Mai 2016 GELDPOLITIK IM UMBRUCH 1. NEUES AUSMAß GELDPOLITISCHER LOCKERUNG Um die Weltwirtschaft anzuregen, betreiben viele Notenbanken weltweit in einem noch nicht dagewesenen Maße liquiditätsgetriebene Stimulierung. So liegt bei einer Vielzahl der Notenbanken, z. B. in der Schweiz, in Dänemark Schweden, in der Eurozone und in Japan, der Referenzsatz für die Refinanzierung der Banken bei fast Null oder sogar im negativen Bereich. Zudem befindet sich die Mehrzahl der Leitzinsen global seit vielen Jahren unter den jeweiligen Inflationsraten und somit im expansiven Bereich auf realer Basis. Auch die FED scheint ihren Kurs der Normalisierung der Leitzinsen aktuell nochmals zu überdenken. Land Notenbankzins USA 0,375 Kanada 0,500 Mexiko 3,750 Eurozone 0,000 UK 0,500 Schweiz -0,750 Norwegen 0,500 Schweden -0,500 Dänemark 0,000 Japan -0,010 Australien 2,000 China 1,500 Korea 1,500 Abb. 1: Leitzins der Notenbanken, Stand: 18.04.2016. Quelle: Bloomberg, MainFirst Asset Management. Trotz dieser Maßnahmen bleibt der erwartete Erfolg der expansiven Geldpolitik aus, denn es ist kaum ein Anstieg der Inflationsraten oder der wirtschaftlichen Wachstumsdynamik festzustellen. Aufgrund von historischen Erfahrungswerten hätte man vorhergesagt, dass die Inflationsraten in vielen Ländern bereits über dem üblichen Inflationsziel von 2 Prozent liegen würden, da einzelne Aggregate der Wirtschaft eine positive Entwicklung erfahren haben. So befindet sich z. B. der Arbeitsmarkt der USA, Japans und einiger Länder Nordeuropas nahe der Vollbeschäftigung. Außerdem sind die Geldmengen zuletzt zweistellig gewachsen, was in der Vergangenheit ein guter Indikator für eine einsetzende Wachstumsdynamik des BIP war. Die gegenwärtige Realität sieht jedoch anders aus: Trotz der Diskussion um Mindestlöhne und einer Flut von Liquidität signalisieren die globalen makroökonomischen Daten ein BIP-Wachstum unter Trend und eine deflationäre Tendenz in der Wirtschaft. Worauf kann man dies zurückzuführen? Um die Kerninflation bei der Betrachtung der Daten zur Preisentwicklung zu erhalten, müssen zunächst die Entwicklungen um die Auswirkungen der fallenden Rohstoffpreise, welche den deflationären Trend in den Preisdaten der letzten Jahre verstärkt haben, bereinigt werden. Doch auch nach dieser Bereinigung ist die Entwicklung in den letzten Jahren nachhaltig fallend gewesen. 7% 6% 5% 4% 3% 2% 1% 0% -1% -2% -3% 2006 2007 2008 2009 2010 CPI Eurozone 2011 2012 CPI Japan 2013 2014 2015 2016 CPI USA Abb. 2: Entwicklung des Consumer Price Index (Verbraucherpreisindex) der letzten 10 Jahre. Quelle: Bloomberg, MainFirst Asset Management. Hinzu kommt, dass auch der durch die gesunkenen Rohstoffpreise erwartete positive Wachstumseffekt, der in Volkswirtschaften mit hohen Anteilen an privatem Konsum stattfinden sollte, bis dato ausbleibt. Ein bekannter Grund für ein geringeres zukünftiges BIP-Wachstum in Regionen wie Japan und Kerneuropa ist die vielfach thematisierte Demografie. Selbst im bevölkerungsstärksten Land der Welt, China, dürfte die Alterspyramide spätestens in einer Dekade wachstumshemmend wirken. Auch die Limitierung beim zukünftigen Wachstumspotential aufgrund der hohen Verschuldungsgrade ist im Nachgang der Euroschuldenkrise hinlänglich analysiert worden. Viel zu wenig beachtet und diskutiert hingegen wird der Einfluss, den neue Technologien auf die globale Makroökonomie haben, obwohl deren Einfluss oftmals nachhaltiger ist als übliche Konjunkturzyklen. Dabei hat die derzeitige hohe Anzahl disruptiver Technologien einen spürbaren Einfluss, und zwar auch auf Basis der gesamtwirtschaftlichen Beurteilung. Abb. 3: Gründe für die Deflation. Quelle: MainFirst Asset Management. Jedoch scheinen strukturelle Aspekte eine wesentliche Ursache für die aktuelle Phase von geringer Inflation und Wachstum zu sein. Denn das Aufkommen neuer Produkte bzw. Dienstleistungen, welches durch die Digitalisierung möglich wird, beeinflusst die Wirtschaft, wird aber nicht adäquat im makroökonomischen Zahlenwerk berücksichtigt. So wird zum Beispiel das Fotografieren und Entwickeln der physischen Fotos durch die digitale Speicherung auf Handys, Facebook, Instagram oder Dropbox ersetzt. Viele dieser Services werden kostenfrei angeboten oder indirekt mit unseren persönlichen Daten bezahlt und haben somit keinen Einfluss mehr auf den klassischen Waren- und Geldverkehr. Im Hinblick auf bestehende Geschäftsmodelle wird durch diese neuen Technologien erheblicher Preisdruck ausgeübt. Die Nachfrageebene der Welt des Internets und der Digitalisierung des Konsums ist eine der wenigen Bereiche unserer Wirtschaft, die strukturell wächst. Dies ist ein wichtiger Grund dafür, dass es für die Notenbanken trotz steigender Flutung der Märkte mit Liquidität schwer möglich ist, eine nachhaltige Inflation zu generieren, da dieser Konsum eben nicht über klassische Zahlmodelle läuft. Unter dem Einfluss der Digitalisierung, Automatisierung und Robotik ist davon auszugehen, dass der Anteil wirtschaftlicher Wertschöpfung mit deflationärer Tendenz in den kommenden Jahren sogar weiter zunehmen wird. 2. GELDPOLITIK 2.0 Die Notenbanken scheinen sich an einem Punkt zu befinden, an dem ihr Auftrag eine neue Ebene erreicht. Das Aufgabenfeld der Notenbanken ist nicht zuletzt seit der Lehman-/ und Euroschuldenkrise nicht mehr nur auf die Geldwertstabilität begrenzt. Zusätzliche Funktionen im Bezug auf die Überwachung des Bankensektors binden die Kapazitäten der Zentralbänker. Die jüngsten Maßnahmen der japanischen Notenbank haben zudem eine aktive Steuerung der Währungskurse als Ziel ihrer Geldpolitik bekundet. Trotz all dieser Maßnahmenpakete, die in ihrem Ausmaß deutlich ausgeweitet wurden, ist der Erfolg der Notenbankpolitik an den Finanzmärkten immer weniger zum Ausdruck gekommen. Dies wurde sowohl im Nachgang der Ausweitung des Anleiheaufkaufs der EZB im Dezember wie auch bei der Absenkung des Leitzinses in Japan im März deutlich. Offenkundig steigt mit dem Mangel an Erfolg in puncto Inflation bzw. Wachstum auch die Erwartungshaltung der Kapitalmärkte an die weiteren Stimuli der Zentralbanken. Bei einem Zinssatz von Null oder weniger sind jedoch die Hebel für die Generierung von Nachfrage nach Liquidität ausgereizt. Belegt wird dies auch durch die trotz des immer niedrigen Refinanzierungsniveaus geringeren Anleiheplatzierungsvolumina der Unternehmen an den Kreditmärkten. Wahrscheinlich kommen aus diesem Grund die Währungshüter auf immer neue Ideen, wie sie ihren expansiven Kurs fortsetzen können – Beispiele hierfür sind die LTRO in der Eurozone oder der Kauf von Aktien in Japan –, wodurch sie nicht eingestehen müssen, dass die üblichen Handwerkszeuge ihre Wirkkraft verloren haben. Abb. 4: Entwicklung des Verhältnisses von Geldmenge und BIP in den USA. Quelle: ISI. Aber bereiten die Notenbanken mit ihren unkonventionellen Maßnahmen nicht den Boden für die nächste Fehlallokation von Kapital? 3. NEUORIENTIERUNG ÜBERFÄLLIG Die Anleihemärkte signalisieren der Notenbank recht eindeutig, dass der geldpolitische Kurs nicht nur ineffektiv sondern auch zunehmend mit Problemen behaftet ist. Die Bandbreite der Renditen von Anleihen war selten so extrem verteilt wie aktuell. So sind die Anleihen erster Güte sowohl an den Staatsanleihemärkten wie auch bei Unternehmensanleihen mit kurzer bis mittlerer Laufzeit überwiegend mit einer negativen Ankaufrendite im Sekundärmarkt versehen. Dagegen wurden im Nachrangsegment der Bankanleihen im Februar dieses Jahres etliche Papiere mit einer Rendite von fast 10 Prozent gehandelt. Und Anleihepapiere von Rohstoffen und Energieunternehmen sind im Zuge des Verfalls der Rohstoffpreise zum Epizentrum von Kreditrisiken mutiert. Hier spiegelt sich der zunehmende Einfluss der QE-Programme und Finanzregulierung wieder. Denn durch die geringere Liquidität im Sekundärmarkt und den fehlenden Eigenhandel der Banken kommt es zu immer größeren Verzerrungen bei der Kursfindung. Des Weiteren ist mit dem Trend fallender Zinsen eine verstärkte Korrelation zu Bankaktien festzustellen, d. h. indirekt belastet die expansive Geldpolitik den wichtigsten Transmissionspartner in puncto Liquiditätsvergabe. Aktieninvestoren gewichten den Druck auf die Zinsmarge bei Banken somit höher in ihren Erwartungen als die mögliche zusätzliche Kreditnachfrage bei einer Fortsetzung der sinkenden Zinsen. Spätestens mit dem Erreichen von negativen Zinsniveaus sind auch sich selbst verstärkende deflationäre Effekte bei Kapitalvermögen ein Thema für die Breite des Finanzdienstleistungssektors. Von Seiten der Politik wird zunehmend Druck gegen die EZB spürbar, um Schaden für Vermögensbestände zu begrenzen. Jedoch sind bereits erhebliche Probleme nicht nur beim bestehenden Kapitalstock, sondern auch bei der privaten Altersvorsorge entstanden. Klassische Rentensparpläne dürften im aktuellen Umfeld keine wesentliche Zusatzrendite auf Basis der Zinseszins-Effekte mehr generieren. Anlageprodukte wie Geldmarktfonds werden tot gesagt und abgewickelt. Weitere Umschichtungen aus negativ rentierlichen Anleihen in riskantere Kapitalanlangen (mit positiver Erwartungsrendite) dürften auf mittlere Sicht zu einer Übertreibung in der Bewertung bestimmter Märkte führen. 4. FAZIT: FOKUSSIERUNG AUF SYSTEMRISIKEN Wenn die Inflations- und Wachstumsperspektive strukturell geringer anzusetzen ist und eine Ausweitung der expansiven Geldpolitik kaum Wirkung zeigt bzw. risikobehaftet ist, worauf sollten die Notenbanken ihr Mandat ausrichten? Im Wesentlichen sollten die Notenbanken darauf achten, nicht mit noch extremeren Maßnahmen, welche aktuell kaum Wirkung zeigen, ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel zu setzen. Die aktuellen Erfahrungen aus Japan bestätigen, dass das Vertrauen der Kapitalmärkte in die Notenbankpolitik zunehmend schwindet. Die Diskussion um sogenanntes „Helikoptergeld“ direkt im Anschluss an die expansiven Schritte der EZB im März zeigt, wie prekär die Lage für die Geldpolitik aus Sicht der Marktakteure auch in der Eurozone ist. Mögliche Geldgeschenke in der Breite dürften verstärkt die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Geldpolitik in der Ausübung des Mandats aufwerfen. Daher sind die Notenbanken im Nachgang zu den zuletzt extremen Maßnahmen gut beraten, sich zunächst etwas Zeit zu nehmen, um die Auswirkungen zum Tragen kommen zu lassen und diese zu analysieren. Auf Basis der Erfahrungen der letzten Jahre kann sich eine moderne Geldpolitik nicht mehr nur auf das Mandat der Stabilität des Preisniveaus oder einen hohen Beschäftigungsstand in der Wirtschaft zurückziehen. Im Umfeld einer nachhaltig niedrigen Inflation ist eine Überprüfung der Zielsetzung der Geldpolitik mit recht starren Inflationszielen dringend geboten. Auch die Fokussierung auf fixe makroökonomische Kennzahlen wie das BIP-Wachstum und die Arbeitslosenquote sind nur bedingt sinnvoll, wie die Entwicklung der Erwerbsquote in den USA gezeigt hat. Vielmehr sind die Zentralbanken gefordert, systemische Risiken vorzubeugen bzw. zu lösen. Ein möglicher Brexit oder die angespannte Lage für die Pensionssysteme sollten verstärkt von Notenbänkern diskutiert werden. Auch die Veränderung im Transmissionsmechanismus von Liquidität für die Wirtschaft aufgrund von strukturellen Problemen der Finanzdienstleister scheint zu wenig Beachtung zu finden. Denn in Folge der verschärften Bankenregulierung und des Niedrigzinsumfelds scheint ein Sterben des traditionellen Universalbankensystems nur eine Frage der Zeit zu sein. MAINFIRST ASSET MANAGEMENT ist eine unabhängige europäische Multi-Boutique mit einem aktiven Managementansatz. Das Unternehmen verwaltet Publikumsfonds und individuelle Spezialmandate und konzentriert sich mit seinem Multi-Boutique-Ansatz auf Investmentstrategien in ausgewählten Asset-Klassen, nämlich Equities, Fixed Income und Multi Asset. Erfahrene Portfolio Management Teams entwickeln Strategien mit hohem Active Share und individuellen Investmentprozessen. Das Unternehmen verbindet somit die Expertise und Flexibilität fokussierter Investment-Teams mit den Stärken und klar definierten Prozessen einer breit aufgestellten internationalen Plattform. Neben dem Asset Management ist die MainFirst Gruppe in den Bereichen Equity Brokerage sowie Equity Capital Markets tätig und entwickelt mit insgesamt 200 Mitarbeitern innovative Kundenlösungen. Die Standorte von MainFirst sind Frankfurt, London, Luxemburg, Mailand, München, New York, Paris und Zürich.