Theorien der Sozialpsychologie Band II Gruppen

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Aus dem Programm Huber:
Psychologie Lehrtexte
Wissenschaftlicher Beirat
Prof. Dr. Dieter Frey, München
Prof. Dr. Kurt Pawlik, Hamburg
Prof. Dr. Meinrad Perrez, Freiburg (Schweiz)
Prof. Dr. Hans Spada, Freiburg i.Br.
© 2002 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern
Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden.
Aus: Dieter Frey; Theorien der Sozialpsychologie, Band II; 978-3-456-83513-6. 2. Auflage.
Im Verlag Hans Huber sind außerdem erschienen:
Dieter Frey und Martin Irle (Hrsg.)
Theorien der Sozialpsychologie
Band I: Kognitive Theorien
2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. 406 Seiten
Dieter Frey und Martin Irle (Hrsg.)
Theorien der Sozialpsychologie
Band III: Motivations-, Selbst- und Informationsverarbeitungstheorien
2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. 398 Seiten
© 2002 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern
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Dieter Frey / Martin Irle (Hrsg.)
Theorien der
Sozialpsychologie
Band II
Gruppen-, Interaktions- und Lerntheorien
2., vollständig überarbeitete und
erweiterte Auflage
Verlag Hans Huber
Bern · Göttingen · Toronto · Seattle
© 2002 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern
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Adresse des Erstherausgebers:
Prof. Dr. Dieter Frey
Institut für Psychologie der Universität München
Abt. Sozialpsychologie
Leopoldstraße 13
D-80802 München
Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme
Theorien der Sozialpsychologie / Dieter Frey / Martin Irle (Hg.). Bern ; Göttingen ; Toronto ; Seattle : Huber
Bd. 2. Gruppen-, Interaktions- und Lerntheorien. 2., vollst. überarb. und erw. Aufl. - 2002
(Aus dem Programm Huber: Psychologie Lehrtexte)
ISBN 978-3-456-83513-6
2. Nachdruck 2010
2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage 2002
© Verlag Hans Huber, Bern 2002
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Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für
Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen sowie die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Lektorat: Peter Stehlin
Herstellung: Kurt Thönnes, die Werkstatt, Liebefeld-Bern
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5
Inhaltsverzeichnis
Vorwort der Herausgeber zur Neuauflage von Band II und III
7
Grundlegende Theorien zu Gruppen
Sozialpsychologische Theorien zu Urteilen, Entscheidungen, Leistung und
Lernen in Gruppen
Stefan Schulz-Hardt, Tobias Greitemeyer, Felix C. Brodbeck und Dieter Frey
13
Sozialer Einfluss durch Mehrheiten und Minderheiten
Hans-Peter Erb und Gerd Bohner
47
Die Theorie sozialer Interdependenz
Ursula Athenstaedt, Heribert H. Freudenthaler und Gerold Mikula
62
Theorien zu intergruppalem und interpersonalem Verhalten
Theorien intergruppalen Verhaltens
Amélie Mummendey und Sabine Otten
Theoretische Modelle zu Kooperation, Kompetition und Verhandeln
bei interpersonalen Konflikten
Elisabeth Frank und Dieter Frey
95
120
Theorien interpersonaler Attraktion
Manfred Hassebrauck und Beate Küpper
156
Theorien hilfreichen Verhaltens
Hans-Werner Bierhoff
178
Sozialpsychologische Theorien aggressiven Verhaltens
Sabine Otten und Amélie Mummendey
198
Theorien zur sozialen Macht
Erich H. Witte
217
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6
Inhaltsverzeichnis
Bindungstheorie und Bindungsforschung
Fabienne Becker-Stoll und Klaus E. Grossmann
247
Lern- und Handlungstheorien
Die sozial-kognitive Theorie von Bandura
Klaus Jonas und Philip Brömer
277
Handlungstheorien
Werner Greve
300
Theorien zu angewandten Aspekten
Führungstheorien
Felix C. Brodbeck, Günter W. Maier und Dieter Frey
327
Kreativität und Innovation
Michael Diehl und Jörg Munkes
364
Kulturvergleichende Sozialpsychologie
Gisela Trommsdorff
388
Autorenverzeichnis
Sachwortregister
Inhaltsverzeichnisse der Bände I und III
407
415
423
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7
Vorwort der Herausgeber zur Neuauflage
der Bände II und III
Der Entwicklungsstand einer Wissenschaft ist danach zu beurteilen, wie sehr sie fähig
ist, erklärungskräftige Theorien anzubieten. Nach wie vor halten wir an diesem Grundsatz fest, der uns auch in dem Entschluss bekräftigte, die Theorienbände II und III nun
vollständig überarbeitet neu herauszugeben. Im deutschen genauso wie im internationalen Sprachraum gibt es bislang kaum Bücher, die sich dem Anspruch verpflichtet
fühlen, einen Überblick über die bestehenden sozialpsychologischen Theorien zu vermitteln. Diese Lücke zu schließen war und ist Ziel des vorliegenden Werkes.
Der Band I mit dem Titel «Kognitive Theorien der Sozialpsychologie» wurde erstmals
1978 herausgegeben und seitdem mehrfach neu aufgelegt. Eine vollständige Überarbeitung wurde zuletzt 1993 vorgenommen. Die Bände II und III der Theorien der Sozialpsychologie erschienen erstmals 1985. Trotz mehrerer Neuauflagen fehlte jedoch bisher eine substantielle Überarbeitung. In der sozialpsychologischen Forschung und
Theorienbildung ist aber seitdem sehr viel passiert, was uns dazu bewogen hat, die
Bände II und III der Theorien der Sozialpsychologie nun komplett neu herauszugeben.
Einige der ursprünglich in den Bänden II und III enthaltenen Theorien finden sich aufgrund dieser Entwicklungen nicht mehr in dieser Neuauflage. Alle anderen bereits bestehenden Beiträge zu den verschiedenen Theorien wurden grundlegend überarbeitet,
um neuere Forschungsergebnisse und gegenwärtige theoretische Strömungen zu integrieren. Des weiteren ist es uns gelungen, einige Beitrage zu klassischen genauso wie zu
neueren Richtungen sozialpsychologischer Forschung zusätzlich aufnehmen zu können, die bisher in den Bänden II und III noch nicht abgedeckt waren: Hierzu gehören
Beiträge über Theorien der modernen Zielpsychologie, Theorien interpersonaler Attraktion, Kreativität und Innovation, Theorien hilfreichen Verhaltens, Theorien aggressiven Verhalten, kulturvergleichende Sozialpsychologie, die Prospekttheorie, die
Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan, das linguistische Kategorienmodell,
Theorien der Bewältigung, Handlungstheorien sowie Theorien ideologischer Systeme.
Diese Themen, deren Teilaspekte bisher in verschiedenen anderen Themenbereichen
immer wieder von Bedeutung waren und dort Erwähnung fanden, werden nun in eigenständigen Kapiteln behandelt.
Insgesamt gehen wir davon aus, dass die vorliegenden Bände nun erneut eine gute Ergänzung zu den bestehenden Lehrbüchern der Sozialpsychologie darstellen. Während
nämlich die traditionellen Lehrbücher vorwiegend phänomenorientiert aufgebaut sind,
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8
Vorwort
also auf Phänomene wie Entscheidungen, Konflikte, Hilfeverhalten o. ä. fokussieren und
die damit verbundenen unterschiedlichen Theorien und Forschungsergebnisse abhandeln, wird hier der umgekehrte Weg vorgeschlagen: Es werden Theorien vorgestellt und
anschließend versucht, diese auf unterschiedliche Phänomene zu beziehen. Natürlich
lässt es sich trotz dieses Vorsatzes nicht vermeiden, bestimmte Themen, wie z. B. Hilfeverhalten, Aggression oder Gruppenforschung phänomenorientiert anzugehen.
Bei machen Theorien wird der eine oder andere vielleicht zunächst überrascht sein, warum diese nun gerade in einem Werk über die Sozialpsychologie aufgenommen wurden. Zu diesen zählt möglicherweise die Prospekttheorie. Es lässt sich jedoch nicht bestreiten, dass viele Phänomene, die mit Gesundheits- und Umweltverhalten zu tun
haben (also Phänomene, mit denen sich die Sozialpsychologie auch beschäftigt) durch
den Ansatz der Prospekttheorie erklärt werden können. Sicherlich weist die Forschung
zur Prospekttheorie noch Lücken auf, wir gehen aber davon aus, dass dieser Ansatz das
Potential besitzt, zu einer erklärungskräftigen Theorie ausgebaut werden zu können.
Neu aufgenommen haben wir ein Kapitel über die Theorien der Bewältigung, weil wir
der Meinung sind, dass dieser Ansatz in vielen anderen Theorien (etwa der Dissonanztheorie oder der Kontrolltheorie) relevant ist.
Den Bereich Bindungstheorie und Bindungsforschung haben wir hinzugefügt, weil die
damit verbundenen Theorien zwar in der Entwicklungspsychologie hochaktuell sind,
in der Sozialpsychologie jedoch immer noch vernachlässigt werden, und das obwohl
dieser Komplex viele Bezüge zu sozialpsychologischer Forschung aufweist. Soziale
Interaktion ist unserer Ansicht nach besser zu verstehen, wenn die Vergangenheit der
beteiligten Personen miteinbezogen wird. Dies ermöglich uns ein besseres Verständnis
dafür, wodurch deren Bindungen zueinander geprägt sind. Dass vergangene Beziehungen letztlich auch die gegenwärtigen und zukünftigen Interaktionen beeinflussen, wird
wohl nicht bezweifelt werden. Ein Großteil der bindungstheoretischen Forschungen
bezieht sich zwar auf Kinder und deren Eltern, wobei v.a. die Mütter im Fokus stehen.
Viele der hier entdeckten Zusammenhänge sind jedoch auch auf soziale Beziehungen in
anderer Form, wie z. B. das Lehrer-Schüler-Verhältnis oder die Beziehungen zwischen
Führungskraft und Mitarbeiter, generalisierbar.
Auch Theorien über Kreativität und Innovation sind bisher in der Sozialpsychologie
noch unterentwickelt. Da sie aber durch die Ideen der Globalisierung, des lebenslangen
Lernens und der veränderten Arbeitswelt zunehmend an Bedeutung erfahren, wurde
ein Beitrag über sie aufgenommen.
Mancher Leser und manche Leserin mag sich wundern, warum wir in den «Theorien
der Sozialpsychologie» nun auch einen Beitrag über die Systemtheorie bringen. Dahinter steht die Überzeugung, dass das systemtheoretische Denken in der (Sozial-)
Psychologie teilweise noch zu wenig angewendet wird und viele «unserer» Theorien der
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Vorwort
Vernetzung nicht ausreichend Beachtung schenken. Dieser Beitrag mag Leser und Nutzanwender von (Sozial-)Psychologie dazu inspirieren, bestehendes Denken im Lichte
der Systemtheorie neu zu bewerten und systemtheoretische Erkenntnisse bei der Formulierung (sozial-)psychologischer Theorien zu berücksichtigen.
Neu hinzugekommen sind auch die Handlungstheorien. Hierbei handelt es sich weniger um eine Theorie, die Erleben und Verhalten vorhersagen möchte, als vielmehr um
einen globalen Ansatz, der Aussagen darüber macht, wie Kognition, Emotion und soziales Verhalten zusammenhängen.
Das Ziel der beiden nun neu herausgegeben Bände besteht erneut darin, ausgewählte
Theorien zu präsentieren und gleichzeitig auch exemplarische Anwendungsgebiete
aufzuzeigen. In Band II werden überwiegend Gruppen-, sowie Interaktions- und Lerntheorien und besprochen. In Band III haben wir eine Differenzierung zwischen Motivations-, Selbst- und Informationsverarbeitungstheorien vorgenommen. Sicherlich
hätte die eine oder andere Theorie auch anders zugeordnet werden können – je nachdem, welche Kriterien man besonders in den Vordergrund stellen möchte; ebenso lassen sich Überschneidungen nicht vermeiden. Trotzdem erscheint es uns sinnvoll, die
Theorien nach den hier vorgeschlagenen Kriterien zu ordnen.
Jeder einzelne Beitrag wurde von Gutachtern, sowohl von studentischer Seite als auch
aus dem Kollegenkreis, genauso wie durch die Herausgeber selbst, kritisch durchgesehen, korrigiert und anschließend von den jeweiligen Autoren erneut überarbeitet. Dadurch sollte eine Ausgewogenheit genauso wie eine gute Verständlichkeit sichergestellt
werden. Insbesondere die Partizipation von Studierenden bei diesem Prozess sollte garantieren, dass das vorliegende Werk bei hohem fachlichen Niveau eine gut lesbare
Grundlage für die Auseinandersetzung mit sozialpsychologischen Theorien darstellt.
Zahlreiche studentische Mitarbeiter/-innen waren in diesen Prozess involviert. Hier
seien insbesondere genannt: Frau Herzfeld, Frau Hirsch, Frau Promberger und Frau
Schmidt. Ebenso beteiligten sich eine Vielzahl von Kollegen und Kolleginnen an der
Optimierung der eingereichten Beiträge; besonders hervorheben möchten wir in diesem Zusammenhang Veronika Brandstätter, Felix Brodbeck, Peter Fischer, Elisabeth
Frank, Verena Graupmann, Tobias Greitemeyer, Eva Jonas, Rudolf Kerschreiter, Andreas Mojzisch, Stefan Schulz-Hardt, Beate Schuster und Eva Traut-Mattausch. Wir bedanken uns bei ihnen allen für die Mitarbeit, für konstruktives Feedback und hilfreiche
Kritik. Herzlich bedanken möchten wir uns auch bei jenen, die an der technischen Umsetzung beteiligt waren und ohne deren kontinuierliche Unterstützung eine Realisierung eines solchen Vorhabens nicht möglich gewesen wäre. Zu diesen «Helfern im
Hintergrund» zählen Albrecht Schnabel, Michaela Bölt, Mara Doro Kleeblatt und insbesondere auch Martin Winkler.
München, im Mai 2002
Dieter Frey / Martin Irle
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Grundlegende Theorien
zu Gruppen
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Sozialpsychologische Theorien zu Urteilen,
Entscheidungen, Leistung und Lernen in
Gruppen
Stefan Schulz-Hardt, Tobias Greitemeyer, Felix C. Brodbeck und Dieter Frey
1
Einführung
Bedeutsame Urteile und Entscheidungen werden in demokratischen Gesellschaften in
zunehmendem Maße von Gruppen getroffen. Organisationen weisen vermehrt Gruppen Arbeiten zu, die traditionellerweise durch Individuen erledigt wurden (Gruenfeld,
Mannix, Williams & Neale, 1996). Dies wird u. a. dadurch begründet, dass auf Gruppenebene mehr Ressourcen (z. B. intellektueller Art) verfügbar sind als auf Individualebene, und dass Gruppen daher in besonderem Maße in der Lage sein sollten, qualitativ hochwertige Gruppenergebnisse wie zum Beispiel akkurate Prognoseurteile und
gute Entscheidungen zu erzielen (vgl. Vroom & Jago, 1988). Von daher ist nicht verwunderlich, dass die Themen Gruppenurteile, Gruppenentscheidungen und Gruppenleistung zentrale Bestandteile sozialpsychologischer Forschung und Theorienbildung
sind. Alle diese Bereiche unterliegen einem gemeinsamen Prinzip, nämlich dass ein bestimmter von der Gruppe produzierter «Output» – der oft sogar konstituierendes
Merkmal dieser Gruppe ist (z. B. Personalauswahlkommission, Arbeitsgruppe am
Fließband) – im Zentrum des Interesses steht. Aus diesem Grund sind diese Bereiche im
vorliegenden Beitrag zusammengefasst.
Dabei liegt hier kein «klassisches» Theoriekapitel in dem Sinne vor, dass eine bestimmte Theorie dezidiert vorgestellt und hinsichtlich ihres Forschungsstands diskutiert würde. Eine übergreifende Theorie des Zustandekommens und der Qualität von
«Gruppenoutcomes» (wie Urteilen, Entscheidungen sowie quantitativer und/oder
qualitativer Leistungen) existiert – wie übrigens im Individualbereich auch – bisher
nicht, obwohl es durchaus vereinzelt Versuche gibt, zumindest einige Forschungsbereiche zu diesem Thema übergreifend theoretisch zu ordnen (siehe z. B. Hinsz, Tindale &
Vollrath, 1997; Witte, 1987).
Um trotzdem dem Anspruch eines Theoriebandes gerecht zu werden, zielt unser
Beitrag darauf ab, das jeweils verbindende Prinzip theoretischer Hauptströmungen in
den genannten Forschungsbereichen zu verdeutlichen und wichtige theoretische Ansätze solchen Strömungen zuzuordnen. Demgegenüber vernachlässigen wir die Phäno-
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Grundlegende Theorien zu Gruppen
menseite, d. h. wir beanspruchen nicht, einen repräsentativen Überblick über Phänomene zu geben, die im Hinblick auf Gruppenurteile, Gruppenentscheidungen und
Gruppenleistung erforscht wurden und werden. Wir greifen beispielhaft zentrale Phänomene heraus, an denen wir dann jeweils die hinter den Hauptströmungen stehenden
theoretischen Prinzipien verdeutlichen.
In Abschnitt 2 beschäftigen wir uns mit Gruppenurteilen und Gruppenentscheidungen. In Abschnitt 3 werden die wesentlichen theoretischen Zugänge zum Thema
«Gruppenleistung» skizziert. Obwohl natürlich auch Gruppenurteile und Gruppenentscheidungen Leistungsaspekte beinhalten können, z. B. wenn die Akkuratheit von
Urteilen oder die Qualität von Entscheidungen untersucht wird, handelt es sich bei
«Gruppenleistung» doch um einen Forschungsbereich, der sich aus anderen Wurzeln
heraus entwickelt hat und durch eine im Vergleich zu Gruppenurteilen und -entscheidungen unterschiedliche Theoriebildung geprägt ist. Parallelen werden aber, wenn
möglich, auch hier verdeutlicht.
Die in den Abschnitten 2 und 3 dargestellten theoretischen Ansätze fokussieren auf
ein singuläres Gruppenergebnis zu einem bestimmten Zeitpunkt. Reale Gruppen bestehen und interagieren oft über längere Zeiträume hinweg. Dementsprechend erfordert eine realistische Betrachtung der Leistungsfähigkeit von Gruppen, auch die zeitliche Veränderung von Gruppenergebnissen durch Lernprozesse im Gruppenkontext in
Betracht zu ziehen. In Abschnitt 4 gehen wir daher auf Gruppen als lernende Systeme
ein und besprechen theoretische Ansätze zu individuellen und kollektiven Lernprozessen und deren Einfluss auf das Gruppenergebnis. Abschnitt 5 gibt einen abschließenden Ausblick.
2
Gruppenurteile und Gruppenentscheidungen
2.1
Zwei exemplarische Phänomene: Gruppenpolarisierung
und suboptimale Entscheidungen im «Hidden Profile»
Paradigma
Wenn Gruppen ein Urteil abgeben oder eine Entscheidung treffen wollen, dann müssen dazu Beiträge der einzelnen Mitglieder zusammengeführt und integriert werden.
Dabei ist zwischen zwei unterschiedlichen Arten von Beiträgen zu unterscheiden: Jedes
Gruppenmitglied bringt bestimmtes Wissen (d. h. Informationen) über das Urteilsbzw. Entscheidungsproblem ein, und jedes Mitglied verfügt auch über eine (mehr oder
weniger stark ausgeprägte) Meinung zu diesem Problem, d. h. ein individuelles Urteil
oder eine individuelle Entscheidungspräferenz. Im Fall eines rationalen Prozesses auf
Individualebene sollte natürlich letzteres die Folge von ersterem sein. Bei der Untersuchung, wie diese individuellen Beiträge auf Gruppenebene zu Urteilen und Entscheidungen zusammengeführt werden, wurden zwei auf den ersten Blick überraschende
Phänomene aufgedeckt, die im folgenden kurz beschrieben werden.
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Urteilen, Entscheidungen, Leistung und Lernen in Gruppen
2.1.1 Gruppenpolarisierung
Stoner (1961) machte eine für die weitere Forschung sehr einflussreiche Entdeckung:
Bei Untersuchungen mit dem so genannten «Choice Dilemma Questionaire» (CDQ) –
einem Fragebogen, in dem hypothetische Wahlsituationen zwischen einer sicheren und
einer riskanten Alternative vorgegeben werden und man angeben soll, ab welcher Erfolgswahrscheinlichkeit der riskanten Alternative man sich für diese entscheiden würde
–, beobachtete er folgendes: Sowohl die Gruppenentscheidungen als auch der Durchschnitt der auf die Gruppendiskussion folgenden Individualentscheidungen fielen riskanter aus als die durchschnittliche Individualentscheidung vor der Diskussion. Dieses
Phänomen wurde als «risky shift» (Risikoschub) bezeichnet. Moscovici und Zavalloni
(1969) wiesen einige Jahre später ein allgemeineres Phänomen nach, dessen Spezialfall
der Risikoschub darstellt, nämlich die so genannte «Gruppenpolarisierung»: Gruppenurteile sowie der Durchschnitt der Individualurteile nach einer Gruppendiskussion
verschieben sich in Richtung desjenigen Endes der Urteilsdimension, in das der Durchschnitt schon vorher tendiert hat. Konkret heißt dies: Tendiert der Durchschnitt der
Gruppenmitglieder vorab in Richtung auf Risikofreudigkeit, so verstärkt sich diese
Neigung durch die Gruppendiskussion. Besteht umgekehrt eine Tendenz zur Vorsicht,
so wird diese gleichfalls durch die Gruppendiskussion verstärkt (da bei den meisten
CDQ-Items Risikofreudigkeit präferiert wird, wurde diese Tendenz lange übersehen).
Diese Gruppenpolarisierung betrifft aber in gleicher Weise auch andere Urteilsdimensionen wie zum Beispiel politische Einstellungen und ist daher ein allgemeines Gruppenurteilsphänomen (als Überblick siehe z. B. Isenberg, 1986).
2.1.2 Suboptimale Entscheidungen im «Hidden Profile» Paradigma
Von Gruppenentscheidungen, die nach einer entsprechenden Diskussion des Entscheidungsproblems getroffen werden, erhofft man sich eine erhöhte Qualität (siehe z. B.
Vroom & Jago, 1988) im Vergleich zu einfacheren Formen der Entscheidungsfindung
wie beispielsweise Einzelentscheidungen oder sozialen Kombinationen von Einzelentscheidungen – letzteres heißt, dass mehrere Einzelentscheidungen unabhängig voneinander abgegeben und dann gemäß einer bestimmten Aggregationsregel (z. B. die
Alternative mit den meisten Stimmen gewinnt) zusammengeführt werden.
Solche Zuwächse an Entscheidungsqualität sind allerdings rein sachlogisch nur in
bestimmten Situationen möglich, wie an einem einfachen Beispiel deutlich wird. Angenommen, eine Gruppe soll sich zwischen zwei Alternativen entscheiden. Zu jeder der
beiden Alternativen gibt es Informationen, die jeweils entweder geteilt oder ungeteilt
sind. Geteilte Informationen sind allen Gruppenmitgliedern bereits vor der Gruppendiskussion zugänglich; ungeteilte Informationen sind dagegen nur einem Gruppenmitglied vorab bekannt.1 Durch die Gruppendiskussion können die vorher ungeteilten
1 Daneben gibt es natürlich auch sogenannte partiell geteilte Informationen, die einigen, nicht
aber allen Gruppenmitgliedern vorher bekannt sind. Diesen Informationstyp vernachlässigen
wir hier, da sich die gesamte Argumentation zwar problemlos auch unter Einschluss partiell
geteilter Informationen formulieren lässt, dann aber unübersichtlicher wird.
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