Lernvorgänge verstehen - Ein Ausflug in unser

Werbung
CVE career-vision-europe
Der Karrierecoach für Akademiker
Lernvorgänge verstehen Ein Ausflug in unser Gehirn
Wie lernen wir eigentlich? Was passiert im Gehirn, wenn wir lernen? Wie kann die Lernumgebung und Lernsituation gestaltet werden, damit
das Lernen leichter fällt. Im Folgenden werden die
Vorgänge im Gehirn, während des Lernprozesses
vereinfacht dargestellt. Ziel ist ein Verständnis für
den Lernvorgang zu erhalten und den Prozess des
Lernens besser in der Prüfungsvorbereitung oder in
einer Weiterbildung zu optimieren.
Mein Gehirn bin ich
Unser Gehirn ist ein Labyrinth. Diese gräuliche
Schwabbelmasse, die sich unter unserem Schädelknochen verbirgt, vollbringt wahrhaftig jede Sekunde ein kleines Wunder. Sie macht unsere Persönlichkeit aus. Zu Recht merkt Manfred Spitzer in
seinem Hörbuch „Das Gehirn bist du!“ an, dass es
das einzige Organ ist, welches nicht ausgetauscht
werden kann. Bekomme ich ein neues Herz, werde ich damit weiterleben. Würde ich allerdings ein
neues Gehirn bekommen, wacht nach der Operation in meinem Körper ein Fremder auf, nämlich
die Person, der das eingesetzte Gehirn gehört. Die
vielen Dinge, die wir im Laufe unseres Lebens gelernt haben, die Dinge, die uns ausmachen, sind
in unserem Gehirn gespeichert. Es ist, so Spitzer,
unser wichtigstes Organ.
Das Gedächtnis – unser Speichersystem
Alles, was wir je gelernt haben und noch lernen
werden, ist in unserem Gedächtnis gespeichert.
Dieses setzt sich aus einem Ultrakurzzeitgedächtnis, einem Kurzzeitgedächtnis und einem Langzeitgedächtnis zusammen. Das Langzeitgedächtnis
kann wiederum in fünf Bereiche unterteilt werden.
Hierarchisch am höchsten anzusetzen ist das episodische Gedächtnis. „Hierin sind Ereignisse unserer
eigenen Autobiographie gespeichert, die jeweils
einen klaren Raum-, Zeit- und Situationsbezug haben (z.B. mein Treffen mit Doris).“ (Brand / Markowitsch, S. 71) Wir können mit dem episodischen
Gedächtnis eine Zeitreise in die Vergangenheit
antreten und aufgrund unserer Erfahrungen dort,
zukünftige Handlungen entsprechend gestalten.
Das Wissen speichern wir im semantischen Ge-
dächtnis ab. Hier wird hauptsächlich der Stoff
gespeichert, den wir z.B. in der Schule oder Universität lernen. Hier lagert das Wissen, aber nicht
der zeitlich-räumliche Kontext oder assoziierte Gefühle, die den Lernkontext rund um den Wissenserwerb umgeben.
In der Hierarchie der Gedächtnisse ganz unten
liegt das prozedurale Gedächtnis, das alle motorischen Fähigkeiten abspeichert. Es läuft weitestgehend unbewusst ab, da wir unsere Fähigkeit zu
gehen oder zum Beispiel Auto zu fahren nicht aktiv
überdenken müssen. Das gelernte Wissen wird automatisch abgerufen.
In der Hierarchie dazwischen liegen noch zwei Gedächtnistypen. Zum einen das Priming. Mit ihm
kann ich Dinge besser Wiederkennen, die ich zuvor
unbewusst wahrgenommen habe. Ich höre zum
Beispiel unbewusst ein Lied und Stunden später
erinnere ich mich daran, obwohl ich nur eine kurze
Sequenz davon höre. Zum anderen wurde erst vor
Kurzem von Tulving und Markowitsch das perzeptuelle Gedächtnis in die Reihe mit aufgenommen.
Es „ermöglicht uns das Erkennen von Objekten,
Personen, Tönen oder anderer Reize aufgrund
eines Vertrautheits- oder Bekanntheitsgefühls.“
(Brand/Markowitsch, S. 72). Dabei ist es nicht
unbedingt erforderlich, dass Objekt benennen zu
können oder zu wissen, woher man es kennt.
Wissen, Erinnerungen und motorische Fähigkeiten
werden also in unserem Langzeitgedächtnis abgespeichert und können immer wieder abgerufen
werden. Unterscheiden kann man hier den freien
Abruf, der eine sehr hohe Anforderung an uns
stellt, da wir auf keinen Reiz zurückgreifen. Leichter und deshalb auch für das Lernen wichtig, ist der
Abruf mit Hinweisreizen. Hier können es zum einen
externe Hinweisreize sein, die zum Beispiel visuell
oder verbal erfolgen. Zum anderen können es aber
auch interne Hinweisreize sein. Bei der Einspeicherung fungieren ausgedachte Kategorien, die wir
mitspeichern als interne Hinweisreize. Umgangssprachlich sind es die Eselsbrücken, mit denen wir
gelernten Stoff abrufen. So kann ich mir, wenn ich
eine Fremdsprache lerne, unter dem Stichwort Reise, alle Vokabeln zu diesem Thema einprägen.
1
www.career-vision.eu
CVE career-vision-europe
Der Karrierecoach für Akademiker
Der Weg vom Ultrakurzzeitgedächtnis
in das Kurzzeitgedächtnis
Nicht alle Impulse werden dauerhaft im Gehirn gespeichert. Es wird sehr stark gefiltert und Unwichtiges von Wichtigem getrennt. Durch Augen, Ohren, Tastsinne nehmen wir ständig Informationen
auf. An viele werden wir uns nie erinnern, da sie als
unwichtig eingestuft werden. Das Ultrakurzzeitgedächtnis ist hier der Filter. Hier landen Informationen als elektrische Impulse, die nur circa 10 bis
20 Sekunden dort verbleiben. Sie kreisen bildlich
gesprochen in unserem Gehirn. Werden sie als unwichtig eingestuft, sind sie schnell verschwunden
und belasten unser System nicht mehr. Als relevant
eingestufte Informationen werden dann ins Kurzzeitgedächtnis aufgenommen. Relevant werden
sie, wenn sie in ihrer Kreisbewegung auf eine vorhandene Information stoßen, an der sie anknüpfen
können. Die bereits vorhandene Information wird
als Assoziation bezeichnet. Hören wir zum Beispiel
ein Gespräch in einer für uns fremden Sprache,
werden wir wohl nichts davon aufnehmen und uns
später daran erinnern. Anders, wenn in diesem
Gespräch Worte fallen, die wir erkennen und wir
so eine Assoziation bilden können. Dann blicken
wir auf und fangen an uns auf das Gespräch zu
konzentrieren, um mehr zu verstehen, also weitere
Assoziationen zu bilden. Wir können dies als bewusste Reaktion werten. Anders ist es, wenn wir
gehen, schreiben oder Auto fahren, dann laufen
die Reaktionen automatisch, also unbewusst ab.
„Während also beim normalen Denkvorgang,
die durch Auge und Ohr ankommenden Impulse
in der Hirnrinde verarbeitet werden und eine bewusste Reaktion ergeben, werden zum Beispiel
beim Gehen die Wahrnehmungen direkt an die
motorischen Nerven weitergeleitet.“ (Vester, S. 64)
Was heißt eigentlich „Lerntyp“?
Doch zurück zu den bewusst gesteuerten Vorgängen, also den Teilen unseres Gedächtnisses, die wir
später ganz bewusst abrufen wollen. Kurz, das was
wir in unserem semantischen und episodischen Gedächtnis aufnehmen. Wie eben schon erfahren, lan-
den die Informationen, die wir aufnehmen zunächst
in unserem Ultrakurzzeitgedächtnis. Um den Impuls
weiterzuverarbeiten, suchen wir zunächst nach einer Assoziation. Das bedeutet, wir können uns immer dann etwas leichter merken, wenn wir bereits
Vorwissen, also einen Anker in unserem Gedächtnis
haben. Wir merken uns Dinge leichter, wenn Sie für
uns persönlich erfassbar werden. „Leichter“ bedeutet für jeden Menschentyp jedoch etwas anderes.
Die einen könnend Informationen gut aufnehmen,
die sie sehen (visueller Typ), andere, wenn sie diese
hören (auditiver Typ) oder wiederum andere, wenn
sie es selbst ausprobieren (haptischer Typ). Doch damit nicht genug. Es gibt Menschen, die Informationen verbal-abstrakt gut verarbeiten können. Diese
sind in unserem Schulsystem bevorzugt, denn die
meisten Informationen werden recht abstrakt und
trocken vermittelt. Es gibt aber auch Menschen, die
einen Stoff diskutieren müssen, um ihn zu verstehen. Für sie sind Lerngruppen ein wichtiger Bestandteil, um den Stoff aufzubereiten. Howard Gardner,
Professor für Erziehungswissenschaften in Harvard
spricht sogar von acht multiplen Intelligenzen, womit er die von unterschiedlichen Menschen bevorzugten Bereiche der Wissensaufnahme meint (siehe
Grafik nächste Seite)
Der Weg vom Kurzzeitgedächtnis ins
Langzeitgedächtnis
Doch was passiert nun mit den Informationen, die
mittels einer Assoziation im Kurzzeitgedächtnis
landen. Um auch später noch abrufbar zu sein,
müssen sich die Informationen von einem elektrischen Impuls zu Materie umwandeln. Dieser
Prozess dauert in der Regel circa 20 Minuten. Die
Informationen verbeiben in dieser Zeit im Kurzzeitgedächtnis. Wir können diesen Prozess der Weiterverarbeitung mit dem Entwickeln eines analog
geschossenen Fotos vergleichen. Das Bild landet
zunächst auf dem Film und wird erst durch die
Behandlung im Labor, die einige Zeit in Anspruch
nimmt, auf dem Papier sichtbar. Erst dann steht
das Bild dem Betrachter auch später zur Verfügung. Wie sieht der Weg dorthin in unserem Gehirn aus?
2
www.career-vision.eu
CVE career-vision-europe
Der Karrierecoach für Akademiker
Lerntypen nach Gardner:
lSprachliche Intelligenz ist Gewandtheit mit Worten
lMathematisch logische Intelligenz ist Geschick in Analyse und Logik
lVisuell-räumliche Intelligenz ist die Fähigkeit Bilder vor dem geistigen Auge zu schaffen.
lMusikalische Intelligenz ist die Fähigkeit
komplizierte Klangmuster zu schaffen
lKörperlich-kinästhetische Intelligenz ist die
Fingerfertigkeit
lInterpersonalle Intelligenz ist die Fähigkeit gut zu kommunizieren
lInterpersonale Intelligenz ist die Fähigkeit aus Erfahrung zu lernen und eigene Ziele zu schaffen
lNaturalistische Intelligenz ist die Fähigkeit
Systeme und Vernetzungen zu erkennen.
Quelle: Voss + Partner GmbH, Skript zur Trainergrundausbildung
Im Kurzzeitgedächtnis durchlaufen die Informationen, die für relevant erklärt werden, also genügend Assoziationen erzeugen einen Prozess, der
sie zu Materie werden lässt, die dann im Gehirn
gespeichert wird. Dieser Prozess kann mit dem
der Zellteilung verglichen werden. „Im Kern einer
Nervenzelle lagern Genpakete von DNA-Doppelspiralen…. Bei einem Lernvorgang faltet sich die
Spirale, angeregt durch Wahrnehmungsimpulse,
an bestimmten Stellen auseinander. Diese Stellen der DNA dienen als Matrize, an der sich Abdrucke (RNA) bilden…. Damit ist die Information
im Kurzzeit-Gedächtnis.“(Vester, S 76) Die RNAAbrücke lösen sich von der Matrize und wandern
aus dem Zellkern. Dort warten die Ribosomen,
kleine Knüpfmaschinen, die mit Hilfe von Transportstoffen Aminosäuremoleküle heranschaffen.
Diese werden auf dem RNA-Streifen seinem Code
entsprechend angeordnet. Die Information ist auf
dem Weg ins Langzeitgedächtnis. Die so gebildeten Proteinketten falten sich zu einem Knäuel
zusammen und werden als ruhende Informationsspeicher im Gehirn eingelagert. Aus Information
ist Materie geworden, die bei einem späteren Erinnerungsvorgang, in einem Zusammenspiel aus
vielen Neuronen abgerufen wird, die im Gehirn
verteilt sind und zu einer Art Informationsmuster
verknüpft werden. (vgl. Vester. S. 76. Ff) Ein spannender Vorgang, der uns die Faszination der vielen
Lernvorgänge, die sich in unserem Gehirn abspielen ansatzweise näher bringt.
Einen optimalen Lernvorgang erschaffen
Verabschieden wir uns nun von den biochemischen
Vorgängen und wenden uns dem Lernvorgang
von einer anderen Seite zu. Wenn wir etwas lernen
möchten, wünschen wir uns, dass es in unseren
Kopf verankert, also als Wissen abgespeichert
wird. Wir haben erfahren, dass dieser Prozess einige Zeit in Anspruch nimmt und sich festigt, wenn
wir ihn zum einen mit bereits vorhandenem Stoff
mittels Assoziationen verknüpfen und zum anderen durch regelmäßiges Abrufen festigen. Der zu
lernende Stoff sollte also regelmäßig wiederholt
werden. Am besten jedoch in verschiedenen Varianten, um möglichst viele Anknüpfungspunkte
(Assoziationen) zu bilden. Gibt es noch weitere
Möglichkeiten, um das Lernen zu optimieren? Ja,
ein weiterer nicht zu unterschätzender Faktor ist
die Lernumgebung. Um Lernen zu können benöti-
3
www.career-vision.eu
CVE career-vision-europe
Der Karrierecoach für Akademiker
ge ich ein ruhiges Umfeld, das in mir eine positive
Stimmung auslöst. Warum? Unser Körper ist seit
Urzeiten darauf programmiert, Unwohlsein und
Stress mit Gefahr zu verbinden. Unsere Vorfahren
aus der Steinzeit haben bei Gefahr nicht lange
überlegt, sondern reagiert. Genau das, macht unser Körper auch heute noch und konzentriert seine
Energie in Stresssituationen auf die Muskeln, damit wir weglaufen oder kämpfen können. Für das
Gehirn bleibt wenig Energie übrig. Denkprozesse
werden durch ausgeschüttete Stresshormonen
(Adrenalin) gestoppt und verhindern das Abspeichern und Abrufen von Informationen. Diese Hormone schieben sich zwischen die Synapsen und
verhindern eine Weiterleitung der Reize.
Unter dem Namen „Blackout“ ist uns dieser Vorgang hinreichend bekannt. Wer kennt die Situation nicht: Ein Schüler, bestens auf den Unterricht
vorbereitet, schaut in Gedanken aus dem Fenster.
Er wird plötzlich aus seinen Träumen gerissen,
denn der Lehrer ruft ihn auf und möchte die Lösung zu einer von ihm gelernten Aufgabe wissen.
Doch diese ist weg. Das plötzliche Aufrufen hat
Stress erzeugt und das Adrenalin macht Denken
unmöglich. Um also gut Lernen zu können, bedarf
es einer Lernumgebung, die mir Geborgenheit
und Sicherheit gibt, Stress sollte vermieden werden. Das gilt auch für den Stress, den ich mir gerne
selbst mache, wenn ich zum Beispiel meine Lernportionen zu groß gestalte und vergesse mich für
die erreichten Ergebnisse zu loben. Selbst gemachten Stress erzeuge ich auch durch ein schlechtes
Zeitmanagement, also immer dann, wenn ich zum
Beispiel zu spät vor einer Prüfung mit dem Lernen beginne. Eine stressfreie Lernumgebung ist
je nach Lerntyp allerdings eine ganz individuelle
Sache. Jeder sollte für sich herausfinden, wie die
Lernförderliche Umgebung aussehen sollte.
Quellen und weitere Informationen
Denken, Lernen, Vergessen von Frederic Vester,
dtv Wissen
Lernen und Gedächtnis aus neurowissenschaftlicher Perspektive von Matthias Brand und Hans
J. Markowitsch, erschienen in Neurodidaktik
von Ulrich Herrmann (Hrsg.), Beltz Verlag
Dein Gehirn bist du! Von Manfred Spitzer, Uni
Auditorium, Hörbuch von Audible.de
Selbstkontrolle: Warum wir oft nicht tun, was
wir wollen, Vortrag von Manfred Spitzer, Auditorium Netzwerk, DVD Jokers.de
Wikipedia – Stichwort: Theorie der multiplen
Intelligenzen (nach Howard Gardner)
von Dipl.-Ing. (FH) M.A. Angela Schütte
4
www.career-vision.eu
Herunterladen