Sir Karl Raimund Popper

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Leonhard Rathner - [email protected]
Sir Karl Raimund Popper
(1902 - 1994)
Sir Karl Raimund Popper (1902-1994) war englischer Philosoph und
Wissenschaftstheoretiker österreichischer Abstammung. Er wurde insbesondere durch
seine Forschungen zur wissenschaftlichen Methodik und seine Kritik am historischen
Determinismus bekannt; darüber hinaus gilt er als Begründer des kritischen
Rationalismus.
Popper wurde am 28. Juli 1902 in Wien geboren. 1922 studierte er Mathematik und
Physik an der Universität Wien und war zeitweise als Tischler tätig. 1928 erhielt er von
der Wiener Universität den Doktortitel der Philosophie. Danach avancierte Popper zum
Verfechter des kritischen Rationalismus und zum führenden Kritiker der
neopositivistischen Philosophie des Wiener Kreises. Auch war er neben Hans Albert
wesentlich am Positivismusstreit mit der Frankfurter Schule beteiligt. Von 1937 bis 1945
lehrte er an der Canterbury University in Neuseeland und danach Wirtschaftstheorie an
der Londoner School of Economics, die er unter seiner Leitung zu einem international
renommierten Zentrum für Wirtschaftstheorie machte. Popper starb am 17. September
1994 in Croydon nahe London.
In seinem Hauptwerk Logik der Forschung (1934) stellt Popper das
Falsifikationsprinzip als Grundlage aller wissenschaftlichen Theoriebildung dar. Kein
wissenschaftliches System und keine wissenschaftliche Aussage kann danach absolute
Gültigkeit beanspruchen; es hat als Arbeitshypothese lediglich vorläufigen
Modellcharakter. Poppers gesellschaftsphilosophische Schrift The Open Society and Its
Enemies (1945, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde) ist eine glühende
Verteidigungsschrift für die Demokratie und gegen jede Form totalitärer Herrschaft.
Weitere Werke des Philosophen sind The Poverty of Historism (1957, Das Elend des
Historismus), Conjectures and Refutations (1963), Objective Knowledge (1972, Objektive
Erkenntnis) und The Self and his Brain (1977, mit John Carew Eccles, Das Ich und sein
Gehirn).
Die alten Griechen und die Tradition der kritischen Diskussion
Die Geschichte der Griechischen Philosophie von Thales bis zu Platon ist
einzigartig: In jeder Generation finden wir eine neue Philosophie, eine neue Kosmologie
von atemberaubender Originalität und Tiefe. Nach Popper ist das Geheimnis der alten
Griechen die Tradition der kritischen Diskussion gewesen.
In beinahe allen Zivilisationen findet man religiöse oder kosmologische Lehren.
Schulen, die auch oft vorkommen, haben alle eine charakteristische Struktur und
Funktion: Aufgabe einer solchen Schule ist es, die Tradition, die Lehre ihres Begründers,
ihres Meisters, der nächsten Generation weiterzugeben; und zu diesem Zweck ist es das
wichtigste, daß die Lehre unangetastet bleibt. Eine solche Schule läßt niemals eine neue
Idee zu.
Sollte ein Jünger einer solchen Schule versuchen, die Lehre zu ändern, so wird er
als Ketzer verstoßen. Dagegen nimmt der Ketzer typischerweise für sich in Anspruch,
daß er die wahre Lehre des Gründers vertritt und bewahrt. So gibt nicht einmal der
Erfinder selbst zu, daß er eine Erfindung gemacht hat.
Auf diese Art sind alle Änderungen der Lehre - sofern es überhaupt welche gibt verborgene Änderungen. Sie werden vorgeführt als die wiederhergestellten wahren
Worte des Meisters.
Natürlich kann es in einer solchen Schule keine rationale Diskussion geben.
Behauptungen, Dogmen und Verdammungsurteile siind die hauptsächlichen
Verteidigungsmittel für die Lehre.
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Die griechischen Philosophie (Ausnahme: Pythagoras - Pythagoreer) und ihre
Schulen unterscheiden sich von dem geschilderten dogmatischen Schultyp. Bei ihnen
kamen neue Ideen zur Sprache, und sie verdanken den Ursprung der offenen Kritik. Statt
Anonymität finden wir heute so eine Geschichte der Ideen und Urheber.
Nach Popper war es Thales, der die Tradition der rationalen Diskussion einführte.
Die Kritik seines Schülers Anaximander führte zu keinen Streitern. Thales hat die
Tradition begründet, daß man Kritik ertragen muß, er hatte sie auch selbst geduldet.
Nach Poppers Auffassen hat Thales sogar seine Schüler ermutigt, Kritik zu üben. Erst bei
ihm wurde eine Pluralität von Lehren zugelassen.
Das führte zur Einsicht, daß unsere Versuche, die Wahrheit zu sehen und zu
finden, nie endgültig sind, sondern ständig der Verbesserung fähig. Die Wahrheit kann
nie erreicht werden, aber die kritische Diskussion ist das einzige Mittel, um ihr näher zu
kommen.
Der kritische Rationalismus
Für Popper ist die kritische Tradition die einzige praktikable Methode, um unser
(Vermutungs- oder Hypothesen-) Wissen zu erweitern. Die Bedeutung von
Beobachtungen und Experimenten (die die Rolle kritischer Argumente einnehmen) hängt
gänzlich (!) von der Frage ab, ob sie dazu benutzt werden dürfen, um bestehende
Theorien zu kritisieren.
Daher kann die Überlegenheit einer Theorie gegenüber einer anderen
hauptsächlich nach folgendem Gesichtspunkten beurteilt werden: ob sie mehr erklärt und
ob sie gründlicher geprüft ist (d.h., ob man über sie ernsthafter und kritischer diskutiert
hat im Lichte von all dem, was wir wissen, von allen möglichen Einwänden, und
insbesondere auch von allen Beobachtungen und experimentellen Untersuchungen, die
wir entwerfen konnten mit dem Plan, die Theorie zu kritisieren und sie, wenn möglich, zu
widerlegen).
Theorien sind als Versuche, die Lösung eines Problems zu erraten, bestenfalls
eine Vermutung. Wir wissen nicht, sondern wir raten.
Nach Popper gibt es also keine induktive Erkenntniserfahrungen. Man kann von
Einzelfällen nicht auf das Allgemeine schließen.
Umfassender Rationalisums
Der umfassende (oder unkritische) Rationalismus läßt sich in Form des Prinzips
ausdrücken, daß jede Annahme zu verwerfen ist, die sich weder durch ein Argument
noch durch die Erfahrung stützen läßt. Das ergibt folglich einen Widerspruch, da sich der
umfassende Rationalismus selbst nicht durch Argumente oder Erfahrungen stützen läßt.
Der umfassende Rationalismus ist also nach Popper logisch unhaltbar.
Irrationalismus
Die rationalistische Einstellung ist dadurch charakterisiert, daß dem Argument und
der Erfahrung große Bedeutung beigemessen wird. Aber weder ein logisches Argument
noch die Erfahrung reichen aus zur Begründung der rationalistischen Einstellung; denn
nur Menschen, die bereit sind, Argumente oder Erfahrungen in Betracht zu ziehen (und
die daher bereits die rationalistische Einstellung angenommen haben), werden von ihnen
beeindruckt.
Also basiert jedes rationalistisches Denken auf einem irrationalen Schluß. Das
bedeutet, daß ein Mensch, der die rationalistische Einstellung annimmt, so handelt, weil
er, ohne rationale Überlegung, einen Vorschlag, einen Entschluß, einen Glauben oder ein
Verhalten akzeptiert hat, das daher seinerseits irrational genannt werden muß.
Ein unkritischer und umfassender Rationalismus ist logisch unhaltbar, ein
umfassender Irrationalismus ist logisch haltbar; aber das ist kein Grund, den letzten
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anzunehmen. Denn es gibt andere haltbare Positionen, insbesondere die Position des
kritischen Rationalismus, die den Umstand anerkennt, daß die rationalistische Einstellung
auf einem irrationalen Entschluß oder auf den Glauben an die Vernunft beruht. Es steht
uns also frei, eine kritische Form des Rationalismus zu wählen, eine Form, die offen ihre
Grenzen zugibt, die zugibt, daß sie auf einer irrationalen Entscheidung beruht (=
minimales Zugeständnis an den Irrationalismus).
Induktion
Schon Born hat gesagt, daß keine Beobachtung und kein Experiment, wie
ausgedehnt auch immer, mehr liefern kann als eine unendliche Zahl von
Wiederholungen. Auch Popper lehnt die Induktion als Erkenntniserfahrung ab.
Für ihn akzeptiert die Wissenschaft Gesetze und Theorien immer nur vorläufig (bis
bessere die anderen verdrängen). All unser Wissen sind "nur" Vermutungen und
Hypothesen. Und obwohl die Wahrheit einer Theorie nicht durch Experimente bewiesen
werden kann, kann ihre Falschheit aus empirischen Tatsachen sehr wohl abgeleitet
werden.
Bei einem induktiven Schluß wird von wiederholt beobachteten Fällen auf
unbeobachtete geschlossen, dabei ist es egal, ob der unbeobachtete Schluß prädiktiv
oder retrodiktiv ist. Sir Karl Popper stimmt mit vielen anderen Philosophen nicht überein,
daß die Induktion einfach eine Tatsache ist und daß sie auf jeden Fall gebraucht wird.
Auch die Überzeugung, daß wir die Induktion verwenden ist ein Irrtum. Popper behauptet,
daß wir eine Methode von Versuch und Fehlerausmerzung verwenden.
Der Induktionsapparat ist unnötig, wenn wir uns eingestehen, daß der Mensch
fehlbar ist. Damit geben wir auch den Vermutungscharakter der menschlichen Erkenntnis
zu.
Falsifikation
Die Frage, ob es gerechtfertigt ist, von Fällen, von denen wir Erfahrungswissen
haben, auf Fällen, von denen wir keine haben, oder auf die Wahrheit von Theorien zu
schließen, beantwortet Popper mit einem klaren nein. Aber es ist möglich von
Gegenbeispielen auf die Falschheit von Theorien zu schließen. Die Falsifikation (oder
Widerlegung) ist also ein Mittel, um falsche Theorien fallen zu lassen. Die Logik zwingt
uns, selbst das erfolgreichste Gesetz im gleichen Moment aufzugeben, wenn wir ein
einziges Gegenbeispiel akzeptieren.
Wenn eine Theorie noch nicht widerlegt ist, ist sie entweder wahr oder falsch, wir
können das nie sagen. "Eine Theorie mit einem großen informativen Gehalt ist im großen
und ganzen, sogar bevor sie geprüft wurde, interessanter als eine Theorie mit weniger
Gehalt. Zugegeben, wir müssen möglicherweise die Theorie mit dem größeren Gehalt,
oder, wie ich sie auch nenne, die kühnere Theorie, aufgeben, wenn sie Prüfungen nicht
standhält. Aber selbst in diesem Fall haben wir vielleicht mehr von ihr gelernt, als von
einer Theorie mit wenig Gehalt, denn falszifizierende Prüfungen können manchmal neue
und unerwartete Tatsachen und Probleme zum Vorschein bringen." "Du sollst kühne
Theorien mit großem informativen Gehalt ausprobieren und anstreben; und dann laß die
kühnen Theorien konkurrieren, indem du sie kritisch diskutierst und strengen Prüfungen
unterziehst."
Trotzdem sagt Popper, daß wir die bestgeprüfte Theorie als Grundlage für unser
Handeln bevorzugen, wir sollen uns aber nicht auf diese verlassen.
Kritik ist eine künstliche Verstärkung des Auslesedrucks. Nur durch Kritik können
falsche Theorien schnell als falsche fallengelassen werden. Wenn sich unter den
Theorien eine wahre befindet, wird sie überleben (aber wir werden nie die Gewißheit
haben, daß sie wahr ist).
Leonhard Rathner ([email protected])
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