Allgemeine Chemie 1 HS 2010 - Willem H. Koppenol

Werbung
Allgemeine Chemie 1 HS 2010
Grundlagen der Anorganischen Chemie
Begleitliteratur:
C.E. Mortimer, U. Müller
Chemie
9. Auflage, Thieme Verlag, Stuttgart, 2007
Allgemeine Chemie 1 HS 2010 .................................................................................................. 1 Chemie ............................................................................................................................... 4 Frühgeschichte ................................................................................................................... 5 Antike und Mittelalter ........................................................................................................ 5 Frühe Neuzeit ..................................................................................................................... 5 Neuzeit ............................................................................................................................... 6 Die Auferstehung der Atomtheorie .................................................................................... 6 Im Atom drin ...................................................................................................................... 7 WYSIWYG – What you see is what you get ..................................................................... 8 Atomtheorie und Periodensystem ...................................................................................... 9 Stöchiometrie ................................................................................................................... 12 Stoffe – Valenzelektronen – Struktur ............................................................................... 14 Schalenbau – Konsequenzen: Aufbauprinzip und Elektronegativität .............................. 15 Chemischer Formalismus ................................................................................................. 17 Strukturformeln ................................................................................................................ 17 Lösungen .......................................................................................................................... 19 Der Lösungsprozess ......................................................................................................... 20 Lösung und Energie ......................................................................................................... 22 Der gelöste Zustand .......................................................................................................... 23 Konzentrationsbegriff....................................................................................................... 25 Konzentrationsabhängige Phänomene in der Chemie: Reaktionsraten............................ 26 Das chemische Gleichgewicht ......................................................................................... 27 Heterogene Gleichgewichte ............................................................................................. 29 Gekoppelte Gleichgewichte ............................................................................................. 30 Metathese-Reaktionen ...................................................................................................... 32 Löslichkeitsprodukt und Fällungsreaktionen ................................................................... 33 Säuren und Basen ............................................................................................................. 35 Säuren und Basen in Wasser ............................................................................................ 36 Säurestärke ....................................................................................................................... 37 Anorganische Arrhenius-Säuren und -Basen ................................................................... 39 Brønsted - Lowry Säuren und Basen................................................................................ 40 Lewis Säuren und Basen .................................................................................................. 41 Säure- und Basenstärke im Brønsted – Lowry Konzept als Funktion des molekularen
Aufbaus ............................................................................................................................ 42 Arrhenius-Säuren und -Basen als Produkte der Hydrolyse von Oxiden ......................... 46 Quantitative Beschreibung von Säure-Base Reaktionen in Wasser ................................. 47 Anwendung der quantitativen Säure-Base Theorie: Titrationen ...................................... 49 Puffer ................................................................................................................................ 54 Säuren mit mehreren Dissoziationsstufen ........................................................................ 54 Hochverdünnte Säuren ..................................................................................................... 56 Nichtwässrige Lösungsmittel ........................................................................................... 56 Redoxreaktionen............................................................................................................... 57 Redoxreaktionen in wässriger Lösung ............................................................................. 60 Elektrochemie................................................................................................................... 64 Elektrolyse ........................................................................................................................ 65 Quantitative Elektrolysen ................................................................................................. 70 Galvanische Zellen ........................................................................................................... 72 Anwendung der Nernst-Gleichung................................................................................... 79 Konzentrationszellen ........................................................................................................ 80 Elektrolyse und Elektrodenpotential ................................................................................ 83 Kommerzielle galvanische Zellen .................................................................................... 84 Redox-Diagramme ........................................................................................................... 86 Werners Analysemethoden .............................................................................................. 89 Vorkommen von Metallkomplexen und Funktion ........................................................... 89 Bindungen in Komplexen................................................................................................. 90 Ligandfeld-Aufspaltung ................................................................................................... 93 Reaktionen von Komplexen ............................................................................................. 95 Komplexgleichgewichte ................................................................................................... 95 Spezielle Komplexformen ................................................................................................ 97 Lewis Säuren – Basen Affinität ..................................................................................... 100 Anhang: Komplex-Isomere ............................................................................................ 102 Chemische Reaktionen in Lösung .................................................................................. 103 Komplexe – noch einige Details .................................................................................... 111 Aktivität .......................................................................................................................... 115 Chemie
Die heutige Chemie ist eine exakte Naturwissenschaft, in etwa die zweitexakteste nach der
Physik, jedenfalls nach dem Selbstverständnis der Chemiker. Die Mathematik ist übrigens
keine Naturwissenschaft, sondern eine Geisteswissenschaft. Es gibt zwar eine experimentelle
Mathematik, doch werden die Versuche nicht an physischen Objekten, sondern an abstrakten
Konstrukten in einem Computer durchgeführt.
Die Chemie kann als eine stark ausgebaute Spezialdisziplin der Physik aufgefasst werden,
nämlich die Beschäftigung mit den Elektronenhüllen der Atome und Moleküle, den kleinsten
unmittelbaren Bausteinen wahrnehmbarer Materie. Sofern theoretische Betrachtungen im
Vordergrund stehen, ist von den Grundkräften nur die elektromagnetische Wechselwirkung
von Bedeutung. Praktische Laborarbeit wird hingegen auch von der Schwerkraft beeinflusst.
Chemie ist also eine Beschäftigung mit Materie, und doch nicht Materialwissenschaft. Den
Materialwissenschaftler interessiert der innere Aufbau seines Stoffs nur soweit, als er dadurch
die gewünschten makroskopischen Eigenschaften erzielen oder verbessern kann. Er handelt
also als Ingenieur. Der Chemiker will hingegen, wie der Physiker, Regeln und Prinzipien im
Zusammenspiel der Materiebausteine entdecken und formulieren. Im Extremfall betreibt er
„wertfreie“ (von Ökonomen oft als „wertlos“ gedeutete) Grundlagenforschung. Der Übergang
zwischen reinem Machen und zweckfreiem Forschen ist in der Realität aber kontinuierlich.
Manchmal (eher selten) ergibt sich beim Machen eine fundamentale Erkenntnis, ein
Andermal (eher häufiger) findet man beim freien Forschen etwas Verwertbares. Der Grund
dafür ist einfach: Der Macher ist auf sein Ziel fokussiert und sieht oft nicht, was nebenbei
läuft, er hängt seiner Erwartung nach. Zudem wählt er kleine „sichere“ Schritte, weil er
„Erfolg“ haben muss, macht also keine ausgefallenen oder mutigen Experimente, weil ihm
dann der Geldhahn zugedreht wird. Ökonomischer Druck generiert i.a. nicht bessere
Forschung, sondern aufwendigere.
Chemiker wollen vor allem: Den inneren Aufbau von Materie verstehen, dies nennt man
Strukturchemie, und die Umwandlung von einem Stoff zu einem andern zu modellieren, das
nennt man Reaktionsdynamik.
Um zu verstehen, warum wir heute Naturwissenschaften betreiben, muss man ihre
Entstehungsgeschichte betrachten. Zu Beginn gab es keine Disziplinentrennung, wie wir sie
gewohnt sind.
Frühgeschichte
Die bewusste handwerkliche Herstellung und Umwandlung von Stoffen betreibt der Mensch
schon seit prähistorischer Zeit. Beispiele dafür sind die Reduktion von Metallerzen in Bronzeund Eisenzeit, Umwandlung von Mineralfarben, das Brennen von Ton und mehr. Dies wurde
nach Erfahrungsrezepten getan, die in der Familie weiter gegeben wurden. Die Hintergründe
der Umwandlungen wurden nicht gesucht.
Antike und Mittelalter
Auf der andern Seite versuchten schon in der Antike (vielleicht auch früher) Philosophen, das
Wesen der materiellen Existenz zu ergründen. Diese Denker brachten zwei fundamental
verschiedene Theorien zum Aufbau der Materie hervor:
(1) Der Aufbau kommt durch die variable Mischung von Grundprinzipien (meist 4)
zustande.
(2) Der Aufbau enthält kleinste Grundeinheiten. Für jeden Stoff gibt es eine
charakteristische Einheit.
Die erste Theorie fand zunächst mehr Anhänger, genannt Alchemisten (von arab. al-khimia,
das vermutlich selbst wieder vom griech. chymeia oder ägypt. kemet stammt). Diese
versuchten, die bekannten Umwandlungen im Rahmen dieser Theorie zu verbessern und
erweitern, um schliesslich wertvolle Materialien wie Gold oder Heilmittel aus einfachem
Ausgangsmaterial herzustellen. Die Erlangung dieser Fähigkeit sollte mit einer spirituellen
Wandlung und einem Gewinn an Weisheit des Alchemisten einhergehen. Das scheiterte
prinzipiell, doch hat diese Zeit einige unerwartete Entdeckungen neuer Materialien gebracht,
z.B. des Phosphors. Die Laboratoriumstechnik entstand durch die Alchemie, weil
Reaktionsgefässe für spezielle oder extreme Bedingungen entwickelt werden mussten.
Methoden wie die Destillation und Kristallisation wurden perfektioniert.
Frühe Neuzeit
Nach Ende des Mittelalters begannen einige Naturphilosophen mit der quantitativen
Untersuchung der Natur. Der erste Gegenstand waren makroskopische Bewegungsvorgänge:
So stellte Galileo Galilei zur Verwunderung seiner Zeitgenossen fest, dass der Fall eine
5
beschleunigte und nicht etwa eine kontinuierliche Bewegung ist. Johannes Kepler erklärte die
Planetenbahnen durch ein viel simpleres Modell als die antiken Himmelsbeobachter, gestützt
auf die präzisen Messungen von Tycho Brahe. Der irische Naturphilosoph Robert Boyle
erkannte den Zusammenhang von Druck und Volumen bei Gasen. Boyle ist auch der Autor
von „The Sceptical Chymist“. Darin betonte er die Unverzichtbarkeit von Experimenten zur
Begründung wissenschaftlicher Theorien. Die frühen Physiker waren demnach Initiatoren des
empirischen Denkens.
Neuzeit
Die stofforientierten Philosophen folgten Ende 18. Jh. durch die Untersuchungen von Antoine
Lavoisier und seiner Frau Marie, die zeigten, dass bei Stoffumwandlungen keine Masse
entsteht oder verschwindet. Sie studierten Verbrennungsprozesse, wobei sie als erste die
Massen der Gas-Umsätze bestimmten. Die Lavoisiers kamen zum Schluss, dass eine
Komponente der Luft, die sie „Oxygenium“ nannten, bei allen Verbrennungsprozessen
beteiligt sein musste, und zwar als Reaktionspartner. Damit war die bisher favorisierte
Theorie, die einen entweichenden „Feuerstoff“ vorsah, das so genannte Phlogiston, widerlegt.
Typisch für die neue Arbeitsweise war, dass sich die Lavoisiers für die damalige Zeit extrem
genaue Waagen und volumetrische Gefässe anfertigen liessen. Eine weitere Grosstat war der
Nachweis, dass Wasser die Verbindung zweier Gase, nämlich Wasserstoff und Sauerstoff, ist.
Damit waren die Systeme mit kleiner Zahl Elemente nicht mehr haltbar. Wasser ist unter der
neuen Sichtweise eine Verbindung, kein Element, und das Feuer ist kein Stoff, sondern eine
Begleiterscheinung des Reaktionsvorgangs. Es war von nun an klar, dass Elemente nur
materiell sein konnten.
Die Auferstehung der Atomtheorie
Der innere Aufbau von Materie war damit immer noch nicht erschlossen, doch der Franzose
Joseph-Louis Proust und der Engländer John Dalton taten bald den nächsten Schritt. Proust
fand heraus, dass Stoffe, die er durch Destillieren und Kristallisieren nicht weiter reinigen
konnte, bei der chemischen Zerlegung in die Elemente diese immer in konstanten
Verhältnissen lieferte. Dalton ging noch weiter und formulierte das Gesetz der multiplen
festen Proportionen für die Reaktionsprodukte von Elementen, d.h. ganzzahlige Vielfache
einer Grundmenge reagieren miteinander. Er stellte fest, das sich dies zwanglos mit dem
atomistischen Modell der antiken Philosophen erklären liess: Der Begriff der Stöchiometrie
6
entstand. Atome waren die Grundbestandteile der Elemente, und man konnte sie miteinander
verbinden. Dalton stellte auch eine erste Tabelle der relativen Elementmassen auf, indem er
willkürlich Wasserstoff die Masse 1 zuordnete (heute ordnen wir 12C die Masse 12 zu).
Daltons Feststellungen:
1. Jedes Element besteht aus kleinsten, nicht weiter teilbaren Teilchen, den Atomen.
2. Alle Atome eines Elements haben die gleiche Größe und die gleiche Masse. Die Atome
unterschiedlicher Elemente unterscheiden sich in ihrer Masse.
3. Atome sind unzerstörbar. Sie können durch chemische Vorgänge weder vernichtet noch
erzeugt werden.
4. Bei chemischen Reaktionen werden die Atome der Ausgangsstoffe neu angeordnet und in
bestimmten Anzahlverhältnissen miteinander verknüpft.
Im Atom drin
Die nächste Frage war dann die nach der Natur der Atome und den Regeln, nach denen sie
Verbindungen eingehen. Zuerst stellte man sich Atome als Kugeln vor, wusste aber nicht,
wodurch die unterschiedlichen Eigenschaften der Elemente begründet waren. Die Physiker
hatten inzwischen gezeigt, dass man im Vakuum aus Materie geladene Teilchen, die
Elektronen genannt wurden, durch elektrische Spannung herausholen konnte, und dass
entgegengesetzt geladene Materie zurückblieb. Damit wurde vermutet, dass Atome zwei
Komponenten enthalten, eben Elektronen, und noch einen Stoff mit der Gegenladung. Dessen
Struktur blieb unklar bis zum genialen Experiment des Neuseeländers Ernest Rutherford, der
die Bahnen von α-Teilchen durch eine Goldfolie bestimmte. Er wusste, dass α-Teilchen die
entgegengesetzte Ladungsart zu Elektronen trugen, also dieselbe wie der Grundstoff der
Atome. Die α-Teilchen wurden beim Durchtritt durch die Folie meistens gar nicht abgelenkt,
wenn aber doch, dann sehr stark. Das lässt sich nur so deuten, dass die Ladungen des
Grundstoffs sich in sehr stark konzentrierten Zentren befinden und dazwischen viel Raum
liegt, der den fast körperlosen Elektronen zur Verfügung steht. Das Atommodell mit Kern und
Hülle war geboren. Diese Anordnung produziert ein Katastrophenszenario im Rahmen der
klassischen Physik: Wenn die Elektronen zwischen den Kernen sich bewegten, dann müssten
sie das auch in Kurven, d.h. beschleunigten Bewegungen. Beschleunigte Ladungsträger
strahlen aber elektromagnetische Energie ab, werden also gebremst. Damit müssten die
Elektronen in die Kerne fallen und die Atome kollabieren. Würden die Elektronen ruhen,
7
wäre das eine äusserst delikate labile Situation, die durch die kleinste Störung ebenfalls zum
Zusammenbruch führen würde. Diese Ungereimtheit war neben andern Beobachtungen der
Anstoss für die Entwicklung der Quantenmechanik. Mit deren Ansatz ergibt sich ein
Atommodell, das für die Elektronen der Hülle nur bestimmte Zustände zulässt, deren
Energien fixiert sind, solange die Elektronen nicht gestört werden. Nur beim Wechsel
zwischen Zuständen wird elektromagnetische Energie ausgetauscht. Anfänglich stellte man
sich die Zustände als Bahnen in bestimmten Abständen um den Kern vor. Die Ablenkung
eines externen Elektronenstrahls an Elektronenhüllen legt jedoch nahe, dass es sich eher um
eine Wahrscheinlichkeitsverteilung handelt. Nahe am Kern sind Elektronen eher anzutreffen
als weiter entfernt. Der Österreicher Erwin Schrödinger entwickelte dazu eine mathematische
Beschreibung, die den Zustand der Elektronenhülle als stehende Welle mit abnehmender
Amplitude bei zunehmendem Abstand vom Kern behandelt. Diese Zustandsfunktion lässt sich
näherungsweise in ein Produkt aus Teilfunktionen, die man einzelnen Elektronenzuständen
zuordnet, zerlegen. Die Teilfunktionen nennt man Orbitale. Das ist das heute noch übliche
„state-of-the-art“ Modell. Es sei nicht verschwiegen, dass es alternative mathematische
Atombeschreibungen gibt, die das Verhalten genauso gut erfassen wie das SchrödingerModell. Sie sind aber unter Chemikern nicht gebräuchlich.
WYSIWYG – What you see is what you get
Hier lohnt es sich, kurz innezuhalten und Bescheidenheit zu üben. Der Mensch, insbesondere
der moderne homo multimedialis ist ein Augentierchen, das unbedingt getäuscht werden will.
Wer vermutet, dass wir nach den vorgehenden Ausführungen Atome „gesehen“ oder gar in
sie „hineingeschaut“ haben, der irrt. Wir haben, kriminalistisch gesehen, nur eine
einigermassen lückenlose Indizienkette, auf die wir unsere Modelle aufbauen. Dennoch
werden nun bunte Bilder von Orbitalen gemalt und ernsthaft über ihre „Form“ und
„Vorzugsrichtungen“ und ähnliches diskutiert (nicht von Physikern, deshalb ist Chemie auch
nur die zweitexakteste Naturwissenschaft).
Es gibt keine Orbitale
Es gibt erst recht keine leeren Orbitale
Es gibt Orbitalfunktionen. Diese enthalten aber keine Elektronen, sondern beschreiben nur in
etwa deren Zustand. Wir können mit Schrödingers Werkzeug zu diesen Funktionen Energien
bestimmen, die man dann den Elektronen des entsprechenden Zustands zuordnet. Die
Parameter für ein Elektron im Orbitalmodell sind dieselben wie für das naive Bahnmodell:
8
Hauptquantenzahl n, Drehimpulsquantenzahl l, Magnetquantenzahl m und Spinquantenzahl s.
Orbitale erklären entgegen verbreiteter Meinung auch nicht die Ausrichtung der Bindungen
eines Atoms. Aus einem Satz Lösungsfunktionen des Schrödinger-Modells kann man durch
lineare Kombination dieser Lösungen beliebige weitere gültige Lösungen generieren. Wenn
Sie die Bilder des d xy -Orbitals und des d z 2 -Orbitals in einem Chemiebuch vergleichen, so
suggeriert Ihnen das vielleicht unterschiedliche Eigenschaften der damit assoziierten
Elektronen. Das ist aber nicht so, diese Orbitale sind mathematisch aequivalent. Die Bilder
stellen sowieso nur einen Teil der gesamten Orbitalfunktion dar. Eigentlich ist jede
Orbitalfunktion das Produkt einer radialen Funktion und einer drehwinkelabhängigen
Funktion. Die Abbildungen repräsentieren entweder Flächen, auf denen der winkelabhängige
Teil oder das Quadrat des winkelabhängigen Teils einen bestimmten Wert haben. Die radialen
Teile werden nicht gezeigt, sie sind immer kugelsymmetrisch.
Aber wir können doch heute mit dem Rasterkraftmikroskop Atome sehen! Können wir nicht.
Genauso wenig, wie die Auswertung des Röntgenbeugungsmusters eines Kristalls ein Foto
dessen Gitters ist. Wenn man den Abtastvorgang im Rasterkraftmikroskop näher betrachtet,
erkennt man auch nur die Deutung eines Messergebnisses, das mit dem makroskopischen
Sehvorgang wenig zu tun hat. Als Messung kommt noch das Elektronenmikroskop am
nächsten an den Sehvorgang heran. Der Mehrwert des Orbitalmodells liegt in der korrekten
Beschreibung, dass die Elektronenverteilung eines Atoms eine Wahrscheinlichkeitsdichte ist,
und dass die spektralen Eigenschaften richtig wiedergegeben werden.
Atomtheorie und Periodensystem
Dalton hatte formuliert, dass sich Atom-Arten und damit Elemente durch ihre Masse
unterscheiden. Andere Chemiker hatten bemerkt, dass sich die Elemente nach ihrem
chemischen Verhalten gruppieren lassen. Ohne Kenntnis des innern Aufbaus begannen sie,
Ordnungsschemata aus den Verbindungstypen, die die Elemente eingingen, abzuleiten. Der
Erfolgreichste war der Russe Dmitri Mendeleev, dessen Schema heute noch benutzt wird. Der
Trick bestand darin, die Elemente nach Atommasse aufzureihen und zu sehen, an welchen
Stellen sich die Eigenschaften wiederholten. Wenn man an diesen Stellen die Zeile umbrach,
ergaben sich vertikale Reihen von Elementen mit ähnlicher Chemie, so genannte Gruppen.
Mendeleev konnte noch nicht alle Elemente kennen, doch er war so kühn, für die Lücken in
seinem System unentdeckte Elemente zu postulieren und aufgrund der Periodizität ihre
Eigenschaften vorherzusagen. Wie wir wissen, war das erfolgreich und hat die Forschung
beflügelt.
9
Rutherford hatte schon bemerkt, dass die Zahl der Elementarladungen des von ihm
gefundenen Atomkerns oft etwa im Verhältnis 1:2 zur relativen Atommasse stand. Der
Niederländer Antonius van den Broek fand, dass im Periodensystem geordnet nach dieser
Kernladungszahl statt der Masse einige Ungereimtheiten bei schweren Elementen
verschwanden. Nachdem der Engländer Henry Moseley Kernladungszahlen mittels Ionisation
durch Röntgenstrahlung genau bestimmt hatte, war klar, dass van den Broeks Ordnungszahl
die Situation korrekt beschreibt.
Aufgrund der Quantenzahlen der Atome, die ihr Austauschverhalten mit elektromagnetischer
Energie (Licht, Röntgenstrahlen) korrekt beschrieben, konnte man die Periodizität mit der
energetischen Quantisierung im Atom erklären:
n
l
m
1
0
0
2
0, 1
-1, 0, 1
3
0, 1, 2
-2, -1, 0, 1, 2
etc.
Die erste Periode kann demnach 2 Elemente enthalten, die zweite 2 + 2 · 3 = 8, die dritte
2 + 2 · 3 + 2 · 5 = 18 etc. weil je 2 Elektronen mit Spinquantenzahl +½ und –½ die
Basiszustände innehaben können. Zustände mit l = 0 nennt man s, mit l = 1 heissen sie p, l = 2
wird durch d und l = 3 durch f symbolisiert. Höhere Nebenquantenzahlen haben praktisch
keine Bedeutung. Die Buchstabenkürzel stammen aus der Spektroskopie, der Methode, mit
der die Quantisierung bestätigt wurde. Ein Besetzungsschema kann so geschrieben werden:
Hauptquantenzahl, dann Drehimpuls-Symbol mit hochgestellter Elektronenzahl für diesen
Zustand:
Atom-Beispiel
Schema
H
1s1
Li
1s22s1 abgekürzt [He] 2s1
C
1s22s22p2 abgekürzt [He] 2s22p2
Ne
1s22s22p6 abgekürzt [Ne]
Mg
1s22s22p63s2 abgekürzt [Ne] 3s2
K
1s22s22p63s23p64s1 abgekürzt [Ar] 3s1
Th
1s22s22p63s23p63d104s24p64d104f145s25p65d106s26p66d27s2 ; [Rn] 6d27s2
10
Interessant hier ist bei Kalium K, dass 4s vor 3d besetzt wird. Dazu später. Elemente am Ende
einer Periode, bei denen alle für die entsprechende Hauptquantenzahl möglichen Zustände mit
Elektronen besetzt sind, sind chemisch sehr reaktionsträge. Sie sind die Einzigen, die in der
Natur nur als freie Atome vorkommen und werden auch Edelgase genannt. Die Füllreihe für
eine Hauptquantenzahl vom Beginn der Periode bis zum Edelgas nennt man auch Schale. Die
Elektronen der Schale mit der höchsten Hauptquantenzahl nennt man auch Valenzelektronen,
weil nur sie die chemische Reaktivität ausmachen. Wir werden in unseren weiteren
Ausführungen nur diese Elektronen betrachten.
Die relativen Massen im Periodensystem sind nicht genau ganzzahlig. Die Atomkerne selbst
sind aus 2 Teilchenarten, den Protonen und Neutronen aufgebaut. Die elektrische Ladung und
damit die Ordnungszahl wird nur durch die Protonenzahl bestimmt. Die Zahl der Neutronen
ist etwa gleich gross wie die der Protonen, kann aber in einem engen Bereich variieren. Da die
Masse der Neutronen etwa gleich der der Protonen ist, gibt es chemisch aequivalente Atome
mit leicht unterschiedlicher Masse, so genannte Isotope. Viele Elemente sind aus mehreren
Isotopen zu unterschiedlichen Anteilen zusammengesetzt, somit ergeben sich nicht
ganzzahlige Durchschnittsmassen. Dies erklärt auch die Irregularitäten, wenn man das
Periodensystem nach relativen Atommassen statt nach Kernladungszahl ordnet.
Periodensystem der IUPAC (2005)
11
Stöchiometrie
Eine Konsequenz der relativen Atommasse ist, dass gleiche gewogene Massen verschiedener
Elemente nicht gleich viele Atome enthalten. Die Erkenntnisse der Lavoisiers, Prousts und
Daltons besagen aber, dass Atome in ganzzahligen Verhältnissen Verbindungen bilden. Es
drängte sich also auf, ein Zählmass für Stoffmengen anstelle der Stoffmasse zu etablieren. Der
Pionier hier war der Italiener Amedeo Avogadro. Er stellte fest, dass die Massen gleicher
Volumina zweier Gase im selben Verhältnis zueinander standen wie ihre relativen
molekularen Massen, die sich aus den Atommassen zusammensetzen. Daraus folgt, dass die
beiden Volumina gleich viele molekulare Teilchen enthalten mussten. Avogadro war auch der
erste, der strikt die molekularen Verbindungseinheiten von den atomaren Bausteinen
unterschied. Leider dauerte es fast 100 Jahre, bis sich seine Erkenntnisse breit durchsetzten. In
der Zwischenzeit hatte der österreichische Physiker Josef Loschmidt die mittlere Grösse eines
Gasmoleküls der Luft geschätzt. Damit konnte man zusammen mit Avogadros Gesetz die
Zahl der Moleküle in einer der relativen Atommasse numerisch entsprechenden Masse des
Stoffs ausrechnen. Diese Zahl wird heute Mol genannt und wurde immer genauer bestimmt.
Eine wesentliche Konsequenz der Einführung des Zählmasses ist, dass wir schreiben können:
2 H2 + O2
→
2 H2O
und meinen damit, dass 2 Moleküle Wasserstoff zusammen mit einem Molekül Sauerstoff 2
Moleküle Wasser bilden, was formal korrekt ist, aber so nicht abläuft (dazu siehe später).
Es besagt aber auch, dass gelten muss
2 M H 2  M O2 
 2 M H 2O
Wir müssen nur die Umrechnungsfaktoren M, die Masse jeweils eines Mols eines Stoffs,
kennen, um Voraussagen über zu erwartende Masseumsätze machen zu können.
Wie stellt man eine stöchiometrische Reaktionsgleichung auf? Dazu muss man zuerst wissen,
was die Produkte sind (die Ausgangsstoffe, auch Edukte genannt, sollte man kennen).
Gibt man Flusssäure HF zu Calciumcarbonat CaCO3, so entstehen Calciumfluorid CaF2 und
Kohlendioxid CO2 sowie Wasser H2O.
HF + CaCO3 →
CaF2 + CO2 + H2O
Auf der Produktseite stimmt die Zahl der F und H nicht mit der Eduktseite überein. Deshalb
müssen wir zu
12
2 HF + CaCO3
→
CaF2 + CO2 + H2O
korrigieren. Damit verschwinden und entstehen keine Atome auf dem Weg von den Edukten
zu den Produkten. Ausserdem besagt die stöchiometrisch korrekte Gleichung, dass ich zum
vollständigen Umsetzen von z.B. 0.05 mol CaCO3 0.1 mol HF brauchen werde.
Eine andere Frage wäre, wie viele Liter O2 man zur vollständigen Verbrennung von 1 Liter
Benzin braucht. Benzin ist eine Mischung von so genannten Kohlenwasserstoffen und hat
ungefähr eine Dichte vom 700g/Liter. Als reiner Kohlenwasserstoff kommt dem das Octan,
C8H18 mit einer Dichte von 703 g/Liter bei 25°C sehr nahe. Wir können also exemplarisch
1 Liter, d.h. 703 g Octan, ganz verbrennen. Also
C8H18 + O2
→
2 C8H18 + 25 O2
CO2 + H2O
→
wird stöchiometrisch richtig
16 CO2 + 18 H2O
Pro Mol Octan werden 12.5 Mol O2 benötigt. Die Molmasse von Octan berechnet sich zu
MOctan = 8·12 g/mol + 18·1 g/mol = 114 g/mol (mit genäherten Massen). Wir haben deshalb
n Octan =
m Octan
703g mol
Mole an Octan, also
 6.17 mol Octan zu verbrennen, was 12.5 mal
114 g
M Octan
mehr Mole O2 benötigt, nämlich 77.08 mol. Unter der Annahme, dass für O2 das ideale
Gasgesetz pV  nRT gilt, ist dann V 
nRT
. Mit R = 8.314 JK-1mol-1, T = 298 K und
p
p = 101.3 kPa erhält man V = 1.89 m3 = 1890 Liter O2-Gas. Das ist schon beeindruckend.
Ein Beispiel für komplexe Stöchiometrie ist die Thermit-Reaktion, bei der Aluminium Al das
Eisenoxid Fe3O4 zu Fe umsetzt und selbst zu Aluminiumoxid Al2O3 wird.
Al + Fe3O4
→
8 Al + 3 Fe3O4
Al2O3 + Fe
→
daraus wird
4 Al2O3 + 9 Fe
13
Stoffe – Valenzelektronen – Struktur
Chemiker teilen Materie, die ihnen in die Hände gerät, in verschiedene Kategorien ein:

Gemische
o Heterogene Gemische (Mischung auf makroskopischer Ebene)
o Homogene Gemische (Mischung auf molekularer Ebene, Beispiel: Lösung)

Reine Stoffe
o Verbindungen
o Elementare Verbindungen (z.B. Cl2)
o Atomare Elemente (z.B. Edelgase)

Heterogene Gemische können Komponenten in verschiedenen Aggregatzuständen
(flüssig, fest, gasförmig) enthalten.

Homogene Gemische und reine Substanzen können auch simultan in mehreren
Aggregatzuständen vorliegen, man spricht dann von Phasen des jeweiligen
Aggregatzustands (Beispiel: In Wasser schwimmendes Eis mit Wasserdampf darüber).
Reine Stoffe lassen sich grob in 3 Kategorien einteilen:

Molekulare Substanzen
o Eine relativ geringe Anzahl Atome ist fest miteinander über untereinander
geteilte Valenzelektronen verbunden. Diese Bindung nennt man kovalent. Die
Moleküle wiederum bilden mehr oder weniger feste Verbunde als weiche
Festkörper, Flüssigkeiten oder Gase. Beispiele: Wasser, Ammoniak, Glucose,
Octan, Kohlendioxid

Salze
o Valenzelektronen sind praktisch vollständig von einer Atom- oder Molekülart
auf den Bindungspartner übergegangen. Es herrschen grosse elektrische
Potentiale zwischen den Komponenten, Kationen (Elektronenverlust, positiv
geladen) und Anionen (Elektronengewinn, negativ geladen). Die starken
14
elektrostatischen Kräfte sorgen dafür, dass der Stoff meist fest oder höchstens
flüssig ist. Beisiele: Natriumchlorid (Kochsalz), Titandioxid, Kaliumacetat

Metalle
o Ein Teil oder auch alle Valenzelektronen sind von den Atomen gelöst und
bewegen sich einigermassen frei zwischen den verbliebenen Kationen. Diese
werden durch die bewegliche Ladungswolke ziemlich fest zusammengehalten.
Solche Stoffe sind meist fest oder auch flüssig. Durch die beweglichen
Elektronen leiten Metalle Wärme und elektrischen Strom. Beispiele: Eisen,
Quecksilber, Natrium
Selbstverständlich gibt es Grenzfälle und Mischformen. Salze, bei denen die Elektronen nicht
so vollständig zwischen Kation und Anion ausgetauscht sind, haben einen gewissen
kovalenten Anteil. Ebenso existieren Salze mit Metallcharakter, bei denen einige Elektronen
nicht auf das Anion übergehen, sondern sich frei im Kristall bewegen.
Ein Salz muss nicht notwendigerweise aus ionisierten Atomen bestehen, es kann sich auch
aus geladenen molekularen Gruppierungen zusammensetzen, die in sich kovalent gebunden
sind. Beispiel: Ammoniumnitrat.
Schalenbau – Konsequenzen: Aufbauprinzip und Elektronegativität
Metalle sind Elemente, deren Atome die Valenzelektronen eher schlecht binden. Sie sind im
Periodensystem auf der linken Seite konzentriert. Der Grund dafür ist die gute Abschirmung
der Kernladung durch die tiefer liegende Elektronenschalen bei Beginn einer neuen Schale.
Mit steigender Kernladung in der Periode wird die Wirkung der Kernladung auf derselben
Schale grösser, die Elektronen werden fester gebunden. Erst durch den Übergang zur nächsten
Hauptquantenzahl vergrössert sich der mittlere Abstand der äusseren Elektronen zum Kern
wieder so, dass die Abschirmung grösser wird. Eine Durchmischung der Schalen tritt
allerdings ab der 3. Periode auf. Die 3d-Orbitalfunktionen sind besser abgeschirmt vom Kern
als die 4s-Funktion, weil ihre grösste Elektronendichte relativ weit vom Kern liegt, während
s-Funktionen immer eine hohe Dichte in Kernnähe aufweisen. Deshalb gehen 2
Valenzelektronen zuerst in den 4s-Zustand, bevor 3d-Zustände auftreten. Die Elemente mit
Auffüllung der 3d-Zustände gehören deshalb zur 4. Periode, die mit 4d-Zuständen zur 5.
15
Periode etc. Für ein Atom mit nur einem Elektron (H, He+, Li2+ etc.) gilt allerdings das ideale
Orbitalschema, weil es in einem solchen Atom keine Elektron-Elektron Abstossung gibt. Das
lässt sich durch Anregung solcher Atome mit Licht (Spektroskopie) verifizieren,
Die abnehmende Abschirmung nach rechts im Periodensystem hat auch zur Folge, dass die
Elektronen von Bindungspartnern stärker gebunden werden. Damit wird die kovalente


Bindung unsymmetrisch, ein statischer elektrischer Dipol entsteht:   qd , wobei q der
Betrag der partiellen Ladung auf den Enden des Dipols ist und d der Abstand, hier gerichtet
als Vektor.
q
q
d
Diese Art Moleküle trägt immer ein kleines elektrisches Feld mit sich, das die gegenseitige
Anziehung verstärkt. Stoffe dieser Art nennt man in der Chemie polar. Die Teilladungen q+
und q- sind stets kleiner als die Elementarladung, welche das kleinste freie Ladungsquant
repräsentiert, und eine Eigenschaft der Elektronen und Protonen (Wasserstoff-Kerne) ist.
Die Eigenschaft, Partnerelektronen stark zu binden, wird semiquantitativ durch die so
genannte Elektronegativität beschrieben. Es gibt davon 5 Definitionen, gebräuchlich ist die
des Amerikaners Linus Pauling, der ein fundamentales Werk der Chemie verfasst hat: The
Nature of the Chemical Bond. Obwohl 1939 erschienen, ist es immer noch aktuell! Das
Paulingsche Mass wird aus der Differenz von Bindungsenergien zweier Atomarten A und B
bestimmt, wofür man die Dissoziationsenergien von A-B, A-A und B-B in die Atome misst.
Als Referenzelement dient das Fluor, das am stärksten elektronenziehende Element, dem
willkürlich der Wert 3.98 zugeordnet wird. In Molekülen, die mehr als zwei Atome enthalten,
kann man das gesamte Dipolmoment durch Vektor-Addition der Bindungsdipolmomente der
verbundenen atomaren Nachbarn darstellen. Das führt dazu, dass z.B. das gesamte
Dipolmoment von BF3 gleich Null ist, weil die Fluoratome ein gleichseitiges Dreieck um das
Bor bilden. Die Bindungsdipole sind stark, die EN von F ist 3.98, während Bor nur den Wert
2.04 aufweist. NH3 hingegen hat ein Netto-Dipolmoment, weil das N nicht in der Ebene der
3 H liegt. Der Grund für die andersartige Geometrie sind nicht gebundene Elektronen in der
Valenzschale des N.
16
Chemischer Formalismus
Die Elemente einer Verbindung werden in Formeln durch die im Periodensystem
zugeordneten Abkürzungen repräsentiert. Die Anzahl der Atome einer Art wird durch einen
nach und tief gestellten Index angegeben. Bei Salzen und metallischen Verbindungen gibt
man die kleinste Einheit mit ganzzahligen Verhältnissen an, da sich diese Fragmente im
Kristallgitter fortwährend wiederholen.
Bei molekularen Verbindungen baut man etwas lokale Strukturinformation ein. Beispiel:
Wasserstoffperoxid kann man stöchiometrisch als HO angeben, also eine Verbindung aus
gleichviel Wasserstoff und Sauerstoff. In einem Wasserstoffperoxid-Molekül sind jedoch 2
Wasserstoffatome mit 2 Sauerstoffatomen verbunden, deshalb schreibt man H2O2. Man kann
auch HOOH angeben, was die Lage der Bindungen zwischen den Atomen verdeutlicht. Die
Brutto- oder Summenformeln sind nützlich, um aus den relativen Atommassen bequem die
relative Molekülmasse zu berechnen, oder um einen Überblick über die Zusammensetzung zu
bekommen.
Strukturformeln
Um die tatsächlichen Verhältnisse in einem Molekül oder Kristall genauer zu beschreiben,
brauchen wir jedoch Strukturformeln. Dafür gibt es einfache Modelle, bei denen die
Valenzelektronen durch Punkte und Striche symbolisiert werden, oder komplexe, die
Orbtitaldiagramme verwenden.
Wasser, brutto H2O, sieht dann so aus: H
O
H Die zwei Striche repräsentieren je ein
Paar Elektronen die zwischen H und O geteilt werden. Jedes H steuert ein Elektron bei (mehr
kann es nicht bieten), das O 2 Stück von den 6, die es besitzt (laut Ordnungszahl). Die
Bindungselektronen gehören immer zu beiden Partneratomen. Also haben die beiden H nun 2
Elektronen, der Sauerstoff 8. Das ist die jeweilige maximale Elektronenzahl für die
Hauptquantenzahl ihrer Valenzschalen. Beide Atomarten haben so die
Elektronenkonfiguration ihres zugehörigen Edelgases, H die von He und O die von Ne. Dieser
Zustand wird angestrebt, weil er die elektrostatische Energie für die Valenzschalen minimiert.
Für Atome der zweiten Periode ist dies immer erfüllt, wenn sie 8 Elektronen in der
Valenzschale tragen, man nennt dies auch Oktettregel. Für Wasserstoff mit seiner MiniSchale ist es eine Duett-Regel. Ab der dritten Periode wird es kompliziert, weil die Schalen zu
mischen beginnen. Es bleibt noch die kleine Frage, warum das H2O oben gewinkelt
abgebildet wird und nicht etwa linear. Die Antwort liegt bei den 4 Elektronen des O, die nicht
17
für die Bindung verwendet wurden. Wohin damit? Elektronen stossen sich gegenseitig ab, so
sehr sie sich auch vom Kern angezogen fühlen. Damit wandert wegen der Elektronendichte
zwischen O und H, den Bindungen, die sich gegenseitig abstossen, Elektronenladungsdichte
der Valenzschale des O möglichst weit davon weg. Elektronen bleiben dabei gepaart im
nahezu gleichen Quantenzustand, sie unterscheiden sich nur durch ihre Spinquantenzahlen
von + ½ und – ½. Diese Paare verhalten sich ähnlich wie Bindungen und stossen sich auch
gegenseitig ab. Damit sich alle 4 Elektronenpaare möglichst weit voneinander entfernen und
so die elektrostatische Abstossung minimieren, bildet sich ungefähr die Geometrie eines
:
:
Tetraeders aus, wobei an 2 Ecken H sitzen und an den beiden andern ungebundene
O
Elektronenpaare. Man symbolisiert das einfach als H
H
wobei die Punkte die
O
ungebundenen Elektronen darstellen, oder pseudo-dreidimensional H
Hier werden
H
die ungebundenen Elektronenpaare durch die Bindungsstriche ohne Atom repräsentiert. Die
Geometrie erklärt denn auch zusammen mit den Elektronegativitätsdifferenzen, warum H2O
eine polare Substanz ist.
Beispiele mit komplexeren Bindungsverhältnissen:
Nitrit NO2−: N hat 5 Valenzelektronen (VE), jedes O hat 6. Dazu kommt ein extra Elektron
wegen der negativen Ladung, total 18 VE.
O
O
O
O
N
N
Die negative Ladung ist aufgrund der 2 gleichwertigen Formeln auf beide O gleichmässig
verteilt. Die ungebundenen Valenzelektronen am N sorgen dafür, dass es gewinkelt ist. Ein
Dipolmoment hat es hingegen nicht: Geladene Moleküle (= Ionen) haben kein
Dipolmoment, sondern einfach eine Ladung.
Mit einem weiteren O gelangt man zum Nitrat, das dann kein ungebundenes Elektronenpaar
am N besitzt.
O
O
+
O
O
+
O
O
+
N
N
N
O
O
O
Die Repräsentation von Elektronen durch Punkte und von gepaarten Elektronen durch Striche
ist die Notation nach Lewis. Die Ableitung der räumlichen Molekülstruktur aus der
gegenseitigen Abstossung der Bindungselektronen und der ungebundenen Elektronen heisst
18
VSEPR-Modell (valence shell electron pair repulsion). Bisher haben wir Moleküle bzw. Ionen
betrachtet, die Elemente der 1. und 2. Periode enthalten und die Oktettregel erfüllen. Beim
Übergang zur 3. Periode können auch Bindungen aufgrund der Besetzung von d-Zuständen
gebildet werden, z.B. im Sulfat:
O O
S
O
O
Der Schwefel hat hier 10 Valenzelektronen, der Sauerstoff jedoch 8, wie es strikt für die 2.
Periode gilt. Interessant ist, dass d-Zustände in einem Molekül schon in der 3. Periode besetzt
werden können, in den freien Atomen aber nicht.
Elemente können auch weniger als 8 Valenzelektronen tragen. Eine Variante ist der Verlust
aller Valenzelektronen bei den Elementen niedriger Elektronegativität, wenn sie mit einem
Element hoher Elektronegativität eine ionische Verbindung (Salz) eingehen. Die
Valenzelektronen des schwach elektronegativen Elements werden gänzlich in die
Valenzschale der stark elektronegativen Elements transferiert, da dann zu einem Anion mit
entsprechender Edelgaskonfiguration wird. Das „Spenderatom“ wird zum Kation und trägt
nun die Edelgaskonfiguration der vorgehenden Periode. Die Edelgaskonfiguration ist die
energetisch am tiefsten liegende Besetzung einer Periode, deshalb streben molekül- oder
ionenbildende Systeme dorthin. Beispiel: NaCl = [Ne]+ [Ar]–. Der andere Fall ist die
Verbindung von Elementen ähnlicher Elektronegativität mit wenigen Valenzelektronen, z.B.
BH3:
H
B
H
H
Solche Verbindungen können ein Molekül mit einem ungebundenen Elektronenpaar durch
dieses binden, indem sie es in ihre eigene Valenzschale einbauen.
Lösungen
Zur Durchführung einer Reaktion lieben die Chemiker nichts mehr als eine Lösung (die eines
Problems sowieso). Lösungen sind homogene Mischungen und bieten deshalb einige Vorteile
gegenüber Festkörpern oder Gasen als Reaktionsmedium, wobei der Nachteil der Festkörper
schwerer wiegt. In Festkörpern sind Moleküle, Ionen oder Atome auf einer
menschenkompatiblen Zeitskala ortsfest. Wenn man zwei Festkörperoberflächen
19
zusammenpresst, wird eine Reaktion dort höchstens sehr langsam ablaufen, und die
Ansammlung der Produkte wird den Prozess zu Erliegen bringen. In Gasen ist die
Vermischung von Reaktanden kein Problem, es kann sogar zu schnell gehen, so dass
exotherme (wärmeproduzierende) Reaktionen explosionsartig verlaufen können. Eher
Schwierigkeiten bieten die Behälter, die dicht sein müssen, weil die Reaktionsmischung sonst
entweicht. Nachteilig ist auch, dass nur wenige Stoffe bei unsern Umweltbedingungen
gasförmig sind, und dass das Verdampfen normalerweise flüssiger oder gar fester Stoffe viel
Energie benötigt und dabei auch zur Zersetzung führen kann, bevor die erwünschte Reaktion
eintritt.
Lösungen lösen all diese Probleme: Die Moleküle sind mobil und können sich treffen, somit
reagieren. In einer Lösung können Festkörper bzw. ihre Komponenten vorliegen, aber auch
Gase, alle molekular verteilt. Im Falle heftiger exothermer Reaktion dient das Lösungsmittel
als Moderator, es kann Energie absorbieren und durch Verdünnung die Reaktionsrate
absenken. Nicht zuletzt ist auch die Sache mit dem Behälter viel einfacher als bei Gasen: Im
einfachsten Fall genügt ein Becherglas, es braucht kein geschlossenes System mit
Überdrucksicherung.
Deshalb beginnen sehr viele chemische Arbeitsvorschriften mit: Man löst …
In unserer nicht so perfekten Welt (eigentlich ist sie perfekt, wir sind nur zu ungeschickt) gibt
es natürlich auch ein paar Haken bei der Nutzung von Lösungen. Es gibt z.B. Stoffe, die sich
partout kaum in irgendeiner Flüssigkeit lösen. Es gibt Stoffe, die sind so reaktionsfreudig,
dass sie mit allen bekannten Lösungsmitteln reagieren (oder zumindest mit denen, in denen
sich der zweite gewählte Reaktand wohlfühlt). Aus diesen Gründen gibt es dann auch
exotischere Arbeitsvorschriften, in denen Lösungen mit Festkörpern, Gase mit Festkörpern
oder Gase mit Gasen zur Reaktion gebracht werden. Als besonders harte Methode bietet es
sich auch an, zwei Festkörper zusammen zu schmelzen.
Der Lösungsprozess
Wenn man mit Lösungen arbeiten will, lohnt es sich, einmal den Lösungsprozess für
Festkörper und Gase in unterschiedlichen Lösungsmitteln näher zu betrachten, ebenso den
Zustand des gelösten Materials. Bei der Lösung von Gasen oder eines flüssigen Stoffs in
Flüssigkeit handelt es sich um einen Transfer zwischen Phasen mit hoher Mobilität der
Moleküle. Dieser geht ziemlich zwanglos per Diffusion vonstatten, wogegen das Aufbrechen
eines Festkörpers ein komplexer Vorgang ist. Man muss hier zwischen dem Lösen polarer
und apolarer Stoffe unterscheiden. Apolare Substanzen haben schwache nicht-kovalente
20
Bindungen zwischen den Molekülen in einem Kristall, diese Kristalle sind entsprechend
weich. Moleküle treten relativ leicht aus der Oberfläche aus, viele solche Stoffe haben sogar
einen deutlichen Dampfdruck (Iod, Naphthalin etc.). Kommt ein solches Material mit dem
Lösungsmittel in Berührung, so treten Moleküle in die flüssige Phase über und verteilen sich
darin. Gleichzeitig wird die „Lücke“ an der Kristalloberfläche mit Lösungsmittel „gestopft“,
so dass eine Rückkehr sehr unwahrscheinlich ist. Der Vorgang setzt sich immer weiter fort,
bis die Lösung gesättigt ist. Diese Bedingung umschreibt, dass die Dichte (Konzentration) des
gelösten Stoffs so gross geworden ist, dass er wieder Aggregate bildet, d.h. kristallisiert. Dies
ist das Lösungsgleichgewicht. Seine Lage hängt vom Verhältnis der Bindungskräfte zwischen
zwei Stoffmolekülen zu denjenigen zwischen Stoffmolekülen und Lösungsmittelmolekülen
ab.
Hier sei kurz angemerkt, dass es dazu keine statischen Dipole braucht. Symmetrische
Moleküle wie I2 lösen sich sehr gut in symmetrischen Lösungsmitteln wie CCl4. Die Kraft
zwischen zwei solchen Partnern ist zwar schwach, doch immer anziehend, und wird
Londonsche Dispersionskraft genannt. Dies ist nicht die van der Waals Kraft, sondern nur ein
Teil davon! Sie kommt dadurch zustande, dass die Verteilung der Elektronen in einem
Molekül (oder Atom) zeitlich nicht konstant ist. Es besteht ein zeitlich variables elektrisches
Feld, das sich mit dem entsprechenden Feld des Nachbarmoleküls synchronisiert (grob
vergleichbar mit dem makroskopischen Phänomen der elektrostatischen Influenz).
Bei polaren Stoffen ist das Lösen mehr von den zwischenmolekularen Kräften abhängig, am
extremsten wird das beim Lösen von Salzen oder starken Säuren unter elektrolytischer
Dissoziation. Aus der Oberfläche eines Ionenkristalls treten praktisch keine Teilchen bei
Raumtemperatur aus, zu gross sind die elektrostatischen Kräfte zwischen Kationen und
Anionen. Ein Lösungsmittel, dessen Moleküle ein kräftiges statisches Dipolmoment besitzen,
kann die Struktur jedoch aufbrechen. Man kann sich das wie folgt vorstellen:
21
Die Lösungsmitteldipole werden zunächst an der Oberfläche des Kristalls adsorbiert. Dabei
richten sie sich antiparallel zu benachbarten Kationen und Anionen aus, was das lokale
elektrische Feld eines solchen Paars schwächt. Die gesamte Bindungskraft an der Oberfläche
wird vermindert. Durch die Schwingungen der Ionen im Kristallgitter können jetzt einzelne
von ihnen austreten und werden sofort von Lösungsmitteldipolen eingehüllt. Verlässt ein
Kation den Kristall oder umgekehrt ein Anion, muss wegen der Elektroneutralität gleich ein
Gegenion austreten. Die Lücke wird mit einem Lösungsmitteldipol gefüllt, und der
Abbauprozess geht weiter. Die bereits gelösten Ionen werden durch Dipole so eingehüllt, dass
ihre wechselseitigen elektrostatischen Kräfte sehr gering werden: Wir haben eine
Elektrolytlösung. Die Ionen sind zu einem grossen Grad gegeneinander beweglich, die
Lösung leitet elektrischen Strom. Die Grenze der Löslichkeit wird auch hier erreicht, wenn
die Konzentration der Ionen so gross wird, dass wieder Kristalle gebildet werden. Dies
wiederum hängt davon ab, wie stark die Bindungskraft im Kristall im Vergleich zur Bindung
der Ionen durch die Lösungsmitteldipole ist. Die Auflösung von polaren molekularen Stoffen
in polaren Lösungsmitteln verläuft ähnlich, nur sind die Kräfte geringer.
Die schlechte Löslichkeit von apolaren Gasen oder Flüssigkeiten in polaren Lösungsmitteln
erklärt das auf den zwischenmolekularen Bindungskräften beruhende Modell ebenfalls: Im
polaren Lösungsmittel herrschen stärkere Kräfte zwischen den Lösungsmittelmolekülen als
die, die zwischen Gelöstem und Lösungsmittel möglich sind. Die Lösungsmittelmoleküle
„kleben“ also zusammen und lassen das zu Lösende nicht herein. Die Löslichkeit ist also
immer eine Frage der relativen Bindungskräfte zwischen und innerhalb von zwei Phasen.
Lösung und Energie
Lösungsvorgänge sind Zustandsänderungen und damit auch Energieumsatz begleitet. Die
Energieänderung, gemessen in einem Kalorimeter mit Druckausgleich (p = const.) nennt man
Enthalpie ΔH. Die Lösungsenthalpie ΔSH° für ein Salz setzt sich additiv zusammen aus der
Gitterenergie ΔsublH°, die die Bindungsenergie des Kristalls darstellt, und der
Solvatationsenthalpie ΔsolvH°, die die Bindung der Lösungsmitteldipole an die Ionen
repräsentiert. ΔsublH° steht bei Lösung eines Salze wie KCl(s) in H2O für
KCl(s) →
K+(g) + Cl–(g)
ΔsublH° = 701.2 kJ/mol
Der Vorgang für ΔsolvH° ist
K+(g) + Cl–(g) →
K+(solv, l) + Cl–(solv, l)
ΔsolvH° = -684.1 kJ/mol
Total ergibt sich
KCl(s) →
K+(solv, l) + Cl–(solv, l)
ΔSH° = 17.1 kJ/mol
22
Hier sei noch angemerkt, dass ΔsolvH° nicht nur die Energie beinhaltet, die beim Binden des
Lösungsmittels an die Ionen frei wird, sondern auch den Energieverbrauch, um die an die
Ionen zu bindenden Moleküle dem Lösungsmittelverband zu entziehen. Der zweite Anteil ist
einiges kleiner als der erste, weil Dipol-Dipol Wechselwirkungen schwächer als Ion-Dipol
Wechselwirkungen oder gar Ion-Ion Wechselwirkungen sind.
Die Vorzeichen der ΔH-Werte sind systemegoistisch zu interpretieren: Negative Werte
bedeuten, dass Wärme freigesetzt wird, positive, dass Wärme aufgenommen wird, d.h. das
System Gelöstes - Lösungsmittel sich abkühlt. Obwohl der Lösungsvorgang für KCl externe
Energie benötigt, läuft er spontan ab. Der Grund dafür ist der Gewinn an Beweglichkeit für
die Ionen des Festkörpers, der durch die Entropieänderung ΔS ausgedrückt wird. Die Entropie
ist eine Funktion, die die Freiheitsgrade der Bewegung in einem molekularen System
repräsentiert bzw. im invertierten Sinn seinen Ordnungsgrad. Die Funktion, die beides, ΔH
und ΔS zusammenfasst, ist ΔG = ΔH - T ΔS, genannt Gibbs-Energie. Damit ein Vorgang
spontan abläuft, muss sein ΔG negativ sein.
Im Gegensatz zur Lösung von Festkörpern oder Flüssigkeiten in Flüssigkeiten ist die Lösung
von Gasen in Flüssigkeiten (oder Festkörpern) immer exotherm, d.h. ΔH ist negativ, weil der
Übergang stets von schwach bis gar nicht gebundenem Zustand zu einem stärker gebundenen
verläuft.
Der gelöste Zustand
Der flüssige Aggregatzustand ist der komplexeste, weil Ordnung und Chaos zugleich
herrschen, und auch die strukturelle Komplexität verschiedener Flüssigkeiten ist sehr variabel.
Apolare Flüssigkeiten gleichen einem sehr dichten Gas, gelöste Stoffe darin sind einfach
dispergiert. Die Moleküle des Gelösten sind kaum stärker an die Lösungsmittelmoleküle
gebunden als diese untereinander. Mit zunehmender Polarität erhöht sich die Ordnung im
Lösungsmittel selbst, die Moleküle sind zwar immer noch sehr beweglich, aber es gibt
bevorzugte gegenseitige Ausrichtungen. Im Extremfall treten so genannte
„Wasserstoffbrücken“ auf. Diese Bedingung ist immer gegeben, wenn das
Lösungsmittelmolekül ein sehr elektronegatives Element, an das H direkt gebunden ist,
enthält, und das elektronegative Element mindestens ein ungebundenes Valenzelektronenpaar
besitzt. Der Klassiker ist Wasser, H2O. Organische Abkömmlinge von H2O, die Alkohole,
besitzen diese Eigenschaft ebenfalls, dazu kann man NH3(l) und seine organischen Derivate,
die Amine, sowie HF und HCN(l) nennen. HF und HCN(l) gehören wie H2O zu den polarsten
aller Lösungsmittel, allerdings sind die ersteren aus anderweitigen Gründen höchst unpopulär.
23
Die Wasserstoffbrücke ist eine Bindung zwischen einem der H-Atome eines Moleküls und
dem ungebundenen Valenzelektronenpaar des elektronegativen Elements eines andern
Moleküls. Diese Bindung ist stark gerichtet und praktisch linear. Sie sorgt dafür, dass
Lösungsmittel, die sie bilden, stark strukturiert sind und hohe Siedepunkte haben. Beispiel
H2O:
O
H
O
H
O
H
H
O
H
H
O
H
H
O
H
O
H
H
H
H
H
O
H
H
Die Wasserstruktur ist natürlich in Wirklichkeit dreidimensional, mit den O-Atomen in
Zentren von Tetraedern, die durch die H gebildet werden. Stoffe mit niedrigem Dipolmoment
werden kaum eingelassen, weil das zu einer Erhöhung der Gesamtenergie führen würde, sie
sind schlecht löslich in Wasser.
Die Struktur wird gebrochen, wenn Ionen in sie eingebaut werden, weil die elektrostatische
Kraft zwischen Ionen und Dipolen grösser ist als zwischen Dipolen allein. Sie wird auch
gestört, wenn polare Substanzen mit ähnlichem Dipolmoment wie H2O eingefügt werden.
Durch das Lösen von Ionen wird die Flüssigkeit lokal inhomogen. Die direkt am Ion
liegenden Wassermoleküle sind in seinem elektrostatischen Feld ausgerichtet:
H2O
H2O
OH2
H2O
OH 2
H2O
eigentlich 3-D
1. Solvathülle
1. + 2. Solvathülle
Für Anionen liegen die Wasser-Dipole natürlich umgekehrt. Wie dick die
Lösungsmittelschicht, die durch die Ionen ausgerichtet wird, tatsächlich ist, hängt von der Art
24
der Ionen selbst ab. Je kleiner der Radius und je grösser die Ladung, desto grösser die
Ladungsdichte an der „Oberfläche“ eines Ions, und desto stärker die Solvatationsbindung.
Dies führt zum nur scheinbar paradoxen Effekt, dass Ionen, die im Kristallgitter wenig Raum
einnehmen, in Messungen an Lösungen grösser erscheinen als Ionen, die im Kristall viel Platz
brauchen. Eine solche Messung betrifft z.B. die elektrische Leitfähigkeit, bei der die Ionen
durch ein externes elektrisches Feld zur Wanderung gezwungen werden. Anionen haben bei
gleicher Ladung meist eine kleinere Ladungsdichte als Kationen, weil der negative
Ladungsüberschuss auf Grund der gegenseitigen Elektronen-Abstossung die Elektronenhülle
aufbläht, während in Kationen der positive Ladungsüberschuss die Elektronenhülle
kontrahiert. Die Folge davon ist, dass die partielle Solvatationsenthalpie des Kations die
Löslichkeit von Salzen stark beeinflusst.
Konzentrationsbegriff
Um die Präsenz eines gelösten Stoffs im Lösungsmittel zu charakterisieren, genügt eine
einfache Mengenangabe, auch als sehr praktischer Wert in Mol, nicht mehr. Etwas
geschickter ist es, die Zahl der Mole auf eine bestimmte Masse des Lösungsmittels
anzugeben. Die Zahl der Mole pro kg Lösungsmittel heisst Molalität. Das hat den Vorteil,
dass die Zahl Lösungsmittelmoleküle pro Mol Gelöstes temperaturunabhängig ist, im
Gegensatz zum Mass der Molarität, das als Mole pro Liter Lösungsmittel definiert ist. Die
Zahl der Lösungsmittelmoleküle pro Volumen ist temperaturabhängig, weil die Massendichte
der meisten Stoffe sich stark mit der Temperatur ändert. Eine sehr clevere
Konzentrationsdefinition ist der Molenbruch: Er ist bestimmt als die Molzahl der
anzugebenden Komponente im Verhältnis zur Summe der Mole aller Komponenten eines
Lösungs- oder Gasgemischs.
Für Arbeiten in wässriger Lösung hat sich die Molarität eingebürgert, trotz der Schwäche mit
der Temperaturabhängigkeit. Man behilft sich, indem man thermochemische oder kinetische
Werte auf so genannte Standardbedingungen, in diesem Fall T = 298.15 K (25°C) und
p = 101.3 kPa (1 atm), bezieht. Bei physikalisch-chemischen Bestimmungen wird eher die
Molalität bzw. der Molenbruch verwendet.
Allen Konzentrationsmassen ist gemeinsam, dass sie beschreiben, wie wahrscheinlich man
eine bestimmte Molekülart in einer normierten Teilmenge eines Gemischs antrifft. Diese
Eigenschaft ordnet die Konzentrationsmasse allgemeiner als Masse einer Dichte im
physikalischen Sinn ein. In Gasen kann man als Konzentrationsmass den Partialdruck
verwenden: Der Gesamtdruck eines Gasgemischs setzt sich additiv aus den Mol-Anteilen der
25
Komponenten zusammen, was direkt aus Avogadros Befunden hervorgeht. Der Teildruck
entspricht also genau dem Molanteil, gleicht somit als Mass dem Molenbruch.
In den folgenden Betrachtungen werden wir als Konzentrationsmasse die Molarität M der
Dimension [M] = mol l-1 und den Partialdruck p (Pa) verwenden. Da die Definition der
Konzentration c=
n
für die Molarität ist, ist die Menge leicht als n=cV zu errechnen. Molare
V
Konzentrationen während einer Reaktion
A+B
→
C
werden als [A], [B] und [C] symbolisiert. Die totalen analytischen
Anfangskonzentrationen werden mit cA und cB bezeichnet. cC ist gleich Null. Verläuft die
Reaktion genau wie notiert, so gilt die ganze Zeit [A] + [C] = cA und [B] + [C] = cB wegen der
Massenerhaltung.
Konzentrationsabhängige Phänomene in der Chemie: Reaktionsraten
Anstelle des Begriffs Reaktionsrate ist im deutschsprachigen Raum auch
„Reaktionsgeschwindigkeit“ üblich. „Geschwindigkeit“ ist aber intuitiv so sehr an
mechanische Ortsveränderungen gebunden, dass Reaktionsrate eher der Beobachtung gerecht
wird, wenn ein Stoffumsatz gerade abläuft. Im Englischen heisst es denn auch „reaction rate“.
Definieren kann man das auf zwei Arten: Entweder ist es der Mengenumsatz pro Zeiteinheit,
oder ein Konzentrationsumsatz pro Zeiteinheit. Es stellte sich empirisch früh heraus, dass sich
die mathematische Beschreibung des Mengenumsatzes schlecht zur Verallgemeinerung und
zur Übertragung auf Messgrössen eignet. Im Gegensatz dazu haben sich
konzentrationsbasierte Beschreibungen sehr bewährt.
Die Pioniere der chemischen Kinetik sind heute ziemlich vergessen: Der Erste, der den
zeitlichen Verlauf einer chemischen Reaktion beschrieb, war Ludwig Wilhelmy. Er leitete
schon 1850 auch die korrekte mathematische Beschreibung her. Diese Arbeit wurde bestätigt
durch die gemeinsamen Studien von Augustus Harcourt und William Esson. Für eine
Reaktion wie oben beschrieben,
A+B →
wurde gefunden, dass
C
[C]
 k[A][B] , wenn man [A], [B] und [C] in regelmässigen, im
t
Vergleich zur gesamten Reaktionszeit kurzen Zeitintervallen bestimmte. Das funktionierte
natürlich nur mit recht langsamen Reaktionen, war aber dennoch eine sehr wichtige
Erkenntnis. Aus der Abhängigkeit vom Produkt der Konzentrationen der Reaktanden wurde
durch Max Trautz die Kollisionstheorie der chemischen Reaktionen entwickelt, welche auch
26
auf der statistischen Mechanik von Ludwig Boltzmann basiert. Die Konzentration beschreibt,
wie wahrscheinlich es ist, eine bestimmte Molekülart in einem normierten Volumen
anzutreffen. Das Produkt zweier Konzentrationen beschreibt deshalb die Anzahl aller
möglichen Kontakte zweier Molekülarten im Einheitsvolumen. Man kann das aus der
Kombinatorik ableiten: Haben wir ein geschlossenes Gefäss (das Einheitsvolumen) und darin
beispielsweise 6 rote und 3 blaue Kugeln, so berechnet sich die Anzahl aller möglichen
Berührungen zwischen roten und blauen Kugeln, falls wir das Gefäss bewegen, zu 6 x 3.
Diese Zahlen repräsentieren aber gerade auch die „Konzentration“ roter und blauer Kugeln im
Einheitsvolumen. Der Faktor k ist die so genannte Geschwindigkeitskonstante. Wie schon
Wilhelmy fand, hängt sie von der Temperatur (und auch vom Druck) ab. Gemäss
Kollisionstheorie ist k eine Erfolgswahrscheinlichkeit. Um eine Kollision von A mit B
erfolgreich zum Produkt C zu bringen, müssen noch mehr Bedingungen als die schlichte
Tatsache der Begegnung von A und B erfüllt sein. Die kinetische Bewegungsenergie der
Moleküle muss einen Mindestwert besitzen, und nicht alle räumlich verschiedenen
Begegnungen führen zum Erfolg, weil Moleküle stark strukturiert sein können. Wilhelmy hat
sein Gesetz auch richtigerweise in eine Differentialgleichung überführt:
d [C]
d [A]
d [B]


 k[A][B]
dt
dt
dt
Dies ist die noch heute übliche Art, Gesetze für Reaktionsraten zu notieren. Die
Differentialquotienten stehen für die Rate, der Term k[A][B] für die
Konzentrationsabhängigkeit der Rate. Die Zeitabhängigkeit lässt sich durch Integration
erhalten, dazu jedoch später.
Das chemische Gleichgewicht
Es gibt Reaktionen, die nie im Sinne von
A+B →
C
A und B gänzlich zu C umwandeln. Die Reaktion scheint „abzubrechen“ doch das kann nicht
sein, weil es keine physikalischen Gründe für einen Stopp gibt (Magie wäre noch möglich).
Die einzige rationale Erklärung besteht darin, eine Gegenreaktion
C
→
A+B
in Betracht zu ziehen. Nach einem gewissen Umsatz von A und B zu C steigt die
Konzentration von C so sehr, dass sie die Rate der Gegenreaktion die Bildungsrate von C
kompensiert: Wir haben Gleichgewicht, genau genommen dynamisches Gleichgewicht, die
einzige Form in der Chemie, denn statische Gleichgewichte wurden bis heute nicht gefunden.
27
Man könnte so ein dynamisches Gleichgewicht auch mit „rasendem Stillstand“ umschreiben,
weil die Stoffumsätze in beiden Richtungen sehr hoch sein können, ohne dass äusserlich
etwas geschieht. Wir schreiben jetzt
d [C]
 0  k f [A][B]  kr [C]
dt
um auszudrücken, dass sich [C] nicht mehr ändert. –kr stammt vom Gesetz für die
Rückreaktion,
d [C]
 kr [C] , das den Zerfall von C beschreibt. kf ist das k aus der
dt
ursprünglichen Formulierung, da wir jetzt zwei Reaktionen betrachten, müssen wir ihre kFaktoren unterscheiden. f steht für forward und r für reverse.
0  k f [A][B]  kr [C]
kann man umformen zu
k
[C]
 f  K eq
[A][B] kr
Das ist das Massenwirkungsgesetz (MWG, Law of Mass Action), wie es zuerst 1864 von
Guldberg und Waage formuliert wurde. Es besagt, in welchem Verhältnis [A], [B] und [C] für
konstante Umgebungsbedingungen (Temperatur, Druck) zueinander stehen, sobald
Gleichgewicht erreicht ist. Die Reaktionsgleichung wird jetzt auch entsprechend
 C
A+B 
geschrieben. Die Gleichgewichtskonstante Keq ist keine echte Konstante, sondern eigentlich
eine Funktion der Temperatur und des Drucks, genauso wie die Geschwindigkeitskonstanten,
aus denen sie errechnet wird.
Das Massenwirkungsgesetz ist auch die exakte Form, mit der sich die
Konzentrationsabhängigkeit des Prinzips von Le Châtelier begründen lässt. Dieses besagt,
dass ein chemisches Gleichgewichtssystem immer auf einen ausgeübten Zwang hin
ausweicht. Erhöhung der Temperatur verschiebt ein Gleichgewicht in Richtung der
endothermen Teilreaktion, Abkühlen in Richtung der exothermen. Bei Gasreaktionen treibt
Erhöhung des Drucks das Gleichgewicht auf die Seite mit der kleineren Anzahl Moleküle,
weil dann das Volumen abnimmt. Bei gleicher Zahl Moleküle geschieht nichts. Die Wirkung
von Konzentrationsänderungen lässt sich mit dem Massenwirkungsgesetz illustrieren:
Für
[C]
 K eq erhöht die Zugabe von A die Konzentration [C], und [B] nimmt ab. Gibt
[A][B]
man C zu, steigen [A] und [B].
28
Heterogene Gleichgewichte
Dieser Fall liegt vor, wenn bei einer Reaktion Moleküle, Atome oder Ionen zwischen Phasen
bzw. Aggregatzuständen übertreten. Typische Fälle sind Bildung oder Zersetzung von
Festkörpern in Lösung, Austausch zwischen Gas und Festkörper oder Gas und Lösung. In der
Lösung können wir unser normales Konzentrationsmass verwenden, in der Gasphase den
Partialdruck. Ein sehr praktischer Zusammenhang besteht auch darin, dass die gelöste
Konzentration eines Gases in einer Flüssigkeit oder einem Festkörper in erster Näherung
proportional zu seinem Partialdruck ist. Die schwierigere Frage ist die nach der Konzentration
eines Festkörpers. Dazu kann man feststellen, dass, weil ein Festkörper nur
Austauschreaktionen an der Grenzfläche zu einer Lösung oder einem Gas eingehen kann, sich
die Konzentration innerhalb der festen Phase nicht ändert, bis der Festkörper aufgebraucht
ist. Das ist anders für Gas in Kontakt mit Lösung oder Kontakt zwischen zwei nicht
mischbaren Lösungen. Dort führt die molekulare Bewegung zu einem ständigen
Konzentrationsausgleich in den Phasen, wenn etwas über die Grenzfläche ein- oder
auswandert. Eine Lösung oder ein Gas über einem Festkörper „sieht“ hingegen immer eine
konstante Konzentration des Feststoffs. Das schlägt sich dann in einer einfacheren
Schreibweise des MWG nieder. Beispiel: Die Auflösung von CaCO3 in CO2-haltigem Wasser.
Das ist das Phänomen, das zur Wasserhärte führt und zur Bildung von Karst-Erscheinungen.
Das Gleichgewicht besteht zwischen 3 Phasen.
 Ca2+ + 2 HCO3–
CaCO3 + H2O + CO2 
[Ca 2+ ][HCO3 ]2
K
[CO2 ][H 2 O]
Man sieht hier, dass CaCO3 gar nicht im MWG auftaucht. Da seine „Konzentration“ nicht
variiert, solange festes Material da ist, wurde es gleich in die Konstante einbezogen. Manche
Lehrbücher schreiben, die Konzentration eines Festkörpers sei immer gleich 1, was aber so
nicht stimmt (Mortimer hat’s richtig). Weil Chemiker gern vereinfachen, kann man an diesem
MWG noch weiter basteln. Falls H2O das Lösungsmittel ist, ist seine Konzentration im
Gegensatz zum Gelösten so gross, dass sie selbst bei einem gewissen Umsatz nahezu konstant
bleibt. Also weg damit und rein in die Konstante
[Ca 2+ ][HCO3 ]2
K'
[CO 2 ]
Wie schon erwähnt, ist die Konzentration eines gelösten Gases etwa proportional zum
Partialdruck, und CO2 ist ein Gas, darum endet man bei
29
[Ca 2+ ][HCO3 ]2
pCO 2
K"
Ein Beispiel für ein Festkörper-Gasphase Gleichgewicht ist das Exponieren von NH4HS in
einer Vakuumkammer. Dabei treten NH3 und H2S aus dem Festkörper in die Gasphase über:
 NH3(g) + H2S(g)
NH4HS(s) 
K p  pNH3 pH 2 S
MWG:
Gibt man NH3 und H2S gleichmässig zu (entspricht Kompression der Gasphase), so bildet
sich einfach mehr NH4HS, bis die Partialdrucke wieder gleich sind wie vorher. Gibt man NH3
allein zu, so wird so lange NH4HS gebildet, bis die Partialdrucke wieder Kp erfüllen, dabei ist
dann pNH3  pH 2 S . Zugabe von nicht reagierenden Gasen oder NH4HS ändert nichts an den
Partialdrucken. Wegnahme von NH3 oder H2S bewirkt Verdampfen von NH4HS, bis das
Produkt der Partialdrucke wieder Kp erfüllt. Temperaturerhöhung verstärkt die Verdampfung,
Kp und damit die Partialdrucke werden grösser, weil Kp bezüglich Temperatur eben keine
Konstante ist!
Die Konstante des Lösungsgleichgewichts von in Wasser schwerlöslichen Salzen besitzt eine
spezielle Bezeichnung: Löslichkeitsprodukt. Der Name rührt daher, dass der Nenner des
MWG eigentlich nur die „Festkörperkonzentration“ enthält, die aber in der Konstante
verschwindet und somit immer ein Produkt verbleibt. Beispiele:
 Ba2+ + SO42−
BaSO4 
L(BaSO4 )=[Ba 2+ ][SO 42- ]
 2 Ag+ + CrO42−
Ag2CrO4 
L(Ag 2 CrO 4 )=[Ag + ]2 [CrO 42- ]
Das Löslichkeitsgleichgewicht spielt nur, solange Festkörper vorhanden ist! Ist die
Verdünnung so gross, dass kein Salz ausfällt, ist das Löslichkeitsprodukt bedeutungslos.
Gekoppelte Gleichgewichte
Falls für eine Molekül- oder Ionenart in einer Lösung 2 (oder gar mehr) unterschiedliche
Reaktionen möglich sind, so sind die dazugehörigen Gleichgewichte gekoppelt. Beispiel:
H

NH3 + B(OH)3 
H
+
H N
H
O
-
B O
H
O
(H3NB(OH)3)
K1 
[H3 NB(OH)3 ]
[NH 3 ][B(OH)3 ]
K2 
[NH +4 ]
[NH 3 ][H + ]
H
NH3 + H+


NH4+
30
Beide MWGs enthalten die Konzentration [NH3] und können somit unter Elimination dieser
Variablen ineinander eingesetzt werden:
K1 [H 3 NB(OH)3 ][H + ]

 K3
K2
[NH +4 ][B(OH)3 ]
Dieses Gleichgewicht ist zentral für die Bestimmung von Amin-Stickstoff in organischem
Material nach Kjeldahl.
31
Metathese-Reaktionen
Generell handelt es sich dabei um Austauschreaktionen im Gleichgewicht:
AX + EZ


AZ + EX
wobei A, X, E und Z Ionen oder molekulare Teilgruppen sein können. Für die Metathese
zwischen verschiedenen Olefinen wurde 2005 der Chemie-Nobelpreis verliehen. Wir wollen
hier die wesentlich länger bekannte Reaktion zwischen (meist gelösten) Salzen anschauen.
Dann kann man eigentlich
A+ + X− + E+ + Z−
A+ + Z− + E+ + X−


schreiben. Hier geschieht gar nichts. Die ionische Metathese funktioniert nur, wenn eine der
Kombinationen auf der Produktseite (AZ oder EX) aus dem Gleichgewicht entfernt wird.
Dafür gibt es 3 Möglichkeiten:
1. Bildung eines schwerlöslichen Salzes
2. Bildung eines schlecht löslichen Gases
3. Bildung eines molekularen Stoffs
Der erste Fall betrifft das schon erwähnte Löslichkeitsprodukt. Eine typische Reaktion ist z.B.
Pb(NO3)2 + 2 KI


PbI2 + 2 KNO3
Diese Schreibweise ist allerdings unglücklich, sie sollte tunlichst vermieden werden, da
überhaupt nicht klar gestellt wird, welche Komponente sich spontan abtrennt. Besser ist schon
Pb2+ + 2 NO3− + 2 K+ + 2 I−
PbI2 + 2 K+ + 2 NO3−


Alle Ionen seien hier solvatisiert, dieser Zustand wird normalerweise nicht explizit
angegeben, sondern wird vorausgesetzt, da Lösung das häufigste Reaktionsmedium ist. In der
ionischen Form der Gleichung ist wenigstens ersichtlich, dass PbI2 ausfällt. Dennoch ist die
Gleichung noch voller Ballaststoff, und man kann zu
Pb2+ + 2 I−


PbI2
verbessern. Dazu gehört dann auch L(PbI 2 )=[Pb 2+ ][I- ]2 , und es ist klar, dass man z.B.
alternativ Bleiacetat und Natriumiodid einsetzen könnte.
Ein Beispiel mit Gasbildung:
2 NaCl(s) + H2SO4(l)
 2 HCl(g) + Na2SO4(s)

Obwohl HCl die stärkere Säure ist (dazu später) als H2SO4, kann man auf diese Art bequem
HCl-Gas erzeugen, das sich spontan aus der Mischung fest-flüssig entfernt. In wässriger
Lösung würde diese Reaktion nicht ablaufen, weil HCl in H2O sehr gut löslich ist. MetatheseReaktionen mit Gasbildung in wässriger Lösung sind eher selten, weil die schwerlöslichen
Gase kaum in einfachen reversiblen Reaktionen gebildet werden, und die Produktion gut
32
löslicher Gase beim Gleichgewicht stehen bleibt. Annähernd vollständig läuft noch die
Entwicklung von CO2 ab:
K2CO3 + 2 HBr


2 KBr + H2O + CO2
Besser
 2 K+ + 2 Br– + H2O + CO2
2 K+ + CO32– + 2 H+ + 2 Br– 
Wie man erkennen kann, lässt sich festes KBr isolieren, wenn man das Wasser nach
Reaktionsende verdampft.
Eine häufige Version der dritten Form der Ionen-Metathese ist die Neutralisationsreaktion
zwischen Säuren und Basen, z.B.
 K2S + H2O
2 KOH + H2S 
Besser
 2 K+ + S2− + H2O
2 K+ + 2 OH− + H2S 
Es ist hier zu beachten, dass H2S eine sehr schwache Säure ist und nicht wie HBr im Beispiel
oben weitgehend ionisiert vorliegt. Aus H2S und OH− wird H2O gebildet, eine noch
schwächere Säure, und gleichzeitig das Lösungsmittel. Nach Verdampfen des H2O kann K2S
isoliert werden. Noch ein Beispiel für Fall 3.:
2 NaCH3COO + H2SO4


Na2SO4 + 2 CH3COOH
Besser
 2 Na+ + SO42− + 2 CH3COOH
2 Na+ + 2 CH3COO− + 2 H+ + SO42− 
Auch hier ist wichtig, dass H2SO4 eine stark dissoziierte Säure ist, die Essigsäure CH3COOH
aber nicht. Die Salze der Essigsäure und anderer schwacher Säuren sind hingegen weitgehend
dissoziiert, sofern die Anionen H+ weniger stark binden als das OH− tut.
Löslichkeitsprodukt und Fällungsreaktionen
Bei der Einführung des Massenwirkungsgesetzes (MWG) wurde bereits der Sonderfall des
Löslichkeitsprodukts erwähnt. Diese Form ist sehr geeignet, die Fällung und Löslichkeit
schwerlöslicher Salze zu beschreiben.
Ein Salz ist schwerlöslich, wenn die Gitterenergie (Bindungsenergie im Festköper) gross im
Vergleich zur Solvatationsenthalpie seiner Ionen ist. Die Solvatationsentropie ist nicht
massgebend, sie ist immer sehr ähnlich. Für eine hohe Gitterenergie kann es drei Gründe
geben:
-
Anionen und Kationen haben ähnliche Radien, damit ist die elektrostatische Kraft im
Gitter sehr homogen. Beispiele: BaSO4, NH4ClO4
33
-
Hohe Ladungen der Ionen verursachen grosse Gitterkräfte. Beispiele: Al(OH)3,
Fe2(SO4)3
-
Die Kombination kleiner Kationen mit hoher Ladungsdichte mit grossen Anionen
geringer Ladungsdichte führt zu einer Polarisation des Anions und damit einem
partiellen Rücktransfer von Ladung auf das Kation: Die Bindung wird teilweise
kovalent. Beispiele: AgI, PbI2
Unabhängig von der Ursache der Schwerlöslichkeit kann man, sofern die Stoffe ionisiert in
Lösung gehen, für Salze aus zwei Ionenarten allgemein formulieren
L(M m X x )=[M n  x+ ]m [X n  m- ]x
n ist ein ganzzahliger Faktor (meist 1). Rechnet man den Term [M n  x+ ]m [X n  m- ]x , der auch
Ionenprodukt genannt wird, für eine gegebenen Satz Konzentrationen aus, so kann man 3
Fälle unterscheiden:
[M n  x+ ]m [X n  m- ]x  L(M m X x ) : Das Salz ist vollkommen in Lösung
[M n  x+ ]m [X n  m- ]x  L(M m X x ) : Die Lösung ist gesättigt, aber es gibt noch keinen Festkörper
[M n  x+ ]m [X n  m- ]x  L(M m X x ) : Festkörper fällt aus, bis [M n  x+ ]m [X n  m- ]x  L(M m X x ) erfüllt ist
Das Löslichkeitsprodukt ist nicht nur ein Mass für die Löslichkeit eines Salzes, es beschreibt
auch das Ausweichen des Feststoff – Lösungssystems bei nicht stöchiometrischer Mischung
der Ionen nach dem Prinzip von Le Châtelier, wenn die Ionenkonzentrationen durch externe
Massnahmen manipuliert werden. Beispiel:
L(Ca(O 2 CCO 2 ))  [Ca 2 ][O 2 CCO 2 2 ]  1010 M 2
ist das Löslichkeitsprodukt von Calciumoxalat. Das ist eines der beiden häufigen Materialien,
aus denen Nierensteine bestehen. Die typische Konzentration von Ca2+ in Urin ist ca. 10−3 M,
woraus folgt, dass die Konzentration von Oxalat 10−7 M nicht übersteigen sollte, um die
Bildung von festem Calciumoxalat zu verhindern. Aus dem Löslichkeitsprodukt lässt sich
auch errechnen, wie gross die Konzentrationen von Ca2+ und O2CCO22− werden, wenn man
festes Calciumoxalat in Wasser gibt. Da beim Auflösen immer zugleich je ein Ca2+ und ein
(O2CCO2)2− Ion ins Wasser übertreten, sind die beiden Konzentrationen hier gleich. Setzen
wir
x = [Ca2+] = [O2CCO22−], so ist x= L(Ca(O2 CCO 2 )) =10-5 M .
Etwas komplizierter ist das z.B. bei Ag2CrO4 mit L(Ag 2 CrO 4 )  [Ag + ]2 [CrO 42- ]  91012 M 3 .
34
Hier kann man x = [CrO42−] und [Ag+] = 2x ansetzen. Man erhält
L(Ag 2 CrO 4 )  (2x) 2 x=4x 3  91012 M 3 . Nach x gelöst: x 
3
91012 M 3
 1.31104 M .
4
Vorsicht mit den Einheiten von Löslichkeitsprodukten! Zum Vergleich: Die Löslichkeit von
AgCl, errechnet aus dem Löslichkeitsprodukt L(AgCl) = [Ag+][Cl–] = 10–10 M2, ist 10–5 M.
Obwohl der Zahlenwert des Löslichkeitsprodukts für Ag2CrO4 kleiner ist als für AgCl ist die
Löslichkeit von AgCl geringer. Deshalb kann man Chromat als Indikator für die
argentometrische Titration von Chlorid einsetzen.
Säuren und Basen
Der Begriff „Säure“ ist uralt und mit der Geschmacksempfindung verknüpft, die wässrige
Lösungen dieser Stoffklasse erzeugen. Ein anderes Merkmal ist die Verfärbung gewisser
Pflanzenfarbstoffe wie Lackmus durch Säuren. Das Gegenstück, die Base, wird noch nicht so
lange unter dieser Bezeichnung geführt. Älter ist der Begriff „Alkali“, der auch heute noch
synonym verwendet wird. Im 17. Jahrhundert wurde durch Anhänger des Paracelsus zum
ersten Mal vermutet, dass Säuren und Basen zueinander komplementär sind, doch erst die
moderne Chemie hat diesen Zusammenhang exakt nachgewiesen.
Heute ist der Säure-Base Begriff in der Chemie universell, doch die frühen Studien und auch
die ausgefeiltesten Theorien sind mit der wässrigen Lösung verbunden. Die wichtigste
Voraussetzung war die Entdeckung der elektrolytischen Dissoziation durch Svante Arrhenius
1884. Er wies in seiner Dissertation nach, dass Säuren und Basen, deren wässrige Lösungen
den elektrischen Strom gut leiten, in der Lösung vollständig in Ionen dissoziiert sein müssen.
Das Experiment ist ebenso genial wie einfach und kann im 1.Semester-Labor nachvollzogen
werden: Man misst die Reaktionsenthalpie der gegenseitigen Neutralisation für verschiedene
Paare solcher starker Säuren und Basen. Dabei erhält man immer denselben Wert! Wären die
Säuren und Basen in der Lösung molekular vorliegend, würde das unterschiedliche
Energiemengen zum Brechen der Bindungen in den Edukten erfordern. Da die Bindungen
aber schon gebrochen sind, findet nur noch eine Reaktion zwischen den Teilchen statt, die das
saure bzw. basische „Prinzip“ repräsentieren, und die sind offensichtlich immer dieselben.
Wenn dies Ionen sind, erklärt die Beobachtung zwanglos die gute elektrische Leitfähigkeit der
Lösungen. Arrhenius bemerkte auch, dass die Leitfähigkeit der Produktlösung geringer als die
der eingesetzten Säuren und Basen ist. Da er die elementare Zusammensetzung seiner Säuren,
Basen und salzigen Produkte kannte, wusste er auch, das H2O das Produkt der
35
Neutralisationsreaktion sein musste. Somit konnte er die Ionen H+ und OH− als Träger der
sauren bzw. basischen Eigenschaft identifizieren.
Arrhenius definierte Säuren als H+-Donoren und Basen als OH−-Donoren.
Die Idee wurde später noch zweimal weiter verallgemeinert, zuerst wieder für wässrige
Lösungen und schliesslich für jedes chemische System. Die erste Erweiterung kam von
Brønsted und Lowry. Sie bemerkten, dass auch andere Moleküle bzw. Ionen als OH− mit H+
reversible Bindungen eingehen, z.B. NH3:
 NH4+
NH3 + H+ 
Brønsted und Lowry definierten Säuren als H+-Donoren und Basen als H+-Akzeptoren.
Mit dem Befund, dass z.B. B(OH)3 keine H+ in Wasser abgibt, aber dennoch die
Konzentration der H+ in der Lösung anhebt, und zwar durch die Reaktion
 B(OH)4− + H+
B(OH)3 + H2O 
wurde die letzte Verallgemeinerung durch Lewis eingeführt, die überall gilt.
Lewis definierte eine Säure als Elektronenpaar-Akzeptor und eine Base als
Elektronenpaar-Donor.
Die Borsäure baut eine Bindung zum Wassermolekül auf, indem sie ein ungebundenes
Elektronenpaar des Wassers in die Valenzschale des Bors, die alleine die Oktettregel nicht
erfüllt, einbaut. Dabei kann durch die Polarisierung des Wassers H+ abgespalten werden.
Lewis-Säuren bilden in Wasser automatisch H+ und erfüllen damit auch die älteren
Definitionen.
Säuren und Basen in Wasser
Wasser, H2O, ist selbst eine Säure auch eine Base. Im Gegensatz zu apolaren organischen
Lösungsmitteln wie Kohlenwasserstoffen hat Wasser eine gewisse elektrische Leitfähigkeit.
Diese rührt von einer schwach ausgeprägten Dissoziation her:
 H3O+ + OH−
2 H2O 
Die Reaktion wird Autoprotolyse genannt und findet auch in andern polaren Lösungsmitteln
statt, in denen H-Atome an stark elektronegative Atome gebunden sind. H3O+ entspricht
übrigens dem, was wir salopp als H+ schreiben. Beide Schreibweisen werden der Realität
nicht gerecht, das solvatisierte H+ enthält mehr als ein H2O-Molekül. Die Gleichung oben
vernachlässigt zudem, dass auch OH− eigentlich ein sehr stark solvatisiertes Ion ist. Analog
können wir für die Dissoziation einer Säure nach Arrhenius notieren:
HCl + H2O
 H3O+ + Cl−

36
Die entsprechenden MWGs lauten:
K
'
H 2O
[H3O+ ][OH  ]

[H 2 O]2
und
K
'
HCl
[H3O+ ][Cl ]

[H 2 O][HCl]
Weil die Konzentration des Lösungsmittels [H2O] viel grösser ist als die der übrigen
Komponenten, werden beide Seiten mit [H2O] multipliziert, um die gängige Schreibweise zu
erhalten, dazu wird statt H3O+ einfach H+ verwendet, damit:
K H 2O 
[H + ][OH  ]
 K H' 2O [H 2 O]
[H 2 O]
und
K HCl 
[H + ][Cl ]
'
 K HCl
[H 2 O]
[HCl]
K H2O kann noch weiter vereinfacht werden, weil immer noch die konstante [H2O] im Nenner
steht, kann nochmals mit diesem Wert beidseitig multipliziert werden und man erhält
Kw = [H+][OH−] = K H2O [H2O]
Der Wert Kw wird Ionenprodukt des Wassers genannt und ist eine charakteristische Grösse bei
fester Temperatur. Bei 25°C und 101.3 kPa (chem. Standardbedingungen) beträgt
Kw = 10−14 M2. Für K H2O erhält man
Kw
1014 M 2

 1.81016 M .
[H 2 O] 55.5M
Die für HCl hier beispielhaft gezeigte Konstante K HCl wird Säuredissoziationskonstante
genannt und gilt hier natürlich für Wasser, 25°C und 101.3 kPa. Für andere Lösungsmittel
und Bedingungen hat man den Wert von neuem zu bestimmen.
Säurestärke
Aus den MWGs für die Eigendissoziation des Wassers und die Säuredissoziation kann man
ersehen, dass jede Säure, für die
Ka 
[H + ][A - ]
[H + ][OH - ]
 K H2O 
[HA]
[H 2 O]
ist, [H+] deutlich über den durch die Eigendissoziation verursachten Wert anhebt, d.h. in
Wasser als H+-Donor auftritt. Ka ist ein Mass dafür, wie gut ein Stoff H-Atome als Kationen
auf H2O übertragen kann. K H2O ist ein Mass dafür, wie gut H2O das mit sich selbst kann. Für
die nächste Betrachtung schreiben wir der Anschaulichkeit halber wieder H3O+ statt H+. Die
Gleichung
 H2O + H3O+
H3O+ + H2O 
beschreibt den Transfer von H+ innerhalb des Wassers selbst. Wir folgen der schon vorher
verwendeten Vereinfachung, dass [H2O] ≈ const. und notieren wie für K H2O
37
K H O 
3
[H3O+ ][H 2 O]
 [H 2 O]  55.5 M
[H3O ]
Dieses MWG beschreibt die Fähigkeit von H3O+, das H+ auf ein anderes Wassermolekül zu
übertragen. Wenn für eine Säure gilt, dass Ka > K H O , dann überträgt sie beim Lösen in
3
Wasser ihre H+ praktisch vollständig auf H2O. Solche Säuren nennt man sehr starke Säuren.
Für ein gegebenes Lösungsmittel ist die protonierte Form des Lösungsmittels die
stärkstmögliche Säure. Säuren, die im Prinzip stärker wären, konvertieren ihre H+ beim Lösen
zu dieser Spezies. Komplementär gilt, dass die deprotonierte Form des Lösungsmittels die
stärkstmögliche Base in diesem ist, im Fall von Wasser ist das OH−.
Schon Arrhenius unterschied starke und schwache Säuren, allerdings benutzte er nicht die
Gleichgewichtskonstanten dafür, weil er [H+] nicht genau messen konnte. Er stellte fest, dass
manche Säuren bei einer vorgegebenen Konzentration den elektrischen Strom viel besser
leiteten als andere, und dass die Lösungen der besser leitenden Lösungen saurer schmeckten
und Lackmus stärker röteten. Er unterschied zwischen demnach zwischen starken und
schwachen Elektrolyten, wobei er auch Salze zu den starken Elektrolyten zählte. Unter diesen
Salzen waren unter anderem Basen wie das Kaliumhydroxid. Zusammenfassend konnte er
feststellen, dass es starke und schwache Elektrolyte gibt, und dass diejenigen unter ihnen, die
H+ als Kation vollständig freisetzen, stark sauer sind, und andere, die OH− vollständig
freisetzen, stark basisch reagieren.
Heutzutage gibt man die Säurestärke mittels des Ka-Werts an, bzw. des pKa-Werts. Der pKa ist
definiert als der negative dekadische Logarithmus von Ka. Dies geschieht in Analogie zur
Definition des pH-Werts, der der negative dekadische Logarithmus von [H+] ist.
pH   log10 [H  ]
pK a   log10 K a
Damit kann das MWG für die Säuredissoziation auch so geschrieben werden:
pH  pK a  log10
o Je kleiner der pH-Wert, desto
grösser [H+]
o Je kleiner der pKa, desto stärker
die Säure.
[A - ]
[HA]
Säurestärke
sehr stark
stark
schwach
sehr schwach
pKa-Bereich
< −2
−2 bis 3
> 3 bis 9
>9
38
Anorganische Arrhenius-Säuren und -Basen
Atomare Säuren
HF, HCl, HBr, HI, H2O, H2S, H2Se …
Oxido-Säuren
H2CO3, HNO2, HNO3, HOCl, HClO2, HClO3, HClO4, H3PO3, H3PO4, H2SO4 ...
Fluorido-Säuren
HBF4, HPF6
Oxido-Mischformen
HSO3F, HSO3Cl, H2PO3F, HPO2F2 …
Allen Verbindungen hier ist gemeinsam, dass sie aus stark elektronegativen Elementen
aufgebaut sind. Dadurch wird die Bindung zwischen H und dem H-tragenden Atom so
polarisiert, dass H+ abgespalten werden kann. Auffällig ist der grosse Anteil an Stoffen, die
eine H-O Bindung aufweisen. Das ist kein Zufall, O hat die zweitgrösste Elektronegativität
aller Elemente und normalerweise 2 Bindungen. „Oxygenium“ (von altgriech. oxys, was
scharf, spitz oder sauer heissen kann) ist der Name, den die Lavoisiers dem Element
zugewiesen haben, weil sie vermuteten, dass alle Säuren es enthalten müssen, was sich als fast
richtig herausgestellt hat. Fluor kann aufgrund der Kombination hoher Elektronegativität und
der Zahl von 7 Valenzelektronen nur eine Bindung ausbilden, damit kann nur eine
Verbindung mit einer F-H Bindung existieren. HBF4 und HPF6 können nur als salzartige
Hydrate isoliert werden, es existieren keine F-H Bindungen.
Arrhenius-Basen spalten OH− ab, deshalb handelt es sich ausnahmslos um Metallhydroxide.
Die Elektronegativität der Metalle ist i.a. so klein, dass sie ihre Valenzelektronen gänzlich
dem Sauerstoff überlassen und damit bei der Lösung in H2O das OH− freisetzen.
Alkali-Hydroxide
LiOH, NaOH, KOH …
Erdalkali-Hydroxide
Be(OH)2, Mg(OH)2, Ca(OH)2 …
Übergangsmetall-Hydroxide
Mn(OH)2, Fe(OH)2, Zn(OH)2 …
Diese Gruppen unterscheiden sich stark in ihrer Löslichkeit: Alkali-Hydroxide sind sehr gut
wasserlöslich, Erdalkali-Hydroxide mässig und Übergangsmetall-Hydroxide meist schlecht.
Die Gründe dafür werden im Abschnitt Lewis-Säuren und Basen beschrieben.
39
Brønsted - Lowry Säuren und Basen
In dieser Definition wird die Säure ebenfalls als H+-Donor charakterisiert, die Base aber viel
allgemeiner als H+-Akzeptor. Die Base kann demnach auch ein anderes Molekül oder Ion als
OH− sein. Mit diesem Konzept wird der Begriff des konjugierten Säure-Basepaars
eingeführt: Das nach der Deprotonierung einer Säure zurückbleibende Teilchen ist die
konjugierte Base zu der Säure. Damit sind in diesem Rahmen die schwachen Säuren und
Basen konsistenter zu behandeln, weil die Arrhenius-Definition als Base nur OH− vorsieht.
Brønsted – Lowry Basen entfalten ihre Basenwirkung in wässriger Lösung übrigens auch über
die Freisetzung von OH−, einerseits ist OH− selbst eine Brønsted – Lowry Base, andererseits
reagieren Basen wie NH3 mit H2O:
NH3 + H2O
 NH4+ + OH−

In dieser Gleichung ist die konjugierte Base zu H2O das OH–, und die konjugierte Säure zu
NH3 ist das NH4+. Eine Brønsted – Lowry Säure/Base Reaktion kann generisch so
geschrieben werden:
Base(a) + Säure(b)
 konj. Säure(a) + konj. Base(b)

Die Lage des Gleichgewichts kann aus den relativen Säure- bzw. Basenstärken geschätzt
werden: Ist die konjugierte Säure(a) schwächer als die Säure(b), dann liegt das Gleichgewicht
rechts. Völlig identisch ist die Aussage: Ist die konjugierte Base(b) schwächer als die Base(a),
so liegt das Gleichgewicht rechts. Für ein konjugiertes Säure/Base-Paar bedeutet das ganz
allgemein:
o Die konjugierte Base einer starken Säure ist eine schwache Base
o Die konjugierte Base einer schwachen Säure ist eine starke Base
o Die konjugierte Säure einer starken Base ist eine schwache Säure
o Die konjugierte Säure einer schwachen Base ist eine starke Säure
Im Brønsted – Lowry Konzept sind Säuren, ganz einfach betrachtet, protonierte Basen.
40
Lewis Säuren und Basen
Gilbert N. Lewis verallgemeinerte das Brønsted – Lowry Konzept noch weiter. Die neue
Definition steht nicht neben den alten Konzepten, sondern schliesst sie ein. Sie ist dazu
äusserst simpel:
o Säuren sind Stoffe, die zu Substanzen mit nicht bindenden Elektronenpaaren eine
reversible Bindung eingehen: Elektronenpaarakzeptor
o Basen sind Stoffe mit nicht bindenden Elektronenpaaren: Elektronenpaardonor
Brønsted – Lowry Säuren im Lewis-Konzept
 H3O+ + OH−
2 H2O 
NH3 + H3O+
 NH4+ + H2O

gekoppelte Gleichgewichte
(über H3O+)
____________________________
NH3 + H2O
 NH4+ + OH−

Im gezeigten Beispiel ist H+ anfänglich an OH− gebunden, d.h. in einem H2O-Molekül. Es
geht auf ein nichtbindendes Elektronenpaar eines andern H2O-Moleküls über, bildet H3O+.
Von H3O+ geht es schliesslich an das nicht bindende Elektronenpaar von NH3 und bildet
NH4+. Alle diese Schritte sind umkehrbar. H+ ist demnach eine Lewis-Säure. Lewis-Basen in
dem System sind OH−, H2O, NH3. Weil OH− die stärkere Base ist als H2O, liegt das erste
Gleichgewicht links. Das zweite liegt rechts, weil H3O+ stärker sauer ist als NH4+. Um die
Gesamtlage zu beurteilen, muss man die beiden Gleichgewichtskonstanten kennen und die
Gesamtkonstante berechnen.
Eine Lewis Säure-Base Reaktion ganz ohne H+ und OH− ist z.B. die Dimerisierung von AlCl3.
Im AlCl3 trägt das Aluminium nur 6 Valenzelektronen, kann also noch ein Elektronenpaar
binden. Tatsächlich liegt AlCl3 nicht in monomerer Form vor, sondern als Dimer:
Cl
Cl
Al
Cl
+
Cl
-
Al
Cl
+
-
Cl
Nichtbindende Elektronenpaare des Chlors werden zur Sättigung der Valenzschale des Al
verwendet. Gibt man zu Al2Cl6 (so müsste es richtig geschrieben werden) Diethylether,
CH3CH2OCH2CH3, so wird die Struktur geöffnet und Al bindet an nichtbindende
41
Elektronenpaare des Sauerstoffs im Diethylether, weil dies die stärkere Lewis-Base ist als das
Chlorid:
H3C
H3C
Al
H3C
Cl
Cl
Al
Cl
+
Cl
Cl
-
Al
Cl
-
Cl
+
+
-
O
Al
Cl
Cl
Al
O
+
CH3
H3C
-
Cl
+
H3C
O
H3C
Cl
H3C
-
Cl
+
O
Cl
+
Cl
Cl
Cl
Cl
CH3
Al
-
O
+
Cl
CH3
Kationen-Solvatation als Lewis Säure-Base Reaktion
Eine Lewis Säure-Base Verbindung ist auch die die Kombination der Lösungsmittelmoleküle
mit einem Metall-Kation in dessen 1. Solvathülle, wenn das Lösungsmittel nichtbindende
Elektronenpaare besitzt (s. auch S.21, „Der gelöste Zustand“). Das Metall-Kation spielt dabei
die Rolle des Elektronenpaar-Akzeptors, das Lösungsmittel die des Donors. Beispiel:
[Cu(H2O)6]2+ in H2O, [Cu(NH3)4]+ in NH3(l), [K(CH3OCH2CH2OCH3)3]+ in
CH3OCH2CH2OCH3 etc.
Lewis Säure-Base Reaktionen unter Nichtmetallverbindungen
PF5 + F−


PF6−
BF3 + NH3


F3BNH3
ICl3 + Cl−


ICl4−
CO2 + OH−


HCO3−
etc.
Säure- und Basenstärke im Brønsted – Lowry Konzept als Funktion des
molekularen Aufbaus
Die Tendenz, H+ abzugeben bzw. aufzunehmen hängt stark von der Zusammensetzung eines
Moleküls oder Ions ab. Die grösste Rolle spielen dabei die Ladung und die
Elektronegativitäten der beteiligten Elemente.
42
o Ein stark positiv geladenes Ion, das H-Atome enthält, wird eher H+ freisetzen als ein
tiefer oder gar negativ geladenes. Dies gilt auch für Lewis Säure-Base Addukte, die HAtome enthalten, und Moleküle mit positiven Formalladungen.
o H-Atome, die an stark elektronegative Atome gebunden sind, werden leichter als H+
abgegeben als von weniger elektronegativen.
o H-Atome, die an Atome mit grossem Radius gebunden sind, werden leichter als H+
abgegeben als von kleinen Atomen, weil der Kern-Kern Abstand beim grossen Atom
grösser ist und somit die Bindung schwächer.
Beispiele:
-
Wassermoleküle in der ersten Solvathülle eines Kations können H+ unter dessen
Einfluss freisetzen. Das Gleichgewicht
 [Cr(H2O)5(OH)]2+ + H+ liegt weiter rechts als
[Cr(H2O)6]3+ 
 [Cr(H2O)5(OH)]+ + H+ wegen der höheren Ladung des Cr.
[Cr(H2O)6]2+ 
-
H2S ist stärker sauer als PH3, weil S elektronegativer als P ist.
-
HBrO3 ist saurer als HOBr, weil das Br in HBrO3 eine formale Ladung von +1 trägt,
HO
O
Br
in HOBr aber 0.
O
+
HO
Br
-
Hinweis: Die formale Ladung der Atome einer kovalenten Verbindung wird bestimmt,
indem man die Lewis-Strichformel unter Einhaltung der Oktettregel zeichnet, also
ignoriert, dass ab der 3. Periode auch d-Orbitalfunktionen an der Bindung teilnehmen.
Schwefelsäure H2SO4,
H
O
H
O
die wir eigentlich als
zeichnen sollten, wird
S
O
O
O
H2SO3 wird anstelle von
S
O
S
O
2+
-
O
O
dargestellt als
S
O
-
H
O
H
H
O
H
H
O
H
O
+
-
43
-
HI ist viel saurer als HF, weil der Atomradius von I viel grösser als der von F ist. Die
grössere Elektronegativität des F kann das nicht kompensieren. Jedoch ist HF saurer
als die analoge Verbindung des weniger elektronegativen Nachbarn in der gleichen
Periode, H2O.
Linus Pauling hat 2 Regeln aufgestellt, mit denen man die pKa-Werte von Oxido-Säuren, der
weitaus grössten Gruppe, abschätzen kann. Diese Regeln sind nicht zu verwechseln mit den
bekannteren 5 Pauling-Regeln, die dazu dienen, die Struktur von ionischen Kristallen zu
bestimmen.
Regel 1:
Der 1. pKa-Wert einer Oxido-Säure vom Typ (HO)nEOm beträgt etwa
pKa(1) = 7 − 5m
Regel 2:
Jede folgende Dissoziationsstufe (sofern noch HO- Gruppen vorhanden) hat
einen etwa um 5 Einheiten höheren pKa-Wert, also
pKa(i) = pKa(i-1) + 5
Beispiele:
H2SO3 → (HO)2SO, also n = 2 und m = 1. pKa(1) = 7 − 5·1 = 2
pKa(2) = 7 − 5·1 + 5 = 7
H3PO4 → (HO)3PO, n = 3 und m = 1.
pKa(1) = 7 − 5·1 = 2
pKa(2) = 7 − 5·1 + 5 = 7
pKa(3) = 7 − 5·1 + 2·5 = 12
HBrO3 → (HO)BrO2, n = 1 und m = 2.
pKa(1) = 7 − 5·2 = -3
Experimentelle Werte für diese Säuren:
pKa(1)
pKa(2)
pKa(3)
H2SO3
1.81
6.91
_
H3PO4
2.12
7.21
12.67
HBrO3
<0
_
_
Die einfachen Regeln sind erstaunlich tauglich für die Abschätzung!
Allerdings versagen sie, wenn die Elektronegativität des Elements E, beteiligt an der HO-E
Bindung in der allgemeinen Oxido-Verbindung (HO)nEOm, in der Grössenordnung derjenigen
von H oder gar tiefer ist. Beispiel: Für (HO)3B ist n = 3 und m = 0, also müsste pKa(1) = 7 sein.
44
Experimentell wird pKa(1) = 9.14 gefunden. Es stellt sich auch heraus, dass (HO)3B gar nicht
H+ dissoziiert, sondern H2O spaltet:
(HO)3B + H2O


(HO)4B− + H+
Die Polarisierung der O-E Bindung ist also wesentlich für die Acidität der HO- Gruppe.
45
Arrhenius-Säuren und -Basen als Produkte der Hydrolyse von Oxiden
Die Polarisierung der H-O-E… (E ist irgendein Element) Funktionalität durch
Elektronegativitätsdifferenzen bestimmt, ob diese Gruppierung in H2O (oder andern
Lösungsmitteln) nach
H-O-E…


H+ + −O-E…


HO− + E+…
oder
H-O-E…
zerfällt.
Eine einfache Voraussage lässt sich anhand des entsprechenden Stamm-Oxids machen. Alle
Oxido-Säuren und Arrhenius-Basen (= Hydroxid-Basen) lassen sich durch Reaktion eines
Oxids mit H2O herstellen. Ist die O-E Bindung im Oxid kovalent, so ist das Produkt eine
Oxido-Säure. Ist die O-E Bindung hingegen ionisch, also das Oxid ein Salz, so ist das Produkt
eine Arrhenius-Base. Der Übergang geschieht, wenn die Elektronegativität des Elements E
ähnlich oder kleiner wird als die von H (2.2).
Beispiele:
K2O + H2O
 2 KOH

basisch
MgO + H2O
 Mg(OH)2

basisch
 H2O + H*HO
H*HO + H2O 
amphoter (H*: “markiertes H”)
ZnO + H2O
 Zn(OH)2

N2O3 + H2O
 2 HONO

SO3 + H2O
 (HO)2SO2 (H2SO4) stark sauer

amphoter
(HNO2)
schwach sauer
Amphoter nennt man übrigens Stoffe, die einen bestimmten Reaktionstyp komplementär
eingehen können, hier also, dass der Stoff sowohl als Säure als auch als Base reagieren kann.
Im Spezialfall Säure-Base Reaktion nennt man solche Stoffe Ampholyte oder auch
amphiprotisch. Zu dieser Klasse gehören u.a. alle Lösungsmittel, die Autoprotolyse
aufweisen, also H2O, NH3(l), Alkohole etc. Diese Lösungsmittel tauschen H+ sehr rasch
zwischen ihren Molekülen aus.
46
Quantitative Beschreibung von Säure-Base Reaktionen in Wasser
Wir rufen uns in Erinnerung, dass H2O eine Autoprotolyse eingeht:
 H3O+ + OH−
2 H2O 
Damit wird festgelegt, dass OH− die stärkste Base in H2O ist, und H3O+ die stärkste Säure.
Die Dissoziationskonstante von H3O+ ist K H O  55.5 M , oder pK H O+  1.74 . Jede Säure,
3
3
die stärker H+ auf H2O überträgt, wird beim Lösen vollständig zu H3O+ konvertiert. Ebenso
werden alle Basen, die stärker als OH− sind, zu diesem konvertiert. Die
Gleichgewichtskonstante K OH  55.5 M dafür ist numerisch dieselbe wie K H O  55.5 M ,
3
weil die Dissoziationsgleichung analog ist:
−
OH + H2O
 H2O + OH−

und damit
K OH-
[OH  ][H 2 O]

 [H 2 O]  55.5 M
[OH  ]
Für eine in H2O eingebrachte Säure HA ist das MWG
Ka 
[H + ][A  ]
[HA]
Kb 
[OH  ][HB ]
[B]
und für eine Base entsprechend
Da alle Säure-Base Reaktionen in H2O reversible Gleichgewichte sind, benötigen wir zur
Beschreibung des Verhaltens nur Massenwirkungsgesetze. Zur allgemeinen Formulierung des
Verhaltens eine Säure HA setzen wir an:
[H + ][A - ]
[HA]
MWG
Ka 
Kw = [H+][OH−]
cA = [A−] + [HA]
[H+] = [A−] + [OH−]
Ionenprodukt H2O
Massenerhaltung
Ladungsneutralität
Zuerst wird die Massenbilanz ins MWG eingesetzt:
Ka 
[H + ][A  ]
[H + ]([H  ]  [OH  ])

.
,
dann
die
Ladungsneutralitätsbedingung:
K
a
c A  [A  ]
c A  ([H  ]  [OH  ])
Um eine Gleichung nur für [H+] zu erhalten, wird Kw verwendet:
Kw
)
[H + ]
Ka 
K
c A  ([H  ]  w+ )
[H ]
[H + ]([H  ] 
47
Nach algebraischer Umformung erhält man
[H  ]3  [H  ]2 K a  [H  ]( K w  K a c A )  K w K a  0
Diese Gleichung beschreibt das Verhalten einer beliebigen Säure HA in H2O, leider ist sie als
Gleichung 3. Grads schwierig zu lösen. Chemiker vereinfachen jedoch gern, und man kann
hier etwas tun, sofern cA nicht sehr klein ist und Ka weder sehr kleine noch grosse Werte
annimmt. Weil Kw auf jeden Fall sehr klein ist, kann man dann schreiben
[H  ]3  [H  ]2 K a  [H  ]K a c A  0
was noch durch [H+] dividiert eine quadratische Gleichung zurücklässt
[H  ]2  [H  ]K a  K a c A  0

[H ] 
deren Lösung
 Ka  Ka 2  4 Ka cA
2
ist. Die zweite Lösung mit
negativem Vorzeichen vor der Wurzel ist chemisch sinnlos, weil sie eine negative
Konzentration ergibt. Falls auch noch cA >> Ka gegeben ist, kann man weiter vereinfachen
[H  ] 
zu
4 K a cA
2
 K a cA
Für cA ≥ 10−3 M und 10−9 M < Ka < 10−3 M bekommt man recht gute Schätzungen für [H+]
mit dem vereinfachten Ausdruck.
Analog erhält man für eine Base den Ausdruck
[OH  ] 
und die Vereinfachung
[OH  ] 
 K b  K b 2  4 K b cB
2
4K bcB
2
 K b cB
Zwischen Ka und Kb gibt es einen Zusammenhang. Wenn A− die konjugierte Base von HA ist,
kann man
Ka 
[H + ][A  ]
[HA]
und
Kb 
Ka Kb 
[OH  ][HA]
[A  ]
ansetzen. Demnach ergibt sich
[H + ][A  ] [OH  ][HA]

 [H + ][OH  ]  K w

[HA]
[A ]
Man braucht also Kb nicht zu bestimmen oder zu tabellieren, es lässt sich aus Ka der
konjugierten Säure und Kw errechnen. Die logarithmierte Version ist noch einfacher:
pKa + pKb = pKw = 14
48
Anwendung der quantitativen Säure-Base Theorie: Titrationen
Für Titrationen verwenden wir vorzugsweise nicht die Konzentration [H+], sondern den pHWert, weil dieser direkt gemessen werden kann.
Eine Titration ist die Umsetzung eines Stoffs mit einem geeigneten Reagenz bis zum
(nahezu) vollständigen Umsatz unter Anzeige dieser Vollständigkeit. Die
Endpunktanzeige kann physikalisch oder chemisch geschehen.
Angesichts dieser Definition ist schon klar, welche Kombination sich in der Säure-Base
Chemie nicht für Titrationen eignet: Schwache Säure mit schwacher Base. Wegen der
unvollständigen Dissoziation beider Komponenten ist keine vollständige Umsetzung zu
erwarten.
Es bleiben also die Kombinationen starke Säure – starke Base, schwache Säure – starke Base
und starke Säure – schwache Base, die alle tatsächlich verwendet werden. Wir behandeln
zuerst die physikalische Umsatzanzeige, indem wir die Änderung des pH-Werts während der
Reagenzzugabe messen.
Beispiel 1: Titration starker Säure mit starker Base
Wir setzen 50 ml starke Säure der Konzentration cA = 0.01 M an und geben schrittweise eine
Hydroxidbase der Konzentration cB = 0.1 M zu. Die Natur der Säure und der Base spielen
keine Rolle, da beide vollständig dissoziiert sind. Die Reaktion ist einfach
H+ + OH−
 H2O

Die Konzentration [H+] als Funktion der Basenzugabe berechnet sich als
[H  ] 
c A V0  c B V
V0  V
Zugabe Base / ml
Volumen/ml [H+]/M
pH
0
1
2
3
3.5
4
4.25
4.5
4.75
4.9
4.99
4.999
4.9999
50
51
52
53
53.5
54
54.25
54.5
54.75
54.9
54.99
54.999
54.9999
2.0
2.1
2.2
2.4
2.6
2.7
2.9
3.0
3.3
3.7
4.7
5.7
6.7
1.00E-02
7.84E-03
5.77E-03
3.77E-03
2.80E-03
1.85E-03
1.38E-03
9.17E-04
4.57E-04
1.82E-04
1.82E-05
1.82E-06
1.82E-07
49
Titrationskurve: Starke Säure mit starker Base
14.0
12.0
pH
10.0
8.0
6.0
4.0
2.0
0.0
0
2
4
6
8
10
ml Base
Am Endpunkt bei 5 ml Zugabe ist der pH-Wert einfach der des Wassers, also 7. Weitere
Basenzugabe erniedrigt die [H+] des Wassers noch mehr.
Beispiel 2: Titration schwacher Säure mit starker Base
Wir setzen diesmal 50 ml schwache Säure der Konzentration cA = 0.01 M an und geben
wieder schrittweise eine Hydroxidbase der Konzentration cB = 0.1 M zu. Die Natur der Säure
wird durch den pKa-Wert bestimmt. Dieser habe hier den Wert 5. Die Reaktion ist diesmal

HA + OH– 
A– + H2O
weil die schwache Säure nur zu einem winzigen Bruchteil dissoziiert ist. Vor der
Basenzugabe wird der pH-Wert nur durch die unvollständige Dissoziation der schwachen
Säure bestimmt: [H  ]  K a c A . Sobald die Deprotonierung von HA durch OH–-Zugabe
signifikant wird, gilt das MWG, das wir praktischerweise in logarithmischer Form schreiben:
pH  pK a  log10
mit
[HA] 
c A V0  c B V
und
V0  V
[A  ]
[HA]
[A  ] 
pH  pK a  log10
c B V
V0  V
c B V
c A V0  c B V
was dann
ergibt.
50
Am Endpunkt liegt fast die ganze Säure HA konvertiert zu A– vor. Da es sich um die
konjugierte Base einer schwachen Säure handelt, wird sie das Wasser ein wenig
deprotonieren:
A– + H2O
mit K b 


HA + OH–
K
[OH  ][HA]
. Weil aufgrund der Reaktionsgleichung [HA] = [OH–] und K b  w

[A ]
Ka
K w2
K
K
[H  ]2
sowie [OH  ]  w bekommt man w 
, was schliesslich zu
Ka
[A  ]
[H ]
[H  ] 
K w Ka
[A  ]
führt. Da am Titrationsendpunkt einfach das Salz der schwachen Säure vorliegt, gibt diese
Gleichung auch den pH-Wert wieder, der sich einstellt, wenn man ein solches Salz in Wasser
löst.
Zugabe Base / ml
Volumen/ml [H+]/M
pH
0
0.25
0.5
0.75
1
1.5
2
2.5
3
3.5
4
4.25
4.5
4.75
4.9
4.99
4.999
4.9999
50
50.25
50.5
50.75
51
51.5
52
52.5
53
53.5
54
54.25
54.5
54.75
54.9
54.99
54.999
54.9999
3.5
3.7
4.0
4.2
4.4
4.6
4.8
5.0
5.2
5.4
5.6
5.8
6.0
6.3
6.7
7.7
8.7
9.7
3.16E-04
1.90E-04
9.00E-05
5.67E-05
4.00E-05
2.33E-05
1.50E-05
1.00E-05
6.67E-06
4.29E-06
2.50E-06
1.76E-06
1.11E-06
5.26E-07
2.04E-07
2.00E-08
2.00E-09
2.00E-10
Berechnet man bei 5 ml Zugabe (Endpunkt) die [H+] mit dem Ausdruck [H  ] 
K w Ka
, so
[A  ]
erhält man pH = 8.5. Das ist im Widerspruch zu den pH-Werten bei 4.999 ml und 4.9999 ml
Zugabe in der Tabelle. Der Grund dafür ist, dass pH  pK a  log10
[A  ]
bei der Annäherung
[HA]
51
and den Endpunkt gegen ∞ strebt, weil
[A  ]
immer grösser wird. In Wirklichkeit produziert
[HA]
 HA + OH– ein wenig HA, das den Quotienten nicht
die Rückstellreaktion A– + H2O 
über alle Grenzen wachsen lässt. Das einfache MWG berücksichtigt diesen Einfluss des
Wassers nicht. Der wahre pH am Endpunkt ist 8.5. Das Problem ist ein ähnliches wie die
Frage nach dem pH-Wert einer 10−9 M HCl.
Titrationskurve: Schwache Säure mit starker Base
14.0
12.0
pH
10.0
8.0
6.0
4.0
2.0
0.0
0
2
4
6
8
10
ml Base
Die Titration schwacher Basen mit starker Säure verläuft analog, nur umgekehrt. Am
einfachsten berechnet man das Gleichgewicht mit dem pKa der konjugierten Säure.
Die Titrationskurven schwacher Säuren bzw. schwacher Basen mit stark dissoziierten
Reagenzien enthalten noch eine andere Information als die Quantität. Auf dem halben Weg
von Beginn der Zugabe bis zum Endpunkt ist [HA] = [A−]. Daraus folgt
pH  pK a  log10 1  pK a
Die Aufnahme von Titrationskurven ist die beste Methode zur Bestimmung von Ka-Werten
schwacher Säuren.
Um Titrationen nur zur quantitativen analytischen Bestimmung zu nutzen, ist es nicht
notwendig, die ganze Reagenzzugabe zu verfolgen. Man kann dafür einen so genannten
Säure-Base Indikator verwenden. Diese Stoffe sind selbst konjugierte Paare schwacher
52
Säuren und Basen, doch sind die Säure und die konjugierte Base unterschiedlich gefärbt.
Wichtig ist auch, dass mindestens eine der beiden Spezies sehr stark farbig ist.
HInd
 Ind− + H+

pH  pK Ind  log10
[Ind  ]
[HInd ]
Um einen Titrationsendpunkt korrekt anzuzeigen, sollte der Indikator zu 90% in der einen
oder andern Form vorliegen, also nicht die Mischfarbe zeigen. Damit kann man den pKInd des
Indikators schätzen, wenn der pKa der zu titrierenden Säure bekannt ist. Graphisch ist es
einfach zu erkennen:
14.0
12.0
pH
10.0
8.0
6.0
4.0
2.0
0.0
0
2
4
6
8
10
ml Base
Der pKInd sollte etwa eine pH-Einheit über dem pKa der zu titrierenden Säure liegen, damit
die Anzeige nicht zu früh erfolgt. Mehr als 2 Einheiten sollten es auch nicht sein, weil die
Anzeige sonst verschleppt wird. Nicht besonders kritisch ist der pKInd für Titrationen starker
Säuren mit starken Basen oder umgekehrt, weil die pH-Änderung am Endpunkt etwa 5-6 pHEinheiten umfasst. Nur extrem hohe oder tiefe pKInd sind eventuell untauglich. Für die
Titration schwacher Basen mit starker Säure muss der pKInd mindestens 1 pH-Einheit unter
dem pKa der konjugierten Säure zur titrierten Base liegen.
Die Anforderung der starken Intensität mindestens einer Indikatorfarbe kommt daher, dass die
Zugabemenge des Indikators minimal gehalten werden muss. Ansonsten verbrauchen nicht
nur die titrierte Säure oder Base, sondern auch der Indikator signifikante Mengen an Reagenz.
53
Puffer
Starke Säuren und Basen können bei höherer Konzentration (≥ 0.1 M) tiefe bzw. hohe pHWerte in wässriger Lösung stabilisieren. Die Stabilisierung mittlerer pH-Werte in Wasser
gelingt nicht ohne weiteres, weil sowohl [H+] als auch [OH−] relativ klein sind, d.h. keine
„Pufferkapazität“ vorhanden ist. Die vorgehende Titrationskurve einer schwachen Säure zeigt
den Ausweg auf: Um den pKa-Wert herum ist die Kurve flach, der pH-Wert ändert sich nur
wenig über einen grossen Bereich an Basenzugabe. Dasselbe gilt auch für die Zugabe starker
Säure zu schwachen Basen. Eine 1:1 Mischung einer schwachen Säure mit ihrer konjugierten
Base oder einer schwachen Base mit ihrer konjugierten Säure stabilisiert also den pH-Wert im
Bereich um den pKa-Wert. Man sagt, die Lösung „puffert“. Dieser Effekt ist um so stärker, je
höher die Konzentration der Puffersubstanz ist. Man nennt dies die Pufferkapazität. Weil es
viele solche Säure-Base Paare mit den unterschiedlichsten pKa-Werten gibt, findet man meist
ein geeignetes System. Restriktionen können auftreten, wenn die Puffersubstanzen andere
Reaktionen als Säure-Base Reaktionen mit den übrigen Komponenten der Lösung eingehen.
Solche Kombinationen sind unbrauchbar. Man sagt dann, der Puffer sei nicht inert.
Viel benutzte Puffersysteme:
Name
Phosphatpuffer sauer
Formiatpuffer
Acetatpuffer
Phosphatpuffer Standard
Tris-(hydroxymethyl)aminomethan
Boratpuffer
Ammoniakpuffer
Carbonatpuffer
Phosphatpuffer basisch
Säure/Base
H3PO4/ H2PO4−
HCOOH/HCOO–
CH3COOH/CH3COO−
H2PO4−/ HPO42−
(HOCH2)3CNH3+/(HOCH2)3CNH2
B(OH)3/ B(OH)4−
NH4+/NH3
HCO3−/CO32−
HPO42−/PO43−
pKa (25°C)
2.1
3.7
4.8
6.9 (≥ 0.1 M)
8.1
9.2
9.3
10.3
12.7
Säuren mit mehreren Dissoziationsstufen
Einige Säuren können mehr als ein H+ pro Molekül freisetzen. Dabei steigt der pKa sukzessive
mit jeder Stufe (siehe auch die Regeln von Pauling für Oxido-Säuren). Beispiele (in
Klammern pKa-Werte):
H2S (7.0/12.9), H2SO4(<0/1.5), H3PO4(2.1/7.2/12.7), H2CO3(3.7*/10.3), H2SeO3(2.6/8.3)
54
*für CO2 + H2O scheinbar pKa = 6.4, weil nur 0.2% als H2CO3 vorliegen.
Die Berechnung der Spezieskonzentrationen in einem mehrprotonigen System ist relativ
aufwendig. Zum Glück kann man in der Praxis oft Vereinfachungen anwenden. Am Beispiel
des CO2-HCO3−-CO32− Gleichgewichts, das biologisch sehr wichtig ist, soll das Prinzip des
Ansatzes und der vereinfachten Lösung gezeigt werden.
Am Anfang stehen wieder die MWGs und die Massenbilanz:
 HCO3− + H+

CO2 + H2O
K a1 
 CO32− + H+
HCO3− 
[H + ][HCO3 ]
[CO 2 ]
K a2 
[H + ][CO32 ]
[HCO3 ]
c A  [CO 2 ]  [HCO3 ]  [CO32 ]
Man ersetzt nun z.B. [HCO3−] und [CO32−] in der Massenbilanz mit den MWGs, so dass nur
noch [CO2] vorkommt:
c A  [CO 2 ] 
K a1[CO 2 ] K a1 K a2 [CO 2 ]

[H  ]
[H  ]2
cA
K
K K
1  a1  a1 a2
[H ] [H ]2
 [CO 2 ]
und erhält nach Umformen
Dies ist die sogenannte Partitionsfunktion für CO2.
Damit kann man die [CO2] für jede Kombination von pH und cA berechnen. Analog erhält
man
cA

K a1
[H ]
1

[H ]
K a2
 [HCO3 ]
und
cA
 [CO32 ]
[H ]
[H  ]

1
K a1 K a2 K a2
 2
Leider wird die Berechnung der Konzentrationen knifflig, wenn die [H+] nicht unmittelbar
gegeben ist. Eine solche Frage wäre z.B. die nach den Gleichgewichtskonzentrationen von
CO2, HCO3−, CO32− und H+, wenn man einfach eine bestimmte analytische Konzentration cA
an CO2 oder HCO3− löst. Falls man CO2 löst, gilt dann dazu [H  ]  [HCO3 ]  2[CO32 ] , nimmt
man HCO3−, so ist die Bedingung [H  ]  [CO32 ] einzusetzen, und das ist noch ohne
Berücksichtigung der Eigendissoziation des Wassers. Man bekommt dann Gleichungen
höheren Grads aus den Partitionsfunktionen.
Wir betrachten Vereinfachungen für den Fall, dass man CO2 in Wasser gesättigt löst (0.033 M
bei 25°C). Die Ka-Werte liegen um etwa 104 auseinander (pKa1=6.4, pKa2=10.3), so dass man
getrost annehmen kann, dass fast alle H+ von der ersten Dissoziationsstufe stammen.
55
Also [H  ]  K a1c A  106.4 M 0.033M  1.1104 M was etwa pH=3.9 ergibt. Die zweite
Dissoziationsstufe wird von dieser [H+] dominiert, also kann man [HCO3 ]  [H  ] mit dem
2. MWG kombinieren: K a2  [CO32 ] .
Hochverdünnte Säuren
Bei starken Säuren ist die pH-Berechnung in der Regel einfach, weil [H+] ≈ cA. Nähert sich
die Konzentration cA jedoch der Autoprotolyse-Konzentration des Wassers, also 10−7 M, so
funktioniert diese Vereinfachung nicht mehr. Die Eigendissoziation trägt wesentlich zur
Bestimmung des pH-Werts bei. Für cA ≤ 10−6 M können wir bilanzieren:
[H+] = cA + x, wobei x der Anteil aus der Autoprotolyse ist. Damit ist auch [OH−] = x. Mit Kw
ergibt sich
Kw = (cA + x)x = x2 + cAx
Damit
x
c A  c A2  4 K w
2
Mit steigender cA wird x = [OH−] sehr rasch klein, wie das in einer Lösung mit starker Säure
sein muss. Für schwache Säuren ist die Situation in hoher Verdünnung fast dieselbe, denn
unter diesen Umständen sind auch sie fast ganz dissoziiert.
Nichtwässrige Lösungsmittel
Das Säure-Base Konzept des Lösungsmittels mit einem Säure-Basepaar kann allgemeiner
gefasst werden:
Lösungsmittel
Säure
Base
COCl2
COCl+
Cl−
NH3
NH4+
NH2−
CH3COOH
CH3COOH2+
CH3COO−
HCN
H2CN+
CN−
Solche Systeme können benutzt werden, um die relative Stärke von Säuren zu bestimmen, die
in H2O alle als starke Säuren auftreten. CH3COOH ist weniger basisch als H2O (darum tritt es
darin als Säure auf), wenn man starke Säuren darin löst, dissoziieren sie weniger, werden zu
schwachen Säuren. Wenn man ihre Dissoziationgrade messen kann, kennt man auch ihre
relativen Säurestärken.
56
Redoxreaktionen
And now for something completely different …
Redoxreaktionen unterscheiden sich von Säure-Base Reaktionen in mehrfacher Hinsicht. Die
meisten von ihnen laufen nicht in einem Schritt ab und führen zu massiven
Strukturveränderungen. Deshalb sind sie auch mehrheitlich nicht reversibel und mit grossen
Entropieänderungen verbunden. Die Zahl der transferierten Elektronen ist für eine bestimmte
Reaktion nicht auf Paare beschränkt. Oft gehen die transferierten Elektronen ganz auf den
Reaktionspartner über und werden nicht nur in kovalenter Bindung geteilt. In der Regel sind
die Energieumsätze bei Redoxreaktionen deutlich grösser als bei Säure-Base Reaktionen. Die
meisten Reaktionen, die zur Energieerzeugung benutzt werden, sind deshalb
Redoxreaktionen.
Redoxreaktionen beinhalten immer 2 Teilreaktionen, die Reduktion und die Oxidation.
Manchmal ist es möglich, diese Reaktionen räumlich zu trennen, wenn man eine galvanische
Zelle mit ihnen aufbauen kann. Prinzipiell gilt: Reduktion ist immer mit Elektronenaufnahme
durch das betreffende Atom oder Molekül verbunden, Oxidation mit Elektronenabgabe. Die
Ladungsbilanz bleibt stets ausgeglichen, es werden keine Elektronen freigesetzt.
Um die Stöchiometrie von Redoxreaktionen einfach beschreiben zu können, wurde das
Konzept der Oxidationszahl (auch Oxidationsstufe genannt) eingeführt. Um Oxidationszahlen
den Atomen einer Verbindung zuzuordnen, wird wieder das Konzept der Elektronegativität
beigezogen. Ausgangspunkt ist der elementare Zustand. In diesem erhält jedes Atom die
Oxidationszahl 0. In Verbindungen aus verschiedenen Atomen ordnet man den
elektronegativsten Elementen negative Oxidationszahlen zu. Dabei teilt man die Elektronen
kovalenter Verbindungen auf, als ob sie intern ionisiert wären, d.h. die elektronegativen
Atome streben ein Oktett an. Die weniger elektronegativen Elemente erhalten entsprechende
positive Oxidationszahlen, so dass die Summe der Oxidationszahlen aller Atome eines
Moleküls oder Ions dessen Gesamtladung ergibt. Oxidationszahlen werden mit römischen
Ziffern notiert, um sie von Ladungen bzw. formalen Ladungen zu unterscheiden. Bei
einatomigen Ionen sind Oxidationszahlen mit der Ladung identisch. Es gibt durchaus Fälle,
bei denen alternative Notationen möglich sind, wenn z.B. die Elektronegativitätsunterschiede
zwischen 2 Nachbaratomen klein sind. Auf die formalen Reaktionsgleichungen hat das aber
keinen Einfluss.
57
Beispiele:
Verbindung
Oxidationszahlen
Na+Cl−
Na+I Cl-I
H2O
H+I O-II H+I
H2O2
H+I O-I O-I H+I
O
O
MnO4–
_
-II
-II
+VII Mn
O
O
-II
-II
-I
Cl
ICl3
-I Cl
Cl -I
I
+III
+I
H
-II
-II O
O
H3AsO4
+V As
+I
H
H
-II O
H
+I
0
HCOOH: EN(C) ≈ EN(H)
H
-II
-II
-II O
+I
O
O
C
H
+III
+II
C
O -II
O -II
-II
-II
O
2–
S2O3 : Nach EN oder analog SO4
2−
-II
O
S
+IV
O
2
0
S
-II
O
S
+VI
2
-II
S
O
O
-II
-II
HOCl
H
+I
+I
H+I O-II Cl+I
EN: Elektronegativität
Diese Oxidationszahlen können eingesetzt werden, um den Elektronentransfer bei
Redoxreaktionen formal korrekt zu beschreiben. Es ist hier zu bemerken, dass
Oxidationszahlen kein Modell sind, mit dem man Reaktionsverläufe vorhersagen kann. Dazu
braucht es eine energetische Betrachtung, die wir anschliessend anstellen.
58
Als erstes wollen wir die thermische Zersetzung von Kaliumchlorat KClO3 näher ansehen.
KClO3 ist ein Salz, das relativ leicht schmilzt und in der Hitze O2 abgibt. Zurück bleibt bei
Vervollständigung KCl. Also empirisch
→
KClO3
O2 + KCl
Stöchiometrisch ist das nicht korrekt, beschreibt aber die Beobachtungen qualitativ. Wir
ordnen jetzt den Atomen in Edukt und Produkten die Oxidationszahlen zu. Für die Produkte
ist das sehr einfach:
K+I, Cl-I, O20
-II
O
K+I,
Das Edukt:
-II
Cl +V
O
-
O
-II
Dem K+ geschieht gar nichts, das ist sehr typisch für Alkalimetall-Kationen, die nur unter
extremen Bedingungen an Redoxreaktionen teilnehmen. Der einzige Reaktand ist das
Chloration, dessen Komponenten ihre Oxidationszahlen wechseln. Wir tun so, als ob das
Chlorat aus Cl5+ und 3 O2– zusammengesetzt wäre und schreiben für die Reduktion, die dem
Chlor geschieht
ClO3– + 6 e– →
Cl– + 3 O2–
Die Oxidation betrifft O2– selbst:
2 O2–
→
O2 + 4 e–
Diese Schreibweise nennt man historisch Halbzellenreaktionen, warum das so ist, werden wir
bald näher kennen lernen. Wichtig ist, dass man die einfachste stöchiometrisch korrekte Form
niederschreibt, d.h. die Massenbilanz auf beiden Seiten stimmt, genauso wie die
Ladungsbilanz. Eine Unstimmigkeit besteht noch: Die Zahl der transferierten Elektronen in
den Teilreaktionen sind verschieden. Man muss das kleinste gemeinsame Vielfache dieser
beiden Zahlen finden und die Gleichungen zueinander anpassen, dann können sie zur BruttoReaktionsgleichung zusammengefasst werden:
vereinfacht
ClO3– + 6 e– →
Cl– + 3 O2–
|x2
2 O2–
→
O2 + 4 e–
|x3
2 ClO3– + 6 O2–
→
2 Cl– + 6 O2– + 3 O2
2 ClO3–
→
2 Cl– + 3 O2
Durch die Anpassung auf das kleinste gemeinsame Vielfache verschwinden die Elektronen in
der Bilanz. Am Ende bleibt die tatsächliche Reaktionsgleichung übrig.
Etwas komplizierter ist die Reaktion zwischen Na2SO3 und Ce(SO4)2 in Schmelze. Diese
Reaktion startet nicht, wenn man Na2SO3 schmilzt und das Ce(SO4)2 zugibt, obwohl man
59
erwarten würde, dass Ce4+ zu Ce3+ reduziert und SO32− zu SO42− oxidiert wird. Durch
Notation der richtigen Halbzellenreaktionen können wir erkennen, woran das liegt. Zuerst
aber noch die Oxidationszahlen in den beteiligten Ionen: Ce+IV, S+IV und O-II in SO32−, S+VI
und O-II in SO42−. Na+ nimmt nicht teil.
Ce4+ + e−
SO3
2−
→
2−
+O
→
Ce3+
2−
SO4 + 2 e
Reduktion
−
Oxidation
Die Oxidation kann nur ohne weiteres funktionieren, wenn eine Quelle von O2− vorhanden ist,
also irgendein Oxid, das sich in der Schmelze löst. Man kann hier Na2O verwenden, und
tatsächlich läuft die Reaktion dann ab. Wir werden bei Systemen in wässriger Lösung noch
sehen, dass solche „Hilfsstoffe“ oft essentiell für den Ablauf von Redoxreaktionen sind.
Ce4+ + e−
→
SO32− + O2− →
2 Ce4+ + SO32− + O2− →
Ce3+
|x2
SO42− + 2 e− | x 1
2 Ce3+ + SO42−
Wenn man die Schmelze sehr stark aufheizt, läuft die Reaktion schliesslich auch ohne
zusätzliches O2− ab:
2 Ce4+ + SO32−
→
2 Ce3+ + SO3
Dabei treibt die Verdampfung von SO3 die Reaktion voran, es wirkt das Prinzip von Le
Châtelier.
Redoxreaktionen in wässriger Lösung
Beim Übergang zu Reaktionen in wässriger Lösung müssen wir beachten, dass das
Lösungsmittel manchmal an der Reaktion teilnimmt, oft in erwünschter Art und Weise. Ein
einfaches Beispiel ohne Einfluss des Mediums ist z.B.
2 [Fe(CN)6]4− + Br2
→
2 [Fe(CN)6]3− + 2 Br−
Oxidationszahlen in [Fe(CN)6]4−: Fe+II, C+II, N-III ; in [Fe(CN)6]3−: Fe+III, C+II, N-III
Halbzellenreaktionen:
Br2 + 2 e−
→
2 Br−
Reduktion
|x1
[Fe(CN)6]4−
→
[Fe(CN)6]3− + e−
Oxidation
|x2
Mit Teilnahme des Mediums läuft die Oxidation von Fe2+ durch Chromat CrO42− unter
Bildung von Cr3+ und Fe3+. Oxidationszahlen in CrO42−: Cr+VI, O-II.
60
Halbzellenreaktionen:
CrO42− + 3 e− + 8 H+
Fe
Cr3+ + 4 H2O
→
2+
CrO42− + 3 Fe2+ + 8 H+
3+
|x1
−
→
Fe + e
|x3
→
Cr3+ + 3 Fe3++ 4 H2O
Die Bruttoreaktion verbraucht H+, und tatsächlich funktioniert sie nur, wenn man die
Mischung aus Fe2+ und CrO42− ansäuert. Diese pH-Abhängigkeit ist sehr häufig zu finden,
wenn Oxido-Ionen beteiligt sind, weil formal O2– freigesetzt wird, wenn die Oxidationszahl
des zentralen Atoms sinkt. Da O2– eine sehr starke Base ist, muss sie durch H+ neutralisiert
werden. Der Aufbau von Oxido-Ionen hingegen verbraucht H2O, und es werden H+
freigesetzt. Solche Reaktionen werden vorangetrieben, wenn das Milieu basisch ist. Beispiel,
Halbzellenreaktionen:
OCl– + 2 H+ + 2 e–
3+
Cr + 4 H2O
→
→
Cl– + H2O
2−
|x3
−
+
CrO4 + 3 e + 8 H | x 2
3 OCl– + 6 H+ + 2 Cr3+ + 8 H2O
→
3 Cl– + 3 H2O + 2 CrO42− + 16 H+
3 OCl– + 2 Cr3+ + 5 H2O
→
3 Cl– + 2 CrO42− + 10 H+
Eine pH-abhängige Redoxreaktion wird auch benutzt, um Lösungen von I2 mit genau
bekannter Konzentration herzustellen, die verbreitet für quantitative Bestimmungen benutzt
werden (Iodimetrie, Iodometrie und Karl-Fischer-Titration). I2 ist ein molekularer Festkörper
mit hohem Dampfdruck und lässt sich deshalb nicht genau wägen. In Wasser löst sich I2 auch
nicht besonders gut, doch da gibt es zum Glück eine Reaktion, die die Löslichkeit stark
erhöht, ohne die Redoxeigenschaften zu ändern:
 I3–
I2 + I– 
Dieses Gleichgewicht liegt weit rechts (K ≈ 103 M–1), stellt sich aber sehr schnell ein, so dass
man so tun kann, als ob [I2] = [I3–] für die Redoxreaktion des I2, dank dem Prinzip von Le
Châtelier. (Quizfrage: Zu welcher Reaktionsklasse gehört dieses Gleichgewicht?). Die
Präpration der I2-Lösung erfolgt durch Mischen von KIO3, einem nicht hygroskopischen Salz,
und einem Überschuss KI (Oxidationszahlen von I sind +V in Iodat, –I in Iodid un 0 in I2).
Halbzellenreaktionen:
2 IO3– + 12 H+ + 10 e–
→
I2 + 6 H2O
|x1
2 I–
→
I2 + 2 e–
|x5
2 IO3– + 12 H+ + 10 I–
→
6 I2 + 6 H2O
IO3– + 6 H+ + 5 I–
→
3 I2 + 3 H2O
Die praktische Ausführung ist dennoch nicht simpel. Wenn man die Salze vor der
Säurezugabe nicht gründlich löst, bilden sich Klumpen von I2 um die nicht gelösten Kristalle,
61
was wegen der hydrophoben Eigenschaft des I2 dann die Vervollständigung des Prozesses
verhindert. Erst nach Auflösen und Mischen der Salzlösungen kann Säure zugegeben werden,
worauf sich I2 in so feiner Verteilung bildet, dass in grossem Überschuss von I– sofort I3–,
welches löslich ist, entsteht.
Eine sehr clevere Anwendung der Abhängigkeit von Redoxreaktionen von „Hilfsstoffen“ ist
die schon erwähnte Titration nach Karl Fischer. Diese dient zur Bestimmung kleiner
Konzentrationen von H2O in nichtwässrigen Lösungsmitteln oder in Festkörpern. Als
Lösungsmittel für diese Titration dient meist ein getrockneter Alkohol, in der Regel Methanol
CH3OH. Dazu kommt noch eine Base, die das eine Hauptreagenz, SO2, sowie das Produkt,
SO3, bindet. Typischerweise wird eine organische Stickstoffverbindung, ein Amin, das
ähnlich wie NH3 als Lewis-Base reagiert, verwendet. Im Folgenden sei B: diese Base.
Halbzellenreaktionen:
I2 + 2 e–
→
2 I–
B:SO2 + H2O + 2 B: →
B:SO3 + 2 BH+ + 2 e–
I2 + B:SO2 + H2O
2 I– + B:SO3 + 2 BH+
→
Da noch CH3OH als Lösungsmittel vorhanden ist, bildet sich ein so genannter Ester (AlkoholSäure-Verbindung), der im Gegensatz zu Sulfat in Methanol löslich ist:
B:SO3 + CH3OH
→
CH3OSO3– + BH+
Die Lewis-Säuren SO2 und SO3 sind in CH3OH immer an die Base B: gebunden. Der
Endpunkt der Titration wird durch das Auftauchen von unverbrauchtem Iod angezeigt. Dazu
verwendet man ein ampèrometrisches Verfahren, das als Überleitung zum nächsten Abschnitt
hier illustriert sei. Wir halten uns noch einmal den Aufbau der Karl-Fischer-Titration vor
Augen: Das Titriergefäss enthält Methanol, Base und SO2 sowie die Probe. Dazu wird
I2-Lösung gegeben, die, solange H2O im Titriergefäss vorhanden ist, durch SO2 zu I– reduziert
wird. Zusätzlich entsteht also nicht weiteres als I– und H+ im Titriergefäss. Erst wenn kein
H2O mehr da ist, kann I2 im Titriergefäss verbleiben.
Zur Anzeige des Endpunkts taucht man dicht nebeneinander 2 Platinstifte in die Lösung im
Titrirgefäss und legt eine kleine elektrische Gleichspannung aus einer Stromquelle zwischen
ihnen an, dadurch wird ein Stift positiv geladen (Anode), der andere negativ (Kathode).
Gemessen wird nun der Strom, der durch die Lösung fliesst und in einem organischen
Lösungsmittel sehr klein ist, weil die elektrolytische Dissoziation wegen der geringen
Polarität nicht ausgeprägt ist. An der Anode könnte nun folgendes geschehen: Kommt I– an
die Anode, so könnte es ein Elektron an das Metall abgeben und mit einem zweiten I–, dem
dasselbe geschieht, I2 bilden.
62
2 I–
→
I2 + 2 e–
Damit die Ladungsneutralität in der Stromquelle gewahrt bleibt, müssten nun 2 Elektronen
aus der Kathode treten und auf irgendein Ion oder Molekül in der Lösung übergehen. Am
einfachsten wäre die Reaktion
2 BH+ + 2 e– →
B + H2
Diese wird vermieden, indem die Spannung klein gehalten wird. Wenn nun aber kein I2 mehr
mit SO2 reagiert, wenn alles H2O verbraucht ist, ist plötzlich I2 im Titriergefäss vorhanden
und die viel leichter laufende Reaktion
I2 + 2 e–
2 I–
→
an der Kathode möglich (das ist die komplementäre Reaktion zu der an der Anode). Somit
beginnt signifikant mehr Strom zu fliessen, was den Endpunkt anzeigt. Da I2 nun
kontinuierlich an einem Platinstift verbraucht und am andern gebildet wird, ist diese Anzeige
auch stabil.
I
_
+
Ampère-
Stromquelle
meter
2 e–
I2
2 e–
2 I–
2 I–
I2
Pt
Pt
63
Elektrochemie
Mitte 18. Jahrhundert entdeckten Naturphilosophen das Phänomen der Kontaktpotentiale
zwischen Metallen. Wurden zwei verschiedene Metalle direkt oder durch eine Lösung eines
Elektrolyten (Salz, Säure oder Base) in Wasser in Verbindung gebracht, so konnte man eine
elektrische Spannung zwischen den Metallen messen, das sogenannte Volta-Potential. Der
Mediziner Luigi Galvani benutzte ein Kontakt-Element aus Fe und Cu, um präparierte
Froschschenkel zum Zucken zu bringen. Damit demonstrierte er als erster, dass Lebewesen
elektrische Potentiale zur Steuerung benutzen (Bioelektrizität). Die Kontakt-Elemente hatten
einen grossen Vorteil gegenüber bisher benutzten rein elektrostatischen Spannungsquellen:
Sie lieferten stundenlang Elektrizität, zwar bei niedriger Spannung, aber nicht nur kurze
Pulse. Der eigentliche Protagonist auf dem Gebiet war aber nicht Galvani, sondern der
Physiker Alessandro Volta. Er untersuchte Metall-Elektrolyt Kombinationen systematisch und
baute 1800 schliesslich seine berühmte Voltasche Säule, die erste echte Batterie, die aus
einem Stapel alternierend geschichteter Kupfer- und Zinkplättchen bestand, mir
elektrolytgetränktem Filz oder Karton dazwischen.
Die Abbildung links zeigt eine originale Säule Voltas
aus dem Volta-Museum in Como. Auf Grund der schon
erwähnten Studien verschiedener Metall-Kombinationen
stellte Volta bereits eine Spannungsreihe der Metalle auf.
Sein spannungsstärkstes Einzelelement bestand aus
Silber und Zink. Ausgestattet mit Voltas Batterien
entdeckten andere Forscher in Kürze, dass Salzlösungen
sowie wässrige Säuren und Basen nicht nur den Strom
leiteten (das konnte man schon mit den elektrostatischen
Quellen feststellen), sondern bei Dauerexposition auch
chemische Reaktionen eingingen: Die Elektrolyse war
entdeckt. Bereits ein knappes Jahr nach Voltas
Publikation der Batterie zerlegten Nicholson und Carlisle
Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff (die Zusammensetzung kannte man schon durch die
Lavoisiers). Die Anwendung der Elektrolyse auf Schmelzen von Salzen wurde in grossem Stil
durch Humphry Davy ausgenutzt. Er isolierte damit die Elemente Kalium, Natrium, Barium,
Calcium and Magnesium.
64
Elektrolyse
Obwohl die chemische Erzeugung elektrischer Energie vor der Elektrolyse entdeckt wurde
(geht gar nicht anders, denn die kontinuierliche Erzeugung von Elektrizität durch brauchbare
mechanische Generatoren erfolgte noch später, 1867), sehen wir uns zuerst die Wirkung von
Elektrizität auf chemische Systeme an, weil das einfacher zu verstehen ist. Das Provozieren
einer chemischen Reaktion durch elektrischen Strom wird einfach bewerkstelligt, indem man
zwei elektrische Leiter, die mit den beiden Polen einer Spannungs- und Stromquelle
verbunden sind, in den flüssigen Elektrolyten eintaucht. Will man eine echte Elektrolyse
ausführen, nimmt man vorzugsweise eine Gleichstromquelle. Mit Wechselstrom alterniert die
Reaktion an den beiden eingetauchten Leitern, auf jeder Seite entsteht eine Produktmischung.
Nimmt man Wechselstrom höherer Frequenz (≥ 1000 Hz), so findet gar keine Reaktion mehr
statt, dennoch fliesst Strom. Diese Anordnung eignet sich, um den elektrischen Widerstand
von Elektrolyten zu messen (Konduktometer).
Wir definieren an dieser Stelle einige Begriffe, die in der Elektrochemie immer wiederkehren.
Begriff
Symbol(e)
Einheit
Elektrische Ladung
Q, q, e (Elementarladung)
Coulomb (C)
Elektrischer Strom
I (Physik) oder i (Elektrochemie)
Ampère (A)
Elektrische Spannung
U (Differenz)
Volt (V)
Elektrisches Potential
E (Spannung gegen Referenz)
Volt (V)
Überspannung
η
Volt (V)
Elektrischer Widerstand
R
Ohm (Ω)
Leitfähigkeit
G
Siemens (S)
Leistung
P
Watt (W)
Es gelten dazu folgende einfachen Gesetze:
U = RI (Ohmsches Gesetz)
P = UI
G
1
I

R U
Technische Begriffe der Elektrochemie
Elektrolyt:
Elektrisch leitendes Medium, das Strom nicht mittels Elektronen transportiert.
Elektrode:
Leitendes Material, das den Kontakt zum Elektrolyten herstellt.
65
Anode:
Elektrode am positiven Anschluss der Stromquelle.
Kathode:
Elektrode am negativen Anschluss der Stromquelle.
Zelle:
Reaktionskammer, die Elektrolyt und Elektroden enthält.
Halbzelle:
Reaktionskammer, die nur eine Elektrode und Elektrolyt enthält, und durch
eine leitende Diffusionsbarriere mit der andern Halbzelle verbunden ist.
Anodenraum:
Die Halbzelle der Anode.
Kathodenraum:
Die Halbzelle der Kathode.
Elektrolytbrücke:
Kammer zwischen Anoden- und Kathodenraum, die Elektrolyt enthält
und an beide Halbzellen über Diffusionsbarrieren (Membran,
Glaswattepfropf, Glasfritte, etc.) angeschlossen ist.
Eine typische Elektrolysezelle (hier mit einer NaCl-Schmelze) ist wie abgebildet aufgebaut:
I
U
Kathode
Anode
e–
e–
Na+ Cl–
Na
Na+
Na+
Cl–
Cl–
Na+
Cl–
Na
Cl2
Na+
Na+
Na+
Na
Gleich-Spannungs/Stromquelle
Cl–
Cl–
Cl–
Cl–
+
+
–
Cl–
Na+
66
Wenn man die Gleichstromquelle einschaltet, geschieht eventuell noch gar nichts. Erst wenn
die Spannung auf einen Schwellenwert eingestellt wird, die so genannte Überspannung,
beginnt erkennbarer Stoffumsatz an den beiden eingetauchten Leitern. In unserem Fall wird
man silberne Tropfen von geschmolzenem Na-Metall um die Kathode herum treiben sehen,
und an der Anode entsteht Chlorgas. Es ist sehr wichtig, Anode und Kathode hier räumlich
gut zu trennen, weil die Reaktion von Na mit Cl2 heftig und exotherm ist. Ausserdem würde
sie auch gleich unsere Produkte wieder zerstören.
Wir haben es offensichtlich mit Redoxreaktionen zu tun: An der Anode geben Chloridionen
Elektronen ab, an der Kathode nehmen Natriumionen genausoviel Elektronen wieder auf.
Also:
2 Cl–
→
Cl2 + 2 e–
Anodenreaktion = Oxidation
Na+ + e–
→
Na
Kathodenreaktion = Reduktion
U/I
2 Na   2 Cl 
 2 Na  Cl2
Bruttoreaktion
An der Kathode entstehen tatsächlich 2 Natriumatome pro Chlormolekül. Nach aussen ist die
Ladungsbilanz ausgeglichen.
Technisch ist eine Elektrolyse gar nicht so einfach durchzuführen. Die Elektroden müssen aus
einem Material bestehen, das nicht spontan mit dem Elektrolyten oder den Produkten reagiert.
Das Gefäss darf von der Schmelze auch nicht angegriffen werden. Die Trennung der Produkte
gelingt hier einfach, weil sich beide nicht in der Schmelze lösen und Chlor ein Gas ist.
Zum Vergleich sehen wir uns die Elektrolyse von NaCl in wässriger Lösung an. An der
Anode entsteht wieder Chlor, doch an der Kathode wird ebenfalls ein Gas gebildet und kein
Metall. Nehmen wir einmal an, es bilde sich Na-Metall. Dieses ist in Wasser instabil und
reagiert:
2 Na+ + 2 OH– + H2
2 Na + 2 H2O →
Zusammengefasst:
2 Cl–
2 H2O + 2 e
→
–
→
Cl2 + 2 e–
Anodenreaktion = Oxidation
–
H2 + 2 OH
Kathodenreaktion = Reduktion
Es lässt sich leider bis heute experimentell nicht entscheiden, ob H2 direkt gebildet wird oder
ob Na als Zwischenprodukt existiert. Weil die Reaktionen bei Elektrolysen nur in einer
extrem dünnen Schicht an den Elektroden stattfinden, ist das Studium der
Reaktionsmechanismen sehr schwierig. Chemische Synthesen per Elektrolyse erzielen
deshalb auch nur gute Umsätze, wenn der Elektrolyt ständig bewegt (gerührt wird). Bei all
den genannten Nachteilen sind elektrochemische Synthesen trotzdem beliebt, weil man keine
67
Reagenzien braucht und die Produkte deshalb wenig verunreinigt sind, was Zeit und Kosten
bei der Isolierung spart. Die Elektrolyse von wässriger NaCl-Lösung ist übrigens ein richtiges
Arbeitspferd der chemischen Industrie. Als Produkt entstehen NaOH und H2, wie man aus den
Gleichungen oben ableiten kann. NaOH ist wohl die meist verwendete starke Base überhaupt.
Der Bedarf an Wasserstoff ist ebenfalls riesig. Ein Problem dieser Synthese ist das dritte
Produkt, Chlor. Früher wurde es gleich an Ort und Stelle für die Chlorierung organischer
Stoffe in grossem Massstab verwendet, was uns all die inzwischen verbotenen chlorierten
Kohlenwasserstoffe und Phenole wie DDT, Lindan, PCBs, Pentachlorphenol sowie als Abfall
noch das gefürchtete 2,3,7,8-Tetrachlordioxin beschert hat. Heute wird das Chlor nur für die
Herstellung noch zugelassener Stoffe verwendet, der Rest dient als Oxidationsmittel oder zur
Produktion von HCl und wird dadurch wieder zu Chlorid.
Was geschieht, wenn wir statt NaCl-Lösung eine Na2SO4-Lösung elektrolysieren?
2 H2O
→
2 H2O + 2 e– →
O2 + 4 H+ + 4 e–
Anodenreaktion = Oxidation
H2 + 2 OH–
Kathodenreaktion = Reduktion
Da H2O leichter oxidierbar ist als SO42– und leichter reduzierbar als Na+, kommt das auf eine
Wasserelektrolyse heraus. Das Na2SO4 sorgt als Elektrolyt für einen guten Stromfluss. Die
ganze Wahrheit ist es aber doch nicht. Bei längerer Elektrolyse findet man auch S2O82– in der
Lösung, ein wichtiges Nebenprodukt:
2 SO42–
→
S2O82– + 2 e–
2. Anodenreaktion!
Dieses Peroxodisulfat (sytematisch µ-dioxido-bis(trioxidosulfat)(2-) bezeichnet) ist ein
starkes Oxidationsmittel, das anderweitig gar nicht hergestellt werden kann. Elektrolysen
können Stoffe produzieren, die mit Reaktionen zwischen normalen Chemikalien überhaupt
nicht erreichbar sind. Der Grund liegt an den hohen Spannungen, die man an den Elektroden
anlegen kann. Damit werden für chemische Verhältnisse hohe lokale Energien erreicht. Wenn
es dann noch gelingt, das Produkt stabil zu halten, kann es isoliert werden. Zum Vergleich:
eine starke kovalente Bindung hat eine Bindungsenthalpie von 200 – 1000 kJmol–1. Eine
Spannung von nur 1 V erteilt einem Elektron aber bereits eine Energie von ca. 100 kJmol–1!
68
Bis jetzt haben wir angenommen, dass die Elektroden nicht an den Reaktionen teilnehmen
sollen. Zum Teil ist das aber eine Illusion, und manchmal ist es auch erwünscht. Als Beispiel
sehen wir die Elektrolyse einer Kupfersulfat-Lösung mit 2 Kupfer-Elektroden an.
I
U
Cu-Kathode
Cu-Anode
e–
e–
Cu2+
SO42Cu2+
Cu2+
SO42Cu2+
Cu2+
Gleich-Spannungs/Stromquelle
2+
Cu
+
Cu2+
2 H2O
–
O2+4H+
Cu
→
Cu2+ + 2 e–
Anodenreaktion = Oxidation
Cu2+ + 2 e–
→
Cu
Kathodenreaktion = Reduktion
sind die Hauptreaktionen. Dabei findet Stofftransport statt: Die Anode wird immer leichter,
die Kathode immer schwerer. Die Konzentration des Cu2+ in der Lösung bleibt wegen des
Elektroneutralitätsprinzips konstant. Als Nebenreaktionen findet man die Oxidationen des
Wassers zu O2 und des Sulfats zu S2O82–, wie schon oben beschrieben.
Derartige Metallabscheidungen auf der Kathode können auch auf Fremdmetallen erzeugt
werden, mit geeigneten Bedingungen bekommt man homogene mikrometerdünne und stabile
Beschichtungen. Diese Art Prozesse nennt man Galvanotechnik.
69
Quantitative Elektrolysen
Einige Elektrolysen laufen mit hoher und eindeutiger Ausbeute ab. Dies wurde schon früh
bemerkt und von Michael Faraday mit einer Gleichung beschrieben:
m
Q M

F z
Diese Gleichung besagt, dass die abgeschiedene Masse an der Kathode oder die aufgelöste
Masse an der Anode proportional zu der in der Elektrolyse geflossenen Ladungsmenge Q ist.
M ist die Molmasse bzw. die Atommasse des elektrolysierten Stoffs, F ist eine Konstante und
beschreibt die Gesamtladung eines Mols an Elementarladungen, also
F  N A  e  6.023 1023 mol1 1.602 1019 C  96485Cmol1
z ist eine Ganzzahl, es stellte sich heraus, dass es sich um Zahl der Elektronen handelt, die in
der Elektrolyse pro Molekül bzw. Ion übertragen werden. Die Ladungsmenge Q wird
t
bestimmt durch Q   i( )d . Weil i(τ) mit geringem Aufwand konstant gehalten werden
0
kann, vereinfacht sich dieses Integral zu Q  it . Man braucht also nur ein Strommessgerät
(Ampèremeter) und eine genaue Uhr, um die umgesetzte Stoffmenge in solch effizienten
Elektrolysen zu bestimmen. Das gilt auch für Reaktionen, die nicht von einer Abscheidung
oder Auflösung an einer Elektrode begleitet sind, sondern nur in der Lösung umsetzen. Aus
diesen Erkenntnissen können quantitative Bestimmungsmethoden abgeleitet werden, die unter
dem Begriff Coulometrie (Ladungsmessung) zusammengefasst werden. Die älteste Version
ist das Silbercoulometer, das nicht einmal einen konstanten Strom braucht, weil es echt
integrierend arbeitet. Dazu wird eine Kathode aus Silber verwendet, an der Ag aus Ag+
gebildet wird. Diese Zelle, die auch noch eine Anodenreaktion ausführt, wird in Serie mit dem
zu untersuchenden Elektrolysesystem geschaltet, damit passiert der ganze Strom das
Silbercoulometer. Vor der Elektrolyse wir die trockene Silberkathode gewogen. Wenn die
Elektrolyse beendet ist, wird die Silberkathode gewaschen und wieder getrocknet, um die
Gewichtsdifferenz zu bestimmen. Aus dieser lässt sich dank bekannter Atommasse und z=1
die Ladungsmenge Q errechnen, und damit natürlich auch der Umsatz im untersuchten
System. Moderne Coulometer arbeiten entweder mit einer Konstantstromquelle und messen
einfach die verstrichene Zeit bis zum Ende der Elektrolyse, oder sie integrieren elektronisch.
Dies wird erreicht, indem durch einen Strom-Spannungswandler eine dem Strom
proportionale Spannung generiert wird. Diese Spannung wird durch einen Analog/DigitalKonverter in im Vergleich zur ganzen Messzeit kurzen konstanten Intervallen vermessen und
70
durch Zahlen dargestellt, die von einem Mikroprozessor aufsummiert werden. Die Summe am
Ende entspricht dem Integral Q.
Silbercoulometer
Vermessene Reaktion:
2 Cl–
→
Cl2 + 2 e–
Anodenreaktion = Oxidation
2 H+ + 2 e–
→
H2
Kathodenreaktion = Reduktion
U
I
Kathode
e
Anode
–
e
H+
e
Anode
–
Ag
H+
Cl
H2
-
H+
H+
Kathode
–
Cl-
e
SO42-
Ag+
2 H2O
Cl-
O2
Ag
Cl2
Cl
–
+
4 H+
O2
+
SO42-
-
Ag+
H+
4H
2 H2O
Gleich-Spannungs/Stromquelle
+
–
ClAg+
Coulometer- Reaktion:
2 H2O
→
O2 + 4 H+ + 4 e–
Anodenreaktion = Oxidation
Ag+ + e–
→
Ag
Kathodenreaktion = Reduktion
Wird
gewogen
71
Galvanische Zellen
Wir kehren zurück zum Beginn der Elektrochemie und sehen uns die Konstruktion von
Alessandro Volta näher an. Die galvanische Zelle müsste eigentlich voltasche Zelle heissen,
wenn man die (oben geschilderte) Entwicklungsgeschichte betrachtet. Was geschieht hier
eigentlich? Da wir am einen Ende einer Volt-Säule einen Elektronenüberschuss erzeugen
(Minus-Pol) und am andern ein Defizit (Plus-Pol), muss eine Elektronen verschiebende
chemische Reaktion ablaufen, also eine Redoxreaktion. Wie wir schon wissen, muss diese aus
zwei Teilreaktionen, einer Reduktion und einer Oxidation, bestehen. Die klassische VoltaSäule besteht aus einem Stapel alternierender Zink- und Kupferplättchen, die paarweise durch
mit neutralem oder saurem Elektrolyt getränkten Filz- oder Kartonplättchen getrennt sind:
_
+
In der Abbildung sind je zwei Kupferplatten (braunrot) und Zinkplatten (grau) durch
Elektrolyt (farblos) getrennt. Es handelt sich um zwei in Serie geschaltete galvanische
Elemente, jedes besteht aus Zn-Platte, Elektrolyt-Filz und Cu-Platte. Der interne Kontakt wird
direkt zwischen Kupfer- und Zinkplatte hergestellt, man könnte hier auch auftrennen und
einen Draht einsetzen. Volta stellte fest, dass die Zinkplatten korrodiert werden und an
Gewicht verlieren, während die Kupferplatten höchstens blanker werden, ohne Masse
abzugeben.
Zn
→
Zn2+ + 2 e–
erklärt die Beobachtung am Zinkplättchen. Am Kupfer gibt es mehrere Möglichkeiten: Falls
das Kupfer noch passiviert war (zu Voltas Zeit sehr wahrscheinlich), trug es eine Schicht aus
Cu2O. Damit
Cu2O + 2 H+ + 2 e– →
2 Cu + H2O
Die Volta-Säule funktioniert aber auch mit blanken Cu-Platten:
O2 + 4 H+ + 4 e–
→
2 H2O
Es handelt sich also um einen Vorläufer der heute noch gebräuchlichen Zink-Luft Batterie.
Wir können das etwas eleganter aufbauen, indem wir eine Vorrichtung wie bei der
Elektrolyse benutzen. Um präzise Aussagen zu erhalten, muss man zwischen den beiden
72
Räumen um die Elektroden noch eine Barriere gegen völlig freie Diffusion einfügen, damit
keine rasche Durchmischung des Elektrolyten aus den beiden Zonen stattfindet.
U
_
+
Cu
Membran oder
Diaphragma
Zn
Zn2+
2+
Cu
SO42-
SO42-
Bei der abgebildeten galvanischen Zelle handelt es sich um ein so genanntes Daniell-Element,
einer verbesserten Version der Volta-Säule. Sie war eine Zeit lang die Standard-Stromquelle
für Telegraphen, als es noch keine Dynamos gab. So wie sie hier beschaltet ist, liefert sie
allerdings keinen Strom. Ein Voltmeter, wie das Spannungsmessgerät genannt wird, hat
theoretisch (und heute auch beinahe praktisch) einen unendlichen elektrischen Widerstand.
Die Spannung kommt durch eine Ladungsverschiebung zustande, die dadurch verursacht
wird, dass Zn eigentlich als Zn2+ in Lösung gehen möchte, während Cu2+ sich unter
Elektronenaufnahme als Cu absetzen will. Zu einem winzigen Teil geschieht das auch, damit
akkumulieren sich elektrische Ladungen auf den Elektroden, bis die Reaktion zum Stillstand
durch Anwachsen der elektrischen Feldstärke kommt, also Gleichgewicht herrscht. Dies ist
wieder ein dynamisches Gleichgewicht, ist es erreicht, so ist die Austauschgeschwindigkeit
zwischen Metall und Metallkationen auf beiden Seiten gleich schnell. Die Richtung der
Ladungsverschiebung und ihr Ausmass werden durch die Austrittsarbeiten der beiden Metalle
festgelegt. Die Austrittsarbeit ist die Energie, die benötigt wird, um Elektronen aus dem
73
Metall herauszulösen. Sie ist um so grösser, je elektronegativer das Metall ist. Am leichtesten
treten Elektronen aus Alkalimetallen aus, sie sind stark reduzierend, und entsprechend wenig
oxidierend sind ihre Kationen. Weiter rechts im Periodensystem findet man die Edelmetalle,
die eine hohe Austrittsarbeit aufweisen und deren Kationen kräftig oxidierend wirken. Die
Spannung, die man am Voltmeter misst, ist deshalb eigentlich ein Mass dafür, wie „gerne“ die
Reaktion ablaufen würde, bei der die ganze Zinkelektrode aufgelöst und gleichviel Kupfer (in
Mol) auf die andere Elektrode abgeschieden wird. Den Wert der Spannung nennt man
Potentialdifferenz ΔE. Ein Potential selbst wäre der Wert der Spannung einer der
Teilreaktionen (Halbzellenreaktionen) gegenüber einem Referenzwert. Ein historischer
Begriff für diese Spannung ist „elektromotorische Kraft“ (EMK). ΔE drückt direkt aus,
wieviel Energie frei würde, wenn wir die Reaktion durch Kurzschliessen des Voltmeters bis
ins finale Gleichgewicht laufen liessen. Weil keine Wärme beim Messen von ΔE frei wird, ist
ΔE direkt ein Mass für das ΔG der Reaktion, die bei Kurzschluss eintreten würde.
ΔG = –nFΔE
wobei n für die Zahl der pro Atom oder Molekül transferierten Elektronen und F für ein Mol
Elementarladungen steht. Dass der Ausdruck ein Energiemass ist, kann einfach gezeigt
t
werden: P  UI  U
dQ
, damit W  U  I(t) dt  UQ . nF ist eine Ladungsmenge, ΔE ist eine
dt
0
Spannung. Weil ΔG° = –RT lnK ist, muss auch der Konzentrationsausdruck des
Massenwirkungsgesetzes mit ΔE°, der Potentialdifferenz unter Standardbedingungen,
verknüpft sein: E° 
RT
ln K . Die Konzentrationsabhängigkeit von ΔG, falls nicht finales
nF
Gleichgewicht herrscht, ist ΔG = ΔG° + RT lnκ. κ ist ein Ausdruck analog zum MWG der
entsprechenden Reaktion, enthält aber die Konzentrationen zur Zeit der Messung und nicht
die des Gleichgewichts. In der Thermodynamik-Literatur wird statt κ oft Q als Symbol
verwendet, was im Zusammenhang mit der Elektrochemie zu Verwechslung mit der
Ladungsmenge führen kann. Im finalen Gleichgewicht ist ΔG = 0, also 0 = ΔG° + RT lnκ,
womit lnK = lnκ, da ΔG° = –RT lnK. Unsere Bruttoreaktion im Daniell-Element ist
Cu2+ + Zn


Cu + Zn2+
also  
[Zn 2 ]
.
[Cu 2 ]
Zusammengefasst: –RT lnK + RT lnκ = –nFΔE oder
E 
RT
RT
RT
RT 1
RT 1
ln K 
ln  
ln K 
ln  E 
ln
nF
nF
nF
nF 
nF 
74
Dies ist die Gleichung von Otto Nernst. Sie dient dazu, die Konzentrationsabhängigkeit der
EMK zu beschreiben. Für das Daniell-Element
RT [Cu 2 ]
ln
E  E 
mit n = 2.
nF [Zn 2 ]
Leider ist ΔE eine Spannung, also ein U-Wert. Um Potentiale zu erhalten, mit denen man
rechnen und vergleichen kann, muss man ein Bezugsystem definieren, weil es gemäss der
speziellen Relativitätstheorie keine absoluten Bezugspunkte geben kann. Physiker definieren
die Erde als Bezug für elektrische Potentialmessung (oder irgendein passendes lokales
System), für die Chemie ist es sinnvoller, eine bestimmte Halbzellenreaktion zu wählen.
Dabei hat man sich für
2 H+ + 2 e–
 H2

entschieden. Das ist eine „schöne“ Wahl, weil das Element Nr. 1 als Standard dient. Praktisch
gesehen ist es eher ein Desaster, weil die Halbzelle schwierig zu handhaben ist. Unsere
Potentiale müssen für festgelegte Standardbedingungen gelten, d.h. Konzentrationen und
Partialdrucke müssen für die Messung fixiert werden. Das ist für das System H+/H2 alles
andere als einfach, weil p H2  101.3kPa und [H+] = 1 M erfüllt sein müssen. Zudem ist H2 ein
explosionsgefährlicher Stoff. Nichtsdestotrotz ist das Halbzellen-System
Pt | H2 | H+ || die Normalwasserstoff-Elektrode (Normal Hydrogen Electrode NHE)
der Standard mit E° ≡ 0 V bei [H+] = 1 M , p H2  101.3kPa und T = 298.15 K (25 °C).
Die gezeigte Notation ist eine praktische Konvention. Der senkrechte Strich | steht für eine
Phasengrenze, der senkrechte Doppelstrich || für eine Diffusionsbarriere. Das nächste Bild
zeigt die Messung des Elektrodenpotentials bei Standardbedingungen für die Halbzelle
Cu | Cu2+ ||
des Daniell-Elements. Die gesamte „Kette“ wird als
Pt | H2 | H+ || Cu2+ | Cu
notiert. Als Anion in den Halbzellen wird oft Chlorid verwendet, weil es die Einstellung der
Potentiale beschleunigt, d.h. als Katalysator wirkt. Als solcher beeinflusst es
thermodynamische Kennwerte wie ΔE nicht. Bildet Cl– jedoch Komplexe mit Metallionen,
muss es vermieden werden, weil die Komplexbildung die Thermodynamik ändert. Diese
Einflüsse werden wir im nächsten Kapitel ausführlich besprechen.
Weil in der gezeigten Anordnung [H+] = 1 M und [Cu2+] = 1 M ist der Nernst-Ausdruck für
die Bruttoreaktion
 Cu + 2 H+
Cu2+ + H2 
E  E 
RT [Cu 2 ]
ln
 E
2 F [H  ]2
75
U
Diaphragma
H2
101.3 kPa
Cu
Pt
KCl
Lösung
[H+]
1M
NHE
[Cu2+]
1M
Vergleichs-Halbzelle
Weil aber E 0H /H  0 V ist E 0  E 0Cu 2 /Cu . Auf diese Weise lassen sich beliebige
2
Redoxgleichgewichte vermessen. Auch Systeme ohne feste Metallkomponenten sind
zugänglich. Fe3+/Fe2+ können mittels einer Pt-Elektrode gemessen werden. Erforderlich ist
[Fe3+] = [Fe2+] = [H+] = 1 M in der Halbzelle. Man kann sich die Abtastung durch das Pt so
vorstellen, dass die Elektronen beim Austausch zwischen Fe3+ und Fe2+ zum Teil über das
Metall transferiert werden und die Elektrode so die Ladungen „fühlt“. Die Sammlung der
Potentiale bei Standardbedingungen wird „Elektrochemische Spannungsreihe“ genannt. Die
offizielle Bezeichnung der Potentiale selbst ist „Standard-Elektrodenpotential“. Ältere
sinngemässe Bezeichnungen sind „Normalpotential“und „Standard-Reduktionspotential“.
Alle diese Potentiale sind der Reduktionsreaktion der Halbzelle zugeordnet:
 Red
Ox + n e– 
Es gibt ältere Tabellen mit Standard-Oxidationspotentialen, diese haben einfach das inverse
Vorzeichen. Die Bezeichnung „Redoxpotential“ ist unsinnig und wird oft in der Biochemie
verwendet. Gemeint sind in der Regel Standard-Elektrodenpotentiale. Für das Daniell-
76
Element findet man E 0Cu 2 /Cu  0.34 V und E 0Zn 2 / Zn  0.76 V . Somit beträgt
ΔE° = 0.34 V - (–0.76 V) = 1.10 V, falls die Konzentrationen 1 M sind.
E
+0.34 V
0.000 V
+ 1.10 V
- 0.76 V
Für andere Konzentrationen muss man
E  E 0Cu 2+ /Cu  E 0Zn 2+ /Zn 
RT [Cu 2 ]
ln
2 F [Zn 2 ]
mit der Nernst-Gleichung rechnen. Nernst-Gleichungen kann man auch für Halbzellen
schreiben und sie nachher zu den Gesamtzellen durch Differenzbildung kombinieren. Für die
NHE lautet die Gleichung
E  E 0H+ /H 
2
RT [H + ]2
ln
2F
pH2
in der konventionellen Richtung der Reduktion. In dieser Schreibweise steht im
konzentrationsabhängigen Term die oxidierte Form immer im Zähler und die reduzierte im
Nenner. Eventuelle „Hilfsreagenzien“ wie H+ oder OH– müssen ebenfalls in der Gleichung
stehen, sie beeinflussen das Potential erheblich. H2O wird nicht notiert, seine
Überschusskonzentration ist stets so hoch, dass es in die Konstanten integriert wird (hier in
E°). Das gilt nicht in nichtwässriger Lösung, in der früher erwähnten Karl-Fischer Reaktion
von SO2 zu SO3 in methanolischer Lösung als Beispiel ist H2O natürlich ein limitierender
Faktor.
Alternative Referenzsysteme
Die Wahrscheinlichkeit, dass man in seinem Chemikerleben eine leibhaftige NHE zu Gesicht
bekommt, ist recht klein. Trotzdem kann man ab und zu in Verlegenheit kommen, ein
77
Potential zu messen. Dazu verwendet man ein „Referenzelektrode“ als zweite Halbzelle.
Diese zeichnet sich dadurch aus, dass sie unter auch misslichen Umständen i.A. ein stabiles
Potential relativ zur NHE aufweist. Es existierten einige Varianten, doch unter diesen hat sich
die Silber/Silberchlorid-Elektrode klar durchgesetzt und ist für wässrige Lösung praktisch
alleine gebräuchlich. Für Messungen in organischen Lösungsmitteln verwendet man das
Ferrocenium/Ferrocen System Fe(cp)2+/Fe(cp)2 mit Pt-Abgriff.
Die Silber/Silberchlorid-Elektrode (Ag/AgCl) beruht auf dem Löslichkeitsprodukt des AgCl,
das die [Ag+] über einen weiten Bereich von Bedingungen fast konstant hält. Das AusgangsRedoxpaar ist
 Ag
Ag+ + e– 
E 0Ag /Ag  0.800 V
Mit K so (AgCl)  [Ag  ][Cl ]  1010 M 2 kann man [Ag+] in der Nernst-Gleichung
substituieren: E  E 0Ag+ /Ag 
RT
ln[Ag  ]
F
→
E  E 0Ag+ /Ag 
K
RT
ln so
[Cl ]
F
Wenn man [Cl–] konstant macht, indem man gesättigte KCl (ca. 3 M) verwendet, hat man ein
äusserst stabiles Potential von +0.200 V. Schema:
Ag | AgCl | KCl ||
Eine ältere, in der Literatur noch oft zu findende Referenzhalbzelle ist die so genannte
Kalomel-Elektrode. Kalomel ist Hg2Cl2, ein schwerlösliches Salz des Hg22+ Ions. „Kalomel“
heisst „schönes Schwarz“, obwohl der frisch hergestellte Stoff rein weiss ist. Licht oder Alkali
lösen aber eine Disproportionierungsreaktion aus:
Hg2Cl2
→
Hg + HgCl2
Weil das Quecksilber dabei fein verteilt abgeschieden wird, erscheint die Substanz dann
schwarz. Das AgCl der Silber/Silberchlorid-Elektrode unterliegt ebenfalls der Photolyse,
womit die Packung der Elektrode nach einiger Zeit braun erscheint, weil Ag ausgeschieden
wird. In beiden Fällen wird die Funktion nicht beeinträchtigt, weil die Umsetzung durch Licht
nur an der Oberfläche geschieht. Der grösste Teil der Masse bleibt immer noch das
potentialbestimmende Metallsalz. Die Kalomel-Elektrode wird beschrieben als
Pt | Hg | Hg2Cl2 | KCl ||
Ein Pt-Draht taucht in flüssiges Hg-Metall, das mit einer KCl-Lösung (gesättigt), die die
Hg2Cl2-Suspension enthält, kontaktiert ist. Im Gegensatz zur Ag/AgCl-Elektrode gibt es hier
2 Flüssigkeiten, was die Handlichkeit einschränkt.
78
Anwendung der Nernst-Gleichung
Mit Hilfe der Nernst-Gleichung und den tabellierten Werten der Spannungsreihe können wir,
wenn wir auch die Konzentrationen im Elektrolyten kennen, die zu erwartende Spannung des
galvanischen Elements einer Kombination von Halbzellen berechnen. Sei
E1  E10 
RT [Ox1 ]
ln
nF [Red1 ]
und
E 2  E 02 
RT [Ox 2 ]
ln
mF [Red 2 ]
Falls n ≠ m muss das kleinste gemeinsame Vielfache k = a•n = b•m bestimmt werden. Daraus
folgt
b
RT  [Ox 2 ]  
E2  E 
ln 
 
kF  [Red 2 ]  


a
RT  [Ox1 ]  
E1  E 
ln 
  und
kF  [Red1 ]  


0
1
ΔE = E1 – E2 für
Daraus folgt
0
2
Ox1 + ne–
→
Red1
und
Red2
somit
→
Ox2 + me–
a
 [Ox ] b  
RT   [Ox1 ]  
2
 ln 
E  E1  E 2  E  E 
   ln 
 
kF   [Red1 ]  
[Red
]  

2




 
0
1
0
2
Zusammengefasst
a
b
RT  [Ox1 ]   [Red 2 ]  
E  E  E 
ln 
 
 
kF  [Red1 ]   [Ox 2 ]  


mit
 [Ox ] a  [Red ]  b 
1
2
G  kF E  kF (E  E )  RT ln 
 
 
[Red
]
[Ox

1  
2]  

0
1
0
2
0
1
0
2
Wir können also die Spannung ΔE genauso wie die Gibbs-Energie der Reaktion auf diese
Weise berechnen. Die oben stehende Formulierung bezieht sich auf die Annahme, dass
Reaktion 1 die erwartete Reduktion repräsentiert und Reaktion 2 die erwartete Oxidation. Ist
ΔE positiv, und somit ΔG negativ, wird die Reaktion spontan ablaufen. Bei umgekehrten
Vorzeichen läuft die Reaktion rückwärts, bei ΔE = 0 V herrscht Gleichgewicht und es tritt
keine Reaktion ein.
Wir können auch Potentiale berechnen, die wir nicht messen können, Beispiel:
Bekannt sind
Fe3+ + 3e–
→
Fe
Fe2+ + 2e–
→
Fe
E 0Fe2+ /Fe  0.44 V
Fe3+ + e–
→
Fe2+
E 0Fe3+ /Fe2  0.77 V
Wir erinnern uns, dass E 0 
1
RT
1
[Fe 2 ]
,

und K3  3
K
ln K . K1 
2
2
3
[Fe ]
[Fe ]
[Fe ]
nF
79
Damit ist K 3  K1 K 2 und ln K 3  ln K1  ln K 2 .
E 0Fe3+ /Fe 
0
0
RT
RT
RT  2 FE Fe2+ /Fe FE Fe3+ /Fe2
ln K 3 

 ln K1  ln K 2   
3F
3F
3F  RT
RT



Zusammengefasst
E
0
Fe3+ /Fe

2E 0Fe2+ /Fe  E 0Fe3+ /Fe2
3

2(0.44 V)  (0.77 V) 0.11V

 0.037 V
3
3
Konzentrationszellen
Es braucht nicht unbedingt 2 verschiedene Stoffe, um eine Potentialdifferenz zu erzeugen.
Konzentrationsunterschiede genügen. Wir betrachten folgende Anordnung:
U
Diaphragma
Cu
Cu
KCl
Lösung
[Cu2+]
1M
Hohe Konzentration
[Cu2+]
0.01 M
Tiefe Konzentration
Hier erhält man für die Zellspannung
80
E 
RT
RT
RT [Cu 2 ]links
, weil E° natürlich gleich ist.
ln[Cu 2 ]links 
ln[Cu 2 ]rechts 
ln
2F
2F
2 F [Cu 2 ]rechts
Dennoch ergibt sich ein messbarer Wert von ca. 0.06 V bei Raumtemperatur bei den
angegebenen Konzentrationen.
Die wohl bekannteste Konzentrationszelle ist die Glaselektrode. Glas ist eigentlich ein
Isolator, wie kann man da eine Elektrode herstellen? Nun, es muss bei einer
potentiometrischen Messung ja kein Strom fliessen, eine Ungleichverteilung von Ladungen
genügt. Glas ist ein Na-Ca Silikat und besitzt damit Ionen austauschende Gruppen. Am besten
bindet Glas H+, ansonsten aber auch Na+ und K+.
Oberfläche
-
OH
O
Si
Si
O
Si
Si
O
O
O
O
O
Si
-
Si
Si
O
O
O
O
OH2
Si
O
O
+
OH
O
O
Si
Si
Inneres
Die Si-O– Gruppen an der Glasoberfläche können mit H+, Na+ oder gar 2 H+ belegt sein. Ist
die kontaktierende Lösung sauer, so nimmt die Zahl der doppelt mit H+ belegten Funktionen
zu, es baut sich eine schwache positive Ladung auf. In Kontakt mit alkalischer Lösung wird
die Oberfläche deprotoniert, die äussere Ladungsneutralität wird nur durch lose gebundene
Alkali-Ionen hergestellt. Wenn man eine dünnwandige Glaskugel (Wandstärke 0.2-0.4 mm)
verwendet, kann man über die Glaswand eine Potentialdifferenz erzeugen, falls innere und
äussere Lösung verschiedene pH-Werte besitzen. Diese Differenz ist sehr stabil, weil das Glas
eben gerade nicht gut leitet. Der Aufbau wird vervollständigt durch eine Ableitelektrode, die
eine galvanische Halbzelle sein muss. Meist wird eine Ag/AgCl-Elektrode eingesetzt. Die
Abbildung 21.9. im Lehrbuch ist irreführend, man kann nicht einfach einen namenlosen Draht
in die Innenlösung stecken.
Das Schaltschema ist
Ag | AgCl | 3 M KCl, 10-7 M H+ | Glas | unbekannte [H+] || 3 M KCl | AgCl | Ag
Das Potential der Kette ist, weil abgesehen von der Glasmembran zwei identische Halbzellen
gegeneinander geschaltet sind,
81
E
RT [H  ]aussen
ln 
[H ]innen
F
Weil [H+]innen konstant gehalten wird durch die Pufferfüllung, ist das Potential nur noch von
[H+]aussen abhängig. Bei äusserem pH = 7 sollte das System E = 0 V anzeigen.
U
Ag
Ag
KCl 3 M
Puffer pH=7
KCl 3 M
AgCl
Messlösung
Diaphragma
Wenn wir also eine Säure-Base Reaktion mit der Glaselektrode verfolgen (d.h. kontinuierlich
E  ln[H  ] messen), benutzen wir eine elektrochemische Konzentrationszelle. Dies
funktioniert auch mit andern Elektroden. Mit einer Ag-Elektrode kann man [Ag+] verfolgen,
mit einer Pt-Elektrode homogene Redoxsysteme wie Fe3+/Fe2+. Dabei muss man allerdings
darauf achten, dass immer ein Redoxpaar dominiert, weil die Pt-Elektrode nicht diskriminiert
(ausser für Pt enthaltende Spezies, was kein häufiger Fall sein wird). Die Verfolgung der
[Ag+] mit Hilfe einer Ag-Draht-Elektrode wird häufig bei Fällungstitrationen mit Ag+
durchgeführt.
82
Glaselektrode
Kombinierte
Glaselektrode
Ableitelektrode:
Meist Ag/AgCl
3 M KCl
Glasmembrane:
Austauscher für
+
+
+
Na /K und H
Porzellanfritte
+
[H ]
innen
Puffer pH = 7
mit 3 M KCl
+
[H ]
innen
+
[H ]
+
+
aussen
Äussere Ableitelektrode:
Meist Ag/AgCl
+ +
+
+ + +
++
+
++++
+ +
+
+
+ +
+
+ +++ + +
+
+
+
+=H
+
Bei der kombinierten Glaselektrode ist die zweite elektrochemische Halbzelle, die Referenzelektrode, schon enthalten. Meistens ist sie in einem
Mantelgefäss um den eigentlichen Elektrodenschaft eingebaut und
enthält eine Ag/AgCl Elektrode in 3M KCl. Der Kontakt der Referenzelektode zur Messlösung wird durch eine poröse Porzellanfritte
knapp oberhalb der Glaskugel hergestellt.
Elektrolyse und Elektrodenpotential
Man könnte in Versuchung kommen und behaupten, mit der Messung von StandardElektrodenpotentialen und der Verwendung der Nernst-Gleichung liesse sich der Ablauf einer
Elektrolyse vorhersagen. Es kann funktionieren, ist aber nicht die Regel. Der Grund dafür
sind die Mechanismen und Kinetik der Elektrodenreaktionen, die bei der Potentialmessung
überhaupt nicht berücksichtigt werden, weil man die Reaktionen nicht wirklich ablaufen lässt.
Beispiel von früher: Wenn wir NaCl-Lösung elektrolysieren, entsteht an der Anode Chlor statt
Sauerstoff, obwohl
83
E 0O2 /H2O  1.23V
und
E 0Cl
2 /Cl

 1.36 V
Der Aufbau von O2 aus H2O ist mechanistisch komplexer als die Bildung von Cl2 aus Cl–,
deshalb „gewinnt“ der thermodynamisch anspruchsvollere Prozess das kinetische Rennen.
Die Regel, dass Abläufe mit weniger Schritten schneller sind, ist intuitiv einsichtig und mit
wenigen Ausnahmen für vergleichbare Reaktionen gültig. Auch wenn keine konkurrierenden
Systeme für eine Reaktion vorliegen, benötigt man oft eine grosse Überspannung η gegenüber
dem Gleichgewichtspotential, um eine Reaktion mit feststellbarer Geschwindigkeit
voranzutreiben. Einen bedeutenden Einfluss übt auch das Elektrodenmaterial aus. Reaktionen
zwischen gelösten Metallionen und der elementaren Metallelektrode haben eine niedere
Aktivierungsenergie, brauchen wenig Überspannung. Das gilt aber nur beschränkt für
Metalle, die sich an der Luft mit einer Oxidschicht überziehen, und das sind alle, deren
Standard-Elektrodenpotentiale etwa gleich dem des Kupfers oder negativer sind. Die
isolierende Oxidschicht wirkt als Reaktionsbarriere und verlangt das Anlegen einer
Überspannung zum Treiben der Reaktion.
Kommerzielle galvanische Zellen
Brennstoffzelle
H2
→
2 H+ + 2 e–
O2 + 4 H+ + 4 e–
→
2 H2O
84
Leclanché-Element
Zn
→
Zn2+ + 2 e–
2 MnO2 + 2 NH4+ + 2 e–
→
Mn2O3•H2O + 2 NH3
Jerry Crimson Mann & Andel Früh 2006
Li-Ionen Akkumulator
Li(Cgraphit)
→
Li+ + e– + Cgraphit
Li1-nCoO2 + n Li+ + n e–
→
LiCoO2
Cepheiden 2008
Es existieren weitere Typen mit andern Metalloxiden als Li+ Akzeptor.
85
Redox-Diagramme
Um eine Übersicht über die Oxidationszahlen von durch Redoxreaktionen ineinander
überführbaren Ionen oder Molekülen zu erhalten, wurden graphische Darstellungen
eingeführt. Die ältere und einfachere Version stammt von W. M. Latimer. Dabei werden die
Spezies nach sinkender Oxidationszahl von links nach rechts geordnet und durch Pfeile, über
denen das Standard-Elektrodenpotential der entsprechenden Halbzelle geschrieben wird,
verbunden.
Beispiel: O2, HO2, H2O2, H2O, Standardbedingungen:
0.70 V
0.13V
1.51V
1.78V
O 2  HO 2 
 H 2 O 2 
 H 2O
1.23 V
O3 kann nicht hier einbezogen werden, weil es eine andere Form des elementaren Zustands
von Sauerstoff ist. Weiteres Beispiel: Mangan, Standardbedingungen:
1.23 V
1.54V
1.185V
MnO 
 MnO 
 MnO 2 
 Mn 3 
 Mn 2 
 Mn

4
0.56V
2
4
2.09V
0.95V
1.51 V
Um mehr Information unmittelbar sichtbar zu machen, muss man eine zweidimensionale
Version verwenden. Die gebräuchlichste Version ist das Diagramm nach A. A. Frost. Dabei
bezeichnet die Abszisse die Oxidationszahl und die Ordinate die Gibbs-Energie ΔG der
Reaktion, oder nE, da dieser Ausdruck zu ΔG proportional ist. Ausgehend vom Element an
der Position 0 wird der entsprechende Wert nE° schrittweise als Differenz mit Vorzeichen
aufgetragen. Im Folgenden das Frost-Diagramm von Mangan, Standardbedingungen:
6
MnO4(-)
5
HMnO4(-)
4
3
nE°
2
1
Mn
0
MnO2
-1
Mn(3+)
-2
Mn(2+)
-3
0
1
2
3
4
5
6
7
8
z
86
Die Steigung der Verbindungslinie zwischen zwei Oxidationszahlen ist dann E° der Reaktion.
Das gilt auch für nicht benachbarte Spezies, man kann also die Elektrodenpotentiale nicht
gemessener Reaktionen graphisch schätzen, statt wie oben gezeigt, berechnen. In einem FrostDiagramm ist sofort ersichtlich, welches die thermodynamisch stabilste Spezies des Elements
ist. Im Falle von Mangan ist das Mn2+. Ebenso kann man die Möglichkeit zur
Disproportionierung ablesen: Liegt ein Punkt über der Verbindungslinie seiner beiden
Nachbarn, so neigt die zugeordnete Spezies zum Zerfall in diese beiden Nachbarn. Bei
Mangan ist dies der Fall für Mn3+ und HMnO4−, was auch den Beobachtungen entspricht.
Das nächste Diagramm zeigt die Redoxverhältnisse für chlorhaltige Oxido-Spezies und
Chlorid unter Standardbedingungen. Cl− ist die stabilste Form, was bei der Elektronegativität
des Chlors nicht verwundert. Die einzige zur Disproportionierung neigende Spezies ist
HClO2, was auch den Beobachtungen entspricht.
11
10
HClO4
9
8
HClO3
7
6
5
nE°
HClO2
4
3
2
HClO
1
Cl2
0
-1
Cl(-)
-2
-2
-1
0
1
2
3
4
5
6
7
8
z
Frost-Diagramme können auch für Elektrodenpotentiale, die sich nicht auf
Standardbedingungen beziehen, erstellt werden, jedoch müssen alle eingetragenen Potentiale
denselben Bedingungen entsprechen.
87
Komplexchemie (Koordinationschemie)
Um 1893 gelang es Alfred Werner an der Universität Zürich, eine Erklärung zu finden,
warum eine bekannte Verbindung der Zusammensetzung CoCl3•6NH3 stabil war, obwohl es
nie gelungen war, CoCl3 zu isolieren (Warum geht das nicht?). Die Schreibweise der stabilen
Verbindung ist analog zu der von Stoffen mit so genanntem Kristallwasser, wie z.B.
CrCl3•6H2O. Solche Verbindungen waren damals schon zuhauf bekannt, doch niemand
konnte sich den Grund für die Präsenz des H2O bzw. NH3 vorstellen. Werner fand auch ein
Paar von Verbindungen der Zusammensetzung CoCl3•4NH3, von denen eine grün und die
andere violett ist. Da CoCl3•6NH3 nicht zerfiel, postulierte Werner, dass das Co3+ durch NH3Moleküle vor den Cl– Ionen abgeschirmt wird, sie das Metall einhüllen. Die einfachste
Anordnung von 6 Molekülen um ein Atom ist das Oktaeder mit je einem Molekül an den
Ecken:
NH3
NH3
NH3
3+
Co
NH3
NH3
NH3
Mit diesem Ansatz konnte er zwanglos auch die beiden verschiedenfarbigen CoCl3•4NH3
erklären:
NH3
Cl
NH3
Cl
3+
-
NH3
3+
Co
NH3
cis
NH3
Co
Cl
NH3
-
-
NH3
NH3
Cl
-
trans
Demnach handelt es sich um 2 Strukturisomere. Werners Ideen wurden vielfach bestätigt, und
die Art der Bindung wurde später durch Lewis erklärt: Es handelt sich um Säure-Base
Verbindungen, wobei das Metall in der Regel als Säure auftritt und die daran gebundenen
Moleküle und Ionen als Basen. Werner nannte diese Gruppen Liganden, was immer noch
gebräuchlich ist.
88
Werners Analysemethoden
Die Methoden, die Alfred Werner zur Erkenntnis führten, dass es Komplexe gibt, sind noch
heute gebräuchlich, allerdings nicht zur Strukturbestimmung. Die heute üblichen
spektroskopischen Untersuchungsmethoden waren damals unbekannt. Er benutzte
Leitfähigkeitsmessungen und Titrationstechniken zur Festlegung stöchiometrischer
Zusammenhänge, und die elementare Zusammensetzung konnte damals schon recht genau
durch Pyrolyse- und Verbrennungstechniken bestimmt werden. Dabei wurden die
Zersetzungsgase aufgefangen und quantitativ gemessen, eine Technik, die schon die
Lavoisiers perfektioniert hatten (und heute noch benutzt wird). Den Metallgehalt erhielt man
meist mit gravimetrischen Methoden, indem man das Metall nach Zersetzung der Verbindung
in eine bekannte Form, z.B. ein Oxid oder Sulfat überführte und dessen Masse genau
bestimmte.
Man muss hier anmerken, dass Werner in erster Linie so genannt kinetisch inerte Komplexe
studierte. Das war keine Absicht, aber auch kein Zufall. Die viel zahlreicheren kinetisch
labilen Komplexe lassen sich meist nicht in der Form, in der sie in Lösung vorliegen, als
Festkörper isolieren. Die kinetisch inerten Komplexe zerfallen ähnlich langsam wie
organische Moleküle, also kann man klar zwischen koordinierten Molekülen und Ionen und
solchen, die zur Erhaltung der Elektroneutralität vorhanden sind, unterscheiden. Jene
dissoziieren in der Lösung und können durch geeignete Reaktionen der qualitativen Analytik
direkt nachgewiesen werden, die am Metallion gebundenen hingegen nicht. Ausserdem kann
man diese Gegenionen zum Komplex titrieren, sofern eine geeignete Reaktion existiert, die
nicht durch den inerten Komplex gestört wird. Durch Messung der Aequivalentleitfähigkeit
(Leitfähigkeit pro Konzentrationseinheit) kann man alternativ erkennen, wie viele dissoziierte
Ionen vorliegen. Anhand der Feststellung, dass bei gleicher Zusammensetzung verschiedene
Farben auftreten können, schloss Werner auf das Vorhandensein von Isomeren. Man könnte
also behaupten, Werner habe „Spektroskopie“ im rudimentären Sinn eingesetzt.
Vorkommen von Metallkomplexen und Funktion
Metallkomplexe kommen an vielen Orten vor: In Mineralien, im Oberflächen- und
Grundwasser, in Organismen, und selbstverständlich in Gewerbe und Industrie. Am seltensten
sind sie in der Atmosphäre, es gibt wenige flüchtige Verbindungen dieser Art. Ebenso
89
vielfältig ist ihre Funktion: In Mineralien sind sie strukturbestimmende Bestandteile, im
Wasser sind sie schlicht die Formen, in denen Metallionen darin überhaupt existieren, in
Organismen sind sie Zentren in Katalysatorfunktionen (Enzyme). In der Technik dienen sie
ebenfalls als Katalysatoren, als Farbpigmente und vieles Andere.
Das Leben benötigt Kohlenstoff, Licht und Wasser. Ohne Metallkomplexe würde jedoch nicht
viel laufen: Die essentiellen Prozesse der Photosynthese und Zellatmung beruhen alle auf
Metallkomplexen, neben Tausenden von weiteren biochemischen Prozessen.
Bindungen in Komplexen
Das Auffälligste an den Metallkomplexen ist die in der Regel grosse Zahl von Bindungen an
einem zentralen Atom. Alfred Werner selbst hatte noch kein Modell dafür, die Geometrie der
Verbindungen bestimmte er nur über die von ihm so bezeichnete Koordinationszahl, das ist
die Zahl der unmittelbar am Metall gebundenen Liganden. Er argumentierte völlig korrekt,
dass sich die Liganden aus energetischen Gründen in eine Anordnung geringster
Raumforderung und Abstossung begeben würden. Für 6 Liganden ist das ein Oktaeder, für 4
ein Tetraeder. Ausserdem kennt man Komplexe mit 2 und 5 Liganden sowie 7-12 Liganden
bei sehr grossen Metallatomen. Eher selten ist die Koordinationszahl 3. Bei der
Koordinationszahl 4 wurden auch Strukturen gefunden, die quadratisch planar sind. Bei
näherer Betrachtung stellt sich bei diesen heraus, dass sie eigentlich Oktaeder sind, die auf
einer Achse keine oder nur sehr lose gebundene Liganden tragen.
Häufige Komplexformen mit je einem Beispiel:
5
2
[AgCl2]¯
Fe(CO)5
3
[HgI3]¯
[SnCl3]¯
4
6
[Co(NH3)6]3+
[Zn(NH3)4]2+
[Ni(CN)4]2¯
90
Die elektronische Natur der Metall-Ligand Bindung wurde bald als Interaktion von
nichtbindenden Elektronenpaaren der Liganden mit den an Elektronen defizitären
Metallzentren erkannt, i.a. fehlen ihnen zumindest die s- und p-Elektronen der Valenzschale,
und oft noch ein Teil der d-Elektronen der nächst tieferen Schale. Es gibt zwar Komplexe mit
tiefen Oxidationsstufen von Metallen, aber nur mit sehr speziellen Liganden und nicht in
Lösungsmitteln, die selbst als Liganden auftreten können. Eine Besonderheit ist auch das
gelegentliche Auftreten von C=C Doppelbindungen als Liganden anstelle von Atomen mit
nichtbindenden Elektronenpaaren. Wir kennen solche Bindungen schon von früher, sie
entsprechen dem Säure-Base Konzept von G. N. Lewis. Der Unterschied zu damals besteht
darin, dass der Elektronenpaar-Akzeptor, das Metall, mehrere Elektronenpaar-Donoren, also
Basen bzw. Liganden, binden kann. Tatsächlich binden die meisten Liganden auch H+.
Damit lassen sich die Bindungsverhältnisse mit dem VSEPR-Modell meist korrekt behandeln
wie bei kovalenten Verbindungen, obwohl die Bindungen selbst oft eher ionischen Charakter
besitzen. Je nach Koordinationszahl und Zahl der d-Elektronen sieht die Besetzung etwas
anders aus. Auf jeden Fall besetzen Ligand-Elektronenpaare zuerst die 4s- und 4p-Zustände
(bis zu 8 e−) im Metall (der 4. Periode), bevor weitere Elektronen in die 3d-Zustände gehen.
Sind die 3d-Zustände im Metall schon besetzt, so wird Besetzung der 4d-Zustände
angenommen. Das ist eher etwas unrealistisch, solche Komplexe haben ziemlich ionischen
Charakter.
Ti
3d
4s
4p
4d
3d
4s
4p
4d
3d
4s
4p
4d
3d
4s
4p
4d
3d
4s
4p
4d
Ti3+(H2O)6
FeCl4-
CoF63-
Co(NH3)63+
Metall-Elektronen
Donor-Elektronenpaare
91
LCAO-MO-Modell der Bindung in oktaedrischen, tetraedrischen und quadratisch-planaren
Komplexen: Wir kombinieren 4 oder 6 Ligandorbitale, i.a. vom s- oder σ-Typ, mit den 4sund 4p- Orbitalen des Metalls (aus der 4. Periode). Die 3d-Elektronen tragen normalerweise
nicht viel zum bindenden Anteil bei, die Bindungselektronen stammen, wie bei der normalen
Säure-Base Reaktion, ausschliesslich vom Donor (Base). Es existiert allerdings eine
Interaktion zwischen den d-Orbitalen, die auf die Donororbitale ausgerichtet sind. Diese ist
antibindender Art, die betreffenden d-Orbitale werden energetisch angehoben. Im Falle von
Koordinationszahl 6 sind dies im selben Ausmass das d x2  y 2 und das d z 2 Orbital. Im Falle des
quadratisch-planaren Komplexes ist es hauptsächlich das d x2  y 2 Orbital und weniger das
d z 2 Orbital. Bei Koordinationszahl 4 und tetraedrischer Geometrie werden die d xy , d xz und
d yz Orbitale energetisch ungünstig, dafür d x2  y 2 und d z 2 nicht. Nebenstehend ist das MOSchema eines
rel. Energie
symmetrischen
oktaedrischen Komplexes
dargestellt, die bindenden
4p
4s
Orbitale sind energetisch
3d
näher den LigandLiganden-MOs
Donororbitalen. Die
Energie der d-Elektronen
wird charakteristisch
aufgeteilt in drei
nichtbindende und zwei
schwach antibindende Zustände, wie vorgehend beschrieben. Das nächste Schema zeigt den
quadratisch planaren Fall,
wo nur noch 4
rel. Energie
Ligandorbitale beteiligt
sind, was strenggenommen
4p
4s
nicht korrekt ist, weil es
3d
sich um gestreckte
Liganden-MOs
Oktaeder handelt. Eine
tiefer gehende Behandlung
würde den Rahmen der
Basisvorlesung sprengen.
92
Detaillierte Betrachtungen sind späteren Spezialvorlesungen vorbehalten. Mit 4 Liganden und
tetraedrischer Geometrie
rel. Energie
sieht das MO-Schema
nochmals anders aus, wie
links gezeigt. Hier kehrt
4p
4s
sich die energetische
3d
Verteilung der dLiganden-MOs
Funktionen um, aus den
Gründen, die schon weiter
oben dargelegt wurden.
Die energetische
Verschiebung der d-
Elektronen hat wenig Einfluss auf die Ligandbindungsstärke, jedoch auf physikalische
Eigenschaften des Komplexes und sein reaktionskinetisches Verhalten.
Ligandfeld-Aufspaltung
Wie schon oben erwähnt, wird unter dem Einfluss der Donor-Elektronen der Liganden die
Energie der d-Zustände im Metall verändert. Die Liganden werden einerseits vom
Metallzentrum elektrostatisch angezogen, andererseits stossen sie sich mit der
Elektronendichte der d-Zustände ab. Besetzung dieser Zustände, wenn die Orbitalgeometrie
Vorzugsrichtungen auf die Bindungsachsen der Donoren aufweist, vermindert die Stabilität
des Systems. Das Phänomen wird Ligandfeldaufspaltung der d-Energien genannt. In einem
symmetrischen oktaedrischen Komplex wird der entstandene Energieunterschied Δo genannt,
in einem symmetrischen tetraedrischen System Δt. In der Regel ist Δo > Δt, weil 6 Liganden
ein stärkeres elektrisches Feld erzeugen als 4. Wenn Δo grösser wird als die Energie, die es
kostet, zwei Elektronen mit antiparallelem Spin in einem Energiezustand unterzubringen
(Spin-Paarungsenergie), dann werden die d-Elektronen so weit wie möglich gepaart. Dadurch
verschwindet das magnetische Moment des Spins dieser Elektronen, und das gesamte
magnetische Moment des Metalls nimmt ab. Sind alle d-Elektronen gepaart, ist das Metall
diamagnetisch. Komplexe mit maximal gepaarten d-Elektronen nennt man low-spin, solche
mit maximal ungepaarten high-spin. Unterschiedliche Aufspaltung Δo hat noch weitere
Folgen: Obwohl die Absorption eines Lichtquants (Photons) durch einen Übergang eines
Elektrons von einem d-Zustand zu einem andern d-Zustand quantenmechanisch verboten ist,
93
weil sich die Symmetrie des Elektronenzustands
nicht ändert, gibt es eine Restwahrscheinlichkeit
o < Ep
high spin
o
dafür. Der Grund dafür sind geringe
Abweichungen von der perfekten oktaederischen
Form. Deshalb wird dennoch etwas Licht von
spezifischer Wellenlänge absorbiert, was den
Übergangsmetallkomplexen ihre
charakteristischen, aber nicht allzu kräftigen
o
o > Ep
low spin
Farben verleiht. Das gilt auch für quadratischplanare und tetraedrische Komplexe. Ein noch
stärkeres Verbot betrifft die Spinumkehr bei der
Anregung von Elektronen. Bei einer d5-high spin
Konfiguration können deshalb keine Übergänge stattfinden, diese Ionen sind farblos.
h
h
d6 high spin
d5 high spin
Die d3 Konfiguration und die d6 low spin Konfiguration zeigen aufgrund ihrer hohen
Symmetrie eine bemerkenswerte Trägheit bei Austauschreaktionen von Liganden. Um einen
Liganden austreten und einen neuen eintreten zu lassen, müsste die hohe Symmetrie
kurzfristig aufgehoben werden. Dies geschieht nur selten, also ist die Reaktionsrate gering.
Diese Art Komplexe nennt man, wie schon erwähnt, kinetisch inert. Alfred Werners erste
Studienobjekte waren die d6 low spin Komplexe von CoIII.
d3
d6 low spin
Die Grösse von Δo und Δt hängt wesentlich von der Donorstärke der Liganden ab. Je stärkere
Lewisbasen sie sind, desto grösser wird die Aufspaltung der d-Energien. Grosse Aufspaltung
bedeutet dann Lichtabsorption bei kurzen Wellenlängen, weil viel Energie zur Anregung
94
benötigt wird. Es bedeutet auch Tendenz zu low spin Systemen, weil die Stabilisierung der
Bindung die Paarung der Elektronen erlaubt.
Reaktionen von Komplexen
Metallkomplexe gehen in erster Linie zwei Arten von Reaktionen ein:
Ligandaustauschreaktionen, die man auch als Lewis Säure-Base Reaktionen auffassen kann,
und Redoxreaktionen, die vor allem das Metallion betreffen.
[Cu(H2O)6]2+ + 4 NH3
 [Cu(NH3)4]2+ + 6 H2O

Ligandaustausch
2 [Fe(CN)6]4– + Br2
 2 [Fe(CN)6]3– + 2 Br–

Redoxreaktion
Komplexgleichgewichte
Weil es sich bei Lewis Säure-Base Reaktionen immer um Gleichgewichte handelt, können wir
im Zusammenhang mit Komplexbildungsreaktionen und damit gekoppelten Vorgängen
wieder das Massenwirkungsgesetz anwenden. Die „Komplexbildung“ selbst ist eigentlich
eine Ligandaustauschreaktion. Geht ein festes Metallsalz in Lösung, so tritt das Metallkation
tatsächlich aus einem Komplex mit den Anionen (oder dem Kristallwasser) im Kristall über in
einen Komplex mit Lösungsmittelmolekülen. Gibt man dann zur Lösung einen Donor stärker
als das Lösungsmittel, wird dieses ausgetauscht und wir haben die „Komplexbildung“, wie sie
üblicherweise gemeint ist. Alle Komplexbildungen sind Stufenreaktionen, sofern mehr als ein
Ligand gebunden wird. Beispiel: Ein Metallion M2+ liegt hydratisiert vor und tauscht bei der
Zugabe des Liganden L mit steigender Konzentration das H2O gegen den Liganden aus. Wir
nehmen Koordinationszahl 6 an.
[M(H2O)6]2+ + L


[ML(H2O)5]2+ + H2O
K1
[ML(H2O)5]2+ + L


[ML2(H2O)4]2+ + H2O
K2
[ML2(H2O)4]2+ + L


[ML3(H2O)3]2+ + H2O
K3
[ML3(H2O)3]2+ + L


[ML4(H2O)2]2+ + H2O
K4
[ML4(H2O)2]2+ + L


[ML5(H2O)]2+ + H2O
K5
[ML5(H2O)]2+ + L


[ML6]2+ + H2O
K6
Falls der Ligand L ein Anion ist, ändert sich natürlich fortlaufend die Ladung. Oft kann man
die einzelnen K nicht richtig bestimmen, sondern nur Bruttoreaktionen bis zu einer
95
bestimmten Stufe. Die Bruttobildungskonstante bis zu einer Komplexbildungsstufe n
berechnet sich zu  n  K1  K 2  K 3  K n , wie man einfach durch Kombinieren der zu den KWerten gehörigen Massenwirkungsgesetze herausfindet. Die Konstanten nehmen in der Regel
mit zunehmendem Koordinationsgrad ab.
Komplexbildungsgleichgewichte können mit andern Gleichgewichten gekoppelt sein. Typisch
ist das für die Protonierungsgleichgewichte der Liganden. Mit Säure kann man manchen
Komplex wieder zerlegen. Beispiel:
 [Cu(NH3)4]2+
Cu2+ + 4 NH3 
lg K1 =4.25; lg K2 =3.61; lg K3 =2.98; lg K4=2.24
lg β4 =13.1
 NH3 + H+

NH4+
lg Ka = -9
Setzt man das MWG für die Säuredissoziation in das Brutto-Komplexbildungsgleichgewicht
ein, erhält man  4 
4
[Cu(NH 3 ) 24 ][H  ]4
. Das kann man noch zu
[Cu 2 ][NH 4 ]4 K a4
K a4
[Cu(NH 3 ) 24 ]

  4' umschreiben und erhält das pH-abhängige β4’. Bei pH = 4
2
 4
 4
[H ] [Cu ][NH 4 ]
z.B. beträgt β4’ =   10
'
4
13.1
1036
 107.9 M 4 . Das bedeutet, dass bei diesem pH praktisch
M
16
10
4
kein Komplex existiert. Bei pH=9 sieht das anders aus,   10
'
4
13.1
1036
 1013.1 M 4 , der
M
36
10
4
Komplex ist voll ausgebildet.
Ein weiteres Beispiel demonstriert den Einfluss von Komplexbildungen auf
Elektrodenpotentiale. Das Standardelektrodenpotential für
Fe3+ + e–
 Fe2+

E 0Fe3 /Fe2  0.77 V
weist Fe3+ als Oxidationsmittel aus. Komplexiert man Fe3+ mit dem Citration, dem Anion der
Zitronensäure, so sieht das ganz anders aus. Fe3+ bindet ein Citration mit K1 = 1012.
K1 
[Fe(cit )  ][H  ]
[Fe(cit )  ][H  ]
12
3

10
wird
aufgelöst

und in die Nernstgleichung
[Fe
]
[Fe3 ][Hcit 3 ]
K1[Hcit 3 ]
eingesetzt: E = E 0Fe3 /Fe2 
E=E
0
Fe3 /Fe2
RT
[Fe(cit )  ][H  ]
Weil K1 eine Konstante ist, kann man
ln
F
K1[Hcit 3 ][Fe 2 ]
RT 1 RT [Fe(cit )  ][H  ]


separieren und ein neues E°’ definieren:
ln
ln
F
K1 F
[Hcit 3 ][Fe 2 ]
E 0' = E 0Fe3 /Fe2 
RT 1
 0.77 V  0.71V  0.06 V . Das Elektrodenpotential wird nahezu 0!
ln
F
K1
96
Wenn man dann noch einen hohen pH-Wert einstellt, kann man das Fe3+ in diesem Komplex
nur noch schlecht zu Fe2+ reduzieren, was beim Aqua-Ion kein Problem ist.
Auch Löslichkeitsprodukte werden beeinflusst. Kso(AgCl) = 10–10 M2 =[Ag+][Cl–], aber
 2 (AgCl2 )  105 M 2 
[AgCl2 ]
[Ag  ]
1
und
damit

. Man sieht, dass [Ag+]

 2

[AgCl2 ]  2 [Cl ]2
[Ag ][Cl ]
durch β2 und die [Cl–] abgesenkt werden, was bei genügend [Cl–] zur Unterschreitung des
Löslichkeitsprodukts führt, weil die Komplexbildung von [Cl–]2 abhängt, Kso aber nur linear.
Eine andere Darstellungsform dieses Sachverhalts zeigt die algebraische Umformung des
Komplexbildungs-MWG unter Separation des Ionenprodukts:
[AgCl2 ]
[Ag ][Cl ] 
 2 [Cl ]


Falls das Ionenprodukt links Kso überschreitet, findet Fällung statt. Unter hoher [Cl–] wird das
aber nicht der Fall sein, weil der Bruch rechts mit steigender [Cl–] immer kleiner wird.
[AgCl2–] ist begrenzt durch [Ag+]0, die totale Konzentration an Ag+, auch wenn immer mehr
Cl– zugefügt wird.
Spezielle Komplexformen
Rückbindung
Wenn ein Metallzentrum elektronenreich ist, was bei niedrigen Oxidatonszahlen gegeben ist,
so kann es bei bestimmten Liganden dazu kommen, dass das das Metall als Donor auftritt.
Das Donor-Orbital ist dann ein besetztes d-Orbital, das Akzeptor-Orbital kann ein π*-Orbital
oder ein unbesetztes d-Orbital eines Nichtmetalls der 3. oder höheren Periode sein. Es handelt
sich im zweiten Fall um ein ähnliches Phänomen wie die zu Beginn beschriebene
Hypervalenz in der Valenzbindungstheorie von Atomen in Perioden > 2. Ein typischer Ligand
mit π*-Rückbindung ist das Kohlenmonoxid CO, das Komplexe mit Übergangsmetallen der
Oxidationszahlen –I, 0, I und II bilden kann (Ni(CO)4, Fe(CO)5, Porphyrin-Fe(II)-CO, etc.).
Diese Bindungsart tritt in Ergänzung der σ-Donorbindung des Liganden auf, nicht allein.
97
C
CO -Orbital (p kombiniert mit p)
besetzt
O
Metall d-Orbital
besetzt
C
O
C
O
CO -Orbital (p kombiniert mit p)
unbesetzt
d -  Rückbindung
Mehrzähnige Liganden – Chelate
Metalle binden mehrere Liganden, das ist soweit klar. Wenn das Metall aber mehrere
Bindungsstellen hat, kann ein Ligand mit mehr als einer Lewis Base-Funktion und geeigneter
Struktur auch mehrere dieser Bindungsstellen besetzen, und es entstehen Ringstrukturen. Den
Verbindungstyp nennt man Chelat, von griech. chelè, was „Klaue“ oder „Krebsschere“
bedeutet, weil der Ligand das Metall wie mit einer Zange „packt“. Die Basen eines mehrfach
bindenden Liganden werden auch Zähne genannt, es wird von mehrzähnigen Liganden
gesprochen. Auffällig dabei ist, dass die Stabilität mit der Zahl der Zähne zunimmt. Das
scheint zwar intuitiv richtig zu sein, kann aber dennoch auf verschiedene Weise begründet
werden. Die der Intuition näher stehende Begründung besagt, dass es sehr unwahrscheinlich
ist, dass sich mehrere Zähne zugleich ablösen, wenn der Ligand einmal gebunden ist. Die
Komplexbildung verläuft nämlich, experimentell belegt, auch für solche Liganden
schrittweise, und deshalb auch die Dissoziation. Weil der Ligand sich nicht auf einmal lösen
kann, ist die Wahrscheinlichkeit der erneuten Bindung eines dissoziierten Zahns hoch, also
kann sich der gesamte Ligand schlecht aus der Koordinationssphäre lösen.
Die zweite Begründung stützt sich auf die Entropie-Änderung ΔS bei der Komplexbildung.
Die Entropiefunktion eines molekularen Systems hängt von den so genannten BewegungsFreiheitsgraden ab. Davon existieren translatorische, rotatorische und vibratorische
Freiheitsgrade. Jedes Molekül hat 3 translatorische (Bewegung im Raum) sowie 2-3
98
rotatorische Freiheitsgrade (linear oder dreidimensional). Dazu kommen noch 3n-6
vibratorische Freiheitsgrade (3n-5 bei linearen Molekülen), wobei n die Zahl der Atome des
Moleküls ist. Diese Bewegungs-Freiheitsgrade machen die Fähigkeit eines Stoffs, Energie zu
speichern, aus. Die physikalische Grösse, die dies ausdrückt, ist die Wärmekapazität
 dS 
cp  T 
 . Ein normaler 2-zähniger Ligand beispielsweise hat 3 translatorische und 3
 dT  p
rotatorische Freiheitsgrade sowie die vibratorischen. Wenn er koordiniert wird, treten 2
Lösungsmittelmoleküle aus, die bis zu diesem Zeitpunkt keine eigenen translatorischen und
rotatorischen Freiheitsgrade hatten. Für den Verlust von 3 rotatorischen und 3 translatorischen
Freiheitsgraden des neuen Liganden werden je 2 mal 3 rotatorische und translatorische
Freiheitsgrade erzeugt, die Gesamtzahl der Freiheitsgrade des Systems steigt und damit seine
Entropie. Die vibratorischen Freiheitsgrade bleiben mehr oder weniger erhalten, weil sie ein
intramolekulares Phänomen sind. Weil G  H  TS und bei positivem ΔS das ΔG negativ
wird, bevorzugt die Entropieänderung den 2-zähnigen Liganden in der gebundenen Form, der
Komplex ist thermodynamisch stabiler als mit 2 einzähnigen Liganden.
Beispiele für mehrzähnige Liganden und ihre Komplexe:
NH2
O
-
H2N
O
1,2-Diaminoethan
Ethylendiamin (en)
O
-
O
+
NH
+
O
NH
OH
O
N
-
O
CH3
CH3
-
O
O
1,2- Dimethyl-3-hydroxypyrid-4(1H)-on
Deferipron
2-[2-(Bis(carboxymethyl)amino)ethyl-(carboxymethyl)
amino]acetat
Ethylendiamin-Tetraacetat (EDTA)
O
-
O
O
P
HO
P
O
Si
CH3
P
Tris(diphenylphosphanomethyl)-methylsilan
Siliphos
O
O
-
-
3-carboxylato-3-hydroxy-pentan-1,5dicarboxylat
Citrat
99
H2N
O
O
NH2
O
NH2
O
NH2
-
-
N
H2N
O
H2N
-
N
O
O
oktaedrischer tris-en Komplex
-
O
oktaedrischer EDTA-Komplex
O
O
H2N
NH2
-
H2N
Cl
-
Cl
-
NH2
-
H2O
O
3+
-
Fe
H2O
O
O
O
Cl Cl
NH2
-
-
O
Fe(III)-Citrat-Komplex
NH2
-
H2N
H2N
Enantiomerenpaar eines oktaedrischen
bis-en-dichlorido-Komplexes
Lewis Säuren – Basen Affinität
Um die Affinität („Vorliebe“) einer Base für Protonen zu charakterisieren, verwenden wir die
Dissoziationskonstanten Ka. Für Lewis Säure-Base Kombinationen existiert so etwas nicht. Es
lässt sich aber feststellen, dass gewisse Ligandtypen sich stärker an bestimmte Metalltypen
binden als an andere, es gibt also auch hier unterschiedliche Affinitäten. In den 1960er Jahren
verglich R. G. Pearson die Bildungskonstanten zahlreicher Komplexe mit den verschiedensten
Liganden. Dabei kam er zum Schluss, dass kleine, schlecht polarisierbare Ligandatome sich
stärker an kleine, stark geladene Metallionen binden als an solche mit niedriger Ladung und
grossem Radius. Umgekehrt bilden grosse, gut polarisierbare Ligandatome sehr stabile
Komplexe mit grossen, wenig geladenen Metallionen. „Gleich und gleich gesellt sich gern!“
Pearson nannte die grossen, gut polarisierbaren Ionen und Atome „weich“, wegen der
Beweglichkeit ihrer Elektronenhülle (entspricht der Polarisierbarkeit). Die kleinen, schlecht
polarisierbaren Partikel nannte er analog „hart“. Die Idee ist als „hart-weich Konzept der
Lewis Säuren und Basen“ oder HSAB (hard and soft acids and bases) bekannt geworden. Die
Regel ist gut brauchbar, z.B. bildet Al3+ (sehr hart) eigentlich nur stabile Komplexe mit F–
und O-Liganden (sehr hart). Cd2+ (weich) bildet stabile Komplexe mit R-S– Liganden
100
(Thiolate, weich), ebenso weich ist Ag+. Die Metallionen der Perioden 5 und 6 sind auf Grund
ihrer grossen Radien weich, ausser sie tragen Ladungen > +2. Sehr interessant ist der Effekt
bei Wechsel der Oxidationszahl des Metalls: Fe3+ ist wie Al3+ sehr hart und komplexiert
wirklich gut nur F– und O-Liganden. Nach der Reduktion zu Fe2+ ist die Stabilität mit F–
praktisch verschwunden, und O-Liganden werden nur noch schlecht gebunden. Dafür werden
jetzt Amin-Liganden angenommen, was Fe3+ nur tut, wenn auch noch O dabei ist, oder das
Ligandgerüst so steif wie bei einem Porphyrin. Amine gelten zwar noch als hart, sind das aber
schon viel weniger als O.
Eine Anomalie findet man bei niedrig geladenen Metallionen der 6. Periode. Au+, Hg2+ und
Pb2+ binden weiche Liganden sehr gut, aber merkwürdigerweise auch sehr harte wie OH– oder
Carboxylate R-COO–. Au+ reagiert mit H2O unter Freisetzung von H+, der pKa für diese
Reaktion ist 4, also saurer als Essigsäure, und das trotz der geringen Ladung von +1! Der
Grund dafür ist, dass sich hier Quantenmechanik und spezielle Relativität treffen: Das primäre
Akzeptororbital der genannten anomalen Ionen ist das 6s, das wie alle s-Funktionen eine
ziemlich hohe Dichte am bei diesen grossen Atomen hoch geladenen Kern besitzt. Die
eingespeisten Donorelektronen erfahren also eine sehr grosse elektrostatische Kraft.
Berechnet man die scheinbare Geschwindigkeit dieser Elektronen, so liegt der Wert nahe bei
der Lichtgeschwindigkeit. Ob sich diese Elektronen nun tatsächlich „bewegen“ oder nicht, der
relativistische Effekt der Zeitdilatation in Kernnähe ist vorhanden, damit halten sich die
Elektronen von aussen gesehen länger nahe am Kern auf als unter nicht-relativistischer
Betrachtung. Der Effekt bewirkt eine stärkere Bindung der Donorelektronen als unter nichtrelativistischen Bedingungen erwartet, das Ion ist eine starke Lewis Säure.
101
Anhang: Komplex-Isomere
Konstitutionsisomere
Ionisationsisomere
[Co(NH3)5(SO4)]Br oder [Co(NH3)5(Br)]SO4
Hydratisomere
[Cr(OH2)6]Cl3 oder [Cr(OH2)4Cl2 ]Cl•2H2O oder [Cr(OH2)5Cl ]Cl2•H2O
Koordinationsisomere
[PtII(NH3)4][PtIVCl6] oder [PtIV(NH3)4Cl2][PtIICl4]
Bindungsisomere
M − NO2 oder M − ONO
dioxidonitrato-κN oder dioxidonitrato-κO
M – CN oder M – NC
cyanido-κN oder cyanido-κO
M – SCN oder M – NCS
thiocyanato-κS oder thiocyanato-κN
Stereoisomere
Diastereoisomere
NH3
[PtCl2(NH3)2] cis und trans
Cl
Pt
NH3
[CoCl2(NH3)4] cis und trans
-
NH3
2+
Cl
Pt
Cl
-
Cl
-
2+
-
NH3
Enantiomere (Spiegelbild-Isomerie)
[CoCl2(en)2]+ und cis-trans
H2N
Cl
-
Cl
-
Cl Cl
NH2
NH2
-
NH2
Cl
-
NH2
3+
Co
3+
3+
Co
H2N
H2N
NH2
Co
-
H2N
H2N
Cl
NH2
-
NH2
102
Chemische Reaktionen in Lösung
Energieumsätze
Chemische Reaktionen können quantitativ durch die Angabe des Energieumsatzes, des
Wärmeumsatzes und durch die verursachte Entropieänderung charakterisiert werden. Dabei
hängen diese Grössen über das einfache Gesetz G  H  TS zusammen. ΔG, die GibbsEnergie, ist ein Mass für die Tendenz eines chemischen Systems, von einem gegebenen
Ausgangszustand in einen andern Zustand überzugehen, das heisst, zu reagieren. Dabei
versucht das System, seinen Energieinhalt zu erniedrigen, also Energie an die Umgebung
abzugeben. Ein negativer ΔG-Wert charakterisiert diese Situation. Ist ΔG = 0, so herrscht im
System (inklusive im Kontakt zur Umgebung) Gleichgewicht. Ist ΔG > 0, läuft die Reaktion,
wenn überhaupt, entgegen der notierten Richtung ab. ΔG wird negativ, wenn ΔH stark negativ
ist, die Reaktion also Wärme produziert, oder wenn ΔS stark positiv ist, das System durch die
Reaktion viele Freiheitsgrade gewinnt. Sind beide Bedingungen erfüllt, wird die Reaktion ein
sehr negatives ΔG annehmen.
ΔG ist ein idealer Parameter, um das energetische Potential einer chemischen Reaktion zu
beschreiben. Leider kann man ΔG nur für gewisse Reaktionen einfach bestimmen, weil es
keine direkte Messtechnik für die Erfassung von ΔS gibt. ΔH kann man sehr gut mit einem
Kalorimeter erhalten, ein spezielles Gefäss, in dem der Wärmeumsatz anhand von
Temperaturänderungen und bekannten Wärmekapazitäten gemessen wird. ΔG kann direkt für
Redoxreaktionen bestimmt werden, indem man eine entsprechende galvanische Zelle aufbaut
und ΔE misst, welches direkt proportional zu ΔG ist. Mit ΔH aus der Kalorimetrie derselben
Reaktion erhält man indirekt ΔS. Eine weitere Möglichkeit, ΔG zu erhalten, besteht in der
Ermittlung von Gleichgewichtskonstanten. Dazu muss man aber die Konzentrationen der
beteiligten Spezies im Gleichgewicht störungsfrei bestimmen können, was oft nicht möglich
ist.
Weil die Funktionen ΔG und ΔH Zustandsfunktionen sind, muss ihre gesamte Änderung von
einem Ausgangszustand über mehrere Zwischenzustände wieder zum Ausgangszustand
verschwinden. Eine solche Kette ist geschlossen und wird thermodynamischer Kreisprozess
genannt. Dieser ist durchaus vergleichbar mit den Kreisprozessen für Wärmekraftmaschinen.
Leider ist die Anwendbarkeit oft auf ΔH limitiert, weil zu wenige ΔG-Werte bekannt sind.
Mit einem Kreisprozess kann man den unbekannten ΔH-Wert (oder ΔG-Wert) eines
103
Reaktionsschritts errechnen, wenn die entsprechenden Werte aller andern Schritte bekannt
sind, weil die Summe aller Schritte 0 ergeben muss.
Als Beispiel sehen wir uns die Sublimationswärme von NH4Cl(s) an. Dieses Salz verdampft
beim Erhitzen direkt aus der festen Phase unter Zerfall in HCl(g) und NH3(g), welche sich
beim Abkühlen wieder zu NH4Cl(s) vereinigen. Leider ist die Kalorimetrie von Festkörpern
nicht so einfach, besser geht das mit Lösungen, die eine viel grössere Wärmeleitfähigkeit als
die meisten Feststoffe, mit Ausnahme der Metalle, besitzen. Die Lösungsenthalpien von
HCl(g), NH3(g) und NH4Cl(s) in Wasser sind tabelliert oder nicht schwer zu messen, ebenso
die Reaktionsenthalpie von HCl(aq) mit NH3(aq). Wir stellen auf:
Hsubl
NH4Cl(s)
16.3
NH4+(aq)
HCl(g)
NH3(g)
-75.1
Cl-(aq)
-50.3
HCl(aq)
-34.6
NH3(aq)
Man rechnet H subl  H aq (HCl)  H aq (NH 3 )  H rxn (HCl+NH 3 )  H aq (NH 4 Cl)  0
ΔHaq(NH4Cl) wird mit negativem Vorzeichen addiert, weil der Reaktionsweg entgegen zur
Kreisprozessrichtung verläuft.
Also H subl  H aq (HCl)  H aq (NH 3 )  H rxn (HCl+NH 3 )  H aq (NH 4 Cl)
und H subl  (75.1)  (34.6)  (50.3)  16.3  176.3
Alle Zahlenangaben sind in kJ mol–1.
Die Kenntnis von ΔH ist nützlich, um eventuelle starke Wärmeentwicklung bei einer
Reaktion vorherzusehen, was die Hauptursache von Laborunfällen ist, und entsprechende
Kühlungs- oder Moderationstechniken bei solch exothermen Vorgängen vorzusehen. Es hilft
auch, die Heizquelle bei endothermen (ΔH positiv) Reaktionen entsprechend zu wählen. ΔG
liefert, wie schon gesagt, eine Information über die Ausführbarkeit einer Reaktion.
Entsprechende Begriffe sind „exergonisch“ (spontan ablaufend) und „endergonisch“ (nicht
spontan bzw. rückwärts laufend). Eine negative Gibbs-Energie ΔG sagt jedoch gar nichts
darüber aus, ob eine Reaktion schnell oder langsam abläuft. Man kann zwar die Faustregel
104
anwenden, dass eine Reaktion mit einem sehr negativen ΔG vermutlich schneller abläuft als
eine mit einem weniger negativen, aber ein Gesetz ist das nicht. Besonders tückisch ist das bei
der Betrachtung der so genannten Kettenreaktionen, als Beispiel diene die Reaktion zwischen
H2 und O2 zu H2O. Die Reaktion hat ein negatives ΔG° = -475 kJ mol−1, läuft aber spontan
nicht ab, wenn man H2 und O2 mischt. Erst wenn man der Mischung an einem Punkt etwas
Energie zuführt, startet die Kette und entlädt sich dem ΔG gemäss in einer wuchtigen
Explosion.
Im Zusammenhang mit chemischen Reaktionen findet man anstelle der Zustandsfunktionen H
und G auch U und F. Die beiden ersteren beschreiben Energieänderungen in chemischen
Systemen unter konstantem Druck, dem häufigsten Fall bei der Laborchemie. U und F sind
die analogen Funktionen zu H und G für Bedingungen unter konstantem Volumen. Diese
Zustände trifft man in geschlossenen Gefässen wie Autoklaven oder Industrie-Reaktoren an.
Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass die Funktionen bei konstantem Druck einen
Arbeitsterm pV enthalten:
F = U – TS
G = H – TS
H = U + pV
→
G = U + pV – TS = F + pV
Das wird einsichtig, wenn man sich die Reaktionsbedingungen vor Augen hält:
Das abgebildete Reaktionsgefäss hat einen gegen die Umgebung beweglichen Stempel. Tritt
während der Reaktion z.B. eine Gasentwicklung auf, so ergibt sich eine Volumenzunahme
ΔV. In einem ganz geschlossenen System (Stempel fixiert) würde der Druck steigen. Hier
aber wird der Stempel unter Leistung von Arbeit W = pΔV nach oben gestossen, damit p
konstant bleibt. Es macht übrigens keinen Unterschied, wenn das Gefäss vollkommen offen
gegenüber der Aussenatmosphäre ist. Das Austreten des Gases benötigt denselben
105
Arbeitsaufwand wie das Hinausstossen des Stempels. Wir können jetzt auch einsehen, dass
bei Reaktionen in Lösung ohne Gasaustritt oder –verbrauch, also ΔV ≈ 0, die
Enthalpieänderung ΔH etwa gleich der Änderung der inneren Energie ΔU ist.
Chemische Kinetik – Teil 2
Wir haben schon früh in dieser Vorlesung die Abhängigkeit der Reaktionsraten von den
Konzentrationen der beteiligten Reaktanden angesehen (Skript S. 23). Dabei haben wir das
allgemeine Geschwindigkeitsgesetz für eine Reaktion
A+B →
C
d [C]
d [A]
d [B]


 k[A][B]
dt
dt
dt
und auch ein entsprechendes Gleichgewicht
 C
A + B 
d [C]
 0  k f [A][B]  kr [C]
dt
aufgestellt. Mit Hilfe der Kinetik können wir tatsächliche Reaktionsraten behandeln und
angeben, wann eine Reaktion „fertig“ ist (eigentlich wird sie nur unmessbar langsam, falls
kein Gleichgewicht vorliegt).
Wenn [A], [B] oder [C] während des Reaktionsverlaufs messbar sind, z.B. über eine
physikalische Grösse, kann man die entsprechenden Konzentration/Zeit-Profile analysieren.
Es hängt sehr von der Geschwindigkeit ab, welche Konzentrationsbestimmung angewandt
wird: Dauert die Reaktion Minuten bis Stunden, so kann man Quench-Techniken mit
anschliessender statischer Bestimmung einsetzen. Ein Klassiker hierfür ist die EsterHydrolyse
RCOOR’ + H3O+ + H2O
→
RCOOH + R’OH + H3O+, welche
säurekatalysiert ist: Man setzt den Ester mit der wässrigen Säure an und nimmt von Zeit zu
Zeit Stichproben aus der Mischung, in denen man die Reaktion durch Neutralisierung der
Säure stoppt (Quenching). Danach kann man die bereits freigesetzte Säure durch Titration
(schnell arbeiten, weil wieder Hydrolyse beim Titrieren einsetzt) oder den Alkohol oder den
verbliebenen Ester mittels Gaschromatographie bestimmen. Bei schnelleren Reaktionen muss
man direkt an der Reaktionsmischung messen, und deshalb existieren auch spezielle
Apparaturen dafür. Zur Konzentrationsmessung werden Kernresonanzspektroskopie,
Infrarotspektroskopie, optische Spektroskopie und, falls sich Ionenkonzentrationen während
der Reaktion ändern, Leitfähigkeitsmessung angewandt. Die Kernresonanzspektroskopie, die
die detaillierteste Strukturinformation liefert, ist leider wenig empfindlich und relativ
106
langsam, nur Konzentrationen über 10−3 M bei Reaktionszeiten von mehr als 30 Sekunden
können verlässlich bestimmt werden. Die übrigen direkten physikalischen Messtechniken
erfassen Reaktionszeiten bis zu einer Mikrosekunde herab bei entsprechendem technischem
Aufwand.
Aus den Messungen erhält man Signal/Zeit-Profile, die die Konzentrationsänderungen
mindestens zum Teil abbilden. Diese Kurven sind in der Regel nicht linear. Die Analyse der
Profile kann auf zwei grundsätzlich verschiedene Arten erfolgen. Beim ersten Verfahren
bestimmt man die Rate ganz zu Beginn unter der Bedingung dass [A] und [B] den
eingesetzten Startkonzentrationen entsprechen und [C] = 0 gilt. Das ist die Methode der
Anfangsraten und sehr verlässlich bei bisher unbekannten Reaktionssystemen. Es gilt für
unsere allgemeine Beispielreaktion

d [A]
d [B]

 k[A]0 [B]0
dt
dt
Wenn man also bei bekannten [A]0 und [B]0 beispielsweise die Anfangssteigung
 d [A] 
 d [B] 

 bestimmt, kann man k berechnen. Wenn 
 auch gemessen werden kann,
 dt t 0
 dt t 0
 d [C] 
hat man eine Kontrolle. Falls die Anfangs-Bildungsrate 
 den Abnahmeraten für A
 dt t 0
und B genau entspricht, weiss man, dass man kein feststellbares Zwischenprodukt bekommt.
Für eine komplexere Reaktion wie z.B.
2A + B
→
D
mit dem Geschwindigkeitsgesetz
d [D]
1 d [A]
d [B]


 k[A]2 [B]
dt
2 dt
dt
ist die Schwundrate von A doppelt so gross ist wie die von B, weil 2 A pro B verbraucht
werden. Die Reaktionsordnungen, die Exponenten von [A] und [B], können mit der Methode
der Anfangsraten bestimmt werden, indem man den Logarithmus der Anfangsraten gegen den
Logarithmus der Variation einer der entsprechenden Anfangskonzentrationen aufzeichnet,
 d [A] 
gegen lg[A]0. Diese Kurve wird für unser zweites Beispiel die Steigung 2
z.B. lg 

 dt t 0
 d [A] 
gegen lg[B]0 für diverse [B]0
haben, für das erste die Steigung 1. Tragen wir lg 

 dt t 0
auf, finden wir in beiden Fällen die Steigung 1.
107
Die zweite Methode zur Analyse der Signal/Zeit-Profile besteht in der Bestimmung einer
zeitabhängigen Konzentrationsfunktion, z.B. [A](t) = f(t), und dem Vergleich dieser Funktion
mit den experimentellen Daten. Um die zeitabhängige Konzentrationsfunktion zu erhalten,
muss die Differentialgleichung integriert werden. Dies ist nur einfach für die
Differentialgleichungen
a) 
d [A]
 k[A]
dt
b) 
1 d [A]
 k[A]2 und
2 dt
a) wird gelöst, indem man umformt 

1
d [A]  k  dt
[A]
c) 
d [A]
 k[A][B] mit [A]0 = [B]0
dt
1
d [A]  kdt und beide Seiten integriert
[A]
mit der allgemeinen Lösung  ln[A]  kt  C . Um C zu erhalten, setzen
wir die Anfangsbedingung in die allgemeine Lösung ein: t = 0 → [A] = [A]0. Also
 ln[A]0  C , was wir dann wieder in die allgemeine Lösung einsetzen:  ln[A]  kt  ln[A]0
oder ln
[A]
  kt . Das ist eigentlich schon die gesuchte Funktion, doch in logarithmischer
[A]0
Schreibweise. Bekannter ist [A]  [A]0 e  kt . Das ist eine recht einfache Exponentialfunktion,
und deshalb versuchen Experimentatoren, den Ansatz so zu gestalten, dass diese Funktion
anwendbar ist. Zuerst aber die Lösung von
b) Wieder wird umgeformt 
1
1
1 1
 kt  C , dann die
d [A]  k  dt und integriert zu
2

2 [A]
2 [A]
Anfangsbedingung t = 0 → [A] = [A]0 eingesetzt:
1 1
1 1
 kt 
2 [A]
2 [A]0
1 1
 C . Schliesslich resultiert
2 [A]0
oder als einfachste Schreibweise
1
1

 2kt .
[A] [A]0
c) hat eine ähnliche Lösung wie b), da jederzeit [B] = [A], nur der Faktor 2 entfällt.
Es existieren Lösungen für kompliziertere Fälle, doch meistens lohnt sich der Aufwand nicht.
Besser ist es, den experimentellen Ansatz so zu wählen, dass man die Analyse vereinfachen
kann. Wenn man für
A+B →
C
d [C]
d [A]
d [B]


 k[A][B]
dt
dt
dt
108
das Experiment mit [B]0 >> [A]0 durchführt, dann ist [B] während des Experiments praktisch
konstant, weil B kaum verbraucht wird gemessen an seiner Anfangskonzentration. Man kann
dann

d [A]
 k[A][B]0
dt
mit
k[B]0 = k’
zu

d [A]
 k '[A] vereinfachen, was
dt
die Lösung [A]  [A]0 e  k 't besitzt. Dies lässt sich variieren, indem man unter [A]0 >> [B]0
ebenfalls misst. Die Technik wird Rückführung auf pseudo-erste Ordnung genannt, weil nur
noch eine variable Konzentration im Gesetz der Rate vorkommt. Man kann das für
kompliziertere Systeme anwenden, indem man eine Anfangskonzentration gegenüber allen
übrigen tief wählt.
Kinetik und Mechanismus
Was erzählt uns ein Geschwindigkeitsgesetz über den Reaktionsmechanismus? Im Grunde
genommen gar nichts. Es ist z.B. möglich, dass unser Basisbeispiel
A+B →
C
eigentlich als
A+B →
Z
→
C
abläuft, wobei Z ein Zwischenprodukt ist. Falls der Reaktionsschritt
A+B →
Z
viel langsamer ist als der Folgeschritt, so wird Z nie direkt erfasst, obwohl es real ist. Ein
möglicher Trick, um das erhellen, besteht darin, ein Reagenz R zu finden, das mit Z die
Reaktion
Z+R →
D
eingeht und die viel schneller sein muss als
Z
→
C
Durch die Isolation von D lässt sich dann der Beweis für die Existenz von Z erbringen.
Auch ein Gesetz wie
d [D]
1 d [A]
d [B]


 k[A]2 [B]
dt
2 dt
dt
zur Reaktion
2A + B
→
D
hat seine speziellen Haken. Termolekulare Reaktionen, bei denen 3 Moleküle gleichzeitig
aufeinander treffen, sind eher selten und entsprechend langsam, weil die Wahrscheinlichkeit
dieser Treffen so klein ist. Ist die Reaktion schnell, so sind folgende Schemata
wahrscheinlicher:
109
2A
Z+B


Z
→
D
oder
A+B


Z’
Z’ + A
→
D
Das Dumme ist nur, das das Geschwindigkeitsgesetz hier keine Möglichkeit zur
Unterscheidung bietet, weil
K
von
[Z]
[A]2
K'
eingesetzt in
d [D]
 k1[Z][B]  k1 K [A]2 [B] sich formal nicht unterscheidet
dt
[Z']
eingesetzt in
[A][B]
d [D]
 k2 [Z'][A]  k2 K '[A]2 [B] .
dt
Kinetische Untersuchungen zeigen immer nur einen Teil des Ganzen, ausser man hat eine
Elementarreaktion vor sich. Dennoch leisten sie einen wertvollen Beitrag zur Aufklärung von
Reaktionen. Es existieren Geschwindigkeitsgesetze der Form
d [P]
 k . Was bedeutet das? Das Produkt P entsteht mit einer konstanten Rate aus einer
dt
eigentlich beliebigen Zahl von Edukten. Unter welchen Umständen ist das möglich? Klar ist,
dass die Eduktkonzentrationen keine Rolle spielen, also kann es sich nicht um eine simple
Kollisions-Reaktion handeln. Die einfachste Vermutung besteht darin, dass die Zahl der Orte,
an denen P entstehen kann, im System stark limitiert ist. Wenn es sich bei diesen Orten um
katalytisch aktive Teilchen handelt, die nur in sehr geringer Konzentration vorhanden sind,
tritt das beschriebene Verhalten auf: Der Katalysator wird nicht verbraucht, aber er wird nach
jeder Umsetzung gleich wieder vom Riesenüberschuss der Edukte besetzt, arbeitet also immer
„am Anschlag“. Das führt genau zu der beobachteten konstanten Produktionsrate, die auch die
Maximalgeschwindigkeit für das System darstellt. Das Verhalten wird oft bei Enzymen
gefunden, die ja eigentliche Bio-Katalysatoren sind.
110
Komplexe – noch einige Details
Ligandfeld-Aufspaltung
Im oktaedrischen Ligandfeld werden die Energieniveaus der d-Orbitale, wie schon gesehen,
zu zwei eg (axiale) und drei t2g (zwischenaxialen) Orbitalen aufgespalten.
Die Aufspaltungsenergie Δo wird willkürlich in 10 Dq-Einheiten aufgeteilt. Wegen der
Energieerhaltung liegen die eg Orbitale 6 Dq über der Aufspaltung in einem
kugelsymmetrischen Feld und die t2g Orbitale 4 Dq darunter. Damit ergeben sich je
3 x 4 = 12 Dq Stabilisierungs-Energie und 2 x 6 = 12 Dq Destabilisierungs-Energie. Bei der
tetraedrischen Aufspaltung ist das Verhältnis genau umgekehrt, weil 3 d-Orbitale
destabilisiert werden und nur 2 stabilisiert.
111
25
High spin
Low spin
E (Dq)
20
15
10
5
0
0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
z (d)
Die obenstehende Grafik zeigt die relative Stabilisierung durch das oktaedrische Ligandfeld
im Vergleich zur Kugelsymmetrie. Dabei muss natürlich für die Besetzungen d4 bis d7
zwischen dem high spin und low spin Fall unterschieden werden.
15
12
High spin
lg K
10
6
5
lg K
8
E (Dq)
10
4
2
0
0
0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
z (d)
Die zweite Grafik zeigt die Logarithmen der Bildungskonstanten der 1:1 Komplexe von V2+
bis Zn2+ mit 1,2-Diaminoethan (en) verglichen mit der Ligandfeldstabilisierung. Diese
Komplexe sind alle high spin. Der Verlauf ist in etwa parallel, mit Ausnahme der lg K Werte
für d4 und d9, die höher als erwartet ausfallen. Die Erklärung dafür ist eine Abweichung von
der oktaedrischen Geometrie, die aufgrund der d-Elektronenkonfiguration zustande kommt.
112
d4 high spin
d9
Die Zuordnung eines Elektrons in den eg Zuständen ist nicht eindeutig, man sagt „entartet“.
Deshalb verzieht das Oktaeder seine Geometrie im Sinne einer Streckung, womit die
energetische Gleichheit der eg Zustände (und auch der t2g) aufgehoben wird. Damit erhalten
die destabilisierenden d-Elektronen wieder eindeutige Zustandsenergien.
d4 high spin
verzerrt
d9
verzerrt
Das Phänomen wird Jahn-Teller Verzerrung nach der ersten theoretischen Beschreibung
genannt. Sowohl Ligandfeldstabilisierung als auch Verzerrung wirken sich auch auf
kinetische Eigenschaften aus. Im folgenden Bild sind die Wasseraustauschgeschwindigkeiten
von V2+ bis Zn2+ gegen die Ligandfeldstabilisierung aufgezeichnet. Bei der geringsten
Stabilisierung (d5 und d10) finden wir die grösste Austauschrate. Ausnahmen stellen die JahnTeller verzerrten Systeme dar: Sie tauschen H2O-Liganden noch schneller aus als die
Konfigurationen ohne Ligandfeldstabilisierung.
113
Der Grund für den extrem schnellen Wasseraustausch in verzerrten Oktaedern liegt an der
vergrösserten Labilität der beiden durch die Verzerrung loser gebundenen Liganden, diese
werden aufgrund ihrer schlechten Bindung extrem leicht ausgetauscht. Es sei noch bemerkt,
dass diese beiden speziellen Positionen nicht „fixiert“ sind. Die Verzerrung ist ein mittlerer
Zustand, in Wirklichkeit vibriert der Komplex mit ca. 10 THz, und die Spezialpositionen
tauschen dabei ihre Plätze. Deshalb ist der Wasseraustausch für alle 6 Liganden beschleunigt.
114
Aktivität
Bei quantitativen Untersuchungen an ionenhaltigen Lösungen, also Bestimmungen von
Gleichgewichtskonstanten oder Elektrodenpotentialen, wurde schon früh bemerkt, dass diese
im Gegensatz zur den Aussagen der Theorie auch von den Gesamtkonzentrationen abhängen,
und nicht nur von den Konzentrationsverhältnissen. Zudem stellte man fest, dass
Gleichgewichte von ungeladenen Stoffen diese Erscheinung nicht zeigen. Die Effekte werden
umso stärker, je höher die beteiligten Ionen geladen sind und je grösser die totale
Ionenkonzentration ist. Die Zugabe von Elektrolyten, die gar nicht an der Reaktion
teilnehmen, verursacht dieselben Phänomene.
Es dauerte eine Zeit lang, bis man diese Erscheinungen modellieren konnte. Die Deutung ist
folgende: Eine Ionenlösung behält lose den Charakter der Salz-Gitterstruktur aufgrund der
Ionenladungen. Daraus folgt, dass die Lösung lokal inhomogen sein muss, weil sich
gleichsinnig geladene Ionen nicht zu gleicher Zeit am gleichen Ort aufhalten können. Dafür
nähern sich gegensinnig geladene Ionen im Zeitmittel häufiger und dichter aneinander an und
neutralisieren dabei teilweise ihre Ladung gegenseitig. Der makroskopische Effekt besteht
darin, dass die in der Reaktion aktive Konzentration gegenüber der eingemessenen
(analytischen) Konzentration vermindert erscheint, man sagt, die Aktivität sei gegenüber der
Konzentration erniedrigt. Um diese Aktivität physikalisch zu erfassen, wurde der
Aktivitätskoeffizient, ein Faktor, mit dem die Konzentration zu multiplizieren ist, eingeführt.
Dieser Koeffizient liegt normalerweise zwischen 0 und 1. Bei sehr verdünnten Lösungen
(ctot < 0.01 M) ist er nahe oder gleich 1, weil die mittlere Distanz zwischen den Ionen so gross
ist, dass die elektrischen Feldeffekte gegenüber der thermischen (brownschen) Bewegung
vernachlässigbar werden.
Die Aktivitätskoeffizienten aller Ionen einer Lösung hängen von der gesamten Konzentration
aller Ionen ab, dazu noch von den individuellen Ladungen der ionischen Spezies. Als
Basisgrösse für die physikalische Beschreibung der Aktivität wurde deshalb das Mass der
Ionenstärke definiert, das die bestimmenden Parameter vereinigt:
I (manchmal auch  ) 
1
 ci zi2
2 i
wobei zi die Ladung der i-ten Spezies ist und ci ihre
analytische Konzentration.
Die Berechnung der Aktivitätskoeffizienten aus dieser Grösse erfordert eine aufwendige
Analyse des gesamten elektrischen Felds in der Lösung, wobei hier in Vergleich zum Kristall
noch die Dipoleffekte des Lösungsmittels hinzukommen („Ionenwolke-Modell“). Das
115
Resultat ist die Debye-Hückel Theorie der Elektrolytlösungen, die in den 20er Jahren von
Peter Debye und Erich Hückel an der ETH Zürich formuliert wurde. Der Aktivitätskoeffizient
berechnet sich demnach zu
lg fi  
Azi2 I
1  Bri I
3
1
 e2  2  2 N A  2 1
mit A  
  2 
 4 kT     ln10
und B 
2 N Ae2
. In diesen
 kT
Ausdrücken sind e die Elementarladung, NA die Avogadro-Zahl, k die Boltzmann-Konstante,
T die Temperatur und ε die Dielektrizitätskonstante des Lösungsmittels. ri ist der Radius des
entsprechenden Ions. Für ein gegebenes Lösungsmittel sind A und B Konstanten bei
chemischen Standardbedingungen (25°C). Die Berechnung der Aktivitätskoeffizienten wird
in der Praxis eher selten verwendet.
Um den Effekt der konzentrationsabhängigen Aktivität zu eliminieren, wurden viele
Gleichgewichtskonstanten und Elektrodenpotentiale bei verschiedenen Ionenstärken
gemessen und die resultierenden Wertereihen gegen I = 0 M extrapoliert. Eine ebenfalls
verbreitete Angabe ist der entsprechende Wert bei einer Standard-Ionenstärke, häufig wird
I = 0.1 M oder I = 1 M verwendet. Man findet deshalb Arbeitsvorschriften zur Bestimmung
von Geschwindigkeitskonstanten, Potentialen und Gleichgewichtskonstanten, bei denen ein
nicht reagierendes Salz zugesetzt wird, um die Standard-Ionenstärke einzustellen.
116
Herunterladen