Englisch Barbara Groß-Langenhoff Die Darstellung innerer Konflikte und Bewusstseinsvorgänge in Arthur Millers Dramen am Beispiel von "All my Sons", "Death of a Salesman", "After the Fall" und "The Price" Examensarbeit Schriftliche Hausarbeit im Rahmen der Ersten Staatsprüfung für das Lehramt für die Sekundarstufe II Die Darstellung Innerer Konflikte und Bewusstseinsvorgänge in Arthur Millers Dramen am Beispiel von All my Sons, Death of a Salesman, After the Fall und The Price dem Staatlichen Prüfungsamt für Erste Staatsprüfungen für Lehrämter an Schulen Köln vorgelegt von: Barbara Groß-Langenhoff Universität zu Köln März 2005 Englisches Seminar Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis......................................................................................................... 2 I. Einleitung................................................................................................................ 4 II. Millers dramentheoretische Position........................................................................ 6 II.1. Millers Dramenverständnis, seine Grundthematik und seine Rolle als Autor...... 6 II.2. Grundzüge des Realismus und des Expressionismus......................................... 8 III. Einführung in die Thematik der Stücke: Vorstellung der Protagonisten................. 11 III.1. Joe Keller in der Doppelrolle des uneinsichtigen Verbrechers und sympathischen Familienvaters, und Kate Keller als Komplizin und Mutter............... 11 III.2. Fragwürdige Lebensträume eines Willy Loman............................................. 14 III.3. Die Identitätskrise Quentins.......................................................................... 16 III.4. Die konträren Lebenswege der Brüder Franz................................................. 19 IV. Die dramaturgische Umsetzung innerer Konflikte und Bewusstseinsvorgänge...... 22 IV.1. Präsentation innerer Vorgänge in All my Sons ............................................... 23 IV.1.1. Plot und Verhaltensmuster bei Joe Keller ............................................... 25 IV.1.2. Sprache, Dialog und Gebärde................................................................. 28 IV.1.3. Raumgestaltung..................................................................................... 33 IV.1.4. Darstellung des Konflikts zwischen Illusion und Hellsichtigkeit bei Kate Keller.................................................................................................................. 35 IV.2. Das „The Inside of His Head“ Motiv in Death of a Salesman ........................ 36 IV.2.1. Plot, Erinnerungsszenen und Halluzinationen ........................................ 37 IV.2.2. Sprache, Dialog und szenische Bilder .................................................... 41 IV.2.3. Raumgestaltung .................................................................................... 44 IV.2.4. Geräuschkulisse und optische Signale.................................................... 46 IV.3. Das „The Inside of His Head“ Motiv in After the Fall ................................... 48 IV.3.1. Fehlender Plot und dramatisierte Gedankengänge.................................. 50 IV.3.2. Monolog, Sprache und szenische Bilder ................................................ 54 IV.3.3. Raumgestaltung .................................................................................... 57 IV.3.4. Geräuschkulisse und optische Signale.................................................... 60 2 IV.4. Präsentation innerer Vorgänge in The Price .................................................. 61 IV.4.1. Der Plot und seine Symbolik ................................................................. 63 IV.4.2. Sprache, Dialog und Gebärde................................................................ 66 IV.4.3. Raumgestaltung .................................................................................... 71 V. Bewertung der Dramenformen im Hinblick auf eine gelungene Darstellung des seelischen Dilemmas der Protagonisten ....................................................................... 75 V.1. Joe Kellers allzu plötzlicher Sinneswandel ..................................................... 75 V.2. Der Einblick in den Kopf des geistig verwirrten Willy Loman ........................ 79 V.3. Der Einblick in das hoch entwickelte Bewusstsein Quentins.......................... 82 V.4. Die konträren Standpunkte der Brüder Franz im offenen Schlagabtausch ........ 85 VI. Abschließendes Fazit .......................................................................................... 89 Bibliographie.............................................................................................................. 91 Primärtexte: ............................................................................................................ 91 Sekundärtexte: ........................................................................................................ 91 3 I. Einleitung Das menschliche Innenleben entzieht sich einer konkreten, unmittelbaren Anschaulichkeit. Was im Kopf eines Menschen vor sich geht, welche inneren Konflikte er durchmacht, kommt nur bedingt hinter der physischen Fassade zum Vorschein. Zwar können teilweise emotionale Stimmungen und Bewusstseinsinhalte jemandem „ins Gesicht geschrieben stehen“ oder auch anderweitig in der Körpersprache und in Verhaltensweisen andeutungsweise zum Ausdruck kommen, aber hauptsächlich und möglichst differenziert lassen sich Gedankengänge, Assoziationen, Gefühle und Erinnerungen nur dadurch vermitteln, indem man sie in Worte zu fassen versucht. Die Versprachlichung innerer Vorgänge wiederum setzt eine gewisse Selbstkenntnis voraus – bzw. eine Kenntnis des Mitmenschen, dessen Psyche man zu analysieren gedenkt. Weiterhin erfordert sie eine gewisse Artikulationsfähigkeit sowie das persönliche Interesse an einer ehrlichen Wiedergabe. Welche vielfältigen Möglichkeiten dagegen das Theater besitzt, um subjektives Erleben anschaulich vorzuführen, beweist der große amerikanische Dramatiker Arthur Miller (*1915, †2005) in seinen Dramenwerken. Als Beispiele bieten sich vier seiner Bühnenstücke an, die sich aufgrund ihrer thematischen bzw. formalen Verwandtschaft besonders gut vergleichen lassen. Dazu gehören das realistisch-analytische Stück All my Sons, mit dem Miller 1947 seinen ersten Bühnenerfolg verzeichnete, die beiden Bewusstseinsdramen Death of a Salesman und After the Fall, und nicht zuletzt The Price, mit dem Miller 1968 wieder ein realistisches Drama auf die Bühne brachte. Während All my Sons innerhalb der Konventionen des Realismus nur indirekt auf Bewusstseinsprozesse eingehen kann, ist das spätere realistische Stück mit hohem Symbolgehalt bereichert, durch den innere Vorgänge auch assoziativ verdeutlicht werden. Die Bewusstseinsdramen verschaffen dem Zuschauer hingegen durch szenische Darstellung einen direkten Einblick in den Kopf des Protagonisten. So hieß das Stück Death of a Salesman vor der Uraufführung im Jahre 1949 auch zunächst The Inside of His Head. Aus welchen Gründen dieser Arbeitstitel am Ende verworfen wurde und inwiefern dieses „The Inside of His Head“ Motiv in dem 1964 uraufgeführten After the Fall eine konsequente Umsetzung findet, wird im weiteren Verlauf herauszustellen sein. Um Millers Stücke dramentheoretisch einordnen zu können, wird im zweiten Kapitel zunächst ein kurzer Überblick über Millers Vorstellungen von Drama, seine Theorie über Mensch und Gesellschaft und sein Selbstverständnis als Autor gegeben. Im Kontrast zum traditionellen realistischen Drama werden zudem die wesentlichen 4 Merkmale des expressionistischen Bewusstseinsdramas aufgezeigt. Im dritten Kapitel wird in die Thematik der Stücke eingeführt, indem die Protagonisten und deren innere Krise vorgestellt werden, bevor das vierte Kapitel untersucht, welcher dramatischer Techniken sich Miller jeweils bedient, um die Gedankenwelt des Protagonisten und seine inneren Erfahrungen auf der Bühne zu illustrieren. Dabei richtet sich das Hauptaugenmerk auf die Kernfiguren und die Darstellung ihrer Erinnerungen, auf den Plot, den Dialog, die Sprache und die Gebärde sowie auf die Raumgestaltung, die Geräuschkulisse und die Beleuchtung der Bühne. Durch die Gegenüberstellung der Protagonisten und ihrer jeweiligen Probleme wird im fünften Kapitel die unterschiedliche Wahl der dramatischen Mittel begründet und bewertet, dem mit dem sechsten Kapitel noch ein abschließendes Fazit folgt. An dieser Stelle sei noch auf die ein oder andere Formalität hingewiesen. Zum einen beschränkt sich die vorliegende Untersuchung größtenteils auf eine psychologischindividuelle Interpretation der Dramen, da deren nicht zu unterschätzender gesellschaftskritischer Gehalt den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Weiterhin sind die folgenden dramentheoretischen Begrifflichkeiten und Analysekriterien im Sinne von Manfred Pfisters Dramentheorie zu verstehen, die er in seiner Monographie Das Drama (2001 [1977]) dargelegt hat. So wie er selbst von seiner konkreten Handlungsdefinition als „einzelne[r] Handlung einer Figur in einer bestimmten Situation“ (269) bei gewissen Komposita abweicht (409/410), so wird auch hier in bestimmten Kontexten der Begriff Handlung mit dem übergreifenden Handlungszusammenhang des ganzen Stückes gleichgesetzt, zum Beispiel, wenn von äußerer Handlung oder der Handlungsstruktur die Rede ist. Als Letztes sei angemerkt, dass sämtliche Hervorhebungen in den zitierten Textabschnitten originalgetreu übernommen worden sind, weshalb auf entsprechende Vermerke im Einzelfall verzichtet wird. 5 II. Millers dramentheoretische Position II.1. Millers Dramenverständnis, seine Grundthematik und seine Rolle als Autor In seinem Vorwort zu den Collected Plays legt Arthur Miller (1996 [1957]: 113ff) ausführlich sein Verständnis von Drama dar und versucht sowohl sich als Autor als auch die seinen Stücken zugrunde liegende Intention einzuordnen. Er sieht sich demnach als Künstler und experimentierfreudiger Autor, der sich aber auch mit den bestehenden Theatertraditionen beschäftigt und auskennt. So spielen bei ihm auch Aristoteles Begriffe der „katharsis“ und der „hamartia“ eine große Rolle. Seine Dramen sollen beim Zuschauer Furcht und Mitleid hervorrufen und behandeln einen tragischen Fehler, der durch die Fügung des Schicksals noch begünstigt wird. Insbesondere die Leidenschaft, mit der die Problematik des Protagonisten dargestellt wird und wodurch die Emotionen des Publikums erweckt werden, ist nach Miller ausschlaggebend für gutes Drama. Dagegen lehnt er die vom klassischen Drama postulierte Fallhöhe des Helden ab, da die Zeiten der antiken Könige und deren Landeseroberungen der heutigen Gesellschaft nicht mehr entsprechen. Millers Hauptfigur ist sozusagen ein „mittlerer“ Held, bei dem es darauf ankommt, dass er Statur hat, also dass er eine interessante Persönlichkeit darstellt. Auch die Einheit von Raum und Zeit sowie das Festhalten an der klassischen Handlungsstruktur sind für Miller nicht zwingend. Der formale Aufbau seiner Stücke ist nicht auf einen bestimmten Dramentyp festgelegt. Die Wahl der Form ist stattdessen themenbedingt, und führt bei Miller nicht selten zu einer Vermischung von Stilmitteln verschiedener Dramentypen. Als eine weitere wesentliche Voraussetzung eines guten Dramas im Sinne Millers steht die originelle Idee, die von Anbeginn des Schreibens vorhanden sein soll, aber während des Schreibprozesses noch reifen muss. Dabei drehen sich seine Themen immer um das paradoxe Verhältnis zwischen dem einzelnen Menschen und der Gesellschaft, in der er lebt: Einerseits kann der Mensch nur innerhalb einer Gesellschaft sich selbst verwirklichen, gleichzeitig wird er aber von ihr bedroht, da sie eine Selbstentfremdung des Menschen provoziert, indem sie dazu tendiert, das Individuum durch gesellschaftliche Normen zu konditionieren. Nach Millers Anschauung ist der Mensch ein selbständiges, rationales Wesen, das für das eigene Leben und innerhalb der Gesellschaft eine gewisse Verantwortung trägt und so auch zur Verantwortung gezogen werden kann. 6 Dieses Bild eines verantwortlichen Menschen liefert drei Hauptthemen. Zum einen geht es in Millers Werken um den Grad der Einsicht in diese Verantwortung. Die Charaktere werden mit der Frage konfrontiert, ob sie ihren Verpflichtungen nachgekommen sind, und stehen vor der Entscheidung, sich der Frage entweder zu stellen oder ihr auszuweichen. Das Letztere führt konsequenter-weise zu einem weiteren zentralen Aspekt, der bei Miller in den verschiedensten Facetten präsentierten Schuldthematik. Er hält es für unausweichlich, dass man im Laufe seines Lebens Schuld auf sich lädt und er verlangt dem Menschen ab, dass er sich seine Schuld bewusst eingesteht und dadurch seine Verantwortung akzeptiert. Nur so kann der Mensch sich dem Manipulationsapparat gesellschaftlicher Institutionen entziehen, die mit Begnadigung durch Unterwerfung locken und damit die menschliche Sehnsucht nach Unschuld und Reinheit ausnutzen. Schuld im Sinne bereits begangener Fehler verweist gleichzeitig als drittes Hauptthema auf den Zusammenhang zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Der Mensch soll bei Miller erkennen, dass die Gegenwart durch die Geschichte kausal bedingt ist. Millers Figuren, die davor die Augen verschießen, werden in den Stücken von ihrer Vergangenheit eingeholt. Ihre Lebenslügen, mit denen sie vergangene Fehler verdrängen und als Ursache gegenwärtiger Folgen leugnen, müssen abgebaut werden. Nur wenn es ihnen gelingt, werden sie ihrer Verantwortung gerecht und gewinnen sie an Menschenwürde. Mit dieser kritischen Auseinandersetzung mit dem Menschen und der Gesellschaft beabsichtigt Miller, dem Publikum die eigene gesellschaftliche Anpassung bewusst zu machen. Er versteht sich als Moralist, dem es um Kritik an der amerikanischen Gesellschaft seiner Zeit geht. Dabei sieht er das Theater als Mittel, bei den Zuschauern das Bewusstein für mögliche eigene Entfremdung anzuregen. Die (dramatische) Kunst losgelöst von ethischen Aspekten ist für Miller dagegen bedeutungslos. So lässt Miller sich auch nicht als Vertreter eines bestimmten, von ihm als künstlerisch vollkommen angesehenen Dramentyps einordnen. Seine Kunst liegt vielmehr darin, durch Experimentieren eine Kombination von dramatischen Stilmitteln zu finden, mit der sich seine Idee am wirkungsvollsten umsetzen lässt und die die zugrunde liegende Moral des Stückes am besten zum Ausdruck bringt. 7