41 5 REDUZIBLE UND IRREDUZIBLE DARSTELLUNGEN 5.2 Irreduzible Darstellungen Die Dimension ni × ni einer irreduziblen Darstellung Γi lässt sich durch orthogonale Transformation nicht weiter verkleinern. Alternative Formulierung: Es gibt keine Matrix U , mit der sich alle TM in kleinere Diagonalblöcke transformieren lassen. Dies gilt für • alle eindimensionalen Darstellungen • bestimmte zwei- und höherdimensionale Darstellungen (hauptsächlich Drehungen) Im letzten Fall ist es durchaus möglich, einzelne TM der Darstellung von der 2 × 2- auf die 1 × 1Blockdiagonalform (oder einfach Diagonalform) zu bringen. Wenn die gleiche Transformationsmatrix U jedoch auf andere TM angewandt wird, entstehen dort u.U. 2 × 2-Blöcke, wodurch die Darstellung insgesamt zweidimensional bleibt. Alternative Erklärung: Die Diagonalisierung von Matrizen erfolgt mit Hilfe ihrer Eigenvektoren, die als Spaltenvektoren die Matrix U aufbauen (siehe Übung 6). Wenn alle Matrizen einer Gruppe mit derselben Eigenvektormatrix U diagonalisiert werden können, haben sie gemeinsame Eigenvektoren. Daraus folgt in Analogie zur Quantenmechanik, dass die SO und damit die TM miteinander kommutieren. Aus den Regeln für kommutierende SO (siehe Abschnitt 2.6) lässt sich also vorhersagen, ob eine Darstellung in Diagonalform transformierbar ist oder nicht. Der Unterschied soll anhand der Punktgruppen C3 und D3 verdeutlicht werden. Beispiel 46: Punktgruppe C3 = {E, C3 , C3−1 } Hier kommutieren C3 und C3−1 als Drehungen an derselben Achse. Die dreidimensionale Darstellung Γ̄ in der Basis (x, y, z) lässt sich zuvor in Γ̄1 (2 × 2) und Γ3 (1 × 1) zerlegen. Γ̄1 : Ē = 1 0 , 0 1 (z) C̄ 3 = c s −s , c (z) (C̄ 3 )−1 = c −s s , c 1 2π =− , c = cos 3 2 √ 3 2π s = sin = 3 2 Die orthogonale Transformation muss hier mit einer Matrix U durchgeführt werden, deren Elemente komplexe Zahlen sind. Das Konzept der Orthogonalität wird für komplexe Matrizen auf das der Unitarität erweitert. Für unitäre Matrizen gilt: U −1 = U † = (U T )∗ (z) Mit der unitären Transformation U † C̄ 3 U lassen sich C̄ 3 Γ1 = Γ2 = mit ε = (z) und (C̄ 3 )−1 auf Diagonalform bringen. r 1 (x + iy) 2 r 1 {1, ε∗ , ε}, Basis (x − iy) 2 ∗ {1, ε, ε }, Basis ei 2π 3 = c + is, ε∗ = c − is Γ1 und Γ2 werden in den Charaktertafeln der Literatur aufgrund der Linearkombination der x- und y-Koordinate immer gemeinsam als zweidimensionale Darstellung genannt (zur Basis (x, y)). 42 5 REDUZIBLE UND IRREDUZIBLE DARSTELLUNGEN Beispiel 47 : Punktgruppe D3 = {E, C3 , C3−1 , C2 , C2′ , C2′′ } Hier kommutieren z.B. C3 und C2 nicht. ⇒ es gibt keine unitäre Matrix U , die sowohl die C 3 als auch die C 2 diagonalisiert. (z) C̄ 3 c = s 0 (z) −s c 0 0 0 , 1 (x) C̄ 2 1 0 = 0 −1 0 0 0 0 −1 Mit der unitären Transformation U † C̄ 3 U aus Beispiel 46 ergibt sich: 0 1 ε 0 0 (x) (z) U † C̄ 3 U = 0 ε∗ 0 aber U † C̄ 2 U = 1 0 0 0 0 0 1 (x) 0 0 −1 Die vorher diagonale Matrix C̄ 2 wird durch die Transformation in einen zwei- und einen eindimensionalen Block umgeformt. Damit bleibt die Darstellung Γ̄1 (der linke obere Block) von D3 zweidimensional. ⇒ Γ̄1 (2 × 2) ist irreduzibel. Zweidimensionale irreduzible Darstellungen werden mit E symbolisiert (siehe Abschnitt 5.4). 5.3 Charakterdarstellung von Punktgruppen Anstatt der Diagonalblöcke der TM wird nur deren Charakter in die Charaktertafeln eingetragen, (z) ∗ z.B. im vorigen Beispiel 5.2 für C3 : χC (z) = 2 cos 2π 3 = ε + ε = −1, (x) 3 und für C2 : χC (x) = 1 − 1 = 0 + 0 = 0 2 Die irreduziblen Darstellungen von Punktgruppen sind entweder die (1 × 1)-Diagonalblöcke der ausreduzierten TM selbst, oder die Charaktere der nicht weiter reduziblen zwei- und dreidimensionalen Diagonalblöcke. Wie im letzten Abschnitt gezeigt, sind die TM von der Wahl der Basis abhängig, die sich von Molekül zu Molekül unterscheidet. Im Prinzip gibt es deshalb beliebig viele verschiedene TM und damit reduzible Darstellungen. Dies gilt jedoch nicht für die irreduziblen Darstellungen: Theorem: Die Anzahl irreduzibler Darstellungen ist identisch mit der Anzahl der Klassen einer Punktgruppe. Am Beispiel der Punktgruppe C2v wird gezeigt, dass einige der bisher (in den Beispielen 44 und 45) aufgestellten irreduziblen Darstellungen identisch sind. 43 5 REDUZIBLE UND IRREDUZIBLE DARSTELLUNGEN Beispiel 48: Zusammenfassung der in den Beispielen 44 und 45 aufgestellten irreduziblen Darstellungen der Punktgruppe C2v : (Die Nummerierung wurde geändert) E (z) σxz C2 σyz Basis Γ1 = { 1 −1 1 −1 }x Γ2 = { 1 −1 −1 1 }y Γ3 = { 1 1 1 1 }z Γ4 = { 1 1 1 1 }z 2 Γ5 = { 1 −1 1 −1 }xz Γ6 = { 1 −1 −1 1 }yz Γ7 = { 1 1 1 Γ8 = { 1 1 −1 Γ1 Γ2 = = Γ5 Γ6 Γ3 = Γ4 = Γ7 1 }x2 − y 2 −1 }xy Es gilt: Γ8 ist mit diesen Basisfunktionen nur einmal erzeugt worden. Auch mit beliebigen weiteren Basisfunktionen (etwa Rx , Ry , Rz oder f -Orbitalen) lassen sich keine neuen irreduziblen Darstellungen erzeugen. ⇒ Es gibt nur vier verschiedene irreduzible Darstellungen der Punktgruppe C2v . Die Anzahl Klassen dieser Punktgruppe ist ebenfalls vier. Im Folgenden wird gezeigt, dass dies allgemein gilt. Zunächst soll jedoch der Aufbau der Charaktertafeln und die Standard-Nomenklatur der irreduziblen Darstellungen vorgestellt werden. 5 REDUZIBLE UND IRREDUZIBLE DARSTELLUNGEN 5.4 44 Charaktertafeln In den Charaktertafeln der Literatur sind die Charaktere (Spuren) χ der Diagonalblöcke der ausreduzierten TM zeilenweise zusammengefasst. Die irreduziblen Darstellungen werden durch Mulliken-Symbole bezeichnet. Hauptsymbol A: eindimensional, symmetrisch (χ = 1) bei Drehung um die Hauptachse B: eindimensional, antisymmetrisch (χ = −1) bei Drehung um die Hauptachse E: zweidimensional (2x2-Blöcke in ausreduzierten TM) T : dreidimensinal (3x3-Blöcke in ausreduzierten TM) G, H, Σ, Π, ∆: Spezialfälle in Ih , D∞h , C∞v Ausnahmen: C1 , Cs , Ci : A für alle irreduziblen Darstellungen Subskripte (einfach oder kombiniert) 1: symmetrisch (χ = 1) bezüglich C2 ⊥Cn oder σv (Priorität hängt von der Reihenfolge in der Tafel ab) 2: antisymmetrisch (χ = −1) bezüglich C2 ⊥Cn oder σv 3, . . . : beliebige Nummerierung g: symmetrisch (χ = 1) bezüglich Inversion u: antisymmetrisch (χ = −1) bezüglich Inversion Superskript ′ : symmetrisch (χ = 1)bezüglich σh , falls in der PG keine Inversion vorhanden ist. ′′ : antisymmetrisch (χ = −1) bezüglich σh , falls in der PG keine Inversion vorhanden ist. +: symmetrisch (χ = 1) bezüglich σv in D∞h . −: antisymmetrisch (χ = −1) bezüglich σv in D∞h . Die in Beispiel 48 gelisteten irreduziblen Darstellungen werden zusammengefasst und in der Standardform der Literatur angegeben: Beispiel 49: Charaktertabelle der Punktgruppe C2v Basis C2v E C2 σxz σyz Γ3 = Γ4 = Γ7 = A1 1 1 1 1 Γ8 = A2 1 1 −1 −1 xy Γ1 = Γ5 = B1 1 −1 1 −1 x, xz Γ2 = Γ6 = B2 1 −1 −1 1 y, yz z, x2 − y 2 , z 2 (totalsymmetrische Darstellung: alle χ = 1) Die Bezeichnungen B1 und B2 sind in den Mullikensymbolen nicht eindeutig definiert (je ein Charakter der σv ist positiv und negativ). Es handelt sich hier um eine Konvention. 45 5 REDUZIBLE UND IRREDUZIBLE DARSTELLUNGEN Die Charaktere für TM der SO innerhalb einer Klasse werden in der Literatur zusammengefasst, so dass die Charaktertafeln stets quadratisch sind. Diese Zusammenfassung ist möglich, weil die Charaktere für SO einer Klasse gleich sind (siehe Abschnitt 4.11). (z) (z) Beispiel 50: Charaktertabelle der Punktgruppe C3v = {E, C3 , (C3 )−1 , σv , σv′ , σv′′ } In der Punktgruppe C3v gibt es drei Klassen von SO (für die Zuordnung siehe Abschnitt 3.3): (z) (z) K1 = (E), K2 = C3 , (C3 )−1 , K3 = (σv , σv′ , σv′′ ) In der Charaktertafel wird die Anzahl der SO in einer Klasse jedem Eintrag der Titelzeile vorangestellt: C3v A1 A2 E E 1 1 2 2C3 1 1 −1 3σv 1 −1 0 Basis z Rz (x, y), (Rx , Ry ), (x2 − y 2 , xy), (xz, yz) (die eingeklammerten Basisfunktionen werden gemeinsam transformiert) Ausgeschrieben lauten die irreduziblen Darstellungen: A1 = A2 E = = {1, 1, 1, 1, 1, 1} {1, 1, 1, −1, −1, −1} {2, −1, −1, 0, 0, 0} In der Langform lässt sich eine wichtige Eigenschaft irreduzibler Darstellungen leichter erkennen: Theorem: Irreduzible Darstellungen lassen sich als orthogonale Zeilenvektoren interpretieren Beispiel 51: Skalarprodukte der irreduziblen Darstellungen von C3v (siehe Beispiel 50) A1 · AT2 = (1, 1, 1, 1, 1, 1) 1 1 1 −1 −1 −1 =0 2 −1 −1 T =0 A1 · E = (1, 1, 1, 1, 1, 1) 0 0 0 2 −1 −1 A2 · E T = (1, 1, 1, −1, −1, −1) 0 =0 0 0 Allgemeine Struktur einer Charaktertafel: Zur Vorbereitung auf die Operationen, die in den nächsten Abschnitten mit den Elementen der Charakter- 46 5 REDUZIBLE UND IRREDUZIBLE DARSTELLUNGEN tafeln durchgeführt werden sollen, wird hier eine allgemeine Nomenklatur eingeführt: PG k1 = E ··· nk Kk Basis Γ1 .. . χ1 (1) .. . ··· χ1 (k) .. . Φ1 = {f1 (x, y, z), Rx , Ry , Rz } .. . Γk χk (1) ··· χk (k) Φk = {fk (x, y, z), Rx , Ry , Rz } PG: Punktgruppe k: Anzahl der Klassen Ka na : Anzahl der SO in der Klasse a, a = 1, . . . , k Γi : irreduzible Darstellung, i = 1, . . . , k Γ1 : totalsymmetrische Darstellung: alle χ1 = 1 χi (a): Charakter der irred. Darstellung i unter einer SO der Klasse a bezüglich der Basisfunktionen {Φi } Di = χi (1): Dimension der irred. Darstellung Für eindimensionale Darstellungen gilt: der Betrag aller Charaktere ist eins: |χ(a)| = 1 für alle a = 1, . . . , k. Die Charaktere der A- und B-Darstellungen sind reell, können also nur die Werte +1 oder −1 annehmen. In den quasi-eindimensionalen Zweigen der E-Darstellungen einiger Punktgruppen (siehe z.B. C4 und C5 im Anhang) sind die χ(a) komplex, d.h. es gilt χ(a)∗ χ(a) = 1. 5.5 Großes Orthogonalitätstheorem Die oben angegebene Interpretation der irreduziblen Darstellungen als orthogonale Zeilenvektoren ist ein Spezialfall des großen Orthogonalitätstheorems (Beweis siehe Bishop Seiten 138 ff.). Für die TM Ai einer Punktgruppe der Ordnung h gilt: g X i bzw. für komplexe TM: h X i [Ai (Γa )]mn [Ai (Γb )]m′ n′ = √ h δab δmm′ δnn′ Da Db [Ai (Γa )]mn [Ai (Γb )]∗m′ n′ = √ g δab δmm′ δnn′ Da Db für beliebige irreduzible Darstellungen Γa , Γb der Dimensionen Da , Db . δab ist das Kronecker-Delta, 1 für a = b und 0 sonst. Der allgemeine Beweis soll hier nicht gegeben werden (siehe z.B. Bishop). Für die praktische Anwendung der Gruppentheorie in den folgenden Abschnitten ist die folgende Vereinfachung relevant: Γi · Γ j = h X b=1 χi (SOb )χj (SOb ) = k X χi (a)χj (a)na = hδij a=1 Die Normierung der irreduziblen Darstellungen auf die Ordnung h der Gruppe soll im Folgenden hergeleitet werden. Dabei wird die Orthogonalität der TM ausgenutzt. Die Summe aller Produkte der TM mit ihren Inversen ergibt ein Vielfaches der Einheitsmatrix. 47 5 REDUZIBLE UND IRREDUZIBLE DARSTELLUNGEN h X Ab A−1 b = hE = k X na Aa ATa a=1 b=1 ⇒h = k X χ2i (a) für alle Diagonalelemente (Aa )ii a=1 Durch die Orthogonalität der Γj ist gewährleistet (hinreichende Bedingung), dass sie einen vollständigen Satz linear unabhängiger Entwicklungsvektoren bilden. (Das Konzept der linearen Unabhängigkeit wird in nachfolgenden Abschnitten genauer beschrieben.) In Analogie zu Vektorräumen gilt: für ein k-dimensionales System gibt es genau k linear unabhängige Entwicklungsvektoren (oder Basisvektoren). Dies ist in den Punktgruppen mit k Klassen durch die k irreduziblen Darstellungen realisiert. Daraus ergibt sich ein Theorem, das die Ausreduktion beliebiger Darstellungen ohne unitäre Transformationen ermöglicht. 5.6 Entwicklungstheorem Beliebige reduzible Darstellungen (Γ̄ und Γ) lassen sich als Linearkombinationen der irreduziblen Darstellungen Γi entwickeln. Γ̄ = k X i c i Γi konkret ausgeschrieben: c1 Γ1 ⊕ c2 Γ2 ⊕ . . . Dabei gilt für jeden Charakter einer SO in einer Klasse a: χ̄(a) = k X ci χi (a) (a = 1, . . . , k) (5.1) i Bestimmung der Entwicklungskoeffizienten cj Dafür wird die Orthogonalität der irreduziblen Darstellungen ausgenutzt. Die Gleichung (5.1) wird auf beiden Seiten mit χj (bzw. mit χ∗j ) multipliziert, und es wird über alle Klassen summiert: k X χ̄(a)χj (a)na = k X k X a a=1 = k X ci k X k X χi (a)χj (a)na a i = ci χi (a)χj (a)na i ! ci hδij = hcj i ⇒ cj = k 1X 1 χ̄(a)χj (a)na = Γ̄ · Γj h a h Das Resultat für den Entwicklungskoeffizienten ist gleichbedeutend mit einer Projektion von Γj auf Γ̄. Dabei besteht die reduzible Darstellung Γ̄ nicht wie zuvor aus den N × N -TM der PG, sondern aus den zugehörigen Spuren. 5 REDUZIBLE UND IRREDUZIBLE DARSTELLUNGEN Beispiel 52: Γ̄ der 5 × 5-TM von C2v in der Basis der d-Orbitale (siehe Beispiel 44) Die Spuren der vier Matrizen werden in der Standardreihenfolge (E, C2 , σxz , σyz ) angeordnet: Γ̄ = (5, 1, 1, 1) Mit Hilfe der Charaktertafel von C2v (siehe Beispiel 49) ergeben sich folgende Entwicklungskoeffizienten: c1 = c2 = c3 = c4 = 1 1 1 1 8 Γ̄ · A1 = (5111) = =2 1 4 4 4 1 1 1 4 1 1 Γ̄ · A2 = (5111) −1 = = 1 4 4 4 −1 1 1 4 1 −1 Γ̄ · B1 = (5111) 1 = = 1 4 4 4 −1 1 4 1 1 −1 Γ̄ · B2 = (5111) −1 = = 1 4 4 4 1 Damit ergibt sich: Γ̄ = 2A1 ⊕ A2 ⊕ B1 ⊕ B2 Wie die 5 d-Orbitale genau auf die vier irreduziblen Darstellungen verteilt werden, wird im nächsten Abschnitt gezeigt. 48