Körpersprache im Überblick (mit Fachbegriffen) (=s-koerpersprache-ueberblick - Wolfgang Boettcher, Ruhr-Universität Bochum, Germanist. Institut) fettgedruckt = zentrale Fachtermini (sie gehören zu denen, deren Kenntnis für die Abschlussklausur vorausgesetzt wird) TERMINOLOGISCHES: 1. „nonverbale Kommunikation“ versus „Körpersprache“ (als körpergebundener Ausschnitt nonverbaler Kommunikation; zu nonverbaler Kommunikation rechne ich auch Raumanordnung usw.) 2. Einteilung nach Kommunikationskanälen: visuell (= sehbar) [auch verbal-schriftlich] auditiv (= hörbar) [auch verbal-mündlich] taktil (= fühlbar) [auch Blindenschrift] thermisch (= als Temperaturerhöhung bzw. –erniedrigung wahrnehmbar) olfaktorisch (= riechbar) und gustatorisch (= schmeckbar) 3. Status der „Körpersprache“ als Sprache (vgl. „Sprache der Bienen“)? Verführt dieser Terminus zur Annahme eines homogenen Symbolsystems? 4. konkurrierende Termini: verbal - nonverbal verbal - paraverbal - nonverbal bzw. extraverbal (= aus der Perspektive einer Dominanz des Verbalen formuliert) gelegentlich: linguistisch - paralinguistisch - extralinguistisch (= formuliert aus der Perspektive der Zuständigkeit der Disziplin Linguistik, eigentlich ungeschickte Wortwahl, weil „linguistisch“ usw. sich auf wissenschaftliche Zugänge bezieht, nicht auf die Phänomene selber) nonverbal = vokal - nonvokal (= aus der Perspektive des Mediums formuliert) 5. wissenschaftliche Ausschnitte: Blickverhalten Mimik Gestik („kinesics“) Nähe-Distanz-Verhalten („proxemics“) ZEICHENTHEORETISCHES: 1 2. 3. „digitale“ versus „analoge“ Kommunikation (Watzlawick): nonverbale Kommunikation als analoge Kommunikation, bei der der die Zeichenbedeutung (unter begrenzten Aspekten) von der Zeichengestalt her erschlossen werden kann (z.B. die stufenlose Steigerbarkeit der Bedeutung 'Wut' von den entsprechend intensivierten mimischen/ gestischen Zeichengestalten her); verbale Kommunikation als digital (Intensitätsgrade von 'Wut' sind nur stufenweise durch Wechsel der Zeichenträger darstellbar: „Irritiertheit“ zu „Verärgerung“ zu „Wut“ bzw. „Wut“ - „große Wut“ zu „Sauwut“) unterschiedlicher Zeichenstatus der Körpersprache: Anzeichen (Indices) (z.B. 'Erröten' für 'Verlegenheit', 'schwitzende Hände' für 'Aufgeregtheit') als Relation der Verursachung des Zeichens durch das Bedeutete analoge Zeichen (z.B. 'weit aufgerissene Augen' für '.Angst') als Relation der 'starken Motiviertheit' des Zeichens durch das von ihm Bedeutete nonverbale Zeichen vor/nach verbalen Zeichen: präverbale Zeichen (in der Kleinkind-Eltern-Interaktion) postverbale Zeichen (= sprachlich vereinbarte Zeichen, z.B. Flaggen-Signale) Rolle präverbaler Zeichen im Spracherwerb von Kindern und ihre Veränderung durch das sich entwickelnde Sprachverhalten der Kinder? Mit einem 'traurigen Blick' gibt jemand (= expressive Dimension) jemandem (= appellative Dimension) etwas (= Darstellungs-Dimension) zu erkennen 'Kommuniziere' ich mit meinem 'traurigen Blick' 'Traurigkeit'? - Gebe ich mit diesem Blick anderen meine Traurigkeit zu erkennen? - Oder nehmen andere diesen Blick als (An)zeichen meiner Traurigkeit? VERSTEHEN/INTERPRETIEREN VON KÖRPERSPRACHE: - - - - - - - - - - Körpersprachliche Zeichen sind unterschiedlich weitgehend konventionalisiert: - hochkonventionalisiert sind sog. Embleme wie z.B. 'den Vogel zeigen' - wenig(er) konventionalisiert sind Körperzeichen wie z.B. 'die Stirn in Falten legen' (Bedeutung hat 'irgendetwas mit Distanzierung' zu tun) Körpersprachliche Zeichen sind unterschiedlich ein-deutig Körper-Sprache: Gibt es 'Körpertexte', 'Körpersätze', 'Körperwörter' , 'Körperlaute/Körperbuchstaben '? Kann ich Körper-Einzelzeichen angemessen verstehen? Oder verstehe ich sie (automatisch) im Kontext - anderer Körperzeichen, - anderer nonverbaler und verbaler Zeichen, - der Situation, - der Vorgeschichte dieser Situation/dieser Personen, - des Vorwissens und (fester) Erwartungen aufgrund vieler früherer ähnlicher Verstehenserfahrungen? Meine ich, Körperzeichen isoliert verstehen/interpretieren zu können, wenn ich mich beim Reden über Körpersprache auf einzelne Zeichen beziehe/berufe, z.B. auf die „traurigen Augen“? Gibt es in den Körperzeichen-Konfigurationen verstehenslenkende Zeichen (= „SchlüsselSignale“)? Welche Rolle spielt die Gewohnheit, Körperausdrücke verbal zu fassen („ein verzweifeltes Gesicht“), für die Wahrnehmung: Wenn es so wäre, dass die Verbalsprache undifferenzierter und klischeebildend ist, würde dies zu einer Entdifferenzierung und einer Bedeutungsverschiebung in der Wahrnehmung von Körpersprache führen? Wie viele und wie gegliederte Bestände an Wörtern über z.B. Affekte gibt es? Und umgekehrt: Wie viele und wie gegliederte Versprachlichungen kommunikativer Körperhandlungen (z.B. „zuckte die Schultern“) gibt es (= „Kinegramme“)? Wie entstehen erste Eindrücke, und wie ändern sie sich bei weiteren Wahrnehmungsrunden Vergleich mit Wahrnehmungen anderer Verständigung über Wahrnehmungen und -unterschiede? Gibt es 'bessere' und 'schlechtere' Körpersprach-Verstehende? Frauen besser als Männer? 'Egozentrische' Menschen schlechter als 'sozial orientierte'? geschulte besser als ungeschulte? Worin liegen die Verstehensunterschiede? Und was sind ihre Ursachen? Wieweit helfen gattungsgeschichtliche Rekonstruktionen von (originären) KörperzeichenBedeutungen? Wieweit helfen Rekonstruktionen der den Zeichen zugrundeliegenden Körper'Mechanik' (z.B. die Gesichtsmuskel-Konfigurationen des „facial atlas“) bei der Untersuchung von Körpersprache? „Weil“-Erklärungen versus „um-zu-“Erklärungen beim Thematisieren von Körpersprache (z.B.: „Ich habe das Bein übergeschlagen, weil mir das bequemer ist“ - 'Ich habe das Bein übergeschlagen, um mich von Dir mehr abzugrenzen und diese Abgrenzung zu zeigen').. „Weil“Erklärungen in alltagsweltlicher Thematisierung/Rechtfertigung von Körperzeichen wichtig, „umzu“-Erklärungen in der wissenschaftlichen Untersuchung? Wäre ein 'Lexikon der Körperzeichen' ein lohnendes Ziel? (Es gibt bereits ein „Handbuch der Gesten“) Welche Konservierungsverfahren für welche Fragestellungen: verbale Protokolle? Fotographien? Tonband/Video? Notationsverfahren für Körpersprachliche Daten: als Ergänzung in Verbaltranskripten (z.B. „HIAT 2“) als selektive Beschreibung (z.B. Handbewegungen) als (vorsorgliche) vollständige (computerauswertungsorientierte ) Erfassung (=Hirsbrunner u.a.)? - Welches gesellschaftliche Interesse an einer Erforschung der Körpersprache? Welche wissenschaftlichen Disziplinen beteiligen sich unter welchen Fragestellungen? Geschichte der Körpersprachforschung KÖRPERSPRACHE UND GESPRÄCH: A Herstellung des Gesprächsrahmens: Aufmerksamkeitssteuerung vor und während Gespräch (verbale und nonverbale Mittel), nonverbal z.B.: 'fixierender' Blickkontakt Lauterwerden der Stimme Redepausen Herstellen einer Gesprächskonfiguration: angemessener Körperabstand („proxemics“). Krisensituationen der Unterschreitung von Mindestdistanzen (Fahrstuhl, Gedränge usw.) - wie 'normalisieren' die Beteiligten diese Situation (z.B. Blickkontakt vermeiden; ein Gespräch anfangen, das diese Nähe im Nachherein 'rechtfertigt') oder der Überschreitung von Maximaldistanzen (z.B. Flirt/Liebeserklärungen über eine belebte Verkehrsstraße hinweg) Wahl des Territoriums (z.B.: in wessen Zimmer findet ein Problemgespräch statt?) Sitzordnungen/Stehordnungen angemessene Körperorientierung (je nachdem, ob Dyade, Kleingruppe, Großgruppe usw., und je nachdem, für welchen Gesprächstyp, z.B. 9O-Grad-Anordnung bei Beratungsgesprächen) B Gesprächsorganisation: Adressierung der eigenen Redebeiträge bei mehr als 2 Personen: verbale (Anreden) und nonverbale (Blickkontakt + Orientierungsreaktion) Regelung des Sprechwechsels („turn“): um den turn abzugeben: (wieder) in Blickkontakt gehen; vokale Signale (Absenken, Entspannung, Verlangsamung); Körperentspannung, Änderung der Sitzhaltung um den turn zu erhalten: 'auf dem Sitz nach vorne rücken', Kopfhaltung aktivieren um den turn zu behalten: lauter reden, Kopf verneinend schütteln Hörrückmeldungen („back-channel-behaviour“) mit den Funktionen Aufmerksamkeitsbeweis, Verstehensbeweis und Bewertung (im Sinne von Konvergenz oder Distanzierung): in Blickkontakt bleiben (oder gerade nicht: als Zeichen von Desinteresse/Entwertung/Überlegenheitsanspruch) Kopfnicken (mit Schräghaltung/'Schnaufen' und anderen bewertenden Akten) C Thematischer Prozess: - - - - grammatische Aspekte vokaler und nonvokaler Zeichen: wortbezogene (z.B. Akzentplatzierung durch erhöhten Schalldruck, ggf. zusätzlich durch entsprechende Gesten), satzbezogene (Thema-Rhema-Verteilung u.a. durch Betontheit/Unbetontheit) und textbezogene (= transphrastische) Prosodie (z.B. Markierung von Parenthesen durch Stimmebenensenkung) Körperzeichen können verbale Äußerungen ersetzen („Gib mir mal bitte den + gestischer Hinweis auf einen Gegenstand“; u.a. gestischer Ersatz für Anführungszeichen) ergänzen verstärken modifizieren kommentieren (z.B. Markierung des Modus 'Spass') kontrastieren (Ironie, double-bind-Kommunikation) Funktionen nonverbaler Zeichen unter Bezug auf verbale: Embleme = sprachzeichenersetzend Illustratoren = sprachbegleitende Verstehensunterstützer Adaptoren = sprecherbezogene Bewegungen (die für die anderen lediglich informativen Wert haben können) In welchen 'extremen' Situationen ersetzt Körpersprache Sprache: in Situationen der Erschütterung („die Sprache verlieren“, „mir fehlen die Worte“, „ihr versagte die Stimme“) in 'eingespielten' Beziehungen (Sportmannschaft, Ehe/Freundschaft) funktional: bei zu großer Distanz oder/und zu großem Lärm in Kontexten, wo die Hauptkommunikation nicht gestört werden soll (z.B. unter Schülern im Unterricht) in Situationen großen Zeitdrucks besondere Probleme von „Kanaldiskrepanzen“ („cross-channel-behaviour“): Widersprüchen zwischen z.B. einzelnen körpersprachlichen Medien oder zwischen Verbalsprache und Körpersprache; Orientierung an den körpersprachlichen Äußerungen im Zweifelsfall? Warum: Gelten sie als verlässlicher, weil sie weniger in der Daueraufmerksamkeit und damit Kontrolle stehen und/oder weil sie weniger gut lernbar/kaschierbar sind (Theorie vom 'Körper-Leck' [= „nonverbal leakage“]) - - D Beziehungsgestaltung: - - - - - sich - vokal und nonvokal - in der Beziehung zu B darstellen unter Aspekten wie momentane Stimmung mittelfristige Stimmung (Gelauntheit) (funktional: Visitenstimme) Typ ('Charakter') bestimmtes Alter Mann oder Frau Anderen zuschreiben (attribuieren) Charaktereigenschaften („die wirkt ja unheimlich rigide“) InteIligenzgrade („Mein Gott, sieht der doof aus“) körpersprachlicher Ausdruck von Emotionen: „basic emotions“: Interesse, Freude/Glück, Traurigkeit, Ekel, Furcht/Angst, Ärger/Wut, Überraschtheit Relation verbalen und nonverbalen Gefühlsausdrucks Angeborenheit versus kulturell gelernt: Kompromisshypothese kulturspezifischer Ausprägung? kulturell beobachtbare Unterschiede als Folge unterschiedlicher ´Zur-Schau-Stellungs-Regeln (vorschnell manchmal als „Verstellungsregeln“ bezeichnet) („display rules“ = 'VorzeigeRegeln')? Sind Gefühlsausdrücke (verursachte) Folge 'innerer Gefühlszustände'? Oder wirken Gefühlsausdrucks-gewohnheiten (u.a. bestimmte Körperhaltungen) zurück als Auslöser entsprechender Gefühlszustände? Sind Gefühlsausdrücke kommunikative Handlungen? Sind Standard-Gefühlsausdrücke 'zitierbar' (= 'demonstrativ traurig gucken')? Steuerung der Gesprächsbeziehung: Abgrenzung (Sitzhaltung) gegen B; Änderung in eine konvergente Haltung („Körperhaltungsecho“) gemeinsame Abgrenzung gegen Dritte: in Begrüßungsphasen unterschiedliche Vertrautheitsbeziehungen für die je anderen 'demonstrieren' innerhalb größerer Verbände (Kleingruppe, Party, Kino) die engere Zusammengehörigkeit mit einem/r anderen 'demonstrieren' (Händchen halten; geringere Körperabstände; spezifisches Lächeln) E (gesellschaftliche) Funktionen der Körpersprache - Subversivität der Körpersprache: gesellschaftliche Zentrierung auf Sprache ermöglicht unauffällige Kommunikationen durch Körpersprache visuelles Körpersprachverhalten 'stört' nicht die gleichzeitige verbale Kommunikation (= Nebenkommunikation) Körpersprache ist weniger fest-stellbar als Verbalsprache, daher weniger verantwortungshaltig (und u.a. weniger juristisch kontrollierbar, abgesehen von spezifischen Emblemen) - - nonvokale Körperäußerungen sind weniger (als verbale und vokale Äußerungen) in die Aufmerksamkeit des/r Sprechenden rückgekoppelt (= man sieht sich nur im Spiegel direkt), daher weniger der Dauerkontrolle ausgesetzt, daher gelten sie als zuverlässiger Körperäußerungen sind durch beliebige Graduierbarkeit und Differenzierbarkeit insbesondere für Beziehungsgestaltungen geeignet der Prozess der Zivilisation als Geschichte einer Zähmung der Körperlichkeit?