Aristoteles - Hegel - Marx - Kai Schmidt

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Aristoteles - Hegel - Marx
energeia - Geist - Kapital
Eine philosophische Betrachtung
in zwei Teilen
von Kai Schmidt-Soltau
Bochum - Sommer 1991
"Ich verzichte auf Rhetorik und Mäeutik, sei sie nun sokratischer oder phänomenologischer Herkunft. In der Philosophie ist das Ende der wirkliche Anfang. Ich fange mit dem
Ende an. Ich lege meine Karten auf den Tisch, damit jeder sie kennt." 1
1.
Bemerkungen zur Methode und zum Gegenstand
Nach diesen Worten zur Didaktik möchte ich den Gegestand der Arbeit kurz in vier
Thesen oder Fragen anreißen.
1)
"Die Geschichte des Geistes ist seine Tat, denn er ist nur, was er tut, und seine
Tat ist, sich, und zwar hier als Geist, zum Gegenstande seines Bewußtseins zu machen,
sich für sich selbst auslegend zu erfassen. Dies Erfassen ist sein Sein und Prinzip, und
die Vollendung eines Erfassens ist zugleich seine Entäußerung und sein Übergang. Der,
formell ausgedrückt, von neuem dies Erfassen erfassende und, was dasselbe ist, aus der
Entäußerung in sich gehende Geist ist der Geist der höheren Stufe gegen sich, wie er in
jenem ersten Erfassen stand."2
2)
Auf der einen Seite will ich das, was Hegel über den Geist und dessen Tat sagt,
mit dem vergleichen, was Aristoteles über die Tätigkeit der göttlichen Vernunft sagt.
Also ist die Tat bei Hegel, die energeia bei Aristoteles Gott, dessen Denken das Denken
des Denkens des Denkens ist, jenes göttliche sich selbst denkende Denken? Bei Hegel
arbeitet und bearbeitet der Geist. Er macht, produziert, bringt ein Werk hervor, er
kämpft gegen sich selbst. Es scheint so als müßten wir die Tätigkeit von Hegels Geist
nicht nur mit der energeia bei Aristoteles vergleichen, sondern auch mit den Begriffen
praxis und poihsis, also mit Handeln und Herstellen bei Aristoteles.
3)
Auf der anderen Seite möchte ich den Begriff "Kapital" wie er von Marx in den
"Grundrisse(n) der Kritik der Politischen Ökonomie"2b verwendet wird in den
Hegelschen Begriff Geist einsetzen. Wenn, wie oben gezeigt, bei Hegel das
Selbsterfassen des Geistes Sein und das Prinzip des nach seiner Entäußerung in sich zu-
1
2
2b
Althusser, Louis; Sur le rapport de Marx à Hegel; in: Hegel et la pensée moderne; Paris 1970;
S.86.
Hegel, G.W.F.; Grundlinien der Philosophie des Rechts; Hamburg 1955; Paragraph 343.
Ich werde mich in diesem Text hauptsächlich auf die Grundrisse beziehen, da Marx dort eine
sehr philosophische Betrachtungsweise verwendet. Dies hängt mit der Entstehungsgeschichte
der politischen Ökonomie von Marx zusammen, denn die Grundrisse sind Vorarbeiten von
1857/58 für das 1867 herausgegebene Kapital Bd.1 und die späteren Bände 2 und 3. Durch ihre
historische Position zwischen den philosophischen Frühschriften von Marx und seinem eher
ökonomisch argumentierenden Hauptwerk sind sie eine Art Fundgrube für die geistige
Entwicklung von Karl Marx und die Begriffe werden in einer abstrakteren Form entwickelt als
später im Kapital.
1
rückkehrenden Geistes ist, so erinnert mich das sehr stark an verschiedene Äußerungen
Marx über das Kapital:
"Im Bezug auf das Kapital kann die Tätigkeit überhaupt nur in der Reproduktion seiner
selbst - der Erhaltung und Vermehrung seiner als des wirklichen und wirksamen Wertes,
nicht des bloß gemeinten, wie im Geld als solchem - bestehn."3
4)
Warum diese doppelte Problemstellung? Was bedeutet sie, und welche
Konsequenzen hat das doppelte Verhältnis Aristoteles-Hegel auf der einen Seite und
Hegel-Marx auf der anderen? Welche Ähnlichkeiten und welche Unterschiede gibt es
zwischen dem, was Aristoteles als Tätigkeit Gottes, Hegel als Tätigkeit des Geistes und
Marx als Tätigkeit des Kapitals sieht? Welches Verhältnis besteht zwischen Tätigkeit
und Arbeit? Und welche Konsequenzen müssen gezogen werden, wenn nicht mehr der
Geist, sondern das Kapital als Quelle für das Sein als absoluter Prozeß gesehen wird?3b
In der marxistischen Literatur gibt es zwei Positionen zu Hegel. Auf der einen Seite
Lenin: "Man kann das Kapital von Marx ... nicht vollständig begreifen, ohne die ganze
Logik von Hegel durchstudiert und begriffen zu haben. Folglich hat nach einem halben
Jahrhundert nicht ein Marxist Marx begriffen."3c Dieser Linie folgt Lukacs mit seinem
"jungen Hegel"3d nach. Heute hat sich diese Position bei den Marxisten zum Großteil
durchgesetzt, so kann man die "societas hegeliana" und ihren Vorsitzenden Hans-Heinz
Holz eindeutig dem marxistischen Lager zurechnen.
Auf der anderen Seite die Position, die sich auf Stalin bezieht. Von dieser Linie aus wird
Hegel als "bürgerlich imperialistischer Idealist"3e bezeichnet. Sie ist heute jedoch ohne
Einfluß.
2.
Aristoteles - Hegel - Marx
Ich will hier nicht behaupten, wie es vielleicht der Titel suggeriert, daß in der
Geschichte des Begriffsfeldes energeia, Geist, Kapital nur diese drei Interpreten
Äußerungen dazu getätigt haben. Auch will ich natürlich nicht sagen, daß die Philo3
3b
3c
3d
3e
Marx, Karl; Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie; Berlin/DDR 1953; S.205. Zitiert
als "Grundrisse ..."
"Daß es wahrhaft sei, dazu gehört, daß er sich hervorgebracht habe; sein Sein ist der absolute
Prozeß" Hegel, G.W.F.; Philosophie der Weltgeschichte Bd 1.Die Vernunft in der Geschichte;
Hamburg 1955; S.74. Zitiert als "Die Vernunft..."
Lenin, Wladimir I.; Werke Bd.38; Berlin/DDR 1964; S.170.
Lukacs, Georg; Der junge Hegel; Zürich 1948.
Diese Position wird deutlich, wenn man sich die Diskussion in der DDR-Philosophie 1954
vergegenwärtigt. Explizit wurde diese Vorstellung von Gropp, (Rugard Otto; Die marxistische
dialektische Methode und ihr Gegensatz zur idealistischen Dialektik Hegels; DZPh 1954; Nr.1
S.69-112 und Nr.2 S.336-385) vertreten.
2
sophen zwischen diesen dreien keine Neuerungen gebracht haben. Vielmehr glaube ich,
daß die Philosophie von Hegel und in einem noch stärkeren Maße die von Marx eine
neue Stufe der Philosophie bedeuten, daß sie also über die klassische Philosophie hinausgehen. Natürlich kann man die klassische Philosophie, also jene Epoche von der
griechischen Antike bis Hegel, nicht über einen Kamm scheren; so ist Kants Philosophie
mit Sicherheit schon ein Stück der Neuzeit und genauso ist Hegel noch ein Stück des
Mittelalters aber den Epochenbruch würde ich schon an Hegel festmachen wollen. Da
dies aber keine Geschichte der Philosophie werden soll, in medias res:
2.1.
Aristoteles-Hegel
Da ich den Begriff energeia bearbeiten möchte, werde ich hier hauptsächlich das Buch
Lambda der Metaphysik von Aristoteles verwenden. Es ist die Stelle im Werk
Aristoteles, wo er meiner Ansicht nach am deutlichsten eine Beschreibung von energeia,
enteleceia, praxis und poihsis liefert. Bei Hegel werde ich mich hauptsächlich auf "die
Vernunft in der Geschichte"3f beziehen.
2.1.1. energeia versus Geist
Aristoteles: "Füglich denkt sich die Vernunft selbst, wenn sie das Vorzügliche ist, und
ihr Denken ist Denken des Denkens"4 und "... so verhält sich selbst das Denken seiner
selbst die ganze Ewigkeit hindurch".5
Hegel sagt, daß es das Ziel und "das Dasein des Geistes (ist), sich selbst zum
Gegenstand zu haben"6. Ist hier nicht eine Ähnlichkeit mit Aristoteles Vernunft als sich
selbst denkendendes Denken?
Andere Ähnlichkeiten bestehen darin, daß Aristoteles Gott als ein ewig Lebendes beschreibt und Hegel sagt, daß der Geist "unsterblich" ist. Der Geist "ist nicht vorbei und
ist nicht nicht noch nicht, sondern er ist schlechterdings itzt."7
3f
4
5
6
7
Ich werde in diesem Text nicht auf die "Wissenschaft der Logik" eingehen, da dort nicht von
der Bewegung des Geistes gesprochen wird, sondern nur von der Selbstbewegung der Idee. Es
wäre zwar interessant, diese Selbstbewegung der Idee mit der Zirkulation des Kapitals zu
vergleichen, es ist jedoch nicht Gegenstand dieser Betrachtung.
Aristoteles; Metaphysik; Lambda, 9, 1074b 30. Die Übersetzungen nach Schwarz, Franz F.;
Aristoteles Metaphysik; Stuttgart 1970.
Aristoteles; Metaphysik; Lambda, 9, 1075a 10.
Hegel ; Die Vernunft ... a.a.O.; S.54.
ebd.; S.182. itzt = jetzt
3
Wenn Hegel sagt, daß der Geist "nur geistigen Inhalt haben <kann>; und das Geistige
eben ... sein Inhalt, sein Interesse ist"8, erinnert dies doch an das Denken des Denkens
bei Aristoteles wo "das Gedachte und die Vernunft nicht verschieden sind bei alledem,
was über keinen Stoff verfügt, so werden sie dasselbe sein und das Denken mit dem Gedachten eines."9
Ist es nicht nur eine Interpretation der Idee der göttlichen Betrachtung, wenn Hegel
schreibt, daß die Tätigkeit des Geistes, wenn sie "das Bewußtsein des Geistes vom
Geist"10 ist, keinen anderen Inhalt hat als sich selbst?
Auch gibt es dort eine große Übereinstimmung, wo Aristoteles über die immerglücklichen Zustände des Prinzips schreibt, und Hegel ausführt, daß der Geist" in dieser Lust
seiner Tätigkeit ... es nur mit sich selbst zu tun"11 hat, und "ewig bei sich"12 und "in seinem ihm eigenen Element ist."13 Der Geist ist das "unendliche Konkrete ..., für das
keine Vergangenheit ist, das immer dasselbe, in seiner Kraft und Gewalt bleibt."14 Für
Hegel gilt also wie für Aristoteles, daß der Geist "Aktuosität und kein ruhendes
Dasein"15 ist.
Der Unterschied und die Orginalität der Hegelschen Auffassung ist, daß der Geist in der
Geschichte ist und durch sie zu seinem eigenen Begriff kommt und zwar indem er nicht
unmittelbar Denken des Denken ist, sondern nur die Anschauung seiner selbst16. Somit
entkommt Hegel der Falle des unendlichen Regresses, denn die energeia des Geistes
hätte, wenn Hegel Aristoteles nur widerholt hätte, ein telos (Ziel), das er zu erreichen
hätte. Damit würden die Unterschiede zwischen dem Fürsichsein und dem Ansichsein
verschwimmen. Hegel sagt aber über den Geist, daß "sein Sein der absolute Prozeß
ist"17. "Der Begriff des Geistes ist Rückkehr in sich selbst, sich zum Gegenstand
machen; also ist das Fortschreiten kein Unbestimmtes ins Unendliche, sondern es ist ein
Zweck da, nämlich die Rückkehr in sich selbst. Also ist auch ein gewisser Kreislauf da,
der Geist sucht sich selbst."18 Und für Hegel ist dieses sich selbst suchen und finden also
sich selbst erkennen für den Geist "das höchste Gebot"19 neben dem er für kein anderes
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
ebd.; S.54.
Aristoteles; Metaphysik; Lambda, 9, 1075a 5.
Hegel; Die Vernunft ... a.a.O.; S.61.
ebd.; S.36.
ebd.; S.33.
ebd.; S.54.
ebd.; S.33.
ebd.; S.74.
"Das Höchste aber für den Geist ist, sich zu wissen, sich zur Anschauung nicht nur, sondern
zum Gedanken seiner selbst zu bringen." ders.; Vorlesungen über die Philosophie der
Geschichte; Frankfurt/M 1970; S.96.
ders.; Die Vernunft ... a.a.O.; S.74.
ebd.; S.181.
ebd.; S.75.
4
Interesse Zeit finden kann. Hier verwendet Hegel die Begriffe energeia und enteleceia,
also Begriffe von Aristoteles, nur, um deutlich zu machen, "daß der Geist diese unendliche Bewegung, energeia (Energie), enteleceia (Tätigkeit) ist, die nie ruht"20 .
Ein weiterer bedeutender Unterschied zu Aristoteles ist, daß für diesen der erste
Beweger zwar die Ursache für die Bewegung ist, sich selbst jedoch nicht bewegt. Also
ein bewegungsloser Beweger.
Die Orginalität und Genialität von Hegels Auffasung besteht nicht nur darin -wie ich
oben gesagt habe-, die Geschichte als Prozeß zu denken, durch den der Geist zu seiner
Wahrheit und zu seinem Begriff findet21, sondern auch in seiner Veränderung und Interpretation des aristotelischen Gottes, der bei ihm seinen eigenen Inhalt, seine eigene
Bestimmung und schließlich sich selbst produziert.22 "So ist es, daß der Geist zu seinem
Inhalt kommt, nicht daß daß er seinen Inhalt vorfindet, sondern er macht sich zu seinem
Gegenstande, zum Inhalt seiner selbst."23
2.1.2. praxis und poihsis versus Geist
Soweit zu einem Vergleich zwischen Geist und göttlicher energeia. Ich hatte in der
Fragestellung schon angedeutet, daß der Geist bei Hegel auch produziert, arbeitet und
ein Werk entstehen läßt, und daß ich deswegen auch die Begriffe praxis und poihsis bei
Aristoteles in diesen Vergleich mit einfließen lassen möchte. Hegel leht zwar die aristotelische Vorstellung einer Dichotomie von Handeln und Herstellen ab (zumindest
konnte ich keine Textstelle ermitteln), inhaltlich knüpft er aber doch an diese Ideen
an,wie ich im folgendem nachzuweisen versuche.
"Das Ziel der Weltgeschichte ist also, daß der Geist zum Wissen dessen gelange, was er
wahrhaft ist, und dies Wissen gegenständlich mache, es zu einer vorhandenen Welt
verwirkliche, sich als objektiv hervorbringe."24 "Der Geist handelt wesentlich, er macht
sich zu dem, was er an sich ist, zu seinem Werk, so wird er sich Gegenstand, so hat er
sich als ein Dasein vor sich."25
Man könnte hier meinen, daß die Tätigkeit des Geistes, da sie nicht nur Wissen von sich
selbst ist, sondern Wissen in einem Prozeß ist, nur eine Interpretation von poihsis ist.
Der Unterschied ist aber, daß das Produkt der Tätigkeit des Geistes nicht von diesem zu
20
21
22
23
24
25
ebd.; S.161.
ebd.; S.75.
ders.; Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie Bd.2; Frankfurt/M 1986; S.158.
ders.; Die Vernunft ... a.a.O.; S.54.
ebd.; S.74.
ders.; Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte a.a.O.; S.99.
5
trennen ist wie bei Aristoteles, sondern die Vernunft "zehrt aus sich und ist sich selbst
das Material, das sie verarbeitet"26. "Man kann sagen, daß der Geist sich die
Gegenständlichkeit zu eigen mache, oder umgekehrt, daß der Geist seinen Begriff aus
sich hervorbringe; ihn objektiviere und so sein Sein werde"27. Hier ist meiner Ansicht
nach ein kleiner Widerspruch. Wenn der Geist und sein Begriff beide in Bewegung sind
und der Begriff sowohl Material als auch Handelnder ist, wie kann Hegel dann trennen
zwischen dem, der hervorbringt, und dem, was hervorgebracht wird. Es müßte ja dann
etwas geben, was sich nicht bewegt und auf das sich die verschiedenen Stadien beziehen
können, oder das jeweilige Stadium müßte sich quantifizeren lassen anhand fester, gesetzter Inhalte.
Fest steht, meiner Ansicht nach, daß Hegels Geist nicht das Werk als solches28 zum Ziel
und zum Zweck hat. Ich denke, man kann den Begriff praxis hier für diese Tätigkeit
verwenden, denn es ist nicht nur die Betrachtung seiner selbst. Gerade weil die Tätigkeit
kein abtrennbares Ergebnis hervorbringt oder in einer von der Tätigkeit unabhängigen
Existenz endet, kann die Tätigkeit des Geistes nicht poihsis sein. "Der Geist tritt gegen
sich selbst auf, verzehrt die Form seiner Gestaltung und erhebt sich so zu neuer
Bildung."29 Ein abtrennbares Werk wäre nur ein totes Ding. Sich selbst zum Objekt zu
machen heißt für den Geist nicht, sich zum Ding zu machen, sich darin zu verlieren und
dabei stehen zu bleiben; er gibt sich ein Dasein, ohne sich darin endgültig zu verdinglichen, denn sein Dasein ist das der Freiheit. Deswegen spricht Hegel nicht nur von
Arbeit, sondern auch von Kampf, von Kampf gegen sich selbst.30 Hier faßt Hegel also
die Tätigkeit des Geistes auf zwei Arten: Die Arbeit und den Kampf, wobei diese
untrennbar erscheinen. Und für mich wird hier einer der Schwachpunkte der GeistVorstellung von Hegel deutlich, denn im realen Leben trennt er den Kampf der Herren
von der Arbeit des Knechtes.31 Der Geist aber handelt selbst, stellt etwas her und ist
sogleich sein eigenes Produkt.
Fazit: Hegel interpretiert zu einem großen Teil die aristotelischen Begriffe energeia und
praxis und zu einem kleineren Teil auch poihsis, um seinen Begriff Geist zu definieren.
26
27
28
29
30
31
ebd.; S.21.
ders.; Die Vernunft ... a.a.O.; S.74.
ebd.; S.36.
ebd.; S.35.
ders.; Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte a.a.O.; S.76: "So ist der Geist in ihm
selbst sich entgegen; er hat sich selbst als das wahre feindselige Hindernis seiner selbst zu überwinden; die Entwicklung, die in der Natur ein ruhiges Hervorgehen ist, ist im Geist ein harter
unendlicher Kampf gegen sich selbst. ... Die Entwicklung ist auf diese Weise nicht das harmund kampflose bloße Hervorgehen, wie die des organischen Lebens, sondern die harte
unwillige Arbeit gegen sich selbst".
ders.; Phänomenologie des Geistes; Leipzig 1923; Kapitel 4a Herrschaft und Knechtschaft
S.123 ff.. Vgl. Holz, Hans Heinz; Herr und Knecht bei Leibnitz und Hegel. Zur Interpretation
der Klassengesellschaft; Neuwied 1968.
6
Er entwickelt diese Interpretation aber selbst weiter. So verschwindet der bewegungslose Beweger und die Bewegung tritt in die Geschichte ein. Auch faßt er den
Komplex, für den Aristoteles vier Begriffe benötigte, in einen. Also bezieht sich Hegel
auf Aristoteles, aber nicht als reiner Apologent, sondern er verwendet ihn als Basis für
eine schöpferische Weiterentwicklung der klassischen Philosophie.
2.2.
Hegel - Marx
Es wäre absurd, zu behaupten, daß alles, was Marx über die Tätigkeit des Kapitals aussagt, schon bei Hegel enwickelt wäre. Zwar weist Hegels Begriff der Tätigkeit des
Geistes, wie er sie in den Schriften "Die Vernunft in der Geschichte", "Einleitung zu den
Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte" oder in der kürzesten Form im Paragraphen 343 der "Grundlinien der Philosophie des Rechts" darlegt, eine gewisse
Ähnlichkeit zu dem Begriff der Bewegung des Kapitals laut Marx auf, doch gibt es auch
große Unterschiede. Dieter Wolf vergleicht hauptsächlich die "Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften" mit dem "Kapital Bd.1" von Marx und kommt so auf einem
anderen Weg zu einem ähnlichen Ergebnis 31b.
2.2.1. Aristoteles - Marx
Hier gilt es, zu sagen, daß das Kapital nicht dem aristotelischem Wesen, das keiner
Tätigkeit bedarf, gleicht, also jenem Wesen, daß die höchste Vollkommenheit besitzt
und sich selbst Zweck ist. Zwar gibt es auch beim Wesen zwei Momente, die zur Tätigkeit anleiten - einen Zweck und ein diesem Zweck zustrebendes Wesen32. Beim Kapital
ist jedoch der Zweck, dem das Kapital zustrebt ihm nicht äußerlich, sondern ist in ihm
enthalten. Die Zweckursache des Kapitals ist das Kapital selbst und somit verhilft es
auch nicht einem Dritten zur Existenz um dessen selbst willen, sondern nur um sich zu
erneuern. Es bringt durch seine Bewegung zwar Produkte, mit einem von ihm auf eine
gewisse Weise getrennten Wesen hervor. Diese Produkte sind aber nur Mittel zum
Zweck.
31b
32
Wolf, Dieter; Hegel und Marx. Zur Bewegungsstruktur des absoluten Geistes und des Kapitals;
Hamburg 1979
Aristoteles; vom Himmel; 2,12,292,a-b: "Jenes Wesen nämlich, das das beste Leben besitzt,
scheint die Vollkommenheit ohne Handeln zu haben, das ihm nächste nur durch wenig und ein
einziges Handeln, das ihm fernste durch mehreres;" Übersetzung nach Aristoteles; Vom
Himmel. Von der Seele. Von der Dichtkunst.; München 1983.
7
Somit kann man sagen, daß die Tätigkeit des Kapitals nicht der poihsis ähnelt, sondern
eher dem, was Aristoteles als praxis bezeichnet. Das Kapital existiert nur durch seine
Tätigkeit. Somit ordnet sich die praxis des Kapitals die poihsis unter. Die Begriffe
stehen einander nicht mehr im Widerspruch gegenüber, sondern die poihsis ist ein
Moment zur Durchsetzung des Zwecks der praxis, der Bestätigung des Daseins des
Kapitals.
Fazit: Von Aristoteles zu Marx gibt es kaum eine direkte Verbindung. Man merkt, daß
die Begriffe nicht ganz passen, und man muß ihnen schon ein Stück Gewalt antun, um
sie miteinander zu vergleichen. Die Ähnlichkeiten bestehen dort, wo eine sehr große
Ähnlichkeit zwischen Hegel und Aristoteles bestand. Somit scheint ein Bezug nur über
den Umweg Hegel möglich und sinnvoll.
2.2.2.
Hegels Geist versus Marxens Kapital
Die Tat des Geistes besteht darin, daß er selbst als Geist Objekt seines Bewußtsein
wird33. Es ist aber meiner Meinung nach unsinnig, zu behaupten, daß die Tätigkeit des
Kapitals darin besteht, daß es selbst und das heißt hier als Kapital Gegenstand seines
Bewußtseins wird. Also scheint Marx eine andere Vorstellung von der Tat zu haben.
Diese "Selbstverwertung" ist nur dann sinnvoll, wenn der Prozeß, durch den der Begriff
des Kapitals deutlich wird, sich selbst als Kapital zum Gegegstand hat und reflektiert.
Die Tätigkeit des Kapitals hat keinen anderen Zweck als sich selbst als solches zu setzten, sich zu reproduzieren, sich auf sich selbst zu beziehen und, sofern es die "Existenz
des Werts in seiner Reinheit und Allgemeinheit"34 ist, in sich selbst zurückzukehren.
Marx geht grundsätzlich ökonomisch an das Problem heran und zitiert Say: "Das
Kapital ist seinem Wesen nach immer immateriell"35, und "anderseits fällt ihnen (den
bürgerlichen Ökonomen) dann wieder ein, daß das Kapital nach der einen Seite Wert ist,
also etwas Immaterielles, Gleichgültiges gegen sein stoffliches Bestehn"36. Das Kapital
ist "der Wert, der als Subjekt auftritt"37 und es "ist als für sich seiender, selbstischer
Wert sozusagen, gesetzt"38. Die Handlung, durch die das Kapital sich selbst als Kapital
erfaßt, ist eine Handlung, durch die es sich nicht nur erklärt, sich nicht nur reproduziert,
33
34
35
36
37
38
"Seine Tat (des Geistes) ist (es), sich, und zwar hier als Geist, zum Gegenstand seines Bewußtseins zu machen"; Hegel; Grundlinien der Philosophie des Rechts a.a.O.; Paragaph 343.
Marx; Grundrisse ... a.a.O.; S.163.
ebd.; S.216; "So Say: Le capital est toujours d`une essence immatèrielle, ..." nach: Say; JeanBaptiste; Traité d`économie politque ...; Paris 1817; S.429.
ebd.; S.216.
ebd.; S.218.
ebd.; S.210.
8
sondern sich verwertet, in sich zurückkehrt und zwar auf einer im Vergleich zur
vorhergehenden Selbsterfassung höher gelegenen Ebene.39
Wie der Geist, dessen "Tätigkeit sein Wesen ist"40, so erscheint auch das Kapital als
"sein Produkt"40, als "sein Anfang und Ende"40, als "sich notwendig zu sich selbst verhaltend"41, denn "sonst wäre es (der Geist oder hier das Kapital) abhängig und nicht
frei"41.
Auch Unterschiede werden deutlich:
So ist die Rückeinsetzung, also Hegels Geist in Marxens Definitionen des Kapitals,
kaum möglich, oder kann man sagen, daß der Prozeß des Geistes der seiner
Selbstverwertung ist? Man kann meiner Ansicht nach auch von keinem Mehrwert
sprechen, wenn der Geist unmittelbar an sich ist, was er für sich wird und es daher nur
um die Entwicklung des ursprünglichen Ansich zu tun ist. Auch wenn, wie schon oben
ausgeführt, der Geist den Inhalt, zu dem er durch seine Bewegung gelangt, nicht fertig
vor sich hat.
Es ereignet sich schon etwas im Prozeß, wenn der Geist sich "die Gegenständlichkeit zu
eigen macht"42 und "die Welt sich gemäß macht"42. Also gibt es schon eine
Entwicklung innerhalb der Zirkulation.
Andererseits ist es auch der Geist, der "seinen Begriff aus sich hervorbringt, ihn objektiviert"42 und "dies Wissen gegenständlich macht, es zu einer vorhandenen Welt verwirklicht, sich als objektiv hervorbringt"42.
Ebenso ist das Kapital, wenn es aus dem Prozeß zu sich zurück kommt, auf der einen
Seite nicht das ursprüngliche Kapital, denn kein Kapital ohne Mehrwert. Auf der
anderen Seite modifiziert sich durch den Prozeß nicht das ursprüngliche Wesen des
Kapitals, seine "spezifische Formbestimmtheit"43 als ein in sich reflektiertes
Reproduktionsverhältnis.
Bei Hegel ist es nicht klar, ob nicht der Geist einmal endgültig und wirklich zu sich
selbst zurück kommt oder zurückkommen kann. Das Kapital kann dies aber laut
Definition nicht. "Die (Zirkulation des Kapitals ist) ... (eine) Spirallinie, (eine) sich
39
40
41
42
43
Textstellen, die dies belegen sind: "Für den Wert, der an sich als Wert festhält, fällt schon
deswegen Vermehren mit Selbsterhalten zusammen und er erhält sich eben nur dadurch, daß er
beständig über seine quantitative Schranke hinaustreibt, die seiner Formbestimmung, seiner
innerlichen Allgemeinheit widerspricht. Das Bereichern ist so Selbstzweck. Die zweckbestimmende Tätigkeit des Kapitals kann nur die der Bereicherung, d.h. der Vergrößerung, der
Vermehrung seiner selbst sein." ebd.; S.181 oder: "In bezug auf das Kapital kann die Tätigkeit
überhaupt nur in der Reproduktion seiner selbst - der Erhaltung und Vermehrung seiner als des
wirklichen und wirksamen Wertes, nicht des bloß gemeinten, wie im Geld als solchem bestehen." ebd.; S.205.
Hegel; Die Vernunft ... a.a.O.; S.55.
ebd.; S.74.
ebd.; S.74.
Marx; Grundrisse ... a.a.O.; S.216.
9
erweiternde Kurve, nicht (ein) einfacher Kreis"44. Festzuhalten ist, daß Hegel von einer
"unendlichen Bewegung des Geistes"45 spricht und Marx über die Bewegung des Kapitals sagt, daß sie "sich an sich selbst stets von neuem (entzündet), sich in ihre
verschiedenen Momente (dirimiert), und ein Perpetuum mobile (ist)"46.
Eine große Nähe können wir auch verzeichnen, wenn das Kapital der "unendliche Trieb
der Bereicherung"47 ist, und der Geist "jede beschränkte Form" auflöst 48.
Nun, nach all diesen Übereinstimmungen fragt sich, ob sich das Kapital ebenso wie der
Geist entfremdet, also ob es sich ins Anderssein begibt anstatt es bei der "ungetrübten
Gleichheit und Einheit mit sich selbst"49 bewenden zu lassen, und inwieweit
verwirklicht es sich und überwindet diese Entfremdung?
Allgemein sagt Marx, daß das Kapital "in der Form aller Substanzen - Waren" ist und
deswegen "nicht im Gegensatz zum Gebrauchswert" außer dem Geld steht, sondern in
vergänglichen Substanzen existiert50. "Was ihre natürlichen Verschiedenheiten angeht,
so schließt keine derselben das Kapital aus, in ihr Platz zu ergreifen, sie zu seinem eignen Körper zu machen, soweit keine die Bestimmung des Tauschwerts und der Ware
ausschließt."51
Das Kapital ist "für sich gesetzter Tauschwert ..., in allen Substanzen, den Tauschwerten
jeder Form und Daseinsweise der vergegenständlichten Arbeit seine ideale Bestimmung
erhaltend"52, aber "als solches (ist es) gleichgültig gegen jede Besonderheit seiner
Substanz, und (ist) als die Totalität derselben, wie als Abstaktion von allen ihren
Besonderheiten"53.
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
ebd.; S.177.
Hegel; Die Vernunft ... a.a.O.; S.161.
Marx; Grundrisse ... a.a.O.; S.415. dirimiert = trennt
"Als unendlicher Trieb der Bereicherung strebt es (das Kapital) also nach einer unendlichen
Vermehrung der Produktivkräfte der Arbeit"; ebd.; S.247. "Das Kapital aber als die allgemeine
Form des Reichtums ... ist der schranken- und maßlose Trieb über seine Schranken hinauszugehen." ebd.; S.240. "Jede Grenze gilt als zu überwindende Schranke." ebd.; S.311.
"Gegen den Gedanken ,den Begriff kann keine beschränkte Gestalt sich fest machen. Gäbe es
so etwas, was der Begriff nicht verdauen, nicht auflösen könnte, so läge dies freilich als die
höchste Zerrissenheit, Unseligkeit da." Hegel; Die Vernunft ... a.a.O.; S.161.
"An sich ist jenes Leben wohl die ungetrübte Gleichheit und Einheit mit sich selbst, der es kein
Ernst mit dem Anderssein und der Entfremdung, sowie mit dem Überwinden dieser
Entfremdung ist." ders.; Phänomenologie des Geistes a.a.O.; S.17.
"Das Kapital seinem Begriff nach ist Geld, aber Geld, das nicht mehr in der einfachen Form
von Gold und Silber, auch nicht mehr als Geld im Gegensatz zur Zirkulation existiert, sondern
in der Form aller Substanzen - Waren. Insofern steht es als Kapital nicht im Gegensatz zum
Gebrachswert, sondern existiert außer dem Geld eben nur in Gebrauchswerten. Diese seine
Substanzen sind jetzt also vergängliche"; Marx; Grundrisse ... a.a.O.; S.182.
ebd.; S.183.
ebd.; S.205.
ebd.; S.204.
10
Wenn man den Produktionsprozeß als einen Prozeß verstehen kann, in dem sich das
Kapital in ein Produkt, eine bestimmte Ware, also in eine Substanz, die nicht nur organische Materie, sondern auch vergegenständlichte Arbeit enthält, entäußert - wobei diese
Entäußerung auch teilweise eine Entwertung ist-, dann kehrt das Kapital insofern in sich
zurück und realisiert sich, als das Produkt in die Zirkulation geworfen und als Ware gegen Geld getauscht wird54. Jedoch ist Kapital weder Geld noch Ware, sondern sowohl
Geld als auch Ware, also die Einheit von Geld und Ware als Einheit von Produktion und
Zirkulation55.
Hegel spricht von der Entwicklung des Geistes als von einer "harten, unwilligen Arbeit
gegen sich selbst"56. Marx schreibt, daß das Kapital zu seiner Selbsterhaltung, zu seinem
Leben, sich verwerten, nicht aber arbeiten muß57. Was soll dies nun bedeuten? Das
Kapital hat seinen Geist nicht in sich selbst. Ohne entfremdete Lohnarbeit könnte das
Kapital nicht "fermentieren"58. Das Kapital wird nur insofern Prozeß und verhält sich
nur insofern als Totalität zu sich selbst, als es sich etwas anderes -die lebendige Arbeitaneignet, einverleibt und unterordnet. Es scheint so, als sei der Geist sowohl das Kapital
als auch die lebendige Arbeit, wobei die lebendige Arbeit die tote Gegenständlichkeit
des Kapitals befruchtet, aber umgekehrt für das Kapital bei diesem Prozeß die Gefahr
einer Entäußerung besteht.
Die Selbstverwertung des Kapitals ist einzig und alleine möglich über die Aneignung
von fremder Mehrarbeit. "Der Mehrwert ist überhaupt nur Verhältnis der lebendigen
Arbeit zu der im Arbeiter vergegenständlichten"59. Es ist die Mehrarbeit, die den
Mehrwert schafft. Hier werden nun doch starke Differenzen Hegel-Marx und GeistKapital deutlich.
Hegel führte aus, daß das Verhältnis des Geistes zu seinem anderen Anderen im Grunde
nur das Verhältnis zu sich selbst ist. Der Geist ernährt sich nur von sich selbst. Marx
54
55
56
57
58
59
"Nachdem das Kapital sich: durch den Produktionsprozeß 1) verwertet hat, d.h. einen Neuwert
geschaffen; 2) entwertet, d.h. aus der Form von Geld in die einer bestimmten Ware
übergegangen, 3) verwertet es sich samt seinem Neuwert, indem das Produkt wieder in die
Zirkulation geworfen und daß W gegen G ausgetauscht wird. Die wirklichen Schwierigkeiten
dieses dritten Prozesses sind auf dem Punkt, wo wir jetzt stehen, wo das Kapital nur im
Allgemeinen betrachtet wird - nur als Möglichkeiten vorhanden und daher ebenso als
Möglichkeiten aufgehoben. Produkt also jetzt als wieder in Geld verwandelt." ebd.; S.351.
Diese Definition ist Gegenstand des dritten Bands des Kapital, was schon aus dem Untertitel
deutlich wird: "Der Gesamtprozeß der kapitalistischen Produktion". Marx Engels Werke;
Bd.25; Berlin/DDR 1964 ff.. In den Grundrissen sind in diesem Zusammenhang vor allem die
Seiten 238 und 272 zu nennen. Marx; Grundrisse ... a.a.O..
Hegel; Die Vernunft ... a.a.O.; S.152.
"Müßte das Kapital, um zu leben, auch arbeiten, so erhielte es sich nicht als Kapital, sondern
als Arbeit." Marx; Grundrisse ... a.a.O.; S.230.
"Die Arbeit ist das Ferment, das in es <das Kapital> geworfen wird, es nun zur Gärung bringt."
ebd.; S.206.
ebd.; S.243.
11
hingegen führt aus: "Dieser neue Wert, der der lebendigen Arbeit als selbstständiger, mit
ihr sich austauschender, als Kapital gegenübertritt, ist das Produkt der Arbeit. Er ist
selbst nichts als der Überschuß der Arbeit überhaupt über die notwendige Arbeit - in
objektiver Form und darum als Wert."60
Das Kapital ist also lediglich das Produkt von Mehrarbeit und somit auch nicht wirklich
etwas anderes als Arbeit - und doch tritt es der Arbeit als "fremde gebietende
Personifikation"61 entgegen. Als vergegenständlichte Arbeit beherrscht das Kapital die
lebendige Arbeit.
3.
Abschlußbemerkung und Zusammenfassung
Was ist also Subjekt? Der Geist oder das Kapital? Muß man nun annehmen, daß der
Weltgeist das Kapital ist, das heißt die selbstständiges und besonderes Dasein annehmende Tätigkeit der gesellschaftlichen Arbeit, ein Zweck ohne Endzweck, der die mit
Bewußtsein zweckbestimmte freie Tätigkeit der Menschen transzendiert? Wenn Hegel
vom Prozeß des Geistes spricht, so denkt er ihn nicht als Prozeß sondern als praxis eines
Pseudo-Subjekts, als Tätigkeit also, die sich auf Kosten der menschlichen Subjekte
durchsetzt und ihre eigene Praxis transzendiert. Der Prozeß des Geistes ist für ihn die
Verwirklichung des konkret Frei-werdens der Völker und Individuen. Das Kapital ist
ein Prozeß, der die Tätigkeit der Arbeiter, die Gebrauchswerte produzieren,
transzendiert. Es lebt von seinem anderen, der lebendigen Arbeit, die jedoch wiederum
nicht sein absolutes Anderes ist, da das Kapital lediglich das Produkt der lebendigen
Arbeit ist. Nun könnte man meinen, Marx wolle mit seiner Analyse des Kapitals, der
lebendigen Arbeit wieder zu ihrem Recht als Mittelpunkt der Bewegung verhelfen. Zu
diesem Ergebnis kommt man vor allem dann, wenn man nur die Epoche des
Kapitalismus, wo das Kapital der Beweger zu sein scheint, betrachtet. Denn im
Gegensatz zum Geist bei Hegel, der unsterblich ist62, gilt für das Kapital bei Marx, daß
60
61
62
ebd.; S.355.
"Das Arbeitsvermögen hat sich nur angeeignet die subjektiven Bedingungen der notwendigen
Arbeit - die Lebensmittel für das produzierende Arbeitsvermögen, d.h. seine Reproduktion als
bloßes, von den Bedingungen seiner Verwirklichung getrenntes Arbeitsvermögen - und es hat
diese Bedingungen selbst gesetzt als Sachen, Werte, die in fremder gebietender Personifikation
ihm gegenübertreten. Es tritt nur nicht reicher, sondern es tritt ärmer aus dem Prozeß heraus als
es hineintrat." ebd.; S.356.
Hegel; Die Vernunft ... a.a.O.; S.182.
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es eine Zeit gab, da es noch nicht war und es eine Zeit geben wird, da es das Kapital
nicht mehr geben wird63.
Meiner Ansicht nach hat Hegel Aristoteles schöpferischer interpretiert und weiterentwickelt und Marx hat dasselbe mit Hegel gemacht. Er hat seinen Begriff Kapital nicht
nur durch eine philosophische Definition bestimmt, sondern er hat ihn auch am realen
Leben festgemacht. Diesen Aspekt der politischen Ökonomie habe ich hier nicht
untersucht, da Hegel nur Philosoph war, hingegen Marx auch Philosoph, aber in erster
Linie Ökonom. Festzuhalten ist, und da möchte ich Lenin zustimmen, daß man ein
falsches Bild erhält liest man den Begriff Kapital bei Marx nur ökonomisch. Eine
genaue Definition dieses Zentralbegriffes des marxschen Denkens ist ohne eine genaue
Kenntnis und ohne den Vergleich mit Hegel nicht möglich.
4.
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63
Ich will hier nicht auf den Epochenbegriff bei Marx eingehen, da er eine eigene Erörterung
erfordern würde. Festzuhalten ist nur, daß es für Marx eine Epoche ohne Warenproduktion und
ohne Kapital gab. Diese endete endgültig mit der französischen Revolution. Die Epoche, die
Marx als Sozialismus bezeichnet, ist die positive Aufhebung des Kapitals. Dort wird die
lebendige Arbeit und deren Inhaber, der Arbeiter das dominierende Elemen und das Kapital
überwunden sein.
vgl.; Marx Engels Werke; Berlin/DDR 1959 ff.. Hier bietet das Sachregister hunderte von Stellen, die
diese These von der Existenz der Kapitals als historische Phase belegen.
13
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