Kapitel II Die Dialektik als Logik der Vernunft Die Dialektik als

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Kapitel II
Die Dialektik als Logik der Vernunft
Die Dialektik als Problem
Die Kantsche Lehre von den Ideen
Die Probleme der Dialektik wurden von Kant nicht nur im zweiten Teil der „Kritik der reinen
Vernunft“ untersucht: er erforschte sie gründlich im Verlauf seines gesamten Schaffens. Dabei
besteht das Hauptverdienst des Philosophen darin, dass er das Prinzip des Widerspruchs in das
Denken, in das theoretische Wissen einführte und als Folge in gewissem Grade die Vorstellung
von der Allgemeingültigkeit der formal-logischen Gesetze bezweifelte.
Nicht weniger Bedeutung für die folgende Entwicklung der Philosophie hatte auch, dass Kant
die Dialektik speziell als Problem erforschte; den Begriff Dialektik analysierte, die Verbindung
der Dialektik mit dem Problem der unbedingten Erkenntnis, der vollständigen und allseitigen
Synthese des Problems begründete.
Vor Kant wurde die Dialektik mit etwas einfach falschem identifiziert, oder als etwas sich auf
sophistische Basis stützendes verstanden. Deshalb kursierte in der alten Verstandesphilosophie
die Meinung, dass es für die Überwindung der widersprüchlichen, dialektischen Ansichten
genügt, die darin enthaltenen logischen Fehler zu beseitigen. Die formale Richtigkeit eines
Urteils (d.h. dem Prinzip der Nichtwidersprüchlichkeit entsprechend) wurde für den
Hauptbeweis seiner Wahrheit gehalten.
Nach Platon brachte Kant als erster ein neues Verständnis der Dialektik in die Philosophie ein,
obwohl auch er im Terminus „Logik des Scheins“ der traditionellen Philosophie einen gewissen
Tribut zollte. Für Kant war die Dialektik durchaus nicht mit einem Denkfehler verbunden, da sie
nicht die Folge logischer Fehler oder bewusst zugelassenen Sophismus’ sein kann. Die Dialektik
ist ein nicht wegzudenkender Bestandteil der menschlichen Vernunft. Und deshalb ist sie in der
vernünftigen Erkenntnis auch nicht wegzudenken.
Kant unterschied deutlich die Synthese mit Hilfe des Verstandes von der Synthese mit Hilfe der
Vernunft. Die Notwendigkeit der Dialektik in der Vernunft erklärte er folgendermaßen: Wenn
die Anwendung des Verstandes durch die Sphäre der Erfahrung begrenzt ist, trägt die
Anwendung der Vernunft den Charakter einer Bedingungslosigkeit, weil sie den Rahmen
jeglicher möglichen Erfahrung sprengt. Dabei entsteht ein dialektischer Widerspruch, eine
Verletzung der Regeln der traditionellen Logik, woraus durchaus nicht folgte, dass Kant die
Bedeutung der Vernunft verneinte. Im Gegenteil, etwas Höheres als die Vernunft, so Kant, gibt
es nicht in uns für die Verarbeitung des zu betrachtenden Materials und seine Unterordnung
unter eine höhere Einheit des Denkens. In der vorangegangenen (traditionellen) Logik wurde die
logische Anwendung der Vernunft als Fähigkeit, vermittelnde Schlussfolgerungen zu ziehen,
erforscht, aber der Charakter einer realen Anwendung der Vernunft als Quelle bestimmter
Begriffe und Grundlagen, die die Vernunft weder aus dem Verstand noch aus dem Gefühl
übernimmt, wurde nicht erörtert. Und wenn der Verstand Regeln vorgibt, so besitzt die Vernunft
die Fähigkeit, Prinzipien vorzugeben. „Deshalb nenne ich Erkenntnis aus Prinzipien nur solches
Wissen“, schrieb Kant, „in dem ich das Einzelne im Allgemeinen durch Begriffe erkenne“. (1)
Die unbedingten Prinzipien der Vernunft unterscheiden sich grundlegend von den Kategorien
des Verstandes, da sie absolut sind. „Der Verstand kann ganz und gar nicht synthetisches Wissen
aus Begriffen erwerben“, lesen wir bei Kant, „ aber gerade solches Wissen nenne ich Prinzipien
im absoluten Sinne des Wortes, wenn man die allgemeinen Thesen überhaupt relative Prinzipien
nennen kann.“ (2)
Wie man sieht, hat Kant hier eigentlich den Unterschied zwischen dem abstrakt-allgemeinen
und dem wahrhaft-allgemeinen im Sinne des Begriffes fixiert. „Wenn der Verstand eine
Fähigkeit ist, eine Einheit der Erscheinungen durch Regeln zu schaffen“, schrieb Kant weiter,
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„so ist die Vernunft die Fähigkeit, eine Einheit von Regeln des Verstandes nach Prinzipien zu
schaffen. Folglich ist die Vernunft niemals direkt auf die Erfahrung oder auf irgendeinen
Gegenstand gerichtet, sondern immer auf den Verstand, um mit Hilfe der Begriffe a priori seinen
vielfältigen Kenntnissen eine Einheit zu geben, die man Einheit der Vernunft nennen kann und
die ganz anders beschaffen ist, als jene Einheit, die durch den Verstand geschaffen werden
kann.“ (3)
Hier ist eine sehr interessante These enthalten: wenn die Verstandeskategorien es dem Wissen
erlauben, eine notwendige Synthese von Empfindungen zu realisieren, so vereinigt, synthetisiert
die Vernunft innerlich die Regeln der Wissenschaft. Anders gesagt, Kant unterstrich den
wichtigen Gedanken von der Systematik der Regeln des Verstandes und der Einheit der
Wissenschaftsbegriffe.
In der Auslegung Kants sind Verstand und Vernunft solche Stufen der Erkenntnis, von denen die
einen mit Kategorien verbunden sind, die anderen – mit den Ideen der Vernunft. Während im
Verständnis Hegels und des Marxismus die Kategorien, wie auch die Ideen, Formen des
Denkens sind, die in ihrer Entwicklung die Stufen des Abstrakten, Verstandesmäßigen und
Konkreten (d.h. vernünftigen) durchlaufen, so sind bei Kant die Kategorien (es sind 12) nur mit
dem Verstand verbunden (wobei sie alle eine endliche Bedeutung haben), und die Ideen – nur
mit der Vernunft, und deshalb beanspruchen sie eine vollständige, allgemeine unbedingte
Synthese.
An und für sich hatte die Unterscheidung von Verstand und Vernunft durch Kant zweifellos
positive Bedeutung in der Geschichte der Philosophie. Sie war von Hegel hoch eingeschätzt
worden, der allerdings nicht die Kantsche Methode der Fragebegründung übernommen hatte. Für
Hegel sind sowohl die Kategorien, als auch die Ideen in ihrer Natur universelle Denkformen, die
in ihrer Entwicklung sowohl die verstandesmäßige als auch die vernünftige Stufe der Erkenntnis
durchlaufen.
Allerdings ist die Unterscheidung von Verstand und Vernunft bei Kant eng verbunden mit
seinem Verständnis der Wechselbeziehung der theoretischen Naturwissenschaft (Wissenschaft)
und der Philosophie (Metaphysik). Der Autor der „Kritik der reinen Vernunft“ sah keine tiefen
Verbindungen zwischen Philosophie und Wissenschaft, er versuchte eigentlich, sie einander
gegenüberzustellen. Der Mangel der Auslegung Kants besteht darin, dass er nicht die tiefen
Wechselbeziehungen von Philosophie und Wissenschaft aufdeckte, sondern versuchte, nur ihre
Existenz, ihr Vorhandensein festzustellen. Dabei befanden sich als Modelle die Newtonsche
Physik einerseits und die Euklidische Geometrie andererseits in einem Krisenzustand. Der
Philosoph ging davon aus, dass in den Naturwissenschaften zweifellos glaubhaftes und genaues
Wissen enthalten ist (d.h. das synthetisch apriorische), das vollständig den Anforderungen
jeglicher Wissenschaftlichkeit entspricht, damals, als die Metaphysik etwas Gegensätzliches
darstellte und deshalb umstritten und diskutiert wurde. Außerdem hat Kant auch nicht versucht,
die echten gegenseitigen Beziehungen von Philosophie und Wissenschaft zu verstehen. Er
konstatierte lediglich den faktischen Zustand, der sowohl in der Philosophie, als auch in der
Naturwissenschaft vorhanden war, und versuchte, diesem Fakt eine theoretische Begründung
unterzuordnen. Dabei waren seine Überlegungen folgendermaßen: Die Naturwissenschaften
verfügen über solide und glaubwürdige Kenntnisse, weil sie über den Verstand und seine
Kategorien erworben wurden, die funktionieren und objektive Bedeutung nur im
Erfahrungsbereich haben. Die Metaphysik jedoch weist nur problematisches Wissen auf, da ihre
Begriffe (Ideen) über das Maß aller Erfahrung hinausgehen, sie versuchen, eine unbedingte
Synthese zu realisieren. Aus diesem Gedanken Kants folgte, dass, obwohl die Philosophie
(Metaphysik) notwendig ist und sogar als Art der theoretischen Tätigkeit, die das Bedürfnis der
menschlichen Vernunft befriedigt, unausrottbar ist, trotzdem aber kein wissenschaftliches
Wissen darstellt, weil den Ideen der Vernunft, in deren Form die philosophische Erkenntnis
versinnbildlicht wird, nichts in der Erfahrung entsprechen kann. Folglich ist die Metaphysik, im
Unterschied zur theoretischen Naturwissenschaft, nicht in der Lage, ihren theoretischen Thesen,
was im Verständnis Kants unabdingbar ist, eine objektive Erfahrungsbedeutung beizumessen.
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Diese Notwendigkeit entspringt aus dem Bedürfnis der Vernunft, unbedingtes Wissen zu
vermitteln, das die Grenzen jeglicher möglichen Erfahrung überschreitet.
Somit hat Kant die Anwendung des Verstandes mittels der Kategorien, wenn der Gegenstand
existiert und in der Erfahrung möglich ist, von der theoretischen Anwendung der Vernunft genau
unterschieden. Wenn die Erkenntnisfunktion des Verstandes in der Umwandlung des
Empfindungsurteils in das Erfahrungsurteil, in der Formierung des synthetischen apriorischen
Wissens, sichtbar wird, so zeigt sich die Funktion der Vernunft vor allem in der Realisierung der
vollständigen und absoluten Synthese, im Versuch, das gesamte Wissen entsprechend den
Begriffen zu erlangen. „Folglich ist der transzendentale Begriff der Vernunft etwas anderes“,
schrieb Kant, „als der Begriff Gesamtheit der Bedingungen für das gegebene Bedingte. Aber
weil nur das Unbedingte die Gesamtheit der Bedingungen ermöglicht und umgekehrt, die
Gesamtheit der Bedingungen selbst immer unbedingt ist, folgt daraus, dass der reine Begriff der
Vernunft überhaupt nicht über den Begriff des Unbedingten erklärt werden kann, weil er in sich
die Begründung der Synthese des Bedingten enthält.“ (4)
Dabei, vermutete Kant, hat das Streben, die Einheit des Verstandes zur unbedingten Einheit zu
führen, seine Wurzeln in der menschlichen Vernunft. Das menschliche Bewusstsein lässt sich
nicht durch die Erfahrungssphäre, durch endliche Erkenntnis befriedigen, sondern strebt ständig
nach einer vollständigen Synthese des Gegenstandes. „Die reine Vernunft behält sich nur die
absolute Gesamtheit in der Anwendung verstandesmäßiger Begriffe vor und strebt danach, eine
synthetische Einheit zu erreichen, die in Kategorien gedacht wird, bis zum absolut Unbedingten.
Deshalb kann man eine solche Einheit Vernunftseinheit der Erscheinungen nennen, weil die
Einheit, die durch Kategorien ausgedrückt wird, man auch Verstandeseinheit nennen kann.“ (5)
Wenn die Anwendung des Verstandes immer immanent ist, so ist die Anwendung der Vernunft
immer transzendent. Zwar streben die Vernunft und ihre Anwendung immer nach einer
gewissen Adäquatheit und Objektivität, aber dieses Streben kann niemals völlig realisiert
werden. Deshalb sagt man über solche Begriffe gewöhnlich: das ist nur eine Idee. Aber trotzdem,
unterstrich Kant, sind diese Ideen der Vernunft, bei aller ihrer Problemhaftigkeit, nicht nutzlos,
weil sie dem Kanon der allgemeinen und breiten Anwendung dienen und demnach einer
besseren Ausrichtung der Verstandeskategorien förderlich sind. Insgesamt gesehen, befreit die
Vernunft, die aus dem Verstand hervorgeht, die Verstandeskategorien von unumgänglichen
Beschränkungen durch die Sphäre der möglichen Erfahrung. „Das wird dadurch erreicht“,
schrieb Kant, dass die Vernunft die absolute Gesamtheit auf der Seite der Bedingungen fordert
(unter die der Verstand alle Erscheinungen der synthetischen Einheit unterordnet) für das
gegebene Bedingte und dadurch die Kategorie in eine transzendente Idee verwandelt, um der
empirischen Synthese absolute Fülle zu geben durch ihre Fortsetzung zum Unbedingten.“(6)
Im unüberwindlichen Streben der menschlichen Vernunft nach universeller Ganzheit, nach
vollständiger Synthese, die über die Grenzen jeglicher Erfahrung hinausgeht, ist einerseits ihr
(also auch der Philosophie) Vorzug zu sehen, weil sie auf die Erkenntnis des absolut
Unbedingten gerichtet ist, jedoch andererseits zeigt sich hier am deutlichsten die Begrenztheit
der Vernunft (und auch der Philosophie), weil sie auf diesem Wege niemals das absolut
Unbedingte erreicht. Damit etwas objektive Bedeutung haben kann, ist eine Synthese
unabdingbar, ein transzendentales Schema, das die Konturen des Gegenstandes zeigt und sie den
Begriffen des Verstandes zuführt. In der Philosophie wiederum, wenn sie bemüht ist, das
absolut Unbedingte zu geben, entspricht den Ideen der Vernunft keinerlei Synthese, keinerlei
Schema. Mit anderen Worten, die Zeit kann nur in Form einer apriorischen sinnlichen
Betrachtung auftreten, aber nicht Kontur des absolut Unbedingten sein. Das transzendentale
Schema hat nur im Bereich der Erfahrung Bedeutung, und für das, was darüber hinausgeht, gibt
es kein Schema. Folglich entspricht den Ideen der Vernunft, den metaphysischen Thesen kein
Objekt, kein Gegenstand der Wirklichkeit. Eben aus diesem Grunde können die metaphysischen
Thesen nicht objektiv wissenschaftlich sein. Der Umstand, dass die Metaphysik Arena ewiger
Streitpunkte ist, ist nicht ihr Mangel und auch nicht die Folge ihrer Unterentwicklung, sondern
eine Grundeigenschaft der metaphysischen Erkenntnis, ihr eigentliches Wesen. Kant hat
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ziemlich bestimmt verkündet, dass die Erreichung eines solchen Niveaus durch die Philosophie
niemals möglich sein wird, auf dem sie über ihren Gegenstand objektive wissenschaftliche
Kenntnisse vermitteln kann, wie das die moderne Naturwissenschaft tut. Die Umstrittenheit und
Problemhaftigkeit des philosophischen Wissens hängt mit den grundlegenden Eigenschaften der
menschlichen Vernunft zusammen.
Somit sind nach der Kantschen Auslegung Philosophie und Wissenschaft zwei völlig
verschiedene Sphären theoretischer Tätigkeit, denen prinzipiell unterschiedliche
Erkenntnisfähigkeiten zu Grunde liegen. Folglich ist die Unzulänglichkeit der Metaphysik mit
den Mängeln der Vernunft selbst verbunden. Die Vernunft ist unzureichend nicht im Vergleich
mit dem Verstand, sondern in sich selbst. Der Verstand ist eine Vernunft, die in den Grenzen der
Erfahrung bleibt, die Vernunft ist eben dieser Verstand, der aber über die Grenzen jeglicher
Erfahrung hinausgeht. In gewissem Sinne übersteigt die Vernunft den Verstand, wie auch die
Metaphysik teilweise die theoretische Naturwissenschaft überschreitet. Wenn der Verstand
früher in der Sphäre des Endlichen funktioniert, so strebt die Vernunft nach dem Unendlichen,
dem Unbedingten. Man kann also sagen, dass die Vernunft die Fülle des Verstandes verstärkt;
man kann auch etwas anderes sagen: die Vernunft ist nicht in der Lage, glaubwürdiges Wissen
über die Wirklichkeit zu vermitteln. Und beide Thesen sind richtig. Aber die Anwendung der
Vernunft außerhalb jeder Erfahrung ist nur in der Lage, Paralogismen, Antinomien,
gegenstandloses Ideal zu erzeugen.
Das Gesagte zeugt auch davon, dass Kant, wenn er die Glaubwürdigkeit und Genauigkeit der
naturwissenschaftlichen Kenntnisse im Bereich der Erfahrung auch ziemlich hoch einschätzte,
sie gleichzeitig begrenzt fand. Von daher kommt die skeptische Haltung gegenüber denen, die
irgendwelche Vorzüge der theoretischen Naturwissenschaften gegenüber der Philosophie sahen.
Er selbst überlegte folgendermaßen: die theoretische Naturwissenschaft ist als Wissenschaft, als
wissenschaftliches Wissen, das eine objektive, gegenständliche Bedeutung hat, möglich, weil es
von Anfang an seine Aufgabe, sein Gebiet, nur durch Erfahrung, durch Erscheinungen
einschränkt. Solche wissenschaftliche Kenntnis ist von vornherein endlich, durch Wissen über
Erscheinungen allein geht es deshalb nicht über die Grenzen der Erfahrung hinaus. Die
Metaphysik begrenzt sich selbst durch Erfahrung. Von alters her stellt sie die Frage nach dem
Universellen: nach dem absoluten Anfang, nach der Unsterblichkeit der Seele und nach der
Existenz Gottes. Kant war jedoch der Ansicht, dass gerade über diese Probleme kein eindeutig
wahrhaftes, glaubwürdiges Wissen existieren kann. Da die Vernunft über die Grenzen jeglicher
Erfahrung hinausgeht, kann man über diese Thesen gleichzeitig sowohl Bestätigungen, als auch
Verneinung äußern. Dabei kann, nach Meinung Kants, die Bestätigung einen solchen Grad von
Überzeugtheit aufweisen, wie auch die Verneinung. Und umgekehrt – die Verneinung hat die
gleiche Beweiskraft, wie die Bestätigung. Obwohl das metaphysische Wissen nicht eindeutig ist,
ist es doch auch nicht nutzlos, da es doch in bestimmtem Maße die Angaben der theoretischen
Naturwissenschaft erweitert und die Grenze der menschlichen Erkenntnis festlegt.
Kant erklärte, dass sich die Philosophie nach seiner „Kritik der reinen Vernunft“ nicht mehr
wissenschaftlich mit den alten ontologischen Problemen beschäftigen wird. Vor ihr zeichnen
sich neue kardinale Probleme ab und dabei ist, nach Meinung Kants, die wichtigste Frage die
nach den allgemeinen Bedingungen jeglicher wissenschaftlich-theoretischer Kenntnis, die
Herkunftsanalyse,
die
Anwendungsdeduktion,
die
objektive
Bedeutung
der
Verstandeskategorien, die Erforschung der Vernunft, ihrer Ideen und Grenzen. Äußerst wichtig
ist ebenfalls die Erforschung der Wechselbeziehungen der theoretischen und praktischen
Vernunft.
Die Kantsche Philosophie versetzte also der alten metaphysischen Philosophie und ihren
Problemen einen ernsthaften Schlag. Die endgültige Überwindung der gesamten früheren
Philosophie konnte erst in der modernen wissenschaftlichen Philosophie realisiert werden, die
genauso wahrhaft die Wechselbeziehungen von Philosophie und Wissenschaft löste. Hier ist
prinzipiell und bis zum Ende die materialistische Weltanschauung begründet. Als Gegenstand
der Philosophie sind die allgemeinen Gesetze der Natur, der Gesellschaft und des menschlichen
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Denkens bestimmt, in denen die gesamte Geschichte der Erkenntnis, der Kultur und die
Ergebnisse der praktischen Tätigkeit akkumuliert sind.
Mit dem Problem der Dialektik ist in der Lehre Kants das Problem der Begriffe, besonders des
Begriffs der Idee, eng verbunden. Das Problem der Idee ist in der Geschichte der Philosophie die
Suche einer Antwort auf die Frage nach der Natur und der Wesenheit des Wissens. So haben es
in der Antike Platon und Aristoteles betrachtet. Die gleiche Herangehensweise sehen wir bei
Kant, der dem Begriff „Idee“ seine ursprüngliche platonisch-aristotelische Bedeutung zurückgab
und ihre Lehre weiterentwickelte. Indem er die Idee als universelle Form betrachtete, verband sie
Kant mit der Vernunft, mit der Dialektik. Und alle Mängel wie auch Vorzüge seiner Lehre, sind
bedingt durch das Positive und das Negative in der Lehre von der Vernunft. In diesem Punkt
folgte Kant Platon, über den er sich mit großer Sympathie äußerte und die Übereinstimmung der
Ansichten erklärte. Auf diese Übereinstimmung hinweisend, unterstrich Hegel, dass Platon in
erster Linie Kant durch die Tiefe, die Dialektik seiner Auffassung von der Idee nahe kam.
In der Kantschen Fragestellung und Analyse des Ideenbegriffes sehen wir Elemente einer
dialektischen Herangehensweise. Der Philosoph kritisierte scharf sowohl jene, die die Idee
identifizierten mit einer sinnlichen Vorstellung, als auch jene, die sie mit allen Begriffen und
Kategorien vermischten.
Kant verteidigte den Begriff „Idee“ in seiner ursprünglichen Bedeutung (d.h. in der
Platonischen), und riet, sie nicht mit anderen zu vermischen. Er wies darauf hin, dass es in der
Philosophie Bezeichnungen für die Arten von Vorstellungen gibt und gab ihre Abstufung an.
Hier ist sie: „Die Vorstellung überhaupt (repraesentatio) ist eine Art. Ihr ist die bewusste
Vorstellung (perceptio) untergeordnet. Das Gefühl (sensatio) ist die Perzeption, die eine
Beziehung ausschließlich zum Subjekt als Modifikation seines Zustandes hat; die objektive
Perzeption ist die Erkenntnis (cognitio). Erkenntnis ist entweder Betrachtung oder Begriff
(intuitus vel conceptus). Die Betrachtung hat eine unmittelbare Beziehung zum Gegenstand und
ist immer einmalig, der Begriff jedoch bezieht sich auf den Gegenstand vermittelnd, durch
Vermittlung eines Kennzeichens, das für mehrere Dinge gemein sein kann. Der Begriff kann
empirisch oder rein sein: der reine Begriff, soweit er seinen Anfang ausschließlich im Verstand
(und nicht in der reinen Gestalt der Sinnlichkeit) nimmt, nennt sich notio. Der Begriff, der aus
notiones besteht und über die Grenzen der möglichen Erfahrung hinausgeht, ist die Idee, oder ein
Begriff der Vernunft.“ (7)
Aus der Perspektive der Dialektiktheorie stellt die gegebene Klassifikation einen großen Wert
dar, weil in ihr deutlich das abstrakt-allgemeine und konkret-allgemeine Wissen abgegrenzt
wird, und in der Form des letzten drückt sich laut Marxismus die Wesenheit der Gegenstände
und Erscheinungen aus. Das wahrhaft-allgemeine Wissen, das unendlich ist, stimmt nicht mit
den sinnlichen Erscheinungsformen überein. Diese These erklärte Kant am Beispiel der
Platonschen Idee der Tugend, die den Handlungen der Menschen zu Grunde liegt. Nach ihrem
Charakter ist sie keine allgemeine Vorstellung, sondern ein echter Allgemeinbegriff, den man
theoretisch nicht unmittelbar aus der Erfahrung herleiten kann. Aber „daraus“, schrieb Kant, dass
der Mensch niemals adäquat dem handeln wird, was in sich die reine Idee der Tugend enthält;
folgt durchaus nicht, dass diese Idee eine Chimäre sei.“ (8) Platon verstand nach Meinung Kants
unter Idee „etwas nicht nur niemals aus Gefühlen übernommenes, sondern... sogar weit über die
Begriffe des Verstandes hinausgehendes.“(9)
Kant stützt sich in der Frage der Ideen nicht umsonst ständig auf Platon, diese beiden Denker
sind sich in hier einig. Und wirklich, bei Platon ist die Idee die Wesenheit des Seins, das
objektiv-allgemeine, unendliche. Zum Beispiel liegt die Idee des Schönen den Dingen zu Grunde
und macht sie schön. Bei Kant ist die Idee ein Grenzbegriff der Vernunft. Sowohl Platon, als
auch Kant sahen kein gegenständliches Analogon der Idee in der objektiven Wirklichkeit, da sie
die Idee für transzendent hielten, die über die Grenzen jeglicher Erfahrung hinausgeht. Mit Hilfe
der Idee versucht die Vernunft quasi die Grenzen der Erfahrung zu überschreiten – zum Idealen,
Absoluten, Unbedingten. In diesem Sinne ist die Idee, nach Kant, ein Begriff eines gewissen
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Maximums, ein Begriff „von einer Vollkommenheit, der man sich nähern kann, sie aber niemals
völlig erreicht“ (10), d.h. die Idee ist ein Ideal, das Ideal des Wissens.
Obwohl Platon unter der Idee das objektiv-allgemeine versteht, und Kant einen Begriff der
Vernunft, gibt es doch zweifellos eine Gemeinsamkeit ihrer Lehren. Ähnlich dem, wie bei Platon
die Idee nicht das empirisch-allgemeine, das abstrakt-allgemeine ist, sondern das Gesamte, so ist
auch die Kantsche Idee nicht das abstrakt-allgemeine, sondern das konkret-gesamte, oder
wenigstens sind in seiner Lehre Elemente solchen Herangehens wesentlich.
Mit dem oben aufgezählten erschöpft sich allerdings auch schon die Ähnlichkeit der Ansichten
beider Denker zu dieser Frage. Im Weiteren gibt es grundlegende Unterschiede. Beginnen wir
damit, dass die Welt der Erscheinungen und die Welt der Ideen bei Platon und Kant
unterschiedlichen Bezug zur Erkenntnis haben. Das Wissen des Menschen ist nach Platon aus
der Welt der Ideen, und nach Kant ist das einzige Objekt, das uns „gegeben“ ist, und von uns
erkannt wird – die Erscheinung. Diese Erscheinungen in der subjektiven Tätigkeit erkennend,
bilden wir den „Gegenstand“. Das „Ding an sich“ kann dem Subjekt nicht gegenüberstehen (d.h.
es kann keine Vorstellung sein), weil es ihm auf keine Weise gegeben ist. Die Gefühle, die das
unmittelbare Produkt des „Dinges an sich“ sind und die ursprüngliche Quelle des Wissens, sind
subjektiv. Für ein „Trennen“ vom Subjekt muss man es zuerst ins Bewusstsein „übertragen“, d.h.
mit den Formen des Verstandes synthetisieren. Erst wenn sie durch den Schmelztiegel der
Einbildungskraft gegangen sind und sich mit den apriorischen Verstandesformen (Kategorien)
vereinigt haben, verwandeln sich die Empfindungen in ein dem Subjekt gegenüberstehendes
Objekt, in einen Gegenstand des Wissens. Dieser Gegenstand der möglichen Erfahrung
unterscheidet sich von den reinen transzendentalen „Gegenständen“, den Ideen. (11) Kant hielt
die Idee für das gnoseologische Ideal des Wissens. Während bei Platon die Idee vorzugsweise
eine Form des Seins war, so ist sie bei Kant eine Form des Wissens, die bis zur Erkenntnis
existiert, eine ideale Wesenheit, aber keine reale Existenz.
Wie man sieht, folgt Kant Platon nur bis zu einem bestimmten Punkt. Im Weiteren wurde
eindeutig ihr reales Auseinanderdriften in der Auslegung der Idee festgestellt. Aber im
Folgenden erhielten ihre wirklichen Errungenschaften, ihre wertvollen theoretischen Elemente
eine höhere Entwicklung in der Hegelschen und marxistischen Philosophie. Bekanntlich
kritisierten Marx und Engels jene scharf, die die unmittelbare Übereinstimmung der Begriffe mit
der Wirklichkeit forderten. Der Begriff und die Wirklichkeit fallen nicht unmittelbar zusammen
und können nicht zusammenfallen, weil der Begriff die objektive Wechselbeziehung der
Gegenstände im Wesentlichen widerspiegelt, aber die Wesenheit des Gegenstandes und seine
Form stimmen niemals unmittelbar überein. Wenn Wesenheit und Erscheinung zusammenfielen,
schrieb Marx, wäre keine Wissenschaft notwendig.
Jene kritisierend, die Fakten und Erfahrung dem Begriff, der Idee gegenüberstellten, erhob sich
Kant weit über den Empirismus hinaus, für den die Anerkennung der Realität jegliches
Allgemeinen mittelalterliche Scholastik ist. Zwar konnte Kant sich keinen Reim daraus machen:
einerseits maß er der Idee große Bedeutung bei, lobte Platon, andererseits behauptete er selbst,
dass der Idee in der Erfahrung nichts entspricht, d.h. er widersprach sich selbst.
Die Herkunft der Ideen führte Kant logisch aus. Ähnlich, wie er die Quelle der Kategorien in den
vier logischen Funktionen des Verstandes fand (Menge, Qualität, Verhältnis, Modalität), so
erblickte er die Quelle der Ideen in den drei Funktionen der Syllogismen. Nach Kant entstehen
die Ideen als Antwort auf das Bedürfnis der Vernunft „für die Existenz überhaupt etwas
Notwendiges zuzulassen (weiter als dieses bräuchte man beim Aufstieg nicht zu gehen).“ (12)
Die transzendentale Idee ist eben jener Begriff, der nach Möglichkeit einer solchen Forderung
entspräche und es gestattete, a priori die Existenz vollkommen zu erkennen. Genau so, wie „die
Form der Urteile (die in den Begriff von der Synthese der Betrachtungen umgewandelt wurde)
uns die Kategorien gibt, die die Anwendung des Verstandes in der Erfahrung lenken..., erweist
sich die Form der Schlussfolgerungen (Syllogismen), wenn man sie auf die synthetische Einheit
der Betrachtungen entsprechend den Kategorien anwendet, als Quelle besonderer apriorischer
Betrachtungen“ (13), Ideen. So löst Kant das Problem der Ideen als apriorische Begriffe, das im
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Rationalismus als Geburtskennzeichen des Begriffs behandelt wird. Aber darüber hinaus stellt
sich Kant „den Versuch, aus einer vollständig willkürlich konstruierten Idee die Existenz des ihr
am meisten entsprechenden Gegenstandes“ als „etwas vollkommen unnatürliches“, als
Neueinführung „schulischen Scharfsinns vor“. (14) Apriorisch im Wissen konnte nämlich,
seiner Meinung nach, nur die Form sein. Deshalb ist sein Apriorismus, im Unterschied zum
rationalistischen, die Konzeption der Wissensbegründung allein durch seine Form. (15) Der
dualistische Charakter dieser Konzeption ist offensichtlich: Apriorismus in Bezug auf die Form
des Wissens verbindet sich in ihr mit dem Empirismus in der Erklärung des Begriffs.
Weiter oben wurde bereits bemerkt, dass nach Kant die Vernunft (im Unterschied zum Verstand,
der die Einheit der Erscheinungen durch Regeln schafft) die Einheit der Regeln des Verstandes
nach Prinzipien bewerkstelligt. Die Erkenntnis aus Prinzipien ist synthetisches Wissen aus
Begriffen, ist nur „solches Wissen, in dem ich das Einzelne im Allgemeinen mittels der Begriffe
erkenne“, d.h. eine Schlussfolgerung. Aber jegliche Schlussfolgerung ist nach Kant „eine Form,
aus dem Prinzip Wissen zu entnehmen“ (16). Immer nur auf den Verstand gerichtet, aber
niemals auf die Erfahrung oder irgendeinen Gegenstand, gibt die Vernunft mit Hilfe der Begriffe
a priori ihren vielfältigen Kenntnissen eine Einheit, die Kant die Einheit der Vernunft nennt, die
durch die Idee verwirklicht wird. Die Behauptung Kants, dass auf der Grundlage der Idee eine
höhere Wissenseinheit erreicht wird, war richtig.
Eine logische Funktion des Verstandes ist das Urteil, und der Vernunft – die Schlussfolgerung,
die nach Kant mit höheren Formen der Synthese verbunden ist. Die logische Anwendung der
Vernunft ist eine solche Tätigkeit, wenn die Vernunft „von jeglichem Inhalt der Erkenntnis
abgelenkt wird“ und auftritt als „Fähigkeit, vermittelnde Schlussfolgerungen zu ziehen“ (17). Es
können eben drei Arten von Syllogismen oder Vernunftsideen, wie auch Urteilsarten existieren,
sofern sie sich voneinander durch die Ausdrucksform der Beziehung des Wissens im Verstand
unterscheiden: kategorische, nach Meinung Kants, mit der Kategorie des Substanziellen,
hypothetische – mit der Kategorie der Kausalität, und teilende – mit der Kategorie der
Wechselbeziehungen verbundene. Die Suche nach der unbedingten kategorischen Synthese im
Subjekt führt die Vernunft zum Begriff der absoluten Einheit des denkenden Subjekts, zur Idee
des summarischen (vollständigen) Subjekts, d.h. zur psychologischen Idee (die Lehre von der
Seele); die logischen Handlungen der Vernunft in den hypothetischen Syllogismen ziehen die
Idee des absolut Unbedingten in einer Reihe gegebener Bedingungen nach sich, d.h. die Idee der
vollständigen Reihe von Bedingungen, d.h. die kosmologische Idee (die Lehre von der Welt);
und, schließlich, nur eine Form des teilenden Syllogismus muss unbedingt zum höheren Begriff
der Vernunft führen – zur Definition aller Begriffe in der Idee der völligen Gesamtheit des
Möglichen, der absoluten Einheit der Bedingungen aller Gegenstände des Denkens – zum
Begriff der Wesenheit aller Wesenheiten, d.h. zur theologischen Idee (die Lehre von Gott).(18)
Diese transzendentalen Ideen haben keine „objektive“ Bedeutung. Ihre objektive Deduktion ist
im Unterschied zur Deduktion der Verstandeskategorie nicht möglich, weil sie keine Beziehung
zu keinerlei Objekt haben, das ihnen adäquat gegeben sein könnte; anders gesagt, die
theoretische Vernunft ist nach Kant nicht in der Lage, die Wesenheit der Seele, der Dinge an sich
und Gottes zu begreifen. Deshalb drücken die Ideen nur das Bestreben der Vernunft nach dem
Begreifen der Dinge an sich aus, und gehen dabei aus von dem Prinzip der systematischen
Einheit der Verstandesanwendung, aber nicht ihrer wirklichen Erkenntnis. Wenn wir über Ideen
verfügen, können wir das Gesetz gut verstehen, das von der Vernunft durch diese Ideen dem
Verstand für seine Anwendung in der Erfahrung vorgegeben ist. „Wenn man diese Einheit der
Erkenntnisart für die Einheit des zu erkennenden Objektes hält..... und sich einbildet, das man
mittels dieser Ideen sein Wissen weit über die Grenzen der möglichen Erfahrung hinaus auf
transzendente Weise erweitern kann, dann dient es nur dazu, die Erfahrung so nah wie möglich
an die Vollkommenheit in sich selbst heranzuführen, d.h. ihren Fortschritt durch nichts, das nicht
zur Erfahrung gehört, zu begrenzen, dann ist das nicht mehr als ein Fehler in der Einschätzung
der eigentlichen Bestimmung unserer Vernunft und ihrer Grundlagen, das ist die Dialektik, die
einerseits die Anwendung der Vernunft in der Erfahrung durcheinander bringt, andererseits – die
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Vernunft zur Diskrepanz mit sich selbst führt.“ (19) Eine solche Definition der Wesenheit der
Idee zeugt vom Idealismus Kants.
Die Ideen haben nicht besondere Gegenstände zum Ziel, die sich außerhalb der
Erfahrungsgrenzen befinden würden, sondern nur die Forderung nach vollständiger Anwendung
des Verstandes bezüglich der Erfahrung. Deshalb ist die Einheit, die von der Idee geschaffen
wird, etwas rein regulatives, nicht konstitutives, da die Gegenstände der transzendentalen Ideen
unserer sinnlichen Betrachtung niemals gegeben sein können. (20) „Die Begriffe der Vernunft
dienen der konzeptionellen Erkenntnis.....ähnlich wie die verstandesmäßigen Begriffe dem
Verstehen.... (der Wahrnehmung)“ (21) Deshalb kann die Forderung nach Fülle der reinen
Vernunft nur Forderung nach einer Fülle von Prinzipien sein, und nicht von Kontemplationen
und Gegenständen.(22)
Eben deshalb, weil die Idee in der Vernunft vollkommen notwendig entsprechend ihren
ursprünglichen Gesetzen entsteht (d.h. logisch), „haben wir keinerlei Wissen über den
Gegenstand, der der Idee entspricht“, und wir können nur problematisches Wissen über ihn
haben. Die theoretische Idee zu nennen – das hieße sehr viel bezüglich des Objektes zu sagen
(als Gegenstand des reinen Verstandes) und sehr wenig bezüglich des Subjekts (d.h. bezüglich
seiner Wirklichkeit unter empirischen Bedingungen). (23) Das heißt nur das Problem ohne
jegliche Lösung zu stellen und hinzuweisen auf den Aufstieg zum Unbedingten, d.h. zu den
Prinzipien. „Das absolute Ganze aller Erscheinungen ist nur die Idee“, die als regulatives Prinzip
der spekulativen Vernunft auftritt, „weil wir uns niemals dieses Ganze bildlich vorstellen
können“. (24)
Da die transzendentale (subjektive) Realität der Idee auf Syllogismen beruht, die in sich keine
empirischen Sendungen enthalten und mittels derer man bekanntlich auf das Unbekannte
schließt, indem man ihm eine objektive Realität zuschreibt (Ergebnisse solcher Überlegungen
nennt Kant ausgeklügelte Schlussfolgerungen), gerät die Vernunft außerhalb der Grenzen der
sinnlichen Welt in Verwirrung und schafft Paralogismen, Antinomien, Ideale der reinen
Vernunft. Ein transzendentaler Paralogismus bildet sich bei einem Schluss „vom
transzendentalen Begriff des Subjekts, das in sich nichts vielfältiges enthält, zur absoluten
Einheit dieses Subjektes selbst, worüber ich auf diesem Wege keinen Begriff haben kann.“ (25)
Wenn ich „ausgehend davon, dass ich immer den sich selbst widersprechenden Begriff von der
unbedingten synthetischen Einheit auf einer Seite der Reihe habe, auf die Richtigkeit der ihm
gegenüberliegenden Einheit schließe, obwohl ich von ihm überhaupt keinen Begriff habe“ (26),
ergibt sich eine Antinomie. Wenn ich wiederum von der „Ganzheit der Bedingungen, um sich
die Gegenstände überhaupt vorzustellen, sofern sie mir gegeben sein können, auf die absolute
synthetische Einheit aller Bedingungen der Möglichkeit der Dinge überhaupt, d.h. von den
Dingen, die ich allein auf der Basis ihres transzendentalen Begriffes nicht kenne, auf die
Wesenheit aller Wesenheiten schließe, die mir mittels des transzendentalen Begriffs noch
weniger bekannt ist und über deren unbedingte Notwendigkeit ich mir keinerlei Begriff machen
kann“ (27), so kann man vom Ideal der reinen Vernunft, oder von Ideen sprechen.
Die Idee, die das Streben unseres Wissens nach der unbedingten Ganzheit ausdrückt, ist, nach
Kant, das gnoseologische Ideal, in dem das Wissen seine Vollkommenheit und Krönung
erlangen könnte. Aber das Problem der Idee als gnoseologisches Ideal stellt sich und löst sich bei
ihm metaphysisch und idealistisch. Die Idee als Vollkommenheit des Wissens, seine unbedingte
Ganzheit ist bei Kant von der objektiven Welt isoliert, und das gnoseologische Ideal tritt als
unbewegliches, verschlossenes, als „leere Abstraktion“ auf. Wie W.I. Lenin bemerkte, „trennt
die Erkenntnis bei Kant die Natur und den Menschen; in Wirklichkeit vereinigt sie sie aber“.
(28) Die von Kant entdeckte Antinomie der Vernunft mit ihren Ideen ist positiv, aber er konnte
keine richtige Erklärung der Widersprüche geben. „Den endlichen, sich wandelnden, relativen,
bedingten Charakter der menschlichen Erkenntnis (seiner Kategorien, Kausalität usw. usf.) nahm
Kant als Subjektivismus an, und nicht als Dialektik der Idee (der Natur selbst), nachdem er die
Erkenntnis vom Objekt getrennt hatte“(29), schrieb Lenin.
612
Kant maß der synthetisierenden Rolle der Idee in der Erkenntnis sehr große Bedeutung bei und
nahm ihr den objektiven Inhalt, nachdem er in Bezug auf sie bei einer „negativen Pflicht allein“
blieb, d.h. er identifizierte die Ideen nicht mit einem Ding an sich als Gegenstand, der sich
außerhalb des Bewusstseins befindet, sondern mit einer Sache als ideale Wesenheit. Aber
andererseits nimmt gerade die Idee die Entwicklungstendenz der Erscheinungen und der
Wirklichkeit auf; deshalb kann die Kantsche ideale „Gegenstand–Begriff–Ziel - Vernunft in der
„praktischen“ (und durchaus nicht theoretischen „erkennenden“), gegenständlichen, sinnlichen,
zutiefst „interessierten“ Tätigkeit existieren. Wie J.M. Borodaj schreibt: „Jeglicher idealer
gegenständlicher Begriff ist bloß ein Schema unserer zielgerichteten praktischen Tätigkeit; und
es ist fähig, außerhalb und unabhängig von uns eine existierende Sache widerzuspiegeln, d.h. ein
wahrer Begriff zu werden, sofern es sich in der praktischen Tätigkeit selbst realisieren lässt.“
(31) Das „Ding an sich“ ist eine ungelöste Antinomie nur für die theoretische Vernunft, die
praktische „Vernunft“ hat es von Anfang an mit den Dingen an sich zu tun; „die Idee der
praktischen Vernunft kann immer in concreto gegeben sein... sie ist eine notwendige
Voraussetzung für jegliche praktische Anwendung der Vernunft.“ (32) Die Idee kann nur in der
praktischen Tätigkeit verwirklicht werden.
Die Frage des Verhältnisses des theoretischen Wissens zu den Dingen an sich als zur objektiven
Realität löste Kant aus der Position des Agnostizismus. Ausgehend von der richtigen These von
der Aktivität des Bewusstseins, zog er die Schlussfolgerung von der Nichterkennbarkeit der
Dinge an sich. Für solche Inkonsequenz kritisierte Hegel Kant. Letztendlich ging die Philosophie
Kants nicht weiter als die Anerkennung des Verhältnisses des Denkens zur sinnlichen Existenz
als relativ und die Behauptung, dass die Begriffe insgesamt von der Realität getrennt sind und
getrennt bleiben, und damit „erkannte sie als Wahrheit das an“, schrieb Hegel, „was sie selbst als
Enderkenntnis erklärt hat, und zwar dass sie als die Wahrheit auch den bestimmten Begriff
dessen annimmt, was sie als maßloses, unerlaubtes und leeres Gedankengut festgelegt und
erklärt hatte.“(33)
Und „Hegel hat eigentlich vollkommen recht“, schrieb W.I. Lenin. „Das Denken, das vom
Konkreten zum Abstrakten aufsteigt, bewegt sich nicht weg von der Wahrheit – wenn es richtig
ist...(und Kant, wie alle Philosophen, spricht vom richtigen Denken), sondern zu ihr hin. Die
Abstraktion der Materie, des Gesetzes der Natur, die Abstraktion des Wertes usw., mit einem
Wort alle wissenschaftlichen (richtigen, ernsthaften, nicht unsinnigen) Abstraktionen spiegeln
die Natur tiefer, wahrer, v o l l s t ä n d i g e r wider. Von der lebendigen Betrachtung zum
abstrakten Denken und von da zur Praxis – das ist der dialektische Weg der Erkenntnis der
Wahrheit, der Erkenntnis der objektiven Realität.“ (34)
Das Problem des Widerspruchs
In der neuen Philosophie wurden die Probleme der Dialektik, die Lehre vom Widerspruch nicht
speziell erforscht, weil man damals die Dialektik entweder als sophistisches Denken oder als
falschen Syllogismus betrachtete. In ihren logisch-theoretischen Überlegungen äußerten sich
sowohl Bacon, Locke, Hume, als auch Descartes und Spinoza gleich negativ über Dialektik und
dialektische Überlegungen, obwohl ihre Position nicht im Geringsten sowohl Descartes, als auch
Spinoza hätte davon abbringen können, in ihren Werken bemerkenswerte Muster dialektischer
Fragestellungen zu liefern. Dieser Umstand kann lediglich von der Richtigkeit des bekannten
Marxschen Gedankens zeugen, dass eine nicht verstandene Form eine allgemeine Form von
Erkenntnis und Tätigkeit ist.
Die Frage der Dialektik und des Widerspruchs wurde durch die deutsche klassische Philosophie
gründlich untersucht, insbesondere durch Kant. Tatsächlich besteht die große Bedeutung der
Kantschen Philosophie gerade darin, dass sie wieder eine einfühlsame Beziehung zur Dialektik
und dem Problem des Widerspruchs herstellte. In der philosophischen Literatur wird, wenn die
613
Lehre Kants von den Widersprüchen behandelt wird, die Aufmerksamkeit hauptsächlich auf
seine berühmten Antinomien gelenkt. Das ist vollkommen gerechtfertigt und kann auch keine
Entgegnungen hervorrufen, obwohl nicht vergessen werden darf, dass die Idee des Widerspruchs
das gesamte Werk Kants durchzieht, in dessen vielen Arbeiten die ernsthafte Beziehung zum
Widerspruch, der Versuch des Philosophen, den Widerspruch zu erforschen, leicht festzustellen
ist.
In diesem Zusammenhang ist schon seine vorkritische Arbeit „Die allgemeine Naturgeschichte
und die Theorie des Himmels“ von Interesse, in der zwar nicht speziell von Dialektik und
Widerspruch die Rede ist, sondern bei der Begründung der Entstehung des Sonnensystems, des
Universums, kam Kant nicht ohne Dialektik aus, er führte das Widerspruchsprinzip als
wichtigste Bedingung des theoretischen Wissens ein. Der Philosoph bewies, dass das
Sonnensystem als kompliziertes Ganzes, als bestimmte qualitative Formbildung mit den
zugehörigen Planeten aus einer ursprünglichen Nebelmasse auf Grund der eigenen Bewegung
und Entwicklung entstanden ist. Wenn Kant für die Erklärung der Entstehung des
Sonnensystems einerseits die Materie, andererseits die fertige, aktive Form angenommen hätte,
so wäre er im Rahmen der traditionellen Betrachtungsweise geblieben und hätte nicht die
Dialektik und das Prinzip der Entwicklung gebraucht. Da der große Denker den Ausgangspunkt
für die Formierung des Universums in der formlosen Materie selbst suchte, in ihrem
ursprünglichen chaotischen Zustand, geht in seine Hypothese unbedingt das Prinzip der
Entwicklung, des Widerspruchs, d.h. der Dialektik ein.
Im Verständnis Kants erhält die formlose Materie selbst dank ihrer inneren Heterogenität die
Fähigkeit zur eigenständigen Bewegung, zur Formenbildung. Aber da die Materie zur
Selbstbewegung, zur Entwicklung fähig ist, sind auch die Kategorien „Materie“ und „Form“
keine absoluten Gegensätzlichkeiten, im Laufe der Formierung des Universums gehen sie
ineinander über, d.h. die Materie selbst bringt ihre Form hervor, bildet sich selbst. In dem er
diese Auslegung der Materie und Form im Prozess der Entstehung des Universums vorschlug,
ging Kant im Verständnis dieser Frage bedeutend weiter als Aristoteles und Newton.
Das Problem des Widerspruchs in logisch-theoretischer Beziehung wurde von Kant in der Arbeit
„Einführung von Begriffen negativer Größen in die Philosophie“ behandelt. Die Analyse der
Begriffe des Negativen, der „negativen Größe“ wird hier von Kant hauptsächlich untersucht. Im
Unterschied zur gesamten vorangegangenen Philosophie, die das Negative nur als Nichts
verstanden hatte, als Fehlen jeglichen Inhalts, erkannte Kant im Negativen durchaus einen
bestimmten Inhalt. Dabei unterstrich er, dass ein solches Verständnis der negativen Größe seit
langem seinen Platz in der Mathematik hatte, in der (-a) + (-a) immer gleich -2 a ist. Kant
verfolgte die Bedeutung des Begriffs der negativen Größe in vielen Bereichen der Wissenschaft,
auch in der Moral.
Von besonderem Interesse ist die Kantsche Teilung des Widerspruchs (der Gegensätzlichkeiten)
in logische und reale. Unter logischer Gegensätzlichkeit verstand der Philosoph eine
Verbindung, in deren Folge das Nichts entsteht. Eine solche logische Gegensätzlichkeit wird
dann realisiert, wenn über eine und dieselbe Sache etwas behauptet und negiert wird. Als
Beispiel für logische Gegensätzlichkeit über einen Widerspruch kann folgendes Urteil sein: ein
Körper ist in Bewegung und gleichzeitig ist er nicht in Bewegung.
Als real bezeichnete er die Gegensätzlichkeit, infolge deren nicht das Nichts erscheint, sondern
das Etwas, d.h. ein bestimmter positiver Inhalt. Hier sind zwei Prädikate ein und derselben Sache
gegenübergestellt, allerdings nicht nach dem Gesetz des Widerspruchs. Also, die Kraft, die den
Körper in eine Richtung bewegt, und das gleiche Streben des gleichen Körpers in die
entgegengesetzte Richtung widersprechen einander nicht und sind als Prädikate in ein und
demselben Körper gleichzeitig möglich. Folge dieses Zustandes ist die Ruhe, die durchaus einen
bestimmten Inhalt hat.
In dieser Arbeit unterstrich Kant noch einen wichtigen Gedanken zur Begründung beliebigen
theoretischen (kreativen) Wissens: Wie kann man das Etwas (Subjekt) mit dem verbinden, das
nicht in ihm enthalten ist, sondern über den Rahmen dieses Etwas hinausgeht. Um dieses
614
Problem befriedigend zu lösen, bewies Kant die Notwendigkeit, den Rahmen der traditionellen
Logik zu sprengen, die Widersprüche formal-logisch zu verstehen. Im Weiteren hat Kant diesen
Gedanken gründlich in der „Kritik der reinen Vernunft“ im Zusammenhang mit dem
synthetischen Urteil a priori untersucht.
Somit gelangte Kant in der Auslegung und im Verständnis der Widerspruchskategorie noch in
der vorkritischen Periode bestimmte Ergebnisse, obwohl seinem Verständnis auch wesentliche
Mängel eigen waren. Insbesondere, indem er die Kategorie des Widerspruchs im Lösungsprozess
konkreter kosmologischer Probleme als anwendbar anerkannte (zum Beispiel bei der Herkunft
des Weltalls), konnte er nicht ihre methodologische und logische Funktion erfassen. Und in der
Arbeit „Einführung des Begriffs negativer Größen in die Philosophie“, in der er die allgemeine
Bedeutung des Begriffs des Negativen analysierte, erarbeitete er diesen Begriff nur von Seiten
der Korrektheit in Bezug auf das formal-logische Gesetz des Widerspruchs. Kant erkannte die
Bedeutung der realen Gegensätzlichkeit und begründete ihre Notwendigkeit nur soweit, sofern
sie nicht das Gesetz der Unmöglichkeit des Widerspruchs in der Logik missachtete. Außerdem
konnte er nicht die reale Gegensätzlichkeit mit dem Prinzip der Entwicklung und der
Selbstbewegung vereinbaren, weil er nämlich die Ruhe, einen gewissen neutralen Zustand für ihr
Ergebnis hielt. Und das bedeutet, dass die Anerkennung der Bedeutung negativer Größen den
Philosophen durchaus nicht zum dialektischen Verständnis des Widerspruchsprinzips, der Rolle
des Negativen in der Erkenntnis führte.
Die Mängel der Kantschen Betrachtungsweise des Widerspruchs kommen noch deutlicher zum
Ausdruck, wenn wir ihn mit der Marxschen Auslegung des Negativbegriffs, der in der „Heiligen
Familie“ angeführt wird, vergleichen. Jegliches sich entwickelnde Objekt (Gesamtheit)
betrachtete Marx als Einheit des Vielfältigen, als Einheit des Positiven und Negativen. Dabei
führen diese Seiten des Ganzen verschiedene gegensätzliche Funktionen aus. Während vom
Positiven, sofern es positiv ist, das Bestreben, dieses Ganze zu erhalten, ausgeht, so ist das
Negative bestrebt, diese Ganzheit zu zerstören.
Der Kampf der Gegensätze führt zur
Bildung eines neuen Ganzen, das ebenfalls aus einer Einheit von Gegensätzlichkeiten besteht.
(35)
Beim Vergleich mit diesem zutiefst dialektischen Verständnis der Wechselbeziehungen
zwischen den Gegensätzen sehen wir deutlich die Abstraktheit, die Schwäche der Kantischen
Erklärung des Problems. Kant konnte den Widerspruchsbegriff nicht mit dem Prinzip der
Entwicklung vereinbaren; er verstand nicht die Einheit der Gegensätze als allgemeine Bedingung
für die Existenz des sich entwickelnden Ganzen (der Ganzheit); er begriff nicht die Rolle des
Negativen in der Entwicklung, die wichtigste Bedeutung für die Lösung des Widerspruchs. Das
alles sind ernsthafte Mängel in der Philosophie Kants, und wir werden sie durchaus nicht außer
Acht lassen. Wir lassen uns vom marxistischen Prinzip des Historismus leiten und würdigen die
unzweifelhaften Verdienste des Philosophen im Vergleich mit seinen Vorgängern, zollen ihm
Tribut dafür, dass er das Prinzip des Widerspruchs in das Denken eingeführt hat.
Ein neues Niveau in der Analyse des Widerspruchsproblems ist in den kritischen Arbeiten Kants
zu sehen, besonders in seiner „Kritik der reinen Vernunft“. Die Frage des Widerspruchs entstand
für den Philosophen im Zusammenhang mit der Begründung des synthetischen apriorischen
Wissens. Kant verstand sehr genau, dass es unmöglich ist, diese Aufgabe im Rahmen der
allgemeinen Logik zu erfüllen, die sich auf das Prinzip der Nichtwidersprüchlichkeit der Urteile
stützt. Es schien ihm, dass ihre Lösung die von ihm geschaffene transzendentale Logik sichert, in
der das Ding an sich nicht als Gegenstand der Erkenntnis angenommen wird und sich wesentlich
unterscheidet von der Erscheinung, der sinnlichen Vielfalt, die sich durch die Kategorien des
Verstandes definieren. Deshalb setzt in der Kantischen Philosophie die Formierung des
allgemeinen, notwendigen synthetischen Wissens gleichzeitig (als seine theoretische Bedingung)
die Einheit des Subjektes und Objektes voraus, die Einheit des Selbstbewusstseins und der
Erfahrung, der Kategorien und der sinnlichen Vielfalt.
Für die Begründung des synthetischen apriorischen Wissens ist nach Kant die Synthese der
sinnlichen Vielfalt und der Kategorien des Verstandes notwendig. Obwohl Sinnlichkeit und
615
Verstand (Kategorien) unterschiedliche Entstehungsquellen haben, sind sie trotzdem eins,
innerlich im Formierungsprozess des apriorischen synthetischen Wissens miteinander
verbunden.
In der philosophischen Literatur wird die Kantsche These dieser Synthese gewöhnlich als
Beispiel für gnoseologischen Dualismus betrachtet. Jedoch ist diese Sache nicht so einfach. Die
Natur des Kantschen synthetischen Urteils kann nicht
a priori auf den Dualismus zurückgeführt werden. Das Duale dieser Begründung ist hier nur die
spezifisch Kantsche Form der geistigen Durchdringung des Widerspruchprinzips in der
Begründung des wissenschaftlich-theoretischen Wissens. Außerdem versuchte Kant in seinem
Hauptwerk das besondere (die Zeitform) zu analysieren, mit Hilfe dessen die Synthese des
Allgemeinen mit dem Einmaligen, der Kategorie mit der sinnlichen Vielfalt verwirklicht wird.
Und schließlich hat die Kantsche Kategorientabelle, in welcher jede dritte die Synthese der
beiden vorausgegangenen darstellt, große Bedeutung. In ihr sind die ursprünglichen Ideen des
dialektischen Verneinungsprinzips verwirklicht. Und das muss man schon als wesentlichen
Beitrag zur Formierung der Dialektik als Erkenntnistheorie betrachten.
Im Kantschen Versuch, das dialektische Prinzip des Widerspruchs in die wissenschaftlichtheoretischen Kenntnisse einzuführen gebührt ein besonderer Platz der Lehre über die
ursprüngliche Einheit der Apperzeption. Diese Lehre ist für uns in zwei Beziehungen interessant:
erstens, hier versuchte der Philosoph eine Einheit zu begründen, die Synthese von Subjekt und
Objekt, des Einen und des Vielen, der Kategorie und der sinnlichen Vielfalt in der Struktur des
theoretischen Wissens, und zweitens, mit der Idee der ursprünglichen Einheit der Apperzeption
beginnt eigentlich ein neues Verständnis der Dialektik. Während früher (einschließlich Kant in
der vorkritischen Periode) die Dialektik, die dialektischen Ideen im wesentlichen in einer Ebene,
einem Aspekt erforscht wurden, so wird ab jetzt die Dialektik schon vorwiegend als innerer
Rhythmus der menschlichen Tätigkeit, die allerdings idealistisch verstanden wird, betrachtet.
In der postkantischen deutschen Philosophie erhielt dieser Aspekt der Dialektik allseitige
Entwicklung, weil man sie als kreative Methode, als Methode der geistig-theoretischen
Umwandlung und Formierung des Objekts durch ein Subjekt, durch das theoretische Denken
auffasste. Von nun an wird der Widerspruch als innere Triebfeder der menschlichen geistigen
Tätigkeit in ihrer schöpferischen Beziehung mit dem Objekt betrachtet.
Seit dieser Zeit begann man, das Aktivitätsprinzip des erkennenden Subjekts allseitig zu
erforschen. Nachdem der aktive Charakter der geistigen Tätigkeit hervorgehoben wurde, begann
die deutsche klassische Philosophie, viele Fragen der Philosophie und der Logik zu überprüfen,
von neuem zu behandeln. Während früher die Kategorien hauptsächlich auf ontologischer Ebene,
als Gattungen des Seins betrachtet wurden, so verstand man sie jetzt als Bewusstseinsformen,
Denkformen, als Universalformen geistiger Wirkung auf den Gegenstand, das Objekt. Wenn
selbst Kant die Kategorien nur als apriorische Formen des Verstandes wahrnahm, als
Bedingungen für die Möglichkeit theoretischen apriorischen Wissens, eines Objektes sinnlicher
Betrachtung, so gingen Fichte, Schelling und Hegel bedeutend weiter in der Analyse des
schöpferischen Charakters der geistigen Tätigkeit. Fichte, zum Beispiel, der das Kantsche Ding
an sich verwarf, ging direkt von der ursprünglichen Einheit des Selbstbewusstseins aus, das sich
in allen Denkakten zeigt und jeder Erfahrung vorausgeht. Er behandelte das Bewusstsein, das
„Ich“ als einzige Wesenheit und sah die Spezifik nicht in der Betrachtung, sondern im Schaffen.
Deshalb wird das „Ich“ in der Philosophie Fichtes als aktiver, schöpferischer Anfang betrachtet,
dessen bestimmendes Kennzeichen das Streben nach Tätigkeit, nach Selbstbestätigung ist.
Im Tätigkeitsprozess nimmt das „Ich“ ein „Nicht-Ich“ an, das außerhalb des Bewusstseins
existiert und quasi dem Bewusstsein gegenübersteht. Aber das „Ich“ und das „Nicht-Ich“ sind
innerlich verbunden, ihre Beziehung ist dialektisch, widersprüchlich. Dabei gehört die aktive
Rolle dem Bewusstsein, das „Ich“, das seinen Gegensatz annimmt, unterscheidet sie von sich
selbst und überwindet und verwirklicht auf diese Weise seine Entwicklung. Alle logischen
Kategorien entstehen im Verständnis des Philosophen als Form, als Ergebnis der
Wechselbeziehungen des „Ich“ mit dem „Nicht-Ich“.
616
Von der Position des objektiven Idealismus aus erarbeiteten die Dialektik als Form der
menschlichen Tätigkeit Schelling und Hegel. Besonders Schelling versuchte den Subjektivismus
Fichtes zu überwinden und ging von der Einheit des Seins und des Denkens aus, der Materie und
des Geistes, des Objekts und des Subjekts, aber dabei verstand er die Einheit als bewusstlosen
Zustand eines gewissen Weltgeistes. Unterschiedliche Zustände der Natur verstand er als
unterschiedliche Formen des Seins und Selbstbewusstseins des Weltgeistes, der ausgestattet ist
mit der schöpferischen Natur, der Freiheit und darum von keinerlei Objekt begrenzt werden
kann. Letzteres ist seinerseits mit relativen, endlichen Subjekten verbunden, die von Objekten
begrenzt sind. Aber die Beziehung von Subjekt zum Objekt, nach Schelling, drückt sich
hauptsächlich in der Vorstellung aus, die entweder mit dem Objekt übereinstimmt (theoretische
Beziehung), oder es unterordnet (praktische Beziehung). Der Weltgeist befindet sich in
Entwicklung, in Tätigkeit, obwohl diese Tätigkeit von Schelling nur als geistig verstanden
wurde, als Tätigkeit des Bewusstseins und Selbstbewusstseins, der Widerspruch aber wurde als
innere Bedingung, als Quelle der schöpferischen Natur des Geistes verstanden.
Die dialektische Widersprüchlichkeit der objektiven geistigen Tätigkeit wurde sehr ausführlich
von Hegel ausgearbeitet, der nicht einfach die Identität des Seins und des Denkens, des Subjekts
und des Objekts postulierte, sondern sie als Ergebnis der schöpferischen Entwicklung der
absoluten Idee, des absoluten Geistes betrachtete. Deshalb wird die widersprüchliche,
dialektische Selbstentwicklung des absoluten Geistes, nach Hegel, nicht durch die schöpferische
Intuition erfasst, sondern durch systematische Kenntnisse, Wissenschaft und Vernunft erreicht.
Im Unterschied zu Fichte und Kant ging Hegel nicht vom subjektiven „Ich“ aus, sondern vom
objektiven Subjekt, von der absoluten Idee, dem absoluten Geist, der im Prozess seiner
Selbstentwicklung die Wirklichkeit hervorbringt, die Leben spendende Seele der realen Welt
bildet. Nach Meinung Hegels ist die absolute Idee ihrer Natur nach aktiv tätig, sie befindet sich
ständig im Prozess der Veränderung und Entwicklung, d.h. sie hat immer ein Objekt, das sie
erkennt, übernimmt und sich dadurch ununterbrochen vervollkommnet. Die Dialektik aber, das
Prinzip des Widerspruchs – das ist ein innerer Rhythmus des Geistes, die Form seiner
Entwicklung und Tätigkeit. Seine Tätigkeit und Aktivität können sich nur im Denken und der
Selbsterkenntnis ausdrücken. Zuerst durchläuft die absolute Idee eine rein logische Entwicklung,
die in der Hegelschen „Wissenschaft der Logik“ dargestellt ist, die sich dann aber entfremdet, in
ihr anderes Sein übergeht, in eine Natur, in der sie ihre Entwicklung fortsetzt, obwohl sie sich
dessen nicht bewusst wird. Die absolute Idee wird nur in der menschlichen Gesellschaft aus
„dem groben natürlichen Zustand“ herausgebracht und kommt zur Selbsterkenntnis. Die absolute
Idee war in ihrer ursprünglichen Entwicklung noch nicht absolut konkret, sie nahm das nur als
Möglichkeit an. Absolut konkret kann nur der absolute Geist sein, da er das Ergebnis einer
langwierigen Entwicklung ist und alle Reichtümer der vorangegangenen Entwicklungsstufe
übernommen hat.
So sind die Konturen des Hegelschen idealistischen Philosophiesystems im Grunde falsch, weil
es Ideen und Begriffe nicht als logische Formen der Widerspiegelung der objektiven materiellen
Wirklichkeit erklärt, sondern als etwas selbständig lebendes, als reines Denken, das der
objektiven Realität vorausgegangen ist und sie schuf. „Für Hegel ist der Prozess des Denkens“,
schrieb Marx, „den er sogar unter dem Namen Idee in ein selbständiges Subjekt verwandelt, der
Demiurg (Schöpfer – Anm. d. Red.) des Wirklichen, das nur seine äußere Erscheinung darstellt.
Bei mir ist das Ideelle, im Gegenteil, nichts anderes als das Materielle, das in einen
menschlichen Kopf umgepflanzt und darin umgewandelt wurde.“ (36)
Das wahre Verdienst Hegels besteht darin, dass er die dialektische Denkweise erarbeitet, deren
Kern das Widerspruchsprinzip ist. Ohne Widerspruch, nahm Hegel an, gäbe es keinerlei
Bewegung, keinerlei Leben. Deshalb ist alles Wirkliche widersprüchlich und, nichts desto trotz,
vernünftig. Die Philosophie ist Gedankenbewegung, ein System von Begriffen, aus denen jeder
in den nächsten übergeht, ihn aus sich heraus genauso entwickelt, wie auch er selbst aus dem
vorangegangenen erschienen ist. Jeder einzelne Begriff ist einseitig, unzureichend, er braucht die
Ergänzung durch seinen Gegensatz, und nur in der Vereinigung mit ihm bildet er einen höheren
617
Begriff, der der Wahrheit etwas näher kommt. Die vollständige Wahrheit ist unerreichbar,
deshalb ist sogar der letzte und reichste Begriff - die absolute Idee an und für sich noch nicht die
vollständige Wahrheit; dem Endresultat gehört auch jene ganze Entwicklung, durch die dieser
Begriff ging.
Aber kehren wir zu Kant zurück, weil mit dem Namen Hegels bereits ein neues, höheres
Entwicklungsniveau der Dialektik verbunden ist. Unsere Aufgabe besteht darin, herauszufinden,
was für den Fortschritt des dialektischen Denkens von Immanuel Kant geleistet wurde. Also, wir
hatten unsere Überlegungen zu der gegebenen Frage unterbrochen, nach dem wir sagten, dass
der wichtigste Beitrag des Philosophen zur Dialektik seine Lehre von der ursprünglichen Einheit
der Apperzeption ist. Wie bereits bemerkt, zeigte er jedoch die Bedeutung des Widerspruchs für
die Erkenntnistheorie nicht nur in dieser Lehre. Nicht weniger Aufmerksamkeit widmete er auch
dem Widerspruch in der Lehre von der Amphibolie reflektiver Begriffe. Zum Verständnis der
Kantschen Dialektik, seiner Lehre vom Widerspruch ist dieses Kapitel von zweifellos großem
Interesse. Beginnen wir damit, dass Kant hier solche paarigen Kategorien (Begriffe) wie Identität
und Unterschied, Einverständnis und Widerspruch, Inneres und Äußeres, Form und Materie
analysierte, die unmittelbar mit dem Hauptproblem der Dialektik verbunden sind, mit dem
Gesetz der Einheit der Gegensätze. Bis zum Verständnis dieses Hauptprinzips des dialektischen
Denkens zu kommen, es als Gesetz zu formulieren, war Kant nicht in der Lage, aber wichtig ist,
dass er im Wesentlichen die Wirkungssphäre der allgemeinen Logik abgrenzte, ihre Gesetze und
Identitäten, Widersprüche usw.
Der größte Vertreter der deutschen klassischen Philosophie, Hegel, hat offensichtlich die
Bedeutung dieses Abschnitts für die Dialektik genau verstanden, da er in seiner „Wissenschaft
der Logik“ ausführlich und mit einer gewissen Konsequenz alle Kategorien analysierte, die Kant
in der Lehre von der Amphibolie der reflektiven Begriffe untersucht hatte.
Seine Lehre begann Kant mit der Feststellung des Unterschieds zwischen logischer und
transzendentaler Reflexion. Während die logische Reflexion ihrem Wesen nach nur ein einfacher
Vergleich ist, weil man dabei vollkommen von der Erkenntnisfähigkeit abgelenkt wird, ist die
transzendentale Reflexion etwas ganz anderes, sie enthält in sich die Begründung für die
Möglichkeit eines objektiven Vergleichs der Vorstellungen. Im Unterschied zur logischen hat die
transzendentale Reflexion einen Inhalt. Deshalb setzt sie von Anfang an eine zweifache
Beziehung zu unserer Erkenntnisfähigkeit voraus, und zwar zur Sinnlichkeit und zum Verstand,
und davon, zu welcher Erkenntnisfähigkeit der Begriff gehört, hängt die Art und Weise ab, wie
sie sich zueinander verhalten.
Aus diesem Grund nahm Kant an, „ dass nur die transzendentale Reflexion, d.h. die Beziehung
der gegebenen Vorstellungen zu der einen oder zu der anderen Erkenntnisfähigkeit ihre
Beziehung zueinander bestimmen kann, und die Identität oder der Unterschied der Dinge, ihre
Übereinstimmung oder der Widerspruch zwischen ihnen usw. werden nicht direkt aus den
Begriffen selbst nur durch ihren Vergleich betrachtet (comparatio), sondern vor allem durch die
Unterscheidung der Erkenntnisart, zu der sie gehören, mittels transzendentaler Reflexion.“ (37)
Nach diesen Einführungsbemerkungen ging der Philosoph unmittelbar zur Analyse der
angeführten Beziehungen über, im Laufe derer er zweifellos bestimmte Ergebnisse in der
Begrenzung der formal-logischen Gesetze der Identität und des Widerspruchs erreichte.
Tatsächlich nahm Kant an, dass die absolute Identität nur reinen Begriffen zugeordnet werden
kann, dem reinen Verstandesgegenstand, d.h. nur den Gedankenformen. Wenn der Gegenstand
aber vom Inhalt her betrachtet werden soll, als Erscheinung, als Natur, so kann hier die Identität
nur relative Bedeutung haben. „Wie gleich die Begriffe auch sein mögen“, schrieb Kant, „der
Unterschied nach der Lage im Raum dieser Erscheinung zur gleichen Zeit ist schon eine
ausreichende Begründung für den zahlenmäßigen Unterschied des Gegenstandes selbst (der
Gefühle). So kann man sich zum Beispiel vollkommen ablenken von allen inneren
Unterschieden (nach Qualität und Quantität) zwischen zwei Wassertropfen, aber wenn wir sie
zur gleichen Zeit an verschiedenen Stellen des Raums betrachten, so reicht das aus, um sie für
zahlenmäßig unterschiedlich zu halten.“ (38)
618
Es ist nicht schwer zu sehen, dass Kant hier einen tiefgründigen dialektischen Gedanken darüber
äußerte, dass das Identitätsgesetz keine allgemeine Bedeutung hat, es ist unbedingt in der
Anwendung auf reine verstandesmäßige Begriffe, die nach ihrer Natur abstrakt und formal sind,
beschränkt, aber in der Anwendung auf reale Gegenstände und Erscheinungen hat es keine
unbedingte Bedeutung, weil sie identisch und nicht identisch sein können, einheitlich und
gleichzeitig unterschiedlich. Leider hat Kant selbst nicht verstanden, wie wichtig die von ihm
ausgesprochenen Gedanken für die Entwicklung der Dialektik, die dialektische Logik waren, und
er legte die Amphibolie als Doppelsinnigkeit in der Anwendung der Begriffe als logischen
Fehler aus, der mit der Anwendung des einen oder anderen Begriffes in unterschiedlichen
Bedeutungen verbunden ist. Und jetzt ist offensichtlich, dass er sich zutiefst irrte.
Von noch größerem Interesse ist für uns die Kantsche Analyse der Beziehungen Einverständnis –
Widerspruch. Der Philosoph nahm an, dass die Negierung jedes logischen Widerspruchs
angebracht ist und wahrhaftig nur in den Beziehungen zwischen den Begriffen stattfindet, aber
sie ist undenkbar, wenn die Rede von Realitäten ist. „Tatsächlich“, schrieb Kant, findet man
einen realen Gegensatz überall, wo A-B=0 ist, d.h. wo die Realitäten, die in einem Subjekt
verbunden sind, die Wirkungen gegenseitig vernichten; solche Handlungen und
Gegenhandlungen gibt es in der Natur auf Schritt und Tritt, die auf Kräften basieren und deshalb
„realitates phaenomina“ genannt werden müssen.“(39)
Kant unterzog Leibniz einer entschiedenen Kritik dafür, dass dieser das Negative als etwas der
Realität Gegenüberstehendes, als die absolute Verneinung jeglicher Realität erklärte. Aber ein
solches Verständnis ist nach Kant nur in der Anwendung auf den Begriff des Dinges an sich
überhaupt gerechtfertigt, und schon gar nicht zulässig, wenn es um die Dinge als Erscheinung
geht. Eine so unrichtige Vorstellung bei Leibniz und seinen Nachfolgern konnte aus dem Grund
entstehen und sich formieren, da sie die Erscheinungen „intellektualisierten“ und deshalb
untereinander die Gefühlsgegenstände als Dinge an sich überhaupt nur verstandesmäßig
verglichen. Und bei solcher Herangehensweise ist es natürlich, dass „sie nur eine Art des
Gegensatzes kannten – den Widerspruch (mit Hilfe dessen der Begriff des Dinges an sich
aufgehoben wird), aber nicht der Gegensatz, der zur gegenseitigen Zerstörung führt, wenn eine
reale Begründung die Folgen der anderen vernichtet. Die Bedingungen dafür, dass man sich
einen solchen Gegensatz vorstellen kann, finden wir nur in der Sinnlichkeit.“(40)
Von solchen theoretischen Positionen aus analysierte der Philosoph die Wechselbeziehungen des
Inneren und Äußeren, von Materie und Form. Somit erreichte die Kantsche Dialektik, das
Kantsche Verständnis vom Widerspruch in der Lehre von der Amphibolie der reflektiven
Begriffe bestimmte theoretische Resultate. Indem er Leibniz kritisierte, trat Kant entschieden
gegen die rationalistische Einseitigkeit auf, gegen Versuche, die Wesenheit der Dinge aus dem
reinen Begriff abzuleiten, und deshalb lehnte er die Idee von der Unmöglichkeit der
Widersprüche zwischen Realitäten ab, weil diese Idee ins Leben gerufen wurde von der
sklavischen Einhaltung des formal-logischen Prinzips der Nichtwidersprüchlichkeit des Urteils.
Für Kant war eine solche Denkrichtung nicht annehmbar, wie auch die Einseitigkeit von Locke
nicht annehmbar war, der die Sinnlichkeit für die einzige Quelle unserer Kenntnisse hielt.
Kant aber sah im Verstand und in der Sinnlichkeit „zwei grundverschiedene
Vorstellungsquellen, die allerdings nur in Verbindung miteinander objektiv signifikante Urteile
über die Dinge abgeben konnten“. (41) Und wir müssen hier bemerken, dass dieser
Gedankengang Kants zweifellos fruchtbringend ist und wesentliche Bedeutung für die
Herausbildung eine dialektischen Verständnisses der Kategorie des Widerspruches war.
Die Antinomie als logische Form des Widerspruchs
Das Problem des Widerspruchs wurde von Kant in seiner „Transzendentalen Dialektik“ auf
einem neuen Niveau wieder aufgenommen. Wenn bis jetzt in der Kantschen Philosophie der
619
Widerspruch entweder als realer Gegensatz oder als Synthese des Einen mit dem Vielen, dem
Allgemeinen mit dem Einmaligen betrachtet wurde, so ist in der transzendentalen Dialektik die
Notwendigkeit der Widersprüche begründet worden, der antinomischen Behauptungen als
Resultat, als Folge dessen, dass unsere Vernunft die Grenzen jeder Erfahrung überschreiten will.
Entsprechend der Überzeugung Kants verletzen die realen Gegensätze und auch jene
Widersprüche, die in Form des synthetischen apriorischen Wissens oder der ursprünglichen
Einheit der Apperzeption auftreten, nicht die Unerschütterlichkeit der formal-logischen Gesetze.
Deshalb ist als Resultat solcher synthetischen Verstandeshandlungen wissenschaftlichtheoretisches Wissen möglich. Eine andere Sache sind die Widersprüche, von denen im
Abschnitt „Transzendentale Dialektik“ die Rede ist. Das sind wirkliche Widersprüche,
Antinomien im theoretischen Denken, die die Gesetze der formalen Logik verletzen. Kant hatte
zwar versucht, auch die Antinomien als Widersprüche zu betrachten, die in verschiedenen
Verhältnissen entstehen; aber die Begründung ihrer Notwendigkeit im Denken ist ein wichtiges
Moment in der Geschichte des dialektischen Denkens. In der „Kritik der reinen Vernunft“
analysierte Kant vier Antinomien, die unausweichlich bei dem Versuch der Vernunft entstehen,
die Erfahrungsgrenzen zu überschreiten. In diesen Antinomien sind These und Antithese gleich
notwendig und werden logisch einwandfrei bewiesen, wie Kant annahm. Von da folgte, dass sie
nicht das Ergebnis subjektiver Fehler im Denken, sondern notwendigerweise in der Vernunft bei
ihrem Versuch vorhanden sind, die Welt im Ganzen zu erfassen.
Kant sah in den Antinomien etwas Negatives. Er war der Ansicht, dass die Vernunft nicht in der
Lage ist, ihren Ideen die Realität mitzuteilen; wenn die Vernunft versucht, das zu tun, dann wird
sie transzendental, geht über die Grenzen der Erfahrung hinaus und schafft nur Paralogismen,
Antinomien und ein Ideal ohne Wirklichkeit.
In diesen Überlegungen trat deutlich der Agnostizismus Kants, seine Bemühungen, die
Erkenntnisfähigkeiten der menschlichen Vernunft einzuschränken, zutage. Die Begriffe der
Vernunft, in denen es natürlich ist, einen tieferen Inhalt vorauszusetzen, betrachtete Kant nur als
nackte Ideen, denen die Wahrheit in sich und für sich zuzuschreiben völlige Willkür und
irrsinnige Kühnheit wäre, weil sie in keinem Versuch nachgewiesen werden können. Hegel hat
diese Stellen der Kantschen Philosophie scharf kritisiert. Er war der Meinung, dass die Ideen der
Vernunft ihrer Kraft und ihrem Inhalt nach bedeutender sein müssen, als die Kategorien des
Verstandes, weil in der Vernunft das Denken die Bedingtheit und Begrenztheit, die dem
Verstand eigen sind, überwindet und die Wahrheit findet. Aber diese Annahme hat sich in Kants
Lehre von den Ideen der Vernunft nicht bewahrheitet. Kant definierte ihr Verhältnis zur
Wirklichkeit nur als dialektisch, von ihm im negativen Sinne verstanden. „Wer hätte gedacht“,
schrieb Hegel, „ dass die Philosophie die Wahrheit der vom Geist erfassbaren Wesenheiten
deshalb verneinen wird, weil sie der räumlichen und zeitlichen Materie der Sinnlichkeit
entbehren?“ (42)
Ungeachtet aller dieser Mängel, kommt man nicht umhin, die Kantsche Lehre von den
Antinomien als eine große Errungenschaft der Philosophie anzuerkennen. Und nicht nur deshalb,
weil sie einen positiven Einfluss auf die nachfolgende deutsche klassische Philosophie in der
Herausbildung der dialektischen Denkweise ausübte, sondern auch deshalb, weil gerade in
diesen Antinomien der Gedanke von der Mangelhaftigkeit der formal-logischen Prinzipien in der
gesamten Erkenntnis am deutlichsten zum Vorschein kam. Offensichtlich deshalb analysierte
Hegel so ausführlich die Kantsche Antinomie bei der Begründung der Produktivität der
dialektischen Methode. Während der Metaphysiker Schopenhauer (43) und andere allein mit der
Kritik und der Beseitigung der Antinomie beschäftigt waren, erhielt das Prinzip der Antinomie in
der Philosophie Schellings (44) und insbesondere Hegels weitere Entwicklung und
Anerkennung.
Im Verständnis Kants ist die Antinomie, die Widersprüchlichkeit der Vernunft unbedingt eigen,
da gerade die Vernunft versucht, eine völlige Synthese und unbedingte Verallgemeinerung
herzustellen. Wie wir sehen, unterstrich und beschrieb Kant hier nur jene reale Situation, die
entsteht, wenn die Erkenntnis vom empirischen, begrenzten Niveau sich auf das theoretische
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Niveau erhebt und das Denken versucht, über den Gegenstand eine breitere, synthetische
Erklärung zu geben. Betrachten wir diese These an Beispielen. Nehmen wir die Politökonomie.
Solange sie beschreibend blieb, entstand die Frage des Widerspruchs in ihr nicht und konnte
nicht entstehen. Kaum hatte Ricardo versucht, die ökonomischen Kategorien aus dem
Wertgesetz zu verstehen, da entstand das Problem der Widersprüche, das er ausdrückte, aber
nicht theoretisch lösen konnte. Das Vorhandensein des Widerspruchs in Ricardos Theorie rief
bei den Ökonomen die unterschiedlichsten Emotionen hervor. Seine Gegner zeigten hämisch mit
den Fingern auf ihn: hier, seht, Ricardo ist nicht fähig zwei und zwei zusammenzuzählen. Die
Schüler Ricardos, die die Autorität ihres Lehrers verteidigen wollten, befreiten seine Theorie
vom Widerspruch durch einfache „Berichtigung der Termini“, aber infolge dieser Operation war
alles zerstört, was von einem theoretischen Niveau der Problemuntersuchung sprechen konnte,
und es entstand die so genannte vulgäre politische Ökonomie. Somit verstanden weder seine
Freunde, noch seine Feinde nicht, dass der Widerspruch nicht nur das Kennzeichen der
Schwäche, sondern auch der Stärke seiner Theorie ist, nämlich Kennzeichen dafür, dass er sich
nicht von der Wirklichkeit entfernt, sondern schon den Versuch gemacht hatte, sich in ihrem
Verständnis auf ein höheres theoretisches Niveau zu begeben.
Und inzwischen ist die Unvermeidlichkeit des Widerspruchs in der theoretischen Erkenntnis, im
Prozess der logischen Reproduktion der Realität durch das Denken eine feststehende Tatsache,
und sie war bereits im tiefen Altertum bekannt, folglich war nicht Kant ihr erster Entdecker. So
sehr auch die formale Logik versuchte, unser Denken vom Widerspruch zu befreien, ist nichts
daraus geworden: was von einem Ort verjagt wird, kommt noch klarer und auf einer höheren
Stufe woanders zum Vorschein. Das Neue bei Kant ist, dass er in seinen Werken das besondere,
das eigene, das Kantsche antinomische Verständnis des Problems begründet hat. Er verband das
Problem des Widerspruchs, der Antinomie mit einer besonderen Erkenntnisfähigkeit – mit der
Vernunft und ihrer Bemühung, das Unbedingte zu erkennen, die vollständige Synthese zu
realisieren.
Im Endeffekt ist die „Dialektik“ in der Interpretation Kants „die natürliche Logik der Vernunft“,
wie vollkommen zu Recht E.V. Iljenkow bemerkt, weil die „Vernunft“ nach seiner Terminologie
jene Fähigkeit des menschlichen Intellekts darstellt, die bemüht ist, die „vollständige Synthese“
aller einzelnen theoretischen Verallgemeinerungen, aller Begriffe, die durch Verallgemeinerung
empirischer Angaben, Angaben der „Erfahrung“ erarbeitet wurden, zu verwirklichen.
Die Bemühungen um das Denken (theoretisches Denken, Denken der Wissenschaftler) um die
Schaffung einer einheitlichen, gesamten Theorie - eines Systems aller einzelnen Begriffe und
Urteile, die durch die Tätigkeit des Verstandes aus „der Erfahrung“ gezogen wurden, ist
natürlich und nicht wegzudenken. Das Denken kann und will sich nicht zufrieden geben mit
einem einfachen Aggregat, dem einfachen Sammeln einzelner Verallgemeinerungen. Es wird
immer bemüht sein, sie zu einem Ganzen mit Hilfe verallgemeinerter Prinzipien zu verbinden.
Wo das Bedürfnis und das Bestreben auftaucht, eine solche „Synthese“ zu realisieren, dort ist die
„Vernunft“ zu finden.
Die „Vernunft“ ist eben dieser „Verstand“, der sich nur die eine spezielle und „seine Kräfte
übersteigende“ Aufgabe stellte, die absolute „Einmaligkeit in der Vielfalt“ zu klären, alle seine
Schemata und Ergebnisse ihrer Anwendung auf die logische Analyse der „Erfahrung“ zu
vereinigen. (45)
Somit stellt Kant gegenüber – das Bedingte dem Unbedingten, den Verstand der Vernunft und
verbindet damit den Widerspruch, die Antinomie mit dem Streben der Vernunft, das Unbedingte
zu erkennen. Subjektiv sah Kant im Widerspruch, in der Antinomie etwas Negatives, einen
Mangel an vernünftiger Erkenntnis, und objektiv, wirklich drückte er jene reale These aus, die
mit der theoretischen ganzheitlichen Reproduktion der Wirklichkeit verbunden ist. Der
Philosoph verstand nicht, dass ein solches Streben nach ganzheitlicher Erkenntnis nicht nur für
die Metaphysik, die Philosophie charakteristisch ist, sondern für jedes entwickelte Gebiet
konkreter wissenschaftlicher Erkenntnis.
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Was nun die Kategorien des Bedingten und Unbedingten anbetrifft, so erwies sich Kant nicht in
der Lage, ihre notwendigen inneren Zusammenhänge zu erfassen. Die Begrenztheit der
Kantschen Problemstellung wurde bereits von Hegel bemerkt, der diese Kategorien als
verhältnismäßige Begriffe auslegte. Im Verständnis Hegels sind das Bedingte und das
Unbedingte zwei dialektische Gegensätze, die in Einem existieren, zwei Pole eines Ganzen.
Während bei Kant die Suche nach dem Unbedingten in die Unendlichkeit führt (ein solcher
Regress ist bei ihm eine gerade Linie, deren Anfang sich in der Unendlichkeit verliert), so ist bei
Hegel die Bedingungsreihe ein Kreis, dessen jeder einzelne Punkt eine Bedingung ist, die
gleichzeitig durch andere Bedingungen festgelegt wird.
In der Kantschen Philosophie werden, wie bereits angedeutet, vier Antinomien analysiert. In der
ersten Antinomie ist das Urteil („Die Welt nimmt ihren Anfang in der Zeit und ist auch im Raum
begrenzt“) und seine Verneinung („Die Welt hat nicht ihren Anfang in der Zeit und keine
Grenzen im Raum; sie ist unendlich sowohl in der Zeit als auch im Raum“) gleich notwendig
und beweisbar. Das gleiche kann man auch sagen über alle anderen Antinomien. In der zweiten
Antinomie fand der Philosoph die Behauptung: „Jede komplizierte Substanz auf der Welt besteht
aus einfachen Teilen, und überhaupt existiert nur das Einfache oder das, was aus dem Einfachen
zusammengefügt wurde“, und die Verneinung: „Keine einzige komplizierte Sache auf der Welt
besteht aus einfachen Teilen, und überhaupt gibt es auf der Welt nichts einfaches“ gleich
beweisbar. In der These der dritten Antinomie wird behauptet: „Die Kausalität nach den
Gesetzen der Natur ist nicht die einzige Kausalität, aus der man alle Erscheinungen in der Welt
ableiten kann. Für die Erklärung der Erscheinungen muss man noch eine freie Kausalität
zulassen.“ In der Antithese wird dieses verneint „Es gibt keine Freiheit, alles auf der Welt läuft
nach den Naturgesetzen ab“. Schließlich wird in der vierten Antinomie angenommen: „Zur Welt
gehört entweder als Teil von ihr, oder als ihre Ursache unbedingt eine notwendige Wesenheit“,
aber in der Antithese wird diese Behauptung völlig negiert.
Kant bewies, dass alle diese Antinomien der Vernunft nicht willkürlich und nicht subjektiv sind,
sondern eine unumgängliche und natürliche Notwendigkeit ausdrücken, auf die jede menschliche
Vernunft in ihrer Vorwärtsbewegung stoßen muss. Nach Kant sind sowohl die Behauptung als
auch die Verneinung gleich unhaltbar, obwohl jede Seite ihre Thesen als unbedingte Wahrheit
ausgibt. „Man kann sich unschwer vorstellen“, schrieb Kant, „dass in dieser Arena von alters her
oft gestritten wurde und dass beide Seiten hier nicht wenige Siege errangen, wobei für den
letzten Sieg, der die Sache löste, man sich immer anstrengte, damit der Verteidiger der guten
Sache das Feld für sich allein behielt, und dass dem Gegner für alle Zeit verboten war, die Waffe
in die Hand zu nehmen. Wie unbefangene Richter müssen wir die Frage völlig außer Acht
lassen, ob die streitenden Seiten für eine gute oder eine schlechte Sache kämpfen und ihnen am
Anfang die Möglichkeit einräumen, den Kampf unter sich auszutragen.“ (46)
Die Kantsche Antinomie hat große Bedeutung in der Philosophie. Bereits im Jahre 1929 verwies
in der sowjetischen philosophischen Literatur W.F. Asmus darauf: „Die Lehre Kants von den
Antinomien der Vernunft brachte wieder das Problem des Widerspruchs sowohl in seinem
ontologischen, als auch im logischen Aspekt auf die Tagesordnung. Der Widerspruch bekam
wieder – das erste Mal nach den dialektischen Traktaten der Renaissance – die Bedeutung eines
grundlegenden Erkenntnisfaktors. Aus der unverständlichen, aber trotzdem stattgefundenen
Verirrung des logischen Denkens wurde er zum obligatorischen Erkenntnismoment, das eine
höhere Stufe des Wissens bei Realisierung der grundlegenden synthetischen Aufgaben
darstellte.“ (47)
Wenn also die alte Verstandesphilosophie den Widerspruch im Denken verneinte, das formallogische Gesetz der Widerspruchslosigkeit des Denkens den Widerspruch in den Kategorien
verbot, so lehnte Kant nicht nur die vorherige Denkungsart ab, begrenzte nicht nur den
Anwendungsbereich der Verbote in der formalen Logik, sondern ihm wurde auch noch das
Verdienst zuteil, dass er die Notwendigkeit des Widerspruchs, der Antinomie im Gebrauch der
Vernunft außerhalb der Erfahrung bewies. Natürlich, als er in der Antinomie einen
Erkenntnismangel mittels der Vernunft sah, so zeigte sich unzweifelhaft seine Unfreiheit von den
622
Methoden des alten verstandesmäßigen Denkens, deren er sich selbst nicht bewusst war. Jedoch
kann man von ihm nicht verlangen, wozu die Anstrengungen einer ganzen Plejade späterer
Denker nötig war. An und für sich ist schon wertvoll und wichtig, dass Kant die Notwendigkeit
des Widerspruchs im Denken begründete, im Unterschied zur Verstandeslogik, die im
Widerspruch lediglich die Willkür des Subjekts sah. „Diese Kantschen Antinomien bleiben für
immer ein wichtiger Teil der kritischen Philosophie; vor allem führten sie zum Sturz der
vorangegangenen Metaphysik, und gerade sie kann man als Hauptübergang zur neueren
Philosophie betrachten, weil besonders sie zur Überzeugung führten, dass die Kategorien der
Endlichkeit seitens des Inhalts nicht der Rede wert sind, und das ist der richtigere Weg, als der
formale Weg des subjektiven Idealismus, nach dem ihr Mangel nur darin besteht, dass sie
subjektiv sind, und nicht darin, dass sie in sich selbst sind.“ (48)
Hegel war jedoch der Ansicht, dass Kant das Problem zu eng sah, er entdeckte und erforschte
nur vier Antinomien der Vernunft. Nach Hegel gibt es „in jedem Begriff Antinomien, weil er
nicht einfach, sondern konkret ist, enthält er in sich selbst folglich verschiedene Definitionen, die
einander gegenüberstehen.“(49) Die Kantsche Untersuchung der Begriffsgegensätze ist in
gewissem Maße eine Verarmung der antinomischen Natur der Vernunft, und deshalb äußerte
sich Hegel lobend über die antiken Skeptiker, die da meinten, der Gegensatz sei jedem Begriff
eigen. Aber zwischen den Skeptikern der Antike und Kant lagen Jahrhunderte, in denen die
Errungenschaften des dialektischen Denkens in Vergessenheit geraten waren. Und Kant war der
erste, der in der Neuzeit die Notwendigkeit und Unumgänglichkeit der Antinomien im
menschlichen Verstand begründete. „Kant räumte der Dialektik einen höheren Stellenwert ein“,
schrieb Hegel, „und das ist eines seiner größten Verdienste: er befreite sie vom Anschein der
Willkür, die ihr nach herkömmlicher Vorstellung eigen ist, und legte sie aus als notwendige
Tätigkeit der Vernunft.“(50)
Allerdings gibt es im Kantschen Verständnis des Widerspruchs, der Antinomie selbst Mängel,
schon allein deshalb, weil Kant nicht weiter als zum abstrakten Widerspruch kam, keine Lösung
der Antinomie anbot, die antinomischen Thesen nicht in einem in sich selbst dialektischen
widersprüchlichen Begriff zusammenfasste, nicht zur wahren Konkretheit des Begriffs aufstieg.
Kant erfasste nicht die Unteilbarkeit und unendliche Teilbarkeit, die Unendlichkeit im Raum und
die Ewigkeit in der Zeit einerseits, und die Endlichkeit in Raum und Zeit andererseits, und alle
anderen antinomischen Thesen stehen einander nur äußerlich gegenüber, von den Positionen des
Verstandes aus geteilt, aber im wesentlichen, vom Standpunkt der Dialektik aus sind sie
unteilbar, einmalig und konkret. Jede Seite der Antinomie ist kein selbstständiger Begriff,
sondern nur ein Moment eines einzelnen Begriffs, obwohl sie auch unterscheidbar sind, aber
eben nur Momente.
In der Natur haben wir es nicht nur mit den Widersprüchen zu tun, sondern auch mit ihrer
Lösung. Einen echten Dialektiker kann sich der nennen, der nicht nur die Widersprüche
anerkennt, sondern auch die Möglichkeit ihrer Lösung. Aber das ist das jetzige Niveau der
Dialektik, das marxistische. Kant war ja nur bis zur verneinenden, antinomischen Dialektik in
der Analyse des Problems gekommen. Vor ihm war nur die eleatische Schule zum Begriff des
Widerspruchs vorgestoßen, insbesondere Zenon. Selbst Kant erhob sich schon bis zur
Anerkennung der antinomischen Widersprüche, was zur damaligen Zeit eine gewisse Kühnheit
und Neuheit des Denkens darstellte, obwohl bis zur entwickelten Form der Dialektik noch ein
weiter Weg bevorstand. Und vor diesem Hintergrund wird sehr bedeutsam, dass Kant die
Notwendigkeit des Widerspruchs in der Vernunft begründete. Als er von der Kritik an sich selbst
durch die Vernunft sprach, verkündete er die Meinungsfreiheit, die Freiheit gegensätzlicher
Ansichten als notwendige Bedingung für die Existenz der Vernunft. Nur ein einseitiger
Dogmatismus, sagt Kant, versteht die eigenen Gesetze der Vernunft nicht und beugt sich seiner
Kritik. In Wirklichkeit ist doch die Kritik der Vernunft, ihre Widersprüchlichkeit nichts
artfremdes, von außen aufgedrängtes, sondern die Folge der Gleichberechtigung
entgegengesetzter Behauptungen.
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Der Philosoph nahm an, wenn die Vernunft die Grenzen der Erfahrung überschreitet, ist die
Rede vom Unbedingten, und es ist nicht möglich, mit apodiktischer Wahrheitstreue die Wahrheit
der einen oder anderen These zu behaupten. Zum Beispiel ist die Behauptung eines Theisten,
dass es Gott gibt, und die gegensätzliche Behauptung eines Atheisten nach Meinung Kants völlig
gleichberechtigt, sofern in beiden Fällen die Rede von den Dingen an sich ist.
Nach Kant dient die Kritik der Vernunft, die gegensätzlichen Meinungen zweifellos einem guten
Zweck, und folglich ist es nützlich, wenn man einer wissbegierigen und suchenden Vernunft
vollständige Freiheit im Streit einräumt. „Dann entdeckt der Streit nur eine gewisse Antinomie
der Vernunft, die ihre Wurzeln in ihrer Natur hat, unbedingt angehört und erforscht werden
muss. Der Streit entwickelt die Antinomie, betrachtet ihren Gegenstand von zwei Seiten und
korrigiert ihr Urteil dadurch, was dieses Urteil einschränkt.“ (51)
In der Erörterung komplizierter theoretischer Probleme (sofern die Rede vom Unbedingten ist)
empfahl der Philosoph, sich auf die Vernunft zu verlassen, ihre widersprüchliche, antinomische
Natur zu berücksichtigen. Dabei rief er beharrlich dazu auf, den theoretischen Streiten keine
beiläufigen Überlegungen beizumischen (die Interessen des Allgemeinwohls usw.) und sie nur
mit den Kräften theoretischer Urteile zu lösen, und dabei die volle Freiheit der Vernunft zu
garantieren. Nach Meinung Kants ist es nicht nötig, sich über den Ausgang theoretischer Streite
Gedanken zu machen, weil die Vernunft spontan gezähmt und in den Grenzen der Vernunft
selbst zurückgehalten wird.
Wichtigste Bedingung der Vernünftigkeit ist nach Kant das aufmerksame Verhältnis zu den
Widersprüchen, zu den Urteilen der streitenden Seiten. Und „wenn sie ein Talent entdecken,
wenn sie tiefgründige und neue Forschungen durchführen, mit einem Wort, wenn sie nur
vernünftiges sagen, dann wird die Vernunft davon immer profitieren.....
Die Vernunft braucht eigentlich keinen solchen Streit, und es wäre wünschenswert, wenn dieser
Streit rechtzeitig und öffentlich ausgetragen würde, und sich dabei unbegrenzter Freiheit
erfreuen könnte. Desto früher würde sich in einem solchen Falle reife Kritik entwickeln“ (52),
deren Notwendigkeit nach Kant unmittelbar aus der Idee der Freiheit der menschlichen Vernunft
selbst folgt und ihr unbedingtes Recht ist; „und weil von dieser Vernunft jede Verbesserung
abhängt, die in unserem Zustand möglich ist, so ist dieses Recht heilig und niemand wird es
wagen, es einzuschränken.“(53)
In der „Kritik der reinen Vernunft“ trat Kant auch mit scharfer Kritik der dogmatischen Lehre
auf, die nach seiner Meinung nicht die notwendigen Forderungen der Vernunft berücksichtigt.
Die dogmatische Lehre hat nach Kant den Mangel, dass sie die Leute nicht erzieht, kritisch zu
denken, nicht mit Hilfe eines Ausbilders zur Argumentation mit ihren Ideengegnern erzieht,
Fehler in ihren Thesen nicht aufdeckt. Deshalb sind junge Leute, die dogmatisch erzogen
wurden, gewöhnlich hilflos. Wenn sie sich spitzfindigen Urteilen des Gegners gegenübersehen,
sind sie dann nicht in der Lage, ihre theoretischen Überzeugungen zu verteidigen.
Kant rief zu einer kritischen Art der Ausbildung junger Menschen auf, in der die Natur und die
Vorschriften der menschlichen Vernunft vollständig berücksichtigt werden. Bei dieser Art der
Ausbildung vermittelt man der Jugend nicht nur Wissen und die Grundlagen der Wissenschaften,
sondern macht sie auch mit den theoretischen Argumenten des Gegners bekannt, mit dem Ziel,
zu lernen, wie man diese Argumente widerlegt. Als Ergebnis einer solchen Ausbildung erkennen
die jungen Leute beizeiten ihre Kraft und können falsche Argumente und Sophismen
zurückweisen.
Alle diese Gedanken zeugen ein weiteres Mal von der Wichtigkeit des
Widerspruchsverständnisses in der Herausbildung der Dialektik, in der Formierung dialektischlogischer Prinzipien theoretischen Wissens.
Jedoch die oben angeführten Ideen Kant enthalten grundlegende Mängel, die durch seinen
Idealismus und Agnostizismus bedingt sind. Insbesondere, dass Kant zur Freiheit der Kritik
aufrief und sich für die Freiheit einsetzte, die Existenz Gottes zu beweisen und sich selbst damit
tröstete, dass weder der Verteidiger der Existenz eines „höheren Wesens“, noch sein Gegner, der
„Freidenker“ nichts beweisen können.
624
„Sie können kämpfen soviel sie wollen; die Schatten, die sie zerschlagen, erstehen sofort neu wie
die Helden in der Walhalla, um sich erneut unblutigen Schlachten hinzugeben“.(54) Als Idealist
freute er sich darüber, dass die Idee Gottes nicht zurückgewiesen werden kann, als Agnostiker
verkündete er die Unmöglichkeit der Erreichung der Wahrheit nicht nur in der Frage der
Existenz Gottes, sondern auch in jeder anderen Sphäre des Wissens, wenn das Problem den
Rahmen der sinnlichen Erfahrung sprengt.
Die Klassiker des Marxismus lehnten die Schlussfolgerungen entschieden ab, die der Idealismus
und Agnostizismus Kants hervorgebracht hatte, und entwickelten aus seiner Philosophie nur das
weiter, was einen wirklichen Wert in der Vorbereitung der dialektischen Denkweise darstellte.
Das bezieht sich in erster Linie auf den Teil der Kantschen Lehre von den Antinomien, in der die
Notwendigkeit und Unumgänglichkeit des Widerspruchs, der Dialektik in der Vernunft, der
vernünftigen Erkenntnis begründet ist.
Eben diese Seite seiner Lehre wurde von der nachfolgenden deutschen Philosophie erfasst und in
der marxistischen Philosophie produktiv entwickelt.
Für uns ist wichtig, dass nach Kant Dialektik und Widerspruch nicht mehr als Ergebnis einer
subjektiven Denktätigkeit ausgelegt werden, sondern als etwas notwendiges, natürliches, sich
unbedingt klärendes, wenn die Vernunft die Grenzen der sinnlichen Erfahrung überschreitet und
bemüht ist, das Unbedingte zu erreichen und zu erfassen. Dem sind wir Kant verpflichtet, der
bewies, dass die Antinomie nicht nur für die theoretische Vernunft charakteristisch ist, sondern
auch für die praktische, und ebenso für die Urteilsfähigkeit. (55)
Und man kann es nur bedauern, dass der Philosoph, der die Widersprüchlichkeit und die
Antinomie der Vernunft entdeckt und beschrieben hat, nicht die wahre Bedeutung dieser
Eigenschaft der Vernunft als Ursache der Bewegung und Selbstbewegung in der Erkenntnis
verstand, sondern in völliger Eintracht mit der traditionellem Logik darin etwas dem
wissenschaftlich-theoretischen Wissen widersprechendes sah. Er war überzeugt, dass die
allgemeine Bedingung für wissenschaftliche Kenntnisse ihre Nichtwidersprüchlichkeit ist, Kant
verfiel in einen Dualismus einerseits, indem er die Vernunft als höchste Erkenntnisfähigkeit
anerkannte, aber andererseits die Objektivität der Ergebnisse der Vernunftstätigkeit leugnete. Da
die Vernunft widersprüchlich und antinomisch ist, nahm Kant an, ist sie nicht in der Lage,
objektives wahrhaftes Wissen zu vermitteln. Die Positivität der Vernunft besteht nach Kant nur
darin, dass sie bemüht ist, eine vollständige Synthese, unbedingtes Wissen zu vermitteln, obwohl
sie es niemals erreichen kann.
Im Unterschied zu Kant haben die nachfolgenden Vertreter der deutschen klassischen
Philosophie in der Vernunft tatsächlich die höchste Fähigkeit der menschlichen
Erkenntnistätigkeit gesehen. Sie erkannten die innere Verbindung des Widerspruchs mit der
Vernunft an, sie sahen im dialektischen Widerspruch nicht den Mangel, sondern eine große
Bedingung der Wahrheit, der Fähigkeit der Selbstentwicklung des menschlichen Wissens.
Deshalb hatte die Lehre von den Antinomien, von der Widersprüchlichkeit der Vernunft objektiv
(im Gegensatz zur Kantschen Interpretation) große Bedeutung bei der Herausbildung des
dialektischen, konkreten Denkens.
Aber leider kann man nicht das Gleiche sagen über die Kantische Art und Form der
Beweisführung der Antinomien und jene Lösungen der Antinomien, zu denen der Philosoph im
Ergebnis seiner theoretischen Überlegungen kam. Die Hauptkritik an den Mängeln der
Kantischen Antinomie ist schon in der Philosophie Hegels enthalten, in der ziemlich krittelnd
alle Fehler der Kantischen Denkweise analysiert und aufgedeckt wurden, soweit das von der
Position des objektiven Idealismus möglich ist.
Vor allem ist unbefriedigend die Kantische Art der Begründung jeder Seite der Antinomie. Kant
führte einen apagogischen Beweis. Obwohl selbst er die Qualität seiner Beweise für einwandfrei
hielt, können wir aber nicht damit einverstanden sein, weil er die Richtigkeit der einen oder
anderen These nicht immanent begründet, nicht mittels Aufdeckung der eigenen Definitionen
und ihrer Verbindungen mit anderen, sondern auf der Grundlage der Unmöglichkeit des anderen,
des gegensätzlichen. Dabei war der Philosoph genötigt, solche Begründungen anzunehmen, die
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gerade selbst eines Beweises bedürfen. Hegel schrieb dazu: „Man sieht sofort, dass keine
Notwendigkeit bestand, den apagogischen Beweis zu führen, oder gar überhaupt einen Beweis
zu führen, weil ihm das zu Grunde liegt, was bewiesen werden soll.“(56)
Zur besseren Anschaulichkeit sehen wir uns doch einmal an, wie Kant seine Beweise führt.
Nehmen wir die erste Antinomie, die der Erforschung der Begrenztheit oder Unbegrenztheit der
Welt in Raum und Zeit gewidmet ist. Für die Begründung seiner These („Die Welt nimmt ihren
Anfang in der Zeit und ist auch im Raum begrenzt“) führt der Philosoph folgenden Beweis an:
„Nehmen wir an, dass die Welt ihren Anfang nicht in der Zeit nimmt, dann ist vor jedem
gegebenen Zeitpunkt die Ewigkeit vergangen und folglich verging eine unendliche Reihe
aufeinander folgender Zustände der Dinge in der Welt. Aber die Unendlichkeit der Reihe besteht
gerade darin, dass sie niemals auf dem Wege der konsequenten Synthese beendet werden kann.
Folglich ist eine unendliche vergangene Weltreihe nicht möglich...“ (57)
Wie wir sehen, der typischste apagogische Beweis: Die Endlichkeit der Welt wird bewiesen auf
der Grundlage der Unmöglichkeit ihrer Unendlichkeit in Raum und Zeit. Dabei wird der Beweis
auf einer Annahme aufgebaut, die ihrerseits selbst eines Beweises bedarf. Zum Beispiel, in den
Überlegungen Kants wird das „gegebene Zeitmoment“ als etwas Unbedingtes angenommen,
obwohl es selbst erst bewiesen werden muss. Die Endlichkeit der Welt im Raum wird somit auf
dem Beweis der Endlichkeit der Zeit begründet. In der Kantschen Überlegung wird „hier“ auch
ohne Vorbehalt angenommen, wie auch „gegebene Zeit“, obwohl ihre Natur dialektisch ist. Die
Dialektik kennt weder das bedingungslose „hier“, noch das bedingungslose „gegebene Zeit“, sie
gehen ständig in ihre Gegensätze über. Aus diesem Grund hat jeder „Anfang“ einen anderen
Anfang, obwohl er Anfang für die Zukunft bleibt. Kant aber fordert den absoluten Anfang, der in
allen Beziehungen Anfang wäre. Im Unterschied zu Kant suchte der nachfolgende Dialektiker
Hegel nicht einen solchen Anfang, sondern versuchte diese Kategorien dialektisch zu betrachten.
Ein anderer Fehler in der Erforschung der ersten Antinomie besteht darin, dass Kant nicht von
den Kategorien des Endlichen und des Unendlichen ausging und unmittelbar nicht sie
betrachtete, sondern die eigentliche Endlichkeit und Unendlichkeit der Welt als konkrete
Anwendung dieser Kategorien. Kant verneinte die Synthetik der Wechselbeziehungen der
Begriffe. Aber es reichte doch aus, unmittelbar die Kategorien des endlichen und Unendlichen
und ihre logische Verbindung zu untersuchen, denn das hätte unweigerlich zur Entdeckung ihrer
dialektischen Einheit geführt. In diesem Falle hätte sich Kant nicht auf die negative Dialektik
beschränkt – die Anerkennung der Notwendigkeit des Endlichen und Unendlichen als
Gegensätze, er hätte diese Notwendigkeit nicht als Fehler angesehen und wäre nicht zu dem
Schluss gekommen, dass das Unendliche nur potenziell möglich ist (wovon er dogmatisch
ausging).
Wenn Kant unmittelbar die Kategorien des Endlichen und des Unendlichen gerade als
Kategorien untersucht hätte, hätte er sich davon überzeugen können, dass die Lösung der
Antinomie nicht die Verneinung der Welt als Ding an sich ist und ihre Anerkennung nur als
Erscheinung fordert.
Aber der Philosoph war ja von jenen fehlerhaften Thesen ausgegangen, und auf genauso
hoffnungslose Weise untersuchte er auch seine anderen Antinomien. Bei der Lösung der zweiten
Antinomie („Jede komplizierte Substanz auf der Welt besteht aus einfachen Teilen...“ und „Nicht
eine komplizierte Sache auf der Welt besteht nicht aus einfachen Teilen...“) stützte er sich zum
Beispiel auf den Unterschied zwischen dem Ding an sich und der Erscheinung. Da die
Herangehensweise an dieses Problem selbst nicht richtig war, führte er die Sache wiederum bis
zur negativen Dialektik, und erklärte sie als falsch. Übrigens, wenn er direkt die Natur der
Quantitätskategorie untersucht hätte, wäre er zu der Überzeugung gekommen, dass
Diskontinuität und Kontinuität nicht nur einander brauchen, sondern den Begriff ein und
desselben bilden – nämlich den Begriff der Quantität, dessen Natur dialektisch ist, weil dieser
Begriff in sich die Einheit der Gegensätze einschließt. Aber Kant beendete seine Forschungen
über Dialektik dort, wo Fichte und Hegel ansetzten.
626
Wenn wir die zweite Antinomie Kants weiter betrachten, bemerken wir, dass die Formulierung
ihrer These tautologisch ist, worauf bereits Hegel hingewiesen hatte. Und tatsächlich, zu sagen,
dass das Komplizierte aus dem Einfachen besteht, das bedeutet nichts zu sagen zur Definition
des Komplizierten. Das wäre das gleiche, wie: die Tinte besteht aus Tinte, wie Hegel
scharfsinnig bemerkte. Kant verstand auch nicht die innere Verbindung des Komplizierten und
des Einfachen. In seiner Auslegung sind das Komplizierte und das Einfache zwei
entgegengesetzte Dinge, von denen das eine der Bestimmung des anderen dient. Ganz anders
ging Hegel diese Sache an: er versuchte den inneren Zusammenhang dieser Kategorien
aufzudecken, die Formierung ihres Begriffs, das Werden ihrer konkreten Einheit zu beobachten.
Kant maß der Einheit und Konkretheit dieser Kategorien wenig Bedeutung bei, in der Dialektik
sind aber Einheit, Konkretheit, Umwandlung des Einen in etwas anderes von prinzipieller
Bedeutung.
Die theoretischen Fehler der Kantischen Analyse der Antinomien aufdeckend, schrieb Hegel:
„Bei aufmerksamerer Betrachtung erweist sich, dass die Kantischen Antinomien nichts anderes
enthalten, als eine völlig einfache kategorische Behauptung über jedes der beiden
gegensätzlichen Momente einer Definition, die, für sich genommen, von der anderen isoliert ist.
Aber dabei ist die einfache kategorische oder eigentlich die assertorische Behauptung im
komplizierten Netz irriger, verwirrter Überlegungen versteckt, weshalb der Beweis sichtbar, und
der rein assertorische Charakter der Behauptung unbemerkt, verborgen gemacht werden muss;
das tritt bei sorgfältiger Betrachtung dieser Überlegungen zutage.“ (58)
Somit kann man zu dem Schluss kommen, dass der ursprünglichen und produktiven Idee Kants
zur Begründung der Widersprüche in der Vernunft seine Lösungsweise der Antinomien
überhaupt nicht entspricht. Dieses Verfahren kann man auch nicht als Lösung der Antinomien
bezeichnen, da Kant in Wirklichkeit nur die von ihm selbst formulierten antinomischen
Behauptungen beseitigte, liquidierte und zunichte machte. Kant selbst war sich darüber im
Klaren, dass ein echter logischer (analytischer) Widerspruch so ein Widerspruch ist, wenn die
gegensätzlichen Behauptungen sich einander gleichzeitig und in gleichen Beziehungen
widersprechen. Deshalb versuchte der Philosoph diese echten (analytischen) Widersprüche von
den scheinbaren „dialektischen Widersprüchen“ zu unterscheiden, die im Denken, in der
Vernunft, wie er meinte, als Folge von Fehlern, Durcheinanderbringen von Begriffen und
verschiedenen Beziehungen entstehen. Sein Hauptwerk widmete der Philosoph der Begründung
dessen, dass die Antinomien ihrer Natur nach keine wirklichen logischen Widersprüche sind,
sondern Illusionen und Scheinwidersprüche.
Eine solche Sicht auf die Antinomien (Widersprüche) verkörperte sowohl das Objektive, als
auch das Subjektive in der Beziehung Kants zur Dialektik. Einerseits entdeckte und analysierte
der Philosoph die Antinomien (Widersprüche) in der menschlichen Vernunft. Als ehrlicher
Denker konstatierte und drückte er objektiv den realen, empirischen Fakt aus: wenn die
Wissenschaft, das theoretische Denken versuchen, eine Vorstellung über das Ganze, das
theoretische Verständnis und die Synthese des Ganzheitlichen zu geben, so entsteht in der
Vernunft unweigerlich ein Widerspruch. Kant hat diese Erscheinung in der Entwicklung des
theoretischen Denkens richtig erkannt und fixiert. Diese positive Seite seiner Philosophie
hervorhebend, schrieb E.W. Iljenkow völlig zu Recht: „Die Philosophie Kants wird von uns
untersucht als scholastisch-systematisierte „Selbsterkenntnis“ der Wissenschaft, als „positive“
Beschreibung der Vorstellungen der Wissenschaft über sich selbst; das ist eine Beschreibung, die
ziemlich vollständig und offen (das Kantische Denken ist so) zur Konstatierung des einfachen
Umstandes führt, dass die Wissenschaft, also die Gesamtheit aller wissenschaftlichen
Disziplinen die Dialektik ist, also von Widersprüchen wimmelt. Äußerlich drückt sich das
dadurch aus, dass es in der Wissenschaft immer einander bekämpfende Schulen gibt, die um
jeden Preis danach streben, sich nicht beugen zu lassen, den Sieg über die Gegner
davonzutragen. Die Wissenschaft, im Ganzen gesehen, stellt immer das Bild „Kampf aller gegen
alle“ dar.
627
Die „Dialektik in jenem unmittelbar-negativen Sinne dieses Wortes, in welchem es ohne lange
Erklärungen verständlich ist, fixiert Kant als faktisch-empirische Situation innerhalb der für ihn
modernen Wissenschaft, und zeigt, dass diese Dialektik sofort offensichtlich wird, wenn das
wissenschaftliche Denken sich wagt, sich selbst Rechenschaft abzulegen über die Art und Weise
seiner Arbeit, die Formen seiner eigenen Bewegung.“(59)
Alles das ist die objektiv-produktive Seite der Kantischen Lehre von den Antinomien. Jedoch,
obwohl Kant die reale Lage der Dinge in der Entwicklung des theoretischen Wissens konstatiert
und ausgedrückt hat, entdeckte er die Antinomie der Vernunft, aber rein spontan, weil die von
ihm gemachten Entdeckungen nicht das Ergebnis der weltanschaulichen Einstellung des
Philosophen waren. Mehr noch, Kant wehrte sich subjektiv gegen den von ihm selbst entdeckten
Fakt der Antinomie der Vernunft, verstand nicht die produktive, schöpferische Bedeutung der
Antinomien und sah in ihnen nicht die Kraft, sondern die Schwäche der menschlichen Vernunft.
Hier ist es angebracht, dass wir uns an die berühmte Aussage von Marx erinnern, dass eine nicht
verstandene Form eine allgemeine Form in der Erkenntnis und Tätigkeit ist. Selbst Kant hat bis
zum Schluss nicht verstanden, dass er, nachdem er die antinomische Natur der Vernunft und der
kosmologischen Ideen entdeckt und analysiert hatte, in der Entwicklung des menschlichen
Denkens einen ziemlich großen Schritt nach vorn getan hatte. Obwohl er gegen die Starrheit des
traditionellen Denkens kämpfte, war er doch ihr Gefangener. Gerade aus diesem Grunde konnte
er sich nicht mit der objektiven Notwendigkeit der von ihm entdeckten Antinomien abfinden,
sondern versuchte, sie nach Möglichkeit zu lösen, sie aus der Sphäre des theoretischen Denkens
zu beseitigen und zu erreichen, dass sie nicht widersprachen oder wenigstens nicht die
unerschütterliche Härte der formalen Logik – das Gesetz der Nichtwidersprüchlichkeit des
Denkens - ins Wanken brachten.
Die aufmerksame Analyse der Kantischen Art der Lösung kosmologischer Antinomien
überzeugt uns davon, dass alle Sympathien Kants insgesamt auf der Seite dieses formallogischen Gesetzes geblieben waren: der Philosoph bestätigte es prinzipiell, zweifelte nicht an
seiner Wahrhaftigkeit, obwohl er es im Laufe seiner gesamten Arbeit seiner Stellung der
Allgemeingültigkeit und Unbedingtheit beraubte.
Im Versuch, die dialektische Wesenheit der Antinomien zu beseitigen, kam deutlich der
Kantische Dualismus zum Vorschein. Er teilte die Wirklichkeit in die Dinge an sich und die
Erscheinungen, und mit Hilfe dieser Operation versuchte er auszugleichen, die Widersprüche zu
beseitigen, ohne in ihnen den echten Inhalt zu erkennen. Im Abschnitt, der der Lösung der
kosmologischen Schlussfolgerungen gewidmet ist, verkündete der Philosoph feierlich, dass die
Widersprüche, die Antinomien der Vernunft in keinem Maße wirklich logische Widersprüche,
sondern nur eine Illusion sind und einen logischen Fehler darstellen, der eben den Anschein des
dialektischen und notwendigen Widerspruchs erweckt. Kant meinte, dass alle seine Vorgänger
tragischerweise das Ding an sich mit den Erscheinungen identifizierten. Er versuchte, seine
Leser davon zu überzeugen, dass die Widersprüche, die Antinomien in den kosmologischen
Urteilen deshalb auftreten, weil die Voraussetzungen für die Schlussfolgerungen aus
verschiedenen Bedeutungen und Bezügen genommen werden. Dabei überlegte er
folgendermaßen: In den kosmologischen Behauptungen stützen sich alle Antinomien der reinen
Vernunft darauf, wenn das Bedingte gegeben ist, auch die gesamte Reihe aller seiner
Bedingungen gegeben ist. Jedoch diese These bringt in Abhängigkeit von den Bedingungen (in
der Synthese der Erscheinungen) unterschiedlichen Sinn und unterschiedlichen Inhalt in den
Voraussetzungen der Schlussfolgerungen hervor. Also, wenn das Bedingte und die Bedingung
von uns als Ding an sich verstanden werden, so ist mit dem Bedingten eine vollständige Reihe
seiner Bedingungen gegeben und folglich ist auch das Unbedingte gegeben. „Hier ist die
Synthese des Bedingten mit seiner Bedingung die Synthese des Verstandes allein, der die Dinge
darstellt, wie sie sind, ungeachtet dessen, ob wir und auf welche Weise Wissen über sie erlangen
können.“(60)
Eine völlig andere Geschichte sind die Erscheinungen. In diesem Falle kann man laut Kant nicht
behaupten, dass, wenn das Bedingte gegeben ist, auch alle Bedingungen (als Erscheinungen)
628
dafür gegeben sind, es ist also nicht möglich, auf die Gesamtheit ihrer Reihe zu schließen.
Warum? Darum, weil die Erscheinungen bei ihrer Erfassung selbst nichts anderes sind, als eine
empirische Synthese (in Raum und Zeit) und folglich nur in dieser Synthese gegeben sind.
„Aber“, fuhr Kant fort, „daraus, dass das Bedingte (in der Erscheinung) gegeben ist, folgt bei
weitem noch nicht, dass dadurch auch die Synthese, die seine empirische Bedingung bildet,
gegeben ist und angenommen wird; diese Synthese findet nur im Regress statt und existiert
niemals ohne ihn.“ (61)
Diesen Umstand festhaltend, behauptete Kant weiter, dass die Antinomie der kosmologischen
Ideen dadurch bedingt ist, dass ihre größere oder geringere Voraussetzung das Bedingte in
verschiedenen Bedeutungen untersucht. „Von daher ist klar, dass das Bedingte die größere
Voraussetzung eines kosmologischen Syllogismus aus der transzendentalen Bedeutung der
reinen Kategorie nimmt, die geringere Voraussetzung aus der empirischen Bedeutung des
verstandesmäßigen Begriffs, der nur in Bezug auf die Erscheinungen anzuwenden ist; folglich
stoßen wir hier auf den dialektischen Betrug, den man sophisma figurae dictionis nennt. Aber
das ist kein absichtlicher Betrug, sondern eine natürliche Verirrung der gewöhnlichen Vernunft.“
(62)
Somit ist die Antinomie der kosmologischen Syllogismen nach Kant bedingt durch eine
Verwechslung der Begriffe, und das wird dadurch erklärt, dass „wir einen wichtigen Unterschied
zwischen den Begriffen nicht beachtet haben.“ Es geht darum, dass die „Synthese des Bedingten
mit seiner Bedingung und die gesamte Reihe der Bedingungen (in der größeren Voraussetzung)
überhaupt keine Zeitbegrenzung und keinen Begriff der Konsequenz beinhalteten. Die
empirische Synthese und (die gegebene) Reihe von Bedingungen in der Erscheinung (in der
geringeren Voraussetzung) sind unbedingt konsequent und nur zeitlich nacheinander
gegeben.“(63)
Nach diesen Vorbemerkungen zu allen kosmologischen Thesen ging Kant zur detaillierten
Analyse und zur Lösung der Antinomien der reinen Vernunft über, die er in zwei Klassen teilte –
je zwei Antinomien in jeder. Die Antinomien der ersten Klasse bezeichnete der Philosoph als
mathematisch, die der zweiten Klasse als dynamisch, entsprechend gehörten zu den
mathematischen Antinomien die Endlichkeit und Unendlichkeit, aber auch die Teilbarkeit und
Unteilbarkeit der Materie, zu den dynamischen die Antinomie der Notwendigkeit und Freiheit,
sowie die Antinomie des Zufalls und der Notwendigkeit.
Eine genaue Untersuchung begann Kant mit den so genannten mathematischen Antinomien. Ihre
Besonderheit sah Kant darin, dass die bei ihnen denkbare Synthese die Synthese des
Gleichartigen ist, da in diesen Antinomien hauptsächlich die Rede von einer Größe ist, die
immer mit der Synthese des Gleichartigen verbunden ist. Außerdem unterscheiden sich die
mathematischen Antinomien nach Kant von den dynamischen durch die Art ihrer Lösung. Das
letzte ist gerade dadurch bedingt, dass alle mathematischen Antinomien erstens gleichartig sind,
und zweitens die in ihnen enthaltenen Widersprüche haben eine gleichartige logische Natur und
eine gleichartige logische Charakteristik.
Auf der Basis einer aufmerksamen Analyse der mathematischen Antinomien kam Kant zu dem
Schluss, dass in der ersten von ihnen (über die Unendlichkeit und die Endlichkeit der Welt) der
Widerspruch in keinem Maße ein echt logischer ist, d.h. ein sich widersprechender Gegensatz.
Damit die Widersprüche der These und der Antithese echt logisch sind, muss das Verhältnis von
These und Antithese nicht nur ein gegensätzliches Verhältnis sein, sondern auch ein sich
widersprechendes. In diesem Falle würde dem Urteil „die Welt ist unendlich“ das Urteil „die
Welt ist nicht unendlich“ gegenüberstehen, und dann würde es sich erweisen, dass, „wenn das
erste Urteil falsch ist, muss das ihm widersprechende wahr sein, nämlich, dass die Welt nicht
unendlich ist. In diesem Urteil“, schreibt Kant, „verneine ich nur die unendliche Welt und setze
nichts anderes voraus, als eben eine endliche Welt.“ (64)
In der ersten Gegenüberstellung steht tatsächlich der These („die Welt ist unendlich“) die
Antithese („die Welt ist endlich“) gegenüber. In diesem Falle ist nach Kant die Beziehung der
These zur Antithese keine wirkliche logische Verneinung, ein widersprechender Gegensatz,
629
sondern ein konträres Verhältnis, ein dialektischer Gegensatz. Und das bedeutet, dass als
wirklich wahrhaftig sich irgendeine dritte These erweisen kann, während man beide Urteile der
Antinomie als falsch anerkennen muss, da „in diesem Falle“, schreibt Kant, „betrachte ich die
Welt als an und für sich nach ihrer Größe definiert, verneine nicht nur im gegensätzlichen Urteil
die Unendlichkeit und vielleicht zusammen mit ihr ihre ganze isolierte Existenz, sondern füge
zur Welt wie eine Sache, ein wirkliches Ding an sich, eine Definition hinzu; das kann ebenfalls
falsch sein, und zwar gerade dann, wenn die Welt ganz und gar nicht als Ding an sich gegeben
ist, und folglich, nicht als endlich und nicht als unendlich nach ihrer Größe gegeben ist.“(65)
Weiter bemühte sich Kant, die Begründungen für jene dialektische Sicht, die Illusion, zu klären,
in deren Folge die Beziehungen Unendlichkeit – Endlichkeit als logischer Widerspruch, als
widersprechender Gegensatz dargestellt werden. Eine solche Begründung für die Falschheit der
mathematischen Antinomien ist, nach Kant, die irrige Annahme, dass die Welt, die gesamte
Reihe von Erscheinungen, das wirkliche Verhältnis der Dinge an sich ist.
Somit ist, nach Meinung Kants, das antinomische Verhältnis, das notwendigerweise in der
mathematischen Antinomie „die Welt ist unendlich“ und „die Welt ist endlich“ nicht die
Beziehung wirklicher logischer Widersprüche ausdrückt; hier entsteht eine dialektische Sicht als
Resultat einer Begriffsverwechslung in der theoretischen Vernunft. Wenn das so ist, dann ist es
nur natürlich, als Lösungsweg solcher Antinomien, die Aufdeckung und Beseitigung des Faktes
der Begriffsverwechslung vorzuschlagen, was Kant auch tat. Er schrieb: „Wer das Urteil die
Welt ist in ihrer Größe unendlich und die Welt ist in ihrer Größe endlich als ein im Verhältnis
der einander widersprechender Gegensätze untersucht, der setzt voraus, dass die Welt (die ganze
Reihe der Erscheinungen) ein Ding an sich ist. In Wirklichkeit bleibt die Welt wie sie ist, wenn
ich auch den unendlichen oder den endlichen Rückschritt in der Reihe ihrer Erscheinungen
verneinen würde. Wenn ich nun diese Voraussetzung oder diese transzendentale Sicht beseitigen
und verneinen würde, dass die Welt ein Ding an sich ist, so verwandelt sich die sich
widersprechende Gegensätzlichkeit dieser Behauptungen in einen rein dialektischen Gegensatz,
und da die Welt überhaupt nicht an und für sich existiert (unabhängig von der regressiven Reihe
meiner Vorstellungen), so existiert sie nicht weder als an und für sich unendliches Ganzes, noch
als an und für sich endliches Ganzes.“(66)
Auf ähnliche Weise untersucht und löst Kant die zweite mathematische Antinomie – die
Antinomie der Teilbarkeit und der Unteilbarkeit der Welt.
Die dynamischen Antinomien unterscheiden sich nach Kant deutlich von den mathematischen
hauptsächlich dadurch, dass in den mathematischen Antinomien sowohl These als auch
Antithese gleich falsch sind, und in den dynamischen – die gegenüberstehenden Urteile beide
wahr sind. Folglich unterscheidet die mathematische Antinomie von der dynamischen auch die
Lösungsweise. Da die Klasse der mathematischen Antinomien bei aufmerksamer Betrachtung
sich als eine infolge der Widersprüchlichkeit des Ausgangsbegriffs der Thesen und Antithesen
entstandene Klasse erweist, so werden die Widersprüche durch ihre Reduktion auf den
Ausgangspunkt der Forschung deutlich. Danach löst man die mathematische Antinomie schon
durch Beseitigung des Widerspruchs aus dem Ausgangsbegriff, was durch formal-logische
Präzisierung dieses Begriffes und durch die Liquidation der Versuche, in einem Begriff
verschiedenes zu denken, geschieht.
Und nun sehen wir uns an, wie der Philosoph die dynamischen Antinomien löste, von denen er
sagte, dass sie aus wirklichen Urteilen bestehen. Das letzte berücksichtigend, können wir mit
Recht annehmen, dass er gerade hier eine echte Problemlösung für den Widerspruch, eine
positive Lösung des dialektischen Problems vorschlug.
In der dritten Antinomie (sie ist die wichtigste in der Klasse der dynamischen Antinomien,
deshalb erforscht sie Kant äußerst sorgfältig) behauptet die These das Vorhandensein der freien
Kausalität in der Welt: „Kausalität ist nach den Naturgesetzen nicht die einzige Kausalität, aus
der man alle Erscheinungen der Welt ableiten kann. Für die Erklärung der Erscheinungen ist es
nötig, noch eine freie Kausalität anzunehmen (Causaltät durch Freiheit)“. In der Antithese wird
630
davon gesprochen, dass alles in der Welt nur nach den Gesetzen der Notwendigkeit geschieht:
„Es gibt keine Freiheit, alles in der Welt geschieht nur nach den Gesetzen der Natur.“ (67)
Kant bewies die Richtigkeit der Antithese und lenkte seine Aufmerksamkeit darauf, dass
Wissenschaft nur dort möglich ist, wo die Notwendigkeit wirkt, die der Natur eigen ist, und
deshalb kann man wissenschaftlich-theoretisches Wissen nur über die Natur erhalten. Die Natur
aber ist in der Kantischen Auslegung die Arena der Erscheinungen, die Gesamtheit der
Erfahrung, deren Möglichkeit von Anfang an bedingt ist durch die apriorischen Formen der
Sinnlichkeit und des Verstandes. Wobei die Natur sich ganz dem Prinzip der Kausalität
unterordnet: „Das Gesetz der Natur lautet, dass alles, was geschieht, einen Grund hat, dass die
Kausalität dieses Grundes, d.h. die Handlung, in der Zeit und im Verhältnis zum in der Zeit
entstandenen Ergebnis nicht immer selbst existieren konnte, sondern ein vergangenes Ereignis
sein musste, und deshalb hat sie ebenfalls ihren Grund unter den Erscheinungen, durch den sie
bestimmt wird, und folglich werden alle Ereignisse empirisch in einer gewissen natürlichen
Ordnung bestimmt.“ (68)
Die gegebene empirische Bestimmtheit der Naturereignisse in einer gewissen Konsequenz und
natürlichen Gesetzmäßigkeit, d.h. in einer natürlichen Notwendigkeit ist die Hauptsache in der
Kette der Naturereignisse. Nichts in der Natur kann aus den notwendigerweise miteinander
verbundenen Ereignissen herausfallen, alles in der Natur ordnet sich streng der determinierten
Notwendigkeit unter, im umgekehrten Falle „würden wir die Erscheinung außerhalb jeder
möglichen Erfahrung stellen, würden sie damit von allen Gegenständen möglicher Erfahrung
trennen und sie in ein leeres Erzeugnis der Gedanken und der Einbildung verwandeln“.(69)
Also, der Beweis der Antithese führte zur Schlussfolgerung darüber, dass die Natur nach ihrer
Wesenheit der Freiheit widerspricht. Aber der Inhalt der Antinomiethese spricht von der
Existenz der Freiheit in der Welt. Wo genau?
Kant verstand das auf folgende Weise. Die menschliche Vernunft ist in der Lage, sich die
Freiheit vorzustellen, und diese Fähigkeit der Vernunft hat damit zu tun, dass sie sich ständig
bemüht, über die Grenzen der Erfahrung, die Grenzen der Natur als Gesamtheit der Erfahrungen,
hinauszugehen. Oder, mit den Worten Kants, „die Vernunft schafft sich die Idee der
Spontaneität, die wiederum selbst fähig ist, ohne vorangegangenen anderen Grund zu handeln,
der sie wiederum zur Handlung nach dem Gesetz der ursächlichen Verbindung bestimmen
würde.“ (70)
Die Vernunft hat den starken Wunsch, eine absolute Synthese zu schaffen, das zu untersuchen,
was über die Grenzen aller möglichen Erfahrung hinausgeht. Zwar ist auf diesem Wege nichts in
der Lage, die theoretische Vernunft zu erreichen, weil es in Wirklichkeit keinen Gegenstand und
kein Objekt gibt, das ihrer Idee gleichkommt. Deshalb konnten die Vernunft und ihre Ideen kein
eindeutiges allgemeines und notwendiges Wissen, sondern nur Paralogismen, Antinomien, Ideen
ohne Objekt hervorbringen.
Im Unterschied zur theoretischen, reinen Vernunft hat die praktische Vernunft mit der
moralischen Natur des Menschen, den menschlichen Handlungen, dem Willen und Wünschen zu
tun. Wenn die theoretische Vernunft, die Grenzen der Erfahrung überschreitend, keine
glaubwürdige Antwort über das Erkenntnisobjekt gibt, so ist das Objekt der praktischen Vernunft
der Mensch selbst, deshalb hat es die praktische Vernunft nicht nötig, ein sinnliches Analog der
Idee in der Betrachtung zu finden, sondern es wird die Möglichkeit geschaffen, direkt vom Fakt
der Existenz der menschlichen Freiheit, ihrer Idee auszugehen, da der Mensch die „Grundlage
der Tugend“ als „Grundlage der menschlichen Freiheit“ in sich selbst findet.
Nach Kant (siehe „Kritik der praktischen Vernunft“), ist das Fehlen der Freiheit mit der Tugend,
mit der freien Auswahl unvereinbar. Deshalb gibt es dort, wo der Gegenstand sich unbedingt den
Naturgesetzen, der Notwendigkeit, der Kausalität, Raum und Zeit unterordnet, keinen Platz für
moralische Verantwortung. Den Menschen kommt doch niemals in den Sinn, zum Beispiel einen
Stein zu bestrafen, der jemandem auf den Kopf gefallen ist.
Ganz anders verhalten wir uns zu einem Menschen, wenn er verantwortlich für seine
Handlungen ist. Solch ein Standpunkt hängt mit der Idee der unbedingten Freiheit zusammen
631
und mit genau so einer unbedingten Verantwortung des Menschen. Die Möglichkeit der Freiheit
des Menschen entspringt nach Kant daraus, dass er nicht nur ein sinnliches, sondern auch ein
begreifendes Wesen ist. Der Mensch hat sein Gesicht und er ist selbstständig tätig. Deshalb hat
das Problem der Freiheit in der menschlichen Gesellschaft einen besonderen spezifischen Inhalt.
Die Kantische Begründung der Willensfreiheit des Menschen nimmt einen zentralen Platz in
seiner Ethik ein. In den Ideen Kants zu dieser Frage bemerken wir den zweifellosen Einfluss der
französischen Aufklärung, insbesondere von Rousseau, aber die Kantische Problemstellung
selbst ist unstreitig originell.
Nachdem er die Idee der freien Kausalität anerkannt hatte, kritisierte er die Lehre Spinozas von
der allgemeinen kausalen Bedingtheit alles Wahren. Wenn das von Spinoza Gesagte richtig ist,
so kann man nicht die Freiheit der Persönlichkeit annehmen und ebenfalls nicht die Moral und
die moralische Verantwortung der Persönlichkeit begründen. Wie wir sehen, trat Kant gegen die
metaphysische mechanistische Auffassung der Kausalität auf, jedoch er selbst konnte sie auch
nicht vollständig überwinden, und das hinderte ihn, die dialektischen Beziehungen der
natürlichen Notwendigkeit und der Freiheit zu verstehen, zwang ihn zur Gegenüberstellung von
Natur und Freiheit.
Während der Untersuchung eines solch spezifischen Objekts, wie es der Mensch ist, kam Kant
zu der Auffassung, dass er die Einheit von Notwendigkeit und Freiheit ist, weil der Mensch zur
gleichen Zeit ein natürliches Wesen, das allen Naturgesetzen untergeordnet (d.h. eine
Erscheinung, die mit der allgemeinen Ordnung der Natur harmoniert) und ein übernatürliches,
vernunftbegabtes Wesen ist. „Einerseits, ist er natürlich ein Phänomen für sich, aber andererseits,
und zwar in Bezug auf einige Fähigkeiten, ist er für sich ein reiner Verstandesgegenstand, weil
man seine Tätigkeit ganz und gar nicht der Empfänglichkeit für Sinnlichkeit zurechnen
kann.“(71)
Wenn man die vorliegende These decodiert, muss man feststellen, dass diese Tätigkeit bezüglich
der Wahrnehmung von sich selbst und ihrer eigenen Handlungen als vernunftbegabtes Wesen,
nach Kant, die Prärogative nicht der theoretischen, sondern der praktischen Vernunft, der Sphäre
der Moral ist, die sich weder der Zeit, noch den Bedingungen der zeitlichen Aufeinanderfolge
unterordnet, was im Folgenden bei der Lösung des Problems wichtig wird.
Alles das gab Anlass zu der Hoffnung, dass Kant, nachdem er die dynamischen Antinomien
gründlich untersuchte, eine wirklich dialektische Lösung für sie finden würde und auf diese
Weise einmal mehr die Begrenztheit des Gesetzes vom Widerspruch aus der formalen Logik
beweist. Aber, wenn wir seine Überlegungen verfolgen, können wir uns davon überzeugen, dass
sich unsere Hoffnung nicht erfüllt, dass der Philosoph auch hier, wie auch bei der Untersuchung
der mathematischen Antinomien, versuchte, einen Irrtum, das Trugbild der Antinomie, des
Widerspruchs zu konsolidieren.
Wie bekannt, nennen wir einen wirklichen Widerspruch nur so etwas, das sich in ein und
derselben Zeit und in ein und derselben Beziehung widerspricht. Nach Kant entsteht ein echter
Widerspruch dort, wo sich zwei Urteile zueinander „im Verhältnis widersprechender
Gegensätze“ (72) befinden. Die dynamischen Antinomien legte Kant als Widersprüche bezüglich
ein und desselben Gegenstandes in ein und derselben Zeit aus, aber in verschiedenen
Beziehungen, woraus folgt, dass sie formal nicht widersprüchlich sind. Die Antinomie darüber,
dass der Mensch gleichzeitig frei und nicht frei ist, zerfällt in zwei nur äußerlich verbundene
Urteile: der Mensch ist frei als Wesen der dem Verstand zugänglichen Welt, die sich nicht den
natürlich-zeitlichen Gesetzmäßigkeiten unterordnet; und diese Lage wird mittels der praktischen
Vernunft begriffen; der Mensch ist nicht frei als körperliches, als räumlich geformtes, sinnlich zu
betrachtendes Wesen, als Element der sinnlichen Welt.
In der theoretischen Begründung dieses Gedankens kam Kant seine Einteilung der Welt in das
„Ding an sich“ und die „Erscheinung“ sehr zupass. Die These und Antithese der dritten
Antinomie behaupten nach Kant etwas über den Gegenstand in verschiedenen Beziehungen. Es
ergibt sich, dass der Kantische komplizierte Prozess der Antinomienbegründung zu keinerlei
ernsthaften Ergebnissen führt. Die Erforschung des Problems des Widerspruchs durch Kant führt
632
zur völligen Beseitigung des wirklichen Widerspruchs, zur Restauration der Metaphysik, zur
Kanonisierung des formal-logischen Verbots des Widerspruchs. Er ist sich klar bewusst, dass der
Widerspruch nur dort ist, wo sich das Subjekt für frei hält „in ein und demselben Sinne oder in
ein und derselben Beziehung sowohl dann, wenn es sich frei nennt, als auch dann, wenn es sich
in Bezug auf die gleiche Handlung dem Gesetz der Natur bewusst unterordnet.“ (73) Kant
behauptete gleichzeitig, dass es hier keinen Widerspruch gibt, da die vorherige dogmatische
Philosophie den Menschen nicht nach „Erscheinung“ und nach dem „Ding an sich“
unterscheidet. Der Kritizismus aber unterscheidet, nach Kant, im Menschen seinen empirischen
und seinen dem Verstand zugänglichen Charakter, und deshalb hat auch der traditionelle
Widerspruch von Notwendigkeit und Freiheit hier keinen Platz. Seine Neuererrolle in der
Philosophie sah Kant insbesondere in der Überwindung der Jahrhunderte alten Antinomie des
Mechanizismus und Teleologismus, der Notwendigkeit und der Freiheit. Deshalb ist in der
Geschichte der Dialektik die Tendenz zur Beseitigung des Widerspruchs durch seine
Interpretation als Widersprüche in verschiedenen Beziehungen vor allem mit dem Namen Kant
verbunden, obwohl es auch spätere Versuche gab, die Widersprüche analog auszulegen.
Insbesondere einer der Theoretiker und Parteiführer der Sozialrevolutionäre, Tschernow,
versuchte F. Engels zur Frage nach der Bewegung aus der Position der Metaphysik zu
kritisieren. „Die Bewegung ist das Befinden eines Körpers zu einem bestimmten Moment an
einem bestimmten Ort, im nächsten Moment an einem anderen Ort – das ist die Entgegnung, die
Tschernow (siehe seine „Philosophischen Etüden“) nach allen ‚metaphysischen‘ Gegnern Hegels
wiederholt“, erzählt W.I. Lenin den Einwand Tschernows nach und unterzieht ihn sogleich einer
vernichtenden Kritik. „Diese Entgegnung ist falsch: (1) sie beschreibt das Ergebnis der
Bewegung, und nicht die Bewegung selbst; (2) sie zeigt nicht und enthält nicht in sich die
Möglichkeit der Bewegung; (3) sie stellt die Bewegung als Summe dar, als Verbindung von
Ruhezuständen, d.h. der (dialektische) Widerspruch wurde nicht beseitigt, sondern nur verdeckt,
beiseite geschoben, zugedeckt, zugehängt.“ (74) Und weiter, schon von Tschernow abgelenkt,
schreibt W.I. Lenin: „Wir können uns die Bewegung nicht vorstellen, ausdrücken, ermessen,
darstellen, ohne das Ununterbrochene zu unterbrechen, ohne zu vereinfachen, ohne zu
vergröbern, zu zerteilen, ohne das Lebendige zu betäuben. Die Darstellung der Bewegung durch
Gedanken ist immer eine Verrohung, eine Betäubung, und nicht nur durch die Gedanken,
sondern auch durch das Gefühl, und nicht nur der Bewegung, sondern auch jedes anderen
Begriffes. Und gerade darin besteht das Wesen der Dialektik. Eben dieses Wesen drückt die
Formel: Einheit, Gleichheit der Gegensätze aus.“ (75)
Gerade dieses Wesen der Dialektik hat Kant nicht bis zu Ende erfasst. Indem er die Begriffe und
die gesamte gegenständliche Welt in „Dinge an sich“ untergliederte, die er als unbegreifbar
deklarierte, und in „Erscheinungen“, die sinnlich zu begreifen sind, bemühte sich der subjektive
Idealist und Agnostiker Kant mittels logischer Operationen die Widersprüche zu beseitigen, weil
er sie für ein unausweichliches Übel der Vernunft hielt. Er kam nur bis zur negativen,
antinomischen Dialektik und konnte sich nicht weiter nach oben bewegen. Eine positive,
„spekulative“ Dialektik zu schaffen, gelang später einem anderen Giganten des philosophischen
Denkens – Hegel, aber selbstverständlich aus der Perspektive des objektiven Idealismus.
Das historische Schicksal der Widerspruchskonzeption nach Kant
Das historische Schicksal der Kantischen Dialektik, seiner Lehre vom Widerspruch ist allgemein
bekannt. Diese Lehre wurde durch Hegel und ganz besonders durch die marxistische Dialektik
kritisch überwunden, die eine revolutionär-kritische Methode des Denkens darstellt.
Eine entschiedene gnoseologische Kritik an der Kantschen Konzeption des Widerspruchs wurde
bereits durch Hegel vorgenommen. Im Unterschied zu Kant legte Hegel den Widerspruch erstens
633
als inneren Kern der gesamten Logik aus, da nur dank dem Widerspruch eine universelle
Entwicklung der Denkformen, ihr Übergang von einem Niveau zum anderen realisiert werden
kann; zweitens versuchte Hegel die Kategorie des Widerspruchs zu untersuchen im Hinblick
darauf, welchen Platz sie im System der logischen Kategorien einnimmt, die Wesenheit und die
Beziehung der Widerspruchskategorie zu den anderen philosophischen Kategorien offen zu
legen; drittens wird in der Hegelschen Philosophie nicht nur der Widerspruch anerkannt, sondern
auch seine Lösung.
In seiner Philosophie stellte Hegel ständig das konkrete, dialektische Verständnis des
Widerspruchs seinem abstrakten, verstandesmäßigen Verstehen gegenüber. In dieser Auslegung
ist der Widerspruch ein Begriff, eine ganzheitliche Bildung, die aus der Einheit zahlreicher
Definitionen besteht. Dabei führte er die Formierung des konkreten Begriffs durch eine Reihe
aufeinander folgender, innerlich miteinander verbundener Etappen. Hegel legte im Weiteren
Momente der Identität, der Unterschiedlichkeit, der Gegensätzlichkeit usw. als Momente des
dialektischen, konkreten Widerspruchsbegriffs fest.
Auf diese Weise lieferte Hegel eine konkrete Erklärung des Widerspruchs. In seiner Auslegung
enthält der Widerspruchsbegriff alle vorhergehenden Stufen seiner Entwicklung als
Ausgangsmoment, wobei jeder Aspekt des konkreten Widerspruchsbegriffs als selbstständiges
Gesetz hervorgehoben werden kann, wovon die Existenz der formal-logischen Gesetze der
Identität, des Widerspruchs und des ausgeschlossenen Dritten zeugen.
Jedoch, wie W.I. Lenin richtig bemerkte, „kann man die Logik Hegels nicht einfach in ihrer
vorliegenden Form annehmen; man kann sie nicht als gegeben hinnehmen. Aus ihr muss man
logische (gnoseologische) Schattierungen auswählen, sie von der Ideenmystik befreien: das ist
eine Riesenarbeit.“(76)
Diese große Arbeit leisteten, wie wir wissen, K. Marx und F. Engels. Sie schufen eine
materialistische Dialektik, vor deren Hintergrund besonders deutlich alle Mängel und Fehler der
Kantischen Dialektik, seiner Lehre vom Widerspruch hervortraten. In der dialektischen Logik
wird allseitig die Universalität des Widerspruchs als Ausgangspunkt der Bewegung und
Selbstbewegung begründet. Die Frage nach dem Widerspruch im Denken wird hier nicht
abstrakt gelöst, sondern konkret. Die Bedeutung des Widerspruchs im Denken nachweisend,
geht die dialektisch-materialistische Logik im Aufbau theoretischer Kenntnisse davon aus, dass
a) der Widerspruch im Denken, in der Formierung des Wissens nicht zulässig ist, wenn er als
Folge subjektiver Fehler erscheint, und b) der Widerspruch ist unumgänglich, wenn er im
Denken, im theoretischen Wissen als Widerspiegelung der objektiven Gegensätzlichkeit eines
Gegenstandes entstanden ist. Also, wenn im theoretischen Denken subjektive Widersprüche
auftreten, ist ihre Beseitigung nicht nur obligatorisch, sondern bereitet auch keine besonderen
Schwierigkeiten. Etwas ganz anderes ist es, wenn im Denken, im Prozess der Wissensformierung
Widersprüche, Paradoxien, Antinomien als Resultat der richtigen Widerspiegelung der
Wirklichkeit entstehen. Eine solche Art des Widerspruchs darf nicht nur nicht beseitigt werden,
sondern gilt als wichtigste Bedingung für die objektive Erkenntnis der Wirklichkeit.
Bei der Begründung der vorliegenden theoretischen Konzeption stützt sich die dialektische
Logik auf folgende These: Wenn sich alles auf der Welt in ständiger Entwicklung und
Widerspruch befindet, so muss sich das in gleichem Maße auch auf das Denken, auf die
allgemeinen Begriffe beziehen. Gerade darauf hat W.I. Lenin hingewiesen, als er anmerkte, dass,
wenn es keine Entwicklung, keine Widersprüchlichkeit der Gedanken gibt, es schwer ist, von
einer Verbindung des Denkens, von gemeinsamen Begriffen mit der Wirklichkeit zu sprechen.
(77) Weiter. Das Denken selbst ist entsprechend der dialektischen Konzeption keine besondere,
selbstständige Realität. Es ist eine Form der Wirklichkeit, weil denken an sich bedeutet, sich
durch die Formen der Dinge zu bewegen, durch die Form der objektiven Realität. Folglich, wenn
die Objekte der Erkenntnis widersprüchlich sind, so müssen auch die Begriffe, die nur die
idealen Formen der Realität darstellen, „ebenfalls behauen, abgebrochen, biegsam, beweglich,
relativ, miteinander verbunden, einig in den Gegensätzlichkeiten sein, um die Welt zu erfassen.“
(78)
634
Noch eine wichtige Grundlage der materialistischen dialektischen Widersprüchlichkeit des
Denkens ist die Widersprüchlichkeit der gegenständlichen Tätigkeit des Menschen, zu der auch
das Denken als eine Form der gegenständlichen Tätigkeit gehört. Diese tritt vorwiegend als
Einheit der Vergegenständlichungs- und Entgegenständlichungsprozesse auf. Ohne diese Einheit
gibt es keine gegenständliche Tätigkeit. „Diese Kategorie ist in Wirklichkeit nichts anderes“,
schreibt G. S. Batistschew, „als die elementarste soziale Verbindung, die einfachste soziale
Beziehung, in der die Tätigkeit als Arbeit und die Tätigkeit als Kommunikation noch
zusammenfallen und sich nicht in relativ selbstständige Sphären geteilt haben. Das ist die „Zelle“
(sowohl die historische, als auch die logische), d.h. die äußerst abstrakte Konkretheit aller
sozialen Prozesse, der gesamten gesellschaftlichen Bewegungsform. Diese „Zelle“ tritt auf als
das, woraus die gesamte materielle und geistige Kultur der Menschheit entstanden ist, da die
Tätigkeit das fagon d’etre der Kultur, ihrer Lebensart und Entwicklung ist.“ (79)
Im Laufe der gegenständlichen Tätigkeit gehen die Vergegenständlichung und die
Entgegenständlichung ineinander über; das eine von beiden erscheint unmittelbar als das andere.
„In Wirklichkeit“, schreibt G.S. Batistschew, „ist die Vergegenständlichung genauso notwendig
wie die Entgegenständlichung, weil sie sich wie die Beherrschung der Tätigkeitswerkzeuge
vollzieht (wenn auch nur teilweise, wenn es die Arbeit ist) und sich auf die Auswertung der
teilweisen Resultate ihrer eigenen Tätigkeit stützt. Vergegenständlichen kann der Mensch
sowieso nur etwas entgegenständlichtes, sonst würde er wie eine Maschine handeln, in der nur
der materielle Bestand der menschlichen Tätigkeit nach den Gesetzen der Natur funktioniert und
dinglich-extensiv reproduziert wird...... Andererseits ist die Entgegenständlichung auch eine
Vergegenständlichung, weil sie nicht im Reich der idealen Wesenheiten oder in einer Ideenwelt
schwebt, die mit schöpferischen Fähigkeiten ohne Gegenstände, ohne Materie bevölkert ist,
sondern als „Umvergegenständlichung“, als Umgestaltung der vorausgegangenen Tätigkeit
(eines anderen Menschen) vollzogen wird.“(80)
Die Widersprüchlichkeit der menschlichen Tätigkeit zeigt sich auch in der Widersprüchlichkeit
jedes Aktes dieser Tätigkeit. In jeder zielgerichteten Tätigkeit existiert real der dialektische
Widerspruch des Ziels, der Mittel und des Resultats. Im Prozess der praktischen Tätigkeit gehen
die Menschen immer über die Grenzen des ursprünglichen Planes hinaus, erreichen größere
Ergebnisse, als die, die ursprünglich als Ziel festgesetzt waren. Darin zeigen sich vor allem der
schöpferische Charakter der Arbeit und die Unüberwindlichkeit des dialektischen Widerspruchs.
Die Frage nach der Notwendigkeit des Widerspruchs im Denken ist aufs engste auch mit dem
Universalitätsprinzip der Entwicklung verbunden. Wenn man die Universalität der Entwicklung
anerkennen will (d.h. Entwicklung ist die Lösung der Widersprüche), so muss man auch die
Notwendigkeit des Widerspruchsprinzips als wichtigste Bedingung bei der Formierung
theoretischen Wissens anerkennen. In der materialistischen Dialektik wird Entwicklung nicht als
einfacher Wachstumsprozess verstanden, sondern als dialektischer Formbildungsprozess, wie
Veränderung der Wesenheit, Übergang von einem Qualitätszustand zu einem anderen. Zu dieser
Frage schrieb W.I. Lenin: „Wenn sich alles entwickelt, geht also alles von einem in das andere
über, weil die Entwicklung offensichtlich nicht ein einfaches, allgemeines und ewiges
Wachstum, eine Vergrößerung (respektive Verkleinerung) etc. ist. Wenn das so ist, dann... muss
man die Evolution als Entstehung und Vernichtung von allem genauer verstehen, als
gegenseitiges Ineinanderübergehen.“ (81)
Bei einem solchen Verständnis werden die Entwicklung und ihre Wesenheit als Identität
ausgelegt, oder als Einheit der Gegensätze. (82) „Die Identität der Gegensätze...ist die
Anerkennung (Entdeckung) der sich widersprechenden, sich gegenseitig ausschließenden,
gegensätzlichen Tendenzen in a l l e n Erscheinungen und Prozessen der Natur (und des Geistes
und der Gesellschaft). Die Bedingung für die Erkenntnis aller Prozesse der Welt in ihrer
„Selbstbewegung“, in ihrer spontanen Entwicklung, in ihrem lebendigen Leben ist ihre
Erkenntnis als Einheit der Gegensätze. Entwicklung ist „Kampf“ der Gegensätze.“ (83) Nur ein
solches Verständnis der Entwicklung, bemerkte W.I. Lenin, liefert den Schlüssel zum Verstehen
der „Selbstbewegung“ alles Seienden; nur diese Konzeption „liefert den Schlüssel zu den
635
‚Sprüngen‘, zur ‚Unterbrechung der Allmählichkeit’, zur ‚Umwandlung ins Gegenteil‘, zur
Vernichtung des Alten und zur Entstehung des Neuen.“(84)
Der Widerspruch ist immanente Wesenheit jedes sich entwickelnden Gegenstandes. Wenn die
Wesenheit nicht nur das allgemeine, sondern die Gesamtheit, die Konkretheit ist, so ist ihr
Existenzmaß die Identität der Gegensätze. Die Richtigkeit dieser These wird besonders
offensichtlich, wenn wir den Prozess der Formierung eines Gegenstandes beobachten. In diesem
Prozess erwirbt ein Ding seinen Inhalt, seine Wesenheit innerhalb eines realen Ganzen. Deshalb
wandelt es sich sozusagen in „ihr anderes“ um, zeigt sich als Form der Entdeckung der eigenen
Wesenheit. Zum Beispiel ist die Wesenheit des Goldes als Geld nicht seine empirische
Bestimmtheit, sondern seine reale Funktion im System der Warenbeziehungen. Dasselbe kann
man über das Denken sagen. Die Wesenheit des Denkens kann man nicht unmittelbar auf die
Struktur des Gehirns reduzieren; das Denken kann man nur als Form der menschlichen
gegenständlichen Tätigkeit verstehen.
Somit ist die Wesenheit eines Gegenstandes nicht einfach eine Stelle seines sich im Innern
entwickelnden Ganzen, sondern die Art und Weise der Formierung des Gegenstandes. Wobei für
den Materialismus, im Unterschied zum Idealismus, das Ganze nicht das Resultat der
immanenten Wesenheit der Vernunft, des Geistes, einer bestimmten Form ist, sondern das
Ergebnis einer gesellschaftlich-historischen Bewegung. Zum Beispiel ist die Wesenheit des
Menschen, nach der Definition von Marx, kein Abstraktum, sondern die Gesamtheit
gesellschaftlicher Beziehungen. Tatsächlich, die Wesenheit jedes Menschen wird von jenen
gesellschaftlichen Beziehungen bestimmt, innerhalb derer er existiert und durch die folglich sein
Platz in der Gesellschaft bestimmt wird. Wobei diese Beziehungen selbst nicht ein für allemal
gegeben sind, sondern sie entstehen und verändern sich in Übereinstimmung mit der
Entwicklung der materiellen Produktionsweise. Genauso ist es mit dem Gegenstand, dem Ding
im Prozess der tatsächlichen Formierung, das seine besonderen Bestimmungen hat, es beginnt
sich in den Bestand eines anderen Ganzen einzuordnen, bewegt sich nach den Angaben dieses
Ganzen, entdeckt sich als Erscheinungsform der Wesenheit, und seine vorangegangen
Bestimmtheiten, sein reales Sein tritt nur noch als Moment einer anderen Bewegung auf, die jetzt
für ihn die echte Wesenheit wird.
Deshalb bedeutet die Wesenheit, die Art der Formierung des Gegenstandes zu erkennen, ihn als
Widerspruch zu verstehen, als dialektische Umwandlung des einen in das andere, als die
Selbstentdeckung des Gegenstandes als Erscheinungsform seiner Wesenheit. Darum hat W.I.
Lenin die Dialektik als Entdeckung charakterisiert, als Aufdeckung der widersprüchlichen
Wesenheit des Gegenstandes. „Im eigentlichen Sinne ist die Dialektik“, schrieb er, „das
Erforschen des Widerspruchs in der Wesenheit der Gegenstände selbst: nicht nur die
Erscheinungen sind ineinander übergehend, beweglich, fließend, nur durch bedingte Grenzen
voneinander geteilt, sondern auch die Wesenheiten der Dinge ebenfalls.“ (85) An anderer Stelle
unterstrich W.I. Lenin erneut die Bewegung der Begriffe: „Die menschlichen Begriffe sind nicht
unbeweglich, sondern bewegen sich ewig, gehen ineinander über, fließen ineinander, ohne dieses
spiegeln sie nicht das wirkliche Leben wider.“ (86)
Bekanntlich erwies sich das Begreifen der widersprüchlichen Wesenheit eines Gegenstandes, das
Verstehen des Widerspruchs für die gesamte vormarx’sche Philosophie als eine die Kräfte
übersteigende Aufgabe. Wenn Platon, Aristoteles, Hegel auch die Wesenheit als Methode der
Formierung verstanden, so hatten sie sie dermaßen mystifiziert, dass sie sie als etwas
ursprüngliches, geistiges, als Idee, Form usw. auslegten. Die empirische Philosophie
identifizierte die Wesenheit mit dem vergleichbar Allgemeinen und schloss damit für sich für
immer die Möglichkeit aus, das Gesamte, die Wesenheit, die Formierung des Gegenstands zu
verstehen.
Nur in der materialistischen Dialektik wurde die Frage nach der Wesenheit, nach der Formierung
des Gegenstandes allseitig und tiefgründig untersucht, was, wie schon gesagt, die Verbindung
der materialistischen Weltanschauung mit dem Entwicklungsprinzip bewirkte. Die entscheidende
Bedeutung dieser Verbindung unterstrich W.I. Lenin. „Das allgemeine Entwicklungsprinzip
636
muss man vereinigen, verbinden und in Einklang bringen mit dem allgemeinen Prinzip der
Einheit der Welt, der Natur, der Bewegung, der Materie etc.“(87), schrieb er in seinen
„Philosophischen Heften“.
Somit wird in der materialistischen Dialektik konsequent die objektive Entwicklung, die
Formenbildung der realen Gegenstände der materiellen Wirklichkeit anerkannt, unter Wesenheit
wird eine Stelle des Gegenstandes innerhalb des sich entwickelnden Ganzen, sein realer
Formierungsprozess verstanden. Da die Wesenheit eines Gegenstandes seine Formierung ist, der
Übergang des einen in das andere, so ist der innere Rhythmus einer solchen Wesenheit das
Gesetz von der Einheit der Gegensätze.
Ausgehend vom Wesenheitsverständnis des Gegenstandes als Einheit des vielfältigen, innerlich
gegenseitig verbundenen Ganzen, bezieht die dialektische Logik die Bestimmtheit der Wesenheit
nicht auf irgendeine Seite, sondern charakterisiert die gesamte Einheit der Gegensätze, weil die
Einheit an und für sich nicht existiert, sie ist die Einheit des Vielfältigen. Die Vielfalt ihrerseits
ist die Vielfalt des Einmaligen. Mit anderen Worten, jede Seite existiert insoweit, inwieweit „ihr
anderes“ existiert. Es ist zum Beispiel unmöglich, eine Sache in einer Beziehung als Einmaliges,
in der anderen als Vieles zu verstehen; sie tritt in allen Beziehungen gleichzeitig als Einmaliges
und als Vieles auf. Folglich ist die Wesenheit eines Gegenstandes selbst widersprüchlich, wobei
man diese Widersprüchlichkeit nicht beseitigen kann, ohne die Wesenheit selbst zu beseitigen.
Es ist auch unmöglich, empirisch die Wesenheit hervorzuheben, da sie nicht Eigenschaft
einzelner Dinge ist, sondern Eigenschaft des Ganzen.
Somit kann man die Gesamtheit und die Konkretheit nicht anschaulich darstellen oder auf
irgendeine empirische Bestimmtheit hinführen. Das Konkrete ist folglich eine Form der
Wechselbeziehung der Vielfalt und ihrer Einheit. Also ist das logische Mittel, in dessen Form
sich die Wesenheit widerspiegelt, die Art und Weise der Formierung des Konkreten nicht der
Terminus, nicht die allgemeine Vorstellung, sondern der Begriff, der die Synthese zahlreicher
Definitionen umfasst.
Dabei darf man nicht vergessen, wenn das objektiv Konkrete die Synthese vieler Definitionen
ist, so kann sie nur über die Gegensätze möglich sein, sonst kann man irgendetwas als dem
anderen Gegenüberliegendes nur im Rahmen irgendeiner Ganzheit betrachten. Absolut
unterschiedliche Dinge, die nichts Gemeinsames haben, können nicht gegensätzlich sein, wie
auch absolut gleiche Dinge nicht einheitlich sein und keine innere Ganzheit bilden können. Diese
These illustrierte K. Marx am Beispiel der Beziehungen im Rahmen der kapitalistischen
Warenproduktion: „Wenn das Individuum A das gleiche Bedürfnis wie das Individuum B hätte,
und seine Arbeit im gleichen Gegenstand verdinglicht hätte, wie auch das Individuum B, so
würde es zwischen ihnen keinerlei Beziehung geben; vom Standpunkt der von ihnen zu
realisierenden Produktion wären sie keine unterschiedlichen Individuen. Beide haben das
Bedürfnis zu atmen; für beide existiert die Luft als Atmosphäre; alles das stellt zwischen ihnen
keinen sozialen Kontakt her; als atmende Individuen befinden sie sich zueinander nur als
Naturkörper, nicht aber als Persönlichkeiten. Nur der Unterschied ihrer Bedürfnisse und die
Ungleichheit der durch sie zu verwirklichenden Produktion gibt Anlass zum Austausch und ihrer
sozialen Angleichung aneinander im Austausch; dieser Naturunterschied ist deshalb
Voraussetzung ihrer sozialen Gleichheit im Austauschakt und ist überhaupt Voraussetzung für
jene Beziehungen, in die sie zueinander als produzierende Individuen treten.“ (88)
Wir sehen, K. Marx zeigte hier anschaulich das Wesen des dialektischen Gesetzes der Identität
der Gegensätze, deren Seiten sich einander ergänzen, nicht ohne einander existieren und jede von
ihnen sich unmittelbar in ihrer Gegensätzlichkeit zeigt.
Somit wird in der dialektischen Logik der enge Horizont der abstrakten Betrachtungsweise
überwunden. Alle abstrakten Gegensätzlichkeiten, zum Beispiel das Endliche und das
Unendliche, Ursache und Wirkung, Gut und Böse usw. sind Widersprüche, wobei sie das nicht
über irgendeine äußere Verbindung sind, sondern über die Realisierung des Übergangs des einen
in das andere. Jede Kategorie geht in ihr Gegenteil über, sofern sie sie in sich enthält. Das
Enthaltensein des Positiven im Negativen, die Voraussetzungen im Ergebnis – das ist das
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Wichtige vom Standpunkt der dialektischen Logik aus gesehen. Das Positive und Negative sind
Gegensätze, die selbstständig geworden sind. Jeder von ihnen ist gleichzeitig „sein anderes“. Mit
anderen Worten, das Positive ist positiv und das Negative ist negativ insofern, wie jede Seite in
sich „ihr anderes“ enthält: das Positive hat sein Negatives und das Negative – sein Positives. Nur
der abstrakte Verstand ist fähig, sie außerhalb der oben angeführten Verbindung zu betrachten
und bei der Untersuchung des Positiven vom Negativen, und bei der Betrachtung des Negativen
vom Positiven zu abstrahieren. Die wahre Definition enthält den Gegensatz in der Einheit.
In der objektiven Welt ist der Widerspruch nicht nur existent, sondern er findet auch ständig
seine Lösung. Und nur der ist ein wahrer Dialektiker, der es nicht bei der Anerkennung dieser
Tatsache belässt, sondern der das dialektische Verständnis in seiner Tätigkeit richtig anwendet.
Die Anerkennung der Widersprüche ohne Verständnis ihrer Lösungswege ist keine Dialektik im
eigentlichen Sinne des Wortes. Bis zum Widerspruchsbegriff gelangte auch die eleatische Schule
(insbesondere Zenon). Bis zur Anerkennung unlösbarer Widersprüche, wie bereits erwähnt, kam
auch Kant in seinen Antinomien. Vom Kantschen Niveau aus erarbeitete später auch S.
Kierkegaard mit seinen Schülern eine Konzeption der negativen, antipathischen Dialektik.
Kierkegaard verstand die dialektischen Widersprüche auch nur in Form des Negativen, des
Paradoxen und der Antinomie und hielt sie für unlösbar im vernünftigen Denken, aber die
Dialektik selbst nannte er, ausgehend von seinen falschen Schlussfolgerungen, paradoxe
„Logik“, irrationale Weisheit, die nur die subjektiven Erlebnisse des Menschen und die
metaphysischen Grundlagen der Wissenschaft berührt. Und die moderne bürgerliche Sophistik
geht nicht über die formale Dialektik des Wortes hinaus. Der Nachfolger Kierkegaards, der
französische Existenzialist Merleau-Ponty macht in seiner Arbeit „Abenteuer Dialektik“ einen
erfolglosen, auf reiner Sophistik beruhenden Versuch, die dialektische Lehre zu widerlegen, sie
als falsche dialektische Lehre von der Negation der Negation hinwegzufegen. Die modernen
Neuhegelianer stützen sich auf die antidialektische, mechanistische Konzeption, wenn sie die
dialektischen Widersprüche auf Antagonismen reduzieren, auf die Gegenüberstellung von in
keiner Weise miteinander verbundenen Kräften. Die Unwissenschaftlichkeit und absolute
Unfruchtbarkeit ähnlicher Konzeptionen der bürgerlichen Philosophie zeigt sich mit aller
Deutlichkeit bei ihrer Gegenüberstellung mit den Prinzipien der dialektischen Logik, in der eine
der fundamentalsten Thesen die Anerkennung der Notwendigkeit von objektiven, realen
Widersprüchen im Denken, im theoretischen Erkenntnisprozess der Wirklichkeit ist.
Allein zu unserer Aufgabe gehört es nicht, und wir haben auch nicht vor, hier alle
philosophischen Systeme und Strömungen weder der vorkantischen, noch der nachkantischen
Periode einer kritischen Analyse zu unterziehen, erst recht nicht diejenigen, die nach Hegel und
Marx entstanden. Wir untersuchten am Anfang dieses Buches nur die Grundthesen und nur die
jener philosophischen Richtungen, auf deren Grundlage Kant gewachsen ist, von denen er sich
löste und sein eigenes Denken entwickelte, die er als unzureichend, einseitig, begrenzt kritisierte.
Ihre Analyse brauchten wir dafür, um zu beweisen, dass Kant ein Sohn seiner Zeit blieb, der auf
der Basis bestimmter Muster erzogen war, dem es nicht gelang, sich völlig vom Einfluss des
traditionellen Denkens zu befreien. Und das, obwohl er alle seine Anstrengungen als Philosoph
gerade auf die Überwindung dieses traditionellen Denkens gerichtet hatte.
Aber wir urteilen über historische Persönlichkeiten nicht danach, was sie nicht erreicht haben im
Vergleich mit einem höheren Entwicklungsniveau, hier – in der Philosophie, sondern danach,
was sie neues, fortschrittliches im Vergleich zu ihren Vorgängern eingebracht haben. Und nun,
wenn wir dieses von Marx vorgeschlagene Maß anlegen, sprechen wir auch heute von dem
tatsächlichen Beitrag zum Fortschritt des menschlichen Denkens, den der große Denker aus
Königsberg einbringen konnte. Und er war der erste, der eine Bresche schlug in die
metaphysische Philosophie, und auch der erste, der nach den Denkern des Altertums in der
Neuzeit den nächsten Schritt in Richtung Dialektik gemacht hatte. Es stimmt, die Kantsche
Dialektik ist eine Übergangsform vom metaphysischen Verstand zur echten Dialektik. Sie ist
noch nicht immanent mit dem allgemeinen Prinzip der Entwicklung verbunden, deshalb ist auch
seine Lehre von den Antinomien irgendwo auf halbem Wege zwischen der Verneinung des
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Widerspruchs im Denken und dem konkret-allgemeinen Verständnis des Widerspruchs in der
dialektischen Logik stehen geblieben. Und wie jeder Übergangs- und Mittelform sind ihr auch
die Züge der vorangegangenen und nachfolgenden Entwicklung eigen. Kant konnte sich über die
verstandesmäßige Metaphysik erheben, konnte aber nicht das Prinzip des Widerspruchs positiv
begründen, die Konzeption der Identität der Gegensätze formulieren, den Übergang der
gegensätzlichen Definitionen ineinander nicht beweisen. Seine Dialektik erreichte nur einen
Zustand, den man nur als Verstand, der über die Grenzen des Verstandes hinausgeht, als
Vernunft, die sich noch nicht zu ihren höchsten Formen aufschwingen konnte, bezeichnen kann.
Hegel schätzte in der „Wissenschaft der Logik“ die Kantische Lehre, die Kantische Dialektik so
ein – „vernünftiger Verstand oder verständige Vernunft“. Und wir müssen gestehen, dass der
große Dialektiker in dieser Einschätzung das Wesen der Kantischen Dialektik genau traf.
Als wir die Elemente der Dialektik in der Kantischen Philosophie (und genau dem ist unser Buch
gewidmet) verdeutlichten, wiesen wir jedes Mal, wenn wir über den gewaltigen Geist des
Königsberger Denkers sprachen, auch auf seine Mängel, seine Grenzen und grundsätzliche
Fehler in seiner Lehre hin. Aber wir vergaßen auch nicht, dass, bei allen Unzulänglichkeiten,
Kant für uns dadurch wertvoll ist, dass er das Fundament eines neuen Denkstils gelegt hat, dass
er der Begründer einer gewaltigen Strömung in der Entwicklung der Dialektik war. Deshalb ist
er als einer der größten Vertreter des dialektischen Denkens anerkannt.
_______________________________________________________
1. Kant I. Schriften Bd. 3 S. 341
2. Ebenda S. 341-342
3. Ebenda S. 342
4. Ebenda S. 355
5. Ebenda S. 358
6. Ebenda S. 392
7. Ebenda S. 354
8. Ebenda S. 351
9. Ebenda S. 349-350
10. Ebenda S. 439
11. Siehe: Borodaj, J.M. Einbildungskraft und Erkenntnistheorie. M. 1966. S. 37-38
12. Kant I. Schriften Bd.3 S.322
13. Ebenda S. 323
14. Ebenda S. 524
15. Ebenda S. 188; Bd.4 T.1 S.144
16. Kant I. Schriften Bd.3 S.341
17. Ebenda S. 340
18. Ebenda S. 363-364; Bd.4 T.1 S.151
19. Kant I. Bd. 4 T. 1 S.172-173
20. Ausführliche Begründung der regulativen Anwendung der Ideen siehe: Kant I. Bd. 3 S.
462-468; 534, 571
21. Ebenda S. 348
22. Ebenda Bd. 4 T.1 S.153
23. Ebenda Bd. 3 S. 359
24. Ebenda
25. Ebenda S.367
26. Ebenda
27. Ebenda S. 367-368
28. Lenin W.I. Gesammelte Werke Bd.29 S.83
29. Ebenda S.189
30. Hegel. Aufsätze Bd. 1 S.92
639
31. Borodaj J.M. Einbildungskraft und Erkenntnistheorie S.112
32. Kant I. Schriften Bd. 3 S.359
33. Hegel. Die Wissenschaft der Logik
34. Lenin W.I. Gesammelte Werke Bd. 29 S. 152-153
35. Marx K., Engels F. Aufsätze Bd. 2, S.37-40
36. Ebenda Bd.23 S.21
37. Kant I. Schriften Bd.3 S. 315
38. Ebenda S.316
39. Ebenda S.322
40. Ebenda S.323
41. Ebenda S.321
42. Hegel. Die Wissenschaft der Logik. Moskau 1972.Bd. 3 S.24
43. Schopenhauer verstand nicht die positive Bedeutung der Kantschen Antinomien und
deshalb äußerte er sich darüber nur negativ: „Die ganze Antinomie ist nichts weiter als
ein Kampf mit den Windmühlen“// Schopenhauer. Die Welt als Wille und Vorstellung.
Moskau 1900. Bd. 1 S. 511
44. Schelling drückte seine Begeisterung für Kant - den Autor des Prinzips der Antinomität so aus: „Der alte Parmenides, mit seiner von Platon beschriebenen Klarheit des Geistes,
und der Dialektiker Zenon würden in ihm den ihnen nach dem Geist verwandten Denker
erkennen, wenn es ihnen beschieden gewesen wäre, seine genial formulierten
Antinomien zu sehen, dieses unvergängliche Denkmal des Sieges über den
Dogmatismus, diese ewigen Propyläen der wahren Philosophie“// Schelling. Immanuel
Kant („Zur Geschichte der Erkenntnistheorie“, Samml. 1; „Neue Ideen in der
Philosophie“, Samml. 12). S. 151
45. Iljenkow E.V. Zur Frage der Natur des Denkens. Autorreferat der Dissertation zur
Erlangung des Doktortitels, Moskau 1968, S. 6-7
46. Kant I. Schriften Bd. 3 S. 401
47. Asmus V.F. Die Dialektik Kants. Moskau 1929. S. 120-121
48. Hegel. Die Wissenschaft der Logik. Bd. 1. S. 262-263
49. Hegel. Schriften Bd.11. S. 435
50. Hegel. Die Wissenschaft der Logik. Bd. 1. S.110
51. Kant I. Schriften Bd.3, S.621
52. Ebenda S.622-623
53. Ebenda S.626
54. Ebenda S.629
55. „Die Vernunft kann sich das Weltganze nicht vorstellen, ohne dabei sofort in
Widersprüche zu verfallen“, bemerkt zu Recht V.F. Asmus, „sie kann auch nicht ohne
Widerspruch den Begriff vom moralischen Gesetz zusammen mit dem dazugehörigen
Begriff des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Tugend und Glück vorstellen“//
Asmus V.F. Die Dialektik Kants. Moskau 1929. S.127
56. Hegel. Die Wissenschaft der Logik. Bd.1. S. 314
57. Kant I. Schriften Bd.3. S.404
58. Hegel. Die Wissenschaft der Logik Bd.1.S.264
59. Iljenkow E.V. Zur Frage der Natur des Denkens. Autorreferat der Dissertation zur
Erlangung des Doktortitels der philosophischen Wissenschaften. S.4-5
60. Kant I. Schriften Bd.3, S.456
61. Ebenda
62. Ebenda
63. Ebenda S.457
64. Ebenda S.459
65. Ebenda
66. Ebenda S.460
640
67. Ebenda S.418, 419
68. Ebenda S.484
69. Ebenda
70. Ebenda S.478
71. Ebenda S.487
72. Ebenda S.459
73. Ebenda Bd. 4, T.1 S.301
74. Lenin W.I. Gesammelte Werke. Bd. 29 S.232
75. Ebenda S.233
76. Lenin W.I. Gesammelte Werke. Bd. 29 S.238
77. Ebenda S.229
78. Ebenda S.131
79. Batistschew G.S. Der Widerspruch als Kategorie der dialektischen Logik. Moskau 1963.
S.15
80. Ebenda S.14
81. Lenin W.I. Gesammelte Werke. Bd. 29 S.229
82. „In Kurzform kann man die Dialektik definieren als Lehre von der Einheit der
Gegensätze“, schrieb W.I. Lenin. Ebenda S.203
83. Ebenda S.317
84. Ebenda
85. Ebenda S.227
86. Ebenda S.226
87. Ebenda S.229
88. Marx K., Engels F. Werke Bd.46 T.1.S.189
641
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