Theorien der Sozialpsychologie Band III Motivations

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Aus dem Programm Huber
Psychologie Lehrtexte
Wissenschaftlicher Beirat
Prof. Dr. Dieter Frey, München
Prof. Dr. Kurt Pawlik, Hamburg
Prof. Dr. Meinrad Perrez, Freiburg (Schweiz)
Prof. Dr. Hans Spada, Freiburg i.Br.
© 2002 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern
Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden.
Aus: Dieter Frey; Theorien der Sozialpsychologie, Band III; 978-3-456-83514-0. 2. Auflage.
Im Verlag Hans Huber sind außerdem erschienen:
Dieter Frey und Martin Irle (Hrsg.)
Theorien der Sozialpsychologie
Band I: Kognitive Theorien
2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. 406 Seiten
Dieter Frey und Martin Irle (Hrsg.)
Theorien der Sozialpsychologie
Band II: Gruppen-, Interaktions- und Lerntheorien
2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. 424 Seiten
© 2002 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern
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Dieter Frey / Martin Irle (Hrsg.)
Theorien der
Sozialpsychologie
Band III
Motivations-, Selbst- und
Informationsverarbeitungstheorien
2., vollständig überarbeitete und
erweiterte Auflage
Verlag Hans Huber
Bern · Göttingen · Toronto · Seattle
© 2002 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern
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Adresse des Erstherausgebers:
Prof. Dr. Dieter Frey
Institut für Psychologie der Universität München
Abt. Sozialpsychologie
Leopoldstraße 13
D-80802 München
Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme
Theorien der Sozialpsychologie / Dieter Frey / Martin Irle (Hg.). Bern ; Göttingen ; Toronto ; Seattle : Huber
Bd. 3. Motivations-, Selbst- und Informationsverarbeitungstheorien. 2., vollst. überarb. und erw. Aufl. - 2002
(Aus dem Programm Huber: Psychologie Lehrtexte)
ISBN 3-456-83514-0
1. Nachdruck 2009 der 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage 2002
© Verlag Hans Huber, Bern 2002
Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt.
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Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für
Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen sowie die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Lektorat: Peter Stehlin
Herstellung: Kurt Thönnes, die Werkstatt, Liebefeld-Bern
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5
Inhaltsverzeichnis
Vorwort der Herausgeber zur Neuauflage von Band II und III
7
Motivationstheorien
Die Theorie der kognizierten Kontrolle
Dieter Frey und Eva Jonas
13
Theorien der modernen Zielpsychologie
Gabriele Oettingen und Peter M. Gollwitzer
51
Theorien ideologischer Systeme: Autoritarismus und Soziale Dominanz
Bernd Six
74
Theorien der Bewältigung
Dirk Wentura, Werner Greve und Thomas Klauer
101
Systemtheorie in der Sozialpsychologie
Klaus A. Schneewind und Martin Schmidt
126
Selbsttheorien
Die Theorie des Selbstwertschutzes und der Selbstwerterhöhung
Dirk Dauenheimer, Dagmar Stahlberg, Dieter Frey und Lars-Eric Petersen
Das handelnde Selbst: Symbolische Selbstergänzung als zielgerichtete
Selbstentwicklung
Peter M. Gollwitzer, Ute C. Bayer und Robert A. Wicklund
159
191
Selbstdarstellungstheorie
Hans D. Mummendey
212
Die Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan
Petra Bles
234
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Inhaltsverzeichnis
Informationsverarbeitungstheorien
Konzeptgesteuerte Informationsverarbeitung
Herbert Bless und Norbert Schwarz
257
Prospekttheorie
Renate Schmook, Jörg Bendrien, Dieter Frey und Michaela Wänke
279
Die Theorie der Laienepistemologie und weitere Modelle motivierten Denkens
Andrea E. Abele und Guido H. E. Gendolla
312
Das Linguistische Kategorienmodell
Klaus Fiedler und Gün R. Semin
334
Urteilsheuristiken
Fritz Strack und Roland Deutsch
352
Autorenverzeichnis
Sachwortregister
Inhaltsverzeichnisse der Bände I und II
385
391
397
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7
Vorwort der Herausgeber zur Neuauflage
der Bände II und III
Der Entwicklungsstand einer Wissenschaft ist danach zu beurteilen, wie sehr sie fähig
ist, erklärungskräftige Theorien anzubieten. Nach wie vor halten wir an diesem Grundsatz fest, der uns auch in dem Entschluss bekräftigte, die Theorienbände II und III nun
vollständig überarbeitet neu herauszugeben. Im deutschen genauso wie im internationalen Sprachraum gibt es bislang kaum Bücher, die sich dem Anspruch verpflichtet
fühlen, einen Überblick über die bestehenden sozialpsychologischen Theorien zu vermitteln. Diese Lücke zu schließen war und ist Ziel des vorliegenden Werkes.
Der Band I mit dem Titel «Kognitive Theorien der Sozialpsychologie» wurde erstmals
1978 herausgegeben und seitdem mehrfach neu aufgelegt. Eine vollständige Überarbeitung wurde zuletzt 1993 vorgenommen. Die Bände II und III der Theorien der Sozialpsychologie erschienen erstmals 1985. Trotz mehrerer Neuauflagen fehlte jedoch bisher eine substantielle Überarbeitung. In der sozialpsychologischen Forschung und
Theorienbildung ist aber seitdem sehr viel passiert, was uns dazu bewogen hat, die
Bände II und III der Theorien der Sozialpsychologie nun komplett neu herauszugeben.
Einige der ursprünglich in den Bänden II und III enthaltenen Theorien finden sich aufgrund dieser Entwicklungen nicht mehr in dieser Neuauflage. Alle anderen bereits bestehenden Beiträge zu den verschiedenen Theorien wurden grundlegend überarbeitet,
um neuere Forschungsergebnisse und gegenwärtige theoretische Strömungen zu integrieren. Des weiteren ist es uns gelungen, einige Beitrage zu klassischen genauso wie zu
neueren Richtungen sozialpsychologischer Forschung zusätzlich aufnehmen zu können, die bisher in den Bänden II und III noch nicht abgedeckt waren: Hierzu gehören
Beiträge über Theorien der modernen Zielpsychologie, Theorien interpersonaler Attraktion, Kreativität und Innovation, Theorien hilfreichen Verhaltens, Theorien aggressiven Verhalten, kulturvergleichende Sozialpsychologie, die Prospekttheorie, die
Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan, das linguistische Kategorienmodell,
Theorien der Bewältigung, Handlungstheorien sowie Theorien ideologischer Systeme.
Diese Themen, deren Teilaspekte bisher in verschiedenen anderen Themenbereichen
immer wieder von Bedeutung waren und dort Erwähnung fanden, werden nun in eigenständigen Kapiteln behandelt.
Insgesamt gehen wir davon aus, dass die vorliegenden Bände nun erneut eine gute Ergänzung zu den bestehenden Lehrbüchern der Sozialpsychologie darstellen. Während
nämlich die traditionellen Lehrbücher vorwiegend phänomenorientiert aufgebaut sind,
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Vorwort der Herausgeber
also auf Phänomene wie Entscheidungen, Konflikte, Hilfeverhalten o. ä. fokussieren und
die damit verbundenen unterschiedlichen Theorien und Forschungsergebnisse abhandeln, wird hier der umgekehrte Weg vorgeschlagen: Es werden Theorien vorgestellt und
anschließend versucht, diese auf unterschiedliche Phänomene zu beziehen. Natürlich
lässt es sich trotz dieses Vorsatzes nicht vermeiden, bestimmte Themen, wie z. B. Hilfeverhalten, Aggression oder Gruppenforschung phänomenorientiert anzugehen.
Bei machen Theorien wird der eine oder andere vielleicht zunächst überrascht sein, warum diese nun gerade in einem Werk über die Sozialpsychologie aufgenommen wurden. Zu diesen zählt möglicherweise die Prospekttheorie. Es lässt sich jedoch nicht bestreiten, dass viele Phänomene, die mit Gesundheits- und Umweltverhalten zu tun
haben (also Phänomene, mit denen sich die Sozialpsychologie auch beschäftigt) durch
den Ansatz der Prospekttheorie erklärt werden können. Sicherlich weist die Forschung
zur Prospekttheorie noch Lücken auf, wir gehen aber davon aus, dass dieser Ansatz das
Potential besitzt, zu einer erklärungskräftigen Theorie ausgebaut werden zu können.
Neu aufgenommen haben wir ein Kapitel über die Theorien der Bewältigung, weil wir
der Meinung sind, dass dieser Ansatz in vielen anderen Theorien (etwa der Dissonanztheorie oder der Kontrolltheorie) relevant ist.
Den Bereich Bindungstheorie und Bindungsforschung haben wir hinzugefügt, weil die
damit verbundenen Theorien zwar in der Entwicklungspsychologie hochaktuell sind,
in der Sozialpsychologie jedoch immer noch vernachlässigt werden, und das obwohl
dieser Komplex viele Bezüge zu sozialpsychologischer Forschung aufweist. Soziale
Interaktion ist unserer Ansicht nach besser zu verstehen, wenn die Vergangenheit der
beteiligten Personen miteinbezogen wird. Dies ermöglich uns ein besseres Verständnis
dafür, wodurch deren Bindungen zueinander geprägt sind. Dass vergangene Beziehungen letztlich auch die gegenwärtigen und zukünftigen Interaktionen beeinflussen, wird
wohl nicht bezweifelt werden. Ein Großteil der bindungstheoretischen Forschungen
bezieht sich zwar auf Kinder und deren Eltern, wobei v.a. die Mütter im Fokus stehen.
Viele der hier entdeckten Zusammenhänge sind jedoch auch auf soziale Beziehungen in
anderer Form, wie z. B. das Lehrer-Schüler-Verhältnis oder die Beziehungen zwischen
Führungskraft und Mitarbeiter, generalisierbar.
Auch Theorien über Kreativität und Innovation sind bisher in der Sozialpsychologie
noch unterentwickelt. Da sie aber durch die Ideen der Globalisierung, des lebenslangen
Lernens und der veränderten Arbeitswelt zunehmend an Bedeutung erfahren, wurde
ein Beitrag über sie aufgenommen.
Mancher Leser und manche Leserin mag sich wundern, warum wir in den «Theorien
der Sozialpsychologie» nun auch einen Beitrag über die Systemtheorie bringen. Dahinter steht die Überzeugung, dass das systemtheoretische Denken in der (Sozial-)Psychologie teilweise noch zu wenig angewendet wird und viele «unserer» Theorien der Ver-
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Vorwort der Herausgeber
netzung nicht ausreichend Beachtung schenken. Dieser Beitrag mag Leser und Nutzanwender von (Sozial-)Psychologie dazu inspirieren, bestehendes Denken im Lichte der
Systemtheorie neu zu bewerten und systemtheoretische Erkenntnisse bei der Formulierung (sozial-)psychologischer Theorien zu berücksichtigen.
Neu hinzugekommen sind auch die Handlungstheorien. Hierbei handelt es sich weniger um eine Theorie, die Erleben und Verhalten vorhersagen möchte, als vielmehr um
einen globalen Ansatz, der Aussagen darüber macht, wie Kognition, Emotion und soziales Verhalten zusammenhängen.
Das Ziel der beiden nun neu herausgegeben Bände besteht erneut darin, ausgewählte
Theorien zu präsentieren und gleichzeitig auch exemplarische Anwendungsgebiete
aufzuzeigen. In Band II werden überwiegend Gruppen-, sowie Interaktions- und Lerntheorien und besprochen. In Band III haben wir eine Differenzierung zwischen Motivations-, Selbst- und Informationsverarbeitungstheorien vorgenommen. Sicherlich
hätte die eine oder andere Theorie auch anders zugeordnet werden können – je nachdem, welche Kriterien man besonders in den Vordergrund stellen möchte; ebenso lassen sich Überschneidungen nicht vermeiden. Trotzdem erscheint es uns sinnvoll, die
Theorien nach den hier vorgeschlagenen Kriterien zu ordnen.
Jeder einzelne Beitrag wurde von Gutachtern, sowohl von studentischer Seite als auch
aus dem Kollegenkreis, genauso wie durch die Herausgeber selbst, kritisch durchgesehen, korrigiert und anschließend von den jeweiligen Autoren erneut überarbeitet. Dadurch sollte eine Ausgewogenheit genauso wie eine gute Verständlichkeit sichergestellt
werden. Insbesondere die Partizipation von Studierenden bei diesem Prozess sollte garantieren, dass das vorliegende Werk bei hohem fachlichen Niveau eine gut lesbare
Grundlage für die Auseinandersetzung mit sozialpsychologischen Theorien darstellt.
Zahlreiche studentische Mitarbeiter/-innen waren in diesen Prozess involviert. Hier
seien insbesondere genannt: Frau Herzfeld, Frau Hirsch, Frau Promberger und Frau
Schmidt. Ebenso beteiligten sich eine Vielzahl von Kollegen und Kolleginnen an der Optimierung der eingereichten Beiträge; besonders hervorheben möchten wir in diesem
Zusammenhang Veronika Brandstätter, Felix Brodbeck, Peter Fischer, Elisabeth Frank,
Verena Graupmann, Tobias Greitemeyer, Eva Jonas, Rudolf Kerschreiter, Andreas Mojzisch, Stefan Schulz-Hardt, Beate Schuster und Eva Traut-Mattausch. Wir bedanken uns
bei ihnen allen für die Mitarbeit, für konstruktives Feedback und hilfreiche Kritik. Herzlich bedanken möchten wir uns auch bei jenen, die an der technischen Umsetzung beteiligt waren und ohne deren kontinuierliche Unterstützung eine Realisierung eines
solchen Vorhabens nicht möglich gewesen wäre. Zu diesen «Helfern im Hintergrund»
zählen Albrecht Schnabel, Michaela Bölt, Mara Doro Kleeblatt und insbesondere auch
Martin Winkler.
München, im Mai 2002
Dieter Frey / Martin Irle
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Motivationstheorien
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Die Theorie der kognizierten Kontrolle
Dieter Frey und Eva Jonas
1
Einleitung
Der Begriff kognizierte Kontrolle ist zu einem zentralen Begriff (sozial-) psychologischer Forschung geworden. Kontrolle wird definiert als die Überzeugung bzw. das Bestreben einer Person, erwünschte Zustände herbeiführen und aversive Zustände vermeiden oder zumindest reduzieren zu können (Skinner, 1996), sei es durch aktive
Einflussnahme (tatsächliche Veränderung des Ist-Zustandes – auch primäre Kontrolle
genannt) oder durch Kognitionen zur subjektiven Veränderung des Ist- oder Soll-Zustandes (auch sekundäre Kontrolle genannt).
Die Idee, dass Personen bestrebt sind, Ereignisse und Zustände in ihrer Umwelt
kontrollieren zu können, wurde schon früh von verschiedenen Autoren erwähnt (z. B.
Nietzsche, 1912; Adler, 1929). Die bekanntesten Wurzeln einer Kontrollmotivation
stammen aber von White (1959) und DeCharms (1968). Beide nehmen an, dass eine
Motivation besteht, sich selbst als Verursacher von Handlungen und Veränderungen in
der Umwelt zu erleben («Effizienzmotivation», White, 1959), und dass daraus entsprechende Erfahrungen von Gefühlen eigener Wirksamkeit und Kompetenz (White, 1959)
bzw. persönlicher Verursachung (DeCharms, 1968) resultieren. Besondere Bedeutung
hat das Konzept der Kontrollmotivation innerhalb der Attributionstheorie erhalten.
Unter dem Stichwort des funktionalistischen Ansatzes wird die Annahme diskutiert,
Attributionen würden so vorgenommen, dass sie der attribuierenden Person die Umwelt als kontrollierbar erscheinen lassen (Bains, 1983; Kelley, 1967; Wortman, 1976).
Hinter dem Kontrollmotiv stehen Bedürfnisse nach Autonomie, Selbstwirksamkeit,
Kompetenz und Selbstbestimmung.
Auch erste empirische Belege für die nachteiligen Auswirkungen des Fehlens von
Kontrolle oder der Erfahrung von gelernter Hilflosigkeit wurden bereits relativ früh,
zunächst in Tierexperimenten, erbracht (Mowrer & Viek, 1948; Richter, 1957). So
schwammen beispielsweise Ratten, die zuvor die Erfahrung gemacht hatten, dass sie aus
einem Wasserbassin entkommen konnten, bis zu 60 Stunden, um nicht zu ertrinken,
während Ratten, welche die Erfahrung des Entkommen-Könnens zuvor nicht gemacht
hatten, häufig schon nach kurzen, turbulenten Auswegsuchen aufgaben («sudden
death phenomenon», Richter, 1957). Die Erfahrung, negative Zustände nicht mehr beeinflussen zu können, kann also dramatische Konsequenzen haben.
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Motivationstheorien
Im Humanbereich berichten verschiedene Autoren über Beobachtungen an Kriegsgefangenen, Insassen nationalsozialistischer Konzentrationslager, Patienten psychiatrischer Anstalten sowie an verwitweten Personen (Bettelheim, 1943; Engel, 1968;
Lefcourt, 1973; Seligman, 1975), denen zufolge Hilflosigkeitserfahrungen bzw. die
Wahrnehmung, eigene aversive Lebenssituationen nicht verändern zu können, zu Apathie und Rückzug bis hin zu medizinisch ungeklärten Todesfällen führen können.
Die früheren unsystematischen Beobachtungen wurden in den sechziger Jahren
durch kontrollierte Labor- und Feldexperimente abgelöst, die sich differenziert mit den
Folgen von Kontrollverlust sowie mit dem Bestreben von Personen, Einflussmöglichkeiten herzustellen, auseinander setzten. Diesen Forschungsarbeiten liegt allerdings
nicht eine einheitliche und umfassende Theorie zugrunde, sondern verschiedene theoretische Ansätze, die zu mehr oder weniger umfassenden Teilaspekten des skizzierten
Gegenstandsbereiches kognizierter Kontrolle formuliert wurden. Dennoch lassen sich
eine Reihe grundlegender Konzepte und Hypothesen identifizieren. Diese sollen in
dem folgenden Beitrag dargestellt und anhand empirischer Forschungsarbeiten diskutiert werden.
Im folgenden wird zunächst der Begriff der kognizierten Kontrolle definiert und
Hypothesen zur Kontrolle abgeleitet. Danach wird ein Überblick über eine Vielzahl
ganz unterschiedlicher Phänomene gegeben, in denen sich widerspiegelt, welchen bedeutenden Einfluss Kontrolle auf menschliches Erleben und Verhalten hat. Im Anschluss daran werden die Formen kognizierter Kontrolle im einzelnen betrachtet und
in den Kontext empirischer Forschung eingebettet. Danach werden die Auswirkungen
von Kontrollverlust und Versuche, Kontrolle wiederherzustellen, analysiert. Abschließend soll exemplarisch anwendungsorientierte Forschung im Rahmen der Theorie der
kognizierten Kontrolle dargestellt werden.
2
Definitionen und Hypothesen
In der Psychologie gibt es zahlreiche und zum Teil recht unterschiedliche Definitionen
von Kontrolle (vgl. als Überblick Skinner, 1996). Zumeist wird «Kontrolle» darüber definiert, dass Menschen überzeugt sind, gewünschte Ereignisse herbeiführen und unerwünschte Ereignisse vermeiden zu können (z. B. Brickman et al., 1982; Skinner, 1990;
Skinner, Chapman & Baltes, 1988). In der Definition von Glass und Carver (1980) wird
die Wahrnehmung von Kontingenzen zwischen Verhalten und Ereignissen als Voraussetzung für die Beeinflussbarkeit von Ereignissen ergänzt: «The concept of control may
be defined in terms of perceptions of contingencies. If a person perceives a contingency
between his behaviors and an outcome […] the outcome is considered controllable. By
contrast, if a person believes that his actions do not influence the outcome, the outcome
is considered uncontrollable» (Glass & Carver, 1980, S. 232).
Die meisten Autoren betrachten bei der Definition von Kontrolle die subjektive
Überzeugung oder Wahrnehmung eines Individuums, über Kontrolle zu verfügen, und
nicht die tatsächliche bzw. in einer konkreten Situation objektiv vorhandene Kontrolle
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Die Theorie der kognizierten Kontrolle
als entscheidend, was in der Verwendung von Begriffen wie wahrgenommene Kontrolle, psychologische Kontrolle oder – wie in diesem Beitrag – kognizierte Kontrolle
zum Ausdruck kommt. Die Auffassung von Kontrollierbarkeit als subjektive Wahrnehmung oder Empfindung einer Person trägt Forschungsergebnissen Rechnung, nach denen subjektiv wahrgenommene Kontrollmöglichkeiten weder tatsächlich bestehen
müssen (Illusion von Kontrolle) noch tatsächlich ausgeübt werden müssen (potentielle
Kontrolle), um das Erleben und Verhalten von Personen zu beeinflussen. Umgekehrt
verdeutlichen die Forschungen zur Theorie der gelernten Hilflosigkeit – einem der umfangreichsten theoretischen Ansätze innerhalb der Forschung zu kognizierter Kontrolle
–, dass objektiv vorhandene Kontrollmöglichkeiten nicht ausgenützt werden, wenn das
Individuum Handlungs-Ergebnis-Kontingenzen nicht wahrnimmt. Langer (1979, S.
306) führt diesbezüglich aus, dass «fast alle Untersuchungen zur Bedeutung von Kontrolle […] darin übereinstimmen, dass die Effekte objektiven Kontrollgewinns oder
aber objektiven Kontrollverlusts psychologisch nur dann einen Unterschied machen,
wenn die betreffende Person den Kontrollgewinn bzw. Kontrollverlust auch erkennt
(unabhängig davon, ob es korrekt ist oder nicht)». Viele Theoretiker gehen wie Langer
davon aus, dass wahrgenommene Kontrolle bzw. Kontrollierbarkeit ein besserer Prädiktor der Funktionsfähigkeit von Individuen ist als die tatsächliche Kontrolle. Selbst
wenn keine reale (objektive) Kontrolle besteht, reicht die Überzeugung einer Person bereits aus, sie sei im Besitz der Kontrolle, um bestimmte Handlungen zu erzeugen und
das Antriebsniveau zu steigern (Averill, 1973).
Neben der relativ engen Auffassung von Kontrolle als Wahrnehmung der Möglichkeit zur Einflussnahme auf Ereignisse oder Zustände durch eine instrumentelle Handlung (Verhaltenskontrolle), auf die sich die bisher genannten Auffassungen bezogen,
wurden von anderen Autoren sehr viel umfassendere Konzeptionen des Kontrollbegriffes vorgelegt. So definiert z. B. Thompson (1981) Kontrolle als die Überzeugung einer
Person, ihr stünde eine Reaktionsmöglichkeit zur Verfügung, durch die die Aversivität
eines Ereignisses reduziert werden könne, und unterscheidet dabei vier Arten von Kontrolle, nämlich Verhaltenskontrolle, Informationskontrolle, kognitive Kontrolle und
retrospektive Kontrolle. Kontrolle wird nach Thompson also nicht nur dann erlebt,
wenn eine Person ein Ereignis tatsächlich beeinflussen kann (Verhaltenskontrolle),
sondern auch wenn sie über Strategien verfügt, sich an ein Ereignis durch Uminterpretation des Ist- oder Soll-Zustandes anzupassen (kognitive Kontrolle), und auch dann,
wenn sie ein (aversives) Ereignis lediglich vorhersehen (Informationskontrolle) oder ein
bereits eingetretenes Ereignis erklären kann (retrospektive Kontrolle), (für weitere bzw.
ähnlich umfassende Konzeptionen siehe auch Averill, 1973; Fiske & Taylor, 1991; Frey,
Kumpf, Ochsmann, Rost-Schaude & Sauer, 1977).
Die Unterscheidung zwischen primärer und sekundärer Kontrolle (J. Heckhausen
& Schulz, 1995; Weisz, Rothbaum & Blackburn, 1984) ist ein weiteres Beispiel für eine
umfassendere Definition von Kontrolle. Während primäre Kontrolle ähnlich wie der
Begriff der Verhaltenskontrolle in den obigen Konzepten bedeutet, dass eine Person
ihre Umwelt entsprechend ihren Zielen zu gestalten bzw. zu beeinflussen sucht, beschreibt das Konzept der sekundären Kontrolle, dass das Individuum versucht, sich an
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