IV) Was sind Autismus-Spektrum-Störungen (ASS)? Hinter dem Begriff der ASS verbergen sich im Grunde die nach ICD-10 bzw. DSM-IV genannten tiefgreifenden Entwicklungsstörungen. Die wichtigsten tiefgreifenden Entwicklungsstörungen sind im Folgenden aufgeführt: F84.0 Frühkindlicher Autismus (Kanner-Autismus) F84.1 Atypischer Autismus F84.2 Rett-Syndrom F84.3 Andere desintegrative Störungen des Kindesalters F84.4 Hyperkinetische Störung mit Intelligenzminderung und Bewegungsstereotypien F84.5 Asperger-Syndrom Für uns in der Kinder- und Jugendpsychiatrie sind besonders die hervorgehobenen Diagnosekategorien bedeutsam. Die drei wesentlichen Kardinalsymptome autistischer Störungen lauten wie folgt: 1. Qualitative Beeinträchtigungen wechselseitiger sozialer Interaktionen z.B.: Soziale Signale und emotionale Reaktionen werden nicht korrekt bewertet (fehlender Blickkontakt, kein soziales Lächeln, kein Fantasie- und Rollenspiel, Unfähigkeit, sich in die Gefühle anderer Menschen hineinversetzen zu können, Abkapselung von der sozialen Umwelt, so dass schließlich keine „echte“ Kontaktaufnahme zu Gleichaltrigen bzw. anderen Menschen stattfindet) 2. Qualitative Beeinträchtigungen der Kommunikation und Sprache z.B.: Unzureichend entwickelte sprachliche Fähigkeiten, Fehlen sprachlicher Responsivität im Kontakt mit dem Kind (häufig Verzögerung in der Sprachentwicklung, auffällige Sprachmelodie/monotone Sprache), unflexibler Sprachgebrauch, Neigung zu Wortneubildungen und echolalisches Nachsprechen von Lauten bzw. Worten, stereotype Fragenund Antwortmuster, stundenlanges Monologisieren über Spezialthemen) 3. Eingeschränkte, sich wiederholende und stereotype Verhaltensmuster und Interessen z.B.: starre und unflexible Verhaltensmuster im Alltag, Widerstand und Angst gegen Veränderungen, zwanghafte Verhaltensmuster F84.0 Frühkindlicher Autismus Zusammenfassend müssen folgende Kriterien gemäß der diagnostischen Leitlinien erfüllt sein: 1. Qualitative Beeinträchtigung wechselseitiger sozialer Interaktionen z.B. unangemessene Einschätzung sozialer und emotionaler Signale; geringer Gebrauch sozialer Signale 2. Qualitative Beeinträchtigung der Kommunikation z.B. Fehlen eines sozialen Gebrauchs sprachlicher Fertigkeiten; Mangel an emotionaler Resonanz auf verbale und nonverbale Annäherungen durch andere Menschen; Veränderungen der Sprachmelodie Autismus-Spektrum-Störung | Stand: 11/2011 | 1/8 3. Eingeschränkte Interessen und stereotype Verhaltensmuster z.B. starre Routine hinsichtlich alltäglicher Beschäftigungen; Widerstand gegen Veränderungen 4. Unspezifische Probleme wie Befürchtungen, Phobien, Schlaf- und EssStörungen, Wutausbrüche, Aggressionen, Selbstverletzungen 5. Manifestation vor dem 3. Lebensjahr Die drei Kernsymptome zeigen eine enorme entwicklungspsychologische Variabilität, bleiben aber über die gesamte Lebenszeitspanne erhalten, obwohl sich die Symptomatik in vielen Fällen im Verlauf der Entwicklung graduell verbessert. Allerdings bleiben eine grundlegende Kommunikationsstörung sowie stereotype und repetitive Verhaltensmuster oftmals bestehen, die letztlich auch eine Unfähigkeit zur Kontaktaufnahme mit anderen Menschen bedingen. Der frühkindliche Autismus geht in vielen Fällen mit einer geistigen Behinderung einher. Klinisch unterscheidet man innerhalb dieser Störungsgruppe zwischen dem so genannten „Low-functioningAutismus“ (Menschen mit Intelligenzminderung und nur geringen sprachlichen Kompetenzen) und dem „High-functioning-Autismus“ (Personen ohne Intelligenzminderung mit guten sprachlichen Kompetenzen). F84.1 Atypischer Autismus Diese Form des Autismus unterscheidet sich vom frühkindlichen Autismus insbesondere dadurch, dass nicht alle drei der oben aufgeführten Kernsymptome erfüllt sind oder das Alter bei Erkrankungsbeginn von den Kriterien abweicht. In vielen Fällen manifestiert sich die Beeinträchtigung bzw. der pathologische Entwicklungsverlauf erst nach dem dritten Lebensjahr. Häufig finden sich komorbid schwere Intelligenzminderungen. F 84.5 Asperger-Syndrom Das Asperger-Syndrom ist vor allem gekennzeichnet durch: 1. Fehlen einer Sprachentwicklungsverzögerung Die Entwicklung sollte bis zum 3. Lebensjahr weitestgehend unauffällig verlaufen sein. Häufig zeigen diese Patienten einen sehr elaborierten Sprachausdruck, der auf einem hohen Kompetenzniveau ansetzt. 2. Durchschnittliche bis überdurchschnittliche Intelligenz 3. Qualitative Beeinträchtigung der sozialen Interaktion Siehe Kriterien frühkindlicher Autismus 4. Motorische Auffälligkeiten Die Kinder und Jugendlichen wirken häufig motorisch ungeschickt und zeigen verschiedene Gangauffälligkeiten. Autismus-Spektrum-Störung | Stand: 11/2011 | 2/8 5. Ungewöhnlich intensive umschriebene Interessen bzw. stereotype, begrenzte Verhaltensmuster, Interessen oder Aktivitäten Hier stehen weniger motorische Manierismen im Vordergrund als ausgeprägte Interessen, die sich auf bestimmte Themeninhalte fokussieren, wie zum Beispiel Mathematik, Technik, Geografie oder Geschichte; viele Kinder und Jugendliche scheinen geradezu besessen von ihren Themen und versuchen immer alle Gespräche auf diese zu lenken und treten darüber auch in Kontakt zu ihnen völlig fremden Menschen. Der Begriff der Autismus-Spektrum-Störungen versucht die oben aufgeführten Störungsbilder nicht kategorial (Differenzierung nach einzelnen Krankheitskategorien) zu beschreiben, sondern geht vielmehr davon aus, dass autistische Störungen sich aufgrund ihrer enormen Variationsbreite in erster Linie quantitativ, d. h. in Bezug auf den Schweregrad der Ausprägung unterscheiden. Dieser dimensionalen Betrachtungsweise liegt die Annahme zugrunde, dass Autismus-Spektrum-Störungen sich nicht in unterschiedliche Kategorien unterteilen lassen. V) Epidemiologie Innerhalb der letzten Jahre ist es zu einem bemerkenswerten Anstieg der Diagnose „Autismus-Spektrum-Störung“ gekommen, d.h. wir sehen viel mehr Kinder und Jugendliche mit einer autistischen Störung als noch vor zehn Jahren. Das hat verschiedene Ursachen. Zum einen hängt dies sicherlich mit einer vermehrten klinischen und wissenschaftlichen Aufmerksamkeit zusammen, die man den autistischen Störungen widmet. Zum anderen haben sich auch unsere diagnostischen Möglichkeiten deutlich verbessert. Die zuverlässigsten Daten liegen aktuell zum frühkindlichen Autismus vor, während die Datenlage zum atypischen Autismus und zum Asperger-Syndrom sehr viel weniger eindeutig ist. Den aktuelleren Zahlen zufolge liegt die Auftretenshäufigkeit für alle tiefgreifenden Entwicklungsstörungen bei 50 Fällen unter 10.000. Kindern. Baird und Kollegen (2006) fanden noch höhere Raten. Betrachtet man nur den frühkindlichen Autismus, dann liegen Zahlen von 22 unter 10.000 vor. Dabei sind Jungen circa 3-4 Mal so häufig betroffen wie Mädchen, wobei die betroffenen Mädchen in der Regel aber stärker beeinträchtigt sind. In Bezug auf das AspergerSyndrom gibt es insgesamt eine widersprüchliche Datenlage, was auch auf definitorische Unterschiede zurückzuführen ist. Einige neuere Studien gehen von einer Rate von 16.6 betroffenen Kindern unter 10.000 aus. VI) Ätiologie Neurobiologische Grundlagen Die Ursachen für die Entstehung einer Störung aus dem autistischen Spektrum sind noch weitgehend unbekannt, so dass die Wissenschaft nach wie vor von einer multifaktoriellen Genese, d.h. vom Zusammenwirken mehrerer Ursachen ausgeht. In den letzten Jahren haben insbesondere genetische und neurobiologische Erklärungsmodelle an Bedeutung gewonnen, da vieles darauf hinweist, dass ASS von der Geburt an vorhanden ist. Autismus-Spektrum-Störung | Stand: 11/2011 | 3/8 In genetischen Studien konnten vielfach Hinweise auf eine familiäre Häufung sowie enge Verbindungen zu genetisch-assoziierten Erkrankungen (z.B. Fragiles X Syndrom, tuberöse Sklerose, Epilepsie) gefunden werden, so dass heute bereits einige für ASS relevante Gene bzw. Genabschnitte identifiziert werden konnten (ElFishawy, State 2010) Neben genetischen Untersuchungen ist ein zweiter wichtiger Ansatzpunkt die Untersuchung des menschlichen Gehirns. Gehirnuntersuchungen haben sowohl Veränderungen in den Strukturen, als auch eine veränderte Aktivität im Gehirn von Menschen mit ASS gefunden (Chen et al. 2011). Auch die Stoffwechselprozesse scheinen Abweichungen aufzuweisen (z.B. Tsai 1999). Als mögliche Ursache für die erwähnten Abweichungen werden pathologische Prozesse während der frühen peri- und postnatalen Gehirnentwicklung diskutiert. Neuropsychologische Theorien zur Beschreibung und Erklärung von ASS Angesichts der großen Heterogenität des Störungsbildes gibt es derzeit keine psychologische Theorie, die alle Auffälligkeiten erklären kann. Aus diesem Grund existieren unterschiedliche Modelle, die zu einem verbesserten Verständnis der autismustypischen Verhaltensweisen beitragen können: 1. Theory of Mind (Baron-Cohen et al., 1985): Darunter versteht man die Unfähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen bzw. deren Wünsche, Absichten und Überzeugungen korrekt erfassen und interpretieren zu können. 2. Schwache zentrale Kohärenz (Frith und Happé, 1998): Hinter diesem Begriff verbirgt sich die Fähigkeit autistischer Menschen, Details sehr genau zu erkennen (sehr gute Detailwahrnehmung) bzw. die Unfähigkeit, übergeordnete soziale Zusammenhänge korrekt zu erfassen. Autisten haben oftmals Schwierigkeiten, Dinge innerhalb ihrer Beziehungs- und Bedeutungszusammenhänge zu erfassen (globale, ganzheitliche Wahrnehmung). 3. Defizit der Exekutivfunktionen (Ozonoff & Jensen, 1999): Das Konstrukt der Exekutivfunktionen umfasst unter anderem kognitive Prozesse wie Planen, Problemlösen, Hemmung unwichtiger/unpassender Reaktionen, Flexibilität und Organisation. Bei Kindern mit ASS zeigen sich Beeinträchtigungen in diesem Bereich vor allem in starren, unveränderbaren, ritualisierten Verhaltensweisen und einer mangelnden Flexibilität bei der Anpassung an Veränderungen. VII) Komorbide Erkrankungen (Begleiterkrankungen) 7.1 ASS und Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS): Eine der häufigsten Begleiterkrankungen im Kindes- und Jugendalter stellt das ADHS dar. Zwischen 60 bis 80% aller Patienten mit einer Diagnose aus dem autistischen Spektrum zeigen zusätzlich auch Symptome eines ADHS. Autismus-Spektrum-Störung | Stand: 11/2011 | 4/8 Diagnostisch problematisch ist es, dass die eigentliche autistische Symptomatik aufgrund der expansiven Verhaltensaufälligkeiten (motorische Unruhe, oppositionelle Verhaltensweisen) häufig verkannt bzw. fehl eingeschätzt wird. Insbesondere die soziale Überforderung im schulischen Kontext kann zu sozial unerwünschten Verhaltensweisen (z.B.: aggressive Ausbrüche) führen. Bislang ist noch nicht ausreichend geklärt, inwieweit sich die beobachtbaren Aufmerksamkeitsprobleme bei ASS und ADHS qualitativ voneinander unterscheiden lassen. Die unten dargestellte Tabelle versucht, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei ASS und ADHS gegenüberzustellen: AD(H)S Asperger-Syndrom Sprachentwicklung unterschiedlich sehr früh (oft sofort Mehrwortsätze) Lesen/Schreiben gehäuft Lese-RechtschreibSchwäche eher früh, LRS untypisch Motorik unterschiedlich motorische Ungeschicklichkeit Sauberkeitsentwicklung unauffällig unauffällig Nähebedürfnis (z.B. Kuscheln) unauffällig gar nicht oder nur selbstbestimmt Blickkontakt unauffällig, z.T. rasch abgelenkt auffällig vermindert Soziale Fertigkeiten wenig Einsicht in Eigenanteile in Konflikten deutlich eingeschränkt Kognitiver Denkstil eher unflexibel eher unflexibel Freundschaften (Gleichaltrige) vorhanden eingeschränkt bis gar nicht Wahrnehmung/ Aufmerksamkeit von außen abgelenkt (nehmen zu viel gleichzeitig wahr, können nicht fokussieren) von innen abgelenkt (überfokussiert, wirken unkonzentriert, weil sie die Umwelt nur fragmentiert wahrnehmen) Kommunikation/ Kontaktverhalten nonverbale Kommunikation ist altersentsprechend blind für soziale Signale, nahezu keine nonverbale Kommunikation Impulsivität impulsives Verhalten als reaktiver Prozess (Versagen der neurochemischen Hemmmechanismen) reagieren impulsiv, weil sie sich durch andere gestört fühlen Neugierverhalten suchen alles, was neu, interessant, spannend und gefährlich ist befassen sich eingehend und ausdauernd mit einer Sache (gradlinig) Spielverhalten Sind kreativ interaktiv, suchen Kontakt zu anderen Kindern Spielen alleine und sind in der Gruppe deutlich überfordert Autismus-Spektrum-Störung | Stand: 11/2011 | 5/8 7.2 Weitere psychiatrische Begleiterkrankungen (aus Bölte, 2009; Steinhausen & Gundelfinger, 2010): 7.2.1 Intelligenzminderung Die Intelligenzminderungen stellen ebenfalls häufige komorbide Störung bzw. Differenzialdiagnosen von ASS dar. In ca. 30 bis 50% der Fälle liegt neben dem Autismus auch eine geistige Behinderung vor (Fombonne, 2003; Baird et al., 2006). Je geringer die intellektuelle Leistungsfähigkeit, desto höher die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten kommunikativer und sozialer Beeinträchtigungen, sowie für stereotype und repetitive Verhaltensweisen. Aus diesem Grund ist es wichtig, die verbalen und sozio-emotionalen Fertigkeiten in Relation zum allgemeinen Leistungsniveau der Person zu betrachten. 7.2.2 Angststörungen Angststörungen treten ebenfalls häufig komorbid bei einer Störung aus dem autistischen Spektrum auf. Viele Patienten mit ASS stehen unter einem großen Druck. Immer wieder sehen sie sich neuen sozialen Herausforderungen ausgesetzt, müssen planvoll und organisiert handeln, die unterschiedlichsten sensorischen Informationen verarbeiten, komplexe emotionale Zusammenhänge erfassen und entsprechend darauf reagieren. Die Patienten können oftmals nicht einschätzen, was ihre Umwelt von ihnen erwartet. Infolge der ständigen Anspannung und des chronischen Stresserlebens entwickeln viele Patienten unterschiedlichste Ängste. 7.2.3 Zwänge Menschen mit ASS weisen regelmäßig auch zwanghafte Verhaltensmuster auf, die über das Vorhandensein ritualisierter Routinen hinausgehen. Die zwanghaften Verhaltensweisen stellen eine große zusätzliche Beeinträchtigung des Lebensalltags dar. In den meisten Fällen sind insbesondere die engen Bezugspersonen in die Zwangshandlungen einbezogen. 7.2.4 Depression Vor allem beim Asperger-Syndrom werden depressive Erkrankungen mit zunehmendem Alter (Adoleszenz) zu einem großen Problem. Das scheint unter anderem in der einsetzenden Identitätssuche begründet zu sein, gleichzeitig nimmt jedoch auch der soziale Vergleich mit anderen Jugendlichen zu und die psychosexuelle Entwicklung beginnt. Den Jugendlichen wird bewusst, dass sie „anders“ sind, während der Wunsch nach sozialen Kontakten steigt, was wiederum zu Frustrationserlebnissen führt und schließlich die Entwicklung einer depressiven Symptomatik begünstigt (siehe auch Bölte, 2009; S. 50). 7.2.5 Schizophrene Psychosen Neuere Untersuchungen haben ergeben, dass es kaum Verbindungen zwischen ASS und Schizophrenie gibt. In der Regel ist es möglich, aufgrund der Symptomatik und des Verlaufs der Störung eine klare kategoriale Zuordnung vorzunehmen, auch wenn es auf neuropsychologischer Ebene Überlappungen in bestimmten Funktionsbereichen (z.B. Exekutivfunktionen, Theory of Mind) gibt. 7.2.6 Ticstörungen Tics sind plötzliche, unwillkürliche Bewegungen und/oder Lautäußerungen, die schnell, einschießend und von kurzer Dauer sind, sich jedoch oft stereotyp in kurzen Serien wiederholen. Von einem Tourette-Syndrom spricht man, wenn sowohl motorische als auch vokale Tics seit mehr als einem Jahr vorhanden sind. Autismus-Spektrum-Störung | Stand: 11/2011 | 6/8 Ticstörungen und das Tourette-Syndrom sind bei allen Formen aus dem autistischen Formenkreis anzutreffen (Ehlers & Gillberg, 1993). 7.2.7 Oppositionelles und aggressives Verhalten In einigen Studien wurde auf das Auftreten von Symptomen aus dem Bereich der Störungen des Sozialverhaltens (wiederholendes und andauerndes Muster dissozialen, aggressiven oder aufsässigen Verhaltens) in Kombination mit ASS hingewiesen. Allerdings muss man hier sehr vorsichtig sein, da die chronischen sozialen Überforderungen sehr häufig auch in aggressiven Verhaltensweisen münden, jedoch einen anderen Ursprung haben. 7.2.8 Autoaggressives Verhalten Selbstverletzende Verhaltensweisen stellen eine große Belastung für das Umfeld dar, wobei das Verhalten ganz unterschiedlich sein kann (z.B. Kopfschlagen, Beißen, Kratzen, Haare ausreißen etc.). Risikofaktoren für die Entwicklung selbstverletzender Verhaltensweisen sind die Schwere der geistigen Behinderung und der autistischen Störung, das Ausmaß der Einschränkungen im Bereich der Alltagsfertigkeiten sowie das Vorhandensein perinataler medizinischer Probleme (Bagh-Dadli et al., 2003). 7.2.9 Schlafstörungen Häufig wird bei Kindern und Jugendlichen mit ASS von Problemen im Bereich des Schlafverhaltens berichtet. Hier ist es wichtig zu klären, ob eventuell eine andere psychiatrische Erkrankung (z.B. Depression) Ursache für die Schlafproblematik ist (vgl. Bölte, 2009; S. 50). 7.2.10 Essstörungen Immer wieder wird von Essstörungen in Kombination mit ASS berichtet. Dabei handelt es sich meist um ein sehr einseitiges Essverhalten, bedingt durch „sensorische Besonderheiten im taktil-kinästhetischen Bereich“ (Bölte, 2009; S. 51). 7.3. Neuropädiatrische Begleiterkrankungen 7.3.1 Epilepsien Bei den Epilepsien handelt es sich um chronische Erkrankungen, die ebenfalls häufig im Zusammenhang mit ASS auftreten können. Üblicherweise kommt es bereits in der frühen Kindheit oder Pubertät zu ersten Krampfanfällen. Man geht von einer Häufigkeit von ca. 11 - 39% aus, wobei vorwiegend Kinder mit frühkindlichem Autismus in Kombination mit einer schweren Intelligenzminderung betroffen sind. 7.3.2 Syndromale Erkrankungen Man geht davon aus, dass ca. 5-15% der Kinder mit ASS an einem bekannten genetischen Syndrom leiden, z.B. - Fragiles-X-Syndrom - Angelman-Syndrom - Rett-Syndrom - Tuberöse Sklerose - Smith-Magenis-Syndrom Autismus-Spektrum-Störung | Stand: 11/2011 | 7/8 Trotzdem ist es insgesamt eher unwahrscheinlich, dass eines der verschiedenen Syndrome in Kombination mit einer ASS auftritt. Geht das genetische Syndrom mit einer schweren geistigen Behinderung einher, dann steigt allerdings die Wahrscheinlichkeit, dass auch eine ASS (oft kombiniert mit einer Epilepsie) vorliegt. Zusammenhänge finden sich auch zwischen ASS und metabolischen Erkrankungen (z.B. Phenylketonurie, Lesch-Nyan-Syndrom, Histidinämie) sowie congenitalen Infektionserkrankungen (z.B. Röteln, Zytomegalie, Herpes Simplex). Für eine ausführliche und differenzierte neuropädiatrische Diagnostik kooperieren wir sehr eng mit dem Sozialpädiatrischen Zentrum unserer Uniklinik. Autismus-Spektrum-Störung | Stand: 11/2011 | 8/8