Schutz des Lebens an seinem Beginn. Eine katholische Positionsbestimmung Prof. Dr. Hille Haker Thesen zum Vortrag: 1. Die Anwendungskontexte der Medizin am Lebensbeginn sind so vielfältig geworden, dass in der Beurteilung unterschiedliche Aspekte thematisiert werden müssen. Die wichtigsten Bereiche sind: a. Die „allgemeine“ Embryonenforschung („Grundlagenkenntnisse“; Forschung im Rahmen der reproduktionsmedizinischen Behandlung) b. In Vitro Fertilisation im Rahmen einer reproduktionsmedizinischen Behandlung c. Präimplantationsdiagnostik d. Embryonale Stammzellforschung (zur Gewinnung von Stammzellen für die Therapie, mit der „Sonderproblematik“ der Patentierung der Verfahren, die auf der verbrauchenden Embryonenforschung basiert) e. Der Schwangerschaftsabbruch im Rahmen der Fristenlösung f. Der Schwangerschaftsabbruch nach medizinischer Indikation g. Pränataldiagnostik h. Pränatale bzw. perinatale Therapie 2. Fast alle diese Aspekte finden im Rahmen ärztlichen Handelns statt und beruhen auf einer hochtechnisierten Medizin bzw. Biowissenschaft. Dies hat nicht nur Konsequenzen für die „Verortung“ des Lebensschutzes, sondern vor allem auch für die Frage nach der Verantwortung. Diese ist nicht nur „individualethisch“, sondern auch sozial- bzw. institutionenethisch zu reflektieren. Ich werde für einen relationalen Ansatz argumentieren, der den Embryonenschutz in der sozialen Praxis der Elternschaft (im Gegensatz zur Verortung in der wissenschaftlichen Forschungspraxis mit menschlichen Zellen bzw. Gewebe) verankert. Der „soziale Ort“ des Lebensschutzes hat normative Implikationen für das biomedizinische Handeln, in deren Bewertung sich kath. und prot. Ethik treffen können. 3. Oberstes Prinzip des Schutzes des Lebens an seinem Beginn ist die Würde. Die Katholisch-Theologische Ethik nimmt Würde als konstitutiv für die Moral an – und für sie gilt sie ab dem Beginn des Lebens.1 Bei der genauen Bestimmung dieses 1 Vgl. Dignitas Personae 1: „Jedem Menschen ist von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod die Würde einer Person zuzuerkennen. Dieses Grundprinzip, das ein großes „Ja“ zum menschlichen Leben ausdrückt, muss im Mittelpunkt des ethischen Nachdenkens über die biomedizinische Forschung stehen, die in der Welt von heute eine 1 moralisch relevanten „Beginns“ gibt es eine Kontroverse innerhalb der Katholischen Theologie (wie auch der Prot. Theologie), bei der aber – anders als in der philosophischen Bioethik – alle Kontrahenten weit davon entfernt sind, die Phase zwischen Konzeption und Nidation moralisch zu neutralisieren. 4. Es gibt verschiedene Würdekonzepte, auf die sich die theologischen Erkenntnisquellen der Vernunft und des Glaubens beziehen können und mit denen die theologische Ethik sich kritisch auseinandersetzen muss: a. Die Zuschreibung von Würde als einer historischen, sozial vermittelten Konvention, die in der Moderne den „unhintergehbaren“ Kern der Moralbegründung ausmacht.2 b. Die naturrechtliche oder aber reflexive, transzendentalphilosophische Begründung der Personalität als Rechtfertigungsgrund der Würde;3 diese Begründung schließt nicht aus, den (faktischen) Entwicklungsprozess einer Person (im Unterschied zur transzendentalen Personalität) entweder als moralischer Gradualismus, als Entfaltung der dem Begriff des Menschen inhärenten Personalität, oder tutioristisch (im Sinne einer Vorsichtsinterpretation) zu verstehen. c. Die kritische Korrelation des normativen Gehalts der unverlierbare Würde mit der sozialen Anerkennung im Sinne der historischen Vernunft – diese Interpretation ist prinzipiell offen gegenüber Ausweitungen des Würdebegriffs, und sie unterzieht die Zuschreibungen von Würde, die notwendig historisch und sozial vermittelt sind, einer kritischen Analyse: Theologische Ethik ist kritisch aufgrund ihrer eigenen Tradition, weil sie „parteilich“ im Sinne der besonderen Aufmerksamkeit gegenüber Würdeund Menschenrechtsverletzungen ist bzw. sein muss.4 5. Der Konflikt zwischen den verschiedenen ethischen Urteilen zum moralisch relevanten Lebensschutz verdeckt, dass es im Kontext des Lebensbeginns weitere allgemeine Beurteilungsmaßstäbe gibt, in denen die Kath. und Prot. Ethik übereinstimmen, bevor sie auf den Kontext des Lebensbeginns bezogen werden. Dazu gehören die folgenden Gesichtspunkte: immer größere Bedeutung gewinnt.“ Die Reflexionsgrundlage ist dabei sowohl die Vernunft als auch der Glaube: „Wenn die katholische Kirche Prinzipien und moralische Bewertungen für die biomedizinische Erforschung des menschlichen Lebens vorlegt, folgt sie dem Licht der Vernunft wie auch des Glaubens.“ (DP 3). Instruktion zu einigen bioethischen Fragen von 2008; http://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/documents/rc_con_cfaith_doc_20081208_dignitaspersonae_ge.html 2 Vgl. zum Verhältnis von Würde und Rechten insgesamt die angehängten Erläuterungen im Textteil. 3 In beiden Versionen kann keine Rede von einer „naturalistischen“ (d.h. biologistischen) Interpretation sein, auch wenn insbesondere Lehramtsäußerungen, gegen ihre Intention, häufig Anlass zu einer solchen Interpretation geben. 4 Hans Joas hat dies zutreffend als die „Sakralisierung der Person“ in der Menschenrechtstradition der Moderne rekonstruiert. Diese auf die historische Vernunft gründende Normativität der Würde stimmt in ihrem Gehalt mit der naturrechtlichen Rekonstruktion überein, hat aber ihren Rechtfertigungsgrund in der Geschichte und nicht in der Vernunftnatur. 2 a. Medizinethische Prinzipien begrenzen medizinische Praktiken, besonders aber die medizinische Forschung auf den „Nutzen“ für einen Patienten selbst bzw. lassen fremdnützige Forschung nur zu, wenn diese eine minimale Belastung und ein minimales Risiko darstellt. Fremdnützige Forschung, die das Leben eines Patienten gefährdet, stellt danach eine Menschenrechtsverletzung dar. Dieses Prinzip ist der allgemeine Horizont, in dem auch Embryonenforschung zu beurteilen ist, wenn nicht implizit oder explizit einer moralischen Neutralität des Embryos das Wort geredet werden soll. b. Es ist eine Errungenschaft, die historisch erkämpft werden musste, dass Menschen nicht für die Zwecke anderer Personen oder auch für einen gesellschaftlichen Nutzen „verdinglicht“ werden dürfen. Dies ist u.a. auch für die Kommerzialsierung von menschlichem Gewebe relevant und betrifft auch die Patentierung von Verfahren, die auf dem „Verbrauch“ von Embryonen („jede menschliche Eizelle vom Stadium ihrer Befruchtung an“) basieren.5 c. In sozialen Praxen müssen die Beteiligten grundsätzlich Rechenschaft über ihr Handeln ablegen; rechtliche Regulierungen normieren das Handeln durch positives Recht – dieses muss sich aber je neu der Moralität bzw. der ethischen Begründbarkeit vergewissern. Die Theologische Ethik hat in diesem Vergewisserungsprozess eine kritische und „erinnernde“ Funktion bezüglich der Grundlagen der Moral. d. Menschen haben grundsätzlich gleiche Rechte, die in der Tradition der Menschenrechte als Grund-, Freiheits- und Sozialrechte differenziert werden. Dies bedeutet, dass es zu Konflikten zwischen den Rechtetypen kommen kann, die jeweils nur unter Einbeziehung der Handlungskontexte beurteilt werden können. e. Über die strikte normative Verpflichtung auf den Respekt der Würde und Rechte hinaus vertritt die Theologische Ethik eine Verantwortungsethik, die den respektvollen Umgang mit der „Schöpfung“, d.h. der Lebenswirklichkeit, die der Mensch immer schon vorfindet, fordert. Die christlich vermittelte Verantwortung macht nicht Halt bei den Rechteträgern (der m.E. notwendig anthropologisch vermittelten Interpretation des moralischen Respekts), sondern stellt die Menschenrechtsforderung in den weiteren Kontext der Sorge für die Lebenswirklichkeit (insbesondere gilt dies für den Schutz von Tieren und die ökologische Verantwortung). D.h.: auch jenseits des Streits um den moralischen Status findet die theologische Ethik in der 5 Vgl. das Urteil des EuGH zur Patentierung vom 18.10.2011: http://eurlex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ%3AC%3A2011%3A362%3A0005%3A0006%3Ade%3APDF 3 Schöpfungstheologie einen starken Motivationsgrund für die Verantwortungsperspektive gegenüber dem Schutz des Lebens. Im Konfliktfall genießen die strikten Rechte zwar Vorrang vor dem allgemeinen Schutz der Lebenswirklichkeit, aber der Willkürfreiheit der Handlungssubjekte sind durch diesen ethischen Horizont der Sorge durchaus Grenzen gesetzt. f. Der Schutz des menschlichen Lebens an seinem Beginn ist auf die Verortung des Lebensbeginns in der elterlichen Beziehung (durch die Zeugung und Elternschaft) zu beziehen. D.h. dass medizinisches Handeln auf diese „Situierung“ und „Relationalität“ verwiesen ist – sie ist der Referenzrahmen für jede Intervention am Lebensbeginn. 6. Die Katholisch-Theologische Position ist durch den Konflikt zwischen dem Lehramt und der Katholischen Theologie geprägt, der in der Diskussion zumindest benannt werden muss: a. Die lehramtliche Position basiert auf einer naturrechtlichen Argumentation der Personalität des Menschen, die sie als der menschlichen Natur inhärenten Würde beschreibt (s.o.), die eine gradualistische Interpretation nicht zulässt. Die theologische Interpretation der Schöpfungsgeschichte stimmt mit der moralischen Personalität (= Würde) überein; sie wird im Sinne des unverlierbaren Status interpretiert. Der Konflikt zwischen Lehramt und Theologie bezieht sich auf die Interpretation der aus der Würde entspringenden Rechte: hier vertritt das Lehramt im Kontext der Bioethik (bekanntlich im Unterschied zu seiner Position in der Politischen Ethik im Zusammenhang mit der Selbstverteidigung) den grundsätzlichen und ausnahmslosen Primat des Lebensrechts, während die Theologische Ethik praktische Konflikte zwischen den Rechtetypen anerkennt, die keineswegs die grundsätzliche Hierarchie der Rechte (Schutzrechte, Freiheitsrechte, soziale Rechte) in Frage stellen. b. Viele kath. Theologische Ethiker und Ethikerinnen stimmen im Hinblick auf das Würdeprinzip mit der lehramtlichen Reflexion überein und entfalten diese weiter, indem sie die naturrechtliche Interpretation als reflexive, transzendentalphilosophische Begründung der Würde fassen. Diese Begründung wird zudem von namhaften prot. Ethikern geteilt. Einige Ethiker interpretieren die moralisch relevante Personalität nun jedoch unter Einbeziehung der neueren wissenschaftlichen Forschung der Embryologie nicht transzendental, sondern sie beziehen den Entwicklungsprozess zwischen Kernverschmelzung und Nidation als auch moralisch relevanten Prozess in ihre Argumentation mit ein. Die 4 naturwissenschaftlichen Erkenntnisse können aber auch anders integriert werden, indem nämlich die transzendentalphilosophische Argumentation der Personalität beibehalten wird, diese aber im Spannungsverhältnis von Personalität und Personsein in Sinne eines Vorsichtsarguments weit interpretiert wird. c. Es ist aber darüber hinaus notwendig, weitere Gesichtspunkte für die Bestimmung des Schutzes des Lebens an seinem Beginn heranzuziehen. Dabei ist zunächst sowohl in der katholischen als auch in der protestantischen Theologie wichtigen Aspekten der Beurteilung wenig Aufmerksamkeit geschenkt: i. Es ist in den verschiedenen Kontexten zwischen unmittelbaren und mittelbaren Rechtekonflikten, und zwischen Rechtekonflikten und Interessenkonflikten zu unterscheiden: beim Schwangerschaftsabbruch geht es z.B. um einen unmittelbaren Rechtekonflikt zwischen zwei „Würdeträgern“, in der medizinischen Forschung häufig um einen Konflikt zwischen unmittelbaren Rechten und mittelbaren individuellen oder gesellschaftlichen Interessen (Kinderwunsch, Erkenntniszuwachs). ii. Des Weiteren gibt es je nach Kontext unterschiedliche gesellschaftliche Tendenzen, die in die Beurteilung einbezogen werden müssen, so etwa: 1. Die „Fremdnutzung“ eines Embryos neutralisiert den moralischen Schutz in actu. 2. Die Verdinglichung durch Kommerzialisierung des Gewebes - neutralisiert den moralischen Schutz in der Konsequenz der Praxis. 3. Die Spaltung und Vervielfältigung der Elternschaft durch die Zeugung von vielen Embryonen verändert Elternschaft und Verwandtschaftsbeziehungen; unter Umständen kommt es dabei zu Rechtekonflikten zwischen Eltern und zukünftigen Kindern, die in der ethischen Beurteilung berücksichtigt werden müssen. 7. Eine kontextuelle Interpretation des Schutzes des Lebens an seinem Beginn, die diese allgemeinen Maßstäbe berücksichtigt, betont verschiedene Probleme in Bezug auf heute möglichen Interventionen: 5 a. IVF: Das Lehramt lehnt die assistierte Fortpflanzung ab, weil bzw. insofern sie vom Zeugungsakt abstrahiert.6 Daraus leitet es alle weiteren Verbote ab. Dies wird von vielen Katholischen Theologen nicht geteilt – alle weiteren Ausführungen setzen daher voraus, dass die IVF grundsätzlich ethisch zu rechtfertigen ist – diesem Urteil schließe ich mich im Folgenden an. Allerdings muss die IVF die Gesundheitsrechte von Frauen genauso berücksichtigen wie die Rechte der zukünftigen Kinder.7 b. Forschung an Embryonen kann sowohl zum Nutzen des Embryos selbst (im Rahmen der IVF z.B. Forschung der Bedingungen, unter denen Embryonen am besten gedeihen, bevor sie transferiert werden) als auch ‚fremdnützig‘ erfolgen, z.B. wenn ein Transfer gar nicht intendiert ist. Die Forschung zur Verbesserung der IVF kann daher sinnvoll sein, weil sie der Befähigung von Embryonen dient, sich so zu entwickeln, dass eine Schwangerschaft herbeigeführt werden kann (z.B. verbesserte Methoden der Kulturen, in denen Embryonen entwickelt werden). Eine fremdnützige Embryonenforschung ist nur mit einer Moraltheorie vereinbar, die Embryonen ausdrücklich von der Würde ausschließt bzw. aufgrund des Gradualismus als Vorstufe moralischer Berücksichtigung betrachtet. Dies lehnt die Katholische Theologie ab. c. Embryonale Stammzellforschung und -verwendung ist fremdnützige, „verbrauchende“ Forschung; sie findet aber darüber hinaus im Rahmen der ökonomischen Nutzung statt (Patentierung); dies fördert die moralische Neutralisierung und Verdinglichung von menschlichem Leben an seinem Beginn und abstrahiert vom Referenzrahmen der Elternschaft bzw. Reproduktion. Die Verwendung von Stammzellen aus bereits bestehenden Stammzelllinien ist m.E. ethisch nur dann zulässig, wenn dies nicht zur weiteren Neutralisierung führt – die Verwendung also im Sinne einer Ausnahme- und Übergangsregelung erfolgt.8 6 DP 12f: „Techniken, die sich als Hilfestellung für die Zeugung erweisen, «sind nicht deshalb abzulehnen, weil sie künstlich sind. Als solche zeigen sie die Möglichkeiten ärztlicher Kunst. Aber man muss sie aus moralischer Sicht bewerten, indem man sie auf die Würde der menschlichen Person bezieht, die gerufen ist, die göttliche Berufung zum Geschenk der Liebe und zum Geschenk des Lebens zu verwirklichen». Im Licht dieses Kriteriums sind alle Techniken der heterologen künstlichen Befruchtung sowie die Techniken der homologen künstlichen Befruchtung, die den ehelichen Akt ersetzen, auszuschließen. Zulässig sind hingegen Techniken, die sich als Hilfe für den ehelichen Akt und für dessen Fruchtbarkeit erweisen. …Erlaubt sind gewiss die Eingriffe zur gezielten Entfernung von Hindernissen, die der natürlichen Fruchtbarkeit entgegenstehen, wie zum Beispiel die hormonale Behandlung der Unfruchtbarkeit gonadischen Ursprungs, die chirurgische Behandlung einer Endometriose, die Öffnung der Eileiter oder die mikrochirurgische Wiederherstellung der Eileiterdurchgängigkeit. 7 Hier ist eine detaillierte Beurteilung der unterschiedlichen Rechtetypen unerlässlich. M.E. gibt es hier eine breite gemeinsame Basis zwischen der Kath. und Prot. Theologischen Ethik. 8 Dass inzwischen jedoch embryonale Stammzellen im normalen Prozess der Toxizitätsprüfung in der klinischen Forschung an Stelle von tierischen Zellen eingesetzt werden, kann mit einer solchen „vorsichtigen“ Verwendung nicht in Einklang gebracht werden. Vgl. dazu die Stellungnahme der EGE. 6 d. Die Präimplantationsdiagnostik beinhaltet notwendig die moralische Unterscheidung zwischen Embryonen im gleichen Stadium nach dem Kriterium der Gesundheit oder anderer Kriterien. Auch wenn es in diesem Fall zu Grenzfällen der ethischen Beurteilung kommen kann, ist eine Begründung, die dem Leiden von Paaren gegenüber den Schutzrechten von Embryonen grundsätzlich Vorrang gibt, kaum zu begründen, ohne eine allgemeine Abwertung des Schutzstatus von Embryonen in Kauf zu nehmen. Hier gibt es einen Konflikt zwischen der Mehrheit der katholischen und protestantischen Ethik mit einer Minderheit der protestantischen Ethik.9 e. Der ethische Konflikt des Schwangerschaftsabbruchs kann nur dann entstehen, wenn die Voraussetzungen für die Übernahme der Verantwortung von Seiten der Frau (und für die Phase der Schwangerschaft) nicht gegeben sind. Dieser Konflikt betrifft aber nicht die grundsätzlich anerkannte bzw. anzuerkennende Würde des Embryos bzw. Föten. Vielmehr müssten sozialethische Unterstützungsleistungen überdacht werden, die weit über das Themenfeld des Lebensschutzes hinausweisen, dafür aber die gesellschaftliche Sicherung bzw. Förderung des Lebensschutzes an die Gerechtigkeit und Solidarität zurückbeziehen.10 f. Die Pränataldiagnostik kann als Diagnose im Sinne des Embryos bzw. Föten erfolgen, wenn sie an die Intention einer besseren perinatalen Versorgung bzw. Therapie gebunden ist. Diese Zielsetzung gehört zwar zur moralischen Verantwortung des Paares, ist aber gesellschaftlich viel stärker zu vermitteln, als dies derzeit der Fall ist. Der Theologischen Ethik kommt dabei eine kritische Funktion zu. 9 Zur Begründung des Vorrangs der Würde in der Protestantischen Ethik verweise ich nur auf W. Huber und E. Herms, die zumindest die Frontstellung zwischen Prot. Und Kath. Ethik als Verzerrung der Auseinandersetzung deutlich machen. 10 Vgl. zu diesem sozialethischen Perspektivenwechsel in der Beurteilung H.Haker, Ethik der genetischen Frühdiagnostik, 2003. 7 Erläuterungen zu den Thesen (als Hintergrund meines Vortrags):11 Das Menschenwürdekonzept liegt zu Recht der Katholischen und auch der Protestantischen Theologischen Ethik zugrunde, auch wenn in der berühmten Erklärung einiger Protestantischen Ethiker von 2002 der „Pluralismus zum Markenzeichen“ erklärt wurde. Ich werde aber argumentieren, dass damit die Reflexion auf den Schutz des Lebens an seinem Beginn nicht zu Ende ist, sondern vielmehr nur grundgelegt ist. Daher ist es notwendig, der Bestimmung der Würde als konstitutivem Begriff der Ethik eine Analyse der verschiedenen Kontexte folgen zu lassen, in der erst die jeweiligen Verantwortungssubjekte und Inhalte der Verantwortung ausbuchstabiert werden können. Für die Frage nach dem Beginn des menschlichen Lebens erscheinen mir die vier folgenden Ergebnisse aus der Integration von philosophischer und embryologischen Forschung relevant: 1. Die Menschliche Entwicklung erfolgt als kontinuierlicher und irreversibler Prozess, der mit der Kernverschmelzung von Ei- und Samenzelle beginnt und dazu führt, dass nach etwa zwei Wochen der Embryo erkennbar ist. Der genaue „Ursprung“ ist damit nicht ein Zeit-Punkt, sondern in diesem Prozess der ersten Wochen zu sehen. 2. Mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle ist eine aktive Potenz zur Entwicklung des Menschen gegeben, wobei wegen des Prozesscharakters durchaus zu fragen ist, ob diese aktive Potenz nicht erst nach 14 Tagen, also mit der Differenzierung von Embryoblast und Trophoblast, gegeben ist. Ich plädiere 11 Diese Erläuterungen basieren auf einem längeren Artikel, aus dem ich hier mit einigen Veränderungen zitiere: Pränataldiagnostik und Präimplantationsdiagnostik – ein Wertungswiderspruch? In: Wolfang Lenzen (Hg.): Wie bestimmt man den „moralischen Status“ von Embryonen? Paderborn (mentis), 2003, 141-163. 8 daher für eine Vorsichtsargumentation, weil der genaue Übergang emprisch nicht genau bestimmt werden kann. 3. Die Entwicklung, die dabei einsetzt, ist eine humanspezifische Entwicklung (das Genom ist festgelegt, was nicht ausschließt, dass es etwa bei Zwillingsbildungen nicht zu unterschiedlichen Entwicklungsgängen kommen könnte). 4. Die durch die Zeugung entstandenen Zellen bilden zu jedem Zeitpunkt eine, funktionelle, sich selbst organisierende Einheit. Auch epigenetische Phänomene sowie die Notwendigkeit der mütterlichen Versorgung ändern an dieser prinzipiellen Autopoiesis nichts.12 Es mag sein, dass sich mit der Weiterentwicklung der Embryologie weitere Erkenntnisse ergeben werden. Für die ethische Reflexion ist jedoch zentral, dass der Lebensbeginn ein Prozess ist, der interpretationsbedürftig ist. Eine unmittelbare normative Gleichsetzung von (transzendentalphilosophisch begründeter) Personalität mit dem Personsein von Handlungssubjekten ignoriert diesen Prozesscharakter; umgekehrt ignoriert die moralische Neutralisierung von Embryonen aber die grundsätzliche Personalität, die dem Begriff des Menschen inhärent ist. Ich plädiere daher dafür, die ethische Diskussion von der Relationalität aus neu zu beginnen, d.h.: Der Referenzrahmen für die Beurteilung des Schutzes am Lebensbeginn ist die Elternschaft bzw. die Reproduktion, unabhängig davon, ob diese durch den Zeugungsakt oder durch die assistierte Fortpflanzung geschieht (diese Unterscheidung ist auf dieser Ebene für mich, anders als für das Lehramt, nicht relevant). Embryonen gehören denjenigen zu, die für ihre (Er-)zeugung konstitutiv sind. Ihre Verantwortungsposition muss daher nicht nur in jeden Schritt einbezogen und respektiert werden, sondern alle Maßnahmen sind daraufhin zu prüfen, ob sie eine Schwangerschaft bzw. die Elternschaft ermöglichen. Dabei spielen Frauen als diejenigen, die ein Kind neun Monate in sich tragen und gebären, naturgemäß eine 12 Vgl. Zu diesen Kriterien G. Rager. (2000). Präimplantationsdiagnostik und der Status des Embryos, Zeitschrift für medizinische Ethik, 46, 81-89. Der Einwand von Nüsslein-Vollhardt, die Entwicklung des Embryos sei ohne die mütterlichen genetischen Faktoren unmöglich, trifft insofern nur dann zu, wenn dem - in diesem Sinne dann zu Recht so genannten - Prä-Embryo etwas „hinzugefügt“ würde, das seinen genetischen Bestand erst vervollständigen würde. Dies ist aber für Säugetiere nicht belegt. 9 zentrale Rolle – sie sind es, die zuallererst eine moralisch gehaltvolle Beziehung der Sorge für und um ihr Kind aufbauen, und sie sind in dieser Verantwortungsposition zu stärken. Menschenwürde/Menschenrechte Das Selbstverständnis des Menschen ist in ethischer Hinsicht aufs engste an die Würde gekoppelt.13 Menschenwürde ist dabei zu verstehen als Personenwürde, wobei der Personbegriff, anders als in der aktuellen Bioethik üblich, nicht ein Ab- und Ausgrenzungsbegriff ist, sondern vielmehr das Menschsein im Hinblick auf die Moralfähigkeit qualifiziert. Menschsein als Personsein bedeutet nun aber Folgendes: - Die biographisch-narrative Einheit und elementare Kontinuität personaler Identität. Der Bezugspunkt der Würde ist die Person. Dabei ist – auch aus philosophisch-anthropologischer Perspektive gesehen – auszugehen von einem prozessualen Begriff des Personseins, d.h. von der Notwendigkeit der biographisch-narrativen Einheit und der elementaren Kontinuität personaler Identität; die Personalität ist eine transzendentale Bedingung für die Identität einer Person. - Freiheit und Selbstbestimmung. Der Personbegriff impliziert Freiheit und Selbstbestimmung, zunächst im Sinne der Handlungs- und Wahlfreiheit, im weiteren Sinne jedoch im Sinne der moralischen Autonomie; diese mündet in Freiheitsrechte und in das Verbot der (Total-)Instrumentalisierung. - Leiblichkeit. Der Personbegriff, der in der philosophischen Anthropologie zugrundegelegt wird, ist an die Bestimmung der Leiblichkeit gekoppelt. Die spezifische Selbsterfahrung, die mit dem Begriff des Selbstbewusstseins nur unzureichend gefasst ist, ist eine vorgängige, jeden Wirklichkeitsbezug 13 Vgl. für den Bereich der Bioethik: H. Baranzke: Würde der Kreatur? Die Idee der Würde im Horizont der Bioethik. Königshausen & Neuman: Würzburg, 2002; D. Beyelveld, & Brownsword, R. f: Human Dignity in Bioethics and Biolaw. Oxford University Press: Oxford, 2002; M. Werner: Streit um die Menschenwürde, Zeitschrift für Medizinische Ethik, 46 (2000), 259-272. Höffe, Otfried; Honnefelder, Ludger et.al. (Hrsg.): Gentechnik und Menschenwürde. Köln, 2002. 10 konstituierende, körperlich vermittelte Erfahrung. Die damit einhergehende physische und psychische Verletzbarkeit mündet in Schutzrechte. - Soziale Interaktion und Anerkennungsverhältnisse. Der Personbegriff ist nicht atomistisch zu fassen, vielmehr ist Personalität an soziale Beziehungen gekoppelt, an soziale Interaktionen und Anerkennungsverhältnisse. Da die sozialen Interaktionen nie nur symmetrisch zu fassen sind, sondern immer auch asymmetrische Beziehungen einschließen, münden sie – komplementär zu den Freiheitsrechten – in spezifische Anspruchs- und Förderungsrechte. Vor dem Hintergrund dieser Bestimmungen können wir jetzt das Verhältnis von Würde und Rechten genauer als ein „Erläuterungsverhältnis“14 fassen: Würde fungiert als konstitutives Prinzip der moralischen Rechte, es entfaltet seine normative Aussagekraft aber erst auf der Ebene der verschiedenen Rechtetypen. Diese Rechtetypen sind zu unterscheiden nach Freiheits- oder Abwehrrechten, Schutz- oder Grundrechten, Anspruchs- oder Förderungsrechten. Die Reflexion auf die Rechte, insbesondere aber natürlich die Zuschreibung von Rechten an Personen muss einerseits die biologische Kontinuität und die narrative Einheit berücksichtigen, welche die Würde unteilbar macht, andererseits aber auch die Entwicklung in dieser Kontinuität und Einheit, also den prozessualen Charakter. So kann es – anders als bei der Würde, die nicht gradualisierbar ist – zu einer Gradualität der Rechte nach Maßgabe der Fähigkeit ihrer Ausübung kommen – dies gilt insbesondere für die Freiheitsrechte. Das Verhältnis von Schutzrechten und Freiheitsrechten ist Gegenstand anhaltender Diskussion. Prinzipiell ist im Hinblick auf die Bestimmung der Rechte zu berücksichtigen, dass die die Rechte fundierende Würde, so unverwirkbar und unanstastbar sie auch sein mag, faktisch dennoch auf die praktische Erfahrung der sozialen Zuerkennung angewiesen bleibt.15 Menschenrechte beziehen sich im Begriff der normativen Gleichheit auf die Menschenwürde, die wiederum von den Menschenrechten mit konkreten Inhalten gefüllt wird. Deshalb kann es keine Debatte 14 So auch M. Düwell. (2001). Die Menschenwürde in der gegenwärtigen bioethischen Debatte. In Graumann, Sigrid, Die Genkontroverse. Grundpositionen (80-87). Freiburg/Basel/Wien: Herder, 82. 15 A. Margalit (1997). Politik der Würde. Über Achtung und Verachtung. Berlin: Fest. (1996: The Decent Society). 11 um die Menschenwürde geben, die nicht auch zugleich eine Debatte um die Menschenrechte ist, kann es keine Debatte um Menschenrechte geben, die nicht zugleich auch zumindest implizit das Konzept der Würde berührt. Der Geltungsbereich der Menschenwürde bzw. Menschenrechte bezieht sich zum einen auf die Moralsubjekte als denjenigen, die Träger und Adressaten von Rechten sind (deshalb der Vorrang der Pflichten in Kants Ethik), zum anderen auf den Umfang dessen, was dem Bereich der Menschenwürde, den Menschenrechten, ihrer Wahrung bzw. ihrer Verletzung zuzuordnen ist. Wenn die Menschenwürde auf die Freiheit und die Vernunft des Menschen gegründet ist, so beziehen sich die Menschenrechte auf die Freiheitsrechte, auf die Rechte zur Sicherung der Möglichkeitsbedingungen von Freiheit und Vernunft sowie auf Anspruchsrechte zur Förderung und Unterstützung des Wohlergehens. Dort, wo Freiheitsrechten nicht begegnet werden kann, weil die Bedingungen ihres Vollzugs nicht gegeben sind – wie dies etwa bei Kindern bis zu einem individuell unterschiedlichen Alter der Fall ist – bleiben selbstverständlich die anderen Rechte, die Schutz- und Anspruchsrechte in Kraft, die für die Entwicklung der Freiheitsrechte notwendig sind und die zum Wohlergehen des menschlichen Lebens gehören. Diese Menschenrechte sind mit anthropologischen Konzepten zu vermitteln – wenngleich sie auch nicht mit ihnen zu identifizieren sind. Eine Liste von Grundfähigkeiten und Funktionen des menschlichen Selbstvollzugs, wie etwa Martha Nussbaum dies vorschlägt, ist als Interpretationshilfe sinnvoll, darf aber nicht unmittelbar normativ verstanden werden.16 Die Anthropologie, die auf die Leiblichkeit bzw. Bedürfnisnatur und das praktische Selbstverhältnis des Menschen abzielt, stellt somit einen Horizont Menschenrechtskonzepts des dar. MenschenwürdeEine und sogar Würdekonzeption ohne noch mehr des anthropologische Voraussetzungen gibt es nicht, weil spätestens bei der Zuordnung der Kriteriologie auf Würdeträger die Vorverständnisse eine Rolle spielen. Für die Theologische Anthropologie sind dabei sowohl die schöpfungstheologische, darüber hinaus aber auch die bundestheologische Interpretation ein wichtiger locus theologicus – eine Erkenntnisquelle, die die Freiheit in Verantwortung mit der Notwendigkeit der Kritik an 16 M. C. Nussbaum (2000): Women and Human Development. The Capabilities Approach. Cambridge: Cambridge University Press. 12 Unfreiheit im Licht der Geschichte der von Gott verheißenen Befreiung und der begleitenden Präsenz zusammenschließt. Freiheitsrechte, Schutzrechte und Anspruchsrechte auf Förderung sind an die Geschichtlichkeit, die Leiblichkeit und die die verschiedenen Formen sozialer Anerkennung genauso gebunden wie an die Autonomie als Fähigkeit zum selbstbestimmten Leben und Handeln. Im Fall von unmittelbaren Rechtekonflikten muss eine Rechte-Abwägung nicht nur auf der Anerkennung der Würde, die die verschiedenen Rechtetypen begründen, erfolgen, sondern auch danach fragen, welche Konfliktlösungen überhaupt möglich sind, wer die Träger der Verantwortung sind, welche Rolle Institutionen bei der Lösung übernehmen können etc. Im Hinblick auf den Schutz des Lebens an seinem Beginn verstellt m.E. die Überbetonung des Rechtekonflikts während der Schwangerschaft den Blick auf die anderen Konfliktfelder, in denen es nicht um Rechtekonflikte, sondern um Konflikte zwischen Rechten und mittelbaren Interessen geht. Hier haben beide Kirchen und die theologische Ethik eine kritische und aufklärende Funktion – ad intra wie auch ad extra, in der Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Praxen, die heute nicht einmal mehr anerkennen wollen, dass es beim Schutz von Embryonen überhaupt einen moralischen Konflikt gibt. Ich meine, dass prot. und kath. Theologie hier Wege der Zusammenarbeit suchen sollten. 13