ME II, Prof. Dr. T. Wollmershäuser Kapitel 3 Die offene Volkswirtschaft Version: 26.04.2011 3.1 Offene Gütermärkte Die Wahl zwischen in- und ausländischen Gütern Wenn Gütermärkte offen sind, dann müssen einheimische Konsumenten nicht nur ihre Konsum- und Sparentscheidung treffen. Sie müssen auch noch entscheiden, ob sie inländische oder ausländische Güter kaufen. Im Zentrum dieser zweiten Entscheidung steht der Preis der inländischen Güter relativ zu dem Preis der ausländischen Güter - der Reale Wechselkurs. ME II, Prof. Dr. T. Wollmershäuser, Folie 2 Realer Wechselkurs Die Konstruktion des realen Wechselkurses Der reale Wechselkurs ist gleich dem nominalen Wechselkurs multipliziert mit dem inländischen Preisniveau dividiert durch das ausländische Preisniveau. EP ε≡ ∗ P E = Preis eines Euro in $ P = Preis der deutschen Güter in € EP = Preis der deutschen Güter in $ P* = Preis der amerikanischen Güter in $ ME II, Prof. Dr. T. Wollmershäuser, Folie 3 Realer Wechselkurs Nach unserer Definition des realen Wechselkurses in Mengennotierung entspricht eine reale Aufwertung einem Anstieg des realen Wechselkurses ε. Der Preis der inländischen Güter ausgedrückt in Einheiten der ausländischen Güter wird teurer. Eine reale Abwertung entspricht einem Sinken des realen Wechselkurses ε. Der Preis der inländischen Güter ausgedrückt in Einheiten der ausländischen Güter wird billiger. ME II, Prof. Dr. T. Wollmershäuser, Folie 4 3.2 Offene Finanzmärkte Die Entscheidung, ob man im In- oder Ausland investieren soll, hängt nicht nur von den Zinsunterschieden zwischen den Ländern, sondern auch von den Erwartungen über die zukünftige Entwicklung des nominalen Wechselkurses ab. ME II, Prof. Dr. T. Wollmershäuser, Folie 5 Die Wahl zwischen in- und ausländischen Kapitalanlagen Die erwartete Rendite einjähriger deutscher und US-amerikanischer Wertpapiere Et (1 + it* )$ ME II, Prof. Dr. T. Wollmershäuser, Folie 6 Die Wahl zwischen in- und ausländischen Kapitalanlagen Wenn sowohl deutsche als auch US - amerikanische Anleihen gehalten werden, dann müssen sie den gleichen erwarteten Ertrag liefern. Somit muss die folgende Arbitragebedingung erfüllt sein: ⎛ 1 ⎞ (1 + i t ) = Et (1 + i ) ⎜ e ⎟ ⎝ Et +1 ⎠ * t Wenn wir die Gleichung umstellen, erhalten wir die ungedeckte Zinsparität oder einfach Zinsparität: ⎛ Et ⎞ Ete+1 − Et * (1 + i t ) = (1 + i ) ⎜ e ⎟ ⇔ i t ≈ i t − Et ⎝ Et +1 ⎠ * t ME II, Prof. Dr. T. Wollmershäuser, Folie 7 Zinssätze und Wechselkurse e E * t +1 − Et it ≈ it − Et Folgenden Zusammenhang sollte man immer im Kopf behalten: Arbitrage impliziert, dass der inländische Zinssatz dem ausländischen Zinssatz entsprechen muss, abzüglich der erwarteten Aufwertungsrate der inländischen Währung. Falls Ete+1 = Et , dann gilt: i t = i t* ME II, Prof. Dr. T. Wollmershäuser, Folie 8 Offene Güter- und Finanzmärkte Die Wahl zwischen inländischen und ausländischen Gütern hängt hauptsächlich vom realen Wechselkurs ab. Die Wahl zwischen inländischen und ausländischen Wertpapieren hängt hauptsächlich von ihrem relativen Ertrag ab. Dieser wiederum wird von den inund ausländischen Nominalzinsen und der erwarteten Aufwertung der inländischen Währung determiniert. ME II, Prof. Dr. T. Wollmershäuser, Folie 9 3.3 Die IS-Funktion in der offenen Volkswirtschaft Die Nachfrage nach inländischen Gütern In einer offenen Volkswirtschaft, ist die Nachfrage nach inländischen Gütern gegeben durch: Z ≡ C +I +G − IM ε +X X … ausländische Nachfrage nach inländischen Gütern (Exporte) IM … inländische Nachfrage nach ausländischen Gütern in Einheiten der ausländischen Währung (Importe) In einer offenen Volkswirtschaft, ist die “inländische Nachfrage nach Gütern” (= C + I + G) nicht gleich der “Nachfrage nach inländischen Gütern.” ME II, Prof. Dr. T. Wollmershäuser, Folie 10 Die IS-Funktion in der offenen Volkswirtschaft Die Bestimmungsgrößen von C, I, und G C + I + G = C(Y − T ) + I (Y , i ) + G (+) ( +, − ) Der reale Wechselkurs beeinflusst zwar die Zusammensetzung der inländischen Nachfrage nach Gütern (im Hinblick auf den relativen Anteil ausländischer Güter), nicht aber deren aggregiertes Niveau. ME II, Prof. Dr. T. Wollmershäuser, Folie 11 Die IS-Funktion in der offenen Volkswirtschaft Die Bestimmungsgrößen der Importe IM = IM (Y , ε ) = im0 + im1Y + im2ε ( +, + ) Ein Anstieg des heimischen Einkommens erhöht die Nachfrage nach ausländischen Gütern. Ein höherer realer Wechselkurs führt dazu, dass ausländische Güter in inländischer Währung betrachtet billiger werden. Dies führt zu einer steigenden Nachfrage nach Importen. ME II, Prof. Dr. T. Wollmershäuser, Folie 12 Die IS-Funktion in der offenen Volkswirtschaft Die Bestimmungsgrößen der Exporte X = X (Y * , ε ) = x0 + x1Y * − x2ε ( +,−) Ein Anstieg der ausländischen Produktion führt zu einer gesteigerten ausländischen Nachfrage und damit zu einem Anstieg der Exporte. Steigt der reale Wechselkurs ε (inländische Güter werden in Einheiten ausländischer Güter teurer), dann sinken die Exporte. Unsere Exporte sind die Importe anderer Länder. ME II, Prof. Dr. T. Wollmershäuser, Folie 13 Die IS-Funktion in der offenen Volkswirtschaft • Der Gütermarkt ist im Gleichgewicht, wenn die inländische Produktion der Nachfrage nach inländischen Gütern entspricht: Y =Z • Wenn wir für alle Bestandteile der Nachfrage nach inländischen Gütern Z die gerade abgeleiteten Gleichungen einsetzen, erhalten wir: Y = C(Y − T ) + I (Y , i ) + G − IM (Y , ε ) / ε + X (Y ∗ , ε ) ME II, Prof. Dr. T. Wollmershäuser, Folie 14 3.4 Determinanten des Gleichgewichts Welche Auswirkungen haben die Veränderungen der Nachfrage und des Wechselkurses auf die Produktion in einer offenen Volkswirtschaft? Erhöhung der inländischen Staatsausgaben • in einer offen VW verringert sich der Multiplikator Y = C(Y − T ) + I (Y , i ) + G + X (Y ∗ , ε ) − IM (Y , ε ) Y= { 1 c0 + b0 + x0 − im0 − c1T + G − b2i + x1Y * − ( x2 + im2 ) ε 1 − ( c1 + b1 − im1 ) } Effekte einer Änderung des realen Wechselkurses • bei Gültigkeit der Marshall-Lerner Bedingung verbessert eine reale Abwertung die Handelsbilanz eines Landes • Mengeneffekt (–) versus Werteffekt (+) NX = X (Y , ε ) − ∗ ( −) IM (Y , ε ) (+) ε ME II, Prof. Dr. T. Wollmershäuser, Folie 15 3.5 Ersparnis, Investitionen und Leistungsbilanz Wie muss die Bedingung “Investitionen gleich Ersparnis” in der offenen Volkswirtschaft modifiziert werden? Y = C + I + G − IM / ε + X = C + I + G + LB Ersparnis S = (Y − T ) − C = (C + I + G + LB − T ) − C = I + G − T + LB Auflösen nach der Leistungsbilanz LB = S + (T − G ) − I ME II, Prof. Dr. T. Wollmershäuser, Folie 16 Ersparnis, Investitionen und Leistungsbilanz Y Haushalte C G T Staat S I Budget defizit G-T Netto-Exporte NX Y = C+T+S Unternehmen Finanzsektor Netto-Kapitalexporte Leistungsbilanzüberschuss LB Ausland ME II, Prof. Dr. T. Wollmershäuser, Folie 17 Ersparnis, Investitionen und Leistungsbilanz Das US-Handels(Leistungs-)bilanzdefizit wurde vom Ausland (durch den Verkauf USamerikanischer Vermögenstitel ans Ausland) finanziert. In den vergangenen Jahren wurden die USA der Welt größter Schuldner. ME II, Prof. Dr. T. Wollmershäuser, Folie 18 Ersparnis, Investitionen und Leistungsbilanz USA verschuldet sich, Japan exportiert Kapital (in 2000) ME II, Prof. Dr. T. Wollmershäuser, Folie 19 Ersparnis, Investitionen und Leistungsbilanz Ungleichgewichte innerhalb der Eurozone Deutschland exportiert Kapital Viele andere Peripherieländer leihen sich Kapital aus dem Ausland ME II, Prof. Dr. T. Wollmershäuser, Folie 20 Ersparnis, Investitionen und Leistungsbilanz Ungleichgewichte innerhalb der Eurozone Nettofinanz- vermögen der gesamten Wirtschaft = Finanzvermögen (also ohne Sachvermögen) abzgl. Verschuldung ME II, Prof. Dr. T. Wollmershäuser, Folie 21 3.6 Produktion, Zinssatz und Wechselkurs Das Modell, dass in diesem Kapitel entwickelt wird, ist eine Erweiterung des IS-LM Modells der offenen Volkswirtschaft. Es ist bekannt unter dem Namen Mundell-Fleming Modell. Die Kernfragestellungen, die wir beantworten wollen, sind: Wovon wird der Wechselkurs bestimmt? Wie kann Wirtschaftspolitik den Wechselkurs beeinflussen? ME II, Prof. Dr. T. Wollmershäuser, Folie 22 Das Gleichgewicht auf dem Gütermarkt Das Gleichgewicht auf dem Gütermarkt kann durch folgendes Gleichungssystem beschrieben werden: ( ) Y = C (Y − T ) + I (Y , i ) + G − IM (Y , ε ) / ε + X Y ∗ , ε ( + ) ( +, − ) ( +, − ) ( +, + ) ( ) ( ) NX Y ,Y ∗ , ε ≡ X Y ∗ , ε − IM (Y , ε ) / ε Y = C(Y − T ) + I (Y , i ) + G + NX (Y ,Y * , ε ) ( + ) ( +, − ) ( −, +, − ) ME II, Prof. Dr. T. Wollmershäuser, Folie 23 Das Gleichgewicht auf dem Gütermarkt Wir treffen folgende vereinfachende Annahme: Sowohl das inländische und das ausländische Preisniveau sind gegeben; somit sind der nominale und der reale Wechselkurs identisch: P = 1⇒ ε = E ∗ P Die Gleichgewichtsbedingung lautet nun: Y = C(Y − T ) + I (Y , i ) + G + NX (Y ,Y * , E ) ( + ) ( +, − ) ( −, +, − ) ME II, Prof. Dr. T. Wollmershäuser, Folie 24 Das Gleichgewicht auf den Finanzmärkten Ungedeckte Zinsparität: Et (1 + i t ) = (1 + i )( e ) Et +1 ∗ t Wenn der erwartete zukünftige Wechselkurs gegeben ist, dann gilt: Et ∗ (1 + i t ) = (1 + i t )( ) Ee Der aktuelle Wechselkurs ist somit: 1+ i e E= E ∗ 1+ i i ↑⇒ E ↑ i ↓⇒ E ↓ ME II, Prof. Dr. T. Wollmershäuser, Folie 25 Das Gleichgewicht auf den Finanzmärkten Ein steigender inländischer Zinssatz führt zu einem ansteigenden Wechselkurs – einer Aufwertung. Inländischer Zinssatz, i Der Zusammenhang zwischen Zinssatz und Wechselkurs unter der Zinsparitätentheorie Zinsparitätenbeziehung (gegeben i*, Ee) i* A Ee Wechselkurs, E ME II, Prof. Dr. T. Wollmershäuser, Folie 26 Der Gütermarkt und die Finanzmärkte Das Gleichgewicht auf dem Gütermarkt impliziert, dass die Produktion unter anderem vom Zinssatz und vom Wechselkurs abhängt: Y = C(Y − T ) + I (Y , i ) + G + NX (Y ,Y * , E ) Der Zinssatz seinerseits wird durch die Gleichheit von Geldangebot und Geldnachfrage bestimmt: M = YL(i ) P Die Zinsparität impliziert einen positiven Zusammenhang zwischen dem inländischen Zinssatz und dem Wechselkurs: 1+ i e E= E ∗ 1+ i ME II, Prof. Dr. T. Wollmershäuser, Folie 27 Der Gütermarkt und die Finanzmärkte Die Versionen der bekannten IS- und LM Beziehungen für die offene Volkswirtschaft sind: IS : 1+ i e Y = C(Y − T ) + I (Y , i ) + G + NX (Y ,Y , E ) ∗ 1+ i LM : M = YL(i ) P ∗ Veränderungen des Zinssatzes haben einen direkten Effekt über die Investitionen und einen indirekten Effekt über die Veränderung des Wechselkurses. ME II, Prof. Dr. T. Wollmershäuser, Folie 28 Der Gütermarkt und die Finanzmärkte Das IS-LM Modell in der offenen Volkswirtschaft Ein steigender Zinssatz führt zu einer sinkenden Produktion direkt (über die Investitionen) und indirekt (über den Wechselkurs): Die IS- Kurve hat eine negative Steigung. Für eine gegebene Geldmenge führt ein steigendes Einkommen zu einem steigenden Zinssatz: Die LM-Kurve hat einen steigenden Verlauf. ME II, Prof. Dr. T. Wollmershäuser, Folie 29 Wirtschaftspolitik in einer offenen Volkswirtschaft Auswirkungen einer expansiven Fiskalpolitik Steigende Staatsausgaben führen zu einer größeren Produktion, zu einem höheren Zinssatz und zu einer Aufwertung. ME II, Prof. Dr. T. Wollmershäuser, Folie 30 Wirtschaftspolitik in einer offenen Volkswirtschaft Auswirkungen einer expansiven Fiskalpolitik auf die Komponenten der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage Staatsausgaben (Budgetdefizit) ↑ Konsum ↑ (Y↑) Investitionen ? (Y↑, i↑) Exporte ↓ (E↑) Importe ↑ (Y↑, E↑) Handelsbilanzdefizit ↑ (NX↓) Beurteilen Sie die Effekte im Vergleich zur geschlossenen Volkswirtschaft! ME II, Prof. Dr. T. Wollmershäuser, Folie 31 Wirtschaftspolitik in einer offenen Volkswirtschaft Wirkungen einer kontraktiven Geldpolitik Eine Reduktion der Geldmenge führt zu einer sinkenden Produktion, einem steigenden Zinssatz und einer Aufwertung. ME II, Prof. Dr. T. Wollmershäuser, Folie 32 3.7 Feste Wechselkurse Zentralbanken agieren unter impliziten oder expliziten Wechselkurszielen und verwenden geldpolitische Maßnahmen, um diese Ziele zu erreichen. Durch eine Bindung des Wechselkurses wird die Zinsparitätenbedingung zu: ∗ t (1 + i t ) = (1 + i ) E E i = i∗ ME II, Prof. Dr. T. Wollmershäuser, Folie 33 Geldpolitik und fester Wechselkurs Wenn die Kapitalanleger erwarten, dass der Wechselkurs unverändert bleibt, dann müssen der inländische und der ausländische Zinssatz gleich sein. Da i = i* ist, gilt die folgende Beziehung: ( ) M = YL i * P Ein Anstieg der inländischen Geldnachfrage (bspw. aufgrund eines positiven Nachfrageschocks) muss durch einen Anstieg des Geldangebots ausgeglichen werden, damit der Zinssatz i unverändert auf dem Niveau des gegebenen ausländischen Zinssatzes i* bleibt. ME II, Prof. Dr. T. Wollmershäuser, Folie 34 Geldpolitik und fester Wechselkurs i* i* Eine autonome Geldpolitik (i´ > i*) führt zu einer Aufgabe des festen Wechselkurses. ME II, Prof. Dr. T. Wollmershäuser, Folie 35 Fiskalpolitik und fester Wechselkurs Auswirkungen der expansiven Fiskalpolitik bei fixen Wechselkursen Bei flexiblen Wechselkursen führt expansive Fiskalpolitik zu einem Produktionswachstum von YA zu YB. Bei fixen Wechselkursen steigt die Produktion von YA zu YC. Die Zentralbank ist bei fixen Wechselkursen und einem Anstieg der Geldnachfrage dazu gezwungen, das Geldangebot auszuweiten. ME II, Prof. Dr. T. Wollmershäuser, Folie 36