KW37/Platin Prof. Mathias S. Wickleder

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KW37/Platin
Prof. Mathias S. Wickleder
Vom „kleinen Silber“ zur technologischen Bedeutung
Das Element Platin (Pt) ist schon den indigenen Völkern Südamerikas bekannt gewesen. Die spanischen
Eroberer Südamerikas konnten mit dem Metall zunächst wenig anfangen. Es war weniger glänzend als das
begehrte Silber und aufgrund seines hohen Schmelzpunktes zu jener Zeit auch nicht schmiedbar. Die Spanier
nannten das Metall daher etwas abwertend platina, was in Anlehnung an das spanische Wort für Silber, plata,
soviel wie kleines Silber heißt. Trotzdem wurde das Metall im ausgehenden 18. Jahrhundert in Madrid intensiv
von dem französischen Chemiker Chabaneau untersucht. Diese Untersuchungen waren der Ausgangspunkt für
die Entdeckung der Elemente Palladium (Pd), Rhodium (Rh), Iridium (Ir), Ruthenium (Ru) und Osmium (Os), die
schließlich unter dem Begriff Platinmetalle zusammengefasst wurden. Seine besondere Bedeutung in der
öffentlichen Wahrnehmung erhielt Platin Ende des 19. Jahrhunderts durch seinen zunehmenden Einsatz in der
Schmuckanfertigung, denn aufgrund seiner - verglichen mit Gold und Silber - viel größeren Härte konnte es
hervorragend zum Einfassen schwerer Edelsteine verwendet werden. Zur selben Zeit wuchs auch die
technologische Bedeutung des Elements. Hierzu trug besonders die Erkenntnis von Wilhelm Ostwald bei, dass
sich in Gegenwart des Metalls Ammoniak (NH3) zu Stickstoffdioxid (NO2) oxidieren ließ, aus dem schließlich
Salpetersäure gewonnen wurde (Ostwald-Prozess). Diese katalytische Reaktion ist deshalb so bedeutsam, weil
der Bedarf an Nitraten zu Beginn des 20. Jahrhunderts erheblich war, zur Darstellung von Düngemitteln ebenso
wie für militärische Zwecke. Ammoniak war zunächst als Abfallprodukt der Kokereien und später durch
das Haber-Bosch-Verfahren verfügbar.
Aufgrund ihrer großen chemischen Beständigkeit werden die Platinmetalle und die benachbarten Elemente Gold
(Au) und Silber (Ag) unter dem Begriff Edelmetalle zusammengefasst. Diese Beständigkeit führt nach wie vor zu
vielen Anwendungen, nicht nur in der Fertigung von Wertgegenständen wie Schmuck und Münzen, sondern auch
im medizinischen und vor allem zahnmedizinischen Bereich. Auch im chemischen Labor sind Geräte und
Apparaturen aus Edelmetallen nicht mehr wegzudenken und der Platintiegel zur Durchführung saurer
Aufschlüsse ist jedem Chemiker ab dem ersten Semester ein Begriff.
Oxidationsstufenvielfalt
Trotz der chemischen Reaktionsträgheit von Platin sind mittlerweile viele Verbindungen des Metalls bekannt. Es
zeichnet sich dabei durch eine große Vielzahl von Oxidationsstufen aus, die in diesen Verbindungen auftreten. So
sind die Fluoride PtF6 und PtF5 einzigartig innerhalb der Gruppe 10 des Periodensystems, zumal die Elemente
Pd und Ni maximal bis zur Vierwertigkeit oxidiert werden können [1,2]. PtF6 hat als außerordentlich starkes
Oxidationsmittel Berühmtheit erlangt, da mit dieser Verbindung erstmalig die Oxidation des Edelgases Xenon
gelang, womit der Beginn der Edelgaschemie eingeläutet wurde. Das Auftreten der höchsten Oxidationsstufen bei
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dem jeweils schwersten Gruppenhomologen beobachtet man auch in den Nachbargruppen 9 und 11, in denen
Iridium und Gold die Oxidationsstufen +IX und +V einnehmen können [3,4]. Diese Beobachtung wird auf die
sogenannten relativistischen Effekte zurückgeführt (siehe Kasten), die insbesondere bei den Elementen Platin
und Gold sehr ausgeprägt sind [5]. Neben den hohen Oxidationsstufen ist vor allem das Auftreten negativer
Oxidationsstufen für das Element Platin eine bemerkenswerte Auswirkung der relativistischen Effekte. Ein
besonders prägnantes Beispiel ist das rote, salzartige Cs2Pt, das aus den Elementen erhalten werden kann (Abb.
1) [6].
Abbildung 1 Kristallstruktur von Cs2Pt. Die rote Verbindung kristallisiert in einer salzartigen Struktur mit den Pt2-Ionen (rot) und neunfacher Koordination von Cs+-Kationen (grau).
Neben dem oben erwähnten Fluoriden PtF6 und PtF5 führt die Oxidation von Platin häufig zu zwei- und
vierwertigen Verbindungen. In der Oxidationsstufe +II zeigen diese Verbindungen fast ausschließlich eine
quadratisch-planare Umgebung des Metalls, während in Strukturen mit vierwertigem Platin vornehmend
oktaedrische Metallkoordination beobachtet wird. Strukturchemisch spannend sind vor allem Verbindungen des
dreiwertigen Platins. Die elektronische d7-Konfiguration führt zu einem ungepaarten Elektron, welches in Pt(III)Salzen nahezu immer zum Auftreten von besonders stabilen Metall-Metall-Bindungen führt. Die hierbei gebildeten
hantelförmigen [Pt2]6+-Ionen können besonders gut von chelatisierenden Liganden koordiniert werden. Vor allem
mit den tetraedrischen SO42--Ionen wurden viele Verbindungen beschrieben, in denen die [Pt2]-Hanteln von vier
Sulfatgruppen in Form des typischen paddlewheel-Motivs umgeben sind (Abb. 2) [7].
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Abbildung 2 In den Strukturen von Sulfaten des dreiwertigen Platins treten [Pt2]-Hanteln auf (schwarz
hervorgehoben), die von vier chelatisierenden, tetraedrischen [SO4]2- -Gruppen umgeben sind (paddlewheelMotiv). Die terminalen Positionen der Hanteln können von weiteren tetraedrischen Anionen besetzt werden, z.B.
wie hier gezeigt von [HSO4]- -Gruppen.
Ein schönes Beispiel für das Auftreten dieses Strukturmotivs ist die Kristallstruktur von Pt2(SO4)2(HSO4)2. Dieses
Sulfat-Hydrogensulfat des dreiwertigen Platins ist nicht nur aufgrund der besonderen Struktur bemerkenswert,
sondern auch hinsichtlich seiner Synthese. Die Verbindung kann durch Umsetzung von elementarem Platin mit
konzentrierter Schwefelsäure bei erhöhter Temperatur erhalten werden [8]. Die Reaktion zeigt, dass das
vermeintlich inerte Metall, das für viele Laborapparaturen genutzt wird, nicht gänzlich unreaktiv ist und dass
gerade in Gegenwart starker Säuren Vorsicht geboten ist.
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Literatur
[1] R. Marx, K. Seppelt, R. M. Ibberson, J. Chem. Phys. 1996, 104, 7658.
[2] B. G. Müller, M. Serafin, Eur. J. Solid State Inorg. Chem. 1992, 29, 625.
[3] G.-J. Wang, M.-F. Zhou, J. T. Goettel, G. J. Schrobilgen, J. Su, J. Li, T. Schlöder, S. Riedel, Nature 2014, 514,
475.
[4] I.-C. Hwang, K. Seppelt, Angew. Chem. Int. Ed. 2001, 40, 3690.
[5] P. Pyykkö, Adv. Quantum Chem. 1978, 11, 353; Chem. Rev. 1997, 97, 597; Angew. Chem., Int. Ed. 2004, 43,
4412; Annu. Rev. Phys. Chem. 2012, 63, 45; Chem. Rev. 2012, 112, 371.
[6] A. Karpov, J. Nuss, U. Wedig, M. Jansen, Angew. Chemie Int. Ed. 2003, 42, 4818.
[7] G. S. Muraveiskaya, V. S. Orlova, O. N. Evstaf'eva, Russ. J. Inorg. Chem. 1974, 19, 1030; M. Pley, M. S.
Wickleder, Eur. J. Inorg. Chem. 2005, 529; A. Arndt, M. S. Wickleder, Anorg. Allg. Chem. 2008, 634, 369.
[8] M. Pley, M. S. Wickleder, Z. Anorg. Allg. Chem. 2004, 630, 1036-1039.
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