Die Zeit, 28. Februar 1997 Tränengelächter Uraufführung in Schwerin: Einar Schleefs „Drei Alte“ Die DDR sei tot? Daran glauben Wessis. Mitunter wird der Arbeiter- und Bauernstaat auf der Kammerbühne des Mecklenburgischen Staatstheaters Schwerin zur Ruhe gebettet, von einem Verfolgten des Stasi-Regimes. Wie lebt in Einar Schleefs 44 Szenen, „Drei Alte tanzen Tango", die revoluzzerische Nischen Gesellschaft zwischen Ulbricht & Honecker! Ein Meisterwerk traurig grinsender Wiederbelebung alter Zeit ist dies zweite Stück eines als Triptychon geplanten Dramas über das Ende der DDR, unter dem gemeinsamen Titel „Totentrompeten". Vor zwei Jahren wurde, wie jetzt in Zusammenarbeit mit dem forum stadtpark theater in Graz, das erste eines inzwischen als Trilogie geplanten DreiPersonen-Stücks uraufgeführt, unter den Titel „Totentrompeten". Damals belebten drei ältere Frauen im thüringischen Sangershausen am Harz, wo Schleef 1944 geboren wurde, in jugendlichem Streit um Liebhaber, im zermürbenden Kampf gegen das Alter und die Spitzel-Gesellschaft ein Episodenstück aus 19 Szenen - vor der Wende. Jetzt heißt das mitten im Zusammenbruch der DDR spielende Stück nicht nur „Drei Alte tanzen Tango", sondern im Untertitel auch „Totentrompeten 2" -und deutet so voraus auf ein von Schleef geplantes Stück über sein wahres Heimatland, die DDR, nach der Wende. Schöner Gedanke: Wenn einer den im Lächeln traurigen Nachruf auf die DDR schreiben könnte, dann nicht der Apokalyptiker Heiner Müller mit dem Blick auf griechische Tragödien, sondern ein melancholischer Sprachspieler wie der von Ost und West benörgelte Schriftsteller, Dramatiker, Regisseur Einar Schleef. In seinem neuen Stück offenbart sich sein Talent als wehmütiger Grotesk-Autor in voller Kraft: Deutsche Literatur gewinnt einen Humoristen. Natürlich gibt es tolle Satze über uns und die, über Wessis und Ossis („Die Vietnamesen alle fort." - „Nach dem Krieg die Zigeuner."). Jetzt aber müssen endlich die drei Frauen auf die Bühne, die zum zweiten Mal Schleefs Nachruf auf die DDR beglaubigen: Lore Tappe - Dragonerin der Lebenslust mit Baßstimme, groß bis in den grauen Wuschelkopf. Gretel Müller-Liebers Fistelstimme unter gußeiserner Dauerwelle, immer um Wohlanstand bedacht, aber vom versäumten Lebensglück faselnd („Beine breit!"). Und sie, die schon im ersten Spiel der „Totentrompeten" zum Schweigen verdammte Ute Kampfer: helles Gesicht einer Frau, die sich dem Geplapper verweigert und deshalb in die Klapsmühle geschickt wird. Auch dieses Stück ist eine lockere Nummernfolge, mit kritischem Blick auf die „Wende": Tränengelachter. Ernst M. Binder hat als Regisseur wie schon vor zwei Jahren das Richtige getan: fast nichts. Er läßt die drei Frauen einfach spielen, vor schwarzem Vorhang, mit allenfalls einem Stuhl, einem Bettgestell (Bühne: Luise Czerwonatis). Christine Jacob hat für das karge, aus der Sprache lebende Stück die schlichten Kostüme geschaffen; nur vor der Pause entgleist das Stück. Georg Kreisler singt: „Zwei alte Tanten tanzen Tango". Dazu bewegen sich die (doch als verarmt vorgestellten) Frauen in aufgeputzten Gewändern und Hüten. Zu Recht werden nun die Texte von Peter Handke („Zurüstungen für die Unsterblichkeit") und Botho Strauß („Ithaka"; siehe Seiten 47/48) zergliedert. Der Berserker des Theaters, Einar Schleef, hat solch intellektuelle HilfeStellung nicht nötig. Der Sprachgewohnheiten seiner alten Heimat, der „Goldenen Aue" unter dem Kyffhäuser, liebevoll bewahrende Dramatiker (Sätze ohne Subjekt: „Hab' Fieber"; oder ohne Verb: „wo's eh drunter und drüber") ist einer der wenigen Dichter-Dramatiker, die durch Kraft der Sprache Literatur und Theater beleben. Wo sonst finden wir die Erkenntnis fördernde Vermischung von Alltags-Jargon und Sprache der Bibel, von Erinnerungen an die Irrsinns-Befehle des Kabarettisten Karl Valentin („Du bleibst da. Und zwar sofort") mit wunderlichen Ausdrücken thüringisch-sächsischer RegionalSprache („abjachtern", „rutz", „schewwert") und einem Echo apokalyptischer Sprache („Die Erde rumort, man hört's allerorts stöhnen.")? Um wieviel reicher, spannungsvoller ist die Sprache dieses noch immer verkannten Dramatikers als die eindimensionale Predigt-Botschaft der Kopfund Gott- und Königs-Dramatiker Handke & Strauß. Nach Schwerin fahren! Wenn deutsches Drama Zukunft hat, dann hier, nicht im überanstrengten Rückgriff auf Mythen oder Märchen. R. M.