Schielzeth, H.: Mobilität von Tetrix subulata und T. undulata Mobilität von Tetrix subulata und T. undulata als Anpassung an die Dynamik der Aue HOLGER SCHIELZETH Einleitung Die Gruppe der Dornschrecken unterscheidet sich von anderen Heuschreckengruppen auffallend durch ihre Morphologie, Phänologie und Nahrungswahl (vgl. z.B. DEVRIESE 1996). Bei der Säbeldornschrecke Tetrix subulata (L.) handelt es sich um eine ursprüngliche Auenart, die an feuchtere Lebensräume (insbesondere für die Eientwicklung) gebunden ist. Demgegenüber besiedelt die Gewöhnliche Dornschrecke T. undulata (Sow.) ein breiteres Lebensraumspektrum, so z.B. Waldwege, Kahlschläge, Magerrasen, aber auch feuchtere Bereiche. Beide Dornschreckenarten gelten als Pionierbesiedler neu entstandener Lebensräume. Gleichzeitig wird allerdings für T. undulata eine geringe Mobilität angenommen (DEVRIESE 1996), während der i.d.R. flugfähigen T. subulata eine hohe Mobilität zugesprochen wird (GROENENDIJK & GROENENDIJK 1993, KLEUKERS 1993, DEVRIESE 1996). Im Rahmen des Studienprojektes „Emsaue“1 wurde die Mobilität der beiden Arten vergleichend untersucht. Mobilität kann eine - unter vielen möglichen - Anpassung an die wechselnden Lebensbedingungen in einer dynamischen Aue darstellen. Da bisher keine systematischen Untersuchungen zur Mobilität der beiden Arten vorliegen, wurden zum Vergleich auch Mobilitätsuntersuchungen anderer Heuschreckenarten herangezogen. Material und Methode Die Probefläche befand sich auf einem brachgefallenen ehemaligen Maisacker westlich des angeschlossenen Altarms Handorf II an der Ems im Stadtgebiet Münster. Kernbereich der Untersuchung bildet eine ca. 40x100 m große, feuchte Senke, die sich durch einen niedrigeren und lückigeren Bewuchs auszeichnete als der Rest der Brache. Auf der Suche nach abwandernden Individuen wurde die Untersuchungsfläche allmählich erweitert. Zur Orientierung wurde mit Holzpflöcken ein 10x10 m1 Raster über die Fläche gelegt, so dass eine punktgenaue Lokalisation der Funde problemlos möglich war. Die Untersuchungsfläche trocknete im Verlauf der Untersuchung stark aus. Während Anfang Mai noch kleinere Pfützen zu finden waren, war sie bereits Anfang Juni vollständig trocken. Methodische Grundlage der Mobilitätsuntersuchung bildete eine individuelle Markierung der Tiere mittels farbiger Punktkombinationen auf dem Pronotum (vgl. BUCHWEITZ & WALTER 1992). Dabei wurden im Laufe der Fangperiode (4. Mai bis 1. Juli 1999) an insgesamt 25 Tagen 255 T. subulataIndividuen und 152 T. undulata markiert. Wiederfänge gelangen von 109 T. subulata (Wiederfangrate 43 %) und 55 T. undulata (Wiederfangrate 36 %), wobei Einzelindividuen von ersterer bis zu sechsmal und von letzterer bis zu dreimal wiedergefangen wurden. Zu jedem Fang wurden Fundort, Geschlecht und bei T. subulata auch Größe und Färbung notiert. Ergebnisse und Diskussion Die Phänologie der beiden Arten unterschied sich auffallend. Während T. subulata ihr Maximum im Mai aufwies (oder bereits vor Beginn der Untersuchung im April) und im Juni rapide abnahm, baute sich die Population von T. undulata erst im Laufe des Mai auf und erreichte ihr Maximum um die Monatswende Mai/Juni. Das Geschlechterverhältnis Männchen:Weibchen betrug bei T. subulata 0,8:1 bei T. undulata 0,7:1. Die Ergebnisse mögen durch die leichtere Fangbarkeit der größeren und trägeren Weibchen leicht verzerrt sein. Von T. subulata wurden zwei auffallend unterschiedliche Morphen angetroffen. Es trat eine Gruppe brachypronotaler (und damit auch brachypterer) Individuen auf und eine mit langem Pronotum und langen Flügeln (Flügelüberstand mehr als 3 mm bei Männchen bzw. mehr als 2 mm Die ausführliche Ergebnisdarstellung ist dem Projektbereicht ‘Emsaue’ des Institus für Landschaftsökologie zu entnehmen. Dieser kann gegen einen Unkostenbeitrag von DM 12,- bezogen werden bei der Westfälische Wilhelms-Universität, Institut für Landschaftsökologie, Robert-Koch-Str. 26-28, 48149 Münster. 88 NUA-Seminarbericht Band 6 Emsauenschutz bei Weibchen). Zwischenformen fanden sich hingegen kaum. Der Anteil der brachypronotalen Individuen betrug 21% und lag bei Weibchen etwas höher als bei Männchen. Von T. undulata wurden nur brachypronotale Individuen gefunden. Es ist davon auszugehen, dass die makropteren Tiere flugfähig sind und funktionell der Ausbreitung der Art dienen (DETZEL 1998). Brachyptere T. undulata müssen als flugunfähig gelten. wurden (REICH 1991, RIETZKE 1994, ZÖLLER 1995). Für beide Arten waren die ermittelten Werte erstaunlich hoch, gerade im Vergleich mit anderen, überwiegend wesentlich größeren Arten (eine Übersicht über vergleichbare Untersuchungen findet sich bei INGRISCH & KÖHLER 1998). Bei beiden Arten zeigten Weibchen die Tendenz zu höheren Aktionsdistanzen als Männchen, was bei T. undulata besonders auffallend war. Bei T. subulata wurde erwartungsgemäß eine hohe Variabilität der Grundfärbung angetroffen. Sie reichte von weißgrauen über verschiedene Grauund Brauntöne bis zu fast schwarzen Individuen. Mittlere Färbungstypen waren am häufigsten zu finden, wobei Männchen tendenziell dunklere Farbtöne zeigten als Weibchen. Ebenso wie die Grundfärbung variierte auch dessen Musterung. Dabei wurden auch Musterungstypen festgestellt, die als typisch für T. ceperoi beschrieben wurden (PAUL 1988). Zur besseren Einordnung der gefundenen Aktionsdistanzen wurden auch die Entfernungen nach Zeitabständen ausgewertet (vgl. Abb. 1 u. 2). Danach lässt sich eine Grund- von einer Langzeitmobilität unterscheiden. Während erstere die Bewegungsentfernungen nach wenigen Stunden oder Tagen wiedergibt, steht letztere für die Abwanderung durch eine einheitliche Bewegungsrichtung über einen längeren Zeitraum. Methodische Schwierigkeiten ergaben sich, da die Erfassung der Langzeitmobilität sehr aufwendig ist und bei der begrenzten Untersuchungsfläche sicherlich unterschätzt wurde. Aus Abb. 1 ist ersichtlich, dass gerade die Grundmobilität von T. subulata sehr hoch ist. Bereits nach wenigen Stunden wurden Werte bis zu 35 m nachgewiesen. Demgegenüber fällt die Grundmobilität bei T. undulata (Abb. 2) deutlich geringer aus. Sie erreichte erst nach drei Tagen Strecken über 20 m. Ähnliches gilt auch für die brachyptere Morphe von T. subulata. Über einen längeren Zeitraum erreicht auch T. undulata weitere Entfernungen, doch ist der direkte Vergleich aufgrund der methodischen Schwierigkeiten bei der Erfassung der Langzeitmobilität problematisch. Bei allen Arten, Geschlechtern und Morphen wurden auch nach mehreren Wochen noch Tiere in unmit- Zur Abschätzung der Mobilität wurden zunächst die Aktionsdistanzen ermittelt. Bei der Aktionsdistanz handelt es sich um die maximale Entfernung zwischen zwei Fundpunkten eines Individuums (INGRISCH & KÖHLER 1998). Die Werte wurden jeweils zu 5m-Klassen zusammengefaßt und in Abb. 3 dargestellt. Bei T. subulata fällt ein gleichmäßig hoher Anteil im Bereich bis 25 m auf. Erst danach fallen die Werte ab, was auch durch die Grenzen der Untersuchungsfläche bedingt war. Bei T. undulata zeigt sich ein mehr zweigipfeliger Verlauf, mit einem Maximum bei 0-5 m und einem etwas geringeren Peak bei 20-25 m. Dies könnte für zwei unterschiedliche Mobilitätstypen sprechen, wie sie auch für andere Heuschreckenarten vermutet Abb. 1: Wiederfundentfernungen nach Zeitabständen für T. subulata. NUA-Seminarbericht Band 6 Abb. 2: Wiederfundentfernungen nach Zeitabständen für T. undulata. 89 Schielzeth, H.: Mobilität von Tetrix subulata und T. undulata telbarer Nähe eines früheren Fundortes wiedergefunden. Abb. 3: Aktionsdistanzen von T. subulata und T. undulata. Abb. 4: Bewegungsrichtungen von T. subulata (Summe der in 10°-Klassen zurückgelegten Einzelentfernungen). Abb. 5: Bewegungsrichtungen von T. undulata (Summe der in 10°-Klassen zurückgelegten Einzelentfernungen). 90 Die Bewegungsrichtungen beider Arten zeigten unterschiedliche Tendenzen (Abb. 3 u. 4). Bei T. subulata ließen sich zwei Hauptrichtungen (80150° und 240-310°) erkennen, was allerdings hauptsächlich durch die Lage der Untersuchungsfläche bedingt war (größere Ost-West-Ausdehnung). Demgegenüber zeigte T. undulata nur ein auffallendes Maximum im Bereich von 270-310°. Diese andere Vorzugsrichtung deutet darauf hin, daß T. undulata auf das Austrocknen der Untersuchungsfläche mit Abwanderung in Richtung Waldschatten reagierte. Insgesamt ist die Mobilität der beiden Heuschreckenarten während der Untersuchung als erstaunlich hoch zu bewerten. Dies könnte einerseits den Pioniercharakter beider Arten bestätigen. Andererseits ist sie aber in diesem speziellen Fall auch durch die zunehmende Austrocknung der Untersuchungsfläche bedingt, wodurch sich die Ernährungsbedingungen für Dornschrecken (Hauptnahrung sind Moose und Algen) verschlechterten und sie möglicherweise zur Abwanderung zwangen. Es wäre lohnenswert, in weiteren Untersuchungen mehr Details über das Ausbreitungsverhaltens und die Lebensraumnutzung zu ergründen. Jedenfalls können die beiden unauffälligen Dornschrecken aufgrund der Befunde nicht als ausgesprochen stationäre Arten gelten. Zusammenfassung Im Frühjahr 1999 wurden Populationen von Tetrix subulata und T. undulata auf einer Probefläche in der Emsaue (Stadt Münster) in Hinblick auf ihre Mobilität und ihren Populationsaufbau untersucht. Insgesamt wurden dazu 255 Tiere von T. subulata und 152 von T. undulata individuell markiert. Die Wiederfangrate betrug 43 bzw. 36 %, das Verhältnis Männchen zu Weibchen 0,8:1 bzw. 0,7:1. Bei T. subulata waren etwas 20 % der gefangenen Individuen der brachyptere Morphe zuzuordnen, wobei der Anteil bei Weibchen etwas höher lag als bei Männchen. Beide Dornschreckenarten zeigten eine erstaunlich hohe Mobilität. Hervorzuheben ist insbesondere die hohe Grundmobilität von T. subulata von etwa 40 m innerhalb sehr kurzer Zeiträume. Weibchen zeigten eine höhere Mobilität als Männchen, was besonders bei T. undulata NUA-Seminarbericht Band 6 Emsauenschutz auffiel. Die Mobilität der brachypteren Morphe von T. subulata war etwas geringer als die der makropteren Morphe. Beide Arten zeigen deutlich bevorzugte Bewegungsrichtungen. Es ist zu vermuten, dass die Dornschrecken bei zunehmender Austrocknung der Untersuchungsfläche gezielt mikroklimatisch günstigere Bereiche aufsucht haben. Literatur BUCHWEITZ, M. & WALTER, R. (1992): Individualmarkierung bei Heuschrecken - ein Erfahrungsbericht. - Articulata 7: 55-61. DEVRIESE, H. (1996): Bijdrage tot de systematiek, morfologie en biologie van de WestPalearktische Tetrigidae. - Saltabel 15: 2-38. DETZEL, P. (1998): Die Heuschrecken BadenWürttembergs. - Stuttgart. GROENENDIJK, D. & GROENENDIJK, M. (1993): Najaarsdispersie van doornsprinhanen (Tetrigidae)? - Saltabel 10: 19. INGRISCH, S. & KÖHLER, G. (1998): Die Heuschrecken Mitteleuropas. - Magdeburg. KLEUKERS, R. M. J. C. (1993): Het vliegvermogen van doornsprinkhanen. - Saltabel 9: 25. PAUL, J. (1988): Colour and pattern variation in Tetrix ceperoi Bolivar (Orthoptera: Tetrigidae): an aid to identification. Entomologist's Gazette 39: 133-139. REICH, M. (1991): Struktur und Dynamik einer Population von Bryodema tuberculata (Fabricius, 1775) (Saltatoria, Acrididae). Dissertation, Universität Ulm. RIETZE, J. (1994): Zum Ausbreitungsverhalten von Feldheuschrecken; Erfahrungen, Methoden und Ergebnisse. Articulata 9: 43-58. ZÖLLER, S. (1995): Untersuchungen zur Ökologie von Oedipoda germanica (Latreille, 1804) unter besonderer Berücksichtigung der Populationsstruktur, der Habitatbindung und der Mobilität. Articulata 10: 21-59. Anschrift des Verfassers: Holger Schielzeth Gertrudenstr. 22 48149 Münster [email protected] NUA-Seminarbericht Band 6 91