1.3 Kultur als Paradigma - Dynamik und Komplexität von Kulturen

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Grundsätze1
1
Welche Rolle spielt Kultur in Zeiten der vielfach beschworenen Globalisierung,
und welche Aufgaben stellen sich den Kulturwissenschaften zu Beginn des
neuen Jahrtausends? Kulturen und damit das Konzept ‘Kultur’ sind in
Bewegung geraten.

Die Gleichsetzung von Kultur mit einem Territorium, die umstandslose
Zuschreibung von Kultur auf Basis der Zugehörigkeit zu einer Gruppe,
einer Gemeinschaft oder Nation ist alles andere als unproblematisch.

Die herkömmliche Aufgabenstellung an die Kulturwissenschaften als
Beschreibung der Vielfalt und des Inhalts einzelner Kulturen wird den
heutigen Realitäten nicht mehr gerecht. Das kulturwissenschaftliche
Interesse gilt heute vielmehr der komplexen Dynamik von weltweit zu
beobachtenden Prozessen der Auflösung, Fragmentierung und
Konstitution kultureller Identitäten und den damit verbundenen
Prozessen der Symbolisierung, der Repräsentation, der Grenzziehung,
des Aushandelns.
Kultur spielt in aktuellen machtpolitischen und geostrategischen Konflikten eine
zentrale Rolle und ist zu einem neuen Paradigma in den Geistes-, Sozial- und
Kulturwissenschaften geworden. Die kulturellen Äußerungen in Religion, Musik,
Philosophie, Medien, Sport und in anderen Disziplinen sowie in der
Alltagspraxis werden in Verbindung mit politischen, ökonomischen, ethnischen
und territorialen Dimensionen von Konfliktsituationen gebracht und rücken ins
Zentrum der analytischen Aufmerksamkeit.
Mit dem Wissenschaftsschwerpunkt (WSP) Dynamik und Komplexität von
Kulturenen

stellen sich die Kulturwissenschaften der Universität Bremen diesem
Bedeutungswandel von Kultur in Politik, Gesellschaft und Wissenschaft
und

übernehmen eine wichtige Rolle hinsichtlich der Aufgabe der
Erforschung komplexer kultureller Identitäten, ihrer gesellschaftlichen
Kontextualisierung und der Entwicklung einer Kulturtheorie, die dieser
Dynamik Rechnung trägt.
Kulturwissenschaften gehen ihren Gegenstand – Kultur – in aller Regel
interdisziplinär an. Die bisherige Praxis und Erfahrung aus dem
Wissenschaftsalltag
in
den
Studiengängen
Kulturwissenschaft,
Sportwissenschaft, Musik, Philosophie, Kunst und Religionswissenschaft im
Fachbereich 9 sowie in anderen mit dem WSP zu verbindenden Einrichtungen
und Disziplinen weisen vielerlei Gemeinsamkeiten und Übereinstimmungen auf.
1
Wir danken Dr. Werner Krauß (Institut für Ethnologie, Universität Hamburg) für seine
Unterstützung bei der redaktionellen Überarbeitung des Antrages
2
Der WSP ist das Resultat einer gemeinsamen Anstrengung zur Koordination
der laufenden und geplanten Aktivitäten in den einzelnen Disziplinen.
Zielsetzung des neuen WSP ist es, die thematische Gewichtung der einzelnen
Studiengänge mehr als bisher auf ein übergeordnetes Ziel, ein gemeinsames
Verständnis von Kultur hin auszurichten und Interdisziplinarität und interne
Vielfalt unter dem gemeinsamen Dach der Kulturwissenschaften als Stärke und
als Privileg zu begreifen.
Eine solche, die einzelnen Disziplinen übergreifende Identität bietet neue
Möglichkeiten
der
Vernetzung
bereits
laufender
und
geplanter
Forschungsvorhaben und Kooperationsansätze. Die Ausrichtung auf den WSP
Dynamik und Komplexität von Kulturenen in Lehre und Forschung verleiht den
Kulturwissenschaften an der Universität Bremen ein geschärftes Profil, sie
erhöht ihre gesellschaftliche Relevanz und schafft so die konkreten
Voraussetzungen, ihre Methoden und Kenntnisse in der Region Bremen und
darüber hinaus effektiv anzuwenden.
1.1
Ausgangssituation und Themenstellung
Zur Jahrtausendwende genügt ein Blick in die Tageszeitungen, um
festzustellen, dass Kulturen in Bewegung geraten sind und ‘Kultur’ zu einem
omnipräsenten und mit vielfachen Bedeutungen aufgeladenen Terminus
geworden ist. Ob in Osteuropa oder im Nahen Osten, in Afrika oder
Lateinamerika, aber auch vor unserer eigenen Haustür: Im Namen der Kultur
werden Nationen aufgelöst und neue gebildet, Kriege geführt, Menschen
diskriminiert und verfolgt, Differenzen geschaffen und Identitäten gebildet.
Hierbei wird oftmals auf ein Reservoir von Symbolen und Zeichen im kollektiven
Gedächtnis zurückgegriffen: Geschichte wird zur Legitimation. Im Zuge des
Prozesses, der ‘Globalisierung’ genannt wird, ist gleichzeitig die Rede von einer
globalen Kultur und damit von einem neuen Typus des Weltbürgers
allgegenwärtig, und universelle Menschen- oder Naturschutzrechte werden
eingeklagt. Diese Konstruktionen von Weltbürgertum und Universalität haben
historische Wurzeln und beinhalteten von Anfang an auch Ausgrenzungen.
Kultur ist in Bewegung, und diese Bewegung zwischen Diversifizierung und
Vereinheitlichung, zwischen Universalismus und Partikularismus ist vielfältig
und oft widersprüchlich. In jedem Fall ist Kultur zu einem zentralen Einsatz im
politischen, ökonomischen und sozialen Spiel um Anerkennung, Macht und
Identität geworden.
Kulturelle Identitäten sind keineswegs homogen oder ausschließlich territorial
zu verankern, sondern komplex und dynamisch. Spuren davon finden sich nicht
nur in der Politik, sondern auch im Alltag: Es entstehen neue Milieus und
lifestyles, oft zusammengesetzt aus unterschiedlichen kulturspezifischen
Versatzstücken, die bisher als vermeintlich antagonistisch und ausschließend
konzipiert wurden. Den Kulturwissenschaften stellen sich heute die Aufgabe der
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Erforschung dieser ganzen Bandbreite unterschiedlicher Erscheinungsformen
und Bedeutungen von Kultur.
1.2
Rahmenbedingungen
Dynamik und Komplexität kultureller Identitäten sind Ausdruck vielfältiger und
widersprüchlicher Prozesse, die oft allzu vereinfacht unter dem Begriff
„Globalisierung“ subsumiert werden. Aus kulturwissenschaftlicher Sicht bilden
u.a. folgende Phänomene die äußeren Rahmenbedingungen für ihre
Erforschung:
- Durch Entkolonialisierung, Kriege, Flucht und Vertreibung, durch
Arbeitsmigration und die Flexibilität der Märkte lösen sich traditionelle
Zugehörigkeiten auf, und es entstehen oft über die Grenzen von Raum und Zeit
hinweg
neue
kulturelle
Identitäten.
Asylsuchende,
Flüchtlinge,
Arbeitsmigranten, aber auch sogenannte global players – von Wissenschaftlern
über Politiker hin zu den Angehörigen transnational operierenden
Wirtschaftsunternehmen – bilden neue Identitätsmuster, die sich oftmals in
neuen kulturellen Formen verfestigen;
- aufgrund der Aufweichung der nationalen Grenzen durch transnationale
Organisationen von der EU über die OECD hin zur UNO geraten herkömmliche
regionale oder nationale Identitätsmuster in Konflikt mit einer kontinentalen oder
globalen „Weltkultur“, „global“ und „lokal“ durchdringen sich gegenseitig;
- verstärkt werden diese Prozesse durch die zunehmende globale Zirkulation
von Zeichen, Symbolen und Informationen durch die Medien. Beispiele hierfür
sind die Entstehung einer globalisierten Populärkultur via Fernseh- und
Radiostationen, von Englisch als einer Weltsprache und des Internets und
anderer elektronischen Kommunikationsmittel;
- eine wichtige Rolle nimmt die globale Zirkulation von Waren und damit die
Tendenz zu einer zunehmenden Industrialisierung traditioneller oder indigener
Produktionsweisen ein, z. B. durch Abkommen von Welthandelsorganisationen.
Folge ist die Integration immer weiterer peripherer Regionen in den Weltmarkt,
die Tendenz zu Monokulturen und die Entkoppelung und Neudefinition von
ökonomischen und sozialen Aspekten des Handels;
- die Abhängigkeit der sogenannten „dritten Welt“ steigt z.B. durch den Export
von Saatgut oder durch Raubbau an den natürlichen Ressourcen. Die dadurch
entstehenden Umweltprobleme – wie die Abnahme von Biodiversität – haben
wiederum nicht nur zu globalen Natur- und Umweltschutzmaßnahmen geführt,
sondern befördern auch die Vereinheitlichung divergierender kultureller
Naturinterpretationen;
- die Kluft zwischen Norden und Süden, zwischen „erster“ und „dritter Welt“,
zwischen arm und reich und damit verbunden hinsichtlich des Wohlergehens
und der Gesundheit wird immer größer,
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- und oft damit einhergehend die Zunahme der Artikulation dieser
Unterschiede entlang der Kategorien „Klasse“, „Geschlecht“, „Ethnie“ oder
„Religion“
- mit der Folge von einer Zunahme von Gewalt, Diskriminierung und Krieg,
wobei kulturelle Unterschiede die Ursache oder aber auch nur die
Verschleierung der genannten politischen, ökonomischen und sozialen
Ungleichheiten sein können.
Die Liste dieser antagonistischen Prozesse zwischen kultureller Zersplitterung,
Neuzusammensetzung und des Entstehens einer Globalkultur lässt sich
beliebig weiter auffächern und mit Inhalten füllen. Gemeinsam ist ihnen, dass
Kultur eine zentrale Bedeutung einnimmt: Die globalen ökonomischen,
politischen und sozialen Prozesse, mit denen alle Menschen konfrontiert
werden, werden von diesen mit unterschiedlichen Bedeutungen belegt, sie
werden unterschiedlich interpretiert, ihnen wird ein jeweils eigener Sinn
verliehen. Der WSP Dynamik und Komplexität von Kulturen konzentriert die
Anstrengungen der Kulturwissenschaften auf diesen Zwischenraum, in dem
Bedeutung entsteht und Handeln Sinn verliehen wird.
1.3
Kultur als Paradigma
Durch diese Bewegung der Kulturen zwischen Partikularismus und
Universalismus, zwischen Vereinheitlichung und Diversifizierung, zwischen
Essentialisierung und Dynamisierung vermischen sich unausweichlich populäre
mit wissenschaftlichen Kulturbegriffen. Der Abschied von der Suche nach
absoluten Wahrheiten und der einen, allumfassenden Theorie und die
Hinwendung zur Untersuchen von Praktiken und Prozessen, Diskursen und
partiellen Wahrheiten ist zu einem neuen Paradigma in den
Geisteswissenschaften geworden und damit auch zu einer besonderen
Herausforderung für die Kulturwissenschaften: Ihr eigentlicher Gegenstand, die
Kultur, ist Ausdruck dieser Auffächerung, ihre Theorie und Praxis zugleich.
Zentrale Punkte, denen eine Kulturtheorie Rechnung tragen muß, sind
folgende:

die zunehmende Auflösung und Transzendierung der Illusion, dass
Territorium und kulturelle Identität zusammenfallen müssen;

die Wiederbelebung, Behauptung oder Erfindung, aber auch das Negieren
von Traditionen als Basis einer kulturellen oder nationalen Identität, die
Imaginierung von Nationen;

die Diversifizierung, Aufsplitterung und Neuzusammensetzung kultureller
Identitätsmuster, die Vielschichtigkeit kultureller Identität;

die inflationäre Verwendung des Kulturbegriffs, z.B. in Form von
„Unternehmenskultur“, von lifestyles, von Globalkultur, von Subkulturen;
5

die Vermischung populärer und wissenschaftlicher Kulturbegriffe, wobei
letztere oft zur Legitimation politischer oder territorialer Interessen
instrumentalisiert werden;
Es sind diese Komplexität und Dynamik von Kultur, die selbst zum Thema der
Kulturwissenschaften werden. Es geht nicht darum, den Kulturbegriff von seiner
Überdeterminierung, von den vielfachen und sich häufig widersprechenden
Aufladungen zu reinigen und einen eineindeutigen Kulturbegriff zu entwickeln,
sondern es geht im Gegenteil darum, genau diese vielfältigen und komplexen
Verwendungen, den Spuren der Kultur(en), zu folgen. Die Stärke der
Kulturwissenschaften liegt darin, auf empirischer und theoretischer Ebene vom
Einzelfall auszugehen, spekulativen Überlegungen über Globalkultur oder einen
„Krieg der Kulturen“, wie eine populäre These der letzten Jahre lautete, die
Forschung vor Ort, auf einen konkreten Untersuchungsgegenstand bezogen,
entgegenzusetzen und somit Kultur als Praxis zu untersuchen.
Kultur – plural und in Bewegung gedacht – steht nicht über den Handlungen
und dem Alltag der Menschen, sondern sie ist dieser Alltag und das, was die
Menschen machen, wie sie leben, welchen Sinn und welche Bedeutung sie den
Dingen verleihen, Kultur ist eine Praxis. Es sind die kulturellen Äußerungen, die
Prozesse der Konstruktion von kulturellen Identitäten, die Repräsentation, die
Bedeutungsgebung und Sinnstiftung, die im Rahmen des WSP zum
Gegenstand der Untersuchung werden.
Eine wichtige Konsequenz, die sich daraus für die Lehre ergibt, ist deren
Reorganisation im Sinne einer größeren Durchlässigkeit der Fächergrenzen
durch Modularisierung.
1.4
Anwendungs- und Regionalbezug
Die Frage nach Kultur richtet sich nicht nur an die anderen, sondern auch an
uns, sie betrifft uns alle: Wer sind wir, woher kommen wir, wohin gehen wir, wer
gehört zu uns und wer sind „die anderen“?
Kultur ist in Bewegung, wir sind Teil dieser Bewegung, werden mit ihr
konfrontiert und lösen sie zugleich aus. Mobilität in Beruf und Alltag, Ferienoder Geschäftsreisen, Zuwanderung von Arbeitsmigranten und Asylsuchenden,
weltweite Interdependenzen in Kommunikation und Ökonomie konfrontieren
uns in unserem Alltag mit „der Welt“ und stellen uns vor neue Fragen. Auch hier
genügt ein Blick in die Tageszeitungen und ihre Regionalteile, um den
Anwendungs- und Regionalbezug des WSP Dynamik und Komplexität von
Kulturen aufzuzeigen:
-
Ist Deutschland eine Einwanderungsgesellschaft, und wie sieht die Realität
in Asylrecht und Einwanderungspolitik aus?
6
-
Gibt es eine deutsche „Leitkultur“, woran macht sich diese fest, und welche
Interessen sind mit dieser Forderung verbunden?
-
In welchem Spannungsverhältnis
Geschichtspolitik?
-
Wie haben sich Repräsentationen/ Imaginationen von Kultur verändert?
-
Wie sieht eine multikulturelle Gesellschaft aus, und welche Rolle spielen
darin die hier in Deutschland geborenen Kinder von Einwanderern?
-
Welche neuen kulturellen Identitäten entstehen in diesem Kontext, woran
machen sich Differenz und Identität fest?
-
Wie sind Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, und Rassismus zu erklären,
in welchen Kontext sind sie eingebunden?
-
Dürfen islamgläubige Schülerinnen oder Lehrerinnen in deutschen Schulen
ein Kopftuch tragen?
-
Wo verläuft die Grenze zwischen uns und den anderen, wie wird diese
Grenze zugleich inszeniert und unterlaufen?
stehen
Erinnerungskultur
und
Diese und ähnliche Fragen bestimmen unseren Alltag, sie werden in den
Medien und in der Politik diskutiert und in der sportlichen und religiösen
Betätigung, in der Kunst und in der Musik verhandelt, und sie sind der adäquate
Gegenstand einer gesellschaftlich relevanten kulturwissenschaftlichen
Forschung. Die Kulturwissenschaften stehen hierbei nicht außerhalb der
„Kultur“ oder der „Gesellschaft“, sondern sie sind Teil derselben und müssen
sich mit den Konzepten, die gesellschaftlich diskutiert werden,
auseinandersetzen. Hinsichtlich des geplanten WSP sind vor allem zwei
Konzepte relevant – Interkulturalität und Multikulturalität –, zu denen sich
innerhalb der Geistes- und Kulturwissenschaften in jüngerer Zeit ein drittes –
Transkulturalität – hinzugesellt.

Interkulturalität basiert auf der Annahme, dass es verschiedene, in sich
homogene Kulturen gibt, die gezwungenermaßen oder freiwillig in
Beziehung zueinander treten. Als Konzept meint „Interkulturalität“, dass es
zwischen diesen Kulturen Verständigungsprobleme gibt, die in der Regel
als Folge eines schockartigen Aufeinandertreffens zu Konflikten,
Missverständnissen, Diffamierungen usw. führen. Daraus folgt die
gesellschaftliche Aufgabe, dieses Konfliktpotential zu überwinden und nach
Wegen des Miteinanders, der Verständigung und des Ausgleichs zu
suchen.

Auch Multikulturalität thematisiert die Verschiedenheit in sich homogener
Kulturen innerhalb desselben Raumes. Als Lösungsmöglichkeit oder
Entwurf konzipiert Multikulturalität, dass diese Vielheit zugleich einen
erstrebenswerten gesellschaftlichen Versuch darstellt, indem jede Kultur
nach der ihr eigenen Weise Lebens- und Gestaltungsraum zuerkannt
7
bekommt und so auf der Basis gegenseitiger Toleranz und Verständnisses
ein Miteinander geschaffen wird. Es steht somit dem Konzept
„Interkulturalität“ nicht entgegen, sondern ist selbst schon ein Vorschlag zur
Bewältigung des Konfliktpotentials.

Erst Transkulturalität bricht mit der Vorstellung von Kulturen als
homogenen, in sich geschlossenen Einheiten und bezieht ein erweitertes
Konzept von Kultur mit ein. „Transkulturalität“ geht davon aus, dass in der
heutigen
Gesellschaft
durch
Migration,
erweiterte
Kommunikationsmöglichkeiten und ökonomische Verflechtungen Menschen
aus unterschiedlichen Teilen der Welt miteinander vernetzt sind. Die
Unterscheidung zwischen uns und den anderen läuft nicht mehr entlang der
Zugehörigkeit zu einer Region, einer Kultur oder einem Nationalstaat,
sondern sie ist immer auch eine Definitions- und Verhandlungssache.
„Transkulturalität“ betont somit die Aspekte des Pluralismus von
Repräsentationen, der Symbolisierung, der Grenzziehung.
Der WSP Dynamik und Komplexität von Kulturen kommt in seiner Konzeption
derjenigen von Transkulturalität am nächsten, ohne jedoch Elemente der
anderen Konzeptionen auszuschließen. Im Umlauf und Gebrauch befindliche
Konzepte von Kultur werden aufgegriffen, und der Fokus der
kulturwissenschaftlichen Untersuchung richtet sich auf ihre Komplexität und
Bewegung. So werden interkulturelle Räume, wie sie z.B. in Flüchtlingsheimen,
in Schulen oder durch unterschiedliche Religionspraxen entstehen, genauso
thematisiert, wie Multikulturalität als politische Strategie und Modell mit der
Alltagsrealität in vielen Stadtteilen konfrontiert wird. Als kulturell benannte
Unterschiede zwischen einzelnen Gruppierungen (z.B. nach ethnischen,
geschlechtlichen oder sozialen Kategorien) werden genauso zum Gegenstand
kulturwissenschaftlicher Forschung wie die vielfältigen Differenzen innerhalb
dieser Gruppierungen. Und schließlich trägt der WSP der Tatsache Rechnung,
dass Kultur per se nie homogen ist, sondern immer im Plural, vielfach
fragmentiert und neu zusammengesetzt einem permanenten Prozess der
Bewegung unterworfen ist – Kultur wird als Praxis von Menschen konzipiert.
Daraus resultiert ein realitätsnahes und flexibles Konzept, das durch konkrete
Thematisierung und Erforschung komplexer Situationen in der Region Bremen
und darüber hinaus in die gesellschaftliche Diskussion eingreift und praxisnahe
Handlungsmöglichkeiten aufweist – sowohl für die konkret Beteiligten als auch
auf gesellschaftlicher Ebene.
1.5
Zielsetzung
Der WSP Dynamik und Komplexität von Kulturen ist das Resultat einer
kritischen Begutachtung bisheriger und aktueller Arbeiten in Forschung und
8
Lehre an der Universität Bremen. In den Kulturwissenschaften und in anderen
Disziplinen haben sich in den letzten Jahren über die in den einzelnen
Disziplinen laufenden Forschungsvorhaben und Lehrinhalte hinaus vielfache
thematische
und
inhaltliche
Überschneidungen
sowie
Diskussionszusammenhänge und Kooperationen ergeben. Auf dieser Basis
haben sich fachübergreifende Strukturen und Themenstellungen entwickelt, die
in dem WSP koordiniert und zu einem integrierenden Programm gebündelt
werden. Dies gilt sowohl hinsichtlich theoretischer und methodisch Ansätze und
Verfahren als auch für die Untersuchung von gemeinsamen Themenkomplexen
aus jeweils unterschiedlichen Perspektiven. Der WSP fasst diese Tendenzen
zusammen, er verleiht der bisher eher informellen, wenngleich intensiven
Zusammenarbeit einen übergeordneten Rahmen und eröffnet so die
Möglichkeit, Interdisziplinarität und Perspektivenvielfalt produktiv zu nützen und
der diversifizierten Wissenslandschaft eine programmatische Struktur zu
verleihen.
Zielsetzung auf einer allgemeinen Ebene sind
-
die intensivere Ausrichtung der
übergeordnete Paradigma „Kultur“;
einzelnen
Disziplinen
auf
das
-
die fachübergreifende Vernetzung in Forschung und Lehre
-
und damit eine Erhöhung des Praxisbezugs, der Anwendungs- und
Transfermöglichkeiten und der gesellschaftlichen Relevanz der
Kulturwissenschaften.
Konkret heißt dies, dass
-
die vorhandenen Ressourcen durch Koordination und Zusammenlegung
besser genutzt werden,
-
Interdisziplinarität nicht nur gefordert, sondern in Lehre, Forschung und
Studium institutionalisiert wird,
-
auf Basis des WSP zielgerichtet Drittmittel (ISP, DFG, VW etc.) angefordert
werden können,
-
und neue integrierende Lehrangebote – vor allem ein Doktorandenstudium
– geschaffen und somit zusätzliche Qualifikationsmöglichkeiten für
Studierende angeboten werden.
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