Universität Osnabrück Fachbereich: Seminarleiter: Islamische Religionspädagogik Prof. Dr. Bülent Uçar Seminar: Referentin: 10. 01. 2009 Sira – Das Leben und Wirken des Propheten Muhammed Arzu Meriç Wunder: Wahr oder Legende? I. Was ist ein Wunder? Al-Igi: „Das Wunder (mugiza) ist dasjenige, womit bezweckt wird, die Wahrheit dessen zu zeigen, der ein Gesandter Gottes zu sein behauptet“ Al-Igis 7 Bedingungen (shart) für das Wunder: 1. Es muss Gottes Tat sein, oder das, was dieser entspricht. 2. Es muss die Gewohnheit durchbrechen (hariq li’l-ada). 3. Es muss schwierig sein, gegen die Wunder Einspruch zu erheben. 4. Es muss durch die Hand dessen geschehen, der das Prophetsein behauptet. 5. Es muss zu der Ankündigung des Propheten in Einklang stehen (darf nicht anders ausfallen) 6. Das Wunder selbst darf dem Propheten nicht widersprechen (ihn nicht als Lügner erklären) 7. Das Wunder darf nicht der Behauptung, es zu vollbringen, vorangehen, sondern muss mit ihr gleichzeitig sein. Es ist die Tat Gottes, der es durch die Hand dessen vollbringen kann, den er legitimieren will (tasdiq) II. Wie beweisen Wunder die Wahrhaftigkeit ihrer Vollbringer? Gurgani: Nasafi: Taftazani: Gott erschafft nach Beendigung des Wunders das Wissen um die Wahrheit Wunder gehören notwendigerweise zur Sendung des Propheten; sie verhelfen zur korrekten Anerkennung und Annahme der Botschaft des Gesandten. - Mugiza = Wunder = etw., was im Widerspruch zum Gewöhnlichen steht, wird von jdm. vollzogen, der das Amt des Propheten innezuhaben behauptet - Leugner können nicht dasselbe tun, wenn sie sich mit ihm messen wollen - Wunder = Bestätigung des Prophetenseins + Beweisführung zur Akzeptanz seiner Aussagen + Unterscheidung zwischen dem Wahrhaftigen und dem Falschen + dient zur Gewissheit von seiner Wahrhaftigkeit - Erkenntnis von seiner Wahrhaftigkeit = Folge des Wunders - Wunder eines Propheten ≠ Gnadengabe (karamat) eines Heiligen III. Positionen einiger Gelehrter Al-Gazali - Gab eine theoretische Behandlung der Möglichkeit und Notwendigkeit der Wunder Muhammeds an + interpretierte sie als unentbehrliche Teile seines Lebens - Muhammeds Wunder: dürfen nicht losgelöst von den Überlieferungen über seinen Charakter, seinen Handlungen, Gewohnheiten, seinen Veranlagungen und seinen politischen Handlungen betrachtet werden bei integrierter Beachtung wird klar, dass M. himmlischen Beistand und göttliche Kraft empfing. - Beweisführung: M. war ein Analphabet, betrieb keine Wissenschaft u. las keine Bücher. Das alles ist ohne Inspiration undenkbar. Bagdadi Bagdadis Kapitel über Wunder Behandlung der grundlegenden Fragen ohne Bezugnahme auf einen Propheten oder Heiligen Kap. 1-9: Auseinandersetzung mit grundlegenden Fragen Kap. 10-15: Auseinandersetzung mit den Propheten und ihrer Wunder Bagdadi: Muhammed vereinigt alle bisher bei anderen Propheten erschienenen Arten von Wundern in sich Kap. 13: Aufzählung der Wunder Muhammeds Kap. 14: Das größte Wunder der Koran Asaritische Definition des Wunders: Wunder = Durchbrechung der Naturgewohnheit durch Gott Die Ursache-Wirkungs-These ist ungültig! Weil: Die Wirkung geschieht nicht aufgrund der Ursache, sondern ist eine Neuerschaffung Gottes. Das, was man in der Natur beobachtet, ist kein Gesetz, sondern ein wohlgeordnetes Walten Gottes. Für den Menschen ist diese Ordnung zur Gewohnheit geworden, was allerdings nicht bedeutet, dass sie durch Gott nicht unterbrochen oder verändert werden kann. diese Definition des Wunders bildet bis zum heutigen Tage die Grundlage für alle großen orthodoxen Theologen Ibn Hazm Übt eine scharfe Kritik gegen die asaritische Auffassung der Wunder M. aus, wie sie durch Baqillani vertreten wurde. 1 Baqillanis Definition von Wunder, in der es heißt, dass zu dem Wunder eines Propheten unbedingt die Herausforderung an die Gegner, Gleiches zu tun, gehört, wird von Ibn Hazm vehement abgelehnt diese Bedingung stütze sich nicht auf einen Beweis aus den Hauptquellen des Islam: Koran, Sunna, Konsens und Analogieschluss. Dieselbe Kritik äußert er bezüglich Baqillanis Auffassung des Zaubers als ein wirkliches Geschehen, das das Wesen der Dinge ändert. Weitere Merkmale der Prophetenwunder: Sie stehen außerhalb der in dieser Welt gültigen Ordnung und Eigenschaften und außerhalb der Weltstruktur. Sie geschehen nicht gemäß einem bekannten Gesetz oder bekannter Maßstäbe, sondern durch die Umwandlung von Substanzen und durch die Änderung von wesentlichen Eigenschaften (Bsp: Mondspaltung, Meeresteilung oder die Erschaffung von Nahrung und Wasser) IV. Entstehung der Wunderberichte 1) 2) Goldziher & Beckers Vermutung: Diese Phänomene wurden von anderen Religionen übernommen oder entstanden unter dem Einfluss einer fremden Religion. Da der jüdische und der christliche Einfluss auf Muhammed von verschiedenen Gelehrten nachgewiesen wurden, scheint diese Vermutung für Diskussionen von Bedeutung zu sein. Bsp.: Johannes Damascenus (700-750) warf den Muslimen vor, dass ihr Prophet keine Wunder zu seiner Legitimation vollbracht habe. Aus dieser Zeit und der Zeit davor gibt es keine Wunderberichte Muhammeds. Erst 20 Jahre später entstand die erste Sira-Literatur, welche von vielen Wundern M. berichtet. Diese Wunder = Bemühung, ein M-Bild zu entwerfen, welches dem christl. Bild von Jesus nicht nachsteht. Wunder M. = Legenden, die ohne externen Einfluss im Islam selbst entstanden. Annahme: M. Gestalt erfuhr eine Umbildung durch die volkstümliche Verehrung (wie auch manche anderen religiösen Figuren). a) Horowitz: M.s Landsleute übertrugen ihm Kräfte und die Neubekehrten gaben ihm die Eigenschaften ihrer früheren Heiligen. b) Tor Andrae: M.s Wunder haben etw. mit den „Qussas“ zu tun, d.h. den berufsmäßigen Sagenerzählern. Ziel: Die Zuhörer dadurch fesseln, indem sie M.s Leben mit Wundern ausschmückten. c) Paret: Wunder sind entstanden aus dem späteren Glauben der isl. Gemeinde an die übermenschl. Gestalt M.s. Die Wirksamkeit göttlicher Kräfte = Voraussetzung für die Entstehung der Wunderhadithe. V. Analyse der Wunderhadithe bei Buhari a. b. c. d. e. f. Fast alle von Buhari tradierten Wunderhadithe haben arab. Charakter Bezug zu vorislam. Erzählungen & arab. Volkserzählungsart. Kriegszüge M.s sind überwiegend Schauplatz des Wundergeschehens. Wunderberichte enthalten keine theologischen Reflektionen über M. Sie stellen ihn jedoch in den Mittelpunkt und machen ihn zum Werkzeug des Wundergeschehens. Buhari: M = Mittelstellung zw. Der Verherrlichung M.s als übernatürlicher Mensch ausgestattet mit göttl. Kräften & einer menschlichen Gestalt Wunder dienen weniger M. als dem Islam, seiner Botschaft & Verbreitung Sache Gottes im Zentrum Buhari: Wunder = Eingriff Gottes durch Seinen Propheten, um dem Islam zu weiteren Siegen zu verhelfen. Diese wurden unter dieser Bedingung aufgenommen und tradiert. An dem Wunderelement selber war Buhari weniger interessiert. VI. Stellung der Wunderfrage in der islamischen Theologie Die Wunder M.s (saw)spielten in der islamischen Theologie nie eine erhebliche Rolle. Besonderen Stellenwert eroberten sie in der volkstümlichen Literatur, der Poesie und Prosa. Die Göttlichkeit des Korans war von entscheidender Bedeutung er galt von Anfang als das Prophetenwunder & wurde als der Beweis für die göttliche Sendung des Gesandten verstanden und nicht die anderen durch Hadithe bekannten Wundertaten Dies ist der Grundsatz, an dem sich die islamische Lehre hielt und immer noch hält. VII. Wunder: Wahr oder Legende? Fülle an Überlieferungen nicht verwunderlich, wenn sich Volkserzählungen eingeschlichen haben. Schwierig, Orthodoxie und Legende klar voneinander zu trennen. Klassifizierung der Wunder durch muslimische Gelehrte 1. Wunder, die in ungebrochener Tradition überliefert worden sind & die mit Gewissheit bekannt sind (ulima qatan) Koran 2. allg. bekannte und unter den Erzählern weit verbreitete Wunder Erbringung eines weiteren Beweises außer der Berufung auf Prophetengenossen und andere glaubwürdige Autoritäten unmöglich 3. von einzelnen / wenigen Autoren überlieferte Wunder, die eher unbekannt sind Es wird nicht ausgeschlossen, dass einige Traditionen zu aufgebauscht oder schlichtweg falsch sind, wobei das Hauptanliegen eines Wunderüberlieferers die Vermittlung lediglich des sicher Beglaubigten ist (sein sollte). 2