2010 2011 10. Symphoniekonzert KlassiK picKnicKt O P E N A I R KO N Z E R T M I T D E R STA ATS K A P E L L E D R E S D E N , j O S E P P O N S ( D I R I g E N T ) , j uA N M A N u E L c A Ñ I Z A R E S ( g I TA R R I ST ) , ESPE RANZA fE R NÁN DEZ (fLAME NcO- SäNgE R I N) u N D w w w. g L A E S E R N E M A N u fA K T u R . D E R A fA E L A c A R R A S c O ( f L A M E N c O -T ä N Z E R I N ) 2010 2011 10. Symphoniekonzert 2 5 . J u n i 2 0 1 1 | D i e G l ä s e r n e M a n u fa k t u r B e G i n n : 2 0 . 3 0 u h r | e i n l a s s : 1 9. 0 0 u h r E I N T R I T T: 5 , – € | K I N D E R u N D j u g E N D L I c h E b I S 1 6 j A h R E E R h A LT E N f R E I E N E I N T R I T T. K A R T E N I M VO R V E R K A u f I N D E R S c h I N K E LwA c h E A M T h E AT E R P L AT Z ( T E L E f O N 0 3 5 1 - 4 9 1 1 7 0 5 ) O D E R I N D E R g L ä S E R N E N M A N u fA K T u R . Chefdirigent ab 2012 Christian Thielemann Ehrendirigent Sir Colin Davis S o 0 1 . 0 5 .11 11 U h r S e mp e r o p e r | M o 0 2 . 0 5 .11 2 0 U h r | D i 0 3 . 0 5 .11 2 0 U h r 10. Symphoniekonzert 1 . M a i 2 0 11 Johannes Maria Staud ( g e b o r e n 1 9 7 4 ) »Tondo«, Preludio für Orchester [2009/2010] Auftragswerk der Sächsischen Staatskapelle Dresden, Uraufführung Robert Schumann ( 1 8 1 0 - 1 8 5 6 ) Dir igent Christoph Eschenbach V ioloncello (1. M a i ) Leonard Elschenbroich Violine (2. und 3. M ai) Gidon Kremer Konzert für Violoncello und Orchester a-Moll op. 129 1. Nicht zu schnell 2. Langsam 3. Sehr lebhaft Pau s e Johannes Brahms ( 1 8 3 3 - 1 8 9 7 ) Symphonie Nr. 1 c-Moll op. 68 1. Un poco sostenuto – Allegro 2. Andante sostenuto 3. Un poco Allegretto e grazioso 4. Adagio – Più Andante – Allegro non troppo, ma con brio – Più Allegro 2 . u n d 3 . M a i 2 0 11 Johannes Maria Staud ( g e b o r e n 1 9 7 4 ) »Tondo«, Preludio für Orchester [2009/2010] Auftragswerk der Sächsischen Staatskapelle Dresden, Uraufführung Neue Bahnen Robert Schumann brachte den jungen Johannes Brahms 1853 mit seinem Artikel »Neue Bahnen« erstmals ins Bewusstsein der musikalischen Öffentlichkeit – und beschritt auch in eigenen Werken neue Bahnen, darunter das Violinkonzert, mit dem Gidon Kremer nach vielen Jahren wieder zur Staatskapelle zurückkehrt. Auch der Beginn des Konzertes ist in dieser Hinsicht richtungsweisend: mit einem neuen Werk des Capell-Compositeurs Johannes Maria Staud. Kost enlose Konzert einfü hru ngen u n t er M i t w ir k u ng von Joh a n n es M a r i a Stau d j e w e i ls 4 5 M i n u t en vor Begi n n i m e h e m a l i g e n Op e r n r e s t a u r a n t a m Z w i n g e r t e i c h 2 3 Robert Schumann ( 1 8 1 0 - 1 8 5 6 ) Konzert für Violine und Orchester d-Moll op. posth. 1. I n kräftigem, nicht zu schnellem Tempo 2. Langsam 3. Lebhaft, doch nicht zu schnell Pau s e Johannes Brahms ( 1 8 3 3 - 1 8 9 7 ) Symphonie Nr. 1 c-Moll op. 68 1. Un poco sostenuto – Allegro 2. Andante sostenuto 3. Un poco Allegretto e grazioso 4. Adagio – Più Andante – Allegro non troppo, ma con brio – Più Allegro 10. SYMPHONIEKONZERT Christoph Eschenbach Dirigent C hristoph Eschenbach ist seit September 2010 Music Director sowohl des National Symphony Orchestra als auch des John F. Kennedy Center for the Performing Arts in Washington D.C. Als Gastdirigent ist er darüber hinaus regelmäßig bei den renommiertesten Orchestern sowie an den großen internationalen Opernhäusern tätig. Weiterhin ist er seit 2004 Chefdirigent der Internationalen Orchesterakademie des Schleswig-Holstein Musik Festivals. In der vergangenen Spielzeit, seiner zehnten und letzten Saison als Directeur musical des Orchestre de Paris, gastierte Eschenbach u.a. bei den Wiener Philharmonikern, beim Philadelphia Orchestra, beim London Philharmonic Orchestra (China-Tournee) und beim NDR Sinfonieorchester, dem er seit seiner Amtszeit als Chefdirigent (1998-2004) noch immer eng verbunden ist. Zu den Höhepunkten 2010/11 gehören Dirigate der Hindemith-Oper »Mathis der Maler« in Paris, die bevorstehende Europa-Tournee mit der Staatskapelle Dresden, Aufführungen von Messiaens »Turangalîla-Symphonie« mit dem National Symphony Orchestra sowie Konzerte mit den Münchner Philharmonikern und dem Leipziger Gewandhausorchester. Als Pianist setzt Chris­ toph Eschenbach seine Zusammenarbeit mit dem Bariton Matthias Goerne fort, mit dem er die Schubert-Liederzyklen auf CD einspielt und im Sommer 2010 bei den Salzburger Festspielen konzertierte. Von George Szell und Herbert von Karajan gefördert, war Eschenbach von 1982 bis 1986 künstlerischer und musikalischer Leiter des Tonhalle-Orchesters Zürich. Danach leitete er als Music Director das Houston Symphony Orchestra (1988-1999), das Ravinia Festival (1994-2003), das Philadelphia Orchestra (2003-2008) sowie als künstlerischer Leiter das Schleswig-Holstein Musik Festival (1999-2002). Neben vielen weiteren Auszeichnungen wurden ihm das Bundes­ verdienstkreuz und der »Commandeur dans l’Ordre des Arts et des Lettres« verliehen. Bei der Sächsischen Staatskapelle Dresden ist Christoph Eschenbach seit 1992 ein regelmäßiger und immer hoch willkommener Gast. 4 5 10. SYMPHONIEKONZERT Johannes Maria Staud * 17. A u g u s t 1 9 7 4 i n I n n s b r u c k Eine »Schlange«, die sich selber in den Schwanz beißt Ein Gespräch mit Johannes Maria Staud über sein neues Orchesterwerk »Tondo« Herr Staud, Ihr neues Orchesterwerk trägt den Titel »Tondo, Preludio für Orchester«. Was kann man sich darunter vorstellen? »Tondo«, Preludio für Orchester [2009/2010] e n tsta n de n Besetz u ng 2009/2010 im Auftrag der Sächsischen Staatskapelle Dresden 2 Flöten (2. auch Piccolo und Altflöte), 2 Oboen (2. auch Englischhorn), 2 Klarinetten (2. auch Bassklarinette), 2 Fagotte (2. auch Kontrafagott), 4 Hörner, 2 Trompeten, 2 Posaunen, Tuba, Schlagzeug (3 Spieler), Celesta, Klavier, Streicher u r au f g e f ü h r t am 1., 2. und 3. Mai 2011 im 10. Symphoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle Dresden in der Semperoper (Dirigent: Christoph Eschenbach) Universal Edition, Wien dau e r mindestens 11 Minuten 6 7 Man kann das Werk, wenn es einmal erklungen ist, also beliebig oft wiederholen? Ja, das Stück hat kein Ende. Der vierte und letzte Teil, ein kurzer Epilog, führt die Reise wieder an den Anfang zurück. Man könnte an dieser Stelle, nach circa elf Minuten, auch enden. Aber es ist natürlich reizvoll, das zuvor Gehörte noch einmal oder mehrmals mit einer geschärften Wahrnehmung aufzunehmen. Es ist ein »Preludio«, also ein Eröffnungsstück, ohne Ende? V e r l ag gew idm et »für Elisabeth Staud« »Tondo« ist italienisch und bedeutet »rund«. Ich nehme damit Bezug auf eine runde Bildform, die in der Renaissance sehr beliebt war, zum Beispiel in Bildern von Botticelli oder Michelangelo. Mich hat diese Form auch musikalisch angeregt: Wie wäre es, ein Werk in einer Kreisform zu komponieren? Das ist insofern sehr reizvoll, als wir Musik in der Regel linear wahrnehmen. Ich habe also mit »Tondo« eine musikalische »Schlange« geschrieben, die sich selber in den Schwanz beißt. Richtig. Es ist ein Stück, das mich auch ganz allgemein zum Nachdenken über die Wiederholung in der Musik angeregt hat. Man kennt die Wiederholung in einer Reprise, oder auch in einer Rondo-Form. Ich habe allerdings bislang eher rhapsodische Werke geschrieben, in denen ich Wiederholungen weitge- 10. SYMPHONIEKONZERT hend vermieden habe. Mit »Tondo« wollte ich dem »Tabu der Unwiederholbarkeit von Musik« auf den Grund gehen. Man hört ja beim zweiten Mal nicht nur anders, sondern möglicherweise spielen es die Musiker auch anders. In der Beschäftigung mit diesen Ideen lag für mich ein besonderer Reiz. Das Werk ist für eine relativ klassische Orchesterbesetzung geschrieben. War auch das für Sie eine Herausforderung? Ich denke natürlich beim Komponieren auch an den Auftraggeber, und es ist eine ganz besondere Freude, für die Dresdner »Wunderharfe« zu komponieren. Ich bin deshalb in diesem Stück von einem deutsch-romantischen Klangideal ausgegangen, mit einer warmen Mitte – so, wie es die Staatskapelle pflegt. Dieser Klang ist hier um die vier Hörner gruppiert, für die Robert Schumann ja schon sein berühmtes Konzertstück geschrieben hat, und dieser kernige Hörnerklang steht auch am Anfang meines Stückes. Neben der klassischen Besetzung verlangen Sie aber auch Klavier, Celesta und Schlagzeug. Ja, das Klavier wird häufig durch die Celesta eingefärbt, das ist wie ein Schatten, wie ein großes Instrument mit einer ganz besonderen Klangfarbe. Dann gibt es noch drei Schlagzeuger mit verschiedenen Instrumenten – hier liebe ich besonders die weich klingenden chinesischen Tom Toms –, und an zwei Stellen geht das Schlagwerk auch auf andere Instrumentengruppen über und löst, mit einem Augenzwinkern, einen spielerischen Ensembleklang aus. Mehr möchte ich dazu aber jetzt nicht verraten … Sie haben eben von vier Teilen gesprochen, in die sich das Stück untergliedert. Kann man diese beim Hören wahrnehmen? Wie immer in meiner Musik, erkennt man Teile sehr deutlich durch Einschnitte in die Hörlandschaft, und dies auch, wenn ein Stück kreisförmig ist. Teil I hat eröffnenden Charakter und ist geprägt durch den Klang der Hörner und der Gongs. Zu Teil II habe ich mich durch die »unmöglichen Figuren« von M. C. Escher inspirieren lassen: Es sind pulsierende Akkordketten, die unaufhörlich fallen, aber nie runterfallen … Teil III beginnt mit repetitiven Figuren des gedämpften Blechs, die allmählich zu einer gewaltigen Klimax auftauen. Hier kehren Elemente aus dem ersten Teil wieder. Der letzte Teil, ein Epilog, kombiniert die aufsteigenden Hornpartien des Anfangs mit der Pulsation des zweiten Teils. Der Klang nimmt im weiteren Verlauf entschlackt bewegliche Züge an und mündet in einen Aufschrei – mit dem man nahtlos wieder in den Anfang übergehen könnte. 8 9 Kehren wir zum Anfang zurück: Warum »Preludio« und nicht »Präludium«? Diese Frage habe ich mir auch gestellt. In den verschiedenen Sprachen hat das Wort ja ganz unterschiedliche Bedeutungsebenen. In »Präludium« schwingt sehr viel Barockmusik mit, »Prélude« klingt ein bisschen nach Liszt oder Chopin, das passte nicht – doch auf Italienisch schien es mir angenehm unverbraucht. Vielleicht ist das auch eine kleine Referenz an das Florenz an der Elbe, wo man für diese Zusammenhänge möglicherweise einen besonderen Sinn hat. Eine andere Sache ist mir aber noch wichtig. Ich habe das Werk meiner Großmutter gewidmet, die kurz nach Fertigstellung der Partitur in ihrem 98. Lebensjahr gestorben ist. Ich habe nicht gewusst, dass – als ich ihr von der Widmung erzählte – dies das letzte Mal sein würde, dass ich sie sehe. Vielleicht kann man den Titel auch in dieser Hinsicht lesen, so ein langes Leben hat ja auch eine Kreisform, die sich am Ende schließt. Das war zwar so nicht direkt beabsichtigt, aber sie war auch eine große Italien-Liebhaberin. D i e F r a g e n s t e l l t e T o b i a s N i e d e r s c h l a g . 10. SYMPHONIEKONZERT Johannes Maria Staud C a p e l l - C o mp o s i t e u r d e r S ä c h s i s c h e n S t a a t sk a p e l l e D r e s d e n 2 0 1 0 / 2 0 1 1 J ohannes Maria Staud wurde 1974 in Innsbruck geboren und studierte von 1994 bis 2001 an der Musikuniversität Wien bei Michael Jarrell sowie an der Musikhochschule Hanns Eisler Berlin bei Hanspeter Kyburz. Er besuchte Meisterkurse bei Brian Ferneyhough und war Mitbegründer der Gruppe »Gegenklang« in Wien. 1999/2000 erhielt er ein Stipendium der Alban-Berg-Stiftung Wien, 2000 gewann er den 1. Preis beim Hanns-Eisler-Kompositionswettbewerb in Berlin. Staud erhielt in den folgenden Jahren weitere Förderungen und Auszeichnungen, u.a. 2002 den Kompositionspreis der Salzburger Osterfestspiele und 2006 ein Staatsstipendium der Republik Österreich. 2006 war Staud Featured Composer bei der Tanglewood Summer School, und 2009 wurde er mit dem PaulHindemith-Preis des Schleswig-Holstein Musik Festivals ausgezeichnet. Seine Musik wurde u.a. vom Ensemble Modern und den Berliner Philharmonikern unter Sir Simon Rattle uraufgeführt. Auftragswerke entstanden außerdem für die Wiener Philharmoniker und – im Jahr 2010 – für das Ensemble Modern Orchestra und Pierre Boulez. Für die Saison 2011/2012 schreibt er ein neues Orchesterwerk für das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und Mariss Jansons. Stauds Oper »Berenice« auf einen Text von Durs Grünbein (nach Edgar Allan Poe) kam 2004 bei der Musikbiennale München heraus. Von 2007 bis 2009 wurde Staud vom Cleveland Orchestra und Franz Welser-Most als Daniel Lewis Young Composer Fellow eingeladen. In der Saison 2010/2011 ist er Capell-Compositeur der Sächsischen Staatskapelle Dresden. 10 11 10. SYMPHONIEKONZERT Robert Schumann * 8. J u n i 1810 i n Z w ick au † 2 9. J u l i 18 5 6 i n E n de n i c h be i B o n n Konzert für Violoncello und Orchester a-Moll op. 129 1. Nicht zu schnell 2. Langsam 3. Sehr lebhaft e n tsta n de n Besetz u ng vom 10. Oktober bis 1. November 1850 in Düsseldorf Violoncello solo; 2 Flöten, 2 Oben, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 2 Hörner, 2 Trompeten, Pauken, Streicher u r au f g e f ü h r t am 23. April 1860 in Oldenburg (Solist: Ludwig Ebert, Großherzogliche Hofkapelle Oldenburg, Leitung: Karl Franzen) V e r l ag Breitkopf & Härtel, Wiesbaden/Leipzig Dau e r ca. 23 Minuten 12 13 »besonders so recht im Cellocharakter geschrieben« Zu Robert Schumanns Cellokonzert op. 129 Robert Schumanns Cellokonzert a-Moll op. 129 nimmt eine Sonderstellung in der Reihe seiner konzertanten Werke ein. Während mit Ausnahme des frühen Klavierkonzerts F-Dur, das er für sich selbst schrieb und nach der Aufgabe seiner Karriere als Klaviervirtuose unvollendet liegen ließ, alle Werke für Klavier und Orchester (Konzertsatz d-Moll von 1839, Konzert a-Moll op. 54, Konzertstücke G-Dur op. 92 und d-Moll op. 134) für seine Verlobte und Frau Clara bestimmt waren, verdankt er die Anregung zu konzertanten Violinwerken (Phantasie op. 131, Konzert d-Moll) der inspirierenden Begegnung mit zwei großen Geigern, Ferdinand David und Joseph Joachim. Das Konzertstück F-Dur für vier Hörner und Orchester op. 86 schrieb Schumann, weil er von den neuen klanglichen und spieltechnischen Möglichkeiten des Ventilhorns, das sich damals gerade etablierte, fasziniert war (und er erprobte es 1849 mit vier »Capellhornisten« in Dresden). Nur das Cellokonzert entstand scheinbar ohne äußere Einflüsse – kein bedeutender Cellist hatte ihn darum gebeten oder war nur in seiner Nähe. Was also war der Anlass? Schumann liebte das Violoncello, das er in seiner Jugend zumindest im Ansatz erlernt, in seiner Kammermusik und Symphonik immer bevorzugt behandelt und für das er 1849 bereits »Fünf Stücke im Volkston« op. 102 mit Klavier geschrieben hatte. Er sah offenbar eine Marktlücke, d.h. einen Mangel an wertvollen Werken für Violoncello und Orchester. Die geradezu groteske frühe Rezeptionsgeschichte des Cellokonzerts war vielleicht auch eine Folge von Schumanns mutigem, aber strategisch ungeschickten Vorgehen. Wäre das Stück im Auftrag eines renommierten Cellisten entstanden, hätte es sich sicher sehr viel schneller durchgesetzt. 10. SYMPHONIEKONZERT Am 24. Oktober 1850, dem Tag seines ersten Düsseldorfer Konzerts, beendete Schumann ein »Concertstück für Violoncell mit Begleitung des Orchesters«, wie es u.a. in der autographen Partitur im Haushaltbuch und im sogenannten Projectenbuch heißt. Seiner Frau Clara erschien dieses in einer Phase schöpferischer Euphorie zwischen dem 10. und 16. Oktober skizzierte Werk »besonders so recht im Cellocharakter geschrieben«. Sie bestätigte dies in einer Tagebuchnotiz vom 11. Oktober 1851: »Ich spielte Roberts Violoncellkonzert einmal wieder und schaffte mir dadurch eine recht musikalisch glückliche Stunde. Die Romantik, der Schwung, die Frische und der Humor, dabei die höchst interessante Verwebung zwischen Cello und Orchester ist wirklich ganz hinreißend, und dann, von welchem Wohlklang und tiefer Empfindung sind alle die Gesangstellen darin!« Dennoch gelang es Schumann zunächst nicht, einen Interpreten oder Verleger für das am 1. November vollendete Cellokonzert zu finden. Nach einer ersten Probe mit Klavier am 23. März 1851 mit dem Cellisten Christian Reimers in Düsseldorf wandte sich der Komponist im Oktober 1851 an den Frankfurter Cellisten Robert Emil Bockmühl, der jedoch trotz zunächst geäußerter flammender Begeisterung auch nach seiner im Frühjahr 1852 erfolgten Übersiedlung nach Düsseldorf bis 1853 immer neue Ausflüchte fand, das Konzert nicht öffentlich spielen zu müssen. Seine gut gemeinten Verbesserungsvorschläge hat der Komponist mit Ausnahme der Modifikation des Tempos des ersten Satzes von ursprünglich = 144 (Autograph) auf = 130 (Erstdruck; Bockmühl hatte = 96 – höchstens = 100 vorgeschlagen!) vollständig ignoriert. Der Verfasser technisch schwieriger, aber musikalisch seichter Virtuosenstücke für Cello konnte und wollte Schumanns Konzert, in dem das Solo­ instrument nicht immer dominiert und das Orchester wesentlichen Anteil am musikalischen Geschehen hat, nicht verstehen. Am 1. November 1852 wandte sich Schumann an den Leipziger Verleger Friedrich Hofmeister: »Das Concert für Violoncell … ist jetzt druckfertig«, und meinte hoffnungsvoll, »Anderentheils glaube ich, daß gerade, da so wenig Compositionen für dies schöne Instrument geschrieben werden, der Absatz ein den Wünschen entsprechender sein wird.« Hofmeister lehnte aus Kostengründen ab und Schumann versuchte es am 14. September 1853 bei dem kleinen Verlag Carl Luckhardt in Kassel, erhielt aber wieder eine Absage. Schließlich bot der in dieser Hinsicht an Kummer gewöhnte, aber stets geduldig und zielstrebig vorgehende Komponist das Werk am 3. November 1853 dem Verlag Breitkopf & Härtel in Leipzig an: »Das Violoncellkonzert ist vielleicht etwas, das, da es an solchen Compositionen sehr mangelt, Manchem erwünscht kommen wird. Auch dieses Concert ist ein durchaus heiteres Stück«. Zu Schumanns großer Freude wurde es diesmal sofort akzeptiert. Schon am 15. November machte er den Vorschlag, »ein Saitenquartett- 14 15 Robe r t Sc h u m a n n. Dagu e r r eo t y pi e von Joh a n n A n ton Völ l n e r , a u f g e n o mm e n i n H a m b u r g a m 2 0 . M ä r z 1 8 5 0 Das Porträt diente als Vorlage für die bekannte Zeichnung von Schumanns Dresdner Malerfreund Eduard Bendemann, die 1859 entstand. 10. SYMPHONIEKONZERT arrangement, in das die obligaten Blasinstrumente eingeschlossen würden«, auszuarbeiten, das heißt also eine Fassung mit reiner Streicherbegleitung, wie sie bei Klavierkonzerten bis zur Mitte des Jahrhunderts gebräuchlich war, worauf der Verlag allerdings nicht einging. Eine wohl ebenfalls damals für Joseph Joachim bestimmte und bereits beinahe druckfertige Alternativfassung des Cellokonzerts für Violine wurde erst 1987 im Nachlass Joseph Joachims in der Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek entdeckt, uraufgeführt und veröffentlicht. Am 15. Februar 1854 schickte der Verlag Breitkopf & Härtel einen Revisionsabzug des Cellokonzerts, von dem zunächst nur der Klavierauszug und die Orchesterstimmen erscheinen sollten. In der Nacht vom 17. zum 18. Februar 1854 kam es dann zu jenem furchtbaren Ausbruch von Schumanns Krankheit, die sich vor allem in quälenden Gehörshalluzinationen äußerte und von dem Clara Schumann einen erschütternden Bericht gibt. Sie schreibt u.a.: »Die Ärzte brachten ihn zu Bett, und einige Stunden ließ er es sich auch gefallen, dann stand er aber wieder auf und machte Korrekturen von seinem Violoncellkonzert, er meinte dadurch etwas erleichtert zu werden von dem ewigen Klange der Stimmen«. Diese Korrekturen wurden am 21. Februar, sechs Tage vor dem Selbstmordversuch, an den Verlag zurückgeschickt, so dass das Konzert im August 1854 in einer vom Komponisten autorisierten Form erscheinen konnte. Auch nach der Publikation verlief seine Rezeption schleppend. Die einzige bisher nachweisbare Rezension in der »Neuen Berliner Musikzeitung« vom 17. Januar 1855 von dem Geiger und Komponisten Karl Böhmer ist gerade durch ihr vollkommenes Unverständnis gegenüber Schumanns Tonsprache sehr aufschlussreich. Zwar attestiert er dem Konzert »viel Schönheiten« und »eine ernste, würdige Ruhe«, findet aber, dass es »etwas seltsame Harmoniefolgen« enthielte und vor allem als »Concertstück« zurückstehe. Auch ließe es »sehr oft etwas Unbefriedigendes fühlen, so dass der Spieler weder diese [gemeint sind die Phantasie für Violine op. 131 und das Cellokonzert] noch sich selbst so recht zur Geltung bringen kann.« Kurioserweise konnte erst vor einigen Jahren mit einiger Sicherheit geklärt werden, wann und wo die Uraufführung von Schumanns Cellokonzert stattfand – die überholten Angaben kann man leider auch jetzt noch immer wieder lesen! Früher wurde häufig auf ein Konzert am 9. Juni 1860, zur Feier von Schumanns 50. Geburtstag, im Leipziger Konservatorium mit dem »großherzoglich oldenburgischen Kammermusikus« Ludwig Ebert (1834-1908) hingewiesen. Wie aus zwei kurzen Zeitungsberichten eindeutig hervorgeht, hat bei dieser »Musikalischen Abendunterhaltung« jedoch kein Orchester mitgewirkt. Von einer wirklichen Uraufführung kann somit bei 16 17 D ü ss e l d o r f, u m 1 8 4 5 . S t i c h v o n J o s e p h M a x i m i l i a n K o l b nach e i n e r Z e ich n u ng von Lu dw ig Roh bock . In Düsseldorf, wo Schumann ab 1850 als Städtischer Musikdirektor wirkte, komponierte er u.a. sein Cello- und sein Violinkonzert. einer Darbietung mit Klavierbegleitung nicht die Rede sein. Bisher waren als erste sicher bezeugte Aufführungen mit Orchester nur diejenigen am 10. Dezember 1867 in Breslau (mit David Popper) und am 24. Dezember 1867 in Moskau (mit Bernhard Cossmann) bekannt. Nachforschungen ergaben, dass der erwähnte Ludwig Ebert das Cellokonzert auch mit der Großherzoglichen Hof kapelle Oldenburg unter der Leitung des Konzertmeisters Karl Franzen in einem Konzert am 23. April 1860 spielte, wie Anzeigen in der »Oldenburgischen Zeitung« vom 27. März und 17. April 1860 dies ausweisen. Obwohl weder in Voranzeigen noch in der Rezension der »Oldenburgischen Zeitung« vom 1. Mai 1860 von einer Uraufführung die Rede ist, dürfte dies die früheste Aufführung des Stückes mit Orchester gewesen sein. Erstaunlich bleibt aber die Hellsichtigkeit und das große Verständnis, mit dem ein anonymer Rezensent in der »Oldenburgischen Zeitung« vom 1. Mai 1860 über Aufführung und Werk berichtet: »Dies Schumannsche Concert ist aber weit davon entfernt, Concessionen zu machen, sei es dem Publikum oder dem Spieler, sondern ist wie die späten Concerte Beethovens, die Mendelssohns u.s.w. ein symphonisch gehaltenes Tonwerk, in welchem dem Soloinstrumente nur eine bevorzugtere Stellung vor den anderen Instrumenten des Orchesters eingeräumt ist.« 10. SYMPHONIEKONZERT Im ersten Satz (»Nicht zu schnell«) mit seinem weit ausschweifenden melodischen Hauptthema und dem durch charakteristische Intervalle (Sekunde, Septe) hervorgehobenen anmutig verspielten Seitenthema sind die kantablen Möglichkeiten und alle Lagen des Soloinstruments wirkungsvoll genutzt. Viele Passagen werden nur von den Streichern, manchmal in der Art eines Rezitativs, begleitet, die Holzbläser, ganz selten auch Hörner und Trompeten, setzen markante thematische Akzente hinzu. Der zweite Satz (»Langsam«) wächst unversehens aus dem letzten Tutti hervor, das von einem allein dem Orchester vorbehaltenen Thema beherrscht wird. Als Brücke dient ein harmonisch verfremdetes Zitat jener plagalen Wendung, die schon als »Vorhang« dem ersten Satz vorangestellt ist und später den Kopf des ersten Themas im dritten Satz bildet – ein weiterer Beleg für Schumanns subtile Kunst der zyklischen Verklammerung. Die lyrischen Qualitäten dieses Satzes sind selbst von hartnäckigen Schumann-Verächtern nie ernsthaft bestritten worden. Durch das Hinzutreten eines zweiten Solocellos entsteht die Illusion mehrstimmigen Akkordspiels. Eine Reminiszenz an das Hauptthema des ersten Satzes im Orchester wird von dem Soloinstrument aufgegriffen, wieder verdrängt und mündet in ein dramatisch erregtes Accompagnato-Rezitativ. Eine kurze Kadenz des Cellos führt mitten hinein in das Finale (»Sehr lebhaft«). In diesem technisch überaus heiklen, von kapriziöser Laune sprühenden Rondo mit Sonatensatzelementen spielen sich Solist und Orchester meist ohne große modulatorische Bewegung das thematische Material in ständigem Wechsel zu, was nicht nur den verhinderten Interpreten der Uraufführung offensichtlich irritiert hat. Vor der kurzen Schlussstretta in A-Dur steht eine vom Orchester begleitete Kadenz des Soloinstruments. © Universal Edition / Jonathan Irons Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts setzte sich Schumanns Cellokonzert allmählich als Repertoirestück durch, aber seine formale Anlage wurde lange nicht verstanden. Der ursprüngliche Titel »Concertstück«, der durch die nahtlosen Übergänge zwischen den drei Sätzen gerechtfertigt ist und zugleich den »symphonischen« Anspruch reduziert, sollte genügen, dieses Werk nicht mit dem Klavierkonzert op. 54 in derselben Tonart zu vergleichen, sondern viel eher mit dem Konzertstück F-Dur op. 86 für vier Hörner und Orchester vom Frühjahr 1849, mit dem es in mancher Hinsicht (Satzfolge und Charakteristik, Taktart und Tempo des dritten Satzes) verwandte Züge trägt. Symposion & Gesprächskonzert Johannes Maria Staud Capell-Compositeur 2010/2011 04.05.11 Mittwoch 16:00 – 18:00 Hochschule für Musik Dresden, Wettiner Platz 13, Raum 407 Musiktheater-Erfahrungen. Der Dresdner Capell-Compositeur Johannes Maria Staud im Zusammenwirken mit dem Dichter Durs Grünbein Symposion mit Johannes Maria Staud, Durs Grünbein, Tobias Niederschlag u.a. Leitung: Prof. Dr. Jörn Peter Hiekel 04.05.11 Mittwoch 19:30 Konzertsaal der Hochschule für Musik Dresden, Wettiner Platz 13 Gesprächskonzert Johannes Maria Staud Johannes Maria Staud: „Bewegungen“ für Klavier solo, „Vielleicht … Zunächst...Wirklich…Nur“ für Ensemble und Sopran, „Configurations“ für Oktett, „Portugal“ für Schlagwerk solo; Gerard Grisey: „Partiels“ für Ensemble, Pierre Boulez: „Dérive“ für Sextett Joach i m Dr a h ei m gefördert durch das 18 19 Leonard Elschenbroich Violoncello S pätestens seit seinem Erfolg beim Eröffnungskonzert des Schleswig-Holstein Musik Festivals 2009, als er das Brahms-Doppelkonzert an der Seite von Anne-Sophie Mutter unter der Leitung von Christoph Eschenbach spielte und mit dem Leonard Bernstein Award ausgezeichnet wurde, gilt Leonard Elschenbroich als einer der interessantesten Cellisten seiner Generation. Schnell wurden andere bedeutende Dirigenten auf den Gewinner der des Borletti-Buitoni Trust und Stipendiaten der Anne-Sophie Mutter Stiftung aufmerksam und luden ihn zu gemeinsamen Konzerten ein, darunter Valéry Gergiev, Semyon Bychkov, Manfred Honeck und Fabio Luisi. Inzwischen konzertierte Elschenbroich u.a. mit dem WDR Sinfonieorchester Köln, dem Swedish Radio Symphony Orchestra und den St. Petersburger Philharmonikern. Im Sommer 2010 gab er sein US-Debüt mit dem Chicago Symphony Orchestra. Recitals in bislang 19 europäischen Ländern führten Elschenbroich u.a. in die Alte Oper Frankfurt, die Londoner Wigmore Hall und in den Amsterdamer Concertgebouw. Beim Schleswig-Holstein Musik Festival 2010 spielte er sämtliche Beethoven-Sonaten mit Christoph Eschenbach. Als Kammermusiker musizierte er darüber hinaus mit Katia und Marielle Labèque beim Verbier Festival, mit Hélène Grimaud und Renaud Capuçon beim Chambery Festival und mit Gidon Kremer beim Lockenhaus Festival. Zu den kommenden Höhepunkten gehören neben der bevorstehenden Tournee mit der Sächsischen Staatskapelle auch Konzerte mit dem Russian National Philharmonic unter Vladimir Spivakov, mit dem London Philharmonic Orchestra und Elschenbroichs Debüt beim Lucerne Festival 2011. Leonard Elschenbroich wurde 1985 in Frankfurt am Main geboren und studierte bereits mit zehn Jahren an der Yehudi Menuhin School in London. Er spielt ein Cello von Matteo Goffriller, »Ex Leonard Rose« (Venedig, 1693). Bei der Sächsischen Staatskapelle Dresden ist er zum ersten Mal zu Gast. 20 21 10. SYMPHONIEKONZERT Gidon Kremer Violine I n den mehr als 35 Jahren seiner bedeutenden Karriere hat Gidon Kremer, 1947 in Riga geboren, seinen Ruf als Persönlichkeit singulären Formats etabliert – nicht nur als Geiger von hohem internationalen Rang, sondern als Künstler mit besonders ausgeprägter Individualität, der ausgetretene Pfade meidet und in neue Richtungen weist. Im Alter von vier Jahren begann er mit dem Violinspiel, wurde 1965 Meisterschüler von David Oistrach am Moskauer Konservatorium und gewann u.a. den Tschaikowsky-Preis sowie den Paganini-Wettbewerb. Er wurde mit zahlreichen Ehrungen bedacht (u.a. Ernst von Siemens Musikpreis, Frankfurter Musikpreis, Bundesverdienstkreuz, Preis der Accademia Musicale Chigiana, Unesco-Preis 2001, Saeculum-Glashütte Original-Musikfestspielpreis Dresden 2007). Die Einspielung »After Mozart« mit der Kremerata Baltica erhielt 2002 den Grammy Award und wurde im selben Jahr mit dem ECHO Klassik ausgezeichnet. Kremer hat mit allen bedeutenden Orchestern und Dirigenten unserer Zeit musiziert. Seine inzwischen über 100 CDs haben neue Maßstäbe gesetzt. Kremers umfangreiches Repertoire umfasst neben den zentralen Werken der Klassik und Romantik auch viele Kompositionen des 20. und 21. Jahrhunderts. Komponisten wie Alfred Schnittke, Arvo Pärt, Sofia Gubaidulina, Luigi Nono, Giya Kancheli und Aribert Reimann nehmen in seinen Programmen einen besonderen Stellenwert ein. 1981 gründete er das Kammermusikfestival in Lockenhaus (Österreich); 1997 rief er die Kremerata Baltica ins Leben – ein Kammerorchester aus jungen, hochtalentierten baltischen Musikern, mit dem er seitdem in allen bedeutenden Konzertzentren gastiert. Kremer spielt auf einer »Nicola Amati« aus dem Jahr 1641. Mit den jetzigen Konzerten kehrt er nach einer viel zu langen Pause zur Staatskapelle Dresden zurück: Zuletzt konzertierte er mit dem Orchester im Februar 1979 in einem Sonderkonzert unter Herbert Blomstedt. 22 23 10. SYMPHONIEKONZERT Robert Schumann * 8. J u n i 1810 i n Z w ick au † 2 9. J u l i 18 5 6 i n E n de n i c h be i B o n n Konzert für Violine und Orchester d-Moll op. posth. 1. In kräftigem, nicht zu schnellem Tempo 2. Langsam 3. Lebhaft, doch nicht so schnell e n tsta n de n Besetz u ng vom 21. September bis 3. Oktober 1853 in Düsseldorf Violine solo; 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 2 Hörner, 2 Trompeten, Pauken, Streicher »... das fehlende Bindeglied der Violinliteratur« Zu Robert Schumanns Violinkonzert d-Moll Das Violinkonzert d-Moll vom September/Oktober 1853 ist Schumanns letzte Komposition für Orchester. Kein bedeutendes Werk der Musikliteratur ist mit so vielen Missverständnissen belastet und Geheimnissen umgeben, keines hat eine so merkwürdige und verwickelte Rezeptionsgeschichte erlebt. Erst 84 Jahre nach seiner Entstehung erschien es 1937 in einer außerordentlich mangelhaften Ausgabe im Druck, erstmals gespielt wurde es in stilistisch völlig verfehlter Weise und in einer verstümmelten Version. Die Nationalsozialisten propagierten es als »Ersatz« für das verfemte Violinkonzert des Juden Mendelssohn. Seitdem (und auch schon vorher) wurde viel Überflüssiges und manch grober Unfug über das Stück geschrieben; es wurde viel zu selten und oft unter Missachtung von Schumanns Anweisungen gespielt, und dies auch noch aus einer fehlerhaften Ausgabe, die erst 2009 durch eine zuverlässige Urtextedition, herausgegeben von Christian Rudolf Riedel (mit einer Einrichtung der Solostimme von Thomas Zehetmair, Wiesbaden, Breitkopf & Härtel) ersetzt wurde. u r au f g e f ü h r t am 26. November 1937 im Deutschen Opernhaus in Berlin-Charlottenburg (Solist: Georg Kulenkampff, Berliner Philharmoniker, Dirigent: Karl Böhm) V e r l ag Breitkopf & Härtel, Wiesbaden/Leipzig Dau e r ca. 27 Minuten 24 25 Beim 31. Niederrheinischen Musikfest in Düsseldorf im Mai 1853 lernte das Ehepaar Schumann den erst 22 Jahre alten genialen Geiger Joseph Joachim kennen, der durch seine Interpretation von Beethovens Violinkonzert großes Aufsehen erregte. Am 2. Juni 1853 wandte sich Joachim in einem Brief an Schumann: »Möchte doch Beethoven’s Beispiel Sie anregen, den armen Violinspielern, denen es, ausser der Kammermusik, so sehr an Erhebendem 10. SYMPHONIEKONZERT für ihr Instrument fehlt, aus Ihrem tiefen Schacht ein Werk an’s Licht zu ziehen, wunderbarer Hüter reichster Schätze!« Diesen schon lange zuvor von seinem Freund Ferdinand David, dem Konzertmeister des Leipziger Gewandhausorchesters und Lehrer Joachims, geäußerten Wunsch griff Schumann, durch einen weiteren Besuch Joachims inspiriert, auf, komponierte Anfang September 1853 zunächst die Phantasie für Violine und Orchester op. 131 und begann am 21. September mit einem »Stück f. Violine«, wie im Haushaltsbuch vermerkt ist. Am 1. Oktober, einen Tag nach der denkwürdigen ersten Begegnung mit dem jungen Brahms, war das »Concert f. Violine beendigt«, am 3. Oktober »fertig instr.«. Schon am 7. Oktober wollte er es Joachim schicken und bemerkte dazu: »Hier lege ich auch etwas Neues bei, was Ihnen vielleicht ein Abbild von einem gewissen Ernst gibt, hinter dem oft eine fröhliche Stimmung hervorsieht. Oft waren Sie, als ich schrieb, meiner Phantasie gegenwärtig, was wohl zu der Stimmung beitrug. Sagen Sie mir Alles, was Ihnen nicht [sic!] zu schwer, wie ich denn Ihnen wirklich schon zum Genießen unmögliche Gerichte oder wenigstens Bissen vorgesetzt habe. Streichen Sie alles durch, was nach Unausführbarkeit schmeckt.« Die Abschrift war jedoch noch nicht fertig, so dass Schumann das Konzert erst am 13. Oktober abschickte, das Begleitschreiben konnte er dem gerade in Düsseldorf anwesenden Joachim selbst übergeben: »Sie erhalten hier das Concert; möge es Sie anmuthen! Es scheint mir leichter, als die Phantasie, auch das Orchester mehr [in] Thätigkeit. Es sollte mich nun sehr freuen, wenn wir es im 1sten Concerte hier hören könnten …«. Aus dieser Uraufführung im Abonnementkonzert am 27. Oktober wurde jedoch nichts, weil die Zeit zu knapp war. Joachim spielte aber dann erstmals die Phantasie op. 131, begann das Konzert zu üben und machte möglicherweise schon damals einige Verbesserungsvorschläge für die technische Gestaltung der Solostimme, die von Schumann, wie den Quellen zu entnehmen ist, dankbar übernommen wurden. Robert Sch u m a n n. Si lber st i f tz e ich n u ng von J e a n - J o s e p h - B o n av e n t u r e L a u r e n s ( D ü ss e l d o r f, Ok t o b e r 1 8 5 3 ) Laurens erinnerte sich: »… Während ich ihn zeichnete, war ich betroffen und erschrocken über die abnorme Erweiterung seiner Pupillen. Ich sprach mit Frau Schumann darüber, die mir in großer Besorgnis gestand, daß ihr Mann krank sei.« 26 27 Anlässlich einer Reise des Ehepaars Schumann nach Hannover, wo Joachim als Konzertmeister wirkte, wurde das Violinkonzert zweimal erprobt – am 25. Januar 1854 mit Klavier und am 30. Januar mit Orchester. Die zweite Probe scheint nicht ganz befriedigend gewesen zu sein, da der Geiger »etwas ermüdet« war, wie Schumann im Tagebuch vermerkte. Joachim geht in einem Brief an Schumann vom 17. November 1854 – als dieser bereits seit einem halben Jahr in der Nervenheilanstalt in Endenich war – darauf ein: »Könnte ich Ihnen doch Ihr D moll Concert vorspielen; ich habe es jetzt besser inne, als damals in Hannover; wo ich es in der Probe Ihrer so unwürdig spielen mußte, zu meinem großen Verdruß, weil ich den Arm beim dirigiren so sehr ermüdet hatte. Jetzt klingt der 3/4 Takt [im dritten Satz] viel stattlicher …«. 10. SYMPHONIEKONZERT Von einer Geringschätzung des Werks kann also bis zu diesem Zeitpunkt nicht die Rede sein. Erst nach Schumanns Tod 1856 kamen Zweifel auf. Eine Probe mit dem Gewandhausorchester im Herbst 1857 fand statt und ließ Clara Schumann und Joseph Joachim zu dem Entschluss kommen, das Konzert weder aufzuführen noch zu publizieren. Seinem Biographen Andreas Moser gab Joachim in einem Brief vom 5. August 1898 eine differenzierte Begründung, warum er das Werk, dessen Manuskript ihm Clara Schumann inzwischen geschenkt hatte, zurückhielt: »Der Umstand, daß es nicht veröffentlicht worden ist, wird Sie schon zu dem Schluß bringen, daß man es seinen vielen herrlichen Schöpfungen nicht ebenbürtig an die Seite stellen kann. Ein neues Violinconcert von Schumann – mit welchem Jubel würde es von allen Kollegen begrüßt worden sein! Und doch durfte gewissenhafte Freundessorge für den Ruhm des geliebten Tondichters nie einer Publication das Wort reden, so vielumworben es auch von Verlegern war. Es muß eben leider gesagt werden, daß es eine gewisse Ermattung, welcher geistige Energie noch etwas abzuringen sich bemüht, nicht verkennen läßt. Einzelne Stellen (wie könnte das anders sein!) legen wohl von dem tiefen Gemüth des Schaffenden Zeugniß ab; um so betrübender aber ist der Contrast mit dem Werk als Ganzes.« Dieses Fehlurteil und eine falsch verstandene Pietät führten schließlich dazu, dass Joachims Sohn Johannes beim Verkauf des Nachlasses seines Vaters 1907 an die Preußische Staatsbibliothek Berlin dieser die Auflage machte, dass Schumanns Violinkonzert frühestens 100 Jahre nach dem Tode des Komponisten, also 1956, veröffentlicht werden dürfte. Zwei Großnichten Joachims, die Geigerinnen Jelly d’Aranyi und Adila Fachiri, behaupteten in den dreißiger Jahren, der Geist Schumanns bzw. ihres Großonkels sei ihnen bei spiritistischen Sitzungen erschienen und habe verlangt, das (angeblich verschollene) Violinkonzert zu finden und zur Aufführung zu bringen. Erst eine Initiative des Musikverlags Schott machte dem absurden Spektakel ein Ende und veranlasste Johannes Joachim, das Werk vorzeitig zur Aufführung und zum Druck freizugeben. Diesen besorgte Georg Schünemann, der damalige Leiter der Musikabteilung der Staatsbibliothek, ohne die Quellen (autographe Partitur, Partiturabschrift, Stimmen, zwei Klavierauszüge) mit genügender Akribie auszuwerten (Mainz 1937, Schott); er leistete sich auch eine Reihe katastrophaler Lesefehler. Paul Hindemith fertigte anonym eine entstellende Einrichtung der Violinstimme an, die bei der mit viel propagandistischem Beiwerk (u.a. Rede von Goebbels) veranstalteten Uraufführung mit dem Solisten Georg Kulenkampff und den Berliner Philharmonikern unter der Leitung von Karl Böhm im Deutschen Opernhaus in Berlin-Charlottenburg benutzt wurde. Eine Uraufführung des Werkes in Amerika durch Yehudi Menuhin, der sich stets für das unbearbeitete Original eingesetzt hat, war von den Nazis aus naheliegenden Gründen verhindert worden. 28 29 Joseph Joach i m u n d Cl a r a Sch u m a n n. R e p r o d u k t i o n e i n e s v e r s c h o l l e n e n Pa s t e l l s vo n A dolph von M enz el ( Ber li n, 20. Dez e m ber 18 54) Sowohl Joachim als auch Clara Schumann (wie später auch Johannes Brahms) waren Ehrenmitglieder des Dresdner Tonkünstler-Vereins. Was Menuhin in einem Brief an den Dirigenten Vladimir Golschmann vom 22. Juli 1937 über das Violinkonzert geschrieben hat, besitzt noch heute uneingeschränkte Gültigkeit: »Dieses Konzert ist das historisch fehlende Bindeglied der Violinliteratur; es ist die Brücke zwischen den Konzerten von Beethoven und Brahms, obwohl es mehr zu Brahms tendiert. Tatsächlich findet man in beiden Werken die gleiche menschliche Wärme, zärtliche Geschmeidigkeit und kühne männliche Rhythmik, die gleiche liebevolle Arabesken-Behandlung der Violine, die gleichen reichhaltigen und noblen Themen und Harmonien.« Das Konzert trägt keinerlei Spuren von nachlassender schöpferischer Kraft an sich oder ist von der nahenden Krankheit überschattet, wie bis zum Überdruss immer wieder behauptet wurde und wird, sondern bietet ein besonders eindrucksvolles Beispiel für die neuartige Konzeption eines Solokonzerts, die Schumann auch in den anderen konzertanten Werken des Jahres 1853) erfolgreich erprobt hat. Merkmale 10. SYMPHONIEKONZERT sind u.a. das blockhafte Gegenüberstellen von Solostimme und Orchester, aus dem dann einzelne Instrumente in einen intensiven Dialog mit dem Solisten treten, die Adaption barocker Figurations- und Harmonie-Modelle und die lied- oder choralartige Ausgestaltung der Satzschlüsse. Der erste Satz setzt mit einer vollständigen Tuttiversion des majestätischen ersten Themas ein, das sehr bald dem lyrischen zweiten Thema weichen muss. Dieser wundervolle, für den späten Schumann charakteristische melodische Gedanke über einem Dominant-Orgelpunkt der Dur-Parallele erweist sich als das eigentliche Zentralthema nicht nur des ersten Satzes, sondern des ganzen Konzerts. Von Bachs Sonaten und Partiten für Violine solo, zu denen Schumann im Frühjahr 1853 eine Klavierbegleitung geschrieben hatte, sind die zahlreichen, oft nur von den Streichern begleiteten Figurationen der Solovioline inspiriert. Das schlichte und innige Gesangsthema des zweiten Satzes weist eine gewisse Verwandtschaft mit dem sogenannten Geisterthema auf, das Schumann in der Nacht vom 17. auf den 18. Februar 1854 beim Ausbruch seiner Krankheit komponierte. Die oft in tiefster Lage agierende Solovioline ist in das subtile orchestrale Gewebe dieses Satzes eingebettet, dessen warmes Klangbild von Synkopengängen der Celli noch zusätzlich verschleiert wird. Melodische Führung und Begleitfiguren werden zwischen Orchester und Violine immer wieder ausgetauscht. Die kurze Überleitung zum Schlusssatz, die durch ein Accelerando herbeigeführt wird, erinnert etwas an den Übergang zum letzten Satz der d-MollSymphonie. Dieser am meisten geschmähte Satz des Konzerts ist ein etwas verschachteltes Sonatenrondo mit überraschenden Reminiszenzen an die beiden ersten Sätze. Den Charakter einer gravitätisch schreitenden Polonaise voller kapriziöser Episoden hat Joseph Joachim im bereits zitierten Brief an Schumann vom 17. November 1854 vortrefflich beschrieben: »Wissen Sie noch, wie Sie lachten und sich freuten, als wir meinten, der letzte Satz klänge, wie wenn Kociusko mit Sobiesky eine Polonaise eröffneten: so stattlich?« In der sehr umfangreichen Coda erscheint ein liedhaft-hymnisches Coda­ thema in den Klarinetten, Hörnern und Bratschen. Das geistvolle Spiel mit Themen und Motiven und ihren Ableitungen und Varianten, das zahlreiche, oft verdeckte Bezüge innerhalb des Satzes und des ganzen Konzerts aufweist, setzt sich bis zum strahlenden Dur-Schluss fort. Joach i m 30 31 Dr aheim Repertoire: Johannes Brahms Symphonie Nr. 1 c-Moll Europa-Tournee 5. – 14. Mai 2011 Dirigent Christoph Eschenbach Violine Gidon Kremer Violoncello Leonard Elschenbroich op. 68 Anton Bruckner Symphonie Nr. 4 Es-Dur »Romantische« Robert Schumann Violinkonzert d-Moll op. posth. Cellokonzert a-Moll op. 129 Johannes Maria Staud »Tondo«, Preludio für 5. / 6. / 7. Mai 2011 Wien, Musikverein 8. Mai 2011 Luxemburg, Philharmonie Orchester Pjotr I. Tschaikowsky »Rokoko-Variationen« op. 33 10. Mai 2011 Paris, Théâtre des Champs-Élysées 11. Mai 2011 Brüssel, Bozar 12. Mai 2011 Cardif f, St David‘s Hall 13. Mai 2011 Birmingham, Symphony Hall 10. SYMPHONIEKONZERT Neue Bahnen Es sind Jahre verflossen, – beinahe ebenso viele, als ich der früheren Redaktion dieser Blätter widmete, nämlich zehn –, daß ich mich auf diesem an Erinnerun­ gen so reichen Terrain einmal hätte vernehmen lassen. Oft, trotz angestrengter produktiver Tätigkeit, fühlte ich mich angeregt; manche neue, bedeutende Talente erschienen, eine neue Kraft der Musik schien sich anzukündigen, wie dies viele der hochaufstrebenden Künstler der jüngsten Zeit bezeugen, wenn auch deren Produktionen mehr einem engeren Kreise bekannt sind. Ich dachte, die Bahnen dieser Auserwählten mit der größten Teilnahme verfolgend, es würde und müsse nach solchem Vorgang einmal plötzlich Einer erscheinen, der den höchsten Ausdruck der Zeit in idealer Weise auszusprechen berufen wäre, einer, der uns die Meisterschaft nicht in stufenweiser Entfaltung brächte, sondern, wie Minerva, gleich vollkommen gepanzert aus dem Haupte des Kronion spränge. Und er ist gekommen, ein junges Blut, an dessen Wiege Grazien und Helden Wache hielten. Er heißt Johannes Brahms, kam von Hamburg, dort in dunkler Stille schaffend, aber von einem trefflichen und begeistert zutragenden Lehrer gebildet in den schwierigsten Satzungen der Kunst, mir kurz vorher von einem verehrten bekannten Meister empfohlen. Er trug, auch im Äußeren, alle Anzeichen an sich, die uns ankündigen: das ist ein Berufener. Am Klavier sitzend, fing er an wunderbare Regionen zu enthüllen. Wir wurden in immer zauberischere Kreise hineingezogen. Dazu kam ein ganz geniales Spiel, das aus dem Klavier ein Orchester von wehklagenden und lautjubelnden Stimmen machte. Es waren Sonaten, mehr verschleierte Symphonien, – Lieder, deren Poesie man, ohne die Worte zu kennen, verstehen würde, obwohl eine tiefe Gesangsmelodie sich durch alle hindurchzieht, – einzelne Klavierstücke, teilweise dämonischer Natur von der anmutigsten Form, – dann Sonaten für Violine und Klavier, – Quartette für Saiteninstrumente, – und jedes so abweichend vom andern, daß sie jedes verschiedenen Quellen zu entströmen schienen. Und dann schien es, als vereinigte er, als Strom dahinbrausend, alle wie zu einem Wasserfall, über die hinun­ terstürzenden Wogen den friedlichen Regenbogen tragend und am Ufer von Schmetterlingen umspielt und von Nachtigallenstimmen begleitet. Wenn er seinen Zauberstab dahin senken wird, wo ihm die Mächte der Massen, im Chor und Orchester, ihre Kräfte leihen, so stehen uns noch wunderbarere Blicke in die Geheimnisse der Geisterwelt bevor. Möchte ihn der höchste Genius dazu stärken, wozu die Voraussicht da ist, da ihm auch ein anderer Genius, der der Bescheidenheit, innewohnt. Seine Mitgenossen begrüßen ihn bei seinem ersten Gang durch die Welt, wo seiner vielleicht Wunden warten werden, aber auch Lorbeeren und Palmen; wir heißen ihn willkommen als starken Streiter. 32 33 J o h a n n e s B r a h ms . S i l b e r s t i f t z e i c h n u n g v o n J e a n - J o s e p h - B o n av e n t u r e L a u r e n s ( D ü ss e l d o r f, 1 5 . S e p t e m b e r 1 8 5 3 ) Der französische Schriftsteller, Maler und Musiker Laurens (1801-1890) besuchte Schumann im Herbst 1853 in Düsseldorf und schuf neben einigen SchumannPorträts bei dieser Gelegenheit auch drei Zeichnungen des jungen Brahms. Es waltet in jeder Zeit ein geheimes Bündnis verwandter Geister. Schließt, die ihr zusammengehört, den Kreis fester, daß die Wahrheit der Kunst immer klarer leuchte, überall Freude und Segen verbreitend. R.S. [Robert Schum a nn] i n : N e u e Z e i t s c h r i f t f ü r M u s i k , L e i p z i g , 2 8 . Ok t o b e r 1 8 5 3 10. SYMPHONIEKONZERT Johannes Brahms * 7. M a i 1 8 3 3 i n H a m b u r g † 3 . Ap r i l 1 8 9 7 i n W i e n Symphonie Nr. 1 c-Moll op. 68 1. Un poco sostenuto – Allegro 2. Andante sostenuto 3. Un poco Allegretto e grazioso 4. Adagio – Più Andante – Allegro non troppo, ma con brio – Più Allegro e n tsta n de n Besetz u ng zwischen 1862 und 1876; abgeschlossen im Sommer 1876 in Lichtental bei Baden-Baden 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, Kontrafagott, 4 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Pauken, Streicher u r au f g e f ü h r t am 4. November 1876 in Karlsruhe (Großherzoglich-Badische Hofkapelle, Dirigent: Otto Dessoff) Breitkopf & Härtel, Wiesbaden/Leipzig ca. 45 Minuten 35 Kein anderes seiner Werke hat Johannes Brahms so lange beschäftigt wie die erste Symphonie: Nicht weniger als 14 Jahre liegen zwischen den ersten Skizzen aus dem Jahr 1862 und der endgültigen Fertigstellung im Sommer 1876. Mehrere Entwürfe zu der Symphonie hat Brahms verworfen oder zu anderen Werken umgearbeitet (aus einem ursprünglichen d-Moll-Satz ging beispielsweise das erste Klavierkonzert hervor, andere Teile finden sich im »Deutschen Requiem« wieder). Ein Hauptgrund für die »Komplikationen« lag darin, dass Brahms die Symphonien Beethovens als übermächtiges Vorbild empfand; er selber sprach vom »Riesen Beethoven«, den er ständig »hinter sich marschieren« hörte. Brahms, der bei Abschluss der Partitur bereits 43 Jahre alt war, legte dem Werk die Tonart c-Moll zugrunde, die bereits durch einige bedeutende Werke Beethovens – darunter das dritte Klavierkonzert oder die fünfte Symphonie – vorgeprägt war und dort in der Regel in einem pathetisch-schicksalhaften Zusammenhang stand. Wie Beethoven in seiner Fünften wählte auch er eine Entwicklung »per aspera ad astra« (Durch Nacht zum Licht), die sich nach einem düsteren Beginn in einer abschließenden Aufhellung, einem Durchbruch nach C-Dur widerspiegelt. Mit einer äußerst beziehungsreichen Themen- und Variantenbildung aber ging Brahms in seiner Sym­ phonie neue, eigene Wege. V e r l ag Dau e r 34 Durch Nacht zum Licht Zu Johannes Brahms’ erster Symphonie Der erste Satz hebt mit einer düsteren Einleitung an (»Un poco sostenuto«), die motivische Keimzelle des ganzen Satzes wird hier vorgestellt: Über lastenden Paukenschlägen stimmen die Violinen eine in Halbtonschritten aufsteigende Linie an, aus der schließlich das energische Hauptthema des Allegro-Teils hervorgeht. In diesem Hauptteil ist – neben einem lyrischen 10. SYMPHONIEKONZERT Seitenthema der Oboe – auch ein heftiges Staccato-Motiv von Bedeutung, das in der Durchführung choralartig fortgeführt wird. Der Satz endet mit einer resignativen Coda: die Konfliktspannung wird vorübergehend eingestellt. Die beiden mittleren Sätze haben den Charakter von kurzen Intermezzi. Der lyrische Andante-Satz basiert auf einer kantabel strömenden Streichermelodie, die Bezüge zum Hauptthema des ersten Satzes erkennen lässt. Eine poe­ sievolle Oboenmelodie leitet in den Mittelteil über, dessen fließende Bewegung auch bei der späteren Wiederkehr des Anfangsteils beibehalten wird. Am Ende steht ein schwelgerischer Abgesang von Solovioline und Horn. Kammermusikalisch intim gibt sich darauf der dritte Satz (»Un poco Alle­ gretto e grazioso«), der weit entfernt ist von den energischen ScherzoSätzen Beethovens oder Bruckners. Mit einer anmutig fließenden Melodie stimmt die Klarinette den Hauptteil an; in einem späteren 6/8-Mittelteil nimmt die Musik lebhaftere, sogar emphatische Züge an. Ziel und krönender Abschluss der Symphonie ist das Finale, das an die Konflikte des Kopfsatzes anknüpft. Auch dieser Satz beginnt mit einer lastenden Einleitung (»Adagio«), die motivisch bereits auf den schnellen Hauptteil vorausweist. Pizzicati und wilde Streicherläufe steigern sich zum Einsatz einer hymnischen Hornmelodie (»Più Andante«), die Brahms einem schweizerischen Alphornthema ablauschte; die Blechbläser antworten mit einem feierlichen Posaunenchoral. Erst danach setzt der berühmte Allegro-Teil ein, dessen Hauptthema in den Streichern eine auffallende Ähnlichkeit zum »Freudenthema« aus Beethovens neunter Symphonie aufweist. Auch die Durchführung ist zunächst von dieser Streichermelodie geprägt und mündet – nach dramatischen Entwicklungen – in einen explosiven Höhepunkt, auf dem erneut die Schweizer Hornmelodie erklingt. Damit ist der Weg frei für eine brillante Coda (»Più Allegro«), die das Werk unter Choralklängen mit einer jubelnden Stretta beschließt. Nach der erfolgreichen Uraufführung im November 1876 in Karlsruhe wurde Brahms schon bald als würdiger Nachfolger Beethovens angesehen, der Dirigent Hans von Bülow etwa prägte das Wort von Beethovens »zehnter Symphonie« – was Brahms aber verärgerte. Mit seiner ersten Symphonie gelang ihm, ausgehend von der Tradition Beethovens, ein ganz eigener symphonischer Ansatz. Gleichzeitig durchbrach er mit dem Werk auch seine große Hemmschwelle gegenüber der Gattung: Bereits im Sommer 1877 komponierte er in nur wenigen Wochen seine lyrische zweite Symphonie. N o c h v o r d e m e n d g ü l t i g e n D u r c h b r u c h z u m S y mp h o n i k e r : J o h a n n e s B r a h ms , u m 1 8 7 0 36 37 Tobi a s N i eder sch l ag 10. SYMPHONIEKONZERT 10. Symphoniekonzert 2010 | 2011 Orchesterbesetzung 1. Violinen Kai Vogler Michael Neuhaus 1. Konz e rt m e i st e r Solo Michael Eckoldt Thomas Meining Federico Kasik Michael Frenzel Johanna Mittag Jörg Kettmann Susanne Branny Birgit Jahn Wieland Heinze Henrik Woll Anett Baumann Anselm Telle Sae Shimabara Franz Schubert Gregor Anger Stephan Pätzold Anya Muminovich Jürgen Knauer Michael Schöne Uwe Jahn Ulrich Milatz Ralf Dietze Susanne Neuhaus Milan Líkař Heiner Stolle* Christoph Starke* 2. Violinen Heinz-Dieter Richter Konz e rt m e i st e r Reinhard Krauß Konz e rt m e i st e r Frank Other Matthias Meißner Stephan Drechsel Jens Metzner Olaf-Torsten Spies Mechthild von Ryssel Alexander Ernst Emanuel Held Holger Grohs Kay Mitzscherling Paige Kearl Lisa Werhahn 38 Bratschen 39 Violoncelli Isang Enders Thomas Grosche Johannes Nalepa Annett Will Trompeten Mathias Schmutzler Solo Sven Barnkoth Flöten Andreas Kißling Posaunen Solo Uwe Voigt Bernhard Kury Tina Vorhofer** Solo Guido Ulfig Lars Zobel Oboen Bernd Schober Tuba Solo Jens-Peter Erbe Volker Hanemann Solo Klarinetten Pauken Konz e rt m e i st e r Wolfram Große Thomas Käppler Friedwart Christian Dittmann Solo Solo Solo Christian Dollfuß Tom Höhnerbach Uwe Kroggel Andreas Priebst Bernward Gruner Johann-Christoph Schulze Jakob Andert Anke Heyn Axel von Huene* Kontrabässe Andreas Wylezol Solo Torsten Hoppe Helmut Branny Christoph Bechstein Fred Weiche Fagotte Erik Reike Solo Andreas Börtitz Thomas Berndt Hörner Jochen Ubbelohde Solo Robert Langbein Schlagzeug Christian Langer Dirk Reinhold Stefan Seidl Klavier Nikolai Petersen Celesta Clemens Posselt Solo David Harloff Julius Rönnebeck Miklós Takács Klaus Gayer * als Gast ** a ls a k a dem ist 10. SYMPHONIEKONZERT fotos: matthias Creutziger Vorschau Sonderkonzert zur Eröffnung der Dresdner Musikfestspiele 2011 M i t t wo c h 19. 0 5 .11 2 0 U h r S e mp e r o p e r Esa-Pekka Salonen Dirigent Lilli Paasikivi Mezzosopran Damen des Sächsischen Staatsopernchors Dresden Kaija Saariaho »Lumière et Pesanteur« (Helligkeit und Schwere) für Orchester [2009] Deutsche Erstaufführung Gustav Mahler Symphonie Nr. 3 d-Moll In Kooperation mit den Dresdner Musikfestspielen Kinderchor der Sächsischen Staatsoper Dresden Treffen der Capell-ComposiTeure I mp r ess u m Sächsische Staatsoper Dresden Intendantin Dr. Ulrike Hessler Spielzeit 2010|2011 Herausgegeben von der Intendanz © Mai 2011 Bildn ac h w eise Christoph Eschenbach: Eric Brissaud; Johan­nes Maria Staud: Matthias Creutziger; Leonard Elschenbroich: Felix Broede; Gidon Kremer: Kasskara; Robert Schumann (Daguerreotypie): Robert-Schumann-Haus Zwickau; alle übrigen Abbildungen: Christiane Jacobsen (Hrsg.), Johannes Brahms. Leben und Werk, Hamburg 1983. Ein besonderer Dank gilt Dr. Hrosvith Dahmen und Janine Schütz für die Unterstützung bei der Beschaffung des Bildmaterials. sTaud & mundry 4. & 5. juni 2011 Die Gläser ne M a nufa k tur von volkswaGen T e x tn ac h w eise Reda ktion Tobias Niederschlag Die Texte von Dr. Joachim Draheim und Tobias Niederschlag sind Originalbeiträge für die Programmhefte der Sächsischen Staatskapelle Dresden. G est a lt u ng u nd L ay o u t schech.net Strategie. Kommunikation. Design. D r u ck Urheber, die nicht ermittelt oder erreicht werden konnten, werden wegen nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten. Union Druckerei Dresden GmbH An z eigenve r t r ie b Keck & Krellmann Werbeagentur GmbH i.A. der Moderne Zeiten Medien GmbH Telefon: 0351/25 00 670 e-Mail: [email protected] www.kulturwerbung-dresden.de asher fisch Dirigent Bruno Ganz sprecher voca l concert Dr esDen einstuDierunG: Peter koPP Private Bild- und Tonaufnahmen sind aus urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet. w w w. sta atsk a pelle-dr esden.de Tickets in der schinkelwache am Theaterplatz T e l e f o n 0351 4911 705 | fa x 0351 4911 70 0 | [email protected] w w w. s t a a t s k a p e l l e - d r e s d e n . d e 40 johannes maria sTaud »der riß durch den Tag«, monodram für sprecher und ensemble [2011] auftragswerk der sächsischen staatskapelle dresden, uraufführung isaBel mundry »scandello-Verwehungen« für Chor, ensemble und Bandzuspielung [2009/2010] 4 MF