Fingerspitzengefühl für Proteine

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Fingerspitzengefühl für Proteine
Der Physiker Hendrik Dietz hat ein Präzisionswerkzeug zum räumlichen »Befühlen« von Proteinen entwickelt –
und eröffnet damit neue Wege zum Verständnis dieser Grundbausteine des Lebens
Proteine sind die biologischen »Bauelemente« aller Zellen des
menschlichen Körpers – sie formen unter anderem unsere
Muskeln, Organe und die Haut. Auch im Zellinnern fungieren
sie als kleine »Universalmaschinen«, die Material und Nährstoffe transportieren, »Müll« entsorgen, Ionen pumpen, chemische Reaktionen steuern und Signalstoffe erkennen. Ihre
Aktivität hält uns buchstäblich am Leben.
Gemessen an ihrer Wichtigkeit sind Proteine bislang noch
recht unzureichend verstanden. Biologen wissen zwar, dass die
rund 21.000 unterschiedlichen Proteine im menschlichen Körper jeweils aus einer Kette von gut zehn bis zu mehreren Tausend Aminosäure-Bausteinen bestehen. Die Aminosäuren wiederum gibt es in 20 beliebig kombinierbaren Varianten. Auch
wissen die Forscher, dass sich die lange Molekülkette jedes Proteins zu einer Art unregelmäßig geformtem Knäuel aufrollt –
ein Vorgang, der als »Proteinfaltung« bezeichnet wird. Doch
die mechanischen Eigenschaften dieser Knäuel waren bislang
so gut wie unbekannt. Von der Festigkeit der Proteine hängt
unter anderem deren Elastizität und physische Stabilität ab;
werden sie durch äußere Kräfte zerrissen, funktionieren sie
nicht mehr (z. B. beim von Sportlern gefürchteten Muskelfaserriss).
Nun jedoch hat der Physiker Hendrik Dietz im Rahmen seiner
Doktorarbeit an der Technischen Universität München ein Präzisionswerkzeug entwickelt, mit dem sich die Protein-Knäuel
wie mit winzigen Fingern »befühlen« und für mechanische Belastungstests »in die Länge ziehen« lassen. Dies erlaubt wichtige Rückschlüsse auf ihre dreidimensionale Struktur – bislang
eine Art »Heiliger Gral« der Proteinforschung.
Bei seinen Untersuchungen kam Dietz zu überraschenden
Ergebnissen: Die Kraft, die nötig ist, um ein Protein-Knäuel zum
ursprünglichen Molekülstrang auseinanderzuziehen, hängt da­
von ab, an welchen äußeren Stellen man das Knäuel »anpackt«.
An einigen Stellen muss man dazu wesentlich mehr Kraft aufwenden als an anderen. Wissenschaftler bezeichnen dies als
»Anisotropie der Bruchkraftverteilungen«. Weiterhin gelang es
Dietz mit seinem Verfahren erstmals, die Längen der unterschiedlichen Kettenabschnitte eines Proteins präzise mechanisch zu vermessen. Bislang konnten Forscher solche Strukturbestimmungen nur vornehmen, indem sie aus Milliarden der
zu untersuchenden Proteine einen großen Kristall züchteten
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Deutscher Studienpreis | Ergebnisse 2008
und diesen mit Röntgenstrahlen »durchleuchteten« – eine als
»Röntgenspektroskopie« bekannte Technik.
Die Grundlagen für Dietz’ Experimente lieferten 1986 die
Nobelpreisträger Gerd Binnig und Heinrich Rohrer. Die beiden
Physiker hatten das sogenannte Rastertunnel-Mikroskop er­
funden, mit dem einzelne Atome auf der Oberfläche von
Festkörpern sichtbar gemacht werden können. Dieses – nichtoptische – Mikroskop verfügt zum Abtasten der FestkörperOberflächen über eine extrem scharfe Spitze, durch die ein
elektrischer Strom geschickt wird. Binnig entwickelte zusammen mit Kollegen noch eine leicht abgewandelte Variante: das
Atomkraft-Mikroskop, dessen Spitze an einer winzigen Blatt­
feder befestigt ist. Mit dieser Feder lassen sich die auf atomarer
Ebene auftretenden winzigen Kräfte messen.
1997 haben der Münchener Physiker Matthias Rief – Dietz’
Doktorvater – und dessen Doktorvater Hermann Gaub das
Atomkraftmikroskop erstmals zur Untersuchung von Proteinen eingesetzt. Sie wählten für die »Streck-Tests« ein von Natur
aus langes – und entsprechend einfach zu »ergreifendes« – Muskelprotein aus. Damit stießen die beiden Münchener Forscher
die Tür auf zu einem völlig neuen Forschungsfeld – der mechanischen Untersuchung von Proteinen.
Ein Problem bei der Untersuchung von Proteinen ist ihre extreme Empfindlichkeit. »Sie funktionieren grundsätzlich nur
in wässriger Lösung und nur in einem engen Temperatur­
bereich«, erklärt Dietz. »Außerdem lassen sie sich meist nur
schwer aus ihrer angestammten Umgebung in der Zelle isolieren.« Hinzu kommt ihre Winzigkeit. Im Gegensatz zu den langen Muskel-Molekülen lassen sich die kürzeren normalen Proteine, die Dietz jetzt untersuchte, viel schwieriger in das
Atomkraftmikroskop »einspannen«: »Die scharfe Spitze des
Instruments gleicht, gemessen an den winzigen Proteinen,
einem stumpfen Huckel«, sagt der Forscher. »Die Größe eines
Proteins verhält sich zu der eines Haares ähnlich wie ein Haar
zu einer Autobahn.« Ein praktikabler Ausweg aus diesem
Größenproblem besteht darin, viele der zu untersuchenden
Proteine im Labor biochemisch aneinanderzuhängen und so
eine Riesenkette zu schaffen, die ähnlich leicht handhabbar ist
wie die von Natur aus langen Muskelproteine. Das Problem,
aus kleineren Proteinen eine Riesenkette zu »stricken«, lösten
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Forscher bislang mit gentechnischen Tricks. Sie schleusten
dazu den Bauplan eines Proteins mehrmals nacheinander in
das Gen eines Wirtsbakteriums ein, das dann »überlange« Proteine herstellte. »Dieses Verfahren ist jedoch sehr aufwendig«,
sagt Dietz. »Außerdem erzeugt es nur ein einziges Verknüpfungsmuster, nämlich die Riesenkette.«
Um Proteine für dreidimensionale Studien in alle drei Raumrichtungen »langziehen« zu können, musste sich Dietz eine
andere Form der Verknüpfung einfallen lassen. Er griff auf ein
Verfahren zurück, für das Michael Smith 1993 den Nobelpreis
erhalten hatte. Dem britischen Chemiker und seinem Team
war es gelungen, die Erbinformationen eines Proteins gezielt
so zu verändern, dass an jeder beliebigen Stelle seiner Molekülkette eine vorhandene Aminosäure gegen eine andere ausgetauscht werden konnte.
»Eine der 20 Aminosäuren, die in der Natur vorkommen,
enthält ein einzelnes, hochreaktives Schwefelatom, das es vorzieht, mit anderen Schwefelatomen eine sehr feste chemische
Verbindung – eine sogenannte Schwefelbrücke – einzugehen«,
erklärt Dietz. Auch in der Natur werden Proteine intern durch
solche Schwefelbrücken stabilisiert. Dies machte sich der Forscher bei seinen Experimenten zunutze.
Dietz verwandte für seine Studien ein Protein, das Teil des
Leuchtorgans der Atlantikqualle ist. »Strahlt man dieses sogenannte Grün Fluoreszierende Protein, kurz GFP genannt, mit
ultraviolettem Licht an, so leuchtet es in intensivem Grün auf«,
sagt Dietz. Mithilfe des von Smith entwickelten Verfahrens
baute er in das GFP-Protein zwei Aminosäuren ein, die das
Schwefelatom enthalten – und zwar gezielt an solchen Stellen,
die sich nach der Protein-Faltung an der Oberfläche des Knäuels befinden. Mit der UV-Lampe konnte Dietz überprüfen, ob
das Protein durch den zusätzlichen Schwefelatom-Einbau »intakt« geblieben war. Fluoreszierte es immer noch, hatte es die
»Operation« schadlos überstanden.
Anschließend hängte er eine große Zahl seiner genmanipulierten GFP-Proteine an ihren beiden Schwefel-Atomen, die jeweils als »Haken« und »Öse« dienten, aneinander. Auf diese
Weise erhielt er eine lange Kette, die sich ähnlich leicht wie die
langen Muskelfasern ergreifen und testen ließ. Dietz war dabei
jedoch nicht nur auf eine einzige Ketten-Variante beschränkt.
Er konnte durch gezielte Veränderung der jeweiligen Schwefelpositionen neun unterschiedliche Arten von Protein-Ketten erzeugen, innerhalb derer die Proteine jeweils in eine andere 3-DRichtung in die Länge gezogen wurden.
Bei den anschließenden Krafttests stellte er – zur Überraschung der Fachwelt – je nach Zugrichtung große Unterschiede
fest: Die zum Auseinanderreißen der GFP-Knäuel erforderliche
Kraft war in der stabilsten der getesteten Zugrichtungen rund
zehnmal größer als in der schwächsten. »Vergleicht man«, so
Dietz, »das GFP-Protein mit einem Elefanten, so kann man sagen, dass die weichsten Teile den Ohren ähnelten und die härtesten einem Stoßzahn.« Mit diesen Versuchen war es dem
Münchener Physiker erstmals gelungen, Kraftmessungen an
Proteinen in drei Dimensionen durchzuführen. Überdies lieferten die Messungen erstaunlich präzise Resultate.
Im Anschluss an seine experimentelle Arbeit entwickelte Dietz
ein einfaches mechanisches Modell des Protein-Moleküls, mit
dem 90 Prozent der erhaltenen Messergebnisse theoretisch erklärt werden konnten. Dieses Modell basiert auf dem Prinzip
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Schwefelatome (gelb dargestellt)
können dank der modernen
Molekularbiologie auf fast der
gesamten Oberfläche eines
Proteinmoleküls gezielt positioniert
werden. Mit einem kleinen Trick
können diese Schwefelatome als
Angriffspunkte verwendet werden,
um einzelne Proteinmoleküle mit
einem winzigen Greifinstrument an
diesen Punkten anzufassen und die
Festigkeit des Proteins zwischen
diesen Punkten zu untersuchen.
Dies ist die weltweit erste drei­dimensionale Stabilitätskarte eines
Proteinmoleküls am Beispiel des
Grün Fluoreszierenden Proteins.
Diese Karte hat noch einige weiße
Flecken, zeigt aber bereits deutlich
den Reichtum an Informationen, der
durch die mechanische Untersuchungsmethode von Hendrik Dietz
erstmals zur Verfügung gestellt wird.
einer in die Länge gezogenen Spiralfeder. »Damit kann man ein
Protein als ein Netzwerk von Bindungen betrachten, die auf
komplizierte Weise miteinander verschaltet sind«, erklärt der
Forscher. »Kennt man die Lage und Anordnung der Verschaltung, ist es möglich, die mechanischen Eigenschaften dieses
Netzwerks in verschiedenen Teilen neu zu berechnen und vorherzusagen.«
Auch Aussagen über die äußere Form, das besagte »Betasten«, waren mit Dietz’ neuer Technik möglich. Dabei dienten
die unterschiedlichen Positionen der eingebauten Schwefel­
atome als Messpunkte. Bereits zuvor hatten Forscher das GFPProtein mithilfe der herkömmlichen Röntgenspektroskopie
vermessen. Die mit Dietz’ Methode ermittelten Ergebnisse
stimmten mit diesen nahezu exakt überein – ein Beweis dafür,
dass sie äußerst zuverlässige Ergebnisse liefert.
Dietz’ bahnbrechende Entdeckungen könnten die Forschung
in vielen unterschiedlichen Disziplinen beflügeln – etwa in der
Medizin: Viele Krankheiten gehen darauf zurück, dass bestimmte Proteine im Körper fehlen oder Defekte aufweisen.
»Diabetiker haben Probleme mit dem Blutzuckerspiegel, weil
ihnen ein kleines Protein namens Insulin fehlt«, sagt Dietz.
»Krebs und Erbkrankheiten werden durch fehlerhafte Baupläne
für die unterschiedlichsten Proteine verursacht; die Fehler bewirken, dass diese kleinen Maschinen nicht mehr funktionieren.« Auslöser der Erbkrankheit Mukoviszidose etwa sei ein
Protein, das normalerweise Ionen aus der Zelle abtransportiert,
diese Arbeit wegen eines Defekts aber nicht mehr ausführen
kann. Auch die Alzheimersche Krankheit wird durch Proteine
verursacht: Die Eiweiße können sich nicht mehr korrekt zuDeutscher Studienpreis | Ergebnisse 2008
sammenbauen und bilden infolgedessen schädliche Ablagerungen im Nervensystem, die die Demenz hervorrufen.
»Meine neuen Methoden zur Strukturbestimmung von Pro­teinen werden zu einem besseren Verständnis der Funktionsweise von Proteinen beitragen – und klären helfen, warum sie
bei einigen Krankheiten nicht mehr funktionieren. Vielleicht
können Mediziner eines Tages sogar Proteine selbst erschaffen,
die unsere Zellen bei Problemen mit bestimmten Krankheiten
unterstützen«, sagt Dietz. »Ein Blick in die Lehrbücher der Molekularbiologie zeigt, dass der Vorstellung hier tatsächlich
keine Grenzen gesetzt sind – sofern wir einmal Kontrolle über
diese wunderbaren Moleküle namens Proteine erlangt haben.«
Proteine können sogar noch viel mehr. Dietz sieht sie in
seinen etwas kühneren Visionen als vom Menschen kontrollierte Mini-Maschinen, die sich durch geeignete Kombinationen von Aminosäuren für vielfältige Aufgaben einsetzen
lassen – etwa in ökologischen Kraftstoff-Fabriken: »Maßgeschneiderte Proteine könnten die in Holz- und Forstabfällen
enthaltene Zellulose in kleine Zuckermoleküle zerlegen. Mit
dem Zucker ließen sich Ethanol produzierende Bakterien füttern. Ethanol wiederum kann in Autos Benzin ersetzen.« Auch
die Photosynthese der Pflanzen lasse sich womöglich eines Tages mit maßgeschneiderten Proteinen nachahmen.
Dietz’ Doktorvater, Matthias Rief, ist in seinem Fachgutachten zur Dissertation des Lobes voll. Er erwartet »einen gesellschaftlichen Nutzen quer durch viele Bereiche, von der bio­
logischen Grundlagenforschung über die Medizin bis zur
Biotechnologie. Die Originalität der Arbeit kommt in zahlreichen hochrangigen Publikationen zum Ausdruck, die ihr
gefolgt sind.«
Beitragstitel Fingerspitzengefühl für Proteine
Dr. Hendrik Dietz
Promotion an der Technischen Universität München
Harvard Medical School, Cambridge, USA
Telefon dienstlich +1 · 617 · 632 51 84
Telefon privat +1 · 617 · 895 76 37
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