Aus dem Programm Huber Psychologie Lehrtexte Wissenschaftlicher Beirat Prof. Dr. Dieter Frey, München Prof. Dr. Kurt Pawlik, Hamburg Prof. Dr. Meinrad Perrez, Freiburg (Schweiz) Prof. Dr. Hans Spada, Freiburg i.Br. © 2002 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Dieter Frey; Theorien der Sozialpsychologie, Band III; 978-3-456-83514-0. 2. Auflage. Im Verlag Hans Huber sind außerdem erschienen: Dieter Frey und Martin Irle (Hrsg.) Theorien der Sozialpsychologie Band I: Kognitive Theorien 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. 406 Seiten Dieter Frey und Martin Irle (Hrsg.) Theorien der Sozialpsychologie Band II: Gruppen-, Interaktions- und Lerntheorien 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. 424 Seiten © 2002 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Dieter Frey; Theorien der Sozialpsychologie, Band III; 978-3-456-83514-0. 2. Auflage. Dieter Frey / Martin Irle (Hrsg.) Theorien der Sozialpsychologie Band III Motivations-, Selbst- und Informationsverarbeitungstheorien 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage Verlag Hans Huber Bern · Göttingen · Toronto · Seattle © 2002 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Dieter Frey; Theorien der Sozialpsychologie, Band III; 978-3-456-83514-0. 2. Auflage. Adresse des Erstherausgebers: Prof. Dr. Dieter Frey Institut für Psychologie der Universität München Abt. Sozialpsychologie Leopoldstraße 13 D-80802 München Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Theorien der Sozialpsychologie / Dieter Frey / Martin Irle (Hg.). Bern ; Göttingen ; Toronto ; Seattle : Huber Bd. 3. Motivations-, Selbst- und Informationsverarbeitungstheorien. 2., vollst. überarb. und erw. Aufl. - 2002 (Aus dem Programm Huber: Psychologie Lehrtexte) ISBN 3-456-83514-0 1. Nachdruck 2009 der 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage 2002 © Verlag Hans Huber, Bern 2002 Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen sowie die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Lektorat: Peter Stehlin Herstellung: Kurt Thönnes, die Werkstatt, Liebefeld-Bern Anregungen und Zuschriften bitte an: Verlag Hans Huber, Länggass-Straße 76, CH-3000 Bern 9 Tel: 0041 (0)31 300 4500 / Fax: 0041 (0)31 300 4593 E-Mail: [email protected] / Internet: http://www:HansHuber.com Fotosatz und Repro: SatzTeam Berger, Ellwangen/Jagst Druck: Hubert & Co., Göttingen Printed in Germany © 2002 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Dieter Frey; Theorien der Sozialpsychologie, Band III; 978-3-456-83514-0. 2. Auflage. 5 Inhaltsverzeichnis Vorwort der Herausgeber zur Neuauflage von Band II und III 7 Motivationstheorien Die Theorie der kognizierten Kontrolle Dieter Frey und Eva Jonas 13 Theorien der modernen Zielpsychologie Gabriele Oettingen und Peter M. Gollwitzer 51 Theorien ideologischer Systeme: Autoritarismus und Soziale Dominanz Bernd Six 74 Theorien der Bewältigung Dirk Wentura, Werner Greve und Thomas Klauer 101 Systemtheorie in der Sozialpsychologie Klaus A. Schneewind und Martin Schmidt 126 Selbsttheorien Die Theorie des Selbstwertschutzes und der Selbstwerterhöhung Dirk Dauenheimer, Dagmar Stahlberg, Dieter Frey und Lars-Eric Petersen Das handelnde Selbst: Symbolische Selbstergänzung als zielgerichtete Selbstentwicklung Peter M. Gollwitzer, Ute C. Bayer und Robert A. Wicklund 159 191 Selbstdarstellungstheorie Hans D. Mummendey 212 Die Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan Petra Bles 234 © 2002 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Dieter Frey; Theorien der Sozialpsychologie, Band III; 978-3-456-83514-0. 2. Auflage. 6 Inhaltsverzeichnis Informationsverarbeitungstheorien Konzeptgesteuerte Informationsverarbeitung Herbert Bless und Norbert Schwarz 257 Prospekttheorie Renate Schmook, Jörg Bendrien, Dieter Frey und Michaela Wänke 279 Die Theorie der Laienepistemologie und weitere Modelle motivierten Denkens Andrea E. Abele und Guido H. E. Gendolla 312 Das Linguistische Kategorienmodell Klaus Fiedler und Gün R. Semin 334 Urteilsheuristiken Fritz Strack und Roland Deutsch 352 Autorenverzeichnis Sachwortregister Inhaltsverzeichnisse der Bände I und II 385 391 397 © 2002 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Dieter Frey; Theorien der Sozialpsychologie, Band III; 978-3-456-83514-0. 2. Auflage. 7 Vorwort der Herausgeber zur Neuauflage der Bände II und III Der Entwicklungsstand einer Wissenschaft ist danach zu beurteilen, wie sehr sie fähig ist, erklärungskräftige Theorien anzubieten. Nach wie vor halten wir an diesem Grundsatz fest, der uns auch in dem Entschluss bekräftigte, die Theorienbände II und III nun vollständig überarbeitet neu herauszugeben. Im deutschen genauso wie im internationalen Sprachraum gibt es bislang kaum Bücher, die sich dem Anspruch verpflichtet fühlen, einen Überblick über die bestehenden sozialpsychologischen Theorien zu vermitteln. Diese Lücke zu schließen war und ist Ziel des vorliegenden Werkes. Der Band I mit dem Titel «Kognitive Theorien der Sozialpsychologie» wurde erstmals 1978 herausgegeben und seitdem mehrfach neu aufgelegt. Eine vollständige Überarbeitung wurde zuletzt 1993 vorgenommen. Die Bände II und III der Theorien der Sozialpsychologie erschienen erstmals 1985. Trotz mehrerer Neuauflagen fehlte jedoch bisher eine substantielle Überarbeitung. In der sozialpsychologischen Forschung und Theorienbildung ist aber seitdem sehr viel passiert, was uns dazu bewogen hat, die Bände II und III der Theorien der Sozialpsychologie nun komplett neu herauszugeben. Einige der ursprünglich in den Bänden II und III enthaltenen Theorien finden sich aufgrund dieser Entwicklungen nicht mehr in dieser Neuauflage. Alle anderen bereits bestehenden Beiträge zu den verschiedenen Theorien wurden grundlegend überarbeitet, um neuere Forschungsergebnisse und gegenwärtige theoretische Strömungen zu integrieren. Des weiteren ist es uns gelungen, einige Beitrage zu klassischen genauso wie zu neueren Richtungen sozialpsychologischer Forschung zusätzlich aufnehmen zu können, die bisher in den Bänden II und III noch nicht abgedeckt waren: Hierzu gehören Beiträge über Theorien der modernen Zielpsychologie, Theorien interpersonaler Attraktion, Kreativität und Innovation, Theorien hilfreichen Verhaltens, Theorien aggressiven Verhalten, kulturvergleichende Sozialpsychologie, die Prospekttheorie, die Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan, das linguistische Kategorienmodell, Theorien der Bewältigung, Handlungstheorien sowie Theorien ideologischer Systeme. Diese Themen, deren Teilaspekte bisher in verschiedenen anderen Themenbereichen immer wieder von Bedeutung waren und dort Erwähnung fanden, werden nun in eigenständigen Kapiteln behandelt. Insgesamt gehen wir davon aus, dass die vorliegenden Bände nun erneut eine gute Ergänzung zu den bestehenden Lehrbüchern der Sozialpsychologie darstellen. Während nämlich die traditionellen Lehrbücher vorwiegend phänomenorientiert aufgebaut sind, © 2002 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Dieter Frey; Theorien der Sozialpsychologie, Band III; 978-3-456-83514-0. 2. Auflage. 8 Vorwort der Herausgeber also auf Phänomene wie Entscheidungen, Konflikte, Hilfeverhalten o. ä. fokussieren und die damit verbundenen unterschiedlichen Theorien und Forschungsergebnisse abhandeln, wird hier der umgekehrte Weg vorgeschlagen: Es werden Theorien vorgestellt und anschließend versucht, diese auf unterschiedliche Phänomene zu beziehen. Natürlich lässt es sich trotz dieses Vorsatzes nicht vermeiden, bestimmte Themen, wie z. B. Hilfeverhalten, Aggression oder Gruppenforschung phänomenorientiert anzugehen. Bei machen Theorien wird der eine oder andere vielleicht zunächst überrascht sein, warum diese nun gerade in einem Werk über die Sozialpsychologie aufgenommen wurden. Zu diesen zählt möglicherweise die Prospekttheorie. Es lässt sich jedoch nicht bestreiten, dass viele Phänomene, die mit Gesundheits- und Umweltverhalten zu tun haben (also Phänomene, mit denen sich die Sozialpsychologie auch beschäftigt) durch den Ansatz der Prospekttheorie erklärt werden können. Sicherlich weist die Forschung zur Prospekttheorie noch Lücken auf, wir gehen aber davon aus, dass dieser Ansatz das Potential besitzt, zu einer erklärungskräftigen Theorie ausgebaut werden zu können. Neu aufgenommen haben wir ein Kapitel über die Theorien der Bewältigung, weil wir der Meinung sind, dass dieser Ansatz in vielen anderen Theorien (etwa der Dissonanztheorie oder der Kontrolltheorie) relevant ist. Den Bereich Bindungstheorie und Bindungsforschung haben wir hinzugefügt, weil die damit verbundenen Theorien zwar in der Entwicklungspsychologie hochaktuell sind, in der Sozialpsychologie jedoch immer noch vernachlässigt werden, und das obwohl dieser Komplex viele Bezüge zu sozialpsychologischer Forschung aufweist. Soziale Interaktion ist unserer Ansicht nach besser zu verstehen, wenn die Vergangenheit der beteiligten Personen miteinbezogen wird. Dies ermöglich uns ein besseres Verständnis dafür, wodurch deren Bindungen zueinander geprägt sind. Dass vergangene Beziehungen letztlich auch die gegenwärtigen und zukünftigen Interaktionen beeinflussen, wird wohl nicht bezweifelt werden. Ein Großteil der bindungstheoretischen Forschungen bezieht sich zwar auf Kinder und deren Eltern, wobei v.a. die Mütter im Fokus stehen. Viele der hier entdeckten Zusammenhänge sind jedoch auch auf soziale Beziehungen in anderer Form, wie z. B. das Lehrer-Schüler-Verhältnis oder die Beziehungen zwischen Führungskraft und Mitarbeiter, generalisierbar. Auch Theorien über Kreativität und Innovation sind bisher in der Sozialpsychologie noch unterentwickelt. Da sie aber durch die Ideen der Globalisierung, des lebenslangen Lernens und der veränderten Arbeitswelt zunehmend an Bedeutung erfahren, wurde ein Beitrag über sie aufgenommen. Mancher Leser und manche Leserin mag sich wundern, warum wir in den «Theorien der Sozialpsychologie» nun auch einen Beitrag über die Systemtheorie bringen. Dahinter steht die Überzeugung, dass das systemtheoretische Denken in der (Sozial-)Psychologie teilweise noch zu wenig angewendet wird und viele «unserer» Theorien der Ver- © 2002 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Dieter Frey; Theorien der Sozialpsychologie, Band III; 978-3-456-83514-0. 2. Auflage. Vorwort der Herausgeber netzung nicht ausreichend Beachtung schenken. Dieser Beitrag mag Leser und Nutzanwender von (Sozial-)Psychologie dazu inspirieren, bestehendes Denken im Lichte der Systemtheorie neu zu bewerten und systemtheoretische Erkenntnisse bei der Formulierung (sozial-)psychologischer Theorien zu berücksichtigen. Neu hinzugekommen sind auch die Handlungstheorien. Hierbei handelt es sich weniger um eine Theorie, die Erleben und Verhalten vorhersagen möchte, als vielmehr um einen globalen Ansatz, der Aussagen darüber macht, wie Kognition, Emotion und soziales Verhalten zusammenhängen. Das Ziel der beiden nun neu herausgegeben Bände besteht erneut darin, ausgewählte Theorien zu präsentieren und gleichzeitig auch exemplarische Anwendungsgebiete aufzuzeigen. In Band II werden überwiegend Gruppen-, sowie Interaktions- und Lerntheorien und besprochen. In Band III haben wir eine Differenzierung zwischen Motivations-, Selbst- und Informationsverarbeitungstheorien vorgenommen. Sicherlich hätte die eine oder andere Theorie auch anders zugeordnet werden können – je nachdem, welche Kriterien man besonders in den Vordergrund stellen möchte; ebenso lassen sich Überschneidungen nicht vermeiden. Trotzdem erscheint es uns sinnvoll, die Theorien nach den hier vorgeschlagenen Kriterien zu ordnen. Jeder einzelne Beitrag wurde von Gutachtern, sowohl von studentischer Seite als auch aus dem Kollegenkreis, genauso wie durch die Herausgeber selbst, kritisch durchgesehen, korrigiert und anschließend von den jeweiligen Autoren erneut überarbeitet. Dadurch sollte eine Ausgewogenheit genauso wie eine gute Verständlichkeit sichergestellt werden. Insbesondere die Partizipation von Studierenden bei diesem Prozess sollte garantieren, dass das vorliegende Werk bei hohem fachlichen Niveau eine gut lesbare Grundlage für die Auseinandersetzung mit sozialpsychologischen Theorien darstellt. Zahlreiche studentische Mitarbeiter/-innen waren in diesen Prozess involviert. Hier seien insbesondere genannt: Frau Herzfeld, Frau Hirsch, Frau Promberger und Frau Schmidt. Ebenso beteiligten sich eine Vielzahl von Kollegen und Kolleginnen an der Optimierung der eingereichten Beiträge; besonders hervorheben möchten wir in diesem Zusammenhang Veronika Brandstätter, Felix Brodbeck, Peter Fischer, Elisabeth Frank, Verena Graupmann, Tobias Greitemeyer, Eva Jonas, Rudolf Kerschreiter, Andreas Mojzisch, Stefan Schulz-Hardt, Beate Schuster und Eva Traut-Mattausch. Wir bedanken uns bei ihnen allen für die Mitarbeit, für konstruktives Feedback und hilfreiche Kritik. Herzlich bedanken möchten wir uns auch bei jenen, die an der technischen Umsetzung beteiligt waren und ohne deren kontinuierliche Unterstützung eine Realisierung eines solchen Vorhabens nicht möglich gewesen wäre. Zu diesen «Helfern im Hintergrund» zählen Albrecht Schnabel, Michaela Bölt, Mara Doro Kleeblatt und insbesondere auch Martin Winkler. München, im Mai 2002 Dieter Frey / Martin Irle © 2002 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Dieter Frey; Theorien der Sozialpsychologie, Band III; 978-3-456-83514-0. 2. Auflage. 9 © 2002 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Dieter Frey; Theorien der Sozialpsychologie, Band III; 978-3-456-83514-0. 2. Auflage. Motivationstheorien © 2002 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Dieter Frey; Theorien der Sozialpsychologie, Band III; 978-3-456-83514-0. 2. Auflage. © 2002 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Dieter Frey; Theorien der Sozialpsychologie, Band III; 978-3-456-83514-0. 2. Auflage. 13 Die Theorie der kognizierten Kontrolle Dieter Frey und Eva Jonas 1 Einleitung Der Begriff kognizierte Kontrolle ist zu einem zentralen Begriff (sozial-) psychologischer Forschung geworden. Kontrolle wird definiert als die Überzeugung bzw. das Bestreben einer Person, erwünschte Zustände herbeiführen und aversive Zustände vermeiden oder zumindest reduzieren zu können (Skinner, 1996), sei es durch aktive Einflussnahme (tatsächliche Veränderung des Ist-Zustandes – auch primäre Kontrolle genannt) oder durch Kognitionen zur subjektiven Veränderung des Ist- oder Soll-Zustandes (auch sekundäre Kontrolle genannt). Die Idee, dass Personen bestrebt sind, Ereignisse und Zustände in ihrer Umwelt kontrollieren zu können, wurde schon früh von verschiedenen Autoren erwähnt (z. B. Nietzsche, 1912; Adler, 1929). Die bekanntesten Wurzeln einer Kontrollmotivation stammen aber von White (1959) und DeCharms (1968). Beide nehmen an, dass eine Motivation besteht, sich selbst als Verursacher von Handlungen und Veränderungen in der Umwelt zu erleben («Effizienzmotivation», White, 1959), und dass daraus entsprechende Erfahrungen von Gefühlen eigener Wirksamkeit und Kompetenz (White, 1959) bzw. persönlicher Verursachung (DeCharms, 1968) resultieren. Besondere Bedeutung hat das Konzept der Kontrollmotivation innerhalb der Attributionstheorie erhalten. Unter dem Stichwort des funktionalistischen Ansatzes wird die Annahme diskutiert, Attributionen würden so vorgenommen, dass sie der attribuierenden Person die Umwelt als kontrollierbar erscheinen lassen (Bains, 1983; Kelley, 1967; Wortman, 1976). Hinter dem Kontrollmotiv stehen Bedürfnisse nach Autonomie, Selbstwirksamkeit, Kompetenz und Selbstbestimmung. Auch erste empirische Belege für die nachteiligen Auswirkungen des Fehlens von Kontrolle oder der Erfahrung von gelernter Hilflosigkeit wurden bereits relativ früh, zunächst in Tierexperimenten, erbracht (Mowrer & Viek, 1948; Richter, 1957). So schwammen beispielsweise Ratten, die zuvor die Erfahrung gemacht hatten, dass sie aus einem Wasserbassin entkommen konnten, bis zu 60 Stunden, um nicht zu ertrinken, während Ratten, welche die Erfahrung des Entkommen-Könnens zuvor nicht gemacht hatten, häufig schon nach kurzen, turbulenten Auswegsuchen aufgaben («sudden death phenomenon», Richter, 1957). Die Erfahrung, negative Zustände nicht mehr beeinflussen zu können, kann also dramatische Konsequenzen haben. © 2002 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Dieter Frey; Theorien der Sozialpsychologie, Band III; 978-3-456-83514-0. 2. Auflage. 14 Motivationstheorien Im Humanbereich berichten verschiedene Autoren über Beobachtungen an Kriegsgefangenen, Insassen nationalsozialistischer Konzentrationslager, Patienten psychiatrischer Anstalten sowie an verwitweten Personen (Bettelheim, 1943; Engel, 1968; Lefcourt, 1973; Seligman, 1975), denen zufolge Hilflosigkeitserfahrungen bzw. die Wahrnehmung, eigene aversive Lebenssituationen nicht verändern zu können, zu Apathie und Rückzug bis hin zu medizinisch ungeklärten Todesfällen führen können. Die früheren unsystematischen Beobachtungen wurden in den sechziger Jahren durch kontrollierte Labor- und Feldexperimente abgelöst, die sich differenziert mit den Folgen von Kontrollverlust sowie mit dem Bestreben von Personen, Einflussmöglichkeiten herzustellen, auseinander setzten. Diesen Forschungsarbeiten liegt allerdings nicht eine einheitliche und umfassende Theorie zugrunde, sondern verschiedene theoretische Ansätze, die zu mehr oder weniger umfassenden Teilaspekten des skizzierten Gegenstandsbereiches kognizierter Kontrolle formuliert wurden. Dennoch lassen sich eine Reihe grundlegender Konzepte und Hypothesen identifizieren. Diese sollen in dem folgenden Beitrag dargestellt und anhand empirischer Forschungsarbeiten diskutiert werden. Im folgenden wird zunächst der Begriff der kognizierten Kontrolle definiert und Hypothesen zur Kontrolle abgeleitet. Danach wird ein Überblick über eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Phänomene gegeben, in denen sich widerspiegelt, welchen bedeutenden Einfluss Kontrolle auf menschliches Erleben und Verhalten hat. Im Anschluss daran werden die Formen kognizierter Kontrolle im einzelnen betrachtet und in den Kontext empirischer Forschung eingebettet. Danach werden die Auswirkungen von Kontrollverlust und Versuche, Kontrolle wiederherzustellen, analysiert. Abschließend soll exemplarisch anwendungsorientierte Forschung im Rahmen der Theorie der kognizierten Kontrolle dargestellt werden. 2 Definitionen und Hypothesen In der Psychologie gibt es zahlreiche und zum Teil recht unterschiedliche Definitionen von Kontrolle (vgl. als Überblick Skinner, 1996). Zumeist wird «Kontrolle» darüber definiert, dass Menschen überzeugt sind, gewünschte Ereignisse herbeiführen und unerwünschte Ereignisse vermeiden zu können (z. B. Brickman et al., 1982; Skinner, 1990; Skinner, Chapman & Baltes, 1988). In der Definition von Glass und Carver (1980) wird die Wahrnehmung von Kontingenzen zwischen Verhalten und Ereignissen als Voraussetzung für die Beeinflussbarkeit von Ereignissen ergänzt: «The concept of control may be defined in terms of perceptions of contingencies. If a person perceives a contingency between his behaviors and an outcome […] the outcome is considered controllable. By contrast, if a person believes that his actions do not influence the outcome, the outcome is considered uncontrollable» (Glass & Carver, 1980, S. 232). Die meisten Autoren betrachten bei der Definition von Kontrolle die subjektive Überzeugung oder Wahrnehmung eines Individuums, über Kontrolle zu verfügen, und nicht die tatsächliche bzw. in einer konkreten Situation objektiv vorhandene Kontrolle © 2002 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Dieter Frey; Theorien der Sozialpsychologie, Band III; 978-3-456-83514-0. 2. Auflage. Die Theorie der kognizierten Kontrolle als entscheidend, was in der Verwendung von Begriffen wie wahrgenommene Kontrolle, psychologische Kontrolle oder – wie in diesem Beitrag – kognizierte Kontrolle zum Ausdruck kommt. Die Auffassung von Kontrollierbarkeit als subjektive Wahrnehmung oder Empfindung einer Person trägt Forschungsergebnissen Rechnung, nach denen subjektiv wahrgenommene Kontrollmöglichkeiten weder tatsächlich bestehen müssen (Illusion von Kontrolle) noch tatsächlich ausgeübt werden müssen (potentielle Kontrolle), um das Erleben und Verhalten von Personen zu beeinflussen. Umgekehrt verdeutlichen die Forschungen zur Theorie der gelernten Hilflosigkeit – einem der umfangreichsten theoretischen Ansätze innerhalb der Forschung zu kognizierter Kontrolle –, dass objektiv vorhandene Kontrollmöglichkeiten nicht ausgenützt werden, wenn das Individuum Handlungs-Ergebnis-Kontingenzen nicht wahrnimmt. Langer (1979, S. 306) führt diesbezüglich aus, dass «fast alle Untersuchungen zur Bedeutung von Kontrolle […] darin übereinstimmen, dass die Effekte objektiven Kontrollgewinns oder aber objektiven Kontrollverlusts psychologisch nur dann einen Unterschied machen, wenn die betreffende Person den Kontrollgewinn bzw. Kontrollverlust auch erkennt (unabhängig davon, ob es korrekt ist oder nicht)». Viele Theoretiker gehen wie Langer davon aus, dass wahrgenommene Kontrolle bzw. Kontrollierbarkeit ein besserer Prädiktor der Funktionsfähigkeit von Individuen ist als die tatsächliche Kontrolle. Selbst wenn keine reale (objektive) Kontrolle besteht, reicht die Überzeugung einer Person bereits aus, sie sei im Besitz der Kontrolle, um bestimmte Handlungen zu erzeugen und das Antriebsniveau zu steigern (Averill, 1973). Neben der relativ engen Auffassung von Kontrolle als Wahrnehmung der Möglichkeit zur Einflussnahme auf Ereignisse oder Zustände durch eine instrumentelle Handlung (Verhaltenskontrolle), auf die sich die bisher genannten Auffassungen bezogen, wurden von anderen Autoren sehr viel umfassendere Konzeptionen des Kontrollbegriffes vorgelegt. So definiert z. B. Thompson (1981) Kontrolle als die Überzeugung einer Person, ihr stünde eine Reaktionsmöglichkeit zur Verfügung, durch die die Aversivität eines Ereignisses reduziert werden könne, und unterscheidet dabei vier Arten von Kontrolle, nämlich Verhaltenskontrolle, Informationskontrolle, kognitive Kontrolle und retrospektive Kontrolle. Kontrolle wird nach Thompson also nicht nur dann erlebt, wenn eine Person ein Ereignis tatsächlich beeinflussen kann (Verhaltenskontrolle), sondern auch wenn sie über Strategien verfügt, sich an ein Ereignis durch Uminterpretation des Ist- oder Soll-Zustandes anzupassen (kognitive Kontrolle), und auch dann, wenn sie ein (aversives) Ereignis lediglich vorhersehen (Informationskontrolle) oder ein bereits eingetretenes Ereignis erklären kann (retrospektive Kontrolle), (für weitere bzw. ähnlich umfassende Konzeptionen siehe auch Averill, 1973; Fiske & Taylor, 1991; Frey, Kumpf, Ochsmann, Rost-Schaude & Sauer, 1977). Die Unterscheidung zwischen primärer und sekundärer Kontrolle (J. Heckhausen & Schulz, 1995; Weisz, Rothbaum & Blackburn, 1984) ist ein weiteres Beispiel für eine umfassendere Definition von Kontrolle. Während primäre Kontrolle ähnlich wie der Begriff der Verhaltenskontrolle in den obigen Konzepten bedeutet, dass eine Person ihre Umwelt entsprechend ihren Zielen zu gestalten bzw. zu beeinflussen sucht, beschreibt das Konzept der sekundären Kontrolle, dass das Individuum versucht, sich an © 2002 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Dieter Frey; Theorien der Sozialpsychologie, Band III; 978-3-456-83514-0. 2. Auflage. 15