Kapitel 4 Energie Im Prinzip kann man die Newtonschen Gesetze, die die Kraft und die Beschleunigung verbinden, verwenden, um ein beliebiges Bewegungsproblem, zu lösen. Die Gesetze können allgemein und in verschiedenen Bereichen benutzt werden, z.B. von der Bewegung eines Staubkorns bis zu der der Planeten oder der Galaxien. Die Fälle, in denen wir an der Bewegung von sehr vielen Körpern interessiert sind, sind praktisch sehr schwierig zu lösen. Stellen wir uns z.B. die Schwierigkeit vor, den Stoss zweier Autos in allen Einzelheiten zu beschreiben. Eine ähnliche Schwierigkeit tre↵en wir z.B. an bei der Beschreibung einer Explosion. Auch eine numerische Lösung wäre in diesem Fall schwierig, wegen der grossen Anzahl von Körpern, die man betrachten muss, um eine detaillierte Lösung zu gewinnen. Um solch komplizierte Bewegungen zu beschreiben, können wir allgemeine Gesetze suchen, die aus Newtons Gesetzen folgen. Mit deren Hilfe können wir etwas über die komplizierten Bewegungen aussagen. Im Fall der Explosion oder des Stosses der Autos kann man das Impulserhaltungsgesetz (Siehe Kap. 3.3) benutzen, um etwas über die Bewegung vorauszusagen. In diesem Kapitel werden wir uns mit dem Begri↵ der Energie beschäftigen. Dieser Begri↵ ist wichtig, weil es ein allgemeines Prinzip der Erhaltung der Energie gibt. Wie für den Fall der Impulserhaltung, kann die Energieerhaltung benutzt werden, um Vorgänge als Ganzes zu definieren. 4.1 4.1.1 Definition der Energie Die Energie als fundamentale physikalische Grösse Die Energie ist eine fundamentale physikalische Grösse. Wenn ein Körper beschleunigt oder gebremst wird, ändert sich seine Energie. Energie ist auch nötig, 121 122 Physik, FS 2013, Prof. A. Rubbia (ETH Zürich) um eine Substanz zu erwärmen, um ein Gas zusammenzudrücken, um elektrischen Strom fließen zu lassen oder um elektromagnetische Wellen abzustrahlen. Energie benötigt man auch für den Betrieb von Geräten, von Computersystemen, für Telekommunikation und für wirtschaftliche Produktion. Wie Pflanzen und Tiere, benötigen wir Energie, um leben zu können. Auf die Erde kommt von der Sonne eine grosse Menge von nützlicher Energie, meistens in Form von Strahlungsenergie (Licht). Die Sonne (Siehe Abb. 4.1) stösst eine enorme Menge von Strahlungsenergie aus. Ohne Sonnenenergie wäre das Leben auf der Erde unmöglich. Abbildung 4.1: Die Sonne. Wir wissen, dass die Sonne mit derselben Rate während ungefähr 5 Milliarden Jahren gebrannt hat. Die SI-Einheit der Energie ist das Joule (J) m2 1 J = 1 kg 2 = 1 s ✓ kg m s2 ◆ · m = 1N · m Einige Werte für typische Vorgänge sind in der Tabelle 4.1 aufgelistet. (4.1) Physik, FS 2013, Prof. A. Rubbia (ETH Zürich) Was Energiezunahme eines Elektrons nach dem Durchlaufen der Spannung von einem Volt Bewegungsenergie einer fliegenden Mücke Eine 1 W-Glühlampe eine Sekunde lang leuchten lassen Erwärmt 1 g Luft um 1 C (bei 1 atm) Erwärmt 1 g Wasser um 1 C Typ. Bewegungsenergie eines Menschen bei Schrittgeschwindigkeit (1,4 m/s) Energie, um 1 liter Wasser auf der Erde 10 m hochzuheben Energie, um einen Menschen 3 m anzuheben Energieverbrauch einer 100 W-Glühlampe in einer Minute 1 Kilowattstunde (KWh) - Abrechnungseinheit für Energie wie Stromverbrauch, Heizleistung Täglicher Grundumsatz eines erwachsenen Mannes (70 kg Körpergewicht/ohne Betätigung) Freiwerdende Energiemenge bei Verbrennung von 1 kg Steinkohle Freiwerdende Energiemenge bei Verbrennung von 1 liter Benzin Freiwerdende Energiemenge bei Verbrennung von 1 kg Rohöl Energiegehalt eines Blitzes Explosionskraft der zweitstärksten konventionellen Bombe (entspricht 10,5 t TNT) Explosionskraft der Atombombe Little Boy über Hiroshima Explosionskraft der stärksten Wassersto↵bombe Von der Sonne auf die Erdoberfläche abgestrahlte Energie pro Tag 123 Wieviele Energie 1, 602 ⇥ 10 19 J 0, 16µJ 1J 1J 4,184 J (=1 Kalorie) 75 J 98,1 J 2 kJ 6 kJ 3,6 MJ 7,1 MJ 29,3 MJ 32 MJ 41,9 MJ 1 bis 28 GJ 44 GJ 56 TJ 2⇥1017 J 1022 J Tabelle 4.1: Einige Beispiele der Grösseordnung der umgesetzten Energie 124 Physik, FS 2013, Prof. A. Rubbia (ETH Zürich) Die Leistung P entspricht der Energie pro Zeit: P = dE dt (4.2) Die SI-Einheit ist das Watt (1 Watt = 1 J/s = 1 Joule pro Sekunde). Eine 100 Watt-Glühbirne braucht 100 J/s. Die Strahlungsleistung der Sonne beträgt: PSonne ⇡ 4 · 1026 W 4.1.2 (4.3) Die Energieerhaltung Der Begri↵ der Energie ist nützlich wegen des Prinzips der Energieerhaltung. Es besagt: Bei allen Vorgängen muss die Gesamtenergie eines Systems und seiner Umgebung erhalten werden. Wenn die Energie eines Systems sich ändert, muss die Energie der Umgebung sich um denselben Betrag, aber mit entgegengesetztem Vorzeichen, ändern, so dass die Summe sich nicht ändert. Man spricht von Energieaustauch zwischen dem System und seiner Umgebung. Arbeit wird geleistet. Die Gesamtenergie ist die Summe von verschiedenen Teilen, die verschiedenen Formen der Energie entsprechen. Zum Beispiel: 1. Die kinetische Energie hängt mit der Bewegung eines Körpers zusammen; 2. die potentielle Energie entspricht der Energie, die mit der räumlichen Anordnung der Körper eines Systems zueinander zusammenhängt; 3. die Wärmeenergie ist mit der Temperatur des Systems verknüpft; 4. die Strahlungsenergie ist die Energie, die durch Strahlen (z.B. Licht) ausgesandt oder absorbiert wird; 5. die chemische Energie hängt mit dem chemischen Zustand zusammen; 6. die Masse ist auch eine Form von Energie; 7. usw. . . Die Erhaltung der Gesamtenergie ist schwieriger auszudrücken, als die des Impulses, weil die Energie in verschiedenen Formen vorkommen kann. Man muss alle möglichen Formen betrachten, d.h. Etot = EMasse + Ekin + Epot + Echem + usw. = konst. (4.4) Physik, FS 2013, Prof. A. Rubbia (ETH Zürich) 125 Oft sagen wir, dass die Energie nicht erhalten wird. Wenn z.B. ein Körper durch Reibung gebremst wird, wird ein Energieaustauch mit der Oberfläche stattfinden. Die Gesamtenergie wird erhalten, aber wir können die Energie, die durch die Reibung den Zustand der Oberfläche ändert, nicht ausdrücken, und wir werden deshalb sagen, dass die Energie des Körpers, z.B. definiert als, E = Ekin + Epot 6= konst. , (4.5) nicht erhalten ist. In diesem Fall haben wir nur die kinetische und die potentielle Energie betrachtet, und wenn es z.B. Reibung gibt, ist die Summe dieser zwei Energien nicht erhalten. Andererseits, wenn wir wissen, dass der Austauch nur zwischen bestimmten Formen der Energie stattfindet, können wir die Teile der Gesamtenergie, die konstant bleiben, ignorieren. 4.2 4.2.1 Die relativistischen Grössen Die Lichtgeschwindigkeit als Grenzgeschwindigkeit Bei der Definition der Masse (Kap. 3.1) haben wir gesehen, dass in Rückstossversuchen das Verhältnis der Geschwindigkeiten der Wagen eine konstante Zahl war, unabhängig von der Feder. Wir haben dieses Ergebnis als mA vB = mB vA (4.6) ausgedrückt, wobei mA und mB die Massen der Wagen sind. Wir fragen jetzt, was würde in einem solchen Rückstossexperiment geschehen, wenn wir eine der Massen kleiner und kleiner machen? Je kleiner die Masse ist, z.B. mB , desto schneller wird sie sich nach dem Rückstoss bewegen. Wenn mB gegen null geht, wird ihre Rückstossgeschwindigkeit unendlich. Eine ähnliche Situation beobachten wir, wenn eine Kraft auf einen Körper wirkt und damit den Körper beschleunigt. Solange die Kraft wirkt, wird der Körper beschleunigt und dadurch kann er eine beliebige Geschwindigkeit erreichen. |F | = konst. ) |a| = konst. ) für t ! 1 ) v ! 1 (4.7) (4.8) Im Bereich der klassischen Mechanik gibt es kein Problem mit diesen unendlichen Geschwindigkeiten. 126 Physik, FS 2013, Prof. A. Rubbia (ETH Zürich) Experimentell beobachten wir aber etwas anderes: Ein Körper der Masse m kann sich nie mit einer Geschwindigkeit grösser als die Lichtgeschwindigkeit bewegen. Kein Körper kann eine Geschwindigkeit gleich der Lichtgeschwindigkeit erreichen, unabhängig davon wie stark und wie lange er beschleunigt wird. Die Lichtgeschwindigkeit entspricht der höchsten Geschwindigkeit in der Natur. Sie wird als Konstante c bezeichnet. Die Lichtgeschwindigkeit wirkt als eine Grenzgeschwindigkeit, mit dem (exakten) Wert c = 299 792 458 m/s (4.9) c ⇡ 3 · 108 m/s (4.10) oder ungefähr Einige historisch vermutete und gemessene Werte der Lichtgeschwindigkeit sind in der Tabelle 4.2 aufgelistet. Demonstrationsexperiment: Messung der Ausbreitungsgeschwindigkeit des Lichts durch den Hörsaal Ein Laser emittiert rotes Licht. Ein Lichtschalter erzeugt aus dem kontinuierlichen Laserstrahl eine Serie von Lichtimpulsen. Die Lichtimpulse breiten sich durch den Hörsaal aus. Sie werden von einem Spiegel reflektiert und mit einem Lichtempfänger wieder nachgewiesen. Die Zeit, die das Licht braucht, um den Hörsaal zu durchqueren, wird gemessen. Siehe Abb. 4.2. Gemessene Werte: • durch den Hörsaal zurückgelegte Strecke L ⇡ 20 m • gemessene Laufzeit: t ⇡ 67 ns = 67 · 10 9 s Die Ausbreitungsgeschwindigkeit beträgt demnach: L = ct 4.2.2 ) c= L 20 m ⇡ ⇡ 3 · 108 m/s t 67 · 10 9 s (4.11) Der Geschwindigkeitsparameter Da die Geschwindigkeit eines Körpers immer kleiner als die Lichtgeschwindigkeit sein muss, können wir sie relativ zur Lichtgeschwindigkeit definieren: Geschwindigkeitsparameter ⌘ wobei v die Geschwindigkeit des Körpers ist. Es gilt: v v<c ) <1 c v c (4.12) (4.13) Physik, FS 2013, Prof. A. Rubbia (ETH Zürich) Jahr 450 v. Chr. 350 v. Chr. etwa 100 1000 1350 1600 1620 1620 1676 Forscher Empedokles Aristoteles Heron von Alexandria Avicenna/Alhazen Sayana Johannes Kepler René Descartes Galileo Galilei Ole Rømer / Christiaan Huygens 1728 1834 1849 1851 1875 1879 1880 1926 1947 James Bradley Charles Wheatstone Armand Fizeau Léon Foucault Alfred Cornu Albert Michelson Heinrich Hertz Albert Michelson Louis Essen 1958 1973 Keith Froome National Bureau Standard BIPM 1983 127 Methode ? ? ? Ergebnis (km/s) endlich unendlich unendlich ? ? ? ? endlich endlich unendlich unendlich mindestens mehrere km/s Zeitverzögerung der Beobachtung von Laternen, die abgedeckt wurden Zeitverzögerung bei astronomischen Beobachtungen Aberration Drehspiegelmethode Zahnradmethode Drehspiegelmethode Drehspiegelmethode Drehspiegelmethode Radiowellen Drehspiegelmethode Elektrischer Resonator Interferometer Laser Definition des Meters 213000 301000 402336 315000 298000 299990 299910 ± 50 300000 299796 ± 4 299792 ± 3 299792, 5 ± 0, 1 299792, 4574 ±0, 001 299792,458 (exact) Tabelle 4.2: Historisch vermutete und gemessene Werte der Lichtgeschwindigkeit. 128 Physik, FS 2013, Prof. A. Rubbia (ETH Zürich) Lichtempfänger Laser Lichtschalter Abbildung 4.2: Messung der Lichtgeschwindigkeit. Das Lichtsignal breitet sich durch den Hörsaal nach links aus, und kommt wieder nach rechts zurück, nachdem es von einem Spiegel reflektiert wurde. Die Lichtgeschwindigkeit ist sehr gross im Vergleich zu unseren Alltagserfahrungen. Es ist schwierig, die Existenz einer solchen Grenzgeschwindigkeit mit makroskopischen Körpern zu beweisen. In Tabelle 4.3 werden die Geschwindigkeitsparameter von Körpern mit verschiedenen Geschwindigkeiten aufgelistet. Wir bemerken, dass für die schnellsten makroskopischen Körper die Geschwindigkeit immer noch viel kleiner als die Lichtgeschwindigkeit ist. Vorgang Wagen mit 100 km/h Schnellstes Flugzeug (Mach 6,72) Erdbewegung um die Sonne Elektron, beschleunigt durch 1000 V Um die Erde in 1 Sekunde Geschwindigkeitsparameter v/c 0,000 000 093 0,000 006 8 0,000 099 0,063 0,13 Tabelle 4.3: Geschwindigkeitsparameter Physik, FS 2013, Prof. A. Rubbia (ETH Zürich) 129 Man kann trotzdem Experimente mit Elementarteilchen durchführen, die die Existenz der Grenzgeschwindigkeit beweisen. Man betrachtet z.B. Elektronen, die mit Hilfe von grossen elektrischen Spannungen beschleunigt werden (die elektrische Wechselwirkung wird in den Kapiteln 6 und 10 weiter diskutiert). Wir nehmen an, dass die Anfangsgeschwindigkeit des Elektrons vernachlässigbar ist. Das Elektron wird durch die elektrische Spannung (die ein elektrisches Feld zwischen zwei Platten erzeugt) beschleunigt (siehe Abb. 4.3). Die Endgeschwindigkeit des Elektrons wird gemessen, als Funktion der Spannung zwischen den Platten. Sie ist (Siehe Abb. 4.4): 1. v/c ⇡ 0,063 für eine Spannung von 1000 V = 1kV; 2. v/c ⇡ 0,94 für 1MV; 3. v/c ⇡ 0,99999988 für 1GV. Wenn die Spannung erhöht wird, nimmt die Endgeschwindigkeit zu. Diese nähert sich immer mehr der Lichtgeschwindigkeit, kann aber die Grenze nie überschreiten. Damit hat man direkt bewiesen, dass die Lichtgeschwindigkeit als Grenzgeschwindigkeit wirkt. elektrische Spannung U e e ve beschleunigtes Elektron + Abbildung 4.3: Durch die Spannung (die ein elektrisches Feld zwischen zwei Platten erzeugt) beschleunigtes Elektron. In der Praxis kann man oft vergessen, dass es in der Natur eine höchste Geschwindigkeit gibt, aber dies hat unsere theoretischen Konzepte verändert. Wir diskutieren im nächsten Abschnitt die Folgerung für den Impuls und seine Erhaltung. Physik, FS 2013, Prof. A. Rubbia (ETH Zürich) ve/c 130 Grenzgeschwindigkeit ➡ve/c ≈ 0,99999988 < 1 ➡ve/c ≈ 0,94 1 0.75 0.5 0.25 ➡ ve/c ≈ 0,063 1 10 100 1000 1⋅104 1⋅105 1⋅106 1⋅107 1⋅108 1⋅109 Elektrische Spannung U (V) Abbildung 4.4: Endgeschwindigkeit des Elektrons als Funktion der elektrischen Spannung zwischen den zwei Platten. 4.2.3 Der relativistische Impuls Die Existenz einer Grenzgeschwindigkeit kann auch mit Hilfe der Kräfte ausgedrückt werden. Eine Kraft kann auf einen Körper wirken und damit den Körper beschleunigen. Solange die Kraft wirkt, wird der Körper beschleunigt und seine Geschwindigkeit wird zunehmen. Trotzdem kann er nicht eine beliebige Geschwindigkeit erreichen. Der Körper wird sich der Lichtgeschwindigkeit nähern, ohne sie zu erreichen. Was ist dann die Beziehung zwischen Kraft und Beschleunigung bei hoher Geschwindigkeit? Wir betrachten dazu Gl. 3.4: mA vB = mB vA ) mA vA = mB vB ) pA = pB (3.4) Für hohe Geschwindigkeiten wird das Verhältnis, das wir im Rückstossexperiment gefunden haben, nicht mehr gelten: mA vB 6= mB vA für hohe Geschwindigkeiten ? Das Verhältnis gilt nur, wenn die Geschwindigkeiten der Körper relativ zur Lichtgeschwindigkeit klein sind. Wir drücken dieses Ergebnis aus als: mA vB = mB vA gilt nur wenn vA /c ⌧ 1 und vB /c ⌧ 1 Physik, FS 2013, Prof. A. Rubbia (ETH Zürich) 131 Wir haben von der Gl. 3.4 gesprochen, als wir das Impulserhaltungsgesetz eingeführt haben. Müssen wir aus der Beobachtung, dass die Gleichung nicht mehr gilt, wenn die Geschwindigkeiten der Körper sehr hoch sind, schliessen, dass das Impulserhaltungsgesetz auch nicht mehr gilt, wenn die Impulse der Körper sehr gross sind? Wir retten das Impulserhaltungsgesetz mit einer neuen (erweiterten) Definition des relativistischen Impulses eines Körpers: p = mv (4.14) mit dem Lorentzfaktor1 : ⌘r 1 1 (4.15) v2 c2 Erstmals hat Einstein2 am Anfang des 20. Jahrhunderts diese erweiterte Definition des Impulses hergeleitet. Der Gesamtimpuls eines Systems wird als die Summe der relativistischen Impulse definiert. In diesem Fall gilt das relativistische Impulserhaltungsgesetz (Siehe Kap. 3.3.1): In einem isolierten System ist der gesamte relativistische Impuls erhalten. Die Abhängigkeit des klassischen und des relativistischen Impulses von der Geschwindigkeit ist in Abb. 4.5 dargestellt. Für einen Körper, der sich in Ruhe befindet, gilt: v = 0 =) = 1. (4.16) Wenn der Körper sich bewegt, ist der Lorentzfaktor immer grösser als eins: v>0 =) > 1. (4.17) Für kleine Geschwindigkeiten ist der Lorentzfaktor nahezu gleich eins. Der Lorentzfaktor wird wichtig, wenn die Geschwindigkeit sich der Lichtgeschwindigkeit nähert: v = 1000 km/h v = c/10 v = c/2 v = 0, 994c =) =) =) =) = 1, 0000000000004 = 1, 005 = 1, 15 =9 (4.18) Er geht nach unendlich, wenn die Geschwindigkeit sich der Lichtgeschwindigkeit nähert: v ! c =) ! 1. (4.19) 132 Physik, FS 2013, Prof. A. Rubbia (ETH Zürich) p p = mv pklassisch = mv 0,5 0 1 v/c Abbildung 4.5: Abhängigkeit des klassischen und des relativistischen Impulses von der Geschwindigkeit v/c. Der klassische Impuls ist eine Näherung des Impulses eines Körpers, die gilt, wenn die Geschwindigkeit des Körpers viel kleiner als die Lichtgeschwindigkeit ist. Solange die Geschwindigkeit des Körpers klein ist relativ zur Lichtgeschwindigkeit, benutzen wir die Näherung: woraus folgt 1 = (1 ↵) ⇡ 1 r v2 = c2 1 =r 1 1 2 1 v2 c2 = ✓ ✓ Hendrik Antoon Lorentz (1853-1928) Albert Einstein (1879-1955) (↵ ⌧ 1) ↵ 1 v2 c2 1 v2 c2 ◆1/2 ◆ ⇡1 (4.20) 1 v2 2 c2 1/2 ⇡1+ 1 v2 2 c2 (4.21) (4.22) Physik, FS 2013, Prof. A. Rubbia (ETH Zürich) v/c 0,01 0,1 0,2 0,3 0,5 0,7 0,9 0,99 = (1 v 2 /c2 ) 1/2 1,000 050 03 1,005 037 1,020 6 1,048 1,148 1,41 2,30 7,1 133 1 + v 2 / (2c2 ) 1,000 050 00 1,005 000 1,020 0 1,045 1,125 1,25 1,40 1,49 Tabelle 4.4: Numerischer Vergleich zwischen genauer und genäherter Gleichung für . Die Näherung kann für Geschwindigkeiten v . 0,3c benutzt werden. Siehe Tabelle 4.4. 4.3 Die Masse-Energie-Äquivalenz Wenn die Sonne (Siehe Abb. 4.1) wie eine Kugel aus Kohle brennen würde, würde sie nur ungefähr 5000 Jahre lang leben. Wir wissen jedoch, dass die Sonne mit derselben Rate während ungefähr 5 Milliarden Jahren gebrannt hat, und sie soll noch während 5 Milliarden Jahren brennen. Einstein hat 1905 erklärt, wie die Sonne eine solche Menge von Strahlungsenergie ausstossen kann, mit seiner berühmten Beziehung zwischen Masse und Energie: Die Masse-Energie Äquivalenzgleichung lautet: E = mc2 (4.23) wobei E die Energie, m die Masse und c die Lichtgeschwindigkeit ist. Diese Gleichung drückt aus, dass Masse eine Form von Energie ist. Die Strahlungsleistung der Sonne ist P = 4 · 1026 J/s. Wenn wir annehmen, dass diese Energie aus der Umwandlung von Masse in Energie kommt, dann ist die Brennrate der Masse der Sonne gleich: E m= 2 c ) dm 1 dE 4 · 1026 J/s = 2 ⇡ = 4 · 109 kg/s 16 2 2 dt c dt 9 · 10 m /s (4.24) Obwohl diese Menge ziemlich gross aussieht, ist sie klein relativ zur gesamten Masse der Sonne (M = 2 ⇥ 1030 kg). Wenn wir eine Masse von 1 Kilogramm ganz in Energie umwandeln könnten, folgt aus der Masse-Energie Beziehung, dass die gewonnene Energie E = mc2 ⇡ (1 kg) 3 · 108 m/s 2 = 9 · 1016 J (4.25) 134 Physik, FS 2013, Prof. A. Rubbia (ETH Zürich) wäre. Masse enthält eine enorme Menge von Energie! Wenn 1 kg ganz in Energie umgewandelt werden könnte, könnte damit eine Stadt wie Zürich für ungefähr 50 Jahre beleuchtet werden. 4.4 Die kinetische Energie Wir haben schon erwähnt, dass Bewegung einer Form von Energie entspricht. Da der Impuls als Produkt der Masse und der Geschwindigkeit definiert wurde, können wir die relativistische Definition des Impulses so ausdrücken: p = mv = ( m) v (4.26) wobei das Produkt m als relativistische“ Masse bezeichnet werden kann. ” Vom Standpunkt des Impulses sieht es so aus, als ob die Masse des Körpers mit der Geschwindigkeit zunimmt. Weil diese (träge) Masse der Änderung des Bewegungszustands entgegen wirkt (Trägheitsprinzip!), folgt aus der Zunahme der relativistischen Masse mit der Geschwindigkeit, dass, je schneller sich der Körper bewegt, desto schwieriger es ist, ihn zu beschleunigen! Wenn sich die Geschwindigkeit des Körpers der Lichtgeschwindigkeit nähert, geht seine relativistische Masse nach unendlich und im Grenzfall ist es nicht möglich, den Körper weiter zu beschleunigen. Der Körper kann daher die Lichtgeschwindigkeit nie erreichen. Wenn sich ein Körper relativ zu einem anderen bewegt, erhält er zusätzliche Energie: Die Energie, die der Körper gewinnt, wenn er sich bewegt, ist seine kinetische Energie. Wenn ein Körper der Masse m sich bewegt, besitzt er daher eine Ruheenergie mc2 und eine zusätzliche kinetische Energie Ekin , und seine Gesamtenergie ist daher: E = mc2 + Ekin (4.27) Wie soll die Gesamtenergie berechnet werden? Im Fall des relativistischen Impulses haben wir gesehen, dass die erweiterte Definition mit dem Ersetzen der Masse m durch die relativistische Masse m gefunden werden konnte. Tatsächlich, wenn wir die Masse-Energie Äquivalenzgleichung E = mc2 für die relativistische Masse m anwenden, finden wir die Gesamtenergie des Körpers3 ! 3 Dieses Resultat war zu erwarten. Masse-Energie-Äquivalenz heisst, dass jede Form von Energie, auch die kinetische Energie, die ein Körper hat, als seine (relativistische) Masse ausgedrückt werden kann. Wenn die Energie des Körpers zunimmt, wird seine scheinbare Masse auch erhöht. Dieses Ergebnis ist auch in Übereinstimmung mit der relativistischen Definition des Impulses. Um diese Tatsache noch weiter zu illustrieren: wir wissen heute, dass der grösste Teil der Masse der Protonen und Neutronen aus der Bindungsenergie zwischen ihren Bestandteilen (die sogenannten Quarks) kommt. D.h., der grösste Teil der Masse, die wir im Universum beobachten, kommt nicht aus der Ruheenergie ihrer Bestandteile, sondern aus der Energie der Wechselwirkung, die die Bestandteile zusammenhält. Physik, FS 2013, Prof. A. Rubbia (ETH Zürich) 135 Es gilt: Ein Körper der Masse m mit der Geschwindigkeit v hat die Gesamtenergie E = mc2 = r mc2 1 (4.28) v2 c2 Mit der in Gl. 4.27 aufgeführten Beziehung kann die relativitische kinetische Energie des Körpers bestimmt werden: Ekin = E mc2 = mc2 ( 1) (4.29) Wir suchen nun die klassische kinetische Energie eines Körpers, der sich mit einer Geschwindigkeit viel kleiner als die Lichtgeschwindigkeit bewegt. In diesem Fall ist die Gesamtenergie des Körpers gleich ! 1 2 2 E = mc = mc p genaue Gleichung 1 v 2 /c2 ✓ ◆ 1 v2 2 ⇡ mc 1 + 2 genäherte Gleichung Gl. 4.22 2c 1 = mc2 + mv 2 (4.30) 2 Die letzte Gleichung gilt für Körper, die sich mit einer Geschwindigkeit kleiner als ⇡ 0,3c bewegen. Wir haben die Gleichung E = mc2 als Summe von zwei Teilen geschrieben; der Teil der Ruheenergie mc2 und der kinetische Teil Ekin = mv 2 /2: 1 E = |{z} mc2 + mv 2 (4.31) |2 {z } Ruheenergie kinetisch Solange die Geschwindigkeit eines Körpers weniger als 0,3c ist, ist seine kinetische Energie viel kleiner als seine Ruheenergie. Beispiel: Die Gewehrkugel Wir betrachten eine Gewehrkugel der Masse 10 g, die sich mit einer Geschwindigkeit von 300 Meter pro Sekunde bewegt. Bestimme ihre kinetische und Ruheenergie. Kinetische Energie: 1 Ekin = mv 2 2 1 = (0,01 kg) (300 m/s)2 2 = 450 J (4.32) 136 Physik, FS 2013, Prof. A. Rubbia (ETH Zürich) Die Energie ist hoch genug, so dass die Kugel eine Planke durchdringt. Ruheenergie: E0 = mc2 = (0,01 kg) 3 · 108 m/s = 9 · 1014 J 2 (4.33) Diese Energie ist gleich der freigesetzten Energie einer mittelgrossen Atombombe. 4.5 Potentielle Energie der Gravitation Wir fahren weiter mit unserer Untersuchung der Teile der Gesamtenergie. Wir wollen nun das Konzept der potentiellen Energie einführen. Als einfachstes Beispiel wählen wir zuerst die Gravitationskraft. Demonstrationsexperiment: Wassersack Ein Wassersack der Masse m wird vom Boden auf die Höhe h hochgezogen (Phase I) und anschliessend frei fallen gelassen (Phase II). Nach dem Fall wird der Wassersack auf den Boden aufprallen (Phase III). Was passiert hier energetisch? Siehe Abb. 4.6. Abbildung 4.6: Freier Fall eines Wassersackes. Was passiert energetisch? Physik, FS 2013, Prof. A. Rubbia (ETH Zürich) 137 1. Phase I: ein Mensch leistet “Arbeit”, um den Wassersack gegen die Erdanziehung hochzuziehen. Die Arbeit nimmt mit der Höhe zu. Schliesslich, wenn der Wassersack eine Höhe h erreicht, wird die gesamte Arbeit im Wassersack gespeichert. Diese wird als die potentielle Energie des Wassersackes bezeichnet. 2. Phase II: Diese Phase ist der freie Fall des Wassersacks wegen der Gravitationskraft der Erde. Die potentielle Energie wird sukzessive umgewandelt in kinetische Energie. 3. Phase III: Der Wassersack landet auf dem Boden. Die gesamte Masse (Wassersack und Wasser) befinden sich nun in Ruhe. Wo ist die gesamte Energie geblieben? (a) Der Knall beim Aufprall des Wassersackes am Boden zeigt, dass ein Teil der Energie in Schallenergie umgewandelt wurde. (b) Der andere Teil wurde in andere Formen umgewandelt, wie z.B. Wärmeenergie, Bodendeformationsenergie, usw... Die Summe der verschiedenen Formen von Energie wurde erhalten. Wir betrachten nun den Fall des Wassersackes quantitativ. Hier werden wir annehmen, dass der Luftwiderstand vernachlässigt werden kann. Wir analysieren die folgende Anordnung. Ein Körper der Masse m (=ein Wassersack) wird von einer Höhe h aus frei fallen gelassen (Siehe Abb. 4.7): 1. Im Punkt (1), bevor er losgelassen wird, befindet er sich Ruhe (v1 = 0). Deshalb besitzt er keine kinetische Energie: Ekin (1) = 0 (4.34) 2. Im Punkt (2), bevor er auf dem Boden landet, bewegt sich der Körper mit der Geschwindigkeit v2 und besitzt eine kinetische Energie. Wenn wir annehmen, dass der Körper nicht relativistisch ist, dann ist diese Energie gleich 1 Ekin (2) = mv22 (4.35) 2 Mit den Gleichungen der gleichförmig beschleunigten Bewegung finden wir eine Beziehung zwischen der Höhe und der Geschwindigkeit v2 . Wir betrachten die vertikale (ein-dimensionale) Bewegung des Sackes. Der Körper befand sich in Ruhe, als er zur Zeit t = 0 losgelassen wurde. Er erreicht den Boden zur Zeit t. Es gilt (Erdbeschleunigung=g): 1 1 v2 = gt und h = gt2 = g 2 2 ✓ v2 g ◆2 = v22 2g (4.36) 138 Physik, FS 2013, Prof. A. Rubbia (ETH Zürich) Punkt (1) m Ruhe v1 = 0 Ekin = 0 h m Ekin = 12 mv22 Punkt (2) v2 Abbildung 4.7: Freier Fall eines Wassersackes. Wenn der Sack frei fällt, wird seine kinetische Energie zunehmen. Damit gilt: 1 2 v = gh 2 2 (4.37) Die kinetische Energie nimmt während des Falls zu! Wegen der Erhaltung der Energie muss die gesamte Energie des Körpers erhalten werden. Deshalb suchen wir die zusätzliche Form der Energie, d.h. potentielle Energie, die im Körper gespeichert wird, wenn er auf eine Höhe h gehoben wird: Die potentielle Energie hängt von der Position (d.h., der Höhe relativ zum Boden) des Körpers ab. Wir haben sie relativ zum Boden definiert (Wahl des Nullpunkts der potentiellen Energie). Diese Energie wird sich während des Falls des Körpers in kinetische Energie umwandeln. Wenn der Luftwiderstand vernachlässigt wird, kann die gesamte Energie als die Summe der kinetischen und potentiellen Energie des Körpers betrachtet werden. Sie wird während des Falls erhalten. Wenn wir Gl. 4.37 mit der Masse m des Körpers multiplizieren, erhalten wir: 1 2 mv = mgh 2 2 (4.38) Diese Gleichung entspricht dem Energieaustausch zwischen kinetischer und potentieller Energie. Physik, FS 2013, Prof. A. Rubbia (ETH Zürich) 139 Damit folgt die Definition: Die potentielle Energie eines Körpers, der sich auf einer Höhe h befindet, ist gleich (Nullpunkt der potentiellen Energie bei h = 0) Epot (h) = mgh (4.39) Wir berechnen nun die Gesamtenergie des Körpers im Punkt (1). Dort besitzt er keine kinetische Energie und eine potentielle Energie, die von der Höhe h relativ zum Boden abhängt: Punkt (1): E1 = mc2 + mgh (4.40) Wir haben auch die Ruheenergie mc2 des Körpers eingefügt. Im Prinzip wäre das nicht nötig, wenn wir sicher sind, dass diese Form von Energie sich nicht in eine andere umwandeln wird. Im Punkt (2) besitzt der Körper eine kinetische Energie und keine potentielle Energie mehr. Die gesamte Energie ist gleich: Punkt (2): E2 = mc2 + 12 mv22 (4.41) Die Gesamtenergie E des Körpers in einem beliebigen Punkt der Höhe y (0 y h) kann daher so ausgedrückt werden: E(y) = 1 + mv 2 + mgy |{z} |2 {z } potentiell Ruheenergie mc2 |{z} (4.42) kinetisch Aus der Energieerhaltung in Abwesenheit von Luftwiderstand folgt: 1 E(y) = E1 = E2 = mc2 + mgh = mc2 + mv22 2 (4.43) Damit kann die Geschwindigkeit v des Körpers in einem beliebigen Punkt der Höhe y berechnet werden. Weil die Masse des Körpers sich nicht ändert während des Falls, kann die Ruheenergie weggelassen werden. Die Gleichung der Energie-Erhaltung sieht dann so aus: 1 E 0 (y) = E10 = E20 = mgh = mv22 2 ohne Ruheenergie (4.44) Welche ist die “korrekte” gesamte Energie des Körpers? E(y) (Gl. 4.43) oder E 0 (y) (Gl. 4.44) ? Weil der Term mc2 sehr gross ist, ist die gesamte Energie sehr verschieden, je nachdem, ob wir die Ruheenergie in der gesamten Energie berücksichtigen oder 140 Physik, FS 2013, Prof. A. Rubbia (ETH Zürich) nicht. Die Antwort ist, dass beide Ansätze für die Gesamtenergie korrekt sind, solange wir kohärente Definitionen verwenden. Wir betonen: Wenn wir die Energie betrachten, sind wir nur an der Umwandlung der Energie von einer Form in eine andere interessiert. In ähnlicher Weise ist der absolute Wert der potentiellen Energie nicht von Bedeutung. Man könnte ebenso den Nullpunkt der potentiellen Energie in einem 0 anderen Punkt wählen und Epot (y) durch Epot (y) = Epot (y)+C ersetzen (wobei C eine Konstante ist). Beim freien Fall sind nur die Änderung der potentiellen Energie und ihre Umwandlung in kinetische Energie wichtig. Schliesslich: Die absoluten Werte der Gesamtenergie und der potentiellen Energie besitzen keine physikalische Bedeutung und sind nicht wichtig. Die Erhaltung der Energie sagt nur voraus, dass bei einer Änderung der einen Form der Energie sich eine andere Form der Energie um denselben Betrag, aber mit entgegengesetztem Vorzeichen ändert, so dass die Summe der beiden Energieformen konstant bleibt. Man spricht von Energieaustauch zwischen verschiedenen Formen der Energie. 4.6 4.6.1 Anwendung: Energieerhaltung Bewegung eines Balles in einer Kreisschleife Wir betrachten einen Ball, der sich in der in Abb. 4.8 gezeigten Schleife bewegen kann. Was ist die Mindesthöhe, von welcher der Ball starten muss, um die Schleife erfolgreich zu beenden? Wir nehmen an, dass der Ball, ohne zu rollen und ohne Reibung gleitet, und dass seine Ausdehnung vernachlässigbar klein ist. Der Ball gewinnt an Geschwindigkeit, während er sich abwärts bewegt, und verliert Geschwindigkeit, wenn er sich aufwärts bewegt. In jedem Punkt der Bahn wirken zwei Kräfte auf den Ball (siehe Abb. 4.9): 1. Die Gravitationskraft mg, die stets nach unten zeigt. 2. Die von der Bahn ausgeübte Normalkraft N , deren Richtung von der Position des Balls abhängt. Die Normalkraft ist in Abb. 4.9 für verschiedene Punkte der Bahnkurve gezeigt. Die Kreisbewegungsgleichung (Siehe Kap. 2.7.2) besagt, dass die Beschleunigung eines Körpers, der sich mit der Geschwindigkeit v auf einem Kreis bewegt, Physik, FS 2013, Prof. A. Rubbia (ETH Zürich) 141 z A v=0 h B vB 2R R x Abbildung 4.8: Bewegung in einer Schleife von Punkt A zum Punkt B. z A h 2R v=0 B N mg mg N N N mg mg x Abbildung 4.9: Bei der Bewegung in einer Schleife auftretende Kräfte. 142 Physik, FS 2013, Prof. A. Rubbia (ETH Zürich) die folgende sein muss: v2 (4.45) R wobei R der Radius der Kreisschleife ist. Wenn der Ball einen Kreis mit Radius R beschreiben soll, muss die resultierende Kraft, die auf ihn wirkt, einen Betrag gleich F = ma haben, und sie muss nach dem Zentrum des Kreises gerichtet werden. a= Wir bemerken: Am höchsten Punkt der Schleife zeigen die Gravitationskraft und die Normalkraft in dieselbe Richtung und nach unten“, und nach dem Zentrum des Krei” ses. Damit ist die resultierende Kraft, die auf den Ball am höchsten Punkt der Schleife wirkt, gleich F = N + mg = ma = m v2 R ) N =m v2 R mg 0 (4.46) Diese Gleichung zeigt, wie erwartet, dass, je schneller sich der Ball um den Kreis bewegt, desto grösser ist die Normalkraft N . Im Gegensatz dazu: je langsamer sich der Ball bewegt, desto kleiner ist die Normalkraft. Wenn die Geschwindigkeit v geringer als die minimale Geschwindigkeit vmin ist, wird sich der Ball vom Kreis lösen. Die Normalkraft hat keine physikalische Bedeutung mehr und die Gravitationskraft allein bestimmt die Bewegung des Balls. Die minimale Geschwindigkeit vmin des Balles entspricht daher dem Grenzfall: N = 0 und m Damit erhalten wir: vmin = 2 vmin = mg R p gR, (4.47) (4.48) unabhängig von der Masse m. Diese Tatsache kann so erklärt werden: die Bedingung für eine Kreisbewegung (Siehe Gl. 4.45) bestimmt die Beschleunigung. Die entsprechende Kraft ist zur (trägen) Masse m proportional. Je grösser die Masse ist, desto grösser ist die Kraft, die benötigt wird, eine solche Beschleunigung zu bewirken. Die Gravitationskraft ist aber auch zur (schweren) Masse proportional, so dass vmin unabhängig von der Masse m ist. Um die entsprechende Höhe h zu berechnen, bestimmen wir die gesamte Energie in den Punkten A und B der Figur 4.8: 1 Punkt A: EA = mvA2 + mgh = 0 + mgh (4.49) 2 1 ⇣p ⌘2 1 5 Punkt B: EB = m gR + mg (2R) = mgR + 2mgR = mgR 2 2 2 (4.50) Physik, FS 2013, Prof. A. Rubbia (ETH Zürich) 143 Wenn wir die Energieerhaltung anwenden, erhalten wir: 5 h = R > 2R 2 (4.51) Die Höhe ist, wie die minimale Geschwindigkeit vmin , von der Masse m unabhängig. Demonstrationsexperiment: Looping Eine Kugel mit ausreichender Geschwindigkeit vollführt einen Looping, ohne am höchsten Punkt der Kreisbahn herunterzufallen. Man bestimmt die Mindestfallhöhe. Sie ist grösser als der Durchmesser (2R) des Loopings. Abbildung 4.10: Die Kugel mit ausreichender Geschwindigkeit vollführt einen Looping, ohne am höchsten Punkt der Kreisbahn herunterzufallen. 4.7 4.7.1 Die Arbeit, die eine Kraft leistet Bewegung in einer Dimension Im Beispiel des frei fallenden Wassersackes haben wir bewiesen, dass die potentielle Energie der Gravitation bezüglich dem Boden gleich Epot (h) = mgh ist, wobei m die Masse des Wassersackes ist, und h die Höhe. 144 Physik, FS 2013, Prof. A. Rubbia (ETH Zürich) Der Wassersack fällt wegen der Gravitationskraft, die einen Betrag mg besitzt. Wir bemerken, dass der Betrag der Abnahme der potentiellen Energie gleich dem Produkt der Gravitationskraft mal der Verschiebung ist: (mg) · h = (Kraft) ⇥ (Verschiebung) (4.52) Wir definieren: Die Arbeit, die eine Kraft an einem Körper leistet, ist gleich dem Produkt der Komponente der Kraft längs der Verschiebung und der Verschiebung, d.h. W = F x cos # (4.53) wobei # der Winkel zwischen der Kraft und der Verschiebung ist. Die Arbeit, die eine Kraft leistet, kann entweder positiv oder negativ sein. Sie kann auch verschwinden. Die Arbeit W = (mg) x cos ✓, die die Gravitationskraft an einem Körper leistet, ist in Abb. 4.11 dargestellt. m m mg x mg m x v x mg m W > 0 (✓ = 0) m W < 0 (✓ = ⇡) W = 0 (✓ = ⇡/2) Abbildung 4.11: Die Arbeit W , die die Gravitationskraft an einem Körper leistet. Wir bemerken: 1. Wenn die Masse (nach unten) frei fällt, ist die Arbeit, die die Gravitationskraft an der Masse leistet, positiv. 2. Wenn die Masse (nach oben) hochgezogen wird, ist die Arbeit, die die Gravitationskraft an der Masse leistet, negativ. Man muss die Masse heben. Physik, FS 2013, Prof. A. Rubbia (ETH Zürich) 145 3. Wenn die Masse nach rechts oder links verschoben wird, bleibt seine Höhe konstant. Die Arbeit, die die Gravitationskraft leistet, verschwindet. Keine Arbeit wird geleistet. Die Arbeit nimmt einen positiven Wert an, wenn die Kraft und die Verschiebung in dieselbe Richtung zeigen, und einen negativen Wert, wenn sie entgegengesetzte Richtungen haben. 4.7.2 Arbeit und potentielle Energie Die SI-Einheit der Arbeit ist das Joule: 1 N · m = 1( kg · m m2 ) · m = 1 kg = 1J s2 s2 (4.54) Die Arbeit besitzt deshalb dieselbe Einheit wie die Energie. Die Änderung Epot der potentiellen Energie, wenn der Körper vom Boden auf eine Höhe h nach oben gezogen wird (wir wählen den Boden als Nullpunkt), ist: Epot = Epot (h) Epot (0) = mgh 0 = mg( x) > 0 (4.55) wobei x = h der Verschiebung entspricht. Die Änderung der potentielle Energie wurde als der Wert im Endzustand minus der Wert im Anfangszustand definiert. Da der Körper vom Boden auf die Höhe h gehoben wurde, hat die potentielle Energie zugenommen. Die entsprechende Arbeit, die die Gravitationskraft am Körper geleistet hat, als er nach hoben gezogen wurde, ist: W = F x cos ✓ = (mg) x < 0 (4.56) Wir haben gefunden, dass die Änderung der potentiellen Energie zwischen den Punkten (1) und (2) denselben Betrag hat wie die Arbeit, die geleistet wird, aber ein umgekehrtes Vorzeihen besitzt: Epot = Epot (2) Epot (1) = W (4.57) Die Gravitationskraft und die Verschiebung sind entgegengesetzt: man muss ziehen, um den Körper hochzuheben! Die Arbeit, die wir leisten, um den Körper hochzuheben, wird im Körper als potentielle Energie gespeichert (Erhaltung der Energie). 146 Physik, FS 2013, Prof. A. Rubbia (ETH Zürich) Im Gegensatz dazu ist die vom Körper geleistete Arbeit positiv, wenn er frei fällt. W = F x cos ✓ = (mg) x > 0 (f reier F all) (4.58) Die entsprechende Abnahme der potentiellen Energie zwischen der Höhe h und dem Boden ist: Epot = Epot (0) Epot (h) (f reier F all) = mgh = mg( x) < 0 (4.59) Die Energie, die in der potentiellen Energie gespeichert wurde, wird verwendet, um den Körper zu Beschleunigung wenn er nach unten frei fällt. Potentielle Energie wurde in kinetische Energie umgewandelt. Auch hier gilt Epot = W . Zusammenfassend haben wir gefunden, dass im Fall der Gravitationskraft immer gilt: Epot = W (4.60) Wir bemerken, dass die Gleichung nur für sogenannte konservative Kräfte gilt. Damit haben wir gezeigt, dass die Gravitationskraft eine konservative Kraft ist. Siehe Kap. 4.7.6. 4.7.3 Bewegung in mehreren Dimensionen Wir betrachten eine Bewegung in mehreren Dimensionen. Ein Körper bewegt sich entlang einer Bahn im Raum. Siehe Abb. 4.12. Eine Kraft, die auf ihn wirkt, kann als eine Funktion des Ortsvektors geschrieben werden, die den Kraftvektor F am Punkt r darstellt: F = F (r) (4.61) Hier entspricht F einem Vektorfeld. In der Mathematik ist ein Vektorfeld eine Funktion, die jedem Punkt eines mehrdimensionalen Raumes einen Vektor zuordnet. Wir bemerken: Die Arbeit, die die Kraft am Körper leistet, wird berechnet entlang der Bahn zwischen zwei Punkten r 1 und r 2 . Im Allgemeinen hängt die Arbeit von der Bahn ab. Die Arbeit W , die die Kraft am Körper entlang der (kleinen) Strecke r zwischen dem Punkt r und dem Punkt r + r leistet, kann so definiert werden: W = |F || r| cos # = F (r) · r. (4.62) Physik, FS 2013, Prof. A. Rubbia (ETH Zürich) 147 y Fb dr b dr a Fa Fc dr e dr c dr 1 F1 r2 dr d r1 Fe Fd x Abbildung 4.12: Ein Körper bewegt sich entlang einer Bahn in zwei Dimensionen, die zwei Punkte 1 und 2 verbindet. Die Kraft wird als eine Funktion des Ortsvektors definiert. Die Arbeit wird berechnet entlang der Bahn. Die ganze Bahn zwischen den zwei Punkten r 1 und r 2 wird in di↵erentielle Strecken dr unterteilt, entlang denen die Kraft als konstant betrachtet werden kann. Die geleistete Arbeit dW entlang dieser di↵erentiellen Strecke ist gleich dW = F (r) · dr (4.63) Die Gesamtarbeit entlang der Bahn zwischen den Punkten r 1 und r 2 wird mit der Summe der einzelnen geleisteten Arbeiten entlang den Strecken gewonnen (Siehe Abb. 4.12): W12 = dW1 + dWa + dWb + . . . . = F (r 1 ) · dr 1 + F (r a ) · dr a + F (r b ) · dr b + . . . (4.64) Die gesamte zwischen den Punkten r 1 und r 2 geleistete Arbeit W12 wird berechnet als das Linienintegral (oder Wegintegral) von F entlang der Bahn zwischen den Punkten r 1 und r 2 : W12 = Zr2 r1 dW = Zr2 F (r) · dr (4.65) r1 Wir betonen, dass für ein beliebiges Vektorfeld das Resultat des Linenintegrals zwischen zwei Punkten vom gewählten Weg abhängt ! 148 Physik, FS 2013, Prof. A. Rubbia (ETH Zürich) 4.7.4 Arbeit der Gravitationskraft Wir berechnen die Arbeit der Gewichtskraft mit Hilfe des Linienintegrals. Die Kraft ist konstant: F (r) = mg = (mg)ey wobei r = xex + yey und g > 0 (4.66) d.h., die y-Achse zeigt in die vertikale Richtung und nach oben (Siehe Abb. 4.13). Die von der Gravitationskraft geleistete Arbeit ist gleich Zr2 Zr2 Zr2 W12 = F (r) · dr = mg · dr = m g · dr (4.67) r1 r1 r1 y P2 y2 y1 r2 P1 x2 x1 A r1 x Abbildung 4.13: Zur Berechnung des Linienintegrals zwischen zwei Punkten r 1 und r 2 . Ein Integral kann als eine Summe betrachtet werden. Da g konstant ist und wegen des Distributivgesetzes des Skalarprodukts (Siehe Kap. 1.5.2) können das Skalarprodukt und das Integral vertauscht werden: Zr2 Zr2 X X g · dr = g · ri = g · r i = g · dr (4.68) | {z } i i r1 r1 | {z } | {zZahl } | {z } V ektor Zahl V ektor | {z } Zahl Wir bemerken nun, dass das bleibende Linienintegral einen Vektor liefert, der der Strecke der gesamten Verschiebung zwischen r 1 und r 2 entspricht: Zr2 dr = r 2 r 1 (4.69) r1 Physik, FS 2013, Prof. A. Rubbia (ETH Zürich) 149 Um dieses Resultat zu beweisen, betrachten wir einen bestimmten Weg zwischen den Punkten P1 und P2 (siehe Abb. 4.13) und beschränken uns auf zwei Dimensionen (das Resultat gilt für eine beliebige Anzahl von Koordinaten). In der x, y-Ebene integrieren wir zuerst zwischen P1 und A und nachher zwischen A und P1 , d.h. Zr2 ZP2 ZA ZP2 dr = dr = dr + dr (4.70) r1 P1 P1 A Entlang der ersten Strecke zwischen P1 und A hat die di↵erentielle Strecke nur eine x-Komponente. Wir schreiben: dr = (dx, 0) zwischen P1 und A (4.71) dr = (0, dy) zwischen A und P2 (4.72) In ähnlicher Weise: Das erste Integral zwischen P1 und A entspricht damit der gesamten Verschiebung in der x-Richtung mit dem Betrag |x2 x1 |. Der resultierende Vektor ist daher (x2 x1 ) ex . Das zweite Integral zwischen A und P1 entspricht der gesamten Verschiebung in der y-Richtung mit dem Betrag |y2 y1 |. Der resultierende Vektor ist daher (y2 y1 ) ey . Die Summe entspricht der gesamten Verschiebung zwischen P1 und P2 : Z2 1 dr = ZA dr + 1 Z2 dr (4.73) A = (x2 x1 ) ex + (y2 = r2 r1 y1 ) e y (4.74) (4.75) Diese Herleitung gilt für eine beliebige Strecke, weil wir eine Strecke immer in eine Anzahl von nur horizontalen und nur vertikalen Verschiebungen unterteilen können. Das Linienintegral ist dann gleich der resultierenden Verschiebung zwischen den Endpunkten. Damit gilt: W12 = Zr2 F (r) · dr = mg · r1 dr = mg · (r 2 r1) (4.76) r1 = ( mg ey ) · {(x2 = { mg (x2 Zr2 x1 ) ex + (y2 y1 ) ey } x1 ) ey · ex } + { mg (y2 y1 ) ey · e y } (4.77) (4.78) oder W12 = mg (y2 y1 ) (4.79) 150 Physik, FS 2013, Prof. A. Rubbia (ETH Zürich) Die Arbeit hängt nur vom Unterschied y2 y1 zwischen den Höhen der beiden Endpunkte ab. Sie ist vom gewählten Weg unabhängig. Siehe Abb. 4.14. Beachte das Vorzeichen und vergleiche mit Kap. 4.7.2. Für den frei fallenden Ball erhalten wir mit y2 = 0, y1 = h: W12 = mg(0 h) = mgh (4.80) Die geleistete Arbeit hat einen positiven Wert, weil die nach unten gerichtete Gewichtskraft und die Verschiebung von y = h bis y = 0 in dieselbe Richtung zeigen. Wenn der Ball vom Boden auf die Höhe h hochgezogen wird (d.h. y2 = h, y1 = 0), hat die geleistete Arbeit einen negativen Wert, weil in diesem Fall die Gewichtskraft entgegengesetzt der Bewegung ist (d.h. man muss ziehen, um den Ball hochzuheben.) y WA = WB = mg (y2 y1 ) y2 Weg B WB Weg A WA y2 y1 y1 x Abbildung 4.14: Zur Wegunabhängigkeit der Arbeit im Gravitationsfeld. 4.7.5 Arbeit der Federkraft Wir betrachten die von der Federkraft geleistete Arbeit. Es gilt für kleine Verschiebungen (Hookesches Gesetz, Siehe Kap. 3.8.4): F = k (x x0 ) (4.81) Physik, FS 2013, Prof. A. Rubbia (ETH Zürich) 151 wobei k die Federkonstante ist. Wenn der Ursprung der x-Achse die Gleichgewichtslage der Feder ist, erhalten wir: F (x) = kx (4.82) d.h., für x > 0 ist die Feder gedehnt, und für x < 0 ist sie zusammengedrückt. Die Bewegung ist hier eindimensional. Die geleistete Arbeit zwischen den Verschiebungen x1 und x2 ist gleich W12 = Zx2 x1 F (x) dx = k Zx2 x dx = k 2 x 2 2 x21 (4.83) x1 Für x2 > x1 > 0 wird die Feder nach der Bewegung stärker gedehnt sein. In diesem Fall wirkt die Federkraft der Bewegung entgegen. Die Bewegung und die Federkraft zeigen in entgegengesetze Richtung. Die von der Kraft geleistete Arbeit ist negativ: dW = F · dr < 0 (4.84) Für 0 < x2 < x1 wird die Feder nach der Bewegung weniger gedehnt sein. In diesem Fall wirkt die Federkraft in die Richtung der Bewegung. Die Bewegung und die Federkraft zeigen in dieselbe Richtung. Die von der Kraft geleistete Arbeit ist positiv: dW = F · dr > 0 (4.85) Im Allgemeinen können x1 und x2 positive und negative Werte annehmen, nämlich für gedehnte oder zusammengedrückte Situationen der Feder. In diesem Fall kann die resultierende Arbeit positiv oder negativ sein. Sie hängt vom Unterschied der Quadrate der Anfangs- und Endverschiebungen ab. Z.B., wenn x1 = +a gedehnte Feder x2 = a zusammengedrückte Feder (4.86) (4.87) (Beachte: x = 0 ist das Gleichgewicht der Feder), verschwindet die resultierende Arbeit: 1 k ( a)2 (+a)2 = 0 (4.88) W12 = 2 Zwischen x = a und x = 0 wirkt die Kraft in die Richtung der Bewegung: dW > 0. Zwischen x = 0 und x = –a wirkt die Kraft der Bewegung entgegen: dW < 0. Die beiden Beiträge zur Arbeit kompensieren einander genau. 4.7.6 Konservative und nicht-konservative Kräfte Wenn wir einen Ball vom Boden auf die Höhe h hochziehen und ihn nachher wieder auf den Boden bringen, ist die geleistete Arbeit gleich null. Wir sagen, dass die Gravitationskraft konservativ ist. 152 Physik, FS 2013, Prof. A. Rubbia (ETH Zürich) Im Gegensatz dazu wird die Arbeit von nicht-konservativen Kräfte entlang einem geschlossenen Weg nicht immer verschwinden. Z.B. hängt die von einer Reibungskraft geleistete Arbeit vom Weg ab. Je weiter wir einen Körper bewegen, der eine Reibungskraft spürt, desto mehr Arbeit wird geleistet. Wenn wir den Körper an den Anfangspunkt zurückbringen, ist die geleistete Arbeit nicht gleich null. Wenn die geleistete Arbeit nur vom Anfangs- und Endpunkt des Wegs abhängt, ist sie längs eines geschlossenen Wegs gleich null. Aus der Definition der potentiellen Energie und ihrer Beziehung zur Arbeit, unterteilen wir daher alle Kräfte der Natur in zwei Gruppen: 1. Konservative Kräfte, wie die Gravitationskraft oder die Federkraft. Die geleistete Arbeit längs eines geschlossenen Wegs ist gleich null. Für diese Art von Kräften können wir eine entsprechende potentielle Energie der Kraft definieren. 2. Nicht-konservative Kräfte, wie die Reibungskräfte. Wir bemerken, dass die von einer Reibungskraft geleistete Arbeit vom Weg abhängt. In diesem Fall kann keine entsprechende potentielle Energie der Kraft definiert werden. Zusammenfassend: Eine potentielle Energie kann nur definiert werden, wenn die Arbeit nur vom Anfangs- und Endpunkt abhängt. Es folgt daraus, dass nur für konservative Kräfte eine potentielle Energie definiert werden kann. 4.8 Allgemeine potentielle Energie Die potentielle Energie eines Systems ist die Energie, die mit der räumlichen Konfiguration der Körpern zusammenhängt. Ändert sich die räumliche Anordnung der Komponenten des Systems relativ zueinander, so ändert sich die potentielle Energie. Die Arbeit einer konservativen Kraft ist unabhängig vom zurückgelegten Weg. Wenn die geleistete Arbeit einen negativen Wert besitzt, weil die Kraft entgegengesetzt der Bewegung ist, sagen wir, dass die von der Kraft geleistete Arbeit im Körper als potentielle Energie Epot gespeichert wird. Wenn die an einem Körper geleistete Arbeit einen positiven Wert hat, zeigen die Kraft und die Bewegung des Körpers in die selbe Richtung. Die potentielle Energie des Körpers nimmt ab. Die gespeicherte potentielle Energie wird in kinetische Energie umgewandelt. Physik, FS 2013, Prof. A. Rubbia (ETH Zürich) 153 Die zwischen Anfangs- und Endpunkt von der Kraft geleistete Arbeit ist gleich der Änderung der entsprechenden potentiellen Energie zwischen diesen Punkten: W12 = R r2 r1 F (r) · dr ⌘ {Epot (r 2 ) Epot (r 1 )} ⌘ Epot (4.89) (Beachte das negative Vorzeichen! ) Beispiele: Gravitationskraft: Epot (y) = mgy ) W12 = {Epot (y2 ) Epot (y1 )} = mg (y2 ) W12 = {Epot (x2 ) Epot (x1 )} = 1 k x22 2 y1 ) (4.90) Federkraft: 1 Epot (x) = kx2 2 x21 (4.91) In beiden Beispielen, die wir betrachtet haben, ist die von der Kraft geleistete Arbeit vom zurückgelegten Weg zwischen gegebenem Anfangs- und Endpunkt unabhängig. Deshalb konnten wir die potentielle Energie als eine Funktion von Anfangs- und Endpunkt des Wegs definieren. 4.9 Das Arbeit-Energie-Theorem Wir haben gesehen, dass im freien Fall eines Körpers Arbeit geleistet wird, wenn sich die gespeicherte potentielle Energie in kinetische Energie umwandelt. Wir haben auch gesehen, dass wenn ein Körper sich nach oben bewegt, wird die geleistete Arbeit in potentielle Energie gespeichert. Es folgt daraus, dass es eine Beziehung zwischen dem Bewegungszustand der Körper und der von den wirkenden Kräften geleisteten Arbeit gibt. Das Arbeit-Energie-Theorem fasst diese Beziehung zusammen. Es gilt für konservative and nicht-konservative Kräfte. Wir beginnen mit Newtons zweitem Gesetz in der vektoriellen Form, multiplizieren beide Seiten mit der infinitesimalen Strecke dr, und integrieren zwischen r 1 und r 2 : F = ma ) F · dr = ma · dr Zr2 Zr2 Zr2 dv ) F · dr = m a · dr = m · dr dt r1 r1 r1 (4.92) (4.93) 154 Physik, FS 2013, Prof. A. Rubbia (ETH Zürich) Wir bemerken nun, dass der Verschiebungsvektor als Funktion des Geschwindigkeitsvektors ausgedrückt werden kann: dv dv dr = vdt ) · dr = · vdt (4.94) dt dt Nun verwenden wir die Identität (Siehe Kap. 1.6.4), die für einen beliebigen Vektor a gilt: d 2 d da a = (a · a) = 2a · (4.95) dt dt dt und erhalten für den Geschwindigkeitsvektor: d 2 dv dv dv 1d v = 2v · ) · dr = · vdt = v 2 dt (4.96) dt dt dt dt 2 dt Damit ist Zr2 Zr2 Zt2 dv 1d F · dr = m · dr = m v 2 dt (4.97) dt 2 dt r1 r1 t1 wobei t1 und t2 die Zeiten sind, zu welcher der Körper sich in den Punkten (1) und (2) befindet. Die zeitliche Integration liefert: 1 m 2 Zt2 d 1 v 2 dt = mv 2 dt 2 t1 v(t2 ) v(t1 ) 1 = mv 22 2 1 mv 21 2 (4.98) Diese Resultate werden als das Arbeit-Energie-Theorem bezeichnet. Es besagt: Die Arbeit, die an einem Körper zwischen zwei Punkten (1) und (2) geleistet wird, ist gleich der Änderung seiner kinetischen Energie zwischen diesen Punkten. Es gilt für konservative und nicht-konservative Kräfte. W12 = Zr2 1 F · dr = mv 22 2 1 mv 21 2 (4.99) r1 Die physikalische Interpretation muss klar sein: dass eine Kraft während eines Zeitintervalls wirken muss, um die Geschwindigkeit eines Körpers zu ändern, haben wir schon als das Aktionsprinzip (zweites Newtonsches Gesetz, siehe Kap. 3.5) erwähnt. Was das Arbeit-Energie-Theorem neu liefert, ist eine quantitative Beziehung zwischen der von Kräften geleisteten Arbeit und der resultierenden Änderung der kinetischen Energie. Im Fall, dass viele Kräfte auf den Körper wirken, ist die Änderung der kinetischen Energie gleich der gesamten Arbeit, die von allen Kräften geleistet wird: Zr2 Zr2 Zr2 Zr2 W = F ·dr = (F 1 + F 2 + . . .) ·dr = F 1 · dr + F 2 ·dr+. . . (4.100) | {z } r1 r1 r1 r V ektor | {z } 1 Zahl Physik, FS 2013, Prof. A. Rubbia (ETH Zürich) 4.10 155 Die mechanische Energie Aus dem Arbeit-Energie-Theorem folgt: Zr2 1 F · dr = mv 22 2 1 mv 21 = 2 Ekin (4.101) r1 wobei F die resultierende Kraft ist, die auf den Körper wirkt. Diese Kraft kann in eine Summe der konservativen und nicht-konservativen Kräfte unterteilt werden: F = F kon + F nk (4.102) Die Gesamtarbeit der konservativen Kräfte kann mit Hilfe einer potentiellen Energie definiert werden Zr2 F kon · dr = Epot (4.103) r1 Die Summe der kinetischen Energie und der potentiellen Energie eines Körpers wird als mechanische Gesamtenergie Emech bezeichnet: Emech ⌘ Ekin + Epot (4.104) Falls nur konservative Kräfte wirken, d.h. F = F kon , erhalten wir mit dem Arbeit-Energie-Theorem: Zr2 F · dr = Ekin = r1 Zr2 F kon · dr = Epot (4.105) (Ekin + Epot ) = 0 (4.106) r1 oder Ekin = Epot ) d.h., die mechanische Energie wird erhalten, wenn nur konservative Kräfte wirken: Emech = Ekin + Epot = konst. (nur konservative Kräfte) (4.107) Wenn konservative und nicht-konservative Kräfte wirken, gilt : Zr2 r1 (F kon + F nk ) · dr = Zr2 r1 | F kon · dr + {z Epot } Zr2 r1 | F nk · dr {z Wnk } = Ekin (4.108) 156 Physik, FS 2013, Prof. A. Rubbia (ETH Zürich) wobei Wnk die von den nicht-konservativen Kräften geleistete Arbeit ist. Damit lässt sich die Veränderung der mechanischen Energie berechnen: Wnk = Ekin + Epot = (Ekin + Epot ) = Emech (4.109) Die Änderung der mechanischen Energie ist gleich der Arbeit, die von nichtkonservativen Kräften geleistet wird. 4.11 Anwendung: Arbeit-Energie-Theorem 4.11.1 Die Fluchtgeschwindigkeit Die Fluchtgeschwindigkeit ist die minimale Geschwindigkeit, mit der ein Körper von der Erde abgeschossen werden muss, um das Unendliche zu erreichen (wir nehmen an, dass die Wechselwirkung mit anderen Planeten, Sternen, Galaxien vernachlässigbar ist). Die einzige Kraft, die auf den Körper wirkt, ist die Gravitationskraft und ist gleich: GmE m r F = (4.110) r2 r wobei mE die Masse der Erde ist, und das Zentrum der Erde wurde als Ursprung des Koordinatensystems gewählt. Das Arbeit-Energie-Theorem sagt voraus: Zr2 Zr2 1 1 1r 2 F · dr ⌘ GmE m · dr = mv mv 21 (4.111) 2 r2 r 2 2 r1 r1 d.h., die Arbeit der resultierenden Kraft, die auf den Körper wirkt, ist gleich der Änderung der kinetischen Energie des Körpers. Wir kennen die Bahnkurve des Körpers nicht genau. Wir können trotzdem die di↵erentielle Strecke dr mit Hilfe der Kugelkoordinaten ausdrücken (in zwei Dimensionen). Wir betrachten die Geschwindigkeit des Körpers in Kugelkoordinaten, wobei gilt r = rer (siehe Kap. 2.5.3): d(rer ) dr der dr d' = er + r = er + r e' dt dt dt dt dt Damit ist der di↵erentielle Verschiebungsvektor gleich: v(t) = dr ⌘ vdt = dr er + (rd') e' (4.112) (4.113) Die di↵erentielle Arbeit über die di↵erentielle Strecke dr ist deshalb gleich: ✓ ◆ 1 rer dW = F · dr = GmE m 2 · (dr er + (rd')e' ) r r dr dr = GmE m 2 (er · er ) = GmE m 2 (4.114) r r Physik, FS 2013, Prof. A. Rubbia (ETH Zürich) 157 d.h., die Arbeit hängt nur von der radialen Bewegung des Körpers über die Strecke ab (siehe Abb. 4.15). Obwohl der Körper sich sowohl in die radiale als auch in die Richtung senkrecht dazu bewegt, ist die von der Gravitationskraft geleistete Arbeit gleich der Projektion der Verschiebung auf die radiale Richtung mal die Kraft. Verschiebungsvektor F dr r1 r2 dr Änderung der radialen Komponente dW = F (r) · dr = GmE m 1 dr r2 Abbildung 4.15: Arbeit bei der Gravitationskraft. Damit erhalten wir, wobei r 1 = r1 er1 und r 2 = r2 er2 : 1 mv 22 2 1 mv 21 = 2 = Zr2 1r GmE m · dr = r2 r r1 | {z } GmE m = +GmE m GmE m Linienintegral ✓ ◆ r2 ✓ 1 r 1 r2 r1 1 r1 Zr2 dr r2 r1 | {z } Integral ◆ (4.115) Um die Fluchtgeschwindigkeit zu berechnen, nehmen wir an, dass die Geschwindigkeit des Körpers gegen null geht, wenn der Körper das Unendliche erreicht (v 2 ! 0, r2 ! 1 oder 1/r2 ! 0), v E = v 1 ist dann die Fluchtgeschwindigkeit von der Erdoberfläche (rE =Radius der Erde): 0 ✓ 1 2 mv E = GmE m 0 2 1 rE ◆ = GmE m 1 rE (4.116) 158 Physik, FS 2013, Prof. A. Rubbia (ETH Zürich) oder (unabhängig von der Masse des Körpers m) v 2E = 2GmE 2GmE rE = = 2grE , rE rE2 (4.117) wobei g die Erdbeschleunigung ist (Siehe Kap. 3.10.2). Schliesslich, p p vE = 2grE ⇡ 2 · (9,81 m/s2 ) (6370 km) ⇡ 11 km/s (4.118) Um die Erde zu verlassen, muss ein Körper auf der Erdoberfläche eine Geschwindigkeit von ungefähr 11 km/s besitzen. 4.12 Beziehung zwischen Kraft und potentieller Energie 4.12.1 Der Gradient In erster Ordnung kann die di↵erentielle Änderung einer Funktion f , die von einer Variablen abhängt, bei einer Änderung dx so ausgedrückt werden: ✓ ◆ ✓ ◆ df f (x + x) f (x) df = dx = lim dx (4.119) x!0 dx x Für eine Funktion f (x, y), die von zwei (unabhängigen) Variablen abhängt, können zwei Änderung betrachtet werden. Wenn y konstant gehalten wird, ist die Änderung der Funktion entlang x gleich: ✓ ◆ ✓ ◆ f (x + x, y) f (x, y) @f df |entlang dx = lim dx = dx (4.120) x!0 x @x In ähnlicher Weise, wenn x konstant gehalten wird, ist die Änderung der Funktion entlang y gleich: ✓ ◆ ✓ ◆ f (x, y + y) f (x, y) @f df |entlang dy = lim dy = dy (4.121) y!0 y @y Die Grössen in Klammern sind die partiellen Ableitungen der Funktion f . Wir betrachten nun die Situation, in der beide Variablen, x und y, sich ändern. Die gesamte Änderung der Funktion ist in diesem Fall gleich: f = f (x + x, y + y) f (x, y) (4.122) Wir können die Änderung so ausdrücken: f = f (x + x, y + y) + f (x, y + | y) {z ⌘0 f (x, y + y) f (x, y) } = (f (x + x, y + y) f (x, y + y)) + (f (x, y + ✓ ◆ ✓ ◆ @f (x, y + y) @f (x, y) = x+ y @x @y y) f (x, y)) (4.123) Physik, FS 2013, Prof. A. Rubbia (ETH Zürich) 159 Wir definieren die di↵erentielle Änderung der Funktion f (x, y) als: df = ✓ Wenn wir den Grenzwert @f (x, y) @x ◆ dx + x ! 0 und ✓ @f (x, y) @y ◆ dy (4.124) y ! 0 berechnen, dann gilt: f ! df (4.125) Im Allgemeinen kann die Berechnung der partiellen Ableitungen einer beliebigen Funktion von mehreren Variablen als eine Operation, die auf die Funktion wirkt, betrachtet werden. Diese Operation wird als der Gradient der Funktion bezeichnet: Der Gradient einer Funktion f (x, y, . . . ) mehrerer Variablen entspricht der Ableitung der Funktion nach den Variablen. Er wird mit Hilfe des Nabla-OperatorSymbols r bezeichnet. In 3 Dimensionen und in kartesischen Koordinaten erhalten wir für den Operator : ✓ ◆ @ @ @ r⌘ ex + ey + ez (4.126) @x @y @z und damit ist die Wirkung des Operators auf eine Funktion f (x, y, z) gleich dem Vektor: ✓ ◆ @f @f @f rf (x, y, z) ⌘ ex + ey + ez (4.127) @x @y @z Die Gradientenoperation kann als die “Umkehrung” des Linienintegrals betrachtet werden. 4.12.2 Die Kraft als Gradient der potentiellen Energie Allgemein können wir die geleistete Arbeit zwischen zwei Punkten 1 und 2 schreiben als die Di↵erenz der potentiellen Energien, gemessen an den Punkten 1 und 2: W12 = Epot = (Epot (r 2 ) Epot (r 1 )) (4.128) Es ist klar, dass die Funktion Epot vom Ort abhängt. Aus der Definition der potentiellen Energie folgt Epot = Epot (r 2 ) Epot (r 1 ) = W12 = Zr2 F · dr , (4.129) r1 Für infinitesimale Verschiebungen folgt daraus: dEpot = F · dr (4.130) 160 Physik, FS 2013, Prof. A. Rubbia (ETH Zürich) wobei dEpot der di↵erentiellen Änderung der potentiellen Energie über die infinitesimale Verschiebung dr entspricht. Wenn die Kraft in die x-Richtung wirkt, d.h., F = F x ex , (4.131) erhalten wir Fx ex · dr = dEpot = Fx ex · (dx ex + dy ey + dz ez ) = Fx dx (4.132) Die Kraft ist somit die negative Ableitung der potentiellen Energie nach der x-Koordinate: dEpot Fx = eindimensional (4.133) dx Wir finden z.B. für die Federkraft: ✓ ◆ dEpot d 1 2 Fx = = kx = kx (4.134) dx dx 2 Wenn die Kraft in eine beliebige Richtung zeigt, d.h., F = F x ex + F y ey + Fz ez , (4.135) erhalten wir dEpot = = (Fx ex + Fy ey + Fz ez ) · (dx ex + dy ey + dz ez ) (Fx dx + Fy dy + Fz dz) (4.136) = ( Fx dx) + ( Fy dy) + ( Fz dz) Die di↵erentielle Änderung der potentiellen Energie kann aber auch als Unterschied zwischen den potentiellen Energien in zwei benachbarten Punkten geschrieben werden: dEpot = Epot (r + dr) Epot (r) (4.137) d.h., dEpot = Epot (x + dx, y + dy, z + dz) Epot (x, y, z) (4.138) Wir können diese Änderung mit Hilfe der partiellen Ableitungen berechnen: ✓ ◆ @Epot (x, y, z) dEpot = dx + dy + dz @z (4.139) Der Vergleich der beiden Gleichungen zeigt, dass jede Komponente der Kraft gleich der negativen partiellen Ableitung der potentiellen Energie nach der @Epot (x, y, z) @x ◆ ✓ @Epot (x, y, z) @y ◆ ✓ Physik, FS 2013, Prof. A. Rubbia (ETH Zürich) 161 entsprechenden Koordinate sein muss: Fx = Fy = Fz = @Epot (x, y, z) @x @Epot (x, y, z) @y (4.140) @Epot (x, y, z) @z Diese drei Gleichungen können als eine einzige vektorielle Gleichung ausgedrückt werden. Die Kraft ist durch die partiellen Ableitungen der potentiellen Energie nach den drei Raumkoordinaten gegeben: ✓ ◆ @Epot @Epot @Epot F = ex + ey + ez (4.141) @x @y @z Mit der Definition des Gradienten finden wir (Siehe Gl. 4.127): Die Kraft ist gleich dem negativen Gradienten der potentiellen Energie: F = rEpot (4.142) Beispiel: Gravitationskraft in der Nähe der Erdoberfläche Die potentielle Energie in der Nähe der Erdoberfläche ist gleich Epot (x, y, z) = mgz , (4.143) wobei z die vertikale Koordinate (d.h., die Höhe) ist. Die entsprechende Gravitationskraft ist: ✓ ◆ @ @ @ F = rEpot = ex + ey + ez (mgz) (4.144) @x @y @z ✓ ◆ @z @z @z = mg ex + ey + ez (4.145) @x @y @z = mgez (4.146) Wie erwartet, ist die Gravitationskraft konstant, und sie zeigt nach unten. 4.12.3 Die geometrische Interpretation des Gradienten Wir betrachten die Bewegung eines Körpers, auf den nur konservative Kräfte wirken. Diese Kräfte können durch eine potentielle Energie dargestellt werden: Epot = Epot (r) = Epot (x, y, z) (4.147) 162 Physik, FS 2013, Prof. A. Rubbia (ETH Zürich) Wenn der Körper sich eine Strecke dr = (dx, dy, dz) bewegt, ändert sich seine potentielle Energie: dEpot = Epot (x + dx, y + dy, z + dz) Epot (x, y, z) (4.148) Wir können diese Änderung mit Hilfe der partiellen Ableitungen ausdrücken: dEpot = @Epot @Epot @Epot dx + dy + dz @x @y @z (4.149) oder dEpot = rEpot · (dx, dy, dz) = rEpot · dr (4.150) Mit dieser Beziehung können wir die folgenden Situationen diskutieren: 1. Wenn die Verschiebung dr in dieselbe Richtung wie der Gradient zeigt, ist die Änderung der potentiellen Energie positiv, und die potentielle Energie des Körpers nimmt maximal zu. 2. Wenn die Verschiebung dr senkrecht zum Gradienten steht, ist die Änderung der potentiellen Energie gleich null, und die potentielle Energie des Körpers bleibt konstant. 3. Wenn die Verschiebung dr in entgegengesetzte Richtung des Gradienten zeigt, ist die Änderung der potentiellen Energie negativ, und die potentielle Energie des Körpers nimmt ab. Der Gradient zeigt in die Richtung der maximalen Änderung der potentiellen Energie. Äquipotentiallinien. Wir betrachten die Flächen, die durch die folgende Gleichung definiert werden: Epot (r) = Epot (x, y, z) = konst. (4.151) Auf diesen Flächen ist die potentielle Energie konstant. Ein Körper, der sich auf einer solchen Fläche bewegt, wird eine konstante potentielle Energie besitzen. Wenn wir zwei Dimensionen betrachten, werden diese Flächen durch Höhenlinien dargestellt. Die Höhenlinien entsprechen den Linien, entlang welchen die potentielle Energie konstant ist. Wegen der Definition der Kraft, nämlich F = rEpot , (4.152) wird die Kraft abwärts und senkrecht zur Höhenlinie zeigen, da dEpot = rEpot dr = 0 wenn dr tangential zur Höhenlinie verläuft. (4.153) Physik, FS 2013, Prof. A. Rubbia (ETH Zürich) 4.13 163 Allgemeine potentielle Energie der Gravitationskraft Als wir die potentielle Energie der Gravitationskraft berechnet haben, haben wir benutzt, dass die Gewichtskraft konstant und gleich mg ist. Wir wissen, dass dies nur in der Nähe der Erde gilt. Allgemein ist die Gravitationskraft gleich GmE m r F = (4.154) r2 r wobei mE die Masse der Erde, und r der Abstandsvektor zwischen der Masse m und dem Erdzentrum ist. Wir wollen nun beweisen: Die allgemeine potentielle Energie, die der Gravitationskraft entspricht, ist gleich: GmE m GmE m Epot (r) = = (4.155) |r| r In diesem Fall ist der Nullpunkt der potentiellen Energie im Unendlichen. Wenn die Entfernung |r| ! 1, geht die potentielle Energie Epot (r) ! 0. Der Ortsvektor kann mit Hilfe seiner kartesischen Komponenten ausgedrückt werden r = xex + yey + zez . Wir müssen beweisen, dass gilt: F = ✓ @Epot @Epot @Epot ex + ey + ez @x @y @z d.h., F = r ✓ GmE m r ◆ ◆ = rEpot , ✓ ◆ 1 = GmE mr r (4.156) (4.157) Um den Gradienten zu bestimmen, berechnen wir jede Komponente getrennt: ✓ ◆ 1 @ 1 @ 1 @ 1 r = ex + ey + ez (4.158) r @x r @y r @z r Wir erhalten: @ 1 @ 1 = @x r @x (x2 + y 2 + z 2 )1/2 1 2 3/2 = x + y2 + z2 (2x) 2 x = r3 (4.159) Eine entsprechende Herleitung ergibt: @ 1 = @y r y r3 und @ 1 = @z r z r3 (4.160) 164 Physik, FS 2013, Prof. A. Rubbia (ETH Zürich) Damit haben wir bewiesen, dass gilt ✓ ◆ 1 r = r 1 (xex + yey + zez ) = r3 r = r3 1r r2 r (4.161) Wenn wir diese Beziehung benutzen, um die Kraft zu berechnen, finden wir ✓ ◆ 1 F = GmE mr = r GmE m r r2 r (4.162) 448 Physik, FS 2013, Prof. A. Rubbia (ETH Zürich)