klicken, um die Datei herunterzuladen

Werbung
Institut für Weltwirtschaft
Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät
der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Seminar zur „Konjunktur- & Wachstumspolitik“
Wintersemester 2008/2009
Professor Dr. Joachim Scheide
Betreuer: Björn van Roye
Thema 7: „Chinas Wachstumswunder seit Mitte der 1990er
– Quo vadis?“
I
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis..............................................................................................I
Abkürzungsverzeichnis....................................................................................II
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis...........................................................III
1
Einleitung....................................................................................................1
2
Chinas bisherige wirtschaftliche Entwicklung........................................2
2.1 Privatkonsum und Sparverhalten.....................................................2
2.2 Investitionen und das Risiko von Überkapazitäten.........................4
2.3 Exporte und wachsende außenwirtschaftliche Ungleichgewichte..6
3
Grundlagen für ein nachhaltiges Wachstum...........................................7
3.1 Neue ökonomische Strukturen.........................................................7
3.2 Wirtschaftspolitische Maßnahmen................................................10
3.3 Finanzmarktentwicklung...............................................................12
4
Chancen für zukünftiges Wachstum......................................................13
4.1 Aktuelle Entwicklung...................................................................13
4.2 Langfristige Entwicklung.............................................................16
5
Fazit..........................................................................................................18
Literaturverzeichnis.......................................................................................20
I
Abkürzungsverzeichnis
BIP-
Bruttoinlandsprodukt
CGE-
Computable General Equilibrium (berechenbares allgemeines
Gleichgewicht)
DRC-
Development Research Center
(Entwicklungsforschungszentrum)
GDP-
Gross Domestic Product (Bruttoinlandsprodukt)
Mrd.-
Milliarden
RMB-
Renminbi (Währung der Volksrepublik China)
SOE-
State-Owned Enterprises (Staatsbetriebe)
USD-
United States-Dollar
VPI-
Verbraucherpreis-Index
WTO-
Welthandelsorganisation
I
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abbildung 1: Konsum, Ersparnis und Investitionen (aus: Europäische
Zentralbank, 2007, Seite 87)........................................................3
Abbildung 2: Beiträge zum BIP-Wachstum (aus: Europäische Zentralbank,
2007, Seite 90).............................................................................5
Abbildung 3: Arbeitsproduktivität im Industriesektor ist gestiegen (aus: He und
Kuijs, 2007, Seite 6)....................................................................9
Abbildung 4: Wechselkurs des Renminbi und und VPI-Inflation (aus:
Europäische Zentralbank, 2007, Seite 92).................................10
Abbildung 5: Das Wirtschaftswachstum verlangsamt sich schnell (aus: World
Bank Office, Beijing, 2008, Seite 2)..........................................14
Abbildung 6: Das Investitionswachstum verringert sich 2007 (aus: World
Bank Office, Beijing, 2008, Seite 4)..........................................15
Abbildung 7: Mehr Konsum (aus: He und Kuijs, 2007, Seite 19)...................17
Abbildung 8: Weniger Stadt-Land-Ungleichheit (aus: He und Kuijs, 2007,
Seite 19)....................................................................................17
1
1
Einleitung
China hat seit Beginn seiner „Reform- und Öffnungspolitik“ der letzten 30
Jahren bemerkenswerte Wachstumsraten zu verzeichnen. Die Wirtschaft wuchs
seit Ende der 1970er Jahre, verglichen mit anderen asiatischen Ländern wie
Japan und Südkorea, schnell aber unspektakulär. Unter der Ära Jiang Zemins
seit Mitte der 1990er Jahre hat sich das Wachstum erheblich beschleunigt. Er
verkündete die „sozialistische Marktwirtschaft“ als wirtschaftliches Ziel der
chinesischen Regierung.
Auch in den Phasen der Asienkrise 1997/98 und der weltweiten Konjunkturabschwächung in Folge der geplatzten „New Economy-Bubble“ 2001 konnte
China ein stabiles wirtschaftliches Wachstum verzeichnen, das sich seit 2002
sogar von Jahr zu Jahr mit Wachstumsraten von durchschnittlich 10 Prozent
weiter beschleunigte.
Von 1990 bis 2005 stieg Chinas Anteil an der Weltproduktion von 1,7 Prozent
auf 5 Prozent. China ist, bereinigt um die Kaufkraftunterscheide, sogar zur
zweitgrößten Volkswirtschaft sowie zur drittgrößten Handelsnation der Welt
aufgestiegen. Jedoch gehen diese Entwicklungen mit wachsenden Ungleichheiten in Bezug auf Einkommensdisparitäten und allgemeinen Lebensstandards
zwischen der urbanen und der ländlichen Bevölkerung einher. Durch die Aufnahme in die Welthandelsorganisation im Jahr 2001 verstärkte sich Chinas
Verflechtung in das Weltwirtschaftssystem. Bereits heute ist China einer der
Hauptmotoren des Weltwirtschaftswachstums. Seit 2000 trägt China ungefähr
ein Drittel zum weltweiten realen BIP-Wachstum bei und hat sich auch zu
einem wichtigen globalen Exporteur entwickelt.1
Diese Seminararbeit soll die Merkmale und Ursachen dieser herausragenden
wirtschaftlichen Entwicklung seit Mitte der 1990er Jahre und die mögliche
zukünftige Entwicklung Chinas darstellen. Im zweiten Abschnitt wird zunächst
aufgezeigt, wie sich das Wachstum bisher entwickelt hat und welche Ursachen
dafür maßgeblich von Bedeutung waren. Zusätzlich werden die Probleme
aufgeführt, die sich mit der bisherigen Entwicklung ergeben haben. Danach
wird im dritten Abschnitt untersucht welche Grundlagen für ein nachhaltiges
Wachstum des wirtschaftlichen Aufschwungs geschaffen wurden. Ab1
Vgl. Becker und Straub (2007), Seite 175f.
2
schließend werden Umstrukturierungsmaßnahmen erörtert und in diesem
Kontext die aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen und langfristige
Entwicklungen vorgestellt.
2
Chinas bisherige wirtschaftliche Entwicklung
Ein wesentliches Merkmal des kräftigen Wirtschaftswachstum Chinas ist die
außergewöhnlich hohe Kapitalakkumulation mit hohen Spar- und Investitionsraten sowie Bruttoanlageinvestitionen innerhalb Chinas und aus dem Ausland.2
Hohe Investitionen haben ein schnelles Wachstum der Produktivität eingeleitet
und zudem angemessene Lohn- und Profiterhöhungen erlaubt ohne dabei die
internationale Wettbewerbsfähigkeit sowie Preisstabilität zu gefährden.
Konsum und Exportwachstum im Gegenzug haben neue Anreize zum
Investieren gegeben. Die einzelnen Faktoren, die zur wirtschaftlichen
Wachstumsentwicklung beigetragen haben, sollen im Folgenden näher
betrachtet werden.
2.1
Privatkonsum und Sparverhalten
Die reale Wachstumsrate der Ausgaben der privaten Haushalte betrug
zwischen 1994 und 2003 mehr als 9 Prozent pro Jahr. In China wie auch in
anderen asiatischen Ländern war das starke Wachstum des Konsums verknüpft
mit einem entsprechenden Wachstum der realen Löhne. So sind zum Beispiel
von 1994 bis 2002 die Reallöhne in der Produktion von Industriebetrieben um
jährliche Raten von 8 Prozent gestiegen. In den letzten Jahren hat die ländliche
Bevölkerung, angespornt durch das Lohnwachstum in den urbanen Gebieten,
ebenfalls ihre Kaufkraft verstärkt. Erklärt wird dies mit der Tatsache, dass sich
Firmen in den Küstenregionen stark auf die Wanderarbeiter vom Land
verlassen, die durch ihr Pendeln zwischen Land und Stadt die Kaufkraft auf
dem
Land
erhöhen.
Damit
wird
zwar
nicht
verhindert,
dass
die
Einkommenslücke der städtischen und ländlichen Bevölkerung ausgeweitet
wird, dennoch kann dadurch das Konsumwachstum im letzten Jahrzehnt über
das gesamte Land erklärt werden.
2
Sofern nicht anders angegeben folgt dieser Abschnitt den Darstellungen von Dullien et al.
(2005), Seite 9-11.
3
Dennoch bleiben die Zuwachsraten des inländischen Konsums schon seit
vielen Jahren hinter dem gesamtwirtschaftlichen Wachstum zurück. Der Anteil
der Konsumausgaben am BIP hat sich über die Jahre hinweg stetig verringert
(Abb.1).
Abbildung 1: Konsum, Ersparnis und Investitionen
(in Prozent des nominalen BIP)
Quelle: Europäische Zentralbank (2007), Seite 87.
Diesem rückläufigen Konsum stand ein starker und schneller Anstieg der
privaten und staatlichen Ersparnisse, die ungefähr die Hälfte des chinesischen
BIP ausmachen, gegenüber.
Die Ersparnisbildung der Bevölkerung beruht auf der Zusammensetzung
verschiedener Faktoren. Zum einen sinkt das verfügbare Einkommen gemessen am BIP, was dem Rückgang des
Konsumanteils annähernd ent-
spricht.3 Ein weiterer Faktor ist ein verstärktes Vorsichtssparen, um die
Gesundheitsversorgung, die Grundversorgung im Bildungsbereich und die
Altersvorsorge gewährleisten zu können. Schwächen im Finanzsystem, die zu
Kreditbeschränkungen führen und somit den Zugriff der privaten Haushalte auf
Finanzmittel für den Konsum begrenzen. Letztlich die demografische
Entwicklung,
wobei
besonders
der
Rückgang
der
Gesamtlastquote4
entscheidend ist.
3
Der Rückgang des verfügbaren Einkommens in Relation zum BIP entspricht sowohl einem
schwachem Lohnwachstum als auch einem geringeren Kapitalwachstum in Relation zum BIP.
4
Die Abhängigkeitsrelation gibt das Verhältnis zwischen nicht erwerbsfähigen zu
erwerbsfähigen Personen an der Gesamtbevölkerung wider. 2003 lag die Gesamtlastquote bei
45 %, jedoch wird erwartet, dass der Quotient 2050 wieder einen Wert von 65 % annehmen
wird, wie bereits 1980 vor Einführung der so genannten Ein-Kind-Politik in China, dem
Geburtenkontrollprogramm von 1979.
4
Die Ersparnisse der privaten Haushalte sind beträchtlich, dennoch ist seit Ende
der 1990er Jahre das Sparen der Unternehmen hauptsächlich für den eindrucksvollen Anstieg der Ersparnisse verantwortlich.5
2.2
Investitionen und das Risiko von Überkapazitäten
Chinas Wirtschaft ist zu einem hohen Maß von Investitionen als Hauptantriebskräfte des Wachstums abhängig. Die gesamtwirtschaftlichen Investitionen
machen seit 2002 rund 50 Prozent des realen BIP-Wachstums aus. Dies ist
typisch für Volkswirtschaften, die sich in einem Aufholprozess befinden, da
eine vergleichsweise stärkere Kapitalakkumulation benötigt wird, um den
Kapitalstock in Relation zum BIP konstant zu halten.6
Die Bruttoanlageinvestitionen expandierten 2008 nach wie vor mit Zuwachsraten von über 20 Prozent; sie leisteten damit erneut den größten Beitrag zum
Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Produktion.7
Die Erwartung von beständigen und auf Wachstum ausgerichtete makroökonomische Bedingungen, kombiniert mit einem stabilen wachsenden
inländischen Markt, hat in- und ausländischen Investoren Profit versprechende
Sicherheiten gegeben und somit große Investitionen tätigen lassen.
Die höheren Investitionen trafen eine Wirtschaft mit einem nicht ausgelasteten
Arbeitsmarkt, wodurch direkt positive Effekte übertragen worden sind, wie
höhere reale Outputraten und höhere reale Einkommen der Erwerbstätigen.
Ausländische Direktinvestitionen haben einen großen Anteil am Aufbau des
regionalen Produktionsnetzwerks und haben Chinas technologische Integration in die Weltwirtschaft beschleunigt.
Internationale Investoren wurden angezogen um kapital-intensive Produktionsprozesse aus ihrem Land nach China zu bringen und diese mit billigen
chinesischen Arbeitern und preislich konkurrenzfähigen Gütern auszuführen.
In China erhoffte man sich Know-how in technologieintensive Sektoren zu
übertragen und Zugang zum Weltmarkt zu bekommen. Daher bekamen
5
Vgl. He und Kuijs (2007), Seite 6.
Vgl. Europäische Zentralbank (2007), Seite 88f.
7
Vgl. Gern et al. (2008), Seite 12f.
6
5
ausländische Firmen, die im Technologiesektor tätig waren, diverse Vorteile
wie beispielsweise Steuervergünstigungen und leichteren Zugang zu Krediten.8
Durch die neue Wettbewerbsposition wurden jedoch nicht nur Anreize für
Investitionen aus dem Ausland geschaffen, sondern auch die chinesischen
privaten Firmen, die bei der Kreditvergabe im Land gegenüber Staatsbetrieben
benachteiligt waren, konnten extra Finanzmittel für ihre neuen Investitionsprojekte bekommen.9
In China wurden von 1991 bis 2002 durchschnittlich 4,9 Prozent des BIP an
Investitionen aus dem Ausland eingeführt.10 Danach hat in den vergangenen
Jahren die Bedeutung der ausländischen Direktinvestitionen abgenommen.
2005 beliefen sich die Investitionen noch auf ungefähr 3,1 Prozent des BIP11
(Abb. 2), was damit begründet wird, dass hohe Investitionsraten auch Nachteile
mit sich bringen können.
Abbildung 2: Beiträge zum BIP-Wachstum (in %)
Quelle: Europäische Zentralbank (2007), Seite 90.
Es besteht die Gefahr von Überproduktion, rückläufigen Preisen und
Gewinneinbußen, auch wenn sich die Ertragslage der Unternehmen in China
im Zeitablauf solide entwickelt hat. Ein Indikator der Kapitaleffizienz, das
Grenzprodukt des Kapitals, ist in letzter Zeit gesunken, was darauf hindeutet,
dass die Produktivität zusätzlicher Investitionen abgenommen hat.
Die Problematik der Überproduktion zeigt sich am Beispiel Japans. Japan hat
in den 1970er Jahre alles Sparkapital in strategische Wachstums- und
8
Vgl. Huang, Y. (2003), Seite 40f.
Vgl. Dullien et al. (2005), Seite 18.
10
Vgl. Dullien et al. (2005), Seite 35.
11
Vgl. Becker und Straub (2007), Seite 212.
9
6
Exportindustrien (Elektronik und Autos), weit jenseits des Inlandsbedarfs,
gelenkt. Ende der 1980er Jahre konnte der Weltmarkt die japanische
Überproduktion nicht mehr aufnehmen und Japans Wirtschaftswachstum kam
zum Erliegen.12
In den Boomjahren 2003/2004 ist es der Regierung nicht gelungen das
Investitionswachstum abzubremsen. Ein Problem scheint dabei zu sein, dass
die Zentral- und Lokalregierungen oft nicht auf ein gemeinsames Ziel
hinarbeiten. Während die Zentralregierung die Notwendigkeit sieht, die
Investitionsentwicklung herunterzufahren, sind Lokalregierungen eher geneigt,
Investitionen in ihren Regionen zu erhöhen, da sie versuchen ein hohes
Wachstum und die Beschäftigungsrate regional stabil zu halten.
Um dem Problem der Überkapazitäten entgegenzuwirken, wurden 2005 gezielt
administrative Maßnahmen eingeführt, um den weiteren Kapazitätsaufbau zu
begrenzen. Zu diesen Maßnahmen zählten Anweisungen an die Banken, die
Kreditvergabe an bestimmte Sektoren restriktiver zu gestalten oder kontrollierter Lizenzen für Existenzgründungen zu vergeben. Bereits im zweiten
Halbjahr 2006 zeichnete sich ein verlangsamtes Investitionswachstum ab.13
2.3
Exporte und wachsende außenwirtschaftliche
Ungleichgewichte
In den ersten Reformjahren unter Deng Xiaoping war das Exportwachstum
Chinas langsamer als das der anderen asiatischen Länder in ihrer
Aufholphase.14
Doch seit Mitte der 1990er Jahre hat sich das Exportwachstum beschleunigt.
Mit einem Anteil von 6,6 Prozent an den gesamten Weltexporten im Jahr 2005,
ist China einer der wichtigsten globalen Exporteure. Der Marktanteil an
Exporten in die fortgeschrittenen Volkswirtschaften hat sich stetig erhöht.
Beispielsweise hat sich der Anteil der Importe aus China im EuroWährungsgebiet von 2 Prozent auf 9,8 Prozent erhöht. Mittlerweile spielen
ausländische Unternehmen eine entscheidende Rolle in Chinas Exportsektor.
12
Vgl. Seitz (2006) Seite 342.
Vgl. Europäische Zentralbank (2007), Seite 89f.
14
Vgl. Rumbaugh und Blancher (2004), Seite 5.
13
7
Bereits 2002 kamen mehr als die Hälfte der Exporte des Landes von Firmen in
ausländischem Besitz und der Anteil steigt weiterhin.15
Im Gegenzug haben sich auch die Importe nach China erhöht. Zwar wachsen
Angebot und Nachfrage weitgehend parallel, jedoch kommt ein Großteil der
Nachfrage aus dem Ausland. Teilweise lässt sich dies auf eine niedrigere
inländische Konsumquote und die dafür verstärkte inländische Ersparnis
zurückführen.
Seit 2004 haben sich die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte verstärkt,
wodurch weiterhin erhebliche Handelsbilanzüberschüsse entstehen.
Mit einem Rekordüberschuss von 134 Mrd. US-Dollars, was rund 6 Prozent
des BIP ausmacht, wurde im Jahr 2005 diese Auswirkung unterstrichen. China
entwickelte sich auch immer mehr zu einem Kapitalgeber der übrigen Welt, da
auch die Forderungen gegenüber dem Ausland per Saldo zunahmen.16
3
Grundlagen für ein nachhaltiges Wachstum
China hat eine Reihe struktureller Transformationen erfahren. Dazu gehören
Verlagerungen von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft, von der
Landwirtschaft zur Produktion und Dienstleistungen als auch von einer
geschlossenen zur einer weltwirtschaftlich integrierten Wirtschaft.
3.1
Neue ökonomische Strukturen
Die unterschiedliche Entwicklung der ländlichen und urbanen Regionen stellt
ein großes Problem für die weitere wirtschaftliche Entwicklung Chinas dar. Es
bestehen starke regionale Einkommensdisparitäten, so dass nicht alle Teile der
Bevölkerung gleich stark vom wirtschaftlichen Aufschwung profitieren.
Der größte Teil der Bevölkerung (59,5 Prozent) lebt in ländlichen Regionen.
Investitionen haben sich lange Zeit auf die Küstenregionen und Städte
konzentriert und somit ist die Lücke zwischen städtischer und ländlicher
Entwicklung immer größer geworden. Die westlichen und zentralen Gebiete
sind in der ökologischen und sozialen Entwicklung zurückgefallen. Um diese
15
16
Vgl. Dullien et al. (2005), Seite 36.
Vgl. Europäische Zentralbank (2007), Seite 88.
8
regionalen Ungleichheiten und ein ausgewogenes Wachstum zu erreichen, hat
China 1999 ein Programm für die wenig entwickelten westlichen Provinzen
aufgelegt. Schwerpunkte waren die Verbesserung der Infrastruktur, Umweltschutz, Anreize für private Investitionen und Verbesserung der Bedingungen
für ökonomische Aktivitäten.17
Zudem ist China noch immer eines der Länder mit dem größten
Produktivitätsgefälle zwischen der Landwirtschaft und anderen Sektoren. So
macht die Produktivität in der Landwirtschaft, gemessen am BIP je
Arbeitsnehmer, nur rund ein Fünftel der gesamtwirtschaftlichen Quote aus.
Dieser Unterschied spiegelt sich auch in der Differenz der Arbeitslöhne wider
und löst somit eine Verlagerung von Arbeitskräften von den im Staatsbesitz
befindlichen Wirtschaftsbetrieben hin zu den produktiveren Sektoren wie dem
verarbeitenden Gewerbe und dem Dienstleistungssektor sowie den privaten
Unternehmen aus. Zwar ist der Anteil der chinesischen Arbeitskräfte, die in der
Landwirtschaft tätig sind, stark gesunken wie auch der Anteil des primären
Sektors am nominalen BIP, dennoch ist die Wertschöpfung je Arbeitnehmer in
der Landwirtschaft nach wie vor niedriger als in vielen vergleichbaren
Volkswirtschaften. Steigerungspotentiale der landwirtschaftlichen Produktion
und der Produktivität sind folglich vorhanden.18
Der Anteil des Ackerlands am Territorium beträgt nur 13 Prozent und umfasst
40 Prozent weniger Ackerland pro Einwohner als andere Länder. Damit ist
Chinas Landwirtschaft im Vergleich zu diesen wenig wettbewerbs- und
ausbaufähig.
Hingegen ist der Anteil des Industriesektors am BIP leicht angestiegen.
Zwischen 1993 und 2005 sind ungefähr 85 Prozent des Industriewachstums
durch die gestiegene Arbeitsproduktivität (Abb. 3) entstanden und nicht durch
neu geschaffene Arbeitsplätze.
17
18
Vgl. Jiyao (2005), Seite 113ff.
Vgl. Europäische Zentralbank (2007), Seite 85.
9
Abbildung 3: Arbeitsproduktivität im Industriesektor ist gestiegen
(blau: Industrie, schwarz: Dienstleitungen, rot: Landwirtschaft)
Quelle: He und Kuijs (2007), Seite 6.
Der bedeutende Anstieg der Arbeitsproduktivität, gemessen am BIP je
Arbeitnehmer im verarbeitenden Gewerbe, einhergehend mit einer gestiegenen
Wettbewerbsfähigkeit und die Möglichkeit billigere Produkte herstellen zu
können, führte schließlich zu einer Beschleunigung des Wachstums und einem
höheren Handelsvolumen.
Weiterhin hat der Dienstleistungsbereich in den letzten Jahren stark an
Einfluss zugenommen und erbringt heute, nach den neusten korrigierten
Erhebungen mit 30 Prozent der Beschäftigten rund 40 Prozent der gesamten
Wirtschaftsleistung des Landes.19 So war es die Aufgabe des tertiären Sektors
den Überschuss an Arbeitskräften aus der Landwirtschaft zu beschäftigen. 20
Voraussetzung für das beschleunigte Wachstum waren Reformen, die vor
allem im Hinblick auf die Veränderung der Planwirtschaft hin zur
Marktwirtschaft einen Strukturwandel auslösten und den Anteil des
Staatssektors an der Gesamtwirtschaft stetig zurückgehen ließen. Die
industrielle Wertschöpfung wurde 1994 noch zu 82 Prozent vom öffentlichen
Sektor über Staats- und Kollektivunternehmen erbracht. Diese Quote nahm bis
2005 auf die Hälfte ab, wobei der Anteil von privaten und ausländischen
Firmen gleichzeitig anstieg.21
19
Vgl. Becker und Straub (2007), Seite 179.
Vgl. He und Kuijs (2007), Seite 6.
21
Vgl. Europäische Zentralbank (2007), Seite 84.
20
10
3.2
Wirtschaftspolitische Maßnahmen
Die Stabilität der chinesischen Wirtschaft seit 1994 war hauptsächlich ein
Resultat der stabilen und Pro-Wachstum ausgerichteten Finanzumgebung. Die
Entwicklung des Wechselkurses war bis 1994 durch eine hohe Volatilität
gekennzeichnet. Diese Schwankungen und die Destabilisierung des Geldes galt
es zu verhindern. Dabei wurden Inflationsraten bis annähernd 25% erreicht.22
Abbildung 4: Wechselkurs des Renminbi und und VPI-Inflation
Quelle: Europäische Zentralbank (2007), Seite 92.
Als stabilisierende Maßnahme wurde der Wechselkurs in mehreren Schritten
abgewertet und der Renminbi an den US-Dollar fixiert (Abb. 4). Der
Wechselkurs durfte innerhalb einer gewissen Spanne variieren, weshalb der
Zusatz de facto oder quasi Wechselkurs notwendig war. Chinas VPIInflationsrate ist danach deutlich gesunken und hat sich nahe Null stabilisiert.
Trotz seiner Fixierung kam es in den folgenden Jahren zu beträchtlichen realen
effektiven Wechselkursschwankungen, aufgrund der Volatilität des US-Dollar
gegenüber den Währungen wichtiger Handelspartner wie dem Euro und dem
Yen.23
Um sich parallel seine monetäre Autonomie zu erhalten, kontrollierte China
den Kapitalverkehr und belegte grenzüberschreitende Kapitalbewegungen mit
Restriktionen, wie z.B. einer Mindestreservepflicht für Einlagen.
22
23
Vgl. Dullien et al. (2005), Seite 29.
Vgl. Dullien et al. (2005), Seite 16.
11
Jedoch besagt die Hypothese der „unmöglichen Dreieinigkeit“, dass es in
einem Land unmöglich ist, gleichzeitig einen freien Kapitalverkehr, einen
festen Wechselkurs und eine unabhängige Geldpolitik zu verfolgen.24
Der
Zielkonflikt
zwischen
festem
Wechselkurs
und
geldpolitischer
Unabhängigkeit wurde zusätzlich durch hohe Leistungsbilanzüberschüsse und
hohe Nettokapitalzuflüsse in Form von Direktinvestitionen verstärkt. Dieser
doppelte Überschuss in der chinesischen Zahlungsbilanz erzeugte einen
Aufwertungsdruck auf den Renminbi-Wechselkurs, dem mehrfach mit
Devisenmarktinterventionen begegnet wurde. Infolgedessen hat sich der
Bestand an Währungsreserven bis Oktober 2006 auf 1 Billion US-Dollar
erhöht. Um die gestiegene inländische Geldmenge abzuschöpfen hat die
People´s Bank of China umfangreiche Offenmarktgeschäfte durchgeführt.
Trotz verstärkter Sterilisierungsbemühungen hielt das Liquiditätswachstum in
der Wirtschaft an und führte zu einer kräftigen Ausweitung der Geldmenge M2
und erklärt somit teilweise den Investitionsschub der vergangenen Jahre.
Im Juli 2005 hat China erste Wechselkursreformen durchgeführt und einer
geringen nominalen Aufwertung zugestimmt.25 Durch eine Aufwertung der
Währung sollte es dann auch möglich sein, die Wirtschaft neu auszurichten und
sowohl im Inneren als auch nach außen nachhaltig zu stabilisieren.
Die Zentralbank sieht
die Notwendigkeit
geldpolitische Maßnahmen
durchzuführen, um die Investitionstätigkeit zu verringern und den Konsum
anzukurbeln.
Ein weiteres wichtiges Element, welches Wachstum und Inflation stabil
gehalten hat, war der effiziente und wohlüberlegte Gebrauch von fiskalischer
Nachfragesteuerung.
Die Regierung benutzt neben offiziellen Staatsausgaben auch SOEInvestitionsausgaben, um die Wirtschaft zu beeinflussen. Dabei ist ein
abnehmendes wirtschaftliches Gewicht der SOEs zu verzeichnen, da sich
Marktreformen im Laufe der 1990er Jahre etablierten.
Eine restriktive Fiskalpolitik hat das Potential einen Boom herunter zu fahren
und die Inflation zu dämpfen ohne neue Kapitalzuflüsse zu induzieren. Dies
24
25
Vgl. Europäische Zentralbank (2007), Seite 92.
Vgl. Europäische Zentralbank (2007), Seite 91.
12
könnte noch wichtiger werden durch die vermehrten Operationen von
ausländischen Banken nach dem WTO-Beitritt und einer abgestuften
Liberalisierung von Kapitalflüssen.
3.3
Finanzmarktentwicklung
Chinas Finanzmärkte befinden sich noch im Entwicklungsstadium.
Der Bankensektor in China ist in den vergangenen Jahren offenbar erheblich
solider geworden, so dass das Vertrauen der Investoren gefestigt worden ist.26
Die Mehrheit der Finanzaktiva wird über das Bankensystem gehandelt. China
hat vier Staatsbanken.27 Bis in die späten 1990er wurden die Kreditgeschäfte
von offizieller Seite gelenkt. Direkte Kredite wurden besonders an
Staatsunternehmen vergeben. Mit diesen direkten Krediten wurden auch
Unternehmen ausgestattet, die nicht überlebensfähig waren. Diese Praxis
wurde 1998 eingestellt, jedoch blieben diese Kredite als notleidende Kredite in
den Büchern der Banken und stellten ein Hindernis bei der Bankenreform dar.
Im Jahr 2000 belief sich die Quote der notleidenden Kredite auf über 30
Prozent.28 Letztlich wurden diese Kredite neu finanziert.29 Die positive
Entwicklung der Aktienkurse der Banken an den Börsen in Shanghai und
Hongkong deutet auf ein hohes Investorenvertrauen hin.
Eine weitere Auswirkung der staatlichen Einflussnahme auf das Finanzsystem
sind Maßnahmen, die zu Kreditbeschränkungen führen und den Zugriff der
privaten Haushalte auf Finanzmittel begrenzen. Durch eine Lockerung der
Kreditvergabe könnte sich die Binnennachfrage im stärkeren Maße selbst
tragen und wäre weniger exportabhängig.
Der Aktienmarkt hat in den letzten Jahren erhebliche Zuwächse verzeichnen
können. Andere Finanzdienstleistungen sind wenig entwickelt, wodurch
deutlich wird, dass ein Potenzial für Effizienzgewinne bei der Kapitalallokation besteht.30
26
Vgl. Gern et al. (2008), Seite 15.
Dies sind die Bank of China (BOC), die Agricultural Bank of China (ABC), die China
Construction Bank (CCB) und die Industrial & Commercial Bank of China (ICBC).
28
Vgl. Gern et al. (2008), Seite 15.
29
Vgl. Goodfriend und Prasad (2006), Seite 17ff.
30
Vgl. Europäische Zentralbank (2007), Seite 89f.
27
13
4
Chancen für zukünftiges Wachstum
China bewegt sich mit seinem bisherigen Wachstumsprogramm an seine
Grenzen. Allerdings ist in Wirtschaftswachstum von mindestens 8 Prozent
erforderlich, um jährlich Millionen von Neuzugängen auf dem Arbeitsmarkt
aufzunehmen.31 Die chinesischen Behörden haben einer ausgewogeneren
Zusammensetzung des Wachstums in ihrem im März 2006 verabschiedeten 11.
Fünfjahresplan besonderes Gewicht gegeben. Der Plan, der das politische
Vorhaben der Regierung im Zeitraum von 2006 bis 2010 darlegt, sieht
ausdrücklich die Neuausrichtung der Wirtschaft vor.
Kurzfristig muss der Schwerpunkt durch direkte Staatsausgaben auf eine
Stimulierung der Inlandsnachfrage, Wachstum und Beschäftigung gelegt
werden.
Mittel- bis langfristig soll die Wachstumsstruktur neu ausgerichtet werden.
Wachstum soll weniger ressourcen- und kapitalintensiv, umweltfreundlicher,
mehr wissensbasiert und gleichmäßiger verteilt werden. Weiterhin soll die
Nachfragezusammensetzung geändert werden, hin zu mehr Konsum und
weniger Exporte und Investitionen. Das Wachstum soll verstärkt von
Dienstleistungen getragen werden. Dafür müsste das Wachstum mehr
Arbeitsplätze mit einem größeren Arbeitsangebot in den Städten schaffen.
Durch
diese
Maßnahmen
würde
das
Arbeitskräfteüberangebot
der
Landwirtschaft reduziert werden und die damit verbundene Armut und
Ungleichheit zwischen Stadt und Land abgebaut werden. Um den Konsum
wieder zu erhöhen, muss der Anteil der Löhne und Haushaltseinkommen am
BIP wieder gesteigert werden.32
4.1 Aktuelle Entwicklungen
Der wirtschaftliche Aufschwung in China erreichte seinen Höhepunkt Mitte
2007.
Chinas Wirtschaftswachstum ist in den ersten zehn Monaten des Jahres 2008
deutlich zurückgegangen (Abb.5). Das BIP-Wachstum ist von 12,6 Prozent im
31
32
Vgl. Sanders und Chen (2007), Seite 17.
Vgl. World Bank Office, Beijing (2008), Seite 13.
14
zweiten Quartal von 2007 auf 9 Prozent im dritten Quartal von 2008 gesunken.
Somit gab es 2008 erstmals seit 2001 wieder eine einstellige Wachstumsrate.
Abbildung 5: Das Wirtschaftswachstum verlangsamt sich schnell
(1/ Quartalsdaten der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, 2/ Monatsdaten, umfassen SOEs
und große nicht-SOEs; reales Wachstum in Jahresraten)
Quelle: World Bank Office, Beijing (2008), Seite 2.
Diese Verlangsamung des Wachstums reflektiert die geringere Nachfrage auf
den Hauptabsatzmärkten der Chinesen und die stetige Aufwertung des
Renminbi.
Die Verbraucherpreisinflation erreichte im Februar ihren Höchstwert mit 8,7
Prozent und ist bis zum August auf 4,9 Prozent gesunken. Dazu hat
insbesondere
ein
Rückgang
der
Nahrungsmittelpreise
beigetragen.33
Gleichzeitig sind international die Preise für Öl und Rohstoffe gefallen, damit
ist eine hohe Inflation in naher Zukunft nicht zu befürchten.
Im Frühjahr 2008 legten die Exporte im Vorjahresvergleich lediglich um 6,5
Prozent zu – dem niedrigsten Wert seit fast 6 Jahren. Das noch vorhandene
Exportwachstum stützt sich auf die Nachfrage aus anderen Schwellenländern
und dem erhöhten Anteil am Weltmarkt.34 Seit Sommer 2008 wird der
Wechselkurs wieder konstant gehalten. Das Investitionswachstum ist 2008 zum
Teil zurückgegangen, vor allem in der Realwirtschaft und der Baubranche.
Gegenüber 2007 ist das Investitionswachstum schon wesentlich niedriger
(Abb.6)35
33
Gemeinschaftdiagnose Herbst 2008 (2008). Deutschland am Rande einer Rezession.
Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (Hrsg.). Seite 18-19
34
Vgl. World Bank Office, Beijing (2008). Seite 2. Abbildungen
35
World Bank Office, Beijing (2008).
15
Abbildung 6: Das Investitionswachstum verringert sich 2007
(rot: Anlageinvestition, blau: Anlageinvestition in Immobilien; reales Wachstum in
Jahresraten)
Quelle: World Bank Office, Beijing (2008), Seite 4.
Die Auswirkungen der Finanzmarktkrise treffen nun auch China mit voller
Härte. Am 9. November hat die Regierung ein Konjunkturpaket über 586 Mrd.
US-Dollar vorgestellt mit dem Wachstum und Beschäftigung stimuliert werden
sollen. Die Fiskalpolitik spielt dabei eine entscheidende Rolle und ist aufgrund
der hohen Staatseinnahmen auch in der Lage diese Vorhaben zu finanzieren.
Der Schwerpunkt liegt auf Infrastrukturmaßnahmen und anderen Investitionen,
die die Langzeitentwicklungen und den Lebensstandard der Bevölkerung,
anstatt wie bisher die Bedürfnisse der Industrie, unterstützen sollen. Der
Energieverbrauch, Rohstoffpreise, das Gesundheitswesen, der Bildungssektor
und das soziale Netzwerk sowie eine Finanzmarktreform sollen durch das
Konjunkturpaket positiv beeinflusst werden.
Ein Teil der beschlossenen mittel- und langfristigen Maßnahmen war bereits
im 11. Fünfjahresplan der Regierung geplant aber noch nicht ausgeführt. Durch
die Bereitstellung der Mittel werden viele Projekte beschleunigt.
In Zukunft wird als Folge der Finanzkrise und er damit gestiegenen
Risikoaversion und möglichen Finanzierungsengpässen die Nachfrage in vielen
Ländern einschließlich der Schwellenländer erheblich zurückgehen.
Die Weltbank erwartet erstmals seit 1982 eine negative Weltimportquote für
das Jahr 2009.36
36
Die Weltbank befürchtet, dass zusätzlich zu den normalen Auswirkungen des
wirtschaftlichen Abschwungs, der internationale Handel durch die Finanzierungsengpässe des
Finanzhandels kommen wird.
16
Wie dramatisch es um Chinas Wirtschaft steht, zeigen auch die veröffentlichten Zahlen für die Industrieproduktion im November. Mit einem Plus von
5,4 Prozent fiel der Wert so schwach aus wie noch nie seit Beginn der
monatlichen Erhebung des Statistikamts 1999. Im Oktober konnte die Industrie
ihre Produktion noch um 8,2 Prozent ausdehnen.
Diese gravierenden und andere Entwicklungen haben die Wachstumsprognosen für das kommende Jahr stark zurückgehen lassen.
Die Weltbank prognostiziert für 2009 ein Wachstum von 7,5 Prozent,
basierend auf aktuellen weltwirtschaftlichen Entwicklungstrends, wobei mehr
als die Hälfte des Wachstums auf Staatsausgaben zurückzuführen sein soll. In
dieser Prognose ist das Konjunkturpaket vom November berücksichtigt.37
Der internationale Währungsfonds geht sogar noch einen Schritt weiter und
prognostiziert das chinesische Bruttoinlandsprodukt 2009 auf voraussichtlich
nur noch 5 Prozent.38
4.2 Langfristige Entwicklungen
Für die langfristige wirtschaftliche Entwicklung Chinas haben He und Kuijs
2007 drei Szenarien diskutiert, die sich in ihrer Wachstumsstruktur und dem
Einfluss der Politikbeschlüsse unterscheiden.39 Die Szenarien sind modelliert
durch das DRC-CGE Modell40, welches den Einfluss von verscheiden
Wachstumsmerkmalen auf die Produktion, Nachfrage, Beschäftigung und die
Einkommensverteilung darstellt.
Die beiden ersten Szenarien unterscheiden sich im Ursprung des Wachstums,
jedoch weisen beide ein ähnliches BIP-Wachstum auf.
Im ersten „on past trends“-Szenario gibt es wenig Unterschiede zur bisherigen
Wirtschaftsstruktur und Politikmaßnahmen. Bei einer Beibehaltung der
bisherigen Wirtschaftsstruktur würde der Konsum stark zurückgehen (Abb. 7).
Das pro Kopfeinkommen in den Städten wäre 2035 fünf Mal höher als auf dem
37
Vgl. World Bank Office, Beijing (2008). Seite 1ff.
Vgl. Financial Times Deutschland (2008).
39
Die folgenden Ausführungen basieren auf He und Kuijs (2007), Seite 12-26.
40
DRC-CGE ist ein Modell des Development Research Center, 2004 für China optimiert, in
dem repräsentative Sektoren des Marktes analysiert und unter Berücksichtigung der
Produktionsfaktoren und anderer bestimmender Größen die Marktentwicklung simulieren.
38
17
Land (in konstanten Preisen) verglichen mit einer Rate von 3.8 im Jahr 2006
(Abb.8). Die beispielhaften Ergebnisse des „on past trends“-Modell zeigen,
dass ein Wachstum unter den bisherigen Bedingungen die Ungleichheiten, die
zurzeit im Land bestehen noch verstärkt und somit ein Strategiewechsel der
Entwicklung erforderlich macht.
Abbildung 7: Mehr Konsum
Abbildung 8: Weniger Stadt-LandUngleichheit
(rot: Konsum im „rebalancing“-Szenario,
(rot: „rebalancing“-Szenario,
blau: Konsum im „on past trends“-Szenario;
blau: „on past trends“-Szenario;
in Prozent des BIP)
in Pro-Kopf-Einkommen in der Stadt im
Verhältnis zu Pro-Kopf-Einkommen auf
dem Land)
Quelle: He und Kuijs,
2007, Seite 19.
Das zweite Szenario des so genannten „rebalancing“ beschreibt im Wesentlichen die gewünschte Veränderung zur Umstrukturierung der Wirtschaft,
welche die Regierung im 11. Fünfjahresplan festgelegt hat. Wirtschaftliche
Anpassungen und Reformen sind in diesem Szenario vorgesehen. Der Anteil
der Beschäftigten in der Landwirtschaft fällt im Modell auf 12 Prozent bis
2035 und entsprechend würde das Pro-Kopf-Einkommen in den Städten nur
noch drei Mal höher sein als auf dem Land.
Das Ergebnis dieser Modelle zeigt einen schrittweisen Rückgang von über 11
Prozent BIP-Wachstum im Jahr 2007 auf ungefähr 7,5 Prozent BIP-Wachstum
2016 bis unter 6 Prozent im Jahr 2025 und einem BIP-Wachstum von 5
Prozent im Jahr 2035.
Das dritte Szenario modelliert zusätzlich die Neuausrichtung im Bezug zur
geringeren Umweltbelastung und Ungleichheit und wird als „more aggressive
18
rebalancing“ bezeichnet. In diesem Szenario ist das BIP-Wachstum um 0.4
Prozent niedriger als in den vorherigen Szenarien, aufgrund der höheren
Kosten, die für diese Maßnahmen veranschlagt werden müssen.
Insgesamt kann das „rebalancing“-Szenario als das zentrale Szenario betrachtet
werden. Ein geringeres Wachstum aufgrund der Kapitalakkumulation wird
durch mehr Wachstum von Effizienzsteigerungen kompensiert. Zusätzlich wird
von einer besseren Verteilung von Arbeit und Kapital und einer gestiegenen
Gesamtbeschäftigung ausgegangen.
Damit stimmen die Maßnahmen des aktuellen Fünfjahresplanes mit den
Annahmen des „rebalancing“-Szenarios überein und lassen für die Zukunft ein
nachhaltiges und ausgewogenes Wachstum der Wirtschaft erwarten.
5
Fazit
Mittel- und langfristig wird die chinesische Wirtschaft eine immer wichtigere
Rolle in der Region und weltweit spielen. Chinas wachsende Bedeutung basiert
auf der Einschätzung, dass die Wachstumsdynamik, die durch die Transformation des Wirtschaftssystems freigesetzt wurde, auch zukünftig anhalten
wird. Das hohe Wirtschaftswachstum und die Verbesserung der Einkommen
spiegeln in beeindruckender Weise die Erfolge der bisherigen Transformation
des Wirtschaftssystems wider, die allerdings noch nicht völlig abgeschlossen
sind. Die Regierung hat erkannt, dass eine Neuausrichtung und Kurskorrektur
notwendig ist, um ein nachhaltiges Wachstum gewährleisten zu können. Ein
Kurswechsel von einer quantitativen zu einer mehr qualitativ orientierten
Wirtschaftsentwicklung soll in China vollzogen werden.
Die Auswirkungen der internationalen Finanzmarktkrise treffen China in dieser
Phase der strukturellen Neuorientierung. Die Gefahr einer weltweiten
Rezession steht jetzt im Vordergrund. Das Jahr 2009 wird wahrscheinlich die
geringste Wachstumsrate seit Beginn des verstärkten Aufholprozesses der
1990er Jahre aufweisen. Besonders hart trifft es die Millionen von Wanderarbeitern die bei Betriebsschließungen als erste auf der Straße stehen. China
drohen soziale Unruhen. Die Regierung hat schnell reagiert und hat ein
milliardenschweres Konjunkturpaket beschlossen. Kurzfristig muss daher der
19
Schwerpunkt auf eine Stimulierung der Inlandsnachfrage, Wachstum und
Beschäftigung durch direkte Staatsausgaben gelegt werden.
Doch wenn auch die Aussichten für die nahe Zukunft nicht gut ausfallen, so
kann China diese Entwicklung nutzen und die geplanten Vorhaben zur
Umstrukturierung durch das Konjunkturpakt gezielt umsetzen. Langfristig
könnte dann eine nachhaltige Entwicklung zu einem ausgewogenen Wachstum
einsetzen.
20
Literaturverzeichnis
Becker H. und N. Straub (2007). ”Drachenflug – Wirtschaftmacht China quo
vadis? ”, Berlin et al..
Dullien, S., H. Flassbeck und M. Geiger (2005). ”China’s spectacular growth
since the mid-1990s – Macroeconomic conditions and economic policy
challenges”. In: United Nations Conference on Trade and Development, China
in a Globalizing World: 1-44. Genf.
Europäische Zentralbank (2007). ”Chinas Wirtschaftswachstum im
Kontext”. Monatsbericht (Januar): 83-94. Frankfurt am Main.
Financial Times Deutschland (2008). ”Konjunktureinbruch in Fernost –
Chinas Wirtschaft vor dem Kollaps“,
URL: http://www.ftd.de/politik/international/:Konjunktureinbruch-in-FernostChinas-Wirtschaft-vor-dem-Kollaps/451974.html [Zugriff: 16.12.2008].
Gern, K.-J., N. Jannsen, B. Sander, J. Scheide, B. van Roye, (2008).
”Abkühlung der Weltkonjunktur”. Institut für Weltwirtschaft (Hrsg.),
Weltkonjunktur und deutsche Konjunktur im Frühjahr 2008. Kieler
Diskussionsbeiträge 449/450. IfW, Kiel.
Goodfriend, M. und E. Prasad (2006). ”A Framework for Independent
Monetary Policy in China”. IMF Working Paper, Nr. WP/06/111.
He, J., und L. Kuijs (2007). ”Rebalancing China’s Economy – Modeling a
Policy Package”. World Bank China Research Paper No. 7.
Huang, Y. (2003). ”One country, two systems: foreign-invested enterprises
and domestic firms in China”. China Economic Review, 14:404–416.
Jiyao, B. (2005). ”China’s new concept for development”. In: United Nations
Conference on Trade and Development, China in a Globalizing World: 105124. Genf.
Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2008). ”Deutschland am Rande
einer Rezession”. Gemeinschaftsdiagnose Herbst 2008. Essen.
Rumbaugh, T. und N. Blancher (2004). ”China: International trade and
WTO accession”. IMF Working Paper, 04/36.
Sanders, R. und Y. Chen (2007). ”China’s Post-Reform Economy –
Achieving Harmony, Sustaining Growth“. New York.
21
Seitz , K. (2006). “China eine Weltmacht kehrt zurück”. München.
World Bank Office, Beijing (2008). ”China Quarterly Update – December
2008”. Peking.
Herunterladen