BVD-Virus Bovine Virusdiarrhoe und Mucosal Disease (Teil 1) Großtierpraxis 5:2, 38-41 (2004) von Klaus Teich, Bad Oldesloe Die BVD - nicht immer sichtbar, aber allgegenwärtig Die BVD gilt generell als eine der verlustreichsten Infektionskrankheiten des Rindes. Die durch sie verursachten Verluste für die bundesdeutsche Rinderhaltung werden mit durchschnittlich 23,00 EUR je Abkalbung beziffert (Beer et al. 1997a). Für akut betroffene Betriebe können diese Verluste um ein Vielfaches höher sein als dieser Durchschnittswert, der auch klinisch unauffällige Betriebe in die Rechnung mit einschließt. Foto: Universität Zürich ein Reduzieren der Schäden, aber keine wirkliche Kontrolle des Geschehens. Es ist einfach zu spät. Blinder Aktionismus wie sofortige „Notimpfungen“ sind in der Regel wenig kosteneffektiv für die Landwirtschaft (Wolf 1997). Wenn metaphylaktische Impfungen auch nur eine Linderung ermöglichen, so lässt sich diese Situation aber „ideal“ nutzen, dem Betriebsleiter Möglichkeiten aufzuzeigen, wie zukünftig eine solch aussichtslose Situation vermieden werden kann. Denn eins ist in den meisten Fällen jetzt bereits Gewissheit: Nach spätestens 4-7 Jahren wird dieser Betrieb wieder an derselben Stelle stehen, wenn er nicht systematisch gegensteuert. Was macht diese Infektionskrankheit so verlustreich? Was sollte das Ziel bei der Bekämpfung sein? BVD-Verluste werden vom BVD-Virus bereits über lange Zeit „vorbereitet“, ohne dass der Bestand klinisch auffällig ist. Dann jedoch laufen die Verluste wie von einer Zeitschaltuhr gesteuert schematisch ab und erlauben lediglich Es gibt verschiedene Wege, die alle mehr oder weniger viele Vor- oder Nachteile haben oder die mehr oder weniger kostenintensiv sind. Der Weg ist jeweils individuell auf den Betrieb anzupassen. Über das Ziel gibt es je- 38 GROSSTIERPRAXIS 02/2004 doch keinen Zweifel: Die Infektionskette muss unterbrochen werden, d.h. vorhandene Virusquellen dürfen nicht mehr auf empfängliche Tiere treffen, um nicht wieder neue Virusquellen entstehen zu lassen. Es muss eine nachhaltige Virusverdrängung stattfinden. Grundlagen der nachhaltigen Virusverdrängung Bei der Virusverdrängung ist keine Infektionskrankheit gleich der anderen. Die epidemiologischen Gegebenheiten sind zu berücksichtigen. Bei der BVD spielt die Infektionskette über transient infizierte Tiere eine untergeordnete Rolle. Grund ist: Das BVD-Virus ist längst nicht so kontagiös wie manch andere virale Erreger des Rindes. Gleichzeitig werden während der vorübergehenden Infektion eines Tieres (transiente Infektion) relativ geringe Virusmengen für nur kurze Zeit ausgeschieden. Pro Gramm Nasensekret wurden lediglich 30 tierinfektiöse Dosen während der transienten Vir- ämie gemessen. Die Virämie dauert dabei selten länger als 3-4 Tage. Anders der BVDV-Dauerausscheider: Er scheidet bis zu 200.000 tierinfektiöse Dosen pro Gramm Nasensekret aus. Zudem ist er dauerhaft virämisch (persistent infiziert). Daher ist die Hauptvirusquelle im BVD-Geschehen das PI-Tier (Dauerausscheider). Rein rechnerisch wäre es z.B. möglich mit nur 1 g Nasensekret die Hälfte der Rinderpopulation Sachsen-Anhalts zu infizieren. Für die Aufrechterhaltung der BVD sind daher weltweit auch nur relativ wenige PI-Tiere nötig. Nur etwa 1-2 % der Rinderpopulation sind persistent infiziert. Die Entstehung der Dauerausscheider Dauerausscheider entstehen nur durch eine intrauterine Infektion im ersten Trimester der Trächtigkeit. Rinder aller Altersklassen oder Feten aller anderen Trimester der Trächtigkeit sind in der Lage das BVD-Virus aus dem Organismus zu eliminieren. Während des ersten Trimesters ist der Rinderorganismus noch nicht immunkompetent, d.h. er kann nicht zwischen körpereigen und körperfremd unterscheiden. Ergebnis einer transplazentaren Infektion in diesem Stadium ist daher eine Immuntoleranz. Er toleriert das BVD-Virus als „körpereigen“ und wird zeitlebens keine Antikörper gegen diesen speziellen BVDV-Stamm entwickeln. Gleichzeitig stellt ein solcher Organismus eine ungebremste Vermehrung und Ausscheidung des BVD-Virus sicher. Die Rolle der Diagnostik Immer wieder wird zu allererst Kritik an der Qualität der BVD-Diagnostik geäußert. Tatsächlich ist der Virusnachweis häufig erfolglos, obwohl klinisch doch alles so klar für eine BVDV-Infektion spricht. Richtig ist, dass sich die jeweiligen Methoden zum Erregernachweis sehr stark in ihrer Empfindlichkeit (Sensitivität), aber vor allem in ihrer „Störanfälligkeit“ unterscheiden. Die daraus resultierenden Unterschiede zwischen den einzelnen Instituten sollen hier nicht Gegenstand der Betrachtungen sein. Viel wichtiger scheint es, eine geeignete Probe zur Untersuchung zu bringen. Fehler in der Probenentnahme vermeiden Der Kümmerer - die klassische Verdachtsprobe Viele Proben werden als Einzelprobe zur Bestätigung des klinischen Verdachtes gezogen (Verdachtsproben); z.B. werden kümmernde Tiere beprobt, da der Bestand gleichzeitig Fruchtbarkeitsprobleme hat oder weil fortwährend therapieresistente Jungtiererkrankungen vorliegen. Dass es in diesen Fällen sehr häufig zu „Enttäuschungen“ kommt, ist nicht weiter verwunderlich, wenn man sich vor Augen führt, dass die meisten BVD-bedingten Kümmerer durch transplazentare BVDV-Infektionen zwischen dem 4.7. Trächtigkeitsmonat entstehen. In dieser Phase sind die Feten immunkompetent und eliminieren das BVDV selbst noch während der Gravidität. Die Folgeschäden ihres mehr oder minder langen Kampfes mit dem Virus sind i.d.R. die Ursache für das Kümmern. Die Vermutung einer transplazentaren BVDV-Infektion kann demnach richtig sein, und doch ließe sich an diesen Fällen der BVD-Verdacht anhand eines Virus- oder Antigennachweises nicht bestätigen. Umgekehrt wäre die Schlussfolgerung: kein Virus oder Antigen – ergo kein BVD-Problem – nicht nur schlichtweg falsch, sondern ist für viele Bestände bereits wirtschaftlich fatal gewesen. Einzig und allein beweisend für ein BVDV-Infektionsgeschehen ist der positive Virus- bzw. Antigennachweis. Ein negatives Ergebnis schließt das Problem nicht aus. Reihenuntersuchungen in Niedersachsen haben gezeigt, dass sogar jedes 2. PITier klinisch gar nicht als ein solches erkannt worden wäre (Frey et al. 1996). Die Suche der Dauerausscheider allein unter den Kümmerern wäre also ohnehin nur die „halbe Wahrheit“. BVD-VIRUS Der Verdacht auf Immunsuppression Auch in klinisch kranken Tieren („Immunsuppressionsverdacht“) BVDV zu finden entspricht der Suche nach der berühmten Nadel im Heuhaufen. Da ein transient BVDV-infiziertes Tier meistens lediglich für 3-4 Tage zwischen dem 3. und 7. Tag nach der Infektion Virus im Blut aufweist, ist es meist reiner Zufall gerade zum richtigen Zeitpunkt ein solches Tier zu beproben. Auch die Immunsuppression tritt i.d.R. erst 3-4 Tage post infectionem auf. Dazu verlaufen die meisten Mono-BVDV-Infektionen subklinisch. Erst die schwereren Sekundärinfektionen fallen klinisch auf. Die Inkubationsphase lässt die Virusdiagnostik häufig erst zu spät einleiten. Neugeborene und Kälber in der Diagnostik Nicht selten werden Verdachtsproben von Jungtieren gezogen, die jünger als 3 Monate sind. Ziel ist die Aufklärung zahlreicher Verluste im Zusammenhang mit therapieresistenten pneumo-enteritischen Erkrankungen. Innerhalb der ersten 3 Lebensmonate besteht jedoch bei den meisten Routinetests die „diagnostische Lücke“ (Zimmer et al. 1997). Diese Lücke kann für manche Testsysteme sogar bis zu 6 Monate betragen. Grund sind maternale Antikörper. Diese neutralisieren das nachzuweisende Virus bzw. Antigen bereits im Probenröhrchen oder spätestens bei der Aufbereitung der Blutprobe und führen daher zu einem falsch-negativen Ergebnis. Gerade dies ist jedoch fatal, da dadurch vielleicht die einzige tatsächliche BVDV-Quelle durch das Netz schlüpft und eine Nachuntersuchung eines einmal negativ beprobten Tieres 9 Monate später in aller Regel bewusst oder aus Nachlässigkeit unterbleibt. Auch die Untersuchung von Kälbern unmittelbar nach der Geburt ist gängige Praxis. Werden diese Tiere wirkGROSSTIERPRAXIS 02/2004 39 BVD-VIRUS lich präkolostral geblutet, wäre das Ergebnis natürlich brauchbar. Aber die wenigsten solcher Proben werden erfahrungsgemäß präkolostral gewonnen. Hier ist ein hohes Maß an eigener Kritikfähigkeit gefragt. Einige Testsysteme sollen tatsächlich bis zu 10 Tage nach der Kolostrumaufnahme noch verlässliche Daten liefern. Es wissen allerdings nur die wenigsten Einsender welche Methode in welchem Labor benutzt wird und ob diese Methode zu diesem „erlauchten“ Kreis gehört. Neuere ELISA-Generationen haben innerhalb der letzten 2 Jahre für Fortschritte gesorgt. Die diagnostische Lücke kann damit stark verkleinert werden. Dennoch sind damit Tiere innerhalb der ersten 4 Lebenswochen nicht sicher auf Virusfreiheit zu untersuchen. Gerade in dieser Zeit werden jedoch über 90 % der Kälber vermarktet. In einigen Bundesländern wird bereits eine gut etablierte PCR genutzt. Diese Methode weist zwar ebenfalls eine diagnostische Lücke auf, bietet aber durch die hohe Sensitivität die Möglichkeit kostengünstig ganze Bestände (50er Pools) auf Antigen untersuchen zu können. Natürlich haben erfahrene Kollegen eine „regelrechte Nase“ für viruspositive Tiere. Bei einem positiven Ergebnis besteht auch kein Zweifel, aber ein negatives Ergebnis hilft kein bisschen weiter. Bevor man einem falsch-negativen Testergebnis vertraut, ist es sicherer, bestimmte Altersgruppen gar nicht erst zu untersuchen und die BVDV-Diagnostik vor allem nicht als Ausschlussdiagnostik zu betreiben. pergau“: Es ist in diesem Moment traurige Gewissheit, dass ein effizientes Aufhalten weiterer Verluste (echter BVD-Verluste) nun nicht mehr möglich ist, sondern maximal abgeschwächt werden kann. Das positive virologische Untersuchungsergebnis kann aus dem betriebswirtschaftlichen Blickwinkel heraus keine besondere Entscheidungshilfe für weitere Maßnahmen liefern. Macht der Virusnachweis überhaupt Sinn? Kein Grund zum Zurücklehnen Generell stellt sich die Frage, ob der „erfolgreiche“ Virus- oder Antigennachweis demnach für Landwirt und Tierarzt überhaupt von Interesse ist. Der hohe Verbreitungsgrad des BVDV in Deutschland (regional bis zu 90 %) ist Grund, dass nur sehr wenige Betriebe von der Erkrankung bisher verschont blieben. Obwohl die meisten Bestände schon einmal durchseucht wurden, werden sie wieder BVD-Bestandsprobleme bekommen, da die BVD meistens zyklisch im Abstand von 4-7 Jahren wieder auftritt (Abb. 1). Daher besteht zu keinem Zeitpunkt die Veranlassung sich zurückzulehnen und zu warten bis wieder klinische Fälle, z.B. MD, auftreten. Von der MD sind nur Dauerausscheider betroffen, d.h. tritt MD auf, waren bereits eine geraume Zeit potente Virusquellen im Betrieb. Es ist hier wieder einmal zu spät. Natürlich fällt das Überzeugen des Betriebsleiters vom Vorliegen eines BVDBestandsproblems mit einem erfolgreich nachgewiesenen BVDV um einiges leichter. Es lassen sich aus der Retrospektive auch einige Krankheitsphänomene besser erklären. Weiterhin ließe sich der Infektionsdruck in der Herde durch Eliminierung der gefundenen Dauerausscheider senken. Damit sollte dann auch nicht lange gewartet werden! Ökonomisch gesehen ist ein positiver BVDV-Nachweis aber bereits der „Su- Frühwarnsysteme nutzen Abb. 1. Mögliche Ausbreitungsdynamik des BVD-Virus nach Einschleppung in den Färsenbereich und die bestandsserologische Entwicklung. 40 GROSSTIERPRAXIS 02/2004 Unabhängig von der momentanen klinischen Situation eines Betriebes sollte eine BVD-Statuserfassung vorgenommen werden. Nur so ist es möglich einen „BVDV-Einschlag“ rechtzeitig zu erkennen und dann ökonomisch sinnvoll und der jeweiligen Bestandssituation angepasst zu agieren. Ein solches Frühwarnsystem stellt das sogenannte Jungtierfenster dar. Es handelt sich dabei um eine serologische Stichproben-Untersuchung von Jungtieren im Alter zwischen 6 und 18 Lebensmonaten. Weist bereits diese Altersklasse Antikörper gegen das BVDV auf, deutet dies auf die Anwesenheit eines Dauerausscheiders im Bestand hin. Sind alle beprobten Tiere unterschiedlichen Alters betroffen, kann davon ausgegangen werden, dass das PITier noch im Bestand ist. Sind vor allem die älteren Tiere einer solchen Stichprobe seropositiv, die jüngeren hingegen schon wieder nicht mehr, kann es sein, dass der Dauerausscheider den Bestand bereits wieder verlassen hat (tot oder Verkauf). Aussagefähigkeit des Jungtierfensters Das Jungtierfenster zeigt also sehr früh die Anwesenheit eines PI-Tieres im Bestand an, bevor klinisch und auch ökonomisch relevante Schäden auftreten. Dazu erlaubt des Ergebnis des Jungtierfensters eine vage Prognose, ob Dauerausscheider aktuell noch im Bestand zu erwarten sind. Untersuchungen in NRW haben gezeigt, wenn das Jungtierfenster weniger als 8 von 10 seropositive Proben aufwies, eine bestandsweite Dauerausscheidersuche meistens erfolglos blieb (pers. Mitteil. Leyk, ITMQ, Münster, 1998); d.h. die teure und aufwendige Virusdiagnostik könnte in vielen Fällen entfallen. Sollte sich unerwarteter Weise doch noch ein Dauerausscheider im Bestand befinden, so wird dies bei einer jährlichen Wiederholung des Jungtierfensters auffallen, da das Jungtierfenster statt „negativ“ unverändert oder sogar „positiver“ wird. Wird die Sanierung von einer Impfung der Zuchttiere mit fetalem Schutz begleitet, bleibt ein solches „Übersehen“ eines Dauerausscheiders ohne nennenswerte Folgen für den Gesamtbestand. In Einzelfällen kann nun doch die Dauerausscheidersuche eingeleitet werden. Geht man davon aus, dass ca. 80 % der Dauerausscheider innerhalb der ersten 24 Monate sterben (Frey et al. 1996), würde eine solche Vorgehensweise bedeuten, dass nach 2 Jahren der alleinigen Impfung mit fetalem Schutz rein rechnerisch nur 20 % der BVD-Bestände die aufwendige Dauerausscheidersuche betreiben müssten. Abb. 2. Das bestandsspezifische finanzielle Risiko bei einer BVDVEinschleppung in Abhängigkeit von der Herdenimmunität, das anhand des serologischen Jungtierfensters eingeschätzt werden kann. Berechnung in Anlehnung an das Kalkulationsmodell von G. Wolf (1997). Das Jungtierfenster und die Risikoabschätzung Das Jungtierfenster erlaubt weiterhin eine grobe Einschätzung des finanziellen Bestandsrisikos falls es zu einer BVDV-Einschleppung in den Bestand kommt. Gerade diese Prognose ist eine wichtige Entscheidungshilfe für einen Betriebsleiter für oder gegen die Durchführung von Impfmaßnahmen. Allgemein gilt: Je empfänglicher ein Bestand ist, d.h. je größer der Herdenanteil von Tieren ist, die keine den Fetus schützende Immunität aufweisen, desto größer werden die Verluste bei einer Viruseinschleppung sein. Die Untersuchungen in NRW bestätigten ebenfalls, dass der Prozentsatz positiver Jungtiere der Stichprobe grob den Anteil seropositiver Zuchttiere der Herde abschätzen lässt (pers. Mitteil. Leyk, ITMQ, Münster, 1998). Nach einem Berechnungsmodell von G. Wolf, das an der Universität in München empirisch entwickelt wurde, lässt sich das Risiko eines Betriebes anhand des Ergebnisses des Jungtierfensters grob einschätzen (Abb. 2). Dieses Risiko gilt es durch geeignete Impfstrategien zu minimieren. Da über 90 % der finanziellen BVD-Verluste durch transplazentare Infektionen in den verschiedenen Phasen der Trächtigkeit entste- hen (Wolf 1997), sollten vor allem die Zuchttiere im Mittelpunkt der Impfmaßnahmen stehen. Teil 2 im Märzheft Anschrift des Verfassers: Dr. Klaus Teich Virbac Tierarzneimittel GmbH Rögen 20 23843 Bad Oldesloe Tel.: 04531-805104 Fax.: 04531-805100 e-mail: [email protected] GROSSTIERPRAXIS 02/2004 41