Das Virus am Eindringen hindern

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HIV/Aids
Das Virus am
Eindringen hindern
Durch seine ausgeklügelte Strategie, seine eigene Erbsubstanz in das Genom des
Wirts einzubauen, stellt das HI-Virus die Entwicklung neuer Therapien auf eine
harte Probe. Ein wirksamer Schutz in Form einer Impfung könne durch eine
„sterilizing immunity“ erzielt werden, meint HIV-Mitentdecker Dr. Robert Gallo.
Von Mag. Christina Lechner
hatten wir deshalb, weil die Instrumente der Molekularbiologie bereits
zur Verfügung standen und wir in der
Lage waren, monoklonale Antikörper
herzustellen. Der Zeitpunkt war aber
denkbar schlecht, weil das Bewusstsein
für die Gefahr vor allem viraler Infektionen in der Gesellschaft einfach nicht
mehr vorhanden war. RNA-Tumor-Viren wurden zwar an Tieren nachgewiesen, man glaubte damals jedoch nicht,
dass sie auch beim Menschen eine Rolle spielen könnten. In den USA war
man knapp davor, entsprechende For-
„Als Aids kam, änderte sich mein Leben
schlagartig. Ich war plötzlich auch mit
gesellschaftspolitischen Fragen konfrontiert.“
Gallo
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schungsprogramme zu stoppen. Die
Entdeckung von HIV war nur dank einer Reihe von Zufällen und glücklichen Umständen gelungen, denn es
fühlte sich kaum jemand mehr für
virologische Forschungen zuständig, geschweige denn, dass sie finanziert wurden.“
Das Virus, das zunächst der
Gruppe der humanen T-Zelllymphotropen
Retroviren
(HTLV) zugerechnet wurde –
„tatsächlich ist es eine ganz eigene Spezies“ –, bezeichnet Gallo auch als „König unter den resistenten Mikroben“: „Durch seine
hohe Replikationsrate und seine große
Variabilität kann es dem Immunsystem immer wieder entkommen. Die
Folge dieser fortgesetzten Zerstörung
des Immunsystems ist Aids.“ Eine
Grundlagenforschung, die auch lokale Gegebenheiten berücksichtigt, sei
daher die wesentliche Voraussetzung
für die Weiterentwicklung der HIVTherapie.
Neue Therapieansätze
Mit neuen Therapieansätzen, allen
voran den Integrasehemmern, stehen laut Gallo allerdings „sehr interessante, wenn nicht sogar aufregende
Möglichkeiten“ in der Behandlung
der HIV-Krankheit zur Verfügung.
Die Integration des Virus-Genoms in
das Genom des Wirts sei ein Schlüsselvorgang in der Vermehrung von
HIV. Neben der Grundlagenforschung hat Gallo jedoch stets auch
die politische Dimension von Aids
Fotos: NCI, Barbara Krobath
B
ereits wenige Jahre nach der
Entdeckung des HI-Virus durch
Dr. Robert Gallo und Dr. Luc
Montagnier stand mit dem Reverse-Transkriptase-Hemmer Azidothymidin (AZT) die erste Therapieform zur Verfügung. Neuere und neueste Therapieansätze zielen auf weitere, für die
HIV-Replikation wichtige Enzyme: auf Proteasen bzw. Integrasen. „HIV und Aids sind für
die medizinische Forschung
gleichsam ein chronischer Tropensturm“, meinte Gallo bei
einem Symposium der Young Scientists Association (YSA) in Wien:
Nicht nur, dass weltweit jeden Monat
mehr Menschen an den Folgen der
Infektion als durch die Tsunami-Katastrophe versterben, so trickst das
Virus das Immunsystem und Forscher
gleichermaßen aus. „Wenn Sie eine
Grippe- oder Polioinfektion durchgemacht und überlebt haben, dann ist
das Virus aus Ihrem Körper verschwunden. Nicht so bei HIV – die
Infektion bleibt ein Leben lang bestehen“, betont Gallo.
„Als wir erstmals mit HIV konfrontiert
wurden, geschah dies zugleich unter
den besten wie auch unter den schlechtesten Voraussetzungen“, schildert
Gallo. „Die besten Voraussetzungen
HIV/Aids
„HIV hat mein Leben verändert“
Um mit den Resistenzen Schritt zu halten, bedarf es einer
ständigen Weiterentwicklung der HIV-Therapie. Auch mit 70
Jahren setzt sich Dr. Robert Gallo, der Entdecker der ersten
menschlichen Retroviren, unermüdlich für die Bekämpfung
der Aids-Epidemie ein.
1984 im Labor fertig, industriell verfügbar war er jedoch erst
Anfang 1985. Sie können nun sagen: Gut, das war schnell
für die industrielle Entwicklung. Hätte ich im Labor jedoch
zehn Assistenten mehr gehabt, so wäre es vielleicht noch rascher gegangen, und wir hätten etwa Bluter schon früher
vor Übertragungen schützen können.
Pneumologisch: Herr Dr. Gallo, Sie sind auf Einladung
der „Young Scientists Association“ an der Medizinischen Universität Wien hierher gekommen – sehen
Sie sich selbst als ein Vorbild für junge Mediziner und
Wissenschafter?
Dr. Robert Gallo: Bei aller Aufrichtigkeit sehe ich mich wirklich nicht als Vorbild, doch was ich durch meine Persönlichkeit zeigen kann, ist Folgendes: Eine wissenschaftliche Karriere bereitet unheimlich viel Freude, sie bietet ein anregendes
und interessantes Leben, und es lohnt sich, seine Ideen zu
verfolgen, auch wenn es – besonders am Beginn – mit sehr
viel harter Arbeit verbunden ist. Die medizinische Forschung
bietet wie kein anderes Gebiet die Möglichkeit, nachhaltige
Ergebnisse zu erreichen.
Oft werde ich auch von jungen Wissenschaftern und Postdocs
gefragt, was das Geheimrezept des wissenschaftlichen Erfolgs
ist, doch wenn Sie näher hinsehen, dann werden Sie merken,
dass es keine gemeinsame Erfolgsgeschichte, kein Patentrezept dafür gibt: Wir sind genauso unterschiedlich wie erfolgreiche Menschen in anderen Bereichen – es gibt keinen „common pathway“. Was aber tatsächlich allen erfolgreichen Wissenschaftern gemeinsam ist, das ist die Bereitschaft, hart zu
arbeiten – zumindest in den ersten Jahren –, und die Fähigkeit, auch nach Rückschlägen und Kritik immer wieder aufzustehen und weiterzumachen. Man braucht einfach eine dicke
Haut, der Rest ist vermutlich eine Portion Glück.
Welches waren nach Ihrem Dafürhalten die drei wesentlichsten Entwicklungen seit Beginn der HIV-Forschung?
Schon vor der Entdeckung des Virus selbst war mit Sicherheit die Entdeckung von Interleukin-2 im Jahr 1976 ein Meilenstein: Erst damit wurde es überhaupt möglich, T-Zellen
zu kultivieren. Danach war die Entwicklung des Bluttests der
erste große Schritt. Damit konnte die Blutversorgung sicher
gemacht und die Ausbreitung von HIV verfolgt werden.
Auch für die Prävention und Aufklärung wurden wesentliche
Voraussetzungen geschaffen. Die zweite wichtige Entwicklung ist das Affen-Modell, und als drittes ist selbstverständlich die Verfügbarkeit einer Therapie zu nennen: 1986 stand
mit Azidothymidin (AZT) das erste Medikament zur Behandlung von HIV zur Verfügung. Doch auch nach 1985/86 haben wir weitere große Sprünge machen können: Die Dreifach-Kombination wurde durch die Entwicklung von Protease-Inhibitoren möglich, und verschiedene Gruppen konnten zeigen, wie HIV tatsächlich in die Zellen eindringt.
Im Zusammenhang mit der Ausbreitung von Infektionskrankheiten warnen Sie auch vor einer wachsenden
Nachlässigkeit und einem sinkenden Bewusstsein für
die Notwendigkeit effektiver Behandlungsmaßnahmen
– gilt das auch für die Adhärenz von HIV-Patienten?
In der industrialisierten Welt hat sich mit Sicherheit eine gewisse Bequemlichkeit im Hinblick auf Infektionskrankheiten
breit gemacht, doch Tatsache ist, dass speziell HIV-Infektionen
immer noch auftreten und steigen. Auch die Präventionsprogramme greifen nicht in dem Maß, wie wir uns das wünschen. Die Adhärenz unter den Patienten selbst schwankt. Wir
sehen aber immer wieder, dass die Erreichbarkeit der Patienten, auch in armen und weniger gebildeten Schichten, eine
ganz entscheidende Voraussetzung für die Adhärenz ist. Das
Buddy-System etwa bewährt sich da sehr gut. Viel zu oft werden auch noch Einnahmefehler gemacht. Die Therapie ist
sehr komplex und muss wirklich genau eingehalten werden.
Gehen wir zurück in die 1980er Jahre: Was bedeutete
die Entdeckung menschlicher Retroviren für Sie ganz
persönlich?
Es war zunächst vor allem die Zufriedenheit darüber, dass wir
mit unseren Forschungsarbeiten keine Zeit verschwendet haben. Natürlich waren nicht alle unsere Experimente erfolgreich
und richtig, aber wir wurden letztendlich in unserer Annahme
bestätigt, dass es humane Retroviren gibt. Die ersten humanen
Retroviren haben allerdings nicht meine Karriere nachhaltig
beeinflusst, HIV dagegen sehr wohl – ich war plötzlich mit Patienten konfrontiert, mit Kontroversen, mit Medien, und es
wurde versucht, Druck auf mich auszuüben. Kurz gesagt stand
ich einer Vielzahl von Dingen gegenüber, auf die ich nicht vorbereitet war und die ich mir nicht vorstellen konnte. Ich hatte
in meiner Jugend Basketball gespielt, studiert und arbeitete als
Wissenschafter am National Institute of Health – mehr nicht.
Das reichte für die Krebsforschung, doch als Aids kam, änderte
sich mein Leben schlagartig. Ich war plötzlich auch mit gesellschaftspolitischen Fragen konfrontiert.
Doch es zeigte mir auch, dass wir mit unserer wissenschaftlichen Arbeit etwas bewirken können und dass wir selbst dafür die Verantwortung tragen. So war es zum Beispiel mit
der Entwicklung des HIV-Bluttests: Wir hatten ihn im März
Wie schätzen Sie die Resistenzsituation ein? Wo besteht der größte Handlungsbedarf?
Die Resistenzentwicklung ist tatsächlich ein enormes Problem. Alleine bei uns in Baltimore sind schon 15 Prozent aller
neu diagnostizierten Patienten resistent, insgesamt 50 Prozent werden es im Laufe der Therapie. Doch die Entwicklung
neuer Therapien hält Schritt. Deswegen ist es so wichtig, in
den Labors der Pharmaforschung laufend daran weiterzuarbeiten. So haben wir haben heute bereits Integrase-Inhibitoren zur Verfügung, die vieles versprechen.
Vielen Dank für das Gespräch!
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HIV/Aids
Impfstoff gegen HIV
Große Hoffnungen setzt Gallo auch in
die Entwicklung eines HIV-Impfstoffes: „Wir können die Epidemie stoppen, aber wir sind bereits hinter dem
Zeitplan.“ Die Frage, wann ein solcher
Impfstoff tatsächlich verfügbar sein
wird, will Gallo zwar nicht beantworten, er betont allerdings, dass dafür
das Affenmodell erforderlich sei: „So
sehr wir die Tiere respektieren und
den Tierschutz beachten müssen, so
sehr ist die Verfügbarkeit des Affenmodells ein Limit in der Impfstoffentwicklung.“
Ein Impfstoff gegen HIV könne nur
auf dem Prinzip der „sterilizing immunity“ funktionieren, meint Gallo. „Das
Virus muss schon am Eindringen in
den Körper gehindert werden – wir
dürfen uns in der Impfstoffentwicklung keine Fehlschläge mehr erlauben,
denn sobald das Virus in den Körper
eingedrungen ist, integriert es sein GePneumologisch 3/07
nom in das der Zellen, das ist nun einmal die Eigenschaft eines Retrovirus.“
Ein Impfstoff müsse daher auf Antikörpern basieren, wobei die Schwierigkeit darin besteht, dass attenuierte
oder auch abgetötete Viren nicht verwendet werden können. „Das wäre
viel zu gefährlich.“ Erste Versuche mit
einem Impfstoff gegen das Hüllenprotein gp120 hätten bei Rhesusaffen bereits eine Immunität hervorgerufen,
„nur bei einem Tier wurden trotz der
Immunisierung Virussequenzen nachgewiesen.“
Klinische Erfahrungen
Wie wirksam die heute zur Verfügung
stehenden antiviralen Substanzen
auch in der Post-Expositions-Prophylaxe (PEP) sind, schildert Prim. Dr.
Norbert Vetter, Leiter der 2. Internen
Lungenabteilung, Sozialmedizinisches
Zentrum Baumgartner Höhe, Otto
Wagner-Spital, Wien: „Wir hatten einen Patienten, der sich 2ml Blut eines
HIV-Infizierten selbst injiziert hatte.
Zunächst haben wir ihm gar nicht geglaubt, doch er wollte mit dieser Handlung tatsächlich die Aufmerksamkeit
seines Vaters auf sich ziehen.“ Durch
die sofortige antivirale PEP konnten
die anfänglich nachgewiesenen Antikörper zum Verschwinden gebracht
werden, wie Vetter berichtet. Untersuchungen an insgesamt 62 Paaren, in
denen ein Partner infiziert ist und eine
hochaktive antiretrovirale Therapie
(HAART) erhält, zeigen auch, dass bei
bestehendem Kinderwunsch es durch
die prophylaktische Behandlung des
nicht infizierten Partners bislang zu
keiner einzigen Infektion gekommen
ist. „Nichtsdestotrotz haben wir es
auch in Österreich mit einer versteckten Epidemie zu tun. Die offiziellen
Zahlen lauten, dass wir etwa 6.000 bis
8.000 HIV-Infizierte haben, tatsächlich könnten es aber mehr als 10.000
sein“, meint Vetter. Im Kampf gegen
die Infektion müsse zudem der Adhärenz mehr Beachtung geschenkt werden: „Wir haben sehr gute Erfahrungen mit einer speziell geschulten
Krankenschwester. Seit sie den Patienten mit konkreten Informationen
und Gesprächen über die Therapie zur
Verfügung steht, konnten wir bei unseren Patienten die Raten an kompletten Suppressionen der Viruslast
von 50 auf 80 Prozent erhöhen.“
Pressekonferenz und HIV-Symposium der
Young Scientists Association, Wien, 20.3.07
„Mr. HIV“: Dr. Robert Gallo
Seine Schwester verstarb im Kindesalter an den Folgen einer Leukämie: Für Robert Gallo war dieses Erlebnis ausschlaggebend dafür, sich
schon früh in der Krebsforschung
zu engagieren. In den 1960er Jahren konzentrierte er sich auf
menschliche Tumorviren, die bei
25 Prozent aller Krebserkrankungen
eine Rolle spielen. Obwohl bereits
in den 1970er Jahren das MausLeukämievirus, ein Retrovirus, bekannt war, verlief die Suche nach
menschlichen Retroviren lange Zeit
erfolglos. Anfang der 1980er Jahre
wurde Gallo als Entdecker der ersten menschlichen Retroviren, HTLV-1 und HTLV-2, in der Fachwelt berühmt. 1983
gelang ihm nahezu parallel mit dem französischen Virologen Dr. Luc Montagnier
die Entdeckung eines weiteren Retrovirus: HLTV-3 beziehungsweise HIV. Als Direktor des „Institute of Human Virology“ an der Universität Maryland leistete Gallo –
er feierte dieser Tage seinen 70. Geburtstag – auch Pionierarbeit für die Entwicklung eines HIV-Bluttests. Zu seinen wichtigsten Forschungsleistungen zählen außerdem die Entdeckung von Interleukin-2 und des humanen Herpesvirus Typ 6
(HHV-6), des im Jahr 1985 nachgewiesenen Erregers des Drei-Tage-Fiebers.
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Foto: Barbara Krobath
im Auge: „Genauso wie wir uns darum bemühen müssen, die Epidemie
weltweit einzudämmen und auch in
der Dritten Welt Medikamente zur
Verfügung zu stellen, ebenso müssen
wir ständig an der Entwicklung neuer Therapien arbeiten. Die Resistenzentwicklung ist einfach enorm“,
warnt Gallo.
Als viel versprechender Ansatz erscheint Gallo ein Abzielen auf das
Oberflächenprotein CCR5 an Lymphozyten. „Es ist ein ganz wichtiges
Target und die Haupteintrittspforte
für HIV.“ Menschen, die aufgrund der
genetischen Variabilität kein CCR5
exprimieren, sind auch resistent gegen HIV. „Auf der anderen Seite sehen wir bei Patienten mit fortgeschrittenen Infektionen sehr hohe Level an
CCR5, und sie stehen in Zusammenhang mit der Progression“, erklärt
Gallo. Erste Studien mit CCR5-Antagonisten zeigten zwar Wirksamkeit,
doch sie mussten wegen hoher Nebenwirkungsraten der Substanzen
eingestellt werden. „Es ist allerdings
möglich, die Expression von CCR5
durch Substanzen wie Rapamycin
oder Hydroxyurea zu verringern, damit ist eine deutlich geringere Menge
an Antagonisten erforderlich.“ Am
Affenmodell habe dieser Ansatz bereits funktioniert.
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