Weber, Wirtschaft - Universität Bern

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Axel Tschentscher!
Universität Bern
Rechtsphilosophie
Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 1922.
[1]
Soziologie (im hier verstandenen Sinn dieses sehr vieldeutig gebrauchten Wortes) Erster Teil – I. § 1
soll heißen: eine Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und
dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will. »Handeln«
soll dabei ein menschliches Verhalten (einerlei ob äußeres oder innerliches Tun,
Unterlassen oder Dulden) heißen, wenn und insofern als der oder die Handelnden
mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden. »Soziales« Handeln aber soll ein solches
Handeln heißen, welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn
nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert
ist. [...]
[2]
Die Soziologie bildet – wie schon mehrfach als selbstverständlich vorausgesetzt –
Typen-Begriffe und sucht generelle Regeln des Geschehens. Im Gegensatz zur
Geschichte, welche die kausale Analyse und Zurechnung individueller, kulturwichtiger, Handlungen, Gebilde, Persönlichkeiten erstrebt. Die Begriffsbildung der Soziologie entnimmt ihr Material, als Paradigmata, sehr wesentlich, wenn auch keineswegs ausschließlich, den auch unter den Gesichtspunkten der Geschichte relevanten Realitäten des Handelns. [...] Damit mit diesen Worten etwas Eindeutiges gemeint sei, muß die Soziologie ihrerseits »reine« (»Ideal«-) Typen von Gebilden jener
Arten entwerfen, welche je in sich die konsequente Einheit möglichst vollständiger
Sinnadäquanz zeigen, eben deshalb aber in dieser absolut idealen reinen Form
vielleicht ebensowenig je in der Realität auftreten wie eine physikalische Reaktion,
die unter Voraussetzung eines absolut leeren Raums errechnet ist. [...]
[3]
Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Wil- Erster Teil – I. § 16
len auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.
Herrschaft soll heißen die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden; Disziplin soll heißen die Chance, kraft eingeübter Einstellung für einen Befehl prompten, automatischen und schematischen
Gehorsam bei einer angebbaren Vielheit von Menschen zu finden. [...]
[4]
»Herrschaft« soll, definitionsgemäß (Kap. I, § 16), die Chance heißen, für spezifi- Erster Teil – III. § 1
sche (oder: für alle) Befehle bei einer angebbaren Gruppe von Menschen Gehorsam zu finden. Nicht also jede Art von Chance, »Macht« und »Einfluß« auf andere
Menschen auszuüben. Herrschaft (»Autorität«) in diesem Sinn kann im Einzelfall auf
den verschiedensten Motiven der Fügsamkeit: von dumpfer Gewöhnung angefangen bis zu rein zweckrationalen Erwägungen, beruhen. Ein bestimmtes Minimum an
Gehorchenwollen, also: Interesse (äußerem oder innerem) am Gehorchen, gehört
zu jedem echten Herrschaftsverhältnis. [...] [J]ede Herrschaft über eine Vielzahl von
Menschen bedarf normalerweise (nicht: absolut immer) eines Stabes von Menschen
(Verwaltungsstab, s. Kap. I, § 12), d.h. der (normalerweise) verläßlichen Chance
eines eigens auf Durchführung ihrer generellen Anordnungen und konkreten Befehle eingestellten Handelns angebbarer zuverlässig gehorchender Menschen. [...]
Aber Sitte oder Interessenlage so wenig wie rein affektuelle oder rein wertrationale
Motive der Verbundenheit könnten verläßliche Grundlagen einer Herrschaft darstellen. Zu ihnen tritt normalerweise ein weiteres Moment: der Legitimitätsglaube.
[5]
Keine Herrschaft begnügt sich, nach aller Erfahrung, freiwillig mit den nur materiellen oder nur affektuellen oder nur wertrationalen Motiven als Chancen ihres Fortbestandes. Jede sucht vielmehr den Glauben an ihre »Legitimität« zu erwecken und
zu pflegen. Je nach der Art der beanspruchten Legitimität aber ist auch der Typus
des Gehorchens, des zu dessen Garantie bestimmten Verwaltungsstabes und der
Charakter der Ausübung der Herrschaft grundverschieden. Damit aber auch ihre
Wirkung. Mithin ist es zweckmäßig, die Arten der Herrschaft je nach dem ihnen typischen Legitimitätsanspruch zu unterscheiden.
[6]
Es gibt drei reine Typen legitimer Herrschaft. Ihre Legitimitätsgeltung kann nämlich Erster Teil – III. § 2
primär sein:
1. rationalen Charakters: auf dem Glauben an die Legalität gesatzter Ordnungen
und des Anweisungsrechts der durch sie zur Ausübung der Herrschaft Berufenen
ruhen (legale Herrschaft), – oder
2. traditionalen Charakters: auf dem Alltagsglauben an die Heiligkeit von jeher
geltender Traditionen und die Legitimität der durch sie zur Autorität Berufenen
ruhen (traditionale Herrschaft), – oder endlich
3. charismatischen Charakters: auf der außeralltäglichen Hingabe an die Heiligkeit
oder die Heldenkraft oder die Vorbildlichkeit einer Person und der durch sie offenbarten oder geschaffenen Ordnungen (charismatische Herrschaft).
Im Fall der satzungsmäßigen Herrschaft wird der legal gesatzten sachlichen unpersönlichen Ordnung und dem durch sie bestimmten Vorgesetzten kraft formaler Legalität seiner Anordnungen und in deren Umkreis gehorcht. Im Fall der traditionalen
Herrschaft wird der Person des durch Tradition berufenen und an die Tradition (in
deren Bereich) gebundenen Herrn kraft Pietät im Umkreis des Gewohnten gehorcht.
Im Fall der charismatischen Herrschaft wird dem charismatisch qualifizierten Führer
als solchem kraft persönlichen Vertrauens in Offenbarung, Heldentum oder Vorbildlichkeit im Umkreis der Geltung des Glaubens an dieses sein Charisma gehorcht.
[...]
[7]
In ihrer genuinen Form ist die charismatische Herrschaft spezifisch außeralltägli- Erster Teil – III. § 11
chen Charakters und stellt eine streng persönlich, an die Charisma-Geltung persönlicher Qualitäten und deren Bewährung, geknüpfte soziale Beziehung dar. Bleibt
diese nun aber nicht rein ephemer, sondern nimmt sie den Charakter einer Dauerbeziehung: – »Gemeinde« von Glaubensgenossen oder Kriegern oder Jüngern,
oder: Parteiverband, oder politischer, oder hierokratischer Verband – an, so muß die
charismatische Herrschaft, die sozusagen nur in statu nascendi in idealtypischer
Reinheit bestand, ihren Charakter wesentlich ändern: sie wird traditionalisiert oder
rationalisiert (legalisiert) oder: beides in verschiedenen Hinsichten. Die treibenden
Motive dafür sind die folgenden:
a) das ideelle oder auch materielle Interesse der Anhängerschaft an der Fortdauer
und steten Neubelebung der Gemeinschaft, –
b) das noch stärkere ideelle und noch stärkere materielle Interesse des Verwaltungsstabes: der Gefolgschaft, Jüngerschaft, Parteivertrauensmännerschaft usw.,
daran:
1. die Existenz der Beziehung fortzusetzen, – und zwar sie
2. so fortzusetzen, daß dabei die eigene Stellung ideell und materiell auf eine
dauerhafte Alltagsgrundlage gestellt wird: äußerlich Herstellung der FamilienExistenz oder doch der saturierten Existenz an Stelle der weltenthobenen familien- und wirtschaftsfremden »Sendungen«.
Diese Interessen werden typisch aktuell beim Wegfall der Person des CharismaTrägers und der nun entstehenden Nachfolgerfrage. Die Art, wie sie gelöst wird –
wenn sie gelöst wird und also: die charismatische Gemeinde fortbesteht (oder: nun
erst entsteht) – ist sehr wesentlich bestimmend für die Gesamtnatur der nun entstehenden sozialen Beziehungen. [...]
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