleme durch Kurven fahren, wohingegen sie im Winter bei vereister Fahrbahn häufig im Straßengraben landen. Auch scheinbar glatte Metalloberflächen besitzen eine gewisse Rauigkeit, wie die folgende Aufnahme mit einem Mikroskop zeigt. [05] Metalloberfläche © M. Brennscheidt Haftreibung und Gleitreibung: Bei der Reibung unterscheidet man zwischen zwei Reibungsarten, der Haftreibung und der Gleitreibung. Die sog. Haftreibungskraft muss überwunden werden, um einen ruhenden Körper in Bewegung zu versetzen. Hierzu muss die Verzahnung zwischen den beiden Oberflächen aufgebrochen werden. Aus diesem Grund ist die Haftreibungskraft relativ groß. Möchte man zum Beispiel einen schweren Schrank auf einem rauen Teppichboden verschieben, so ist zunächst eine große Kraft erforderlich um den Schrank in Bewegung zu versetzen. Ist er einmal in Bewegung, so ist nur noch eine vergleichsweise kleine Kraft erforderlich um den Schrank zu schieben. In diesem Fall muss nur noch der sog. Gleitreibungskraft entgegengewirkt werden. Sowohl die Haftreibungskraft als auch Gleitreibungskraft hängen von der Beschaffenheit der Berührungsflächen ab. Die Haftreibungskraft ist stets größer als die entsprechende Gleitreibungskraft. Das folgende Diagramm zeigt den Zusammenhang zwischen der Zugkraft, die auf einen Körper wirkt und der Reibungskraft, die die Bewegung des Körpers hemmt. Es ist zu erkennen, dass zunächst bei steigender Zugkraft auch die Reibungskraft ansteigt. Der Körper bewegt sich aufgrund der großen Haftreibung jedoch zunächst nicht. Überschreitet die Zugkraft jedoch einen bestimmten Wert, so bricht die Verzahnung zwischen den Oberflächen auf und der Körper setzt sich in Bewegung. Von diesem Punkt an muss nur noch der Gleitreibungskraft entgegengewirkt werden. Da die Gleitreibungskraft unabhängig von der Geschwindigkeit ist und somit konstant bleibt, wird der Körper beschleunigt, wenn die Zugkraft weiter ansteigt. © M. Brennscheidt Neben der Beschaffenheit bzw. der Struktur der Oberfläche von Körpern ist die Reibung zwischen zwei Körpern auch davon abhängig, wie stark beide Körper aneinander gepresst werden. So ist es beispielsweise viel schwieriger einen schweren Schrank zu verschieben, als eine kleine Kommode, da die große Gewichtskraft des Schranks diesen viel stärker an den Fußboden presst als die vergleichsweise geringe Gewichtskraft der Kommode. Die Kraft, mit der ein Körper auf eine Oberfläche gedrückt wird, bezeichnet man als Normalkraft . Diese wird häufig wie im Beispiel des Schranks durch die Gewichtskraft geliefert, sie kann aber auch zum Beispiel durch Anpress- oder Spannkräfte (Schraubzwingen, Andrücken,…) geliefert werden. So versuchen beispielsweise die Ingenieure von Rennwagen durch geschickte Anordnung von Spoilern die Normalkraft, mit der ein Rennwagen auf die Straße gepresst wird, zu erhöhen. Die Erhöhung der Normalkraft bewirkt wiederum eine Vergrößerung der Reibungskraft zwischen Rennwagen und Fahrbahn, so dass der Rennwagen auch mit hohen Geschwindigkeiten durch Kurven fahren kann. Sowohl die Haftreibungskraft als auch die Gleitreibungskraft sind proportional zur Normalkraft Die Proportionalitätskonstante wird Haftreibungskoeffizient genannt. Somit folgt für die Reibungskräfte: : bzw. Gleitreibungskoeffizient Weitere Reibungsarten: Neben der Haft- und der Gleitreibung gibt es weitere Reibungsarten wie die Rollreibung oder die Luftreibung (Luftwiderstand). Rollreibung tritt auf wenn zum Beispiel ein Mountainbikefahrer über eine asphaltierte Straße fährt. Aufgrund des stolligen Reifenprofils des Mountainbikes muss der Fahrer gegen eine große Rollreibungskraft anfahren. Diese wird bei hohen Geschwindigkeiten durch ein sehr lautes Fahrgeräusch hörbar. Im Gegensatz dazu gleiten Rennräder nahezu geräuschlos über die Straße. Diese sind meistens mit Slickreifen ausgestattet und besitzen nahezu kein Profil. Die Rollreibung ist dementsprechend sehr gering und die Rennradfahrer müssen somit „nur noch“ die Luftreibung überwinden. Auf weitere Ausführungen zur Luftreibung wird an dieser Stelle verzichtet. 1.3.6 Die Zentripetalkraft Zum Abschluss des Kapitels Dynamik soll nun eine der wichtigsten Kräfte der Mechanik untersucht werden, die sog. Zentripetalkraft . Die Zentripetalkraft ist die Ursache für sämtliche existierenden Kreisbewegungen im Universum. © M. Brennscheidt [06] Kettenkarussell So kann sowohl die Bewegung der Planeten um die Sonne, die Bewegung der Gondel eines Kettenkarussells, als auch die Bewegung der Elektronen um den Atomkern mit der Zentripetalkraft beschrieben werden. Zum Verständnis der Zentripetalkraft werden nun zunächst die wichtigsten physikalischen Größen bei Kreisbewegungen betrachtet: Eine Kreisbewegung ist eine Bewegung, bei der sich ein Körper auf einer Kreisbahn bewegt und um das Zentrum des Kreises rotiert. Für den Umfang eines Kreises gilt die Formel: In der Mathematik betrachtet man häufig sog. Einheitskreise. Diese besitzen den Radius ( : Längeneinheit) Der Umfang eines Einheitskreises beträgt somit immer: © M. Brennscheidt Das Bogenmaß: In der Geometrie werden Winkel in der Regel im sog. Gradmaß angegeben (Beispiele: , ). Auch im Einheitskreis kann ein Winkel in Grad angegeben werden. Einem vollständigen Umlauf entspricht ein Winkel von . Im Gegensatz zur Mathematik werden in der Physik Winkel häufig im sog. Bogenmaß angegeben. Einem Winkel von im Gradmaß wird im Bogenmaß der Umfang des Einheitskreises zugeordnet. Einem Winkel von wird entsprechend der halbe Umfang des Einheitskreises zugeordnet. Jeder beliebige Winkel lässt sich somit als Vielfaches der Zahl darstellen: Winkel im Gradmaß Winkel im Bogenmaß Umlaufzeit: Bei einer Kreisbewegung legt ein Körper innerhalb einer gewissen Zeit die Strecke zurück. Dabei überstreicht der Radius den Winkel . Die Zeit, die der Körper für eine volle Umdrehung benötigt, wird Umlaufzeit genannt. Während einer Umlaufzeit T überstreicht der Radius den Winkel . Umlauffrequenz: Die Umlauffrequenz gibt an, wie oft ein Körper pro Sekunde eine vollständige Kreisbewegung durchführt. Einer Frequenz von entsprechen also 50 Umläufen pro Sekunde. Die Frequenz ergibt sich aus dem Kehrwert der Umlaufzeit einer Umdrehung: Beispiel: Bahngeschwindigkeit: Die Geschwindigkeit mit der sich ein Körper auf einer Kreisbahn mit dem Radius bewegt, wird Bahngeschwindigkeit genannt. Die Bahngeschwindigkeit ist in der Regel konstant und kann somit analog zum Weg-Zeit-Gesetz der geradlinig gleichförmigen Bewegung berechnet werden: © M. Brennscheidt Der Strecke Umlaufzeit : entspricht hier der Umfang der Kreisbahn , der Zeit t entspricht die Winkelgeschwindigkeit: Eine häufig verwendete Alternative zur Bahngeschwindigkeit ist die sog. Winkelgeschwindkeit . Diese gibt nicht die Strecke an, die ein Körper in einer bestimmten Zeit zurücklegt, sondern den Winkel der in einer bestimmten Zeit t überstrichen wird. Für einen kompletten Umlauf mit der Umlaufzeit Winkelgeschwindigkeit ergibt sich somit: beträgt der Winkel im Bogenmaß . Für die Durch Einsetzen der Umlauffrequenz ergibt sich die Formel: Der große Vorteil der Winkelgeschwindigkeit gegenüber der Bahngeschwindigkeit ist es, dass diese nicht mehr vom Radius der Kreisbahn abhängt, sondern nur noch von der Umlaufzeit T. Durch Einsetzen der Formel für die Winkelgeschwindigkeit in die Formel der Bahngeschwindigkeit ergibt sich schließlich der Zusammenhang zwischen Bahngeschwindigkeit und Winkelgeschwindigkeit: Die Zentripetalkraft: Gemäß dem ersten Newtonschen Axiom (Trägheitssatz) bewegen sich alle Körper geradlinig mit konstanter Geschwindigkeit, solange sie nicht durch von außen wirkende Kräfte abgelenkt werden. Dies bedeutet, dass ein Körper, der sich auf einer Kreisbahn bewegt, stets eine zum Zentrum der Kreisbahn gerichtete Kraft erfahren muss, die ihn von der geradlinigen Bewegungsrichtung ablenkt. Diese Kraft wird mit Zentripetalkraft bezeichnet. Man kann sich den Zusammenhang zwischen der Kreisbewegung und der Zentripetalkraft sehr einfach am Beispiel eines Hammerwerfers verdeutlichen. © M. Brennscheidt Beim Hammerwerfen „schleudert“ der Hammerwerfer eine Metallkugel aus Eisen mit großer Geschwindigkeit auf einer Kreisbahn. Damit die Kugel auf der Kreisbahn bleibt, muss der Hammerwerfer mit seinen Muskeln eine Kraft ausüben, die immer zum Zentrum der Bahn zeigt. Sobald der Hammerwerfer die Kugel loslässt, entfällt diese Kraft und die Kugel fliegt mit hoher Geschwindigkeit geradlinig davon. Dabei ist anzumerken, dass die Kugel immer tangential zur Kreisbahn davonfliegt und nicht radial nach außen. Der Hammerwerfer muss also genau zum richtigen Zeitpunkt die Kugel loslassen, damit diese in die richtige Richtung fliegt. Am Beispiel des Hammerwerfers lassen sich wesentliche Eigenschaften der Zentripetalkraft verdeutlichen: Die Zentripetalkraft ist abhängig von der Masse! Das heißt, dass ein Hammerwerfer bei einer schweren Kugel mehr Kraft benötigt um die Kugel auf der Kreisbahn zu halten als bei einer leichten Kugel! Die Zentripetalkraft ist abhängig von der Geschwindigkeit der Kugel! Das heißt, dass die Kraft, die benötigt wird, um die Kugel auf der Kreisbahn zu halten, mit zunehmender Geschwindig- © M. Brennscheidt keit der Kugel größer wird. Kurz vor dem Abwurf der Kugel ist die Geschwindigkeit und damit die erforderliche Zentripetalkraft am größten. Die Zentripetalkraft ist abhängig vom Radius! Das heißt, dass der Hammerwerfer eine größere Kraft benötigt, wenn das Seil, an dem die Kugel befestigt ist, sehr lang ist. Im Experiment kann der Zusammenhang zwischen der erforderlichen Zentripetalkraft, der Masse, der Geschwindigkeit und dem Radius untersucht werden. Für die Zentripetalkraft ergibt sich das folgende Gesetz: Dabei ist zu beachten, dass insbesondere die Geschwindigkeit von großer Bedeutung für die Stärke der Zentripetalkraft ist. Es ergibt sich ein quadratischer Zusammenhang zwischen Winkelgeschwindigkeit und Zentripetalkraft. Das heißt, dass bei einer Verdopplung der Geschwindigkeit sich die erforderliche Zentripetalkraft vervierfacht. Setzt man in die Formel der Zentripetalkraft die Winkelgeschwindigkeit ein so ergibt sich: Anmerkung: Diese Formel kann verwendet werden, wenn sowohl der Radius als auch die Bahngeschwindigkeit bekannt sind. In der Regel sind jedoch nur der Radius und die Umlaufdauer bekannt. In diesem Fall führt die ursprüngliche Formel schneller zum Ziel. Hierzu muss lediglich mit Hilfe der Umlaufdauer die Winkelgeschwindigkeit berechnet werden und diese in die Ausgangsformel eingesetzt werden. Unterschiedliche Zentripetalkräfte: Für jede beliebige Kreisbewegung ist eine Zentripetalkraft erforderlich. Je nach Art der Kreisbewegung, wird diese Zentripetalkraft jedoch durch unterschiedliche Kräfte geliefert, wie die folgenden Beispiele zeigen: Beim Hammerwerfen wird die Zentripetalkraft von der Muskelkraft des Hammerwerfers geliefert, die die Kugel auf der Kreisbahn hält. Es gilt die Formel: Beim Kettenkarussell wird die Zentripetalkraft von der Zugkraft der Ketten geliefert, die die Gondeln auf der Kreisbahn hält. Es gilt die Formel: © M. Brennscheidt Bei der Planetenbewegung wird die die Zentripetalkraft von der Gravitationskraft geliefert, die die Planeten auf der Kreisbahn um die Sonne hält. Es gilt die Formel: Bei der Bewegung der Elektronen wird die Zentripetalkraft von der elektrischen Anziehungskraft zwischen positiven und negativen Ladungen geliefert, die die Elektronen auf ihrer Kreisbahn um den Atomkern halten. Es gilt die Formel: Beim Autofahren durch eine Kurve wird die Zentripetalkraft durch die Reibungskraft der Autoreifen geliefert, die das Auto in der Kurve hält. Es gilt die Formel: 1.3.7 Scheinkräfte In der Physik unterscheidet man zwischen unterschiedlichen Bezugsystemen in denen physikalische Vorgänge beobachtet werden. Diese unterscheiden sich durch den Ort, an dem sich der Beobachter eines physikalischen Vorgangs befindet. Das Laborsystem ist ein physikalisches Bezugssystem in dem sich der Beobachter in Ruhe befindet. Er betrachtet die physikalischen Vorgänge von außen und in ihrer Gesamtheit. Laborsysteme werden deshalb häufig auch Ruhesysteme genannt. So werden beispielsweise Experimente mit der Luftkissenfahrbahn von außen betrachtet und analysiert. Die Fahrbahn, sowie die Messgeräte befinden sich im Bezug zu den untersuchten Körpern in Ruhe. Sämtliche in den Kapiteln Kinematik und Dynamik betrachtete Bewegungen und Kräfte wurden im Laborsystem beschrieben und untersucht. Eine weitere Art von Bezugssystemen sind beschleunigte Bezugsysteme. In beschleunigten Bezugsystemen nimmt der Beobachter an der zu untersuchenden Bewegung Teil. So befinden sich beispielsweise die Insassen eines PKW, der durch eine Kurve fährt, in einem beschleunigten Bezugssystem. In diesem Bezugssystem wirken auf die Insassen sog. Scheinkräfte, die im Ruhesystem nicht beobachtet werden können. Das bekannteste Beispiel einer solchen Scheinkraft ist die sog. Zentrifugalkraft . Lässt man beispielsweise im Auto auf der Hutablage einen Ball unbefestigt liegen, so wird dieser Ball, sobald das Auto in die Kurve fährt nach außen gedrückt bis er von der seitlichen Fensterscheibe aufgehalten wird. Im Auto hat es deshalb den Anschein, dass auf den Ball eine Kraft gewirkt hat, die diesen in Bewegung versetzt hat. Genauso wie der Ball verspüren auch alle Fahrzeuginsassen in Kurven diese scheinbar nach außen wirkende Zentrifugalkraft. Betrachtet man den Vorgang jedoch aus der Vogelperspektive, also aus einem ruhenden Laborsystem (z.B. aus einem auf der Stelle © M. Brennscheidt fliegenden Hubschrauber), so wird schnell deutlich, dass die Zentrifugalkraft nur eine Scheinkraft ist, die ihre Ursache im Trägheitssatz findet: Damit das Auto entlang der Kurve fahren kann, muss auf das Auto eine zum Zentrum der Kurve ausgerichtete Zentripetalkraft wirken. Diese wird durch die Reibung zwischen Autoreifen und Asphalt geliefert. Fehlt diese Zentripetalkraft, zum Beispiel bei vereister Fahrbahn, so würde das Auto gemäß dem Trägheitssatz geradeaus in den Straßengraben fahren. Genau der gleiche Effekt zeigt sich beim Ball auf der Hutablage. Dadurch, dass er nicht befestigt ist und auf ihn nur sehr geringe Reibungskräfte (Rollreibung) wirken, bewegt er sich gemäß dem Trägheitssatz einfach geradeaus. Für Fahrzeuginsassen erscheint diese geradlinige Bewegung als Bewegung nach außen. Die Frage ob auf den Ball eine Zentrifugalkraft wirkt oder nicht, hängt also vom Standpunkt des Beobachters ab. Zusammenfassung: Führt ein Körper eine Kreisbewegung aus, so erfährt ein mitrotierender Beobachter eine Trägheitskraft, die sog. Zentrifugalkraft , die vom Kreismittelpunkt nach außen gerichtet ist. Wird durch eine äußere Kraft das Gleichgewicht gehalten, so ist der Körper relativ zum rotierenden Bezugsystem in Ruhe. Diese Gegenkraft ist für einen Beobachter in einem Laborsystem die Zentripetalkraft . Die Zentrifugalkraft ist eine Scheinkraft, die nur von Beobachtern in beschleunigten Bezugssystemen gemessen werden kann. Im Laborsystem, also für ruhende Beobachter, existiert die Zentrifugalkraft nicht. © M. Brennscheidt