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Seminar Syntax und Morphologie“
”
Wintersemester 2007/2008
PD Dr. Ralf Vogel
Ich, der ich . . . “
”
(1)
a. Ich, der ich sechzig bin.
b. *Ich, der sechzig bin/ist.
(2)
a. Er, der sechzig ist.
b. *Er, der er sechzig ist.
(3)
a.
b.
Wir, die sechzig sind.
Wir, die wir sechzig sind.
(Ito & Mester, 2000)
Der Kontrast zwischen (1) und (2) ergibt sich aus einem Kongruenzproblem:
1. Ein Relativpronomen kongruiert mit seinem Kopfnomen in Genus, Numerus und Person.
2. Ein finites Verb kongruiert mit dem Subjekt eines Satzes in Person und Numuerus.
Wir haben also in diesem Fall eine Kette von Kongruenzbeziehungen zwischen dem finiten Verb
des Relativsatzes, dem Subjekt-Relativpronomen und dem Kopfnomen des Relativsatzes.
(4)
Kopfnomen—Relativ pronomen—finites Verb
Die Erklärung für den Kontrast zwischen (1) und (2) liegt darin, dass das Relativpronomen
auf die dritte Person festgelegt ist.
Deshalb kann es die Kongruenzforderungen für ein Kopfnomen in der ersten oder zweiten Person
nicht erfüllen.
Die Reparatur“ besteht darin, ein resumptives Pronomen hinzuzufügen, ich“ in (1-a), das
”
”
dem Relativpronomen zur Seite steht, um die fehlenden Kongruenzmerkmale auszudrücken.
Im unproblematischen Fall (2-a) ist ein Resumptivpronomen ausgeschlossen.
Eine optimalitätstheoretische Rekonstruktion könnte wie folgt vorgehen. Zuerst nehmen wir
zwei Beschränkungen an:
*Resumptiv Vermeide Resumptivpronomen.
Kongruenz! Kongruenzforderungen müssen erfüllt sein.
Für unseren OT-Wettbewerb nehmen wir hier zunächst nur einmal die beiden Kandidaten an,
die oben dargestellt sind:
1
(5)
a.
b.
er, der . . .
Kongr!
*Res
ich, der . . .
☞ er, der . . .
er, der er . . .
ich, der . . .
ich,
der ich . . .
☞
∗!
Kongr!
*Res
∗!
∗
Wie passt die Optionalität in (3) hier ins Bild?
Die Erklärung für die Wohlgeformtheit von (3-a) müsste darin liegen, dass das finite Verb
sind“ sowohl für die 1. Person Plural, als auch für die 3. Person Plural stehen kann, und dass
”
dies das Problem mit der fehlenden Personenkongruenz beim Relativpronomen entschärft.
Umgekehrt müsste die Erklärung für die Wohlgeformtheit von (3-b) aber darin bestehen, dass
das Problem mit der fehlenden Kongruenz beim Relativ-Pronomen nach wie vor existiert –
ansonsten müsste die Einsetzung des Resumptiv-Pronomens aus dem gleichen Grunde ausgeschlossen sein wie im Fall (2-b).
Die Lösung könnte nun wie in anderen entsprechenden Fällen darin liegen, dass man über
den Input die Präferenz für eine Struktur mit oder ohne Resumptivpronomen angibt, und
durch eine hoch geordnete Treuebeschränkung absichert, dass jeder der beiden Kandidaten den
Wettbewerb gewinnt, in dem er Input-treu ist.
Leider würde in diesem Fall jedoch auch (2-b) fälschlicherweise einen OT-Wettbewerb gewinnen.
(6)
a.
wir, die wir . . .
wir, die . . .
☞ wir, die wir . . .
Treue
Kongr!
*Res
∗!
∗
b.
er, der er . . .
er, der . . .
z er, der er . . .
Treue
Kongr!
*Res
∗!
∗
Das Problem liegt eher auf der Ebene der Analyse:
– Zwischen den Beispielen (2-a) und (3-a) einerseits und (2-b) und (3-b) andererseits besteht
ein Unterschied, der für die Erklärung der unterschiedlichen Akzeptabilität von (2-b) und
(3-b) herangezogen werden muss.
– Er besteht darin, dass die Kongruenz-Forderung auf unterschiedliche Weise erfüllt wird.
– In (3) erfüllt das Relativ-Pronomen die Kongruenz-Forderung in Bezug auf das Kopfnomen
wir“ nicht.
”
– Für die Akzeptabilität von (3-a) ist dies offenbar irrelevant.
– Das finite Verb sind“ muss hier, analog zu (2-a), morphologisch als 3. Person Plural
”
realisierend verstanden werden.
– Entsprechend realisiert sind“ in (3-b), in Analogie zu (1-a), die 1. Person Plural. In (7-b)
”
wird der Komplex die-wir“ als Entsprechung des Relativpronomens in der 1. Person
”
Plural aufgefasst.
2
(7)
a.
b.
Wir,
1pl
Wir,
1pl
die sechzig sind
3pl
3pl
die-wir sechzig sind
1pl
1pl
Da die Kongruenz des Relativ-Pronomens mit dem Kopf-Nomen keinen Ausschlag gibt zwischen
den beiden Strukturen, muss die Kongruenz!-Beschränkung entsprechend definiert werden.
Der Kontrast zwischen (8-a) und (8-b) macht deutlich, dass es die Kongruenz des finiten Verbs
mit dem Kopf-Nomen ist, die hier relevant ist, und zwar nur in Hinblick auf die reine Form,
nicht in Hinblick auf seine morphologische Spezifizierung:
(8)
a. *Ich, der sechzig ist
1sg 3sg
3sg
b. Wir, die sechzig sind
1pl 3pl
3pl
Es geht hier also um zwei getrennt zu betrachtende Kongruenzforderungen:
– Das finite Verb kongruiert mit dem Subjekt morphologisch.
– Das finite Verb kongruiert mit dem Kopf-Nomen der Form nach.
Man kann das Phänomen auch so verstehen, dass das finite Verb mit beiden Ausdrücken gleichzeitig kongruieren soll, mit dem Relativ-Pronomen, weil es das Subjekt ist, und mit dem KopfNomen, weil sich das Relativ-Pronomen darauf bezieht.
Der Form nach steht das Relativ-Pronomen die“ in der dritten Person, und das Kopf-Nomen
”
wir“ in der ersten. Die Verbform sind“ kann beiden Forderungen zugleich gerecht werden.
”
”
Die Optionalität muss nun darauf zurückgeführt werden, dass sind“ morphologisch einmal als
”
erste Person und einmal als dritte Person verstanden werden kann.
Dies lässt sich im Input spezifizieren.
Eine Treue-Beschränkung kann nun Optionalität ableiten.
Diese wird aber nun unterhalb der Kongruenz-Beschränkung geordnet. Die Notwendigkeit dafür
ergibt sich unten.
(9)
a.
wir, RelPron . . . V-3pl
Kongr!
Treue
*Res
∗!
∗
☞ wir, die . . . sind
wir, die wir . . . sind
b.
☞ wir, RelPron . . . V-1pl Kongr! Treue *Res
wir, die . . . sind
☞ wir, die wir . . . sind
∗!
∗
Der Vollständigkeit halber nun die Tabellen für die anderen beiden Fälle:
3
(10)
a.
Ich, der ich sechzig bin
☞ ich, RelPron . . . V-1sg Kongr!
Treue
ich, der . . . ist
ich, der . . . bin
☞ ich, der ich . . . bin
∗
∗!(KopfN)
∗!(Subj)
*Res
∗
b. *Ich, der sechzig ist
☞ ich, RelPron . . . V-3sg Kongr!
Treue
*Res
ich, der . . . ist
ich, der . . . bin
☞ ich, der ich . . . bin
∗
∗
∗
∗!(KopfN)
∗!(Subj)
An Fall (10-b) sehen wir die Notwendigkeit für die Beschränkungsabfolge Kongruenz! Treue.
(11)
Er, der *(er) sechzig ist
er, der . . . V-3sg
Kongr!
Treue
*Res
☞ er, der . . . ist
er, der er . . . ist
∗!
Kongruenz! Die Form des finiten Verbs ist so gewählt, dass sie Kongruenz mit den Merkmalen des
Subjekts erfüllt.
Zu den Merkmalen des Subjekts gehören auch Merkmale des Kopf-Nomens, wenn das Subjekt
ein Relativ-Pronomen ist.
Spielt nun die Kongruenz zwischen Relativpronomen und Kopf-Nomen gar keine Rolle?
Dies kann man anhand von Beispielen überprüfen, bei denen das Relativpronomen nicht Subjekt, sondern Objekt des Satzes ist:
(12)
a. ??Ihr, die man leicht ärgern kann.
b. ?Ihr, die man euch leicht ärgern kann.
Man beachte den Kontrast zur 3. Person:
(13)
a. Sie, die man leicht ärgern kann.
b. *Sie, die man sie leicht ärgern kann.
Allerdings scheint es bei der 1. Person Plural wieder einen schwächeren Effekt zu geben.
(14)
a. ?Wir, die man leicht ärgern kann
b. ?Wir, die man uns leicht ärgern kann
4
Wie ist es im Singular?
(15)
a. ?Ich, den man leicht ärgern kann, halte mich da raus.
b. ?Ich, den man mich leicht ärgern kann, halte mich da raus.
(16)
a. ?Du, den man leicht ärgern kann, hältst dich besser raus.
b. ?Du, den man dich leicht ärgern kann, hältst dich besser raus.
Hier scheint ein Urteil schwierig zu sein.
Relativpronomen-Kongruenz spielt also eventuell eine Rolle – am ehesten bei der 2ten Person
Plural.
Wenn dem so ist, ist sie aber jedenfalls untergeordnet, wie an der Wohlgeformtheit von (3-b)
zu sehen ist.
Insbesondere muss die entsprechende Beschränkung tiefer geordnet sein als Treue.
Wir redefinieren für diesen Fall unsere ursprüngliche Kongruenz!-Beschränkung als VerbKongruenz (V-Kongruenz!) und fügen die Relativpronomen-Kongruenz hinzu (Rel-Kongruenz!).
(17)
ihr, die-akk . . .
V-Kongr!
Treue
Rel-Kongr!
☞ ihr, die . . . euch
*Res
∗
ihr, die . . .
∗!
Weitere offene Fragen
Der Kasus des Kopfnomens spielt möglicherweise auch eine Rolle:
(18)
a. Wir, die sechzig sind, haben schon viel erlebt.
b. ??Uns, die sechzig sind, traut man nicht mehr viel zu.
c. Uns, die wir sechzig sind, traut man nicht mehr viel zu.
Das ansonsten optionale resumptive Pronomen könnte obligatorisch werden, wenn es nicht
formgleich ist mit dem Kopf-Nomen.
Literaturverzeichnis
Ito, Junko & Armin Mester (2000). “‘Ich, der ich sechzig bin”: An Agreement Puzzle.’ Sandy Chung
and Jim McCloskey and Nathan Sanders, Hg., Jorge Hankamer WebFest. Internet-Publikation.
URL: http://ling.ucsc.edu/Jorge/ito mester.html
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