DIE LOGISCH-GNOSEOLOGISCHE ANALYSE DER WISSENSCHAFT Erstes Kapitel Die Herausbildung des Tätigkeitsprinzips in der Erforschung der Wissenschaft als Erkenntnisform Die Probleme der Wissenschaft, der wissenschaftlichen Kenntnisse waren bereits vor der Neuzeit Gegenstand der Forschung, obwohl die eigentliche Geschichte der modernen Wissenschaft (Naturwissenschaft), wie F. Engels bemerkte, erst seit dem 16. Jahrhundert begonnen hat. „Die Anfangsgründe der genauen Erforschung der Natur erfuhren eine weitere Entwicklung erstmalig bei den Griechen der alexandrinischen Periode, und danach, im Mittelalter, bei den Arabern. Die gegenwärtige Naturwissenschaft beginnt erst mit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, und seit dieser Zeit verzeichnet sie immer schnellere Fortschritte.“ (1) In den philosophischen Werken von Al-Choresmi, Al-Farabi, Al-Buruni, Ibn-Sina (Avicenna, Anm. d. Ü.), Roger, Bacon, Grosseteste wurden nicht nur einzelne Aspekte der wissenschaftlichen Kenntnis untersucht, sondern auch einzelne Elemente erarbeitet, die Keimzellen der Naturwissenschaft. Zwar war die Wissenschaft für sie nicht ein besonderes, spezifisches Phänomen, das sich vom künstlerisch-ästhetischen und religiösen Bewusstsein unterschied (was für die Neuzeit charakteristisch war), sondern im Wesentlichen ein Bestandteil der Philosophie, der philosophischen Erkenntnis der Welt. In einzelnen Fällen haben sie sich sehr der besonderen, speziellen Erarbeitung der Wissenschaftselemente, der wissenschaftlich-technischen Erkenntnisse genähert. In diesem Zusammenhang dient als glänzendes Beispiel die Mathematik von Al-Choresmi, die Astronomie und Mathematik von Al-Farabi, die Medizin von Ibn-Sina u.a. Allerdings waren sie noch keine Fachwissenschaftler im modernen Sinne dieses Wortes, sondern waren Philosophen, Weise, die gleichzeitig wichtige Probleme der Mathematik, der Astronomie, der Medizin, der Sprachwissenschaften usw. erarbeiteten; genauer, sie waren philosophierende Mathematiker, Astronomen Mediziner usw. Da sie noch nicht in vollem Maße an die Erarbeitung neuer Methoden, neuer Prinzipien, die der modernen Naturwissenschaft eigen sind, herangehen konnten, erforschten sie den Gegenstand auf traditionelle philosophische Art, die bekannter Weise von den neuen Ideologen in Person von Descartes, F. Bacon, Galilei und anderen heftig kritisiert wurde. Trotzdem muss man dabei hervorheben, als die sozial-kulturellen Bedingungen für die Entstehung der Wissenschaft, für ihre reale Trennung und Abnabelung von der Philosophie gegeben waren, spielten die mathematischen, astronomischen, medizinischen und andere Ideen von Al-Farabi, Al-choresmi, Ibn-Sina, R. Bacon u.a. zweifellos eine positive Rolle in der Herausbildung der Wissenschaft. Keinem Zweifel unterliegt der Umstand, dass gleichzeitig mit der euklidischen Geometrie, der wissenschaftlichen Konzeption von Archimedes, die naturwissenschaftlichen Ideen Al-Choresmis, Al-Farabis, Ibn-Sinas u.a. als wichtige Ideenvoraussetzung für die sich entwickelnde Wissenschaft (Naturwissenschaft) dienten. Eine wichtige Etappe in der Entwicklung der Naturwissenschaften der Neuzeit sind die theoretischen Arbeiten von R. Bacon, Grosseteste u.a. Sie erarbeiteten tiefgründig nicht nur die einen oder anderen Zweige der Naturwissenschaft (Mathematik, Physik usw.) im Rahmen der Philosophie, sondern auch neue Methoden, Ideen und Prinzipien, die nachfolgend den sich entwickelnden Naturwissenschaften zu Grunde lagen. So begründete z.B. R. Bacon die Bedeutung des Experiments, der experimentellen Methode der Naturforschung. Große Bedeutung hat auch seine Klassifizierung der Wissenschaften, in der er besonders die Rolle der Mathematik als Muster der wissenschaftlichen Erkenntnis der Natur herausstellt. Bei alledem muss man bedenken, dass der von Religion durchdrungene mittelalterliche Typ der 504 Weltanschauung die Entwicklungsebene der Erkenntnistätigkeit seiner Zeit bedingte und bestimmte. In diesem kultur-historischen „Koordinatensystem“ hatte die Erforschung der Naturerscheinungen keinen Wert als solchen, sondern allein als Mittel des Begreifens von Gottes Wille und Vernunft, sowie als Weg zu seiner Selbsterkenntnis. Erst seit der Neuzeit beginnt die Verkündung der Natur als autonome, sich selbst genügende Substanz, und das bedeutete, dass die Naturwelt eine gewisse Autonomie im Verhältnis zum geistigen Anfang, Gott, erlangte; d.h. die Natur verwandelt sich in ein Objekt, und das führt dazu, dass in den Augen der Theoretiker, der Naturforscher und Philosophen der Neuzeit die Naturrealität sowohl von Gott, als auch vom Menschen unabhängig wird. Ein solches Verständnis der Naturgesamtheit bedeutet ihr Verständnis als sich selbst genügende Substanz. Wenn im Mittelalter die Erkenntnis der Natur als „sekundäres“ Verfahren zum Begreifen von Gottes Werk auftrat, so wird in der Neuzeit bereits die Aufgabe gestellt, die Natur an und für sich zu erforschen mit dem Ziel, die Welt durch den Menschen aktiv umzugestalten. Und die Wissenschaft verwandelt sich in eine unmittelbare Kraft (F. Bacon) bei der Umgestaltung der Welt. Die „Verflüchtigung“ der übernatürlichen Wesenheiten aus der Naturwelt oder die „Entzauberung der Welt“ (M. Weber) bedingte jenen Fakt, dass in der Neuzeit die Idee Gottes aufhört, eine wesentliche Rolle im neuen „Weltmodell“ zu spielen und in den Hintergrund tritt. „Die menschliche Vernunft wird vom Druck der religiösen Moral befreit, weil er nicht Gott erkennt, sondern die objektive (nichtgeistige) Welt, in der keine Spur von irgendwelchen moralischen Wesenheiten ist.“ (2) Das neue weltanschauliche „Weltmodell“, das von den Theoretikern der klassischen Naturwissenschaft, von N. Kopernikus (1473-1543) bis hin zu G. Galilei (1564-1642) geschaffen wird, führte zu einer Revolution in der Erkenntniskultur und zur Entstehung der Wissenschaft. Beginnend mit der Neuzeit wurde der religiöse Glaube, wie Husserl bemerkte, „immer mehr und mehr zu einer rein äußerlichen Bedingung, an seiner Stelle erfasste der neue Glaube die gesamte intellektuelle Menschheit und hob sie auf eine höhere Stufe empor. Das war der Glaube an die Philosophie, Glaube an die Wissenschaft, Glaube an ihre vollständige Autonomie. Seit diesem Moment sollten die wissenschaftlichen Ansichten über die gesamte menschliche Kultur herrschen, Meilensteine ihrer Orientierung werden, die den gesamten weiteren Weg der Entwicklung ausleuchtete.“ (3) „Die Erkenntnis – das ist die Wahrheit der Epoche“ (4) der Herausbildung der bürgerlichen gesellschaftlichen Beziehungen. Dabei muss man berücksichtigen, dass das Werden einer neuen naturwissenschaftlichen Weltanschauung eine „neue Naturwissenschaft, teilweise als ihr Erkenntnisregulativ, teilweise als Ableitung aus seinen positiven wissenschaftlichen Eroberungen“ begleitet wurde. Damit die positiven wissenschaftlichen Eroberungen der klassischen Naturwissenschaft bereits als Erkenntnisregulative einer Erkenntnistätigkeitsentfaltung gelten konnten, machte sich eine „metaphysische“, d.h. philosophische Sanktionierung erforderlich. Diese philosophische Sanktionierung erhält die klassische Naturwissenschaft in den Werken der Philosopheninnovatoren der Neuzeit, in erster Linie F. Bacon (1561-1626) und R. Descartes (1596-1650), deren Philosophie nichts anderes war, als die philosophische Reflexion über die klassische Naturwissenschaft ihrer Zeit. Und sie selbst traten als Ideologen, Propagandisten der Naturwissenschaft auf, die als besonderes geistiges Phänomen entstand, sich aus der Philosophie formierte und abtrennte, ihre besondere Methode, besondere Prinzipien und Orientierungen erarbeitete. Descartes und Bacon hatten es, wie bekannt, nicht mit Elementen einer zukünftigen Wissenschaft, wie das früher war, zu tun, sondern sie untersuchten bereits ein solches reales sozial-geistiges Phänomen, das selbständig existiert und sich nach seiner Erkenntnismethode prinzipiell von der traditionellen Philosophie und Logik unterscheidet. Dabei durchdachten sie nicht nur die Logik der sich entwickelnden Naturwissenschaft, sondern waren ebenfalls entschlossene Propagandisten ihrer Methoden und Erkenntnisprinzipien. Sie stellten sich prinzipiell auf die Seite der wissenschaftlichen Erkenntnis und kritisierten die traditionelle 505 Philosophie, die scholastische Forschungsmethode. Sie verhielten sich negativ zur gesamten vorangegangenen Philosophie, besonders zu den philosophischen und theoretischen Ideen Platons und Aristoteles, begründeten die Unhaltbarkeit der Beweismethode des traditionellen Syllogismus, riefen die Philosophen und Wissenschaftler auf, sich auf die Fakten und die Naturgesetzmäßigkeiten zu beziehen. Die Hauptaufgabe der Wissenschaft, der wissenschaftlichen Erkenntnis sahen sie in der Untersuchung der Natur, in einer sorgfältigen Analyse des Forschungsgegenstandes und der Verallgemeinerung, der Erklärung der Fakten. So empfahl Descartes „niemals das als die Wahrheit anzunehmen, dass ich selbst nicht als solches mit Offensichtlichkeit erkannt habe, ansonsten sorgfältig Übereilung und Voreingenommenheit zu vermeiden“, „jede von mir zu erforschende Schwierigkeit in so viele Teile einzuteilen, wie es für ihre beste Überwindung möglich und nötig ist“.... „sich an eine bestimmte Ordnung des Denkens halten, angefangen mit den einfachsten und am leichtesten erkennbaren Gegenständen und stufenweise zur Erkenntnis des Kompliziertesten aufsteigend“, „immer so vollständige Listen und allgemeine Überblicke aufstellen, dass man sicher ist, nichts ausgelassen zu haben.“ (6) Im Laufe der Fundierung der wissenschaftlichen Kenntnisse achtete Descartes auf die produktive Bedeutung der mathematischen und deduktiven Methode. Der Hauptmangel der vorangegangenen Philosophie und Wissenschaft war, seiner Meinung nach, das Fehlen feststehender, unbedingt wahrhafter Anfänge. Viele Prinzipien und Thesen, mit denen die vorherige Philosophie begann und auf die sie sich beim Bau des Wissenschaftsgebäudes stützte, waren nicht unbedingt glaubhaft. „Aber keine einzige Schlussfolgerung“, schrieb Descartes, „die aus einem nichtoffensichtlichen Anfang abgeleitet wurde, kann offensichtlich sein, auch wenn diese Schlussfolgerung von da auf offensichtlichste Weise abgeleitet wurde. Daraus folgt, dass nicht eine Schlussfolgerung, die auf solchen Anfängen begründet wurde, nicht zu einer glaubhaften Anerkennung von irgendetwas führen konnte, und dass sie uns folglich keinen Schritt bei der Suche nach Weisheit weiterbringt.“(7) Descartes maß besondere Bedeutung der Klarheit und Plausibilität der ursprünglichen Grundlage der Wissenschaft, der wissenschaftlichen Erkenntnis bei. Die wirklichen Grundlagen des Wissens müssen seiner Meinung nach unmittelbare Kenntnisse sein, und ihrem Charakter nach nicht wahrscheinliche, sondern unbedingt Wahre. Solche glaubhaften Kenntnisse sind ausreichend für den Beweis vieler Dinge. Jegliche Abweichung der Wissenschaft von der Wirklichkeit geschieht doch wegen Fehlens solcher wahrhaften Kenntnisse. Als Ideal der Wissenschaft stellte er die Arithmetik und die Geometrie in den Vordergrund, deren Bedeutung darin besteht, dass alles in ihnen aus einfachen und klaren Prinzipien abgeleitet wird. Alle Wissenschaften, darunter auch die Philosophie, können ihren Thesen den Charakter der Allgemeingültigkeit verleihen, wenn sie den Methoden dieser Wissenschaften folgen. Wie Spinoza genau bemerkte, nahm Descartes an, dass „wenn er nur klar und deutlich einfache Ideen aufnehmen könnte, so würde er zweifellos genauso klar und deutlich alle anderen verstehen, die sich aus diesen einfachen zusammensetzen.“ (8) Descartes war zutiefst davon überzeugt, dass jegliches Wissen, das nicht auf solchen Prinzipien und Anfängen beruht, nur wahrscheinlich und nicht wirklich ist. Die Kenntnisse haben nur deshalb irgendeinen Wert, wenn sie sich auf unmittelbar offensichtliche Prinzipien und Thesen stützen, die uns unbedingt zu den wahren Zielen führen. Wer sich in den Grundlagen der Wissenschaft falscher Prinzipien bedient, der gleicht einem Weggenossen, der sich immer weiter vom Ziel entfernt. Der Philosoph maß seinem Ausgangsprinzip, den Ausgangs“anfängen“ der Erkenntnis und Kenntnis sehr große Bedeutung bei. Und, unterstreicht er, müssen diese Ausgangsanfänge des menschlichen Wissens erstens so klar und offensichtlich sein, dass der menschliche Intellekt bei aufmerksamer Betrachtung nicht an ihrer Wahrhaftigkeit zweifelt; zweitens die Erkenntnis alles Übrigen muss von ihnen so abhängen, dass, obwohl die Anfänge auch durch Erkenntnisse anderer Dinge erkannt sein können, aber andererseits, diese letzteren nicht erkannt sein könnten ohne die Kenntnis der Anfänge.“(9) Also treten die Anfänge oder die Begründungen der 506 Erkenntnis bei Descartes auf als: erstens „überaus klare“, und zweitens als solche, dass man aus ihnen „alles andere ableiten kann“.(10) Das Descartes’sche Verständnis vom Ausgangsprinzip der Natur wissenschaftlicher Kenntnisse spielte eine große Rolle in der neuen Philosophie, es wurde ernsthaft in der Philosophie vieler Rationalisten weiterentwickelt. In der Lehre von Descartes wird die Ausgangsgrundlage der Wissenschaft vor allem als eine unbedingt wahrheitsgemäße, absolut nicht ableitbare und offensichtliche These der Wissenschaft ausgelegt. Wenn der Anfang ableitbar wäre, so wäre er nicht unbedingt einfach und offensichtlich, weil in diesem Falle ein anderer Anfang existierte, der noch primärer wäre. Deshalb müssen die Anfänge der Wissenschaft wirklich primär sein. Aus diesem Grunde hielt Descartes die intuitive Methode der Erkenntnis für glaubhafter, als die deduktive, da durch Intuition unmittelbar die einfachen und klaren Prinzipien der Natur wahrgenommen und betrachtet werden. Das Ergebnis der Intuition charakterisierte Descartes als ein von dem hellen Licht der Vernunft erzeugter „Begriff des klaren und wachen Geistes, so einfach und deutlich, dass er keinerlei Zweifel daran lässt, dass wir denken.“(11) Die große Bedeutung der Intuition sah er darin, dass die Prinzipien und Grundlagen der Wissenschaft nur durch die Intuition erkannt werden, und die unmittelbar aus ihnen ableitbaren Thesen und Folgen können sowohl durch Intuition, als auch durch Deduktion erkannt werden. „Thesen, die unmittelbar aus dem ersten Prinzip abgeleitet werden, kann man sagen, werden sowohl auf intuitivem, als auch auf deduktivem Wege je nach Untersuchungsmethode erkannt, die Prinzipien selbst – nur auf intuitivem Wege, und umgekehrt, einzelne ihrer Folgen – nur auf deduktivem Wege.“(12) Während die Wichtigkeit der Intuition vom Philosophen als Erkenntnisnotwendigkeit des Ausgangsprinzips der Wissenschaft bestimmt wird, erklärt er die Notwendigkeit der Deduktion damit, dass es „viele Dinge gibt, die zwar nicht offensichtlich sind, aber der glaubhaften Erkenntnis zugänglich, wenn sie nur aus richtigen und verständlichen Prinzipien, durch konsequente und nirgendwo unterbrochene Bewegung des Gedankens bei scharfer Intuition jeder einzelnen These abgeleitet werden.“(13) Die Hauptaufgabe der Wissenschaft sieht Descartes darin, sich vom Relativen abzuwenden und zum Absoluten hin zu bewegen, aus dem dann folglich alle Thesen der Wissenschaften abzuleiten sind. Er war der Meinung, dass es nur sehr wenige solcher absoluten, klaren und deutlichen Begriffe in der Wissenschaft und Philosophie gibt. Selbst in der Mathematik halten viele Thesen einer strengen Kritik nicht stand. Deshalb ist es notwendig, sie sehr sorgfältig auseinander zu halten. Es sind die einfachsten in jeder Reihe. „Alle weiteren können wir nicht anders erkennen“, schrieb Descartes, „als durch ihre Ableitung aus diesen Dingen unmittelbar und direkt, oder über zwei bis drei verschiedene Rückschlüsse ..., deren Zahl man ebenfalls festhalten sollte, um zu wissen, um wie viele Stufen sie von der ersten einfachsten These zurückstehen.“(14) Descartes unterstrich ebenfalls die Notwendigkeit, die Ausgangsprinzipien der Wissenschaften durch eine tiefgründig durchdachte Methode zu erschließen. „Unter Methode“, schrieb er, „verstehe ich genaue und einfache Regeln, deren strenge Einhaltung immer die Annahme des Falschen als das Richtige verhindert und, ohne überflüssige geistige Kraftverschwendung, die Kenntnisse allmählich und konsequent verbessert, und dazu beiträgt, dass der Verstand die wahre Erkenntnis all dessen erlangt, was er erkennen kann.“ (15) Eine wichtige Bedingung des vollkommenen Wissens ist seiner Meinung nach die theoretische Methode, die hilft, die Intuition und Deduktion richtig zu nutzen. In der Erkenntnis ist die Methode ebenfalls wichtig, wie der Faden von Theseus für den, der ins Labyrinth eindringen will. Deshalb sollte man, ohne eine Methode zu haben, sich lieber ganz von der Forschung fernhalten, weil der Mensch, der die Methode nicht achtet, dem gleicht, der „mit einem Sprung versucht, von der Erde auf das Dach eines Gebäudes zu gelangen, indem er die Treppenstufen missachtet, die zu diesem Zwecke vorgesehen sind.“ (16) Denn die Wahrheit ist vorher nicht gegeben, man muss sie erst ergründen, und zwar mit Hilfe einer Methode, eines Werkzeugs, dessen sich „jeder.....bedienen kann, dessen Verstand es erlaubt“.(17) 507 Die Hauptaufgabe der Methode, so Descartes, besteht in der Erschließung des einfachen, absoluten Prinzips der Wissenschaft. Man kann annehmen, dass die Methode streng eingehalten wird, wenn dunkle und verwischte wissenschaftliche Thesen zu einfachen und klaren geführt werden, und danach mit Hilfe der Intuition der Versuch gemacht wird, auf jenen Stufen zur Erkenntnis aller anderen emporzusteigen. Er schrieb, dass man „ mit den einfachsten und leichtesten Dingen beginnen muss und niemals zu den nächsten übergehen darf, solange nicht klar ist, dass man aus ihnen nicht noch mehr herausholen kann.“(18) Den Vorzug der mathematischen Wissenschaft sieht der Philosoph darin, dass in ihr die theoretische Methode lange Zeit und willkürlich angewendet wurde. Descartes war überzeugt, dass die Methode die ihr zustehende Entwicklung in allen Wissenschaften erhalten wird, auch in der Philosophie. Er maß der Entdeckung des unbedingt Glaubhaften in der philosophischen Wissenschaft große Bedeutung bei, die in sich die ersten Anfänge der menschlichen Vernunft enthält und ihre Aufgaben auf die Wahrheitssuche in allen Dingen ausbreiten muss, die allen anderen Kenntnissen, die den Menschen zur Verfügung stehen, vorzuziehen ist, weil sie die Quelle aller dieser Kenntnisse ist.“(19) Während Descartes die wissenschaftlich-theoretischen Kenntnisse für die Existenz der Wissenschaft, die Intuition, die aus den Tiefen der Mathematik stammende deduktive Methode zur Bedingung machte, erarbeitete F. Bacon (den K. Marx als den wahrhaften Begründer der modernen Wissenschaft und der experimentellen Naturwissenschaft bezeichnete) (20) als Grundlage der Wissenschaft die induktive Methode, das Experiment, Erfahrungserkenntnis und die wissenschaftliche Abstraktion. Laut Bacon ist die wissenschaftliche Erkenntnis der Natur nur auf der Grundlage des Versuchs möglich, der experimentellen Forschungsmethode. Deshalb unterzog er die scholastische Forschungsmethode einer vernichtenden Kritik, die in ihren Überlegungen von allgemeinen Ideen ausging, aus unbegründeten Thesen, von weit entfernten Abstraktionen, und trug zur Erarbeitung nichtadäquater theoretischer Schlussfolgerungen bei. F. Bacon geht bewusst von der Kritik und Nichtannahme der mittelalterlichen Erkenntnislage aus und meint, dass man das (zu Beginn des 17.Jh.) vorhandene, auf dem Prinzip der Autorität begründete Wissen mit einem „Koloss ohne Fundament“ vergleichen kann. Da die mittelalterliche Erkenntniskultur mit ihrem Autoritätsprinzip des Wissens dem Verulamier (und nicht nur vor ihm allein) vor Augen steht als Wissen, das „praktisch unfruchtbar ist, voll ungelöster Fragen; in seinem Wachstum langsam und schlaff, eifrig bemüht die Vollkommenheit im Ganzen zu beweisen, aber schlecht bestückt im Einzelnen; dem Inhalt nach diensteifrig nach der Gunst der Menge trachtend und zweifelhaft für die Autoren selbst, und deshalb Beweiskraft in allen möglichen raffinierte Kniffen sucht “.(21) Erst in solchem Kontext bekommt der Versuch Bacons, das Fundament der neuen Philosophie zu erstellen, seinen wahren Sinn, deren Ziel darin besteht, „die Vernunft adäquat zu den materiellen Dingen zu machen“ (22), und zur Erfüllung dieses Ziels „die einzige Rettung ist, dass die gesamte Arbeit der Vernunft von vorne begonnen wird.“(23) Wie wir sehen, erkannte der englische Denker als einer der ersten die Notwendigkeit der Reformation der Vernunft mit dem Ziel, sie der Natur anzupassen, d. h. die Vernunft den materiellen Dingen adäquat zu machen. Er schlug dafür die kritisch-reflexive Methode der Vernunftentwicklung vor, die als „Vernunftsreinigung “ von verschiedenartigen Idolen und Gespenstern zu verstehen ist. Damit die „Vernunft fähig zur Wahrheit sein kann“, meint Bacon, ist es notwendig, „drei Entlarvungen“ durchzuführen: die Entlarvung der herrschenden (d.h. der mittelalterlichen) Philosophie, die Entlarvung der damaligen Beweismethoden (mittelalterliche scholastische Syllogismen), und schließlich die Entlarvung der dem Menschen angeborenen Vernunft. Die unter diesen Bedingungen herrschende theozentrische Erkenntniseinstellung sah die Hauptquelle der Kenntnisse in den Texten (sei es die Heilige Schrift oder der kanonisierte Aristoteles) (24). Und für die Erkenntnis der „Welt der Objekte“, der objektiven Erkenntnis der Natur war die scholastische Erkenntniseinstellung mittelalterlicher Denkweise nicht nur nicht geeignet, sondern mehr noch, sie behinderte die Problemstellung der Erkenntnis einer sich selbst genügenden Natur. 508 Wir werden uns nicht bei der Lehre F. Bacons von den Idolen (25) aufhalten. Aber es soll bemerkt werden, dass der Verulamier seine Sicherheit darüber zum Ausdruck bringt, dass sie unbedingt durch „einen harten und feierlichen Entschluss“ (26) über Bord geworfen werden muss. Für ihn besteht die Aufgabe die Welt zu erkennen nicht im Verkünden reihenweiser Vorschläge über die Welt, sondern in der Betrachtung und Erschließung der Natur dieser echten Welt. F. Bacon war ein Ideologe der experimentellen Naturwissenschaft; für ihn ist der Begriff Versuch nicht eine Probe oder Prüfung, sondern eine Art, „der Natur zu gehorchen“.(27) Und die höchste Kunst „der Erkenntnis besteht auch darin, dass man es lernt, auf dem Standpunkt des neuen Absoluten – der Natur – zu stehen“. (28) Bacon hat mehrfach unterstrichen, dass die Wissenschaft nicht Selbstzweck sein und nicht allein die Lust zu entdecken befriedigen sollte, sondern ihre Hauptaufgabe ist die Befriedigung der Bedürfnisse und die Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen, d.h. die Wissenschaft soll über ihre Erfindungen der Menschheit Nutzen bringen. F. Bacon bemühte sich, die abstrakte Gegenüberstellung der spekulativ-theoretischen und der handwerklich-technischen Tätigkeit zu überwinden, die in der traditionellen Philosophie existierte, und der Entwicklung des wissenschaftlich-technischen Wissens im Wege stand. (29) In dieser Beziehung machte der Begründer des Materialismus und der gesamten experimentellen Wissenschaft der Neuzeit einen großen Schritt nach vorn, er übte einen entscheidenden Einfluss auf den Denkstil seiner Epoche aus. Der Verulamier unterzog die spekulativ-theoretische Tätigkeit einer scharfen Kritik und rief die Forscher auf, sich mit konkreten empirischen Fragen zu beschäftigen und nützliche Empfehlungen zu geben. Die Problemstellung an sich ging bereits weit über die Grenzen der traditionellen scholastischen Betrachtungsweise eines Gegenstandes hinaus. Zum Beispiel bestand er auf der Untersuchung solcher konkreter Fragen wie der Verlängerung des Lebens, Verjüngung bis zu einem gewissen Grade, verlangsamter Eintritt des Alters usw. Dabei brachte er mehrfach sein Bedauern zum Ausdruck, dass frühere Philosophen und untätige Forscher solchen wichtigen Fragen keine Aufmerksamkeit geschenkt haben. In der Naturtheorie entwickelte Bacon sogar Rezepte, wie Gold gemacht werden kann. „Die Umwandlung von Silber oder Quecksilber oder irgendeines anderen Metalls in Gold“, schrieb er, „ist eine Sache, die schwer zu glauben ist; jedoch bedeutend wahrscheinlicher ist es, dass jener, der die Natur der Schwere, der gelben Farbe, der Schmiedbarkeit und Dehnbarkeit, des Unbeweglichen und Veränderlichen erkennt und tiefgründig studiert, wer sorgfältig die Bestandteile und Lösungsmittel der Minerale erforscht, nach langen, große Anstrengungen und Findigkeit erfordernden Experimenten schließlich Gold erschaffen kann, als der, der hofft, in einigen Minuten andere Metalle mit Hilfe einiger Tropfen eines wundersamen Elixiers, das die Natur vervollkommnen und sie von allen Einschränkungen befreien soll, in Gold zu verwandeln.“(30) All das zeugt davon, dass der Philosoph besonderen Wert auf die praktischen, konkreten Dinge legt. Diese Seite der Baconschen Philosophie berührend, schreibt Hegel: „Das ist die Betrachtung des Vorhandenen, die Hervorhebung dieses Vorhandenen und seine Verteidigung kraft dessen, was es ist. Er schaut also auf das Existierende mit offenen Augen nimmt es zur Kenntnis als das Allerwichtigste und schätzt es, erkennt diese seine Kontemplation vollständig an. Hier wird das Vertrauen der Vernunft zu sich selbst und der Natur geweckt.“ (31) Das wichtigste Verdienst Bacons vor der sich entwickelnden Wissenschaft ist, dass er entschlossen die Rolle der Versuche, der Experimente in der wissenschaftlichen Erkenntnis verteidigte. Dabei sprach der Philosoph nicht einfach über die Wichtigkeit der sinnlichen Erkenntnis, sondern bewies die produktive Bedeutung des zielgerichteten, organisierten Versuchs, des Experiments, das er als Wegweiser in der Erkenntnistätigkeit betrachtete. An dieser Stelle ist folgender Gedanke von ihm interessant: „Die Natur der Dinge lässt sich im Zustand einer künstlichen Knappheit besser erkennen, als in der natürlichen Freiheit.“ Der Verulamier maß besondere Bedeutung jenen Versuchen bei, die die Gründe für die Verbindung zwischen den Erscheinungen aufdecken. Er unterschied die Licht bringenden 509 Versuche, die neue Ergebnisse bringen sollten, von den fruchtbringenden Versuchen, die gewöhnlich praktischen Nutzen bringen. In der wissenschaftlichen Forschung ist seiner Meinung nach das Wichtigste, die Daten des Versuchs, die experimentellen Fakten, die es dem Forscher gestatten, in das Wesen der zu erforschenden Erscheinungen einzudringen, richtig analysieren zu können. In seiner Philosophie erarbeitet Bacon auch eine neue wissenschaftliche Methode, die es ihm erlaubte, seine Aufmerksamkeit auf empirische Fakten, auf einmalige und besondere Erscheinungen zu richten. Indem er die syllogistische Schlussfolgerung, ihre Verbindung mit der scholastischen Erkenntnismethode kritisierte, begründete der Philosoph die große Bedeutung der induktiven Methode, nach der die Bewegung in der Erkenntnis vom einzelnen zum Allgemeinen verläuft. Dabei beschrieb er nicht nur das Schema seiner wissenschaftlichen Induktion, sondern versuchte auch die Möglichkeit zu beweisen, glaubhaftes Wissen über die Natur durch die Methode der Analogie und Elimination zu erlangen. In der Geschichte der Wissenschaft hatte das Werk Bacons „Der große Wiederaufbau der Wissenschaften“, in dem er eine systematische Enzyklopädie der Wissenschaften, eine große Bedeutung. Seiner Einteilung legte der Philosoph solche geistige Eigenschaften, wie Gedächtnis, Phantasie und Vernunft zu Grunde. Die Klassifizierung der Wissenschaften ist ein ziemlich wichtiger Teil seines Werks. Darin wurde erstmalig in der Geschichte ein geordnetes Bild des Ganzen erfasst. Es wurde positiv eingeschätzt, weil es sich kritisch zur scholastischen Methode der Erscheinungsbetrachtung verhielt, in der der Verstand, nach einem treffenden Ausdruck von Hegel, „ein Netz scholastisch-aristotelischer Begriffe spann und sie als Realität ausgab.“ Deshalb übte gerade die Baconsche Klassifikation der Wissenschaften einen wesentlichen Einfluss auf die nachfolgende Entwicklung der Philosophie und der Wissenschaften aus. In der theoretischen Sinngebung der Wissenschaft, der wissenschaftlichen Kenntnisse wurde ein neuer Schritt mit der Philosophie von Kant vollbracht. Während Descartes und Bacon in der Erforschung der Wissenschaft, der wissenschaftlichen Methode ihr Hauptaugenmerk auf Erarbeitung und Begründung einer neuen Erkenntnismethode richteten, machte Kant den produktiven Versuch, die Natur der Wissenschaft als solche zu versinnbildlichen, die Möglichkeit des wissenschaftlichen Urteilens darzustellen, die Gesamtbedingungen der Herausbildung von wissenschaftlich-theoretischen Erkenntnissen zu erschließen. In Kants Philosophie zeigte sich deutlich die Orientierung „auf eine neue Wissenschaft – die mechanische Naturwissenschaft“, und diese Orientierung zeigt sich darin, dass „die Existenz der Objekte an sich von dem großen deutschen Denker anerkannt wird und dass er davon ausgeht, dass man sie nicht erkennen kann, bevor man sie nicht methodologisch so untersucht hat, als ob sie Mechanismen (Maschinen) und Geschöpfe eines freien und zielgerichteten Geistes wären. Aber dabei muss der Philosoph, der die Bedingungen des theoretischen Wissens erforscht, immer daran denken, dass dieses „als ob“ nur ein methodologisches Verfahren ist, dass die Welt an und für sich existiert, unabhängig davon, ob sie erkannt wird oder nicht.“ (32) In seiner Philosophie und Logik unterschied Kant genau zwischen wissenschaftlichen Kenntnissen (Wissenschaft) und künstlerisch-ästhetischen, religiösen und philosophischen Kenntnissen. Seiner Meinung nach sind die wissenschaftlichen Kenntnisse vor allem schöpferisches, synthetisches Wissen, das gleichzeitig allgemeine und notwendige Bedeutung hat. Es ist auch das Wissen vom Objekt, von der Natur, die, nach Definition von Kant, die Gesamtheit der Erfahrung darstellt. Nach Kant unterscheidet sich das Objekt von der objektiven Realität, von den „Dingen an sich“. Während die objektive Realität an und für sich existiert, unabhängig vom Subjekt (Bewusstsein), so existiert das Objekt, die Natur nicht an und für sich, sondern ist durch das Subjekt bedingt, formiert sich durch eine primäre Einheit des Selbstbewusstseins. Mit anderen Worten, inwieweit die objektive Realität, die „Dinge an sich“ unabhängig vom Subjekt existieren, insoweit ist das Bewusstsein, der Verstand nicht im Recht, seine Gesetze (Kategorien) der objektiven Realität zuzuschreiben. Bezüglich dessen, was das „Ding an sich“ sein soll, kann der Verstand uns so wenig lehren, wie auch die Sinnlichkeit. Und genau so, wie wir nicht das Recht haben zu 510 behaupten, dass sich die Dinge in Raum und Zeit befinden, haben wir nicht das Recht zu sagen, dass die „Dinge an sich“ eine Größe haben, dass sie Substanz sind, dass sie sich im Verhältnis Ursache und Wirkung befinden usw. Nach Meinung Kants hat es die Wissenschaft in Wirklichkeit nur mit einem Objekt zu tun (mit der Natur und den Erscheinungen), dessen Möglichkeit durch Betrachtungsform und Denkform bestimmt wird. Von daher ist es selbstverständlich, dass nicht die Begriffe aus der Erfahrung übernommen werden, sondern die Möglichkeit der Erfahrung durch die Kategorien des Verstandes bedingt sind. Die Denkkategorien werden auf die Gegenstände übertragen, d.h. sie haben das Recht auf objektive Bedeutung, weil sie eigentlich selbst die Erfahrung und die Erkenntnisgegenstände schaffen. Den „Gegenstand“ erklärt Kant nur als Erkenntnisgegenstand, im Unterschied zum „Ding an sich“. Diese These ist die Schlussfolgerung aus der komplizierten Kantischen Deduktion. Ausgangspunkt der Deduktion Kants ist jene allgemeine Tatsache, dass eine vielfältige Betrachtungsweise, wie sie uns unmittelbar gegeben ist, immer einen inneren Zusammenhang darstellt. Die Vereinigung der Vielfalt überhaupt kann niemals in reiner Form sinnlicher anschaulicher Vorstellung bestehen. Sie muss auf die Erfahrung des Verstandes zurückgeführt werden (egal, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht, ob das die Vereinigung der Vielfalt in anschaulicher Vorstellung oder in irgendwelchen anderen Begriffen sein wird oder nicht), den wir allgemein als „Synthese“ bezeichnen, um damit auch zu unterstreichen, dass wir uns nichts verbundenes im Objekt vorstellen können, das wir vorher selbst nicht verbunden haben; unter allen Vorstellungen ist die Verbindung das einzige, das nicht vom Objekt gegeben ist, sondern nur vom Subjekt selbst geschaffen wurde, und gerade das ist der Akt seiner Selbstständigkeit.“ (33) Der Philosoph ist davon überzeugt, dass, wenn unsere Erkenntnis die Erkenntnis der objektiven Realität wäre, der „Dinge an sich“, so wäre eine theoretische Begründung der Existenz wissenschaftlicher Urteilskraft nicht möglich, d.h. des synthetischen und schöpferischen Wissens, dessen allgemeine Bedingung die Existenz logischer „a priori“Kategorien ist, unter die, gewissermaßen, die sinnliche Vielfalt fällt. Also entsteht die Frage: Die Kategorien sind nach ihrer Herkunft subjektive Formen (sie sind im Verstand angelegt), aber inwieweit haben sie objektive Bedeutung, d.h. wie können sie die Gegenstände der objektiven Realität synthetisieren, wie ihnen Gesetze zuordnen? Auf diese Frage gibt Kant eine klare Antwort, und zwar: Unsere wissenschaftliche Erkenntnis hat nichts mit den „Dingen an sich“ zu tun, sondern mit Erscheinungen, mit dem Objekt, der Natur, die von Anfang an durch das Subjekt, durch eine ursprüngliche Einheit des Selbstbewusstseins bedingt sind. Mit anderen Worten, der Verstand schreibt seine Gesetze nicht der objektiven Realität zu, sondern dem Objekt, das sich schon früher durch die ursprüngliche Einheit des Selbstbewusstseins herausgebildet hatte. Kant schrieb: „Das Objekt ist das, in dessen Verständnis das Vielfältige, Erfassbare durch die gegebene Betrachtungsweise vereinigt ist. Aber jegliche Vereinigung von Vorstellungen fordert die Einheit des Bewusstseins in der Synthese dieser Vorstellungen. Somit ist die Einheit des Bewusstseins das, was allein die Beziehung der Vorstellungen zum Gegenstand ausmacht, sozusagen ihre objektive Bedeutsamkeit, folglich ihre Umwandlung in Wissen; auf dieser Einheit basiert die Möglichkeit des Verstandes selbst.“ (34) „Die synthetische Einheit des Bewusstseins ist folglich die objektive Bedingung jeglicher Erkenntnis; nicht nur ich selbst brauche sie für das Erkennen des Objekts, sondern jegliche Kontemplation, um für mich Objekt zu werden, muss sich dieser Bedingung unterordnen, weil auf anderem Wege und ohne diese Synthese sich die Vielfalt nicht in einem Bewusstsein vereinigen könnte.“ (35) Somit besteht der Unterschied des Objektes von der objektiven Realität darin, dass das Objekt als Erkenntnisgegenstand eine Bedingung für die Entstehung der Wissenschaft ist. Mit anderen Worten beginnt die Geschichte der Wissenschaft erst dann, wenn diese Aufgabe klar formuliert ist, wenn dieses neue Element geistiger Tätigkeit eindeutig bestimmt ist. Was ist das? Was ist die Natur dieses neuen gnoseologischen Elements? Der Philosoph nimmt an, dass diese Elemente auch früher in der Mathematik und den Naturwissenschaften existierten, dank denen sie früher als die Philosophie die synthetischen Apriori-Urteile, die Bedingung jeglicher wirklicher 511 Wissenschaft sind, formulieren konnten. Dieses neue Element ist nach Kants Formulierung der Beginn eines neuen Denkens, der Beginn einer neuen Herangehensweise. Also, wenn die traditionelle Philosophie, wie bereits erwähnt, den Gegenstand als etwas von Anfang an gegebenes, vor jeglichem Subjekt und seiner Erkenntnis existierendes, voraussetzte, so begründete Kant erstmalig in der Geschichte der Philosophie den Gedanken, dass der Gegenstand nicht außerhalb des Subjekts und seiner Erkenntnis existieren kann. Deshalb ist das traditionelle Verständnis des Gegenstandes, der Wirklichkeit ganz und gar nicht Gegenstand der Wissenschaft, der wissenschaftlich-theoretischen Erkenntnis, und, um es konkreter zu sagen, ganz und gar nicht ein realer Gegenstand, obwohl er auf bestimmte Weise Einfluss auf das Subjekt und seine Erkenntnis ausübt. Folglich ist der Erkenntnisgegenstand der Wissenschaft nicht der Gegenstand, der an und für sich existiert (das „Ding an sich“), sondern die Erfahrung, die Gesamtheit der sinnlichen Vorstellungen, die eigentlich durch die Aktivität des Subjektes bedingt sind. Mit anderen Worten, der wirkliche Gegenstand der wissenschaftlich-theoretischen Erkenntnis ist ein solcher Gegenstand (Gesamtheit der Erfahrung), dessen Möglichkeit und Wirklichkeit von Anfang an durch die apriorische Kontemplation – Raum und Zeit – und die apriorischen Verstandesformen, d.h. die logischen Kategorien, bedingt ist. Dieser Gedanke Kants brachte wirklich Neues in die Untersuchung des Problems, d.h. es war jetzt klar, dass über die Grenzen des Subjekts hinaus eine Wirklichkeit an sich existiert, und alles, womit der Mensch, seine Erkenntnis zu tun hat, außerhalb des Subjektes und seiner Aktivität nicht existiert. Die reale Wirklichkeit außerhalb der menschlichen Erkenntnis ist nur ein möglicher Gegenstand. Nach Meinung Kants besteht der Vorteil der Mathematik und der Naturwissenschaften im Vergleich zur Philosophie darin, dass sie das irgendwie schon früher verstanden haben. Bezüglich der Mathematik behauptet der Philosoph, dass es nicht darum geht, wer der Begründer ist (Thales oder andere), sondern darum, was ihre ersten Begründer auf irgendeine Weise verstanden haben: die Aufgabe der Mathematik ist nicht der Ausdruck der wirklichen Eigenschaften des Dreiecks, sondern die Struktur der Betrachtungsweise nach vorher gegeben Bedingungen. „Aber das Licht eröffnete sich dem,“ schrieb Kant, „der erstmalig das Theorem über das gleichschenklige Dreieck bewies (egal, ob das Thales war oder jemand anders); er hat nämlich verstanden, dass seine Aufgabe nicht in der Erforschung dessen besteht, was er in der Figur oder nur in ihrem Verständnis erblickte, als ob er darin ihre Eigenschaften abliest, sondern darin, eine Figur mit Hilfe dessen zu schaffen, was er selbst a priori, den Begriffen angemessen gedanklich hineingelegt hat und (durch Konstruktion) zeigte. Er verstand, dass er nur in dem Fall apriorisches Wissen über etwas haben kann, wenn er der Sache nur das zuschreibt, was aus dem notwendigerweise in sie durch ihn entsprechend seinem Verständnis hineingelegten folgt.“ (36) Kant schätzte eine solche Betrachtungsweise hoch ein und verglich sie mit der großen Revolution in der Entwicklung des theoretischen Denkens. „Die Geschichte dieser Revolution des Denkens ist uns nicht erhalten geblieben“, schrieb er, „obwohl sie viel wichtiger ist, als die Entdeckung des Weges um das berühmte Kap, nicht einmal der Name des Glücklichen, der diese Revolution durchgeführt hat, ist uns erhalten geblieben.“ (37) Dieser Weg, der die Mathematik auf den Pfad der echten und wahren Wissenschaft gebracht hat, war auch der einzige Weg für die sich entwickelnde Naturwissenschaft. „Die Naturwissenschaftler verstanden“, schrieb Kant, „dass die Vernunft nur das sieht, das sie selbst nach eigenem Plan schafft, dass sie mit den Prinzipien ihrer Überlegungen, entsprechend den ewigen Gesetzen vorangehen und die Natur zwingen muss, auf ihre Fragen zu antworten, und sich nicht buchstäblich in ihrem Schlepptau ziehen lassen darf, weil sonst die Beobachtungen, die zufällig, ohne vorher aufgestellten Plan gemacht wurden, nicht durch das nötige Gesetz verbunden werden, während die Vernunft ein solches Gesetz sucht und es braucht. Die Vernunft muss einerseits mit ihren Prinzipien an die Natur herangehen, nur ihnen entsprechend können die untereinander abgestimmten Erscheinungen auch Gesetzeskraft haben, andererseits mit Experimenten, die entsprechend diesen Prinzipien erdacht wurden, um aus der Natur Wissen zu 512 schöpfen, aber nicht wie ein Schüler, dem der Lehrer alles vorsagt, was er will, sondern wie ein Richter, der den Zeugen zwingt, auf die von ihm gestellten Fragen zu antworten.“ (38) In seiner „Kritik der reinen Vernunft“ ist Kant zutiefst davon überzeugt, dass die Philosophie im Unterschied zur Mathematik und der Naturwissenschaft noch keinen solchen glücklichen Moment erlebt hat, sie hat nach dem Willen des Schicksals noch keine neue Denkart entwickelt. Deshalb nimmt der Philosoph an, sie sei keine echte Wissenschaft – es gibt doch noch keine allgemeine synthetische Grundlage. Deshalb ist die einzige mögliche Methode der wissenschaftlichen Philosophie ihre Orientierung auf die Erfahrungen der Mathematik und der Naturwissenschaften, um zu versuchen, einen neuen Stil des Denkens, eine neue Forschungsmethode zu entwickeln. „Ich würde annehmen“, schrieb Kant, „dass das Vorbild der Mathematik und der Naturwissenschaften, die dank ihrer schnellen Revolution das geworden sind, was sie jetzt sind, bemerkenswert genug ist, um über die Wesenheit jener Veränderungen in der Art des Denkens nachzudenken, die sich für sie als so günstig erwiesen haben, dass man wenigstens versuchen sollte, sie nachzuahmen, soweit das ihre Ähnlichkeit mit der Metaphysik (als auf der Vernunft basierendes Wissen) gestattet.“ (39) Nach ihrer Art zu forschen ist die Philosophie bis jetzt noch nicht einmal in die Nähe dieser, große Achtung verdienenden, Wissenschaften gekommen. In der Forschung ging sie von jener theoretischen Voraussetzung aus, die nicht nur Ihre Formierung als Wissenschaft nicht förderte, sondern umgekehrt, sogar behinderte, nachdem sie es ermöglichte, ungehindert eine Vielzahl durch nichts begründete philosophische Systeme zu konstruieren. „Bisher wurde angenommen“, schrieb Kant, „dass alle unsere Kenntnisse den Gegenständen Rechnung tragen müssen. Dabei endeten allerdings alle Versuche, etwas bezüglich der Gegenstände über Begriffe apriorisch festzustellen, was unser Wissen über sie erweitert hätte, mit einem Fiasko. Deshalb hätte man versuchen sollen herauszufinden, ob wir nicht die Aufgabe der Metaphysik erfolgreicher lösen könnten, wenn wir von der Annahme ausgingen, dass die Gegenstände unserer Erkenntnis Rechnung tragen müssen. Und das lässt sich mit der Forderung nach der Möglichkeit apriorischen Wissens über die Gegenstände besser vereinbaren, soll es doch etwas über sie festlegen, bevor sie uns gegeben sind.“(40) Kant schätzte diese Art der Forschung, das gnoseologische Herangehen, so hoch ein, dass er sie mit der kopernikanischen Revolution verglich. Er war vollkommen davon überzeugt, dass ähnlich wie Kopernikus‘ Herangehensweise das wahre Verständnis des Sonnensystems ermöglichte, die neue gnoseologische Herangehensweise es gestattet, den Gegenstand auf neue Art zu sehen und das Funktionieren des wissenschaftlich-theoretischen Wissens zu erklären. In diesem Zusammenhang sind folgende Aussagen von Kant selbst interessant. „Hier wiederholt sich das gleiche wie mit dem Ausgangsgedanken von Kopernikus: als es sich erwies, dass die Hypothese von der Umlaufbahn aller Sterne um den Beobachter die Bewegung der Himmelskörper nicht gut genug erklärt, versuchte er festzustellen, ob er nicht mehr Erfolg erreichen könnte, wenn man annähme, dass der Beobachter sich bewegt, und die Sterne sich in einem Ruhezustand befänden. Einen ähnlichen Versuch kann man auch in der Metaphysik unternehmen, wenn die Rede ist von der Betrachtung der Gegenstände. „Wenn die Betrachtungen sich mit den Eigenschaften der Gegenstände vereinbaren ließen, so ist es mir unverständlich, woher man irgendetwas a priori über diese Eigenschaften wissen soll; und umgekehrt, wenn die Gegenstände (als Sinngegenstände) sich mit unserer Betrachtungsfähigkeit vereinbaren lassen, so kann ich mir durchaus die Möglichkeit apriorischen Wissens vorstellen. Aber bei den Kontemplationen kann ich nicht stehen bleiben, um sie zu Wissen zu machen, muss ich sie als Vorstellungen zu irgendetwas ins Verhältnis setzen als Gegenstand, den ich durch diese Betrachtungen bestimmen muss.“ (41) „Wir erkannten a priori von den Dingen nur das“, fuhr er fort, „was in sie durch uns hineingelegt wurde.“ (42) Mit aller Bestimmtheit muss man sagen, dass in der Kantischen Herangehensweise wirklich ein neues und wertvolles Element vorhanden ist, das eigentlich den Platz Kants in der Entwicklung der Philosophie bestimmte. Es stimmt zwar, dass dieses Element innerlich mit dem Kantischen subjektiven Idealismus, mit seinem Apriorismus und Agnostizismus im Zusammenhang steht, 513 und deshalb war seine Rolle in der Auslegung von Kant selbst äußerst begrenzt. Erst in der nachfolgenden Entwicklung der Philosophie, in Sonderheit in der marxistischen Philosophie, wurden die rationalen Elemente seiner produktiven Ideen materialistisch umgedeutet, und dann (in materialistischer Lesart) brachten sie ihre rationalen Elemente zum Vorschein. In erster Linie geht es um die von Kant erarbeiteten Ausgangsideen des Aktivitätsprinzips der menschlichen Erkenntnis, ohne das in der heutigen Zeit eine Vorstellung von der Dialektik des Erkenntnisprozesses nicht möglich ist. Im Unterschied zur Philosophie vor Kant, besonders zum Kontemplationsmaterialismus hatte Kant klar verstanden, dass das menschliche Bewusstsein keine Tabula rasa ist, kein passives, rein kontemplatives Verhältnis zum Objekt, sondern eine Beziehung, die von Anfang an mit Inhalt angefüllt ist – den Kategorien und apriorischen Formen der Sinnlichkeit, die eigentlich den Gegenstand herausbilden und als allgemeine Bedingungen des synthetischen, allgemeinen und schöpferischen Wissens (synthetische Urteile) gelten. Die Beschränktheit sowohl des Empirismus, als auch des Rationalismus vermerkend unterstrich Kant, dass die wahre Sphäre des wissenschaftlich-theoretischen Gebiets die synthetischen Urteile sind, die, ihrer Natur nach synthetisch, aber dessen ungeachtet allgemeine und notwendige Bedeutung haben. Deshalb verknüpfte der Philosoph die Frage nach den Möglichkeiten der Wissenschaft, der wissenschaftlich-theoretischen Erkenntnis mit der Möglichkeit solchen Wissens. Kant geht aus von der Tatsache, dass Wissenschaft, wissenschaftlich-theoretische Kenntnisse existieren. Die Möglichkeit wissenschaftlicher Kenntnisse in der Metaphysik ist schwer zu beweisen, aber solche allgemeinen und notwendigen Kenntnisse existieren zweifellos in der Mathematik und der Naturwissenschaft. Eine These der Geometrie, wie „die gerade Linie ist der kürzeste Abstand zwischen zwei Punkten“ ist synthetisch und apriorisch, weil im Begriff gerade Linie, so genau er auch analysiert sein mag, keine Vorstellung eines kürzesten Weges vorhanden ist. Eine ähnliche Bedeutung hat die These der Naturwissenschaft „jede Veränderung in der Natur hat ihre Ursache“. Kant ist überzeugt, dass Möglichkeit und Notwendigkeit solcher wissenschaftlich-theoretischer Kenntnisse, wie die Thesen der euklidischen Geometrie und der Newtonschen Physik unmöglich zu begründen sind, wenn man von analytischen Thesen und Erfahrungen ausgeht. Jegliches wahre wissenschaftlich-theoretische Wissen muss, laut Kant, allgemeine Bedeutung haben und gleichzeitig unsere Kenntnisse über den Gegenstand erweitern. So gibt es zum Beispiel in der Überlegung „die Sonne ist eine Wärmequelle“, wie genau der Begriff „Sonne“ auch analysiert sein mag, keinen Begriff Wärme. Ein solches Urteil ist, laut Kant, ebenfalls kein Ergebnis empirischer Verallgemeinerung durch Induktion. Kant versteht sehr gut, dass die Thesen der Newtonschen Physik und der euklidischen Geometrie keine problematische, sondern eine allgemeine und notwendige Bedeutung in jeder Erfahrung haben. Die Hauptaufgabe der Kantischen Kritik ist der Beweis allgemeiner Bedingungen für die Möglichkeiten der Wissenschaft, der wissenschaftlich-theoretischen Kenntnisse. Nach Kant sind die wissenschaftlich-theoretischen Thesen der Geometrie und Physik nicht möglich durch empirische Verallgemeinerung und Induktion, sie sind eine Form des theoretischen Wissens und unterscheiden sich deshalb prinzipiell vom empirischen Wissen, das keine allgemeine und notwendige Bedeutung hat. Die Fragestellung selbst nach dem Unterschied empirischer und wissenschaftlich-theoretischer Kenntnisse hatte gewaltige Bedeutung in der Geschichte der Logik und Gnoseologie. Nach Kant sind für die Begründung des Wesens der Wissenschaft und der wissenschaftlichen Kenntnisse die Prinzipien der traditionellen Logik nicht ausreichend, denn sie stellt überhaupt nicht die Frage nach dem Entstehen der wissenschaftlich-theoretischen Kenntnisse. Solches Wissen kann man ebenfalls nicht mit der Erkenntnistheorie des Rationalismus und Empirismus begründen. Der Rationalismus kann nur die Möglichkeit analytischen Wissens begründen, und der Empirismus ist nicht in der Lage, seinen Urteilen einen allgemeinen und notwendigen Charakter zu geben. Kant beweist die Unfruchtbarkeit sowohl des Rationalismus, als auch des 514 Empirismus. Sie sind beide einseitig. Jede Richtung unterstreicht eine Seite und verwirft die andere. Ein großes Verdienst Kants ist es, dass er erstmalig die Idee hatte, die Gegensätzlichkeiten in einer Einheit zusammenzufassen. Während die gesamte alte Philosophie und Logik bei der Betrachtung der Gegensätze und Erscheinungen die gute Hälfte des Denkens verworfen hat, so stellte Kant das ganzheitliche Denken wieder her. Kant war sich zutiefst bewusst, dass für den Beweis der Möglichkeit wissenschaftlich-theoretischen Wissens eine Einheit der Gegensätzlichkeiten vonnöten ist, d.h. die Einheit des Allgemeinen mit dem Einzelnen, des Notwendigen mit dem Zufälligen, der Form mit dem Inhalt, dem Einen mit dem Vielen. Für die gesamte vorkantische Logik war das Wissensprinzip die abstrakte Identität und der abstrakte Unterschied, Kant jedoch hob als Hauptprinzip der Wissenschaft, der wissenschaftlichen Erkenntnis die Einheit des einen mit dem anderen hervor. In Sinnlichkeit und Verstand sah Kant zwei Seiten des wissenschaftlich-theoretischen, synthetischen Wissens. Das erste ist die Fähigkeit, eine Vorstellung (Beeindruckungsfähigkeit) zu bekommen, das zweite – die Fähigkeit, den Gegenstand zu erkennen (Selbsttätigkeit der Begriffe). Das wirkliche Wissen machen Verstand und Sinnlichkeit in ihrer Vereinigung aus. Diese Fragestellung selbst war ein Schritt vorwärts im Vergleich mit der vorherigen Philosophie. Also können weder ein Begriff ohne entsprechende bekannte Art der anschaulichen Vorstellung, noch anschauliche Vorstellungen ohne Begriffe zum Wissen führen. Die Sinnlichkeit ist Inhalt der Erkenntnis, der Begriff die Form, das Bindeglied zu den Erscheinungen der Erfahrung. „Ohne Sinnlichkeit“, schrieb Kant, „würde uns nicht ein einziger Gegenstand gegeben, und ohne Verstand könnte nicht einer gedanklich verarbeitet werden. Gedanken ohne Inhalt sind leer, Betrachtung ohne Begriffe ist blind.“ (43) Kategorien sind objektiv, wenn sie gegenständlich sind, Betrachtungen sind objektiv, wenn sie den Kategorien zugeordnet werden. Kant beschränkt sich nicht auf die Konstatierung der Einheit von Sinnlichem und den Kategorien des Verstandes, sondern unterzieht jede Seite dieser einheitlichen theoretischen Erkenntnis einer genauen Analyse. Im Weiteren erforscht die Kantische Philosophie die Frage, wie die Gegenstände und Erscheinungen den Kategorien des Verstandes zugeordnet werden, wie sich im Ergebnis dieses Prozesses wissenschaftliches Wissen formiert. Gegenstände bestimmten Kategorien zuordnen bedeutet ein Urteil zu fällen, und entsprechend dieser Tätigkeit nennt man diese Tätigkeit Urteilskraft. Nach Meinung Kants kann die allgemeine Logik, die von jeglichem Inhalt ablenkt, keine Basis für Urteilskraft sein. Eine andere Sache ist die transzendentale Logik, die sich nicht vom Inhalt der Begriffe ablenken lässt, sondern die richtige Anwendung der reinen Begriffe des Verstandes bezüglich der Gegenstände lehrt. Sie zeigt, ob sich der Gegenstand den Regeln des Verstandes unterordnet oder nicht, und als Kritik bewahrt sie uns vor Fehlurteilen bei der Anwendung reiner Verstandesbegriffe. Das wichtigste der Kantschen Philosophie ist die Frage, wie die subjektive Bedingung objektive Bedeutung erlangt. Sie wurde gelöst mit Hilfe der Kantschen Lehre von den Kategorien, vom synthetischen Urteil und der ursprünglichen Einheit der Apperzeption. Zwar findet sich in der Kantschen These von der ursprünglichen Einheit der Apperzeption viel Idealistisches. Jedoch enthielt sie rationale Momente über die Aktivität des erkennenden Subjekts. Im Unterschied zum Empirismus unterstrich Kant von Anfang an radikal die Aktivität, die kategorische Bedingtheit des menschlichen Bewusstseins. Nach Kant ist die Bedingung für die Möglichkeit echten Wissens die tätige Bearbeitung des empirischen Faktes durch die Kategorien, durch die Gesetze des Denkens. Der Erkennungsprozess wird nicht als spiegelnder toter Akt ausgelegt, wo ein Ding ist – gibt es eine Ursache, wo Bewusstsein – da Schlussfolgerungen, sondern als zweiseitiger Prozess, in dem Ursache und Schlussfolgerung ständig die Plätze wechseln. Die Fragestellung nach den Kategorien selbst hatte große Bedeutung, obwohl Kant die Bedeutung der letzten übertrieb. In diesem Zusammenhang entsteht die Frage, dass reine Verstandesbegriffe an sich jeglichen Inhalts beraubt sind, d.h. gar keinen Bezug zu irgendeinem Gegenstand haben, völlig leer sind 515 und zu keinerlei Erkenntnis führen können; und wenn sie als apriorische Begriffe nicht aus einer Erfahrung übernommen wurden, dann ist unklar, mit welchem Recht wir sie dann auf die Gegenstände anwenden können. Mit anderen Worten, wenn die reinen Verstandesbegriffe unabhängig von jeglicher Erfahrung sind, müssen sie Bedeutung in jeder Erfahrung haben. Wenn sie ihrer Herkunft nach rein subjektiv sind, dann prätendieren sie ihrer Bedeutung nach auf empirische Objektivität. Wie geht das vor sich? Auf diese Frage antwortet Kant, dass wir es nicht mit den „Dingen an sich“ zu tun haben. Bezüglich dessen, was die „Dinge an sich“ sind, kann der Verstand uns genauso wenig lehren, wie auch die Sinnlichkeit. Im Verständnis Kants, wie gesagt, ist es nicht möglich wissenschaftliche Kenntnisse über ein Objekt zu erarbeiten, wenn das Objekt absolut unabhängig vom Subjekt betrachtet wird. Die Wissenschaft, das wissenschaftlich-theoretische Wissen, hat es nur mit einem solchen Objekt zu tun, dessen allgemeine Formierungsbedingung sich im Subjekt befindet, vielmehr, in der Struktur seines Denkens. In diesem Zusammenhang entsteht die Frage: was veranlasste Kant, die Wirklichkeit in das „Ding an sich“ und die „Erscheinung“ zu teilen? Es ist anzunehmen, dass es eine Verletzung des Historismus sein wird, wenn wir diese Frage von Anfang an mit dem frühen Kantischen Agnostizismus verbinden. Zweifellos ist hier der Kantische Agnostizismus vorhanden, obwohl er nicht Ausgangspunkt seiner theoretischen Konzeption ist, sondern Folge anderer theoretischer Annahmen. Es ist so, dass Kant über seine Teilung versucht, seine grandiose Kompromisskonzeption zu begründen. Er will sowohl die Wissenschaft retten, als auch die Philosophie und die Religion. Kant ist bestrebt, wie bereits gesagt, die Möglichkeit wissenschaftlich-theoretischen Wissens zu begründen. Zu diesem Zweck ist das Vorhandensein allgemeinen, apriorischen Wissens im Verstand des Subjektes unbedingt notwendig, ohne das kann theoretisches Wissen nicht begründet werden. Beim Versuch einer solchen Begründung entstehen freilich Widersprüche: so ist dabei nicht klar, auf welche Weise das Subjekt (sein Bewusstsein) die apriorische Bedingung jener Wirklichkeit (des Gegenstandes) enthalten kann, die objektiv existiert und nicht vom Subjekt abhängt. Als Ausweg aus dieser Situation stellt Kant erneut die Frage des Vergleichs mit der gesamten ihm vorangegangenen Philosophie. Er teilt den Ausgangsgegenstand in zwei Gegenstände. Die menschlichen Kategorien sind nicht die allgemeinen Bedingungen für jene Wirklichkeit (der „Dinge an sich“), die objektiv und unabhängig vom Subjekt existieren. Also, treten die Kategorien als allgemeine Bedingungen des Gegenstandes auf, der abhängt und sich formiert, eine objektive Existenz mit Hilfe dieser Kategorien erhält. Die Kategorie „Ding an sich“ ist auch aus einem anderen Grund unumgänglich in der Kantischen Philosophie. Kant ging von folgenden Tatsachen aus: es gibt die Mathematik, die Naturwissenschaften, ebenfalls die praktische Philosophie – die Moral, die Sittlichkeit. Wenn die wichtigste Bedingung für die Existenz der Wissenschaft die Welt der Natur ist, die sich den allgemeinen Bedingungen des Verstandes unterordnet, so haben wir es auf dem Gebiet der Moral, der praktischen Philosophie mit dem Unbedingten, mit der Freiheit zu tun. Es entsteht die Frage, wie die gegenseitige Widersprüchlichkeit dieser beiden Gebiete zu rechtfertigen sei. Dazu, ist Kant überzeugt, trägt seine Teilung in das „Ding an sich“ und die „Erscheinung“ bei. „Weil die Notwendigkeit uns veranlasst, die Grenzen der Erfahrungen und aller Erscheinungen zu überschreiten, gibt es das Unbedingte, das der Verstand unbedingt braucht, völlig zu Recht in den Dingen an sich die Ergänzung zu allem Bedingten sucht, und auf diese Weise eine ganze Reihe von Bedingungen fordert. Wenn nun bei der Annahme, dass, das durch unsere Erfahrung erworbene Wissen den Gegenständen als den Dingen an sich entspricht, sich herausstellt, dass das Unbedingte überhaupt nicht denkbar ist ohne Widerspruch, und umgekehrt, bei der Annahme, dass nicht die Vorstellung über die Dinge, wie sie uns gegeben sind, diesen Dingen als Dingen an sich entsprechen, sondern die Gegenstände als Erscheinungen dem entsprechen, wie wir sie uns vorstellen, fällt dieser Widerspruch weg, und folglich muss das Unbedingte sich nicht in den Dingen befinden, soweit wir sie kennen (soweit sie uns gegeben sind), sondern in den Dingen, soweit wir sie nicht kennen, d.h. wie in den Dingen an sich, so 516 wird von hier aus klar, dass die von uns am Anfang in Gestalt eines Versuches gemachte Annahme begründet ist.“ (44) Kant hat diese Gruppe von Argumenten untersucht und fährt weiter fort: „Jetzt nehmen wir an, dass die durch unsere Kritik gemachte notwendige Aufteilung der Dinge in Erfahrungsgegenstände und in Dinge an sich überhaupt nicht gemacht worden wäre. In diesem Fall müssten das Gesetz der Kausalität und der Mechanismus der Natur bei der Definition der Kausalität sofort auf alle Dinge überhaupt wie auf wirkende Ursachen angewendet werden. Dann könnte man nicht, wenn man sich nicht in einen offensichtlichen Widerspruch verwickeln lassen will, von ein und derselben Wesenheit sprechen, z.B. über die menschliche Seele, dass ihr Wille frei ist, aber gleichzeitig einer natürlichen Notwendigkeit untergeordnet ist, d.h. sie eigentlich nicht frei ist. Der Widerspruch würde hier deshalb auftreten, weil ich in beiden Behauptungen die menschliche Seele nehme in ein und derselben Bedeutung, eben gerade als Ding überhaupt, (als Sache an und für sich), und sie nicht anders nehmen konnte, ohne sich vorher an die Kritik zu halten.“ (45) Die Einteilung in das „Ding an sich“ und die „Erscheinung“ ist für die Kantsche Philosophie wirklich notwendig, weil Kant bei der Begründung seiner Philosophie nicht nur von der objektiven Existenz der Naturwissenschaften (Physik und Mathematik) ausging, sondern von der Existenz der Moral als Objekt der praktischen Philosophie. Damit die Wissenschaft existieren kann, braucht es, wie bekannt, logische Kategorien, die die allgemeine Bedingung jeder Erfahrung sind. Die Gesamtheit der Erfahrung ist die Natur. Die Natur wiederum, ist die Arena der Kausalität, der Gesetze, denen sich die Möglichkeit jeder Erfahrung unterordnet. Eine andere Sache ist die Moral, sie ist unmöglich ohne die Idee der Freiheit. Diese Seite des Problems berührend, schrieb Kant: „Nehmen wir nun an, dass die Moral Freiheit voraussetzt (im strengsten Sinne dieses Wortes) als Eigenschaft unseres Willens, und a priori als auf Gegebenheiten unseres Verstandes hinweist auf solche praktischen ursprünglichen in ihm angelegten Grundsätze, die ganz unmöglich wären, ohne die Voraussetzung der Freiheit; nehmen wir auch an, dass die spekulative Vernunft bewies, dass die Freiheit überhaupt undenkbar sei. In diesem Falle muss die erste Voraussetzung, und zwar die moralische, dem ihren Platz abtreten, dessen Gegensätzlichkeit offensichtlich einen Widerspruch enthält.“ (46) Kant nimmt an, dass, wenn es keine Teilung gäbe in das „Ding an sich“ und die „Erscheinung“, es nicht möglich wäre, die Notwendigkeit der Natur mit der Freiheit der Moral zu vereinbaren. Sie würden einander widersprechen. Der Widerspruch wird aufgehoben, wenn die Teilung in das „Ding an sich“ und die „Erscheinung“ durchgeführt wird. In diesem Falle bleiben Freiheit und Notwendigkeit in ihrem Rahmen. „Was wäre, wenn“, schrieb Kant, „die Kritik vorher nicht geklärt hätte, dass wir auf keinen Fall die Dinge an sich kennen können, und nicht gezeigt hätte, dass alles, was wir theoretisch erkennen können, sich nur durch Erscheinungen begrenzen lässt.“ (47) In der Geschichte der Philosophie ist eine ziemlich tiefgründige Lehre über die Wissenschaft, über die wissenschaftliche –theoretische Kenntnis in der Philosophie Hegels erarbeitet worden, der einige Ausgangsideen Kants über die Natur der Wissenschaft übernahm und die Wesenheit der Wissenschaft und der wissenschaftlich-theoretischen Erkenntnis prinzipiell auf neue Art auslegte. Während Kant von der spezifischen Analyse der Euklidischen Geometrie und der Newtonschen Physik ausging und versuchte, die Besonderheit und Originalität der Wissenschaft im Unterschied zur Philosophie (Metaphysik) zu erschließen, so war Hegel bemüht, die Philosophie und die Wissenschaft im Kontext objektiver, sich selbst entwickelnder und selbst erkennender geistiger Tätigkeit zu verstehen und gedanklich zu verarbeiten. Mit anderen Worten, Hegel distanzierte sich vom empirischen, vom unmittelbaren Erschließen der vorhandenen Merkmale der Wissenschaft, und versuchte das Phänomen Wissenschaft theoretisch zu durchdringen, d.h. sie als Teil eines größeren Ganzen zu untersuchen. Und wirklich, bei allem Idealismus der Hegelschen Philosophie, war eine solche Herangehensweise im Großen und Ganzen produktiv. Es geht darum, dass, entsprechend der Forderung der dialektischen Logik, sich die wahre Wesenheit eines Gegenstandes nicht durch 517 Aufzählung empirischer Definitionen des Gegenstandes erschließen lässt, sondern durch ganzheitliche Untersuchung des Gegenstandes, wenn seine Herausbildungsart im Kontext des sich entwickelnden Ganzen tiefgründig offen gelegt wird. In dieser Beziehung ist die Marxsche Analyse der Wesenheit des Menschen ein bemerkenswertes Beispiel. Nach Marx ist die Wesenheit des Menschen kein Abstraktum, das dem einzelnen Individuum eigen ist, sondern die Gesamtheit aller gesellschaftlichen Beziehungen. Wenn man konsequent dieses methodologische Prinzip auf die Analyse der Wissenschaft, der wissenschaftlich-theoretischen Kenntnisse anwendet, so ist folgender Schluss offensichtlich: die Wesenheit der Wissenschaft ist auch kein Abstraktum, das den einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen eigen ist, sondern ist die konkrete Gesamtheit solcher geistigtheoretischer Beziehungen, die sich im Prozess einer bestimmten materiellen, gegenständlichen Tätigkeit formierten und entwickelten. Deshalb darf man die Wissenschaft, wie auch andere soziale Erscheinungen, nicht theoretisch, außerhalb der Entwicklung der gesellschaftlichhistorischen Bewegung, außerhalb des universalen Tätigkeitsprinzips verstehen. Es ist bekannt, dass die Versuche der Philosophen, Inhalt und Entstehung der Wissenschaft außerhalb der kulturhistorischen Entwicklung des Menschen zu erforschen, zu keinerlei positiven Resultaten führten. Die gesamte Geschichte der wissenschaftlichen Erkenntnis zeugt davon, dass die empirische, abstrakte Betrachtungsweise die Wesenheitserkenntnis der Gegenstände nicht voranbringt. In diesem Zusammenhang ist ein deutliches Beispiel die Analyse solcher kardinaler Begriffe, wie „Mensch“, „Staat“, „Politik“, „Klassen“ usw. Sie alle sind in der marxistischen Philosophie in dem Maße gründlich erschlossen worden, wie sie im Kontext der gegenständlichen, praktischen Tätigkeit gedanklich erfasst waren. Kraft seines Idealismus verstand Hegel die gegenständliche Tätigkeit nicht als echte substanzielle Tätigkeit, sondern akzeptierte als substanzielle nur die geistige Tätigkeit, die Entwicklung des Bewusstseins, des Selbstbewusstseins und des Geistes. Deshalb verfällt Hegel, der nicht in der Lage ist, den wahren Mechanismus der Entstehung und Entwicklung der Wissenschaft und Philosophie zu erkennen, einer Illusion und erklärt das Wesen des Problems falsch, worin auch die Grenzen der Hegelschen Philosophie zu sehen sind. Allerdings darf nicht das historische Verdienst Hegels bei der tiefgründigen Erforschung der Natur der Wissenschaft und Philosophie auf der Grundlage eines idealistisch zu verstehenden Tätigkeitsprinzips vergessen werden. Während die vorhegelianische Philosophie das Problem der Wissenschaft nur nebenbei erforschte und damit den Weg theoretischer Erkenntnis versperrte, so legte Hegel den Grundstein für das theoretische Verständnis der Begriffe Wissenschaft und Philosophie, indem er sich auf das tätige Prinzip der Untersuchung stützte. Im Unterschied zu Kant stellt Hegel Wissenschaft und Philosophie nicht einander gegenüber. Seiner Meinung nach kann sowohl die Naturwissenschaft, als auch die Philosophie als Wissenschaftsform, als wissenschaftlich-theoretische Erkenntnis auftreten. Der Erkenntnisprozess ist nicht das Verhältnis des abstrakten Individuums zum Objekt (Natur), sondern eine historische Bewegung, eine Selbsterkenntnis durch den Geist, wenn er sich systematisch selbst als Objekt herausstellt, verwirft und wieder neu formiert, bis er die Identität des Seins und des Denkens, des Begriffs und des Gegenstandes gefunden hat. Aus diesem Grunde tritt der gesamte Erkenntnisprozess als eine Reihe von Formbildungen des Bewusstseins, des Selbstbewusstseins, des Geistes auf. Innerer Kern dieser absoluten Bewegung ist die Identität der Gegensätze. In diesem Prozess der Selbstbewegung, der Selbsterkenntnis des Geistes nehmen die Wissenschaft und Philosophie als besondere Formen der geistigen Selbsterkenntnis ihre besonderen bestimmten Plätze ein. Soweit Hegel den Verstand und die Vernunft als Stufen der Erkenntnis untersucht, werden Wissenschaft und Philosophie von ihm ebenfalls als verschiedene Stufen geistig-theoretischer Tätigkeit ausgelegt. Der Umstand, dass die Naturwissenschaft mit dem Verstand verbunden ist, die Philosophie mit der Vernunft, sagt in keinem Maße etwas aus über ihre Ausgangsunterschiede. In Wirklichkeit sind sie nur Stufen in der historischen Entwicklung des Selbstbewusstseins, des Geistes. 518 Wenn der Verstand nach seinem Begriff als letzte, als Grenzform der Erkenntnis auftritt, so ist die Vernunft die höchste Form der Erkenntnistätigkeit, die fähig ist, die Konkretheit, die Ganzheit, die Widersprüchlichkeit eines Gegenstandes zu erkennen. Im Unterschied zum Verstand begreift die Vernunft das Allgemeine durch die Einheit des Allgemeinen und Besonderen. Laut Hegel ist es so: Wenn die Wissenschaft (Naturwissenschaft) mit dem Verstand verbunden ist, und die Philosophie (Metaphysik) mit der Vernunft, so bedeutet das bei weitem nicht, wie Kant annahm, die Glaubwürdigkeit und Bestimmtheit der wissenschaftlichen Urteile und die Problematik und Unbestimmtheit der philosophischen Thesen. Im Unterschied zu Kant führte Hegel konsequent den Gedanken weiter, dass die Naturwissenschaft auch noch die letzte Art der Erkenntnis ist, sie umfasst nur das Allgemeine, einzelne Aspekte, Seiten eines Gegenstandes, aber begreift nicht das Ganze, die Widersprüchlichkeit des Gegenstandes. Von daher entschwinden die immanente Wesenheit des Gegenstandes, sein inneres Leben und die Dialektik immer wieder den Blicken der Naturwissenschaftler. Mit einer solchen Auslegung der Wissenschaft und Naturwissenschaft kann man sich natürlich nicht einverstanden erklären. Ihre grundlegende Unhaltbarkeit wurde durch die Entwicklung der Naturwissenschaft bestätigt. F. Engels schrieb seinerzeit, als er sich mit dem Hegelschen Verhältnis zu den Naturwissenschaften beschäftigte, dass eine solche Beziehung des Philosophen mit der Begrenztheit und der metaphysischen Durchdringung der Naturwissenschaft jener Zeit zu tun hatte. Vollkommen einverstanden mit dieser These, beachten wir auch die anderen Aspekte dieses Problems. Bekanntlich vermutete Hegel nach Kant eine innere Verbindung der Naturwissenschaft mit dem Verstand, mit den Verstandeskategorien. Von hier aus folgt die Schlussfolgerung: wenn der Verstand die Endform des Denkens ist, so ist die Naturwissenschaft, die sich auf den Verstand stützt, die endliche, begrenzte Form des Bewusstseins, des Selbstbewusstseins. Folglich ist die metaphysische Durchdringung der Naturwissenschaft, nach Hegel, untrennbar verbunden mit dem Begriff der naturwissenschaftlichen Erkenntnis der Welt. Da die Vernunft die höchste Fähigkeit der Erkenntnis ist, ist die Philosophie, die mit der Vernunft verbunden ist, fähig, die Dialektik, die Widersprüchlichkeit, die Ganzheit des zu erforschenden Gegenstandes zu erkennen. Aus diesem Grund nahm der Philosoph an, dass, wenn die Naturwissenschaft nur Aspekte, die Seiten der zu erforschenden Wirklichkeit erkennt, dann erkennt die Philosophie die Ganzheit, die Totalität, den Begriff des Gegenstandes. Für ein tiefes Verständnis der Hegelschen Konzeption der Wissenschaft und Philosophie hat die „Phänomenologie des Geistes“ Hegels eine äußerst wichtige Bedeutung. Ungeachtet dessen, dass die Naturwissenschaft und die Philosophie als selbständige Erkenntnisarten dargestellt werden, versteht Hegel sie gleichzeitig als Formbildungsstufen der geistigen Tätigkeit. Wenn Hegel die Wissenschaft im Abschnitt „der subjektive Geist“ erforschte (Naturwissenschaft), so wird die Philosophie von ihm im Abschnitt „der absolute Geist“ analysiert. Dabei betrachtet Hegel die Wissenschaft als empirische Erkenntnis, die hauptsächlich das Allgemeine, das vorhandene Sein des Gegenstandes, seine äußeren Bezüge feststellt. Am Beispiel der Phrenologie, der Physiognomistik illustriert der Philosoph die Begrenztheit der Naturwissenschaft, ihr Nichtvermögen innere, immanente Verbindungen zu begreifen. Im gleichen Abschnitt unterzieht Hegel die Methoden der formalen Logik, der empirischen Verallgemeinerungsart und Abstraktion einer gründlichen Kritik. Hegel analysierte ebenfalls die Begrenztheit der Wissenschaft und Naturwissenschaft auf zwei Ebenen, und zwar objektiv und subjektiv. Vor allem, nahm der Philosoph an, ist der Gegenstand der Naturwissenschaft begrenzt, d.h. die Natur, auf deren Begreifen hauptsächlich die naturwissenschaftliche Tätigkeit gerichtet ist. Hegel ist überzeugt, dass die Natur kein selbstständiges, substanzielles Objekt, sondern eine Stufe der Selbstentwicklung des absoluten Geistes ist, der ursprünglich in rein logischer Form als System reiner Wesenheiten auftritt, und danach, wenn er die Ideenstufe erreicht hat, in sein anderes Sein übergeht, in die Natur, in der er 519 seine erste Verkörperung erfährt. Doch die höchste Verkörperung der Idee ist der Geist, der wirklich konkret auftritt, als Einheit von Logik und Natur. Die Wissenschaft ist nach Meinung Hegels begrenzt und subjektiv, weil die Wissenschaft, wie bereits oben bemerkt, Endform der Erreichung des Absoluten ist. Die Naturwissenschaft ist mit dem Verstand gekoppelt, sie ist nicht in der Lage, die Ganzheit, die Konkretheit, die Widersprüchlichkeit des Gegenstandes zu erreichen. Deshalb umfasst die Naturwissenschaft nur einen bestimmten Abschnitt, den Endaspekt der Verkörperung des Geistes und aus diesem Grund ist sie nicht fähig, die lebendige, sich selbst entwickelnde Ganzheit zu erkennen. Im Kapitel „Der absolute Geist“ erforscht Hegel die Philosophie als höchste Form der Erkenntnis und der geistigen Tätigkeit. Da die wahrhafte Form des Absoluten, die Identität des Seins und des Denkens in der Philosophie angestrebt wird, übertrifft sie prinzipiell nicht nur die Einzelwissenschaften, die empirische Naturwissenschaft, sondern auch die Kunst und die Religion als Formen des absoluten Geistes. Wenn die Kunst es mit Gestalten zu tun hat, die Religion mit Vorstellungen, so erkennt die Philosophie die Wahrheit, das Absolute mit Hilfe von Begriffen, und deshalb ist Hegel überzeugt, dass die Philosophie, insbesondere die spekulative Philosophie, in der Lage ist, die Dialektik, den Widerspruch und die Wahrheit zu erkennen. Nach Hegel ist jegliche Philosophie ein Versuch, die Natur, das Wesen des Absoluten zu erkennen. Dabei ist allein das Verständnis vom Absoluten als Identität des Seins und Denkens eine große Wahrheit. Aber zu dieser wichtigen Wahrheit kam die spekulative Philosophie nicht gleich, nicht auf dem Weg der intellektuellen Intuition, wie Schelling dachte, sondern als Ergebnis einer komplizierten historischen Entwicklung des Bewusstseins und Selbstbewusstseins. Somit entsteht als Ergebnis der historischen Entwicklung des Bewusstseins und Selbstbewusstseins das absolute Wissen als Identität des Seins und des Denkens. Laut Hegel ist der Geist eine objektive, sich selbst entwickelnde geistige Tätigkeit, die Substanz ist das Subjekt. Die Aufgabe der Philosophie als Wissenschaft ist es, theoretisch diese geistige Tätigkeit in ihrer Basis, d.h. das sich innerlich entwickelnde System, das System einer Reihe von Formbildungen, deren innerer Kern die Identität der Gegensätze ist, zu erkennen. In der „Phänomenologie des Geistes“ bemerkte Hegel direkt, dass die Form des Seins, der Wissenschaft das System ist. (48) Das bedeutet, dass die wissenschaftliche Erkenntnis des Geistes vor allem sein Begreifen in Systemform ist, in Form der Begriffssysteme, Gesetze und Erkenntnisprinzipien. Die philosophische Erkenntnis des Geistes beginnt mit der Logik als System reiner Wesenheiten, in deren Form die allgemeinen Bedingungen, die Konturen, die Idee des sich selbst entwickelnden absoluten Geistes begriffen werden. Da die Logik auch eine Wissenschaft ist, ist sie ebenfalls ein System innerlich verbundener Kategorien, Begriffe usw. Um theoretisch das sich selbst entwickelnde absolute Denken zu reproduzieren, muss man sich von der Methode des Aufstiegs vom Abstrakten zum Konkreten leiten lassen, d.h. man muss die theoretische Erkenntnis des Denkens mit der abstraktesten und inhaltlich ärmsten Definition des Gedankens beginnen. Hegel unterstrich, dass alle anderen Wissenschaften Voraussetzungen haben können, aber die Logik kann in keinem Maße Voraussetzungen haben. Infolgedessen muss sie mit der ärmsten Definition des Gedankens beginnen, d.h. mit dem „Sein“, das seinem Inhalt nach gleich „Nichts“ ist. Das Sein und das Nichts gehen ineinander über, ihre Einheit ist das Werden, das sich auf den ersten konkreten Begriff der Hegelschen Logik bezieht. Im Ergebnis des Werdens (alles fließt und alles ändert sich) entsteht etwas, das eine Qualität hat. Die Qualität wiederum besteht aus einer Vielzahl von Definitionen, sie ist die dem Sein eigene Bestimmtheit, und als solche steht sie der Quantität gegenüber, die dem Sein keine eigene Bestimmtheit ist. Jedoch die weitere Bewegung des Denkens zeigt klar und deutlich, dass die Gegenüberstellung dieser Kategorien nur zeitweilig Sinn hat. Die Kategorie des Maßes bringt schon an den Tag, dass Qualität und Quantität ständig ineinander übergehen. 520 Die Kategorie des Maßes vervollkommnet nur die Lehre vom Sein, die Sphäre des Unmittelbaren. Im Weiteren entstehen neue Kategoriedefinitionen: Wesenheit, Widerspruch, Begründung, Erscheinung, Wirklichkeit, Substanz, Kausalität, Begriff, Urteil, Schlussfolgerung, Idee, absolute Idee. In der Auslegung Hegels tritt die absolute Idee als ganzheitlicher, konkreter Begriff auf, der die Einheit des Vielfältigen darstellt. Deshalb enthält sie in sich alle vorangegangenen Definitionen des Gedankens in dialektischer Einheit. Da in der Form der absoluten Idee eine Ganzheit, Konkretheit erreicht wird, kann sich das absolute Denken im Schoße der Logik nicht weiter entwickeln. Deshalb geht im Weiteren die absolute Idee in ihr anderes Sein über, in die Natur, und setzt dort ihre Entwicklung fort. Auf einer bestimmten Entwicklungsstufe der Natur entsteht der Mensch, mit dessen Hilfe die Selbsterkenntnis des Selbst durch den absoluten Geist geschieht. Wenn die Natur in der Auslegung Hegels als erste und letzte Verkörperung der absoluten Idee auftritt, dann ist der Geist am ehesten die adäquateste Verkörperung der absoluten Idee. Hegel nahm an, dass seine Philosophie eine im höchsten Maße wissenschaftliche Philosophie sei. Ihre Wissenschaftlichkeit besteht seiner Meinung nach nicht nur in der Systematik, sondern auch in der konsequenten Anwendung einer wissenschaftlichen Methode. Im Unterschied zur deduktiven Methode Descartes und der induktiven Methode Bacons, sind nach Hegel die wahrhaften Erkenntnismethoden die Methode des Aufstiegs vom Abstrakten zum Konkreten, das Historische und das Logische, der Widerspruch als Universalprinzip der Erkenntnis usw. Nachdem er die philosophische, spekulative Erkenntnis der Natur mit der Forschung der empirischen Naturwissenschaften gegenübergestellt hatte, unterstrich Hegel die Produktivität der philosophischen Erforschung der Natur. Entsprechend dem Hegelschen Verständnis wird die Natur von verschiedenen Wissenschaften erforscht, die verschiedene Naturkräfte studieren, jedoch nicht die Ganzheit, die Wesenheit der Natur ergründen. Deshalb wird der wahre Inhalt der Natur nur durch die Philosophie begriffen, die die Natur als Glied im Kontext der historischen Entwicklung des Geistes sieht. Hegel ist überzeugt, dass die Natur zwar eine Voraussetzung des Geistes ist, aber das wirklich erste durchaus nicht die Natur, sondern der Geist ist, der ursprünglich in Form einer logischen Idee auftritt. In der weiteren Entwicklung geht er in seine andere Form des Seins über, in die Natur, die nach ihrer Wesenheit nicht das absolut andere, sondern ihr „eigenes anderes“ ist. „Allerdings geht in dieser Entwicklung dem Geist nicht nur die logische Idee voraus“, schrieb Hegel, „sondern auch die äußere Natur. Denn die Erkenntnis, die bereits in der einfachen logischen Idee enthalten ist, ist nur ein von uns gedachter Erkenntnisbegriff und keine Erkenntnis, die an und für sich existiert, kein wirklicher Geist, sondern allein seine Möglichkeit. Der wirkliche Geist, der einzig nur in der Wissenschaft über den Geist unseren Gegenstand ausmacht, hat die äußere Natur durch seine nächste Annahme, gleich der er als seine erste Annahme die logische Idee hat. Deshalb muss die Philosophie der Natur als ihr Endergebnis – und durch sie auch die Logik – einen Notwendigkeitsbeweis des Begriffes Geist haben“. (49) Hegel meint, wenn die logische Idee durch Unmittelbarkeit charakterisiert wird, ein einfaches Insich-Sein, und die Natur ein Außerhalb-sich-Sein, eine Raum-Zeit-Existenz, so besteht die Besonderheit des Geistes darin, dass in ihm die Idee vom anderen Sein nicht mehr zutrifft, er tritt als Synthese auf, als Rückkehr zu sich selbst aus seinem anderen Sein. Hegel ist überzeugt, dass die Natur noch äußerlich ist, sie hat keine Wesenheit in sich selbst. „Die Unterschiede, in denen sich der Begriff der Natur entwickelt, stellen ein in Beziehung zum anderen mehr oder weniger selbstständig existierendes Gebilde dar; infolge ihrer ursprünglichen Einheit befinden sie sich in gegenseitigem Verhältnis zueinander, - so dass das eine nicht ohne das andere verstanden werden kann, aber dieses Verhältnis ist für sie mehr oder weniger äußerlich. Deshalb können wir mit vollem Recht sagen, dass in der Natur nicht die Freiheit herrscht, sondern die Notwendigkeit.“ (50) Im Unterschied zur Natur, die nach Hegel nicht in der Lage ist, Widersprüche und Kollisionen auszuhalten, ist der Geist wohl in der Lage, alles auszuhalten, überall sich selbst identisch zu bleiben. Die Natur ordnet sich Gesetzen und der Notwendigkeit unter, der Geist aber nur seinen 521 eigenen Prinzipien. „Das, was zur äußeren Natur gehört“, schrieb Hegel, „geht kraft der Widersprüche unter; zum Beispiel, wenn dem Gold ein anderes spezifisches Gewicht gegeben würde, als es hat, so würde es aufhören, als Gold zu existieren. Aber der Geist hat die Kraft, sich auch in Widersprüchen zu bewahren, und folglich kann er das auch im Leiden, indem er sich sowohl über das Böse, als auch über das Leid erhebt. Die gewöhnliche Logik irrt sich deshalb, weil sie denkt, der Geist ist etwas, das ganz und gar den Widerspruch ausschließt.“ (51) Im Hegelschen Verständnis ist die Erkenntnis, das Begreifen des Geistes das Komplizierteste und Schwierigste aus dem Grund, weil es die Erkenntnis des Konkreten ist, der echte Geist ist das Konkrete. Die Erkenntnis des Geistes ist eigentlich die echte Selbsterkenntnis, weil gerade der Geist, das Bewusstsein das echte Subjekt der Erkenntnis ist, der wahrhafte Inhalt alles Wirklichen. Deshalb ist die Erkenntnis des Geistes - sein endloses Streben, gleichzeitig Selbsterkenntnis und Begreifen seiner eigenen Wesenheit zu sein. Der Aufruf zur Selbsterkenntnis, zum Selbstbewusstsein ist nach Hegel überhaupt nicht gerichtet auf die Erkenntnis einzelner Fähigkeiten, des Charakters, Neigungen der Individuen, sondern auch auf die so genannte Kenntnis der Menschen mit ihren Besonderheiten, ihren Leidenschaften und Schwächen, und es gibt die Erkenntnis echter innerer substanzieller Bestimmtheiten des Menschen, des Geistes. „Erkenne dich selbst – dieses absolute Gebot..., schrieb Hegel, „ist die Erkenntnis des Wahren im Menschen, des Wahren in sich und für sich, ist die Erkenntnis der Wesenheit selbst, des Geistes.“ (52) Hegel unterstrich mehrfach die Schwierigkeit der philosophischen Erforschung des Geistes. Seiner Meinung nach erklärt sich diese Schwierigkeit dadurch, dass die Erkenntnis des Geistes nicht die Erkenntnis einer abstrakten, unmittelbaren, einfachen logischen Idee ist, sondern das Begreifen, das Verstehen des Konkreten selbst, einer entwickelten Form, die die Idee in der Entwicklung angenommen hat. Deshalb ist es nicht möglich, den Geist unmittelbar zu erfassen, ihn zu betrachten, sondern er muss in „lebendiger Entwicklung und Verwirklichung“ erkannt werden. Zwar ist, nach tiefer Überzeugung des Philosophen, die Erkenntnis, die Selbsterkenntnis des Geistes ganz und gar nicht etwas, das von außen kommt, sondern ein immanentes, eigenes, absolutes Gesetz des Geistes. Die Erkenntnis der eigenen Wesenheit, des eigenen Begriffs, ist eine Eigenschaft der eigenen Natur des Geistes. „Jegliche Tätigkeit des Geistes ist deshalb nur ein Begreifen des eigenen Selbst durch ihn“, schrieb Hegel, „und das Ziel jeglicher wahren Wissenschaft besteht nur darin, dass der Geist in allem, was im Himmel und auf der Erde ist, sich selbst erkennt. Etwas anderes gibt es für den Geist nicht.“(53) Also ist der Geist ein echtes Subjekt, ein Subjekt-Objekt, das Substanzielle alles Existierenden. Alles auf der Welt ist im Ergebnis der Selbstentwicklung, der Selbstbewegung, der absoluten Idee, des Geistes, des Bewusstseins entstanden. Deshalb ist die echte, wahrhafte Aufgabe der Wissenschaft – die Erkenntnis der Gesetze des Geistes, seiner Art der Existenz, die Erkenntnis seines Inhalts. So wird der konkrete Inhalt der Welt und der Wirklichkeit erfasst. Nach Hegel existiert die objektive und wahrhafte Wirklichkeit nicht irgendwo außerhalb des Geistes, außerhalb des Bewusstseins und der Ideen, sondern der Geist ist die echte konkrete Wirklichkeit, die sich im Prozess der Bewegung von der abstrakten, einfachen logischen Idee zum absoluten Geist, zur absoluten Idee verwirklicht. Hegel ist Idealist, und deshalb stellt er die Natur und die wirkliche, gegenständlich praktische Tätigkeit des Menschen und der Gesellschaft als Erscheinungsform, als Akzidentia der echten und wahrhaften Tätigkeit - der Tätigkeit der absoluten Idee, des Geistes dar. Hegel erkennt die Aktivität des Subjekts, des Menschen an, aber das ist in Wirklichkeit eine schöpferische, selbsttätige, sich selbst entwickelnde Aktivität der absoluten Idee, des Geistes. Eigentlich hat der Philosoph weder den Menschen, noch seine aktive, umgestaltende praktische Tätigkeit, noch die wahrhafte menschliche Freiheit verstanden, die sich vor allem in seiner aktiven produktiven und praktischen Tätigkeit ausdrückt. Kraft seines Idealismus legte er das nur als Form einer gewissen mystischen absoluten Idee, des absoluten Geistes aus, der das absolute Subjekt sämtlicher Veränderung und Formbildung, das Substanz-Subjekt (Hegels Terminologie) sein soll. Hier ist unschwer zu erkennen, dass alles verdreht ist, alles auf dem Kopf steht. Der Grund eines solchen 522 Verständnisses ist darin zu suchen, dass Hegel, wie Marx zeigte, nur die abstrakt-theoretische Form der Tätigkeit kennt. Darum verabsolutierte er diese Tätigkeitsform, betrachtete sie als einzige und echte Art der menschlichen Tätigkeit und legte sie aller Lebenstätigkeit zu Grunde. Da Hegel im Denken, im Bewusstsein eine spezifische Besonderheit und Wesenheit sah, das, was den Menschen zum Menschen macht, so treten alle anderen Arten der menschlichen Tätigkeit, der konkrete Mensch selbst für ihn als Form der Erscheinung des Denkens, des Geistes, des Bewusstseins auf. Hegel verfälschte ebenfalls die Beziehung des Menschen zur Natur. Er verstand nicht, dass sich der Mensch zur Natur in erster Linie gegenständlich, praktisch verhält. Deshalb führt er die Beziehung des Menschen zur Natur auf seine theoretischerkennende Beziehung zurück. Während Kant die Natur als Gesamtheit der Erfahrung betrachtet, identifiziert sich die Natur, nach Hegel, mit den Vorstellungen der theoretischen Naturwissenschaft seiner Zeit. Die Naturwissenschaft seiner Zeit war metaphysisch, darum wurde auch die Natur von ihm als etwas unveränderliches, als etwas, das keine Geschichte kennt, dargestellt. Von hier an wird das reale Verhältnis des Menschen, der Menschheit zur Natur in der Hegelschen Philosophie durch das Verhältnis der Philosophie (Logik) zur Naturwissenschaft abgelöst. Zwar ist dieses Verhältnis mystifiziert, ontologisiert, es wird dargestellt als ein Verhältnis einer Idee, der absoluten Idee, nicht zur Natur selbst, sondern eher zur Philosophie der Natur. Dem Wesen nach ist das ein hypostasiertes, abstrakt-abgeleitet ausgedrücktes Verhältnis der Philosophie zur Naturwissenschaft und zur Geschichte. 1 Marx K., Engels F. Aufsätze Bd.20 S.20 2 Chorew N.W. Philosophie und kulturelle Entwicklung // Philosophie und Geschichte der Kultur. Moskau 1985. S 88-89 3 Zitat nach: Schestakow A.A. Weltanschauliche Grundlagen der Erkenntnis. Saratow 1988. S.15 4 Chorew N.W. Philosophie und kulturelle Entwicklung. S.89 5 Spektorskij E. Physizismus in der Gesllschaftsphilosophie des 17.Jh. Jaroslawl, 1909.S.3 6 Descartes R. Ausgewählte Schriften. Moskau, 1950. S. 272 7 Ebenda S. 416 8 Spinoza B. Ausgewählte Schriften. Moskau, 1957. Bd.1. S.186 9 Descartes R. Ausgewählte Schriften. S. 412 10 Ebenda S. 417 11 Ebenda S. 86 12 Ebenda S. 88 13 Ebenda S. 87 14 Ebenda S. 98 15 Ebenda S. 89 16 Ebenda S. 95 17 Ebenda S. 111 18 Ebenda S. 94 19 Ebenda S. 91 20 Marx K., Engels F. Aufsätze. Bd. 2. S.143 21 Bacon F. Aufsätze: B 2 t. Moskau, 1977. Bd.1.S.63 22 Ebenda S.299 23 Ebenda Bd. 2. S. 8 24 Aus der Kritik des kanonisierten Aristoteles wird der Sinn der Bezeichnung des Hauptwerkes von F. Bacon „Neues Organon“ klar. 25 Bacon F. Aufsätze Bd. 2. S. 22-24 26 Ebenda S. 34 27 Achutin A.W. Der Begriff „Natur“ in der Antike und der Neuzeit. Moskau, 1988. S.69 523 28 Ebenda 29 Hierüber genauer siehe: Iljin W.W., Kalinkin A.T. Die Natur der Wissenschaft. Moskau 1985. S 56-57. Die erwähnte Gegenüberstellung fand erstmalig in der Antike als Unterscheidung von „Epistem“ und „Techne“ statt (darüber genauer siehe: Gaidenko, P.P. Die Evolution des Begriffes Wissenschaft. Moskau, 1980. S.489; Tamarkewitsch W. Antike Ästhetik. Moskau, 1977. S. 28 usw. Darüber siehe auch: Schadewald W. Die Begriffe „Natur“ und „Technik“ bei den Griechen // Philosophie der Technik in der BRD. Moskau, 1989. S 90-101 u.a.) 30 Bacon F. Aufsätze. Moskau, 1971. Bd1. S. 246 31 Hegel. Aufsätze. Moskau, 1935. Bd.11.S.218 32 Dlugatsch T.B. Probleme der Einheit von Theorie und Praxis in der deutschen klassischen Philosophie. Moskau, 1986. S. 19 33 Kant I. Aufsätze Bd. 3. S.190 34 Ebenda S. 195 35 Ebenda 36 Ebenda S. 84-85 37 Ebenda S. 84 38 Ebenda S. 85-86 39 Ebenda S.87 40 Ebenda 41 Ebenda S. 87-88 42 Ebenda S. 88 43 Ebenda S. 155 44 Ebenda S. 30 45 Ebenda S. 93-94 46 Ebenda S. 94-95 47 Ebenda S. 95 48 „Die wahre Form“, schrieb Hegel, „in der die Wahrheit existiert, kann nur ihr wissenschaftliches System sein“ // Hegel. Aufsätze. Moskau, 1959. Bd.4 S.3 49 Hegel. Aufsätze. Moskau, 1956. Bd.3 S.33 50 Ebenda. S. 34 51 Ebenda. S. 41 52 Ebenda. S. 25 53 Ebenda. S.25-26 524 Zweites Kapitel Die materialistische Begründung der allgemeinen Bedingungen für die Herausbildung der Wissenschaft als besondere Wissensform Im Gegensatz zu Hegel, der die Tätigkeit mit der geistigen Kultur, der Tätigkeit des Bewusstseins, des Geistes identifizierte und die Wissenschaft als Stufe der sich historisch entwickelnden geistigen Kultur betrachtete, interpretierte Marx die Tätigkeit vor allem als materielle gegenständliche Tätigkeit der Menschen zur Umgestaltung der Natur und ihren gesellschaftlichen Bedingungen. Dabei betrachtete er die geistige Tätigkeit nicht selbstständig und nicht als substanzielle Realität, sondern als Form der gesellschaftlich-historischen Bewegung. In der marxistischen Philosophie wird deshalb die Wissenschaft als besondere Wissensform definiert, die historisch auf einer besonderen Entwicklungsstufe der gesellschaftlich-historischen Praxis, der gegenständlichen Tätigkeit, entstanden ist. Aus diesem Grunde kann man die Wissenschaft, ihre Natur und Wesenheit nur im Kontext der sich historisch entwickelnden menschlichen Tätigkeit verstehen und theoretisch reproduzieren, da allein der soziokulturelle Kontext den Schlüssel für das theoretische Begreifen der Wissenschaft als besonderes soziales Phänomen liefert. „Der ganze Geist des Marxismus“, schrieb Lenin, „sein gesamtes System erfordert, dass jede These nur zu betrachten ist (alpha) historisch; (beta) nur in Verbindung mit anderen; (gamma) nur in Verbindung mit konkreter historischer Erfahrung.“ (1) Zwecks Erschließung der Wissenschaftswesenheit ist es notwendig, sie in der Entstehung und Entwicklung zu betrachten und festzuhalten, was sie zum gegebenen Zeitpunkt darstellt. Mit anderen Worten, um einen konkret-allgemeinen Begriff der Wissenschaft zu erarbeiten, ist es nötig, die Art ihrer Formierung konsequent zu verfolgen und die konkrete Logik ihrer Entwicklung zu erschließen. Dabei müssen wir prinzipiell von der materialistischen Konzeption ausgehen, nach der die Wissenschaft das Produkt einer bestimmten Entwicklungsetappe der menschlichen Praxis, der Gesellschaft, der Produktion und der gesellschaftlichen Arbeitsteilung ist. Es gab eine Zeit in der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft, da es noch keine Wissenschaft und keinerlei Naturkunde gab, obwohl die Menschen immer über eine bestimmte Summe von Wissen als Ausdruck ihrer gesellschaftlichen Praxis verfügten. Die Wissenschaft entsteht folglich nur zu einer bestimmten Zeit, in einer bestimmten gesellschaftlich-historischen Epoche, wenn in Verbindung mit der Entwicklung der Produktion besondere geistige Aufgaben entstehen, besondere Erfordernisse, die keine Antwort im Rahmen der traditionellen Philosophie fanden. Nicht nur die Entwicklung der Wissenschaft, ihre Formierung entspricht dem Niveau der Entwicklung der Praxis, sondern auch die Aufteilung der Wissenschaft, ihre Differenzierung spiegelt ebenfalls eine bestimmte Etappe der Praxisentwicklung, der Arbeitsteilung, der inneren Struktur der menschlichen Tätigkeit wider. Die Arbeitsteilung in der Neuzeit unterschied sich prinzipiell von der Arbeitsteilung sowohl in der Antike, als auch im Mittelalter, für die eine Einheitswissenschaft wie die Philosophie durchaus ausreichend war. Deshalb konnte eine moderne Naturwissenschaft im eigentlichen Sinne dieses Wortes damals noch nicht existieren. Sie ist das Produkt der Neuzeit, der neuen Arbeitsteilung und der neuen gesellschaftlichen Erfordernisse. Darum wird es zweifellos richtig sein, wenn wir ihre Geschichte erst mit der Neuzeit beginnen. Somit ist also die Wissenschaft ein besonderes geistiges Phänomen, eine besondere Form des Wissens und ein besonderes soziales Institut. In dieser Eigenschaft, wie bereits erwähnt, entstand sie im 16. Jahrhundert, und nach ihrem Charakter, ihrem Zweck und ihrer sozialen Orientierung unterschied sie sich wesentlich von der traditionellen Philosophie. Zwar gab es einzelne Elemente der Wissenschaft, einige Züge bereits in der Antike und im Mittelalter, aber dieser Umstand gestattet es noch nicht, die Behauptung aufzustellen, dass es eine antike oder 525 mittelalterliche Wissenschaft gegeben habe. Wenn in der Literatur gelegentlich Thesen über eine Wissenschaft in China, Ägypten und Griechenland (2) usw. zu finden sind, so sollte das im übertragenen Sinne verstanden werden. In der Antike und im Mittelalter hat man im Wesentlichen versucht, die Welt philosophisch zu erkennen. In jener Zeit konnte die Philosophie noch die geistigen Bedürfnisse der Menschen befriedigen, sie entsprach auch der dem System entsprechenden Arbeitsteilung, der gesellschaftlichen Atmosphäre. Physikalische und mathematische Kenntnisse jener Zeit, einige geistige Voraussetzungen für die entstehende Wissenschaft existierten innerhalb der einheitlichen traditionellen Philosophie, indem sie nur einige ihrer Aspekte und Grenzlinien erwähnten. Anders ausgedrückt, die Voraussetzungen für die zukünftige Wissenschaft wurden von den Keimen im Schoß eines anderen geistigen Systems geschaffen, aus dem sie sich jedoch noch nicht emporheben konnten. Der Grund für eine solche Annahme liegt verständlicherweise nicht darin, dass es damals noch keine großen Wissenschaftler, wie z.B. Kopernikus, Galilei, Kepler usw. gab, sondern einfach in den realen gesellschaftlich-historischen, soziokulturellen Faktoren, die noch nicht in der Lage waren, objektive Bedingungen für die Formierung der Wissenschaft als ein besonderes geistiges Phänomen, für die Abnabelung der Wissenschaft von der traditionellen Philosophie zu schaffen. Der Umstand, dass einzelne Merkmale und Definitionen der Wissenschaft, die für die moderne Wissenschaft als besonderes Phänomen charakteristisch sind, bereits in der Antike und im Mittelalter vorhanden waren, kann jedoch in keiner Weise jener These von Nutzen sein, dass schon in China, Ägypten und Griechenland usw. Wissenschaft existierte. Es geht darum, dass einzelne Merkmale des Kapitalismus (z.B. Warenproduktion, Wertgesetz, Geld usw.) auch in der Antike und im Mittelalter existierten. Jedoch auf dieser Grundlage wird niemand die Existenz des Kapitalismus in der Antike und im Mittelalter nachweisen können. In seiner Theorie begründete K. Marx, dass der wirkliche Kapitalismus erst seit der Zeit zählt, als nicht nur Waren und Warenbeziehungen entstehen, sondern auch die Arbeitskraft als Ware. Somit existierten also in der Antike und im Mittelalter nur Elemente, Voraussetzungen für die Wissenschaft, aber die Wissenschaft selbst, als besonderes soziales Institut, entstand erst in der Neuzeit. Wenn man den Prozess der Herausbildung und Entwicklung der Wissenschaft untersucht, muss man die entsprechenden theoretischen Ideen und Konzeptionen der westlichen Philosophie kritisch analysieren. So gibt es zum Beispiel in der postpositivistischen Philosophie der Wissenschaft zwei Richtungen. Die einen Autoren (K. Popper, I. Lakatos, J. Agassy, E. Sachara, L. Laudan u. a.) sehen den Grund für die Herausbildung und Entwicklung der Wissenschaft hauptsächlich in inneren kognitiven Faktoren; andere (T. Kuhn, M. Malkey, S.Tulmin, P. Feierabend, M. Polany u. a.- Schreibweise konnte nicht überprüft werden, Anm. d. Ü.) nehmen an, dass die determinierende Bedeutung in der Entwicklung der Wissenschaft die sozialen Faktoren haben. (3) Unter den letzteren gibt es übrigens auch solche Forscher, die der Meinung sind, (z.B. D. Bloor, B. Barnes u. a. – Schreibweise konnte nicht überprüft werden, Anm. d. Ü.), dass die sozialen Faktoren fähig sind, nicht nur die äußeren sondern auch die inneren Bedingungen für die Entwicklung der Wissenschaftsidee zu erklären. Das Prinzip des Indeterminismus entstand ihrer Meinung nach in besonderen soziokulturellen Bedingungen Deutschlands nach dem ersten Weltkrieg. Wie wir bereits feststellten, haben in der Herausbildung und Entwicklung der Wissenschaft zweifellos die kognitiven, innerwissenschaftlichen Prozesse eine besondere Bedeutung. Allerdings ist es nicht möglich, nur mit Hilfe der kognitiven Faktoren den Prozess der Herausbildung und Entwicklung der Wissenschaft zu erklären. In Wirklichkeit können keinerlei kognitive Prozesse die Tatsache erklären, warum gerade in der Neuzeit die Wissenschaft entsteht, warum es solchen Giganten des Denkens wie Platon, Aristoteles, Al-Coresmi, AlFarabi, Avicenna nicht gelungen ist, die Wissenschaft als besonderes geistiges Phänomen zu schaffen. Sie wurde von Kopernikus, Galilei, Kepler u. a. geschaffen, deren wissenschaftliche 526 Forschungen den soziokulturellen, gesellschaftlich-historischen Erfordernissen der Neuzeit entsprachen. Die theoretischen Ideen der „Soziologisten“ sind der marxistischen Tätigkeitskonzeption der Fragestellung etwas ähnlich, obwohl man hier einen prinzipiellen Unterschied nicht übersehen darf. Vor allem entstand die Idee von der entscheidenden Bedeutung des sozialen Faktors in der bürgerlichen Philosophie unter der Einwirkung marxistischer Anschauungen auf das bürgerliche Bewusstsein, zweitens ist der Begriff „sozialer Faktor“ hier etwas verschwommen erklärt, weil unter diesem Terminus sehr oft ein ziemlich breiter Kreis sozialer Erscheinungen vereinigt wird, und zwar; die intellektuelle Umgebung, die gesellschaftliche Atmosphäre, die soziale Psychologie u. ä. Außerdem unterstreichen die Soziologisten der postpositivistischen Philosophie die wichtige, sogar entscheidende Bedeutung der sozialen Faktoren in der Entwicklung der Wissenschaft, trotzdem erklären sie sie als äußere Faktoren, äußere Bedingungen in der Entwicklung. Es entsteht der Eindruck, dass die Wissenschaft an und für sich als ein gewisses Phänomen existiert, als Art des Wissens, und die sozialen Faktoren sind nur äußere Bedingungen, die auf die Entwicklung der Wissenschaft, der wissenschaftlich-theoretischen Erkenntnis Einfluss nehmen. Im Unterschied zu einer solchen Auslegung tritt in der marxistischen Tätigkeitskonzeption die gesellschaftlich-historische Bedingung nicht als äußerer Faktor, sondern als Wesenheit der Wissenschaft auf, als das, was ihre Natur und ihre Entwicklungsrichtung bestimmt. Historische Wandlungen in der Entwicklung der Wissenschaft, Veränderung ihrer Natur werden folglich durch tatsächliche Veränderungen und reale Wandlungen in der Entwicklung der menschlichen gegenständlichen Tätigkeit, in der gesellschaftlich-historischen Bewegung erklärt. Aus diesem Grunde ist die gegenständlich-praktische Tätigkeit des Menschen nicht etwas Äußeres für die Wissenschaft, sondern ihr innerer, wesentlicher Inhalt. Der Wissenschaftsbegriff als besondere Wissensform, als besonderes geistiges Phänomen kann theoretisch nur im Kontext dieser gesellschaftlich-historischen Bewegung verstanden werden. Deshalb scheint es uns, dass der soziokulturelle Prozess eben dieser besondere Äther ist, der auch die Entstehung dieses besonderen sozialen Phänomens bestimmt. Mit anderen Worten, die Wesenheit der Wissenschaft darf man nicht unmittelbar verstehen, indem man von ihr selbst ausgeht und die Merkmale der Wissenschaft und ihre Besonderheiten aufzählt. Die Wissenschaft kann rational nur im Kontext jenes realen Ganzen verstanden werden, das die gesellschaftlich-historische Entwicklung und die soziokulturellen Bedingungen des Seins des gesellschaftlichen Menschen darstellen. Darum verhält sich die marxistische Philosophie sowohl zu den Anschauungen der so genannten Kognitivisten als auch der Soziologisten, die die Ansichten der postpositivistischen Philosophieschule vertreten, recht kritisch. Es stimmt zwar, dass in der marxistischen Philosophie die materielle gegenständliche Tätigkeit, die gesellschaftliche Notwendigkeit und die Arbeitsteilung in der Entstehung der Wissenschaft besonders hervorgehoben wird und entscheidende Bedeutung erlangt, gleichzeitig aber die Rolle der geistigen Faktoren, der kognitiven Prozesse in der Entwicklung der Wissenschaft ebenfalls anerkannt wird. Tatsächlich hatten in der Herausbildung und der Entwicklung der Wissenschaft einige geistige Elemente, die in der traditionellen Philosophie entstanden sind, eine gewisse Bedeutung. Aber genau so richtig ist auch, dass nur eine bestimmte Wende in der gegenständlichen Tätigkeit, eine bestimmte Form der gesellschaftlichen Beziehungen, eine besondere Form der Arbeitsteilung und der Bedarf die reale Grundlage für die Hervorhebung dieses geistigen Elements als selbständiges Gebiet waren. Mit anderen Worten, nur bestimmte gesellschaftliche Bedingungen waren die reale Basis für die Verwandlung des Besonderen ins Allgemeine, des zufälligen, vergänglichen Elements in eine substanzielle Erscheinung. Ähnlich, wie sich im Kapitalismus die Warenbeziehungen aus dem Besonderen in das Allgemeine verwandeln, das alle Poren der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen durchdringt, so verwandelte sich auch die Wissenschaft seit dem 16.Jahrhundert aus einem besonderem peripheren Element der Philosophie, der geistigen Kultur in eine selbstständige, allgemeine, universale Erscheinung im System der geistigen Kultur. 527 Aus den Bedürfnissen des gesellschaftlichen Lebens entstanden, blieb die Wissenschaft ein passives Phänomen in der Gesellschaft, sie begann eine bestimmte Wirkung auf die Produktion, das soziale Leben, die Kultur, die Logik der Erkenntnis usw. auszuüben. Wenn die traditionelle Logik hauptsächlich den Prozess des Denkens, des Abwägens regulierte, so entstanden für sie im Zusammenhang mit der Entwicklung der Wissenschaft neue Aufgaben. Von nun an musste die Logik nicht nur die formale Richtigkeit der Überlegungen und Schlüsse begründen, sondern auch die Möglichkeit und die Notwendigkeit schöpferischen Wissens und wissenschaftlichtheoretischer Erkenntnis. (4) Folglich teilte sich im Zusammenhang mit der Entwicklung einer neuen Praxis, einer gegenständlichen Tätigkeit die Wissenschaft nicht nur von der Philosophie, sondern beeinflusste sogar die Philosophie selbst. Und so begann die Philosophie unter dem Einfluss der gegenständlichen Tätigkeit und der Wissenschaft sich selbst, ihren Gegenstand und ihre Funktion zu verändern. (5) Bis jetzt wurde immer wieder die entscheidende Bedeutung der gegenständlichen Tätigkeit, der Entwicklung der gesellschaftlichen Beziehungen, der Arbeitsteilung in der Entwicklung der Wissenschaft hervorgehoben. In diesem Zusammenhang entsteht gesetzmäßig die Frage: was konkret hat sich in der Neuzeit im Charakter der gesellschaftlichen Beziehungen und der gegenständlichen Tätigkeit verändert? Nur eine konkrete Analyse der gesellschaftlich-historischen und soziokulturellen Umstände dieser Zeit gestattet es, die Notwendigkeit der Wissenschaftsentstehung rational zu erfassen. Dabei haben sowohl die allgemeinen sozialen Bedingungen der gesellschaftlichen Entwicklung, als auch die konkreten Entwicklungserfordernisse der gesellschaftlichen Produktivkräfte und der Arbeitsteilung Bedeutung. Um die Herausbildung der Wissenschaft als besonderes geistiges Phänomen konkret zu begründen, sollten wir uns unbedingt mit der Kategorie „Bedingung“ auseinandersetzen, die bekanntermaßen nach ihrem Begriff eine Einheit, eine Gesamtheit zahlreicher Umstände darstellt. Schon Hegel bemerkte: wenn eine Bedingung existiert, die Gesamtheit vieler Umstände, so existiert die Sache real. (6) W.I. Lenin begründete und benutzte materialistisch und allseitig dieses Prinzip in der Erforschung komplizierter sozialer Erscheinungen. Wenn er komplizierte soziale Prozesse, ihr reales Sein analysierte, wand sich W.I. Lenin oft der Kategorie „Bedingung“ zu, und konnte somit die Eigentümlichkeit, die Besonderheiten eines Moments in der historischen gegenseitigen Verbundenheit der gesellschaftlichen Erscheinungen klären. Hier nun besteht unsere Aufgabe darin, die objektive Bedingung, die Gesamtheit der Umstände, die der wirkliche Grund für die Entstehung der Wissenschaft als besonderes soziales Institut sind, zu erschließen. Vor allem gab es den Prozess der ursprünglichen Akkumulation und den Übergang vom Feudalsystem zu den kapitalistischen Produktionsbeziehungen. Im Zusammenhang damit scheiterten die Verhältnisse persönlicher Abhängigkeit, die in der gesellschaftlichen Sphäre durch die Verhältnisse dinglicher Abhängigkeit ersetzt wurden. Anstelle des traditionellen Arbeiters (Sklaven, leibeigenen Bauern) taucht ein neuer Arbeiter auf (Proletariat), der, nach den Ausführungen von Marx, frei wie ein Vogel ist, aber nackt wie ein Falke. Anders gesagt, das Proletariat ist persönlich frei, aber völlig aller Produktionsmittel beraubt, und kann deshalb nur durch den Verkauf seiner Arbeitskraft existieren. Folglich hängt das Proletariat ökonomisch vom Kapitalisten ab, was wie K. Marx betonte, es stärker an das Kapital als der Hammer von Hephaistos Prometheus an den Felsen schmiedete. Der Kapitalismus war ein großer Fortschritt im Vergleich zu den vorangegangenen Gesellschaftsformen. Er befreite den Menschen von vielen Formen der persönlichen Abhängigkeit, an die Stelle aller möglichen Standesschranken traten Bedürfnisse, wirtschaftliche Interessen, ein haltloses Streben nach Profit. Die Konkurrenz, das unermüdliche Streben nach hohem Gewinn treibt die kapitalistische Produktion vorwärts, revolutioniert die Entwicklung der Produktivkräfte und die Arbeitsproduktivität. Ständige Wegbegleiter der kapitalistischen Produktion waren von Anfang an die Suche nach neuen Ländereien, neuen Absatzmärkten, die 528 Schifffahrt, die Entdeckung neuer Schiffsrouten zwischen West und Ost, durch den Handel wurden die Ländergrenzen niedergerissen usw. Marx und Engels stellten fest, dass in den hundert Jahren seiner Existenz der Kapitalismus solche Produktivkräfte geschaffen hatte, wie nie zuvor in der gesamten Menschheitsgeschichte.(7) In dem Maße, wie durch die Entwicklung des Kapitalismus neue Produktivkräfte, neue Bedürfnisse, ein prinzipiell neuer sozialer und technologischer Auftrag, der in der vorangegangenen Periode der Menschheitsentwicklung nie gekannt war, geschaffen wurde, erwies sich die traditionelle Philosophie mit ihren spekulativen Methoden als unfähig, diese Aufgaben zu lösen. Deshalb erschienen in der Entwicklung der Gesellschaft reale Bedürfnisse nach besonderen Wissensformen, nach einer Wissenschaft, die rational die entstandenen Aufträge befriedigen sollte. Dazu wurden Elemente der Wissenschaft, die bereits im System der vorangegangenen Philosophie existiert hatten, aufgegriffen, weiterentwickelt und neu gegliedert. Für die Herausbildung der Wissenschaft hatten auch andere allgemein soziale und wirtschaftliche Faktoren nicht weniger wichtige Bedeutung. Das kapitalistische System trat auf als gewaltige Anhäufung von Waren und Warenbeziehungen, deren Grundlage das System der privaten individuellen Hersteller war, die miteinander verbunden sind, ihre Waren untereinander austauschen und damit ständig ihre konkreten Tätigkeitsarten auf die abstrakt-menschliche Arbeit überhaupt zurückführen (Wert). Die vorangegangenen gesellschaftlich-ökonomischen Systeme, die auf Sklavenarbeit und Leibeigenschaft beruhten, ließen keine Gleichstellung der Arbeitsarten zu, eine Gleichheit der Arbeit eines Sklaven, eines freien und eines leibeigenen Bauern. Eben deshalb konnte nicht einmal der schärfste und vielseitigste Verstand der antiken Welt, Aristoteles, den Begriff Wert herausarbeiten. (8) Die Gegenüberstellung der Arbeitsarten, das Nichtverständnis der Einheit, der Identität der Tätigkeitsarten waren die Grundlage für eine Gegenüberstellung der spekulativen, theoretischen Tätigkeit und der praktischen, handwerklich-technischen Tätigkeit. Erst als sich der Kapitalismus herausbildete, als Ideen von der Gleichheit der Menschen und der Art ihrer Arbeit auftauchten, reifte die Bedingung heran, die Gegensätze dieser beiden Tätigkeitsformen zu überwinden. Wenn man früher als echte menschliche Tätigkeit, als höchste Form des Wissens, als Wissenschaft allein die philosophische, abstrakt-theoretische Tätigkeit akzeptierte, und die praktische, handwerklich-technische Tätigkeit als etwas Unwürdiges für einen Philosophen ansah, so wurde mit dem Entstehen des bürgerlichen Systems der Produktion eine solche verächtliche Haltung entschieden überwunden. Die kapitalistische Produktion schenkte vor allem der praktischen Seite des Wissens Aufmerksamkeit, sie schätzte die Bedeutung der handwerklich-technischen Tätigkeit hoch ein. Wichtigste Errungenschaft der neuen Zeit war, dass sie die abstrakt-theoretische Tätigkeit, die sich in der traditionellen Philosophie entwickelte, mit der praktischen, handwerklich-technischen organisch verband. Wenn früher diese beiden Formen voneinander entfremdet waren und als Formen der Zwei-Klassen-Tätigkeit der Menschen fungierten, so wurde in der Neuzeit diese Teilung überwunden und damit die Bedingung für die Geburt der Wissenschaft als besondere Art des Wissens geschaffen. Wie Zilsel (Schreibweise konnte nicht geklärt werden. – Anm. d. Ü.) schrieb, „entsteht Wissenschaft dann, wenn die Barriere zwischen zwei Bestandteilen einer wissenschaftlichen Methode niedergerissen wird und die Methode der Handwerksoberschicht‘ (empirische Tätigkeit) von den akademisch erzogenen Gelehrten (theoretische Tätigkeit) übernommen wird.“(9) Die Zusammenführung aller Arten der Arbeit zur abstrakt-menschlichen Arbeit - eine Abstraktion, die ständig in der bürgerlichen Gesellschaft gemacht wird – hatte für die sich entwickelnde Wissenschaft keine geringe Bedeutung. Sie bildete eine weltanschauliche Einstellung der Neuzeit, nach der jegliches Element der Welt nicht als Eigenschaft oder qualitative Bestimmtheiten vorgestellt wird, sondern als quantitative Charakteristiken, als Formgebung verschiedenstufiger Wesentlichkeit und Gemeinsamkeit. Die Rolle der quantitativen Methode im Werdeprozess der wissenschaftlichen Erkenntnis einschätzend, schreibt Galilei: „Niemals werde ich von äußeren Körpern etwas anderes fordern als Größe, 529 Figur, Menge...Bewegung, damit, wenn man uns die Ohren, die Zungen, die Nasen entfernen würde, nur die Figuren, Zahlen und die Bewegung bliebe.“ (10) Die überwiegende Bedeutung der quantitativen Methode in der Genesis der modernen Naturwissenschaft analysierend, bemerkten W.W. Iljin und A.T. Kalinkin sehr treffend: „Die Vielseitigkeit der Wirklichkeit wurde von nun an in Termini der mechanischen Kombinatorik einiger fundamentaler Formen, die für die bekannten Qualitäten verantwortlich sind, beschrieben. Von daher hieß die Wirklichkeit zu kennen – die Regeln der Formenkombinationen kennen. Das letztere bestimmte solch spezifische Züge der neuen Ideologie, wie die Instrumentalität und Mechanistik, die eine beachtliche Rolle im Gestaltungsprozess der Naturkunde als Wissenschaft spielten.“ (11) Als Ergebnis der Produktionsentwicklung und Arbeitsteilung gerieten schließlich die neuen technologischen Probleme in Widerspruch mit der abstrakt-theoretischen, spekulativen Theorie der damaligen Philosophie; in der Gesellschaft entstanden neue Bedarfsarten, die die Schaffung neuer Wissensformen erforderlich machten. Im Unterschied zur traditionellen Philosophie verhielt sich die werdende Wissenschaft der Neuzeit auf ganz neue Art zum Prozess der Wissensformierung, sie verstand die Aufgabe der Erkenntnistätigkeit neu. Im gesellschaftlichen Leben bildete sich eine neue weltanschauliche Einstellung heraus, ein neuer Denkstil, der eigentlich auf der Grundlage des neuen Systems gegenständlicher Tätigkeit „das archaische antik-mittelalterliche Weltanschauungsbild zerstörte und zur Formierung einer sachlichnaturalistischen Konzeption des Kosmos führte, die Voraussetzung der neuen Naturwissenschaft war. Die Grundzüge sind folgende: Verhältnis zur Natur als einem selbstgenügsamen natürlichen, „automatischen“ Objekt, dem das anthropomorph-symbolische Element genommen wurde, das in der unmittelbaren Tätigkeit gegeben war und das der praktischen Aneignung bedurfte; Ablehnung des Konkretheitsprinzips (des naiven qualitativistischen körperlichphysischen Denkens der Antike und des Mittelalters); die Herausbildung eines strengen quantitativen Urteilsprinzips (auf sozialem Gebiet – der Prozess der Entstehung des Merkantilismus, des Wuchers, der Statistik usw., auf wissenschaftlichem Gebiet – die Erfolge des Erfindergeistes, der Schaffung von Messapparaturen, streng determinierter UrsacheWirkungs-Typologisierung der Wirklichkeitserscheinungen, Eliminierung der teleologischen, organismischen und animistischen Kategorien, Einführung des Kausalismus); die instrumentalistische Auslegung der Natur und ihrer Attribute – Raum, Zeit, Bewegung, Kausalität usw., die sich mechanisch kombinieren lassen mit den jedes Ding ontologisch zusammensetzenden fundamentalen Formen; die Gestalt der geometrisierten homogeneinheitlichen Wirklichkeit, die von einheitlichen Quantitätsgesetzen gesteuert wird; die Anerkennung der Dynamik der universellen Beschreibungsmethode vom Verhalten der Umgebungserscheinungen (keine dinglichen Modelle, sondern formale geometrische Schemata und Gleichungen).“ (12) Dabei sollte man bedenken, dass nicht jede Praxis, nicht jede soziokulturelle Bedingung das Bedürfnis nach Wissenschaft, nach wissenschaftlich-theoretischer Reproduktion der Wirklichkeit hervorbringt, sondern nur eine historisch besondere Praxis, eine ganzheitlich gegenständliche Tätigkeit, die seit der Entstehungszeit der kapitalistischen Produktion gegeben war, die nicht auf die dingliche naturelle Form der Gegenstände, sondern auf die Umgestaltung von Prozessen, ihre allgemeinen Definitionen, ihre inneren Zusammenhänge, die die dingliche und körperliche Existenz der Naturgegenstände bedingten, gerichtet war. Für die Praxis jener Zeit war bereits das universelle Verhältnis zur Natur, die unbegrenzte Aneignung der Naturkräfte, die Umwandlung der lokalen Geschichte verschiedener Kontinente und Völker in die einheitliche Entwicklungsgeschichte der Menschheit kennzeichnend. Mit der Neuzeit nimmt die gegenständliche Tätigkeit (Arbeit) eine immer mehr verallgemeinerte Form an. Während bei allen vorhergehenden Produktionsmethoden irgendeine Arbeitsart, z.B. die landwirtschaftliche, bestimmend für alle anderen ist, so verwandelt die bürgerliche Gesellschaft alle Tätigkeitsformen in Varianten der Industriearbeit. Das entwickelte System der Arbeitsteilung unter kapitalistischen Bedingungen, wenn der Warenaustausch allumfassend wird, 530 führt dazu, dass das Ziel der Produktion jetzt die Produktion eines abstrakten Reichtums wird. Der kapitalistische Reichtum ist ein ständig von einer Form in die andere übergehender Wert, der zu Kapital wird, das sich nur durch ununterbrochenes Selbstwachstum erhalten kann. Der Reichtum, d.h. historisch angehäufte Arbeit in ihrer konkreten Form, erreicht hier seine Allgemeingültigkeit als Mittel der Ausbeutung, da jegliche Ware zu seiner vorübergehende Existenzform werden kann und auch wird. Und jegliche Arbeitsart wird zur Arbeit, die einen abstrakten Reichtum hervorbringt, folglich zur Arbeit im allgemeinen Sinn. Unter solchen Bedingungen entsteht erstmalig eine Gleichgültigkeit gegenüber der Bestimmtheit der Arbeit. (13) Gleichzeitig wird gerade in der kapitalistischen Epoche die reale Bedingung nicht nur zur Erreichung allgemeiner Definitionen der Arbeit, sondern auch für die Formierung einer besonderen Form des Wissens wie die Wissenschaft geschaffen. Jedoch, der entfremdete Charakter der gegenständlichen Tätigkeit, der Arbeit, der gesellschaftlichen Beziehungen im bürgerlichen Produktionssystem verdreht, vernichtet nicht nur die allgemeine Wesenheit der Arbeit in Gestalt des abstrakten Reichtums, sondern lässt auch nicht die wahre Wesenheit der wissenschaftlichen Kenntnisse erkennen, verfälscht ihre Beziehung zur objektiven Wirklichkeit. Darum kann nur die Kritik am System der entfremdeten Beziehungen eine reale Bedingung für die rationale Erkenntnis sowohl des Inhalts der gegenständlichen Tätigkeit, als auch der Natur der Wissenschaft schaffen. (14) Wie man sieht, unterschied sich die Wissenschaft als besondere Form des Wissens, als spezifische Form der Widerspiegelung der Wirklichkeit nicht nur von der traditionellen Philosophie, sondern war auch besonders orientiert auf die Praxis und die Erkenntnistätigkeit. Deshalb kann man die Wesenheit, den besonderen Inhalt der Wissenschaft nur im Kontext jener besonderen praktischen Aufgabe verstehen, die in der Neuzeit entstand. In diesem Sinne ist die Wissenschaft das Produkt dieser bestimmten historischen Epoche. Ihre Entstehung und ihr Werdegang sind verbunden mit dem Sieg der bürgerlichen Produktionsweise, die der vorangegangenen Lebensart, der geistigen Kultur, der Herrschaft der Religion eine tiefe Wunde beibrachte, sie richtete die menschlichen Gedanken hin zur Praxis, zur Erkenntnis der Natur, erklärte die objektive Realität zum Gegenstand der Wissenschaft. Für ihre Entstehung war außer gesellschafts-historischen und sozialen Bedingungen auch ein bestimmtes Niveau des Wissens, eine ausreichende Menge von Fakten notwendig, die der theoretischen Analyse und der Verallgemeinerung unterliegen sollten. Deshalb, so bemerkte F. Engels, kamen zu Anfang des 16. Jahrhunderts nur solche Wissenschaften auf, die bereits bestimmte Voraussetzungen in Form von Fakten und theoretischen Verallgemeinerungen besaßen. Nach allem bisher Gesagten ist es nicht schwer zu verstehen, warum damals Naturwissenschaften wie Mathematik, Astronomie, Mechanik usw. eine beschleunigte Entwicklung erfuhren. Dank den Arbeiten von Pythagoras, Euklid, Archimedes u. a. sind die Keime und Voraussetzungen dieser Wissenschaften bereits in der Antike entstanden, außerdem begünstigten die praktischen Bedürfnisse der bürgerlichen Produktionsweise, die Schifffahrt, die Suche nach neuen Ländereien die schnelle Entwicklung dieser Wissensgebiete. Alles das führte zur baldigen Absonderung dieser Wissenschaften von der Philosophie dank den Lebenswerken von Kopernikus, Kepler, Galilei u. a. Im Unterschied zur traditionellen Philosophie, die von Autoritäten ausging, orientierte sich die Wissenschaft von Anfang an auf die Verallgemeinerung, die Erklärung der Fakten auf der Grundlage entdeckter Gesetzmäßigkeiten. Die Genesis der Wissenschaft beginnt dort und dann, als eine zahllose Menge Fakten rationell auf der Grundlage entdeckter Gesetze der Wissenschaft erklärt werden konnten. Das Verständnis der gesetzmäßigen Verbindung zwischen Natur und Gesellschaft vertieft sich in dem Maße, wie sich die Wissenschaft entwickelt. Mit der Entdeckung eines Gesetzes und der Verallgemeinerung der Fakten hat bekanntlich die Geschichte der theoretischen Mechanik begonnen. Dank der bemerkenswerten Werke von Galilei, die die Proportionalität der Größe der Kraft nicht zur Geschwindigkeit, sondern zur Beschleunigung bewiesen, entstand die Mechanik. Im Anfangsstadium der klassischen Mechanik beschäftigten sich Kopernikus und Kepler hauptsächlich mit der Beschreibung der Bewegung 531 der Planeten um die Sonne, die der erste Schritt in der wissenschaftlichen Erkenntnis war. Im Weiteren wurden die Bewegungsgesetze formuliert. Es stimmt, die Planeten Mars, Merkur und Erde drehen sich um die Sonne. Nun fragt es sich, welche Kräfte zwingen diese Planeten, sich so zu bewegen? Selbst die Frage und die Antwort darauf wurden erst dann möglich, als der Begriff „Beschleunigung“ geklärt wurde und dass die Kraft mit der Beschleunigung im Zusammenhang steht. Das Verständnis der Tatsache, dass nicht die Geschwindigkeit, sondern die Beschleunigung der Kraft proportional ist, kann als Anfang der Mechanik und der Physik bezeichnet werden. Hier ist zu bemerken, dass der Begriff Beschleunigung deshalb anderen Begriffen der Mechanik zu Grunde lag, weil er die wesentlichen Bezüge zur Wirklichkeit widerspiegelte. In diesem Zusammenhang muss noch die Rolle des Begriffes „Massen“ bei der Erarbeitung des Newtonschen Gravitationsgesetzes erwähnt werden. Es war ein Höhenflug der Gedanken nötig, um die Bewegung eines Steins auf der Erde und die Bewegung der Planeten um die Sonne als Ausdruck des Gravitationsgesetzes zu verstehen. Dem Mechaniker Newton kam eine neue Erleuchtung zum Problem der Planetenbewegung um die Sonne. Auf diese Weise wurde die Dynamik geboren, wurden physikalische Gesetze formuliert, die diese Bewegung steuern. Die Beschreibung der Planetenbewegung ist die Entdeckung dieser Gesetze. In diesem Zusammenhang entsteht die Frage, warum das Gravitationsgesetz von Newton entdeckt wurde, und nicht von Kepler oder Galilei. Man darf nicht vergessen, dass sich Newton in seinen Verallgemeinerungen auf die Errungenschaften der gesamten vorangegangenen Epoche stützte. Außerdem wurde bereits davor der Begriff „Massen“ formuliert. Die Bildung des Begriffes „Massen“ diente als Begründung bei der Schaffung des Gravitationsgesetzes. Die Logik der Entdeckung dieses Gesetzes ist folgende: aus den Gesetzen Keplers geht der Beweis hervor, dass dem Quadrat des Abstandes die Anziehungskraft umgekehrt proportional ist. Aber die Größe der Anziehungskraft kann nicht allein aus diesem einen Fakt resultieren. Die Anziehungskräfte hängen nicht nur von der räumlichen Beziehung ab, sondern auch von der Natur der einander anziehenden Körper, und davon, welche Eigenschaften die Körper selbst haben. Gerade dieser Gedanke Newtons von der Proportionalität der Anziehungskraft gegenüber der Materiemenge ist genau jenes unzureichende Glied, dessen Fehlen es den Vorgängern Newtons nicht gestattete, das Gravitationsgesetz zu entdecken. Wie alle Erscheinungen der Natur und Gesellschaft, befindet sich auch die Wissenschaft in ständiger Entwicklung, die sich in den Begriffen und Gesetzen der Wissenschaft widerspiegelt. Die wissenschaftliche Erkenntnis ist in ihrer Entwicklung auf die Entdeckung immer allgemeinerer Gesetze der Natur und Gesellschaft gerichtet. Das ist besonders deutlich zu sehen am Beispiel der theoretischen Mechanik. Trotz all ihrer Grandiosität war die Physik Newtons nicht die Krönung der Entwicklung der Physik. Ein weiterer Triumph war die Entdeckung des Gesetzes von der Erhaltung der Energie. Dieses Gesetz wurde erstmalig formuliert von Meyer, Joule und Helmholtz. Nach dem Gesetz von der Erhaltung der Energie besteht jegliche Veränderung in der Welt nur in der Veränderung der Bewegungsformen der Materie. In der Natur findet ein ständiger Kreislauf statt. Jede Veränderung in der Natur kommt der Entstehung oder dem Verbrauch von Energie gleich. Wenn eine bestimmte Form von Energie angefordert wird, so kann sie sich entweder in ihrer Form selbst zeigen, oder kann gleich mit dem Ziel benutzt werden, andere Veränderungen äquivalenter Größe hervorzurufen. Die wichtigsten Definitionen dieses Äquivalents sind begründet in den von Joule vorgenommenen Messungen des mechanischen Wärmeäquivalentes. All das zeugt davon, dass wir, wenn wir einen bestimmten Energievorrat zur Verfügung haben, all jene Bedingungen reproduzieren können, die Ursache der von uns abgebauten Energie waren. Die Energie verschwindet in der einen Form, in einer anderen entsteht sie sofort neu. Somit ist die ganze Vielfalt der Naturerscheinungen in ihren wesentlichen Zügen durch das majestätische Gesetz von der Erhaltung der Energie ausgedrückt. Das war ein wesentlicher Fortschritt in der Verallgemeinerung und im Verständnis der Naturerscheinungen. Die Kenntnis der Naturgesetze 532 hat nicht nur theoretische Bedeutung für das Verstehen ihrer Zusammenhänge, sondern übergibt den Menschen gleichsam den Schlüssel zu Voraussagen zukünftiger Vorgänge. Die Gründer der Wissenschaft unterstrichen wiederholt, dass die Natur so lange geheimnisvoll und tyrannisch bleibt, bis die Menschen es lernen, ihre Gesetze zu entdecken und die Zukunft vorauszusehen. D.I. Mendelejew schrieb im Zusammenhang mit seiner wissenschaftlichen Entdeckung: „Ich denke, dass wir bis jetzt keine Möglichkeit hatten, die einen oder anderen Elemente vorauszusehen, weil wir eben kein strenges System für sie hatten... Mit Hinweis auf die periodische Abhängigkeit ist es möglich, nicht nur auf das Fehlen einiger von ihnen zu verweisen, sondern sogar mit großer Sicherheit und Überzeugung die Eigenschaften dieser noch unbekannten Elemente zu bestimmen.“ (15) Die Beweisbarkeit ist ebenfalls ein untrennbarer Bestandteil der Wissenschaft: ihre Thesen haben unwiderlegbare Überzeugungskraft nur dann, wenn sie bewiesen sind. Seinerzeit polemisierte Ch. Darwin mit jenen, die versuchten, die Ideen seiner Theorie seinen Vorgängern zuzuschreiben. Dabei unterstrich er, dass das Wichtigste bei wissenschaftlichen Entdeckungen das Prinzip der Beweisbarkeit ist. In diesem Sinne dachte auch Timirjasew, als er die Geschichte der Parasitentheorie von Louis Pasteur analysierte. Tatsächlich verbindet man die Entdeckung der Parasitentheorie mit dem Namen Louis Pasteurs, obwohl Ganle (Schreibweise konnte nicht geklärt werden. Anm. d. Ü.) bereits 20 Jahre früher als Pasteur darauf gekommen war. Jedoch völlig zu Recht wird diese Theorie Louis Pasteur zu gerechnet, aus dem einfachen Grund, weil Ganle sie weder sich selbst noch anderen beweisen konnte. Und so blieb seine Idee zwanzig Jahre lang fruchtlos. Solche großen Gesetze der Wissenschaft, wie das Gesetz von der Erhaltung der Energie, das Gravitationsgesetz, das Gesetz der natürlichen Auslese u .a. wurden erst dann wirklich anerkannt, als sie streng bewiesen werden konnten. Zu dieser Frage schrieb Engels, dass „das Sonnensystem von Kopernikus dreihundert Jahre eine Hypothese blieb, zwar in höchstem Maße wahrscheinlich, aber trotzdem Hypothese. Als dann Le Verrier auf Grund der Daten dieses Systems nicht nur bewies, dass noch ein bis dahin unbekannter Planet existieren muss, sondern auch noch exakt den Ort im Weltraum berechnete, und als dann Galle diesen Planeten wirklich fand, war das System von Kopernikus bewiesen.“(16) Das große Verdienst gebührt nicht dem, der die Existenz der Wahrheit erahnt, sondern dem, der sich auf die Fakten stützt und sie mit Hilfe der Logik beweist. Den Ökonomen Rodbertus kritisierend, der verkündet hatte, dass er den Mehrwert vor Marx entdeckte, führte Engels ein interessantes Beispiel aus der Geschichte der Chemie bezüglich der Entdeckung des Sauerstoffes an. Er schrieb: „Und wenn sogar Lavoisier den Sauerstoff nicht gleichzeitig mit den anderen und unabhängig von ihnen beschrieb, wie er später behauptete, so hat doch er im wesentlichen den Sauerstoff entdeckt, und nicht jene beiden, die ihn nur beschrieben, ohne zu wissen, was sie da eigentlich beschrieben.“(17) Grundlage der Wissenschaftsentwicklung war die Schaffung einer neuen Technologie, die Herausbildung der Industrieproduktion, die sich prinzipiell von der alten Produktion unterschied. Die neue Produktionsstruktur brachte neue technische und wissenschaftliche Bedürfnisse hervor, zu deren Befriedigung eine schnelle Entwicklung der Wissenschaft, in erster Linie der Naturwissenschaft, unbedingt nötig war. Das alte Wissenssystem konnte das wachsende Bedürfnis der sich entwickelnden Produktion nicht befriedigen. Es wurde zur Bremse auf dem Weg des gesellschaftlichen Fortschritts. Alles das bewirkte eine neue Situation in der Entwicklung der geistigen Kultur. Die realen Bedürfnisse der gesellschaftlichen Produktion und der Technik berücksichtigend, begann sich schnell eine neue Art menschlichen Wissens zu formieren. Wichtigste Aufgabe der sich entwickelnden Wissenschaft war, schnell mit den vorhandenen Materialien zurechtzukommen, obwohl sie noch nicht in großer Menge vorhanden waren. Engels beschäftigte sich ausführlich mit der Entwicklung und den Erfolgen einiger Formen der Naturwissenschaften jener Epoche. Er schrieb: „Bei dieser Sachlage war es unumgänglich, dass den ersten Platz die elementarsten 533 Naturwissenschaften, die Mechanik der Erd- und Himmelskörper einnahmen, und daneben, zu ihren Diensten, die Entdeckung und Vervollkommnung der mathematischen Methoden. Hier wurden große Dinge vollbracht. Am Ende dieser Periode, die gekennzeichnet war von solchen Namen wie Newton und Linnè, sehen wir, dass diese Bereiche der Wissenschaft eine berühmte Vollendung erfahren haben. In den Grundzügen waren die wichtigsten mathematischen Methoden festgelegt worden: die analytische Geometrie – hauptsächlich durch Descartes, die Logarithmen durch Neper, die Differential- und Integralrechnung – durch Leibniz und, vielleicht durch Newton. Dasselbe kann man sagen über die Festkörpermechanik, deren Hauptgesetze ein für allemal geklärt wurden, in der Astronomie des Sonnensystems entdeckte Kepler die Bewegungsgesetze der Planeten, und Newton formulierte sie unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen Bewegungsgesetze der Materie.“ (18) Die Verbindung der Wissenschaft mit der Produktion war das wichtigste Merkmal der sich entwickelnden Wissenschaft. Die aufmerksame Analyse der Wissenschaftsgeschichte lässt keine Zweifel daran, dass sie ein Produkt der neuen soziokulturellen Bedingungen ist. Engels, der sich mit den gegenseitigen Beziehungen der Wissenschaft und Produktion beschäftigte, schrieb: „Wenn die Technik... in bedeutendem Maße vom Zustand der Wissenschaft abhängt, so hängt die Wissenschaft in weit größerem Maße vom Zustand der Bedürfnisse der Technik ab. Wenn eine Gesellschaft technische Bedürfnisse hat, so bringt das die Wissenschaft mehr voran, als ein Dutzend Universitäten. Die gesamte Hydrostatik (Torricelli usw.) war hervorgerufen worden durch das Bedürfnis, die Gebirgsbäche im Italien des 16. und 17. Jahrhunderts zu regulieren. Über die Elektrik haben wir erst dann etwas Vernünftiges erfahren, als ihre technische Anwendbarkeit entdeckt wurde.“(19) Die Verbindung der Wissenschaft mit der Produktion hat einen dialektischen Charakter, und deshalb ist es wichtig, sie als gegenseitig wirksam zu betrachten, ihre Verbindung in revolutionärer Perspektive zu sehen. In der Geschichte der Wissenschaft kommen fundamentale Entdeckungen vor, die die technischen Grundlagen der gesamten gesellschaftlichen Produktion revolutionieren. In diesem Zusammenhang sind herausragende Beispiele die Entdeckung des elektrischen Stroms, der Radioaktivität usw. Viele Wissenschaftler verstanden seinerzeit die Entdeckung des elektrischen Stroms nur als eine Erscheinung, die lediglich theoretische Bedeutung hat. Jedoch die weitere Entwicklung der Physik und der Produktion bewiesen, dass die Entdeckung der Radioaktivität nicht nur unsere Erkenntnis der Natur revolutionierte, sondern auch eine Revolution in der Produktion und Technik auslöste. In diesem Zusammenhang ist auch die Geschichte des periodischen Systems der Elemente von Mendelejew interessant. Viele Forscher nahmen es zunächst als wissenschaftliche Idee auf, die nur theoretische Bedeutung hatte. Tatsächlich revolutionierte das Periodensystem der Elemente die Grundlagen der gesamten chemischen Produktion. Es sind also jene Ansichten auch nicht haltbar, nach denen die Forscher sich nur mit Fragen beschäftigen müssen, die zu einer gegebenen Zeit große praktische Bedeutung haben und die die Notwendigkeit der Ausarbeitung fundamentaler theoretischer Fragen negieren. Das ist eine im Grunde falsche Position, weil die wirkliche Verbindung zwischen Wissenschaft und Produktion nur durch die dialektische Einheit fundamentaler theoretischer und angewandter Forschung gesichert ist. Die Wissenschaft kann nicht Wissenschaft sein, wenn sie nur praktische Aufgaben verfolgt, ihr nicht auf Grund erkannter Gesetze zuvorkommt, manchmal nicht ein bisschen vorauseilt und nicht die Möglichkeit der Entwicklung der einen oder anderen Erscheinung voraussagt. Hier ist noch ein Beispiel aus der Geschichte des elektrischen Stroms interessant. Zufällige Beobachtungen von Ersted (Schreibweise konnte nicht geklärt werden. – Anm. d. Ü.) im Jahre 1820, wie die Magnetnadel bei Annäherung elektrischen Stroms abgelenkt wurde, schienen anfangs eine von vielen Naturerscheinungen zu sein, die für den Wissenschaftler interessant waren, aber weit entfernt von Praxis und Technik. In Wirklichkeit aber wurde diese Entdeckung die Grundlage der gesamten modernen Elektrotechnik. Anfangs schien das periodische Gesetz ebenfalls ein rein theoretisches Ergebnis der Wissenschaft zu sein, das auch mit der Praxis nichts 534 zu tun zu haben schien, aber jetzt ist es die Basis nicht nur der Chemie, sondern der gesamten Chemietechnologie. Die sich entwickelnde Wissenschaft hat natürlich nicht nur diese Merkmale, sie ist ein Systemgebilde, dient als System von Begriffen, Theorien, stellt Hypothesen, wissenschaftliche Modelle auf; erarbeitet ein System spezieller wissenschaftlicher Methoden, mit deren Hilfe Naturerscheinungen, wissenschaftliche Fakten, experimentelle Angaben erforscht werden. In der Wissenschaft findet auch so etwas wie Ideen- und Prinzipienkontinuität statt, sowie eine revolutionäre Veränderung der experimentellen Daten, Forschungsmethoden und Grundsatzideen. In der Neuzeit geschahen grundlegende Veränderungen sowohl im wirtschaftlichen und sozialen, als auch im politischen, geistigen und kulturellen Leben der Gesellschaft. Im Prozess der revolutionären Umgestaltung gab es den Bruch der feudalen gesellschaftlich-ökonomischen Beziehungen und ihre Ablösung durch neue, bürgerliche Beziehungen, die, wie bereits früher angeführt, weit günstigere Bedingungen für die Entwicklung der Produktion, der Produktivkräfte geschaffen hatten. Auf der Basis dieser grundlegenden sozial-ökonomischen Veränderungen entstanden neue politische Strukturen und eine neue geistige Atmosphäre. Im gesellschaftlichen Leben formierte sich eine neue Welt, ein neuer Mensch der sich auf neue Art zur objektiven Realität, zur Natur, zu sich selbst und zu seiner Geschichte verhielt. Während im Mittelalter die Natur und die reale Welt von den Menschen nicht als etwas substantielles wahrgenommen wurde, das seine Grundlage in sich selbst hat, sondern als etwas betrachtet wurde, das von Gott, einer geistigen Kraft erschaffen wurde, so gab es mit Beginn der Neuzeit eine prinzipiell neue Situation. Zum ersten Mal seit vielen Jahrhunderten schaute der Mensch mit offenen Augen in die Welt, und deshalb ist nichts verwunderliches daran, dass er begann, viele Gesetzmäßigkeiten zu entdecken, Geheimnisse der Natur zu lüften, die ihm früher unbekannt waren. Befreit von einer Reihe Formen der geistigen Versklavung wurde er aktiv schöpferisch tätig, entdeckte Gesetze verschiedener Erscheinungen, schuf Wissenschaft, Literatur und Kunst. Die allgemeine geistige Atmosphäre jener Zeit beschrieb F. Engels so: „Vor dem erstaunten Westen erstand eine neue Welt – die griechische Antike; vor ihren lichten Gestalten verschwanden die Gespenster des Mittelalters; in Italien erblühte die Kunst wie nie zuvor, die als Abglanz des klassischen Altertums als solche nie wieder erreicht werden sollte. In Italien, Frankreich, Deutschland entstand eine neue, erstmals moderne Literatur. England und Spanien erlebten bald danach die klassische Epoche ihrer Literatur. Die Rahmen des alten orbis terrarum waren zerstört; erst jetzt wurde eigentlich die Erde entdeckt und die Grundlagen für den späteren Welthandel sowie den Übergang des Handwerks in die Manufaktur gelegt, die wiederum als Ausgangspunkt für die moderne Großindustrie dienten.“(20) Die Revolutionsepoche im Ganzen übte einen entscheidenden Einfluss auf den Menschen selbst aus, auf seine Weltanschauung, seinen Denkstil, seinen Charakter und sein Verhältnis zur Arbeit. Die Gründer der modernen Wissenschaft waren nicht nur ganze Persönlichkeiten, sondern sie zeichneten sich auch durch eine enzyklopädische Gelehrtheit aus. Ihnen gehören die großen Entdeckungen in vielen Wissensbereichen. „Damals gab es fast keinen bedeutenden Menschen, der nicht große Reisen machte, nicht vier bis fünf Sprachen beherrschte, nicht in mehreren Schaffensbereichen glänzte. Leonardo da Vinci war nicht nur ein großer Maler, sondern auch ein großer Mathematiker, Mechaniker und Ingenieur, dem die unterschiedlichsten Bereiche der Physik durch wichtige Entdeckungen verpflichtet sind. Albrecht Dürer war Maler, Graveur, Bildhauer, Architekt und außerdem erfand er den Festungsbau...“(21) Im Weiteren jedoch macht sich die kapitalistische Arbeitsteilung, die Tätigkeitsspaltung bemerkbar, es geschieht eine Spezialisierung sowohl im Bereich der materiellen Produktion, als auch auf dem Gebiet der geistigen Tätigkeit, was zum Verlust der ursprünglichen Ganzheit führte. Alle alten Formen der Arbeitsteilung waren im Vergleich mit der Neuzeit ein Kinderspiel. Ein neues Gebiet nach dem anderen entstand und damit auch neue Formen der 535 Produktionsorganisation. Der Kapitalismus brachte eine Vielzahl Arbeitsorganisationsformen hervor: die Kooperation, die Manufaktur, die Maschinenproduktion usw. Die Anwendung der Kooperation, mit der die neue Arbeitsorganisation beginnt, veränderte wesentlich die Arbeitsproduktivität. Diese fortschrittlichen Tendenzen erfuhren im Weiteren eine wesentliche Entwicklung in der Produktionsorganisation der Manufaktur, in der sich jeder Arbeiter auf die Erfüllung einer bestimmten Operation spezialisierte. Dabei automatisierten bestimmte Tätigkeitsfunktionen, die an den Produzenten der materiellen Güter gebunden waren, seine Tätigkeit, und forderten gleichzeitig immer weniger Belastung von Seiten der geistigen Tätigkeit. K. Marx beleuchtete nicht nur die positive Seite der Manufakturproduktion, sondern zeigte auch ihre Mängel. Vor allem bindet sie den Menschen nur an eine bestimmte Tätigkeitsform, eine bestimmte Operation, und isoliert ihn vom gesamten Produktionsprozess. Die Manufaktur lähmt den Menschen, bildet ihn einseitig, d. h. entwickelt, nach K. Marx, den professionellen Kretinismus. Mit anderen Worten, die Manufaktur entwickelt disharmonisch die eine Seite des Menschen und lässt seine anderen Fähigkeiten verkümmern, weil sie der realen Belastung entbehren, im Tätigkeitsprozess wenig genutzt werden. Der weitere Fortschritt in der Entwicklung der Produktion ist mit der Entstehung der Maschinenproduktion verbunden, mit der Geburt der so genannten Industrierevolution, die eine bedeutende Etappe in der voranschreitenden Entwicklung der Gesellschaft und der gesellschaftlichen Produktivkräfte darstellte. Die Entstehung der Maschinenproduktion war auch in dem Sinne fortschrittlich, dass viele einseitige, schwere und routinemäßigen Funktionen den Maschinen überlassen wurden, obwohl hier das Problem des abstrakten, einseitigen Menschen noch nicht gelöst werden konnte. Tatsache ist, dass der Mensch, als er sich von vielen schweren Funktionen des Arbeitsprozesses befreite, trotzdem die Funktion des Arbeitsorgans an der Maschine ausführte. Ein solcher Mensch konnte sich ebenfalls nicht den gesamten Produktionsprozess vorstellen und unterschied sich deshalb in seiner geistigen Entwicklung nicht besonders von den Arbeitern der Manufakturperiode. Deshalb bleibt das Problem der Überwindung der Abstraktheit, des professionellen Kretinismus auch für die Maschinenproduktion aktuell. Eine grundlegende Veränderung beginnt erst mit der wissenschaftlich-technischen Revolution, die prinzipielle Bedeutung sowohl für die Entwicklung des Menschen, für die Formierung der allseitig entwickelten Persönlichkeit, als auch für das Verständnis der Wesenheits- und Begriffsveränderung der Wissenschaft hatte. In erster Linie beeinflusste die WTR (wissenschaftlich-technische Revolution) die Entwicklung der Wesenheit des Menschen. Unter den Bedingungen der Maschinenproduktion führte der Mensch die Funktion eines Arbeitsorgans an der Maschine aus; er blieb hauptsächlich Anhängsel dieser Maschine, da er selbst nicht in der Lage war, sich den gesamten Prozess im Kopf vorzustellen und folglich konnte er nicht irgendwelche Störungen beseitigen oder die Maschine reparieren. Letzteres war die Aufgabe anderer Arbeiter, die speziell dafür ausgebildet waren. Außerdem gab es noch Ingenieure, Techniker, Konstrukteure usw., die für den reibungslosen Ablauf des gesamten Produktionsprozesses verantwortlich waren. Bei aller Unterentwickeltheit seiner Produktion hatte der Mensch vergangener Wirtschaftsformationen eine Idealvorstellung vom gesamten Arbeitsprozess, d.h. bevor die Arbeit gemacht werden sollte, stellte er sich im Kopf das Ergebnis seiner Arbeit vor. Und dabei treten in dieser idealen Vorstellung die zielgerichtete Tätigkeit und der Arbeitsprozess selbst als Funktion ein und desselben Menschen auf. Unter den Bedingungen der gewöhnlichen Maschinenproduktion wird diese Gesamttätigkeit des Menschen gespalten und teilt sich mindestens in drei Teile. Zum Beispiel wird die Funktion der idealen Vorstellung vom Ergebnis des Produktionsprozesses vom ingenieur-technischen Personal verwirklicht, die Arbeiter, die eine zielgerichtete Bewegung ausführen, erfüllen die Arbeitsfunktion an der Maschine; das Produkt der Arbeit gehört dem Kapitalisten. 536 Unter den Bedingungen der WTR entstehen prinzipiell neue Momente im Produktionsprozess. Da die Arbeitsfunktion der Maschine auch der Maschine übertragen wird, ist der Arbeiter vom unmittelbaren Produktionsprozess befreit, d.h. seine Funktion im Produktionsprozess wird wesentlich verändert. Während er früher, als er die Arbeitsfunktion an der Maschine ausführte, Beiwerk der Maschine war, was seine intellektuelle und soziale Entwicklung einschränkte, so führt er jetzt im Produktionsprozess die Funktion eines Kontrolleurs, Einrichters und Bedieners aus. Während der Arbeiter früher nur ein eng spezialisierter Fachmann war, so muss er jetzt die gesamte Tätigkeit der Maschine kontrollieren, dass heißt er muss den gesamten Produktionsprozess beherrschen. Diese neue Funktion des Arbeiters stellt für ihn natürlich eine weit höhere Verpflichtung dar, sein Intellekt wird bedeutend mehr belastet, was die Frage nach einer breiten Allgemeinbildung des Produktionsarbeiters aufwirft. Mit anderen Worten, alles das fördert die intellektuelle Entwicklung des Arbeiters. Die Klassiker des Marxismus stellten seinerzeit die Frage nach der Formierung der allseitig entwickelten Persönlichkeit im Kommunismus. Die Bedeutung der WTR besteht darin, dass sie die Frage nach der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen als natürliche Forderung des wissenschaftlich-technischen Prozesses stellte. Unter den Bedingungen der WTR und der automatisierten Produktion entstehen neue, komplizierte intellektuelle Aufgaben vor den Arbeitern. Deshalb enthält das Problem der Entwicklung des Arbeiters, seiner Persönlichkeit nicht einfach das Problem der Erreichung eines bestimmten Ideals, sondern taucht auf als moderne Aufgabe, Gebot der Zeit, als gebieterische Forderung der wissenschaftlich-technischen Revolution. Unter den Bedingungen der WTR wird auch die Frage nach dem Verhältnis zwischen der geistigen und der körperlichen Arbeit neu gestellt. Tatsächlich, nachdem der Mensch die Funktion des Arbeitsorgans an der Maschine aufgegeben hat, kontrolliert er jetzt den gesamten Produktionsprozess. Um diese neue Funktion erfolgreich erfüllen zu können, muss er eine entsprechende Bildung haben. Folglich wird unter den Bedingungen der WTR die reale Möglichkeit für den Arbeiter geschaffen, bis zum Niveau des wissenschaftlich-technischen Personals aufzusteigen. Es geschieht eine Art Synthese der geistigen und körperlichen Arbeit, d.h. der Mensch steuert die automatisierte Produktion, er ist ihr Ingenieur, ihr Konstrukteur, ihr Einrichter usw. Das gesamte Operationssystem, einschließlich der Arbeitsfunktionen, wird von Maschinen ausgeführt. Deshalb stellt der Mensch den gesamten Prozess dar, er führt eine schöpferische Funktion im Produktionsprozess aus. Die wichtigste Aufgabe der wissenschaftlich-technischen Revolution besteht auch darin, dass sie einen wesentlichen Einfluss auf die Natur der Wissenschaft, auf die Veränderung ihrer wesentlichen Bestimmungen ausübt. Bekanntlich trat die Wissenschaft seit ihrer Entstehung als besondere Form des Wissens auf, die, indem sie Gesetze entdeckt, eng an die Produktion gebunden ist. Dabei zweifelte niemand daran, dass zwischen der Wissenschaft und der Produktion ein prinzipieller Unterschied besteht: die Wissenschaft schafft Wissen, und die Produktion schafft Dinge, allerdings sind sie eng miteinander verbunden. Unter den Bedingungen der WTR vollziehen sich grundlegende Veränderungen in der Beziehung Wissenschaft - Produktion. In der modernen automatisierten Produktion verschmilzt die Wissenschaft als konzentrierter Ausdruck von Gesetzen und Formeln unmittelbar mit der Produktion, d.h. die Wissenschaft selbst wird zur Produktivkraft (ausführlicher darüber weiter unten). Außerdem vollzieht sich eine grundlegende Veränderung in der eigentlichen Wesenheit der Wissenschaft. Während früher die Wissenschaft bei all ihrer engen Verbindung mit der Produktion eine Wissensform blieb, ein besonderes geistiges Phänomen, so geschieht unter den Bedingungen der WTR eine revolutionäre Veränderung sowohl im Charakter der Wissenschaft, als auch im Charakter der Produktion, d.h. die Isoliertheit und selbständige Existenz von Wissenschaft und Produktion wird überwunden, es geschieht eine organische Verschmelzung von Wissenschaft und Produktion. Da im Entwicklungsprozess von Wissenschaft und Produktion eine solche synthetische Erscheinung vor sich geht, verändert jede Seite dieser 537 Einheit ihre Bestimmungen und Charakteristika. Mir anderen Worten, wenn die Wissenschaft früher als besondere Form des Wissens auftrat, so ist sie jetzt eine besondere Form des Wissens und der Tätigkeit. Die moderne Wissenschaft ist somit nicht nur eine originelle Bündelung von Gesetzen, Begriffen, Erkenntnismethoden, sondern in ihr vollziehen sich grundlegende Veränderungen, die eine entschiedene Überprüfung ihrer Begriffe fordert. In der Tat, wenn man die Wissenschaft im Kontext eines modernen soziokulturellen Prozesses betrachtet, so tritt sie als unmittelbare Produktivkraft auf, als Verschmelzung von Wissen und Tätigkeit, als Einheit des materiellen und idealen, des objektiven und subjektiven. Mit anderen Worten, die Einmaligkeit der modernen Epoche besteht darin, dass sich der Begriff Wissenschaft grundlegend verändert hat. Folglich kann man an die Wissenschaft, ihre Aufgaben und ihre Rolle in der Gesellschaft nicht mit traditionellen Maßstäben herangehen, d.h. man muss die neue Funktion der Wissenschaft in der kulturhistorischen Entwicklung der Menschheit sehen. Die Wissenschaft ist tatsächlich nicht einfach eine Form des Denkens, sondern auch eine allgemeine Form der Tätigkeit, eine Synthese des Wissens und der Tätigkeit, sofern sie eine qualitativ neue Funktion in der modernen Kultur ausübt. Vor allem tritt die Wissenschaft als allgemeine Tätigkeit, als allgemeine Produktion, als Grundlage der Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte auf. Die moderne Entwicklung der Produktion ist hauptsächlich die wissenschaftliche Entwicklung der Produktion. Die Wissenschaft drang in die Produktion ein, revolutionierte die Produktion, ersetzte die Arbeitsfunktion des Menschen in der Maschinenproduktion, ermöglichte es, eine vollkommen neue Art von Maschinen zu schaffen, die von der Wissenschaft gesteuert werden. Anders gesagt, die Wissenschaft wurde eine allgemeine Bedingung der Produktion, eine allgemeine Produktivkraft. Da die allgemeine Bedingung der Gesellschaftsentwicklung, die ihr Gesicht bestimmt, die Art und Weise der Produktion der materiellen Güter darstellt und die Wissenschaft von nun an als wichtigste Produktionsmethode (als Produktivkraft) auftritt, verändert sich die Rolle der Wissenschaft radikal. Während sie früher als spezifische Form des Denkens zur geistigen Sphäre der Gesellschaft gehörte, zum Bereich des Bewusstseins, so wird sie jetzt, wenn die Naturwissenschaften zur unmittelbaren Produktivkraft werden, eine synthetische Erscheinung. Während die traditionelle Wissenschaft hauptsächlich eine die Produktion bedienende Funktion ausübte (die Erkenntnisfunktion), so verschmilzt jetzt ihre Erkenntnisfunktion unmittelbar mit der Produktiv-, der produzierenden und der konstruktiven Funktion. Unter den Bedingungen der WTR wachsen in der Produktion selbst die schöpferischen und geistigen Prozesse. Früher kamen die schöpferischen Prozesse von außen in die materielle Produktion, aber unter modernen Bedingungen ist die Produktion selbst ein schöpferischer, wissenschaftlicher Prozess, und die Wissenschaft wird eine Produktionstätigkeit. Eine solche Veränderung in der Natur der Wissenschaft und Produktion musste sich ebenfalls in den Organisationsformen widerspiegeln. Es ist wirklich so, dass die herkömmlichen Organisationsformen sowohl die Entwicklung der Produktion bremsten, als auch die Entwicklung der Wissenschaft. Deshalb werden durch das Leben selbst solche Verbindungsglieder hervorgebracht, wie wissenschaftlich-technische Komplexe, in denen die entzweite Existenz der Wissenschaft und Produktion überwunden wird. Sie sind in ihrer Natur ein neues, synthetisches Gebilde, in dem nach vollkommen neuen Prinzipien Wissenschaft und Produktion verbunden sind. In einer solchen wissenschaftlich-praktischen Vereinigung tritt die Wissenschaft als aktive, tätige Seite auf, die das Ziel bestimmt, die Aufgaben formuliert und die strenge Übereinstimmung von Ziel und Resultat kontrolliert. Hier geschieht auf neuer Grundlage der Wiederaufbau der Einheit von zweckgerichteter Tätigkeit und Arbeitsinstrumenten. In seiner gewohnten Produktionstätigkeit baut der Mensch im Unterschied zum Tier (nach Marx) in seinem Kopf das Ergebnis seiner Arbeit. Mit der Entwicklung der Produktion und Kultur sind diese beiden Seiten einer Einheit in selbstständige Bereiche zerfallen – in die Wissenschaft und die Produktion. Eine solche Arbeitsteilung, Trennung der Wissenschaft von der Produktion, war 538 seinerzeit sicher eine progressive Erscheinung, sie ermöglichte es, die Erkenntnis, die geistige Kultur zu entwickeln. Da die Wissenschaft die Produktion brauchte, und die Produktion die Wissenschaft, haben sich diese Verbindungen verwirklicht, obwohl das Verbindungen vollkommen unterschiedlicher Erscheinungen waren. Die Entwicklung der Wissenschaft und der Produktion jener Zeit ermöglichte keine engeren, organischen Verbindungen zwischen Wissenschaft und Produktion. Diese grundlegende Veränderung der Beziehungen zwischen Wissenschaft und Produktion vollzog sich erst unter den Bedingungen der WTR, als die Kybernetik, die Datenverarbeitung und die automatisierte Produktion entstanden. Erst seit dieser Zeit wurde es möglich, die Arbeitsprinzipien der traditionellen Maschinen abzulösen, d.h. es gelang, den Menschen von der Erfüllung der Arbeitsfunktion an der Maschine zu befreien, es wurden Automaten geschaffen, die diese Funktion ersetzten. Die traditionelle Produktion änderte sich von da an grundlegend, d.h. der Produktionsprozess wurde eine immer intellektuellere wissenschaftliche Tätigkeit. Folglich kann diese Produktion sich nicht mit einer äußeren Verbindung zur Wissenschaft zufrieden geben, für ihre erfolgreiche Entwicklung ist eine organische Fusion von Wissenschaft und Produktion nötig. In der gesellschaftlichen Kultur wurde eine solche Atmosphäre geschaffen, dass sowohl die Produktion sich nicht erfolgreich ohne organische Verbindung mit der Wissenschaft entwickeln kann, als auch die Wissenschaft sich nicht dynamisch entwickelt ohne moderne Produktion. Die wissenschaftlichen Produktionsvereinigungen in der Gegenwart sind ein Gebot der Zeit. Je schneller, richtiger und durchdachter solche Vereinigungen geschaffen werden, desto mehr Erfolg werden Praxis und Wissenschaft haben. In allen fortschrittlichen kapitalistischen Ländern hat dieser Prozess das nötige Tempo erreicht. In unserem Land gab es eine unzulässige Verlangsamung und deshalb besteht die Aufgabe darin, diesen Prozess zu beschleunigen, das Versäumte aufzuholen. Um die dialektische Vereinigung der Wissenschaft mit der Produktion zu beschleunigen, muss es genaue Vorstellungen von den inneren Wechselbeziehungen der fundamentalen und angewandten, akademischen und Zweigwissenschaften geben. Wenn die akademische Wissenschaft das ununterbrochene Wachstum fundamentaler Entwicklungen, eines Arsenals wissenschaftlicher Ideen und Erarbeitungen sichert, so trägt die Zweigwissenschaft volle Verantwortung für das wissenschaftlich-technische Niveau des Zweiges. Der Betriebssektor der Wissenschaft, der der Produktion am nächsten steht, ist mit ihm organisch verbunden und, wie die Praxis zeigt, sichert er eine bedeutende Verkürzung der Entwicklungsfristen und die Produktion neuer Technik. Die Organisationslogik der wissenschaftlichen Tätigkeit ordnet sich der Dialektik des Allgemeinen, Besonderen und Einmaligen unter. Die Analyse der modernen Wissenschaftspraxis zeugt davon, dass sich die interdisziplinären wissenschaftlich-technischen Komplexe auf dem richtigen Weg zum wissenschaftlichtechnischen Fortschritt befinden und eine effektive Form der Vereinigung von Wissenschaft und Produktion sind. Es ist offensichtlich, dass die Veränderung des Begriffes Wissenschaft, die Synthese von Wissen und Tätigkeit, Wissenschaft und Produktion unter den Bedingungen der WTR immer deutlicher wird. Die Formierung solcher neuen fortschrittlichen Organisationsformen, wie wissenschaftliche Produktionsvereinigungen und wissenschaftlich-technische Komplexe zeugen ebenfalls davon, dass die organische Synthese der Wissenschaft (Naturwissenschaft) und der Produktion ein dringendes Gebot der Zeit ist. ____________________________________________________________ 1 2 Lenin W.I. Gesammelte Werke Bd.49. S.329 Needham J. Science and civilization in China, L. 1954-1975. Bd. 1-5; Needham J. Mathematics and Sciences in China and the West // Sience and Society. New York, 1956. Bd. 20. Nr. 4, S. 320-343; Chinese science: Explorations of an ancient tradition, Cambridge (Mass.) L., 1973, S.334. Siehe 539 ebenfalls in: Rozhanskij I.D. Die antike Wissenschaft. Moskau, 1980; Gaidenko P.P.,Smirnow G.A. Die westeuropäische Wissenschaft in der Jahrhundertmitte. Moskau, 1989. 3 In der sowjetischen Literatur siehe eine Analyse dieser Richtungen in: Mikulinski, S.R. Der gegenwärtige Zustand und theoretische Probleme der Geschichte der Naturwissenschaft als Wissenschaft // Fragen der Philosophie. 1976. Nr.6; Makarowa L.A. Wissenschaft, Geschichte und Historiographie des 19. und 20. Jh. Moskau, 1987; Motroschilowa, N.W. Wissenschaft und Wissenschaftler im modernen Kapitalismus. Moskau, 1976; Petrow W.W. Besonderheiten der Entwicklung des soziologischen Aspekts in der modernen Bürgerlichen Philosophie // Methodologische Probleme der Wissenschaft. Nowosibirsk, 1973; Kosarewa L.M. Der Gegenstand der Wissenschaft: Der sozial-philosophische Aspekt des Problems. Moskau, 1977; Mamtschur E.A. Die soziale Determinierung der wissenschaftlichen Erkenntnis // Fragen der Philosophie.1987 Nr.7. 4 Darüber siehe ausführlicher: Abdildin Zh.M. Die Dialektik Kants. Alma-Ata, 1974 5 Über die Geschichtlichkeit der Funktion der Philosophie, ihre Wechselbeziehung mit der Naturwissenschaft siehe: Abdildin Zh.M. Die Geschichtlichkeit der Funktion der Philosophie // Weltanschauliche Inhalte der Kategorien und Gesetze der materialistischen Dialektik. Kiew, 1981. Darüber siehe ebenfalls: Die Geschichtlichkeit der Wechselbeziehungen von Philosophie und Naturwissenschaft // Die Dialektik in den Wissenschaften von Natur und Mensch: Die Dialektik der Weltanschauung und Methodologie der modernen Naturwissenschaft. Moskau, 1983. Die Abnabelung von der philosophischen Theorie der Einzelwissenschaften hatte zwei wichtige Folgen: einerseits verselbständigten sich die Einzelwissenschaften, andererseits wurde die neue Funktion der Philosophie deutlich neu bestimmt. Wenn früher die Philosophie als Gesamtwissen auftrat, so schuf sie in der Neuzeit ein verallgemeinertes Weltbild. Eine solche Philosophiethese war bedingt durch die gesellschaftlich-historische Praxis, durch die neue Arbeitsteilung und die objektive Philosophiethese im System der sich entwickelnden Wissenschaften. Aber nach den Gesetzen der Dialektik bleibt nichts an einer Stelle stehen. Alle Erscheinungen der Natur, der Gesellschaft und des Denkens entwickeln sich ständig, gehen von einem Zustand in den anderen über. „...Alle Gesellschaftsordnungen“, schrieb Engels, „die im Laufe der Geschichte einander abwechselten, sind nur Übergangsstufen einer endlosen Entwicklung der menschlichen Gesellschaft von der niedrigsten Stufe zur höchsten“. // Marx K., Engels F. Ausgewählte Werke. Bd. 2. Moskau, 1953. S.343. Im Prozess der gesellschaftlichen Entwicklung wurden Widersprüche und Fehler der bürgerlichen Produktionsweise, der kapitalistischen Arbeitsteilung entdeckt. Dabei vollzogen sich ebenfalls tiefgründige Veränderungen in der geistigen Kultur, in der Wissenschaft und in ihrer Wechselbeziehung zueinander. Marx und Engels sahen nicht nur die Widersprüche, die neuen Prozesse, die sowohl in der Entwicklung der Produktion, der gesellschaftlichen Beziehungen, als auch in der Arbeitsteilung und in der Entwicklung der Wissenschaft vor sich gingen, sie untersuchten sie theoretisch, entdeckten jene Haupttriebkräfte, die im Endeffekt diese Veränderungen hervorbrachten und bedingten. Dabei verallgemeinerten sie nicht einfach das vorhandene Sein, den gegenwärtigen Zustand der gesellschaftlich-historischen Entwicklung, sondern sahen tiefgründig die Tendenzen und die allgemeine Richtung des Geschichtsprozesses voraus. Marx und Engels analysierten die sozialen Prozesse, die sich in den grundlegenden Widersprüchen der bürgerlichen Ordnung, in den Überproduktionskrisen, in den revolutionären Auftritten des Proletariats äußerten, ebenso in der Entwicklung der Wissenschaft, in erster Linie in drei großen Entdeckungen, und kamen zur Schlussfolgerung, dass die bürgerliche Produktionsweise, die Arbeitsteilung und die ganze vorangegangen Philosophie und ihre 540 Wechselbeziehung mit der Wissenschaft, die durch diese Wirklichkeit bedingt war, endlich sein müssen. In ihren theoretischen Forschungen verteidigten Marx und Engels sehr entschlossen diesen Gedanken, begründeten das unaufhaltsame Ende der alten Philosophie, Ontologie, Naturphilosophie. Engels schrieb: „Jetzt aber brauchen wir nur vom Standpunkt der Dialektik einen Blick auf die Ergebnisse der Natur zu werfen , d.h. ihre Verbindung zu sehen, um ein für unsere Zeit befriedigendes „Natursystem“ zusammenzustellen, und wenn das dialektische Bewusstsein von dieser Verbindung sogar in die metaphysischen Köpfe der Naturwissenschaftler entgegen ihrem Willen eindringt – da ist das Ende der Naturphilosophie gekommen. Jeglicher Versuch, sie wieder auferstehen zu lassen, wäre nicht nur umsonst, sondern sogar ein Schritt zurück“ // Marx K. Engels F. Ausgewählte Werke Bd. 2. Moskau, 1952.S. 370. 6 Er schrieb folgendes: „Wenn alle Bedingungen irgendeiner Sache offen auf der Hand liegen, beginnt sie zu existieren“. Und weiter: „Sich mit den Bedingungen vereinigend, gewinnt die Grundlage äußere Direktheit und das Moment des Seins.“// Hegel. Die Wissenschaft der Logik. Moskau, 1971. Bd.2. S.108-109. 7 „Die Bourgeoisie schuf in weniger als 100 Jahren ihrer Klassenherrschaft viel zahlreichere und viel grandiosere Produktivkräfte, als alle vorangegangenen Generationen zusammengenommen. Die Eroberung der Naturkräfte, die Maschinenproduktion, die Anwendung der Chemie in Industrie und Landwirtschaft, Schifffahrt, Eisenbahnen, der elektrische Telegraf, die landwirtschaftliche Nutzung ganzer Erdteile, die Anpassung der Flüsse für die Schifffahrt, riesige, buchstäblich aus dem Untergrund kommende Menschenmassen, welches der vorangegangenen Jahrhunderte hätte ahnen können, dass solche Produktivkräfte im Schoß der gesellschaftlichen Arbeit schlummern.“// Marx K., Engels F. Aufsätze. Bd.4.S.429. 8 Marx K., Engels F. Aufsätze.Bd.23.S.69 „Die Gleichheit und Gleichwertigkeit aller Arbeitsarten, sofern sie überhaupt menschliche Arbeit sind“, schrieb Marx, „dieses Geheimnis des Wertausdrucks kann nur dann gelüftet werden, wenn die Idee der menschlichen Gleichheit bereits die Festigkeit eines Volksvorurteils erreicht hat“// Ebenda. S. 69 9 Zitat nach: Iljin W.W., Kalinkin A.T. Die Natur der Wissenschaft. Moskau, 1985. 10 Galilei, G. Ausgewählte Werke. Moskau, 1964. Bd.1. S.507 11 Iljin W.W., Kalinkin A.T. Die Natur der Wissenschaft. S.53. 12 Ebenda. S. 56 13 Dialektische Logik. Alma-Ata, 1986, Bd.1. S.176 14 „Der Wert verwandelt jedes Arbeitsprodukt in eine gesellschaftliche Hieroglyphe. In der Folge bemühen sich die Menschen, den Sinn dieser Hieroglyphe zu enträtseln, in das Geheimnis ihres eigenen gesellschaftlichen Produktes einzudringen, weil die Festlegung des Gebrauchs als Wert ein gesellschaftliches Produkt der Menschen ist, nicht weniger, als zum Beispiel die Sprache. Die späte wissenschaftliche Entdeckung, dass die Produkte der Arbeit (sofern sie einen Wert darstellen) nur ein dinglicher Ausdruck der menschlichen Arbeit sind, der für ihre Produktion ausgegeben wurde, eröffnet eine neue Epoche in der Geschichte der Menschheitsentwicklung, aber zerstreut überhaupt nicht die dingliche Sicht des gesellschaftlichen Charakters der Arbeit“.// Marx K., Engels F. Bd. 23.S.84 15 Stepanow W. Geschichte des großen Gesetzes, Moskau, 1952. S.193 16 Marx K., Engels F. Aufsätze Bd. 21. S. 284 17 Ebenda Bd. 24.S.20 18 Ebenda Bd. 20.S.348 19 Ebenda Bd. 39.S.174 20 Ebenda Bd. 20. S. 345-346 21 Ebenda. S. 346 541