Der musikalische Gedanke

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Musikalische Gedanken
Alan Belkin, Komponist
Über musikalische Gedanken
Übersetzung: Jörn Eichler
Es begann für ihn stets mit der Vision einer oder mehrerer Personen, die ihm
vorschwebten, um ihn werbend, als aktive oder passive Figuren, die ihn
interessierten und ansprachen einfach durch ihr Sein und durch was sie waren. Er
sah sie, auf diese Weise, als Verfügbare, sah sie als Spielbälle der Möglichkeiten, der
Schwierigkeiten der Existenz, und sah sie lebhaft, musste aber sodann die richtigen
Beziehungen für sie finden, solche, die sie am besten ans Licht brächten; musste sich
Situationen vorstellen, ausdenken, auswählen und zusammenstellen, die für die
Bedeutung dieser Geschöpfe am nützlichsten und vorteilhaftesten wären, ebenso die
Schwierigkeiten, die sie am Wahrscheinlichsten verursachen und fühlen würden.
(Henry James, über Ivan Turgeniev, im Vorwort zu "Bildnis einer Dame".)
Einleitung
Seinen 1946 geschriebenen Aufsatz "Neue Musik, veraltete Musik, Stil und Gedanke" beginnt
Schönberg mit der folgenden Aussage (Arnold Schönberg: Stil und Gedanke, Aufsätze zur
Musik, herausgegeben von Ivan Vojtěch, S. Fischer Verlag, 1976, S.25, im Folgenden S+G):
Die ersten drei dieser vier Begriffe sind in den letzten fünfundzwanzig Jahren
ausgiebig verwendet worden, während von dem vierten Begriff, Gedanke, nicht
soviel Aufhebens gemacht worden ist.
Sechzig Jahre später hat sich die Situation nicht wesentlich geändert: Man liest immer noch
endlose Abhandlungen darüber, was derzeit als modern oder altmodisch gilt, über
Stilfragen, aber selten über musikalische Gedanken als solche. Zur Klarstellung: Wir meinen
hier nicht Gedanken über Musik, sondern Gedanken in der Musik, das bedeutet Töne,
Klangfarben, Rhythmen, usw...
Die Gründe dafür sind leicht zu erkennen. Erstens erfordert die Besprechung von
musikalischen Gedanken in diesem Sinne viel mehr praktische Erfahrung im Schreiben von
Musik als die meisten Verfasser besitzen. Zweitens ist sie ästhetischer Propaganda und
Wortgefechten, die unglücklicherweise eine gewisse Art über Musik zu schreiben befeuern,
weniger zugänglich.
Für einen Komponisten, der sein Handwerk gelernt hat, sind jedoch Überlegungen über die
Beschaffenheit und Auswirkungen seiner musikalischen Gedanken zentraler Bestandteil
seiner Kunst. Diese Fragen lassen sich aber nicht durch verbale Diskussionen lösen, sondern
durch das Schreiben von Musik, das Hören von Musik, das Ausprobieren von musikalischen
Möglichkeiten - kurz, durch musikalisches Denken.
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Musikalische Gedanken
Ich hoffe, dem Leser in diesem Aufsatz einen Prozess erläutern zu können, der für das
Komponieren grundlegend ist, jedoch zu oft unbeachtet bleibt. (Und: Der oft im
Kompositionsunterricht fehlt.) Mein Ziel ist ein pädagogisches, nicht ein philosophisches:
Ich möchte die bestehende Literatur über Kompositionstechniken um Material ergänzen,
das nicht allgemein bekannt ist. Ich werde keine umfassenden Theorien vorschlagen. In
Anbetracht des Mangels an Schriften zu diesem Thema, versuche ich einfach einen
praktisch nützlichen Beitrag zu leisten.
Wie in meinen anderen Online-Büchern, bleibt meine Betrachtung auf die westliche
Kunst-Musik beschränkt. Ich vermeide auch die spezifischen Fragen der Programmmusik
und textgebundener Musik, abgesehen davon anzumerken, dass sogar in diesen Fällen nur
ein musikalischer Gedanke (gleich welchen Ursprungs) schließlich den Impuls für ein
vornehmlich musikalisches Werk bieten kann.
Unsere Betrachtung konzentriert sich dabei auf zwei Punkte: Was macht einen
musikalischen Gedanken interessant? In welchem Sinne bestimmt der Gedanke die Form
des Stückes? Diese Fragen sind nicht unabhängig voneinander: Tatsächlich ist es oft
unmöglich einen musikalischen Gedanken von seiner Ausarbeitung zu trennen.
Es gibt wenig Literatur zu diesem Thema. Abgesehen von Schönbergs Aufsatz (s.o.), einigen
anderen Schriften von ihm, die weiter unten genauer besprochen werden und dem kleinen
Buch von Roger Sessions (The Musical Experience of Composer, Perfomer, Listener,
Atheneum, New York, 1968, S. 43ff, im Folgenden ME), sind die besten Quellen die Skizzen der
Komponisten. Durch das Untersuchen von frühen Skizzen von Meistern wie Bach,
Beethoven, Wagner u.a. und das Beobachten ihrer Fortschritte in Richtung auf die
endgültige Form im fertigen Werk kann man einige der Kriterien für musikalische Qualität
dieser Meister lernen.
Wie Sessions über Beethoven formuliert:
Besonders faszinierend an seinen Skizzen ist in der Tat die Art, in der die
verschiedenen Umbildungen eines Gedankens stets dessen eigentliche
Charakteristiken erhalten, ja diesen tatsächlich schrittweise verstärken. (ME, S.54)
Die analytische/theoretische Literatur enthält wenig über Kriterien für die Qualität von
musikalischen Gedanken, und noch weniger darüber, wie ein gegebener Gedanke die Form
des resultierenden Stückes beeinflusst und/oder bestimmt, abgesehen von offensichtlichem
wie motivischen Ableitungen und, in jüngerer Musik, harmonischen Gemeinsamkeiten
zwischen Linie und Akkorden. So interessant diese Zusammenhänge sein mögen, sagen sie
doch zumeist wenig oder gar nichts darüber aus, wie oder warum das Werk den Zuhörer
anzieht. Für den Komponisten ist es jedoch von entscheidender Bedeutung, die Darstellung
zu finden, die den meisten Eindruck auf den Zuhörer macht.
Während zum Beispiel unzählbare Analysen der Fugen aus Bachs Wohltemperiertem Klavier
(im folgenden WTK) erstellt wurden, bespricht kaum eine davon wie die Gesamtanlage
einer gegebenen Fuge mit ihrem Thema zusammenhängt. Motivableitungen aus dem
Thema sind natürlich wichtig und zumeist leicht zu erkennen, aber sie sagen nichts über die
zeitliche Organisation des Stückes aus. Wenngleich es übertrieben wäre anzunehmen, dass
die Gesamtform einer gegebenen Fuge irgendwie aus ihrem Thema abgeleitet werden
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könnte, gibt es dennoch bestimmte Verbindungen zwischen dem Charakter und der inneren
Struktur des Themas und der daraus folgenden Konstruktion der Fuge.
Zum Beispiel lassen Thema und Gegenthema der großen h-Moll Fuge, am Ende des ersten
Bandes des WTK durch ihre Länge und Komplexität bereits darauf schließen, dass das
folgende Stück ziemlich lang und kunstvoll sein und viele chromatische Vorhalte und
chromatische Modulationen enthalten wird. Die auffallenden übermäßigen und
verminderten Sprünge des Themas und Gegenthemas führen notwendigerweise zu einem
gezackten, kantigen Kontrapunkt. Das Material legt eine intensive und sehr dramatische
Fuge nahe. Es wird ebenfalls, als Kontrast, wahrscheinlich irgendeinen einfacheren
sequenzierenden, vielleicht diatonischeren Abschnitt erfordern, möglicherweise mehrfach
in doppeltem Kontrapunkt wiederkehren, wie es Bachs Gewohnheit ist, um der Gesamtform
das "Atmen" zu erlauben.
Einen ganz anderen Fall bietet, zum Vergleich, die erste Fuge in C-Dur desselben Bandes des
WTK. Man erkennt sofort, dass dieses Thema vielfältigen kanonischen Imitationen
zugänglich ist; seine gleichmäßige Linie und verständliche Diatonik lassen einen ruhigeren
Stil vermuten; es wird daher viel weniger starken Kontrast benötigen: Ein solcher könnte
hier das Thema überschatten. Dieses kurze Thema lässt auch kein sehr langes Stück
vermuten.
Damit diese "Ableitungen" nicht offensichtlich oder trivial erscheinen, lohnt es, den Leser
daran zu erinnern, dass gemäß einiger der Haupttraditionen des Unterrichts, z.B. der
französischen fugue d'école, alle Fugen dem genau gleichen Aufbau von Einsätzen,
Modulationen, Episoden, Engführungen usw... folgen müssen. Wenngleich ein solcher
vorgefertigter Plan dem Anfänger einen gewissen Nutzen bietet, stellt die Idee, dass alle
Themen auf die genau gleiche Art ausgearbeitet werden sollten eine Karikatur auf
wirkliches, fantasievolles Komponieren dar. Vom Schüler zu verlangen eine "StandardSonatenform" zu schreiben, ohne Rücksicht darauf, was das Material erfordert, ist ebenso
eine mechanische Aufgabe und kann nicht zu künstlerischem Denken führen.
Im Unterschied zu diesen Routinearbeiten legen die stärksten und persönlichsten
Kompositionen immer eine gewisse Kraft und Individualität an den Tag. Sie enthalten
eindrucksvolle, unvergessliche Gedanken und sie schöpfen das interessante und
charakteristische dieser Gedanken vollständig aus und erfordern daher viele kritische
Entscheidungen darüber, was in der daraus folgenden Form am meisten auffallen wird.
Der musikalische Gedanke: Grundlagen
Zu definieren, was einen musikalischen Gedanken ausmacht ist nicht leicht. Zum Teil weil
es unmöglich ist vorherzusagen, was zukünftige Komponisten erfinden werden. Wir
werden hier einige Gedankengänge vorschlagen, die sich in der Vergangenheit für
Komponisten als nützlich erwiesen haben.
Beginnen wir mit Schönbergs Schriften zu diesem Thema. Er befasste sich mit diesem
Problem fast während seiner ganzen Karriere. Er bezieht sich sehr oft darauf bei
verschiedenen Gelegenheiten. Abgesehen von dem oben zitierten Aufsatz, bespricht
Schönberg musikalische Gedanken genauer in seinen Werken zur musikalischen Form (und
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Musikalische Gedanken
impliziert dabei recht logisch, dass ein musikalischer Gedanke nicht von seiner formalen
Darstellung getrennt werden kann). Seine beiden uns vorliegenden Hauptwerke sind:
eine jüngere Zusammenstellung eines geplanten, aber nie fertiggestellten Buches, The
Musical Idea, and the Logic, Technique, and Art of its Presentation, herausgegeben,
übersetzt (zweisprachig Deutsch/Englisch) und mit einem Kommentar versehen von
Patricia Carpenter und Severine Neff, Columbia UP, NY, 1995 (im Folgenden TMI)
sein Lehrbuch für amerikanische Studenten Fundamentals of Musical Composition,
herausgegeben von Gerald Strang und Leonard Stein (Faber, London, 1967)
Wenngleich unser Anliegen nicht darin besteht, Schönbergs Schriften zu besprechen, ist es
wichtig sich seiner Bezugspunkte zu erinnern. Gemäß Richard Taruskin in The Oxford
History of Western Music (Oxford University Press, New York, 2005, Band 4, S.52ff) war
Schönberg stark von Swedenborgs Ideen bezüglich mystischer Einheit beeinflusst.
Desgleichen erwähnen Carpenter und Neff häufig, dass Schönberg dazu neigte musikalische
Formen in organischen Begriffen zu sehen. Sie nennen das seinen "Organizismus".
Trotz gelegentlicher verlockender Hinweise (zum Beispiel gibt es an einer Stelle in TMI eine
leere Seite (196) mit der Überschrift "Klang als formbildendes Element - und Mittel des
Zusammenhangs"), und seiner eigenen experimentellen, hauptsächlich auf fluktuierenden
Klangfarben aufbauenden Komposition Farben, op.16 folgt Schönberg in den meisten seiner
Besprechungen und Analysen der spätromantischen Tradition und gebraucht den Terminus
"musikalischer Gedanke" im Sinne einer thematisch/motivischen Grundgestalt, von der alle
folgenden "Motivgestalten" in einem Werk abgeleitet werden.
Es gibt natürlich einen guten Grund für seine Konzentration auf Motive: Definitionsgemäß
ist ein Motiv eine kurze, leicht erinnerbare musikalische Einheit. Da das Gedächtnis die
geistige Fähigkeit ist, die uns in erster Linie ermöglicht Musik wahrzunehmen ist das, was
sich leicht erinnern lässt, ein logischer Baustein für die musikalische Form.
Weiterhin können Motive vielfachen Variationen unterworfen werden, die von den
offensichtlichsten und grundlegendsten Veränderungen bis hin zu extrem esoterischen, nur
dem Auge zugänglichen Transformationen reichen. Natürlich müssen die Aspekte eines
musikalischen Gedankens, die leicht gehört werden können immer Vorrang haben. Kein
Stück ist ausschließlich oder auch nur hauptsächlich erfolgreich auf Grund subtiler
motivischer Zusammenhänge: Diese sind definitionsgemäß nicht erinnerbar! Wenngleich
die Erfahrung eines Kenners vielleicht durch das Bemerken solcher subtiler
Zusammenhänge erweitert wird, können sie nie den Stellenwert von auffallender, hörbarer
Struktur einnehmen, denn dieser letzteren folgt der Hörer gewöhnlich. Anders gesagt, wenn
der musikalische Gedanke eines Stückes nicht klar und hörbar in Erscheinung tritt, kann er
keinen signifikanten Einfluss auf den Hörer ausüben. Subtilere Details müssen, wenn sie
überhaupt von Nutzen sein sollen, den Effekt dessen unterstützen, was am meisten auffällt.
(Unser Insistieren auf der Wichtigkeit des "Auffallens" (im Englischen "salience") lässt dies
vielleicht als den geeigneten Zeitpunkt erscheinen, Ideen wie "athematische Musik" zu
kommentieren. Wenngleich es in der Tat möglich ist Musik ohne Themen traditioneller Art
zu konstruieren, sind solche Parolen zutiefst missverständlich. Zum einen beschreiben sie
was diese Musik nicht ist, anstatt zu beschreiben was sie ist. Zweitens behandeln sie
Themen als oberflächliche Merkmale, die ohne weiteres weggelassen werden können.
Wenn dem so wäre, warum wurden sie dann überhaupt verwendet? Und wenn man keine
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Themen verwenden soll, warum nicht? Und am wichtigsten, was nimmt ihren Platz in der
musikalischen Architektur ein?)
Um zu Schönberg zurückzukommen: Als ruheloser, fragender Denker, kapitulierte er vor
manchen Problemen durch seine übertriebene Konzentration auf das Motivische. Er
schreibt in TMI:
Ebenso verhält es sich mit meiner Behauptung, dass (mindestens) ein Stück (Satz)
[wenn nicht ein ganzes Werk] aus einem einzigen Motiv gebildet wird. Ich könnte
sie an vielen Beispielen beweisen. Aber viele andere wehren sich hartnäckig gegen
solche Erklärung: Hier sehe ich nicht mehr oder es sind eben auch hier andere mir
unbekannte Gesetze am Werk. (S.90)
Vielleicht schlägt er deshalb an anderer Stelle Folgendes vor:
Jeder Ton, der einem Anfangston hinzugefügt wird, macht dessen Bedeutung
zweifelhaft. (S+G, S.33)
und
Durch die Verbindung von Tönen verschiedener Höhe, Dauer und Betonung
(Stärke ???) [AB: Die Fragezeichen sind von Schönberg] entsteht eine Unruhe: ein
Ruhe wird in Frage gestellt durch einen Kontrast. (TMI, S.102)
Diese These ist eine recht schöne Formulierung, da sie andeutet, dass der Beginn eines
Stückes eine Spannung erzeugt, die der Rest des Stückes ausarbeiten oder auflösen wird.
Trotzdem werde ich hier einen etwas anderen Ansatz verfolgen. Ich betrachte einen Anfang
dann als gut, wenn er Fragen im Hörer aufwirft. Unter "Fragen" verstehe ich eine
Kombination aus Erwartung und Unsicherheit, die den Hörer befällt. Die Balance zwischen
diesen Elementen ist entscheidend: Zu große Vorhersehbarkeit führt zu Langeweile; zu viel
Unsicherheit ist einfach chaotisch und macht es dem Hörer unmöglich, sinnvolle
Verbindungen zwischen den Ereignissen zu ziehen und auf diese Weise eine Erwartung an
die Fortsetzung zu entwickeln.
Einige Beispiele werden diese Punkte verdeutlichen und auch zeigen wie man sogar einen
simplen musikalischen Gedanken verbessern kann.
Bsp. 1 ist eine einfache C-Dur Tonleiter in gleichmäßigen Viertelnoten. Musikalisch ist sie
von geringem Interesse, denn der Hörer verbleibt ohne Verlangen nach einer Fortsetzung
nach der tonalen und rhythmischen Auflösung durch die letzte Note.
Bsp. 2 erhöht das Durcheinander beträchtlich: Abgesehen von der gleichen Notenlänge und
der Beschränkung auf die C-Dur Tonleiter bilden die Töne kein erkennbares Muster. Auch
dieses Beispiel ist von geringem musikalischem Interesse, da es kaum schlüssige
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Erwartungen erzeugt.
Bsp. 3 ist Beispiel 2 ähnlich, aber in das Reich des Rhythmus eingetaucht. Wieder ist das
Ergebnis einfach zu unvorhersehbar; ist daher schwierig zu behalten, und macht es dem
Hörer beinah unmöglich, zusammenhängende Verwandtschaften wahrzunehmen.
Bsp. 4 erhält die einfache Gesamtrichtung (steigende C-Dur Tonleiter), aber die Details des
Weges nach oben sind viel weniger offensichtlich. In dem es dem Hörer erlaubt, an jedem
Punkt eine Erwartung über die Fortsetzung zu entwickeln (gleiche Notenlänge, steigende
Linie, Töne der C-Dur Tonleiter), dabei aber einen leichten Grad von Unvorhersehbarkeit
hinzufügt, gewinnt dieses Beispiel an musikalischem Interesse.
Bsp. 5 stellt einen großen Schritt in Richtung auf die musikalische Intensivierung des
Gedankens dar. Durch das nunmehr vorgegebene Tempo und die Dynamik, durch ein leicht
erkennbares Motiv, das aus wiederholten Noten und rhythmischen Figuren besteht, sowie
durch konsequente Artikulation, hinterlässt es im Hörer einen stärkeren, leichter
erinnerbaren Eindruck. Zudem erhält es durch die Unterbrechung des Rhythmus am Ende
des ersten Taktes, gefolgt von der Wiederaufnahme der Bewegung, einen starken inneren
Kontrast ohne dabei chaotisch zu werden. Diese Version beginnt Züge eines echten Themas
anzunehmen: Sie verlangt eine Fortsetzung.
Bsp. 6 macht das schon in Bsp. 5 enthaltene Thema persönlicher. Statt der anonymen C-Dur
Tonleiter besitzt das steigende Profil nunmehr einen erkennbar intervallischen Charakter.
Auch die hinzugefügten Wiederholungen machen den Gedanken leichter erinnerbar.
Während der rhythmische Puls noch fühlbar ist, erzeugen die unregelmäßigen Abstände
der motivischen Teile zusätzliche Spannung. Diese Version verlangt nicht nur eine
Fortsetzung, sondern legt als Ergebnis ihrer inneren harmonischen und rhythmischen
Spannungen auch mehr Möglichkeiten für eine dramatische Entwicklung nahe.
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Erforschen wir einige der Möglichkeiten des Gedankens in dieser Form:
Auf die Pause in Takt 2 können im weiteren Verlauf verschiedene Wendungen folgen:
Eine Wiederholung des Anfangs, eine Verschiebung hin zu anderen harmonischen
Bereichen, eine plötzliche Veränderung des Charakters - Das macht sie zu einem noch
mächtigeren Mittel, wenn der Hörer die originale Form des Gedankens kennend, die
bereits gehörte Fortsetzung erwartet.
Die Pause beinhaltet auch die Möglichkeit eines Kanons oder einer Imitation; oder sie
könnte mit sich in einen Dialog in verschiedenen Klangfarben und/oder Registern
treten.
Durch die wiederholten Noten wird eine Umkehrung eine nützliche und leicht hörbare
Ableitung.
Das Thema könnte, als Ganzes oder in Teilen, in einem anderen Charakter präsentiert
werden; z.B. scherzando, durch Veränderung des Tempos und der Artikulation. (Dies
entspräche einer Figur eines Romans, die uns in verschiedenen Stimmungen und
Situationen begegnet.)
Man könnte aus der Tonwiederholung eine Art Ostinato-Orgelpunkt zur Begleitung
von etwas anderem gewinnen.
Die Sprünge könnten vergrößert und damit dramatischer gemacht werden.
Ich habe hier absichtlich auf einige weniger offensichtliche Möglichkeiten verwiesen,
anstatt durch einfache Fortsetzung eine oder mehrere weitere Phrasen der selben Art zu
erzeugen, da die Form eines großen Stücks starke Kontraste und interessante Wendungen
verlangt. Man beachte wie viele Möglichkeiten von der Tatsache herrühren, dass der
Gesamtumriss des Themas nicht fließend ist. Solche Brüche ermöglichen Überraschungen.
Bsp. 7 führt das Thema noch weiter in das Reich der inneren Abwechslung. Es wird jetzt
auch die Klangfarbe vorgeschrieben und der Kontrast dadurch verstärkt. Wenngleich es auf
dem selben Umriss wie das vorige Beispiel aufbaut, lässt der stärkere Kontrast fühlen, dass
das Werk einen dramatischen Konflikt beinhalten wird; es wird wahrscheinlich auch mehr
Zeit zur Ausarbeitung der Spannungen des Themas benötigen.
Unsere bisherigen Ausführungen zeigen einige nützliche Kriterien für die Bewertung eines
(thematischen) musikalischen Gedankens auf. Solche Kriterien hängen erstens von der Art
des Stückes ab, das der Komponist schreiben möchte: Ein Walzer verlangt eine andere Art
Gedanken als ein symphonisches Finale. Speziell die Größe und emotionale Bandbreite
eines Stückes hängen normalerweise vom Grad des inneren Kontrastes des Gedankens ab:
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Je ausgeprägter diese Kontraste, desto mehr Raum wird das Stück im allgemeinen benötigen
um sie zu verbinden und vollständig auszuführen.
Zweitens sollte ein musikalischer Gedanke erinnerbar sein, und daher für den Hörer leicht
zu merken. Er muss einfach genug sein, um schnell erfasst werden zu können (d.h. nicht
überladen mit verschiedenen Informationen). Dies erfordert normalerweise einige recht
offensichtliche Wiederholungen.
Drittens muss er den Hörer neugierig machen: Wie oben erwähnt ist dazu ein
Gleichgewicht zwischen Vorhersehbarkeit im Großen und Unvorhersehbarkeit im Detail
nötig.
Athematische Gedanken
Was ist nun aber mit musikalischen Gedanken, die nicht auf Themen und Motive begrenzt
sind? Wieder Schönberg:
Ich selbst betrachte die Totalität eines Stückes als den Gedanken. (S+G, S.33)
Das ist suggestiv, aber vage. Obwohl Schönberg viel Zeit aufwendet für die Besprechung
formaler Prozesse, die in verschiedenen Abschnitten eines Stückes (Exposition,
Durchführung, Übergänge, usw.) Anwendung finden, sagt er tatsächlich nichts spezifisches
darüber aus, wie diese Prozesse bezüglich eines gegebenen Gedankens variieren. Dies ist
jedoch eine entscheidende Frage.
Vielleicht wäre eine bessere Formulierung für Schönbergs These: Der Gedanke und seine
Ausarbeitung sind untrennbar. Einige Aspekte der Ausarbeitung leiten sich leicht vom
Ursprung ab (Thema/Motiv), andere vielleicht nicht. Die richtige Art zu finden, einen
Gedanken in eine Form zu bringen, am effektvollsten zu ihm hin zu führen, ihn in allen
Fassetten zu zeigen - das sind alles Schritte des eigentlichen Komponierens. Tatsächlich
führen sie uns zurück auf den etymologischen Ursprung des Wortes:
"componere" = zusammenstellen.
Sessions:
Manchmal [...] mag einer der wichtigsten musikalischen Gedanken, im
grundlegenden und motivierenden Sinne, nicht einmal ein thematisches Fragment
sein, sondern ein Merkmal der Gesamtanlage [...] (ME, S.44f).
Eine der gängigen und bedeutenden Arten wie ein musikalischer Gedanke sich entwickeln
kann, nenne ich "eine neue Wendung nehmen." (Man beachte, dass diese Technik die
Verwendung von Themen und Motiven nicht ausschließt.)
Betrachten wir ein sehr bekanntes Beispiel: Den ersten Satz von Beethovens fünfter
Sinfonie. In Takt 21 schweigt das Orchester plötzlich und nur die ersten Geigen bleiben mit
einem einzigen Ton übrig; es klingt fast wie ein Fehler. Aber diese Geste hat bedeutende
Konsequenzen in der Reprise. Der Beginn wird nun von den Holzbläsern in gehaltenen
Tönen begleitet und kulminiert in derselben gehaltenen Note (Takt 268), nun aber von der
Oboe. Diese blüht in eine kleine Adagio Solophrase auf. Dieser unerwartete Kontrast erzeugt
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eine emotionale Vertiefung, insbesondere nach dem langen unablässigen Hämmern des
wiederholten Achtel-Motives. Die Tatsache, dass dieser Moment von der sehr auffallenden
"Frage", die zuerst von den Geigen in Takt 21 gestellt wird, vorbereitet wurde, macht seine
Bedeutung tiefsinniger: Er regt das Erinnern an und präsentiert zugleich eine neue
musikalische und emotionale Richtung. Dieser sehr auffallende musikalische Gedanke,
wenngleich er auch nicht Teil einer Grundgestalt ist, steigert den emotionalen Reichtum und
die Einheit des Satzes enorm.
Ein weiteres, anders geartetes Beispiel: Der langsame Satz von Beethovens viertem
Klavierkonzert. Dieser stellt einen interessanten Fall dar, da der Gedanke hier aus einem
Wechsel von Charakteren besteht, die sich ihrerseits über den gesamten Satz hin
entwickeln. Am Anfang spielt das Orchester (nur Streicher) eine wilde, punktierte StaccatoFigur, laut, in Oktaven. Das Klavier dagegen, spielt gehalten, lyrisch und seine Klänge
verschwinden traurig dahin (ein wunderbares Beispiel wie Beethoven etwas sehr
grundlegendes - die natürlich abnehmende Resonanz des Klaviers - zu größtem Effekt
führt). Während die Harmonien des Klavierparts klagender werden, indem Vorhalte
hinzukommen usw., werden die Phrasen des Orchesters kürzer und ruhiger, schließlich zu
kleinen Zwei-Noten-Einrufen reduziert. Wenn das Orchester schließlich beginnt, Akkorde
zu spielen, so sind diese pizzicato und begleiten den blumigeren Part des Klaviers, der
nunmehr gebrochene Akkorde sowie Vorhalte enthält. Nach einer kurzen Kadenz des
Klaviers, ist der finale Beitrag des Orchesters endlich in Harmonien, getragen, arco und das
ursprüngliche punktierte Motiv ist in den Bass abgestiegen. (Diese Beobachtung stammt von
Tovey aus seinen Essays in Musical Analysis, Band 3, Oxford University Press, London, 1963,
S.81) Klavier und Orchester teilen am Ende das gleiche einfache Motiv. Der Effekt im
Ganzen besteht darin, dass das Orchester (die Gruppe) schlussendlich zu Mitgefühl mit dem
Klavier (dem Individuum) findet. Die emotionale Auswirkung ist enorm. Die erste
Konfrontation ist bereits mächtig, aber die Entwicklung von Konfrontation zu Mitgefühl ist
überwältigend. Der Gedanke dieses Satzes ist somit nicht begrenzt auf seine motivische
Konstruktion, sondern besteht - passend für ein Konzert - eher aus der Art wie Solist und
Orchester interagieren.
Ein weiteres Beispiel, mit einer ganz anderen Ausarbeitung: Bachs spätes Präludium und
Fuge in e-Moll für Orgel (BWV 548). Das Thema der Fuge ist harmonisch interessant und
melodisch symmetrisch, aber nicht mechanisch. (Die untere Stimme ist das Gegenthema.)
Es wird über etwa zwei Seiten durchgeführt, im Stile einer normalen Fuge - wenn das Wort
"normal" bei solch kraftvollem Kontrapunkt angewendet werden kann. Wie man von der
zusammengesetzten chromatischen Linie des Themas erwarten kann, ist die Harmonie
ruhelos, erforscht die dem Thema innewohnenden chromatischen Möglichkeiten, und die
Stimmen steigern ihre Intensität zu einem kräftigen Höhepunkt.
Dann löst sich die Fuge in ihrem Schlussakkord in eine toccataähnliche Figuration auf. Im
Gegensatz zum historischen Vorbild (Buxtehude), gibt es hier keine Pause, keinen
Tempowechsel, der diesem radikalen Texturwechsel entspräche. Es beginnt offensichtlich
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kein neuer Satz. Der neue Abschnitt führt allerdings zu Überraschungen. Bach wechselt
nun zwischen der neuen, weniger kontrapunktischen Gestalt und Teilen der
vorhergehenden Fuge in einem konzertähnlichen Drama. Der Kontrast zwischen den
beiden wird eher dynamisch als statisch. Dieser Mittelteil erreicht einen gewaltigen
Höhepunkt auf dem Pedalton der Dominante und führt, da er bereits Material der Fuge
verwendet, leicht zu einer wörtlichen Wiederholung derselben zurück, was den Satz
abrundet.
Auf einen solchen hybriden Satz lässt das Fugenthema in keinster Weise schließen. Es ist als
ob Bach sagte "Was wäre wenn ..." und, die Möglichkeit einer solchen Großform erkennend,
ihr einfach erlaubte voranzuschreiten. Das wirklich Schwierige bei der Komposition eines
solchen Hybriden ist es, die Balance zwischen den verschiedenen Elementen zu finden. Man
beachte zum Beispiel wie:
der Wechsel zwischen den beiden Texturen immer an bedeutenden Momenten erfolgt:
bei Kadenzen und Höhepunkten.
die Abfolge der Höhepunkte perfekt ausgewogen ist.
die einfache Symmetrie des da capo Endes genau die richtige Geste darstellt, den
dramatischen Reichtum des Ganzen zu krönen.
das Präludium aus einer (gewöhnlicheren) konzerthaften Struktur besteht und somit
gewichtig genug für die gewaltige Fuge ausfällt.
Alle diese Entscheidungen zeugen von der architektonischen Vorstellungskraft eines großen
Meisters. Jeder der versucht, sich die Fortsetzung von irgendeinem Punkt des Werkes aus
vorzustellen, erkennt schnell wie un-offensichtlich dies alles ist. Nur ein großer Komponist
konnte den eröffnenden Fugen-Abschnitt schreiben; die zusätzliche Durchführung des
großen Toccata-Abschnittes ist von einer Intensität und einer Verwegenheit, die nur Bach
erreichen konnte.
Die Idee zum Toccata-Abschnitt, wenngleich nicht aus dem Fugenthema "ableitbar", wird so
mächtig in ihrer Ausarbeitung, dass sie die Kontrolle über die Form übernimmt, einen
emotionalen und musikalischen Reichtum, der anders undenkbar erscheint, erschafft und
das auf eine Weise, die, im Nachhinein betrachtet, als schlechterdings unvermeidbar
erscheint. (Man sagt, dass Bach, wenn er das Thema einer Improvisation hörte voraussagte,
was der Improvisator im weiteren Verlauf damit tun würde; sicherlich geht dieses Stück
weit über irgendeine solche Vorhersage hinaus!)
Stellte all das die vollständige Ausarbeitung dieser Gedanken dar? Wahrscheinlich nicht: Es
gibt bei Bach viele Beispiele von bereits großartigen Werken, die in neue Formen
umgestaltet wurden (Werke für Geige wurden zu Klaviermusik, Klaviermusik wurde zur
Kantate, usw.), was nahelegt, dass, hätte Bach die Muße oder Gelegenheit gehabt, er wohl
noch etwas anderes, vielleicht sogar etwas noch Größeres daraus hätte machen können.
Mein Punkt hier ist, dass die Ableitungen einer Grundgestalt nur ein, recht offensichtlicher
Aspekt dieses Meisterwerks sind; die anderen Aspekte sind wesentlich schwieriger zu
kategorisieren.
Man könnte leicht weitere solche Beispiele anführen, aber es ist bereits gezeigt, was möglich
wird, wenn man im Rahmen einfacher Beziehungen zwischen herausragenden Momenten,
dabei größere Zeiträume umfassend, denkt, statt sich auf Überlegungen zu motivischen und
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Musikalische Gedanken
harmonischen Ableitungen zu begrenzen. Solche Gedanken sind insofern spezifisch, als sie
nicht auf irgendein anderes musikalisches Material übertragen werden können. Der
Komponist erkennt eine Möglichkeit zur Ausdehnung, und sie wird ein Glanzpunkt des
Stücks.
Die Idee Grundgestalt beiseite zu lassen, oder zumindest ihre verminderte Wichtigkeit
anzuerkennen, führt uns zu einer wichtigen Schlussfolgerung: Für die musikalische Form
ist, da sie zeitlich und notwendig sequentiell abläuft, Zusammenhang wichtiger als
Ableitung. Die Art und Weise in der das Material vorbereitet und erreicht wird - in einem
Wort: Übergänge - bestimmt entscheidend wie effektiv es ist. Obwohl ich bereits an anderer
Stelle (siehe mein Buch über musikalische Form) darüber geschrieben habe, ist es wert hier
wiederholt zu werden. Das aufwändige Gepäck der thematisch/motivischen Ableitung
vorübergehend zur Seite zu legen, erlaubt dem Komponisten auf mächtige und bewegende
Weise über das Schicksal seiner musikalischen Gedanken nachzudenken.
Sessions formuliert es gut:
Der musikalische Gedanke [...] ist dann das Element, das der Musik ihren
wesentlichen Charakter gibt, und ich habe ihn auch als den "Ausgangspunkt eines
lebendigen musikalischen Gedankengangs" bezeichnet. (ME, S.52f)
Diese Denkweise ist nicht selten in der Praxis, aber warum ist sie so selten Teil der
Kompositionspädagogik?
Rätselhaftes
Ein letzter Punkt: Der deutsche Filmemacher Werner Herzog erklärt (Herzog on Herzog,
Herausgegeben von Paul Cronin, Faber and Faber, London, 2002, S.163):
Es sind immer die rätselhaften Dinge und solche, die nicht perfekt in die Geschichte
passen - die unerklärbaren Bilder oder Wendungen in der Handlung - die
herausstechen und im Gedächtnis bleiben. Manchmal platziere ich eine Szene oder
Einstellung in einem Film, die keinen Platz zu haben scheint, die jedoch unerlässlich
für unser Verständnis der erzählten Geschichte ist.
Herzogs Beschäftigung mit dem Rätselhaften, als Verursacher dessen, was am meisten im
Gedächtnis bleibt, entspricht meinem Empfinden. Natürlich ist der Kernsatz hier "die
keinen Platz zu haben scheint". Die Schwierigkeit besteht darin etwas zu finden, das
unerwartet scheint, sich jedoch schlussendlich als passend erweist und in der Tat das Ganze
bereichert. Obwohl der erste Eindruck der einer Überraschung oder gar Verwirrung ist,
sieht man im Weiteren - und deswegen erweist sich die Wahl des hinzugefügten Elementes
als entscheidend, - dass es endlich doch "richtig" ist. Gelegentlich lassen sich solche
Ereignisse durch Zufall entdecken, doch werden sie, ohne sorgfältige Auswahl bezüglich
ihres Effekts, nichts einbringen, oder sogar das Ergebnis verschlechtern. Immerhin gibt es
in vielen Werken, die ich erhaben nennen würde, jedes mal ein Element der Überraschung,
dieses Gefühl, dass man nicht gedacht hätte, dass das bis dahin präsentierte Werk so etwas
enthalten könnte.
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Musikalische Gedanken
Für ein musikalisches Beispiel denke man an eine bestimmte Kategorie musikalischer
Gedanken, die gerade ein solches Gefühl des Rätselhaften hervorrufen: Das Ende als Frage.
In Stücken wie Chopins Prelude in Fis oder Schumanns Kind im Einschlummern (op.15)
hinterlässt uns das harmonisch unbestimmte Ende auf unerwartete und rätselhafte Weise
in der Schwebe.
Es gibt viele weitere Beispiele athematischer musikalischer Gedanken im
Standardrepertoire. Und oft sind sie die Momente, die wir uns merken, die uns verfolgen,
die bei uns bleiben und uns verführen.
Schluss
Abschließend einige Qualitätskriterien. Um sich bedeutsam mitteilen zu können, benötigt
Musik Gedanken, die im Gedächtnis verbleiben. Diese Gedanken müssen auf eine Weise
vorgestellt und entwickelt werden, die sie so klar und deutlich wie möglich, und ihren
Charakter so stark wie möglich erscheinen lässt. Ein musikalischer Gedanke ist fruchtbar,
wenn er viele, verschiedenartige mögliche Fortsetzungen beinhaltet und, normalerweise,
ein großes Werk von nachhaltigem musikalischen Gedanken und erheblicher emotionaler
Bandbreite hervorbringen kann. Alle Details sollten dazu beitragen, den Hauptgedanken
lebhaft und erinnerbar zu machen. Das bedeutet nicht, dass sie alle aus einer gemeinsamen
Quelle abgeleitet werden müssten, sondern vielmehr, dass sie etwas wesentliches zum
Charakter und der Entwicklung des Werkes beitragen müssen. Nochmal, musikalische
Verbindungen - Übergänge, die Art in der der Komponist seine Gedanken in einen
Zusammenhang setzt - sind viel wichtiger als Ableitungen: Ein kraftvoller Kontrast kann
einen Gedanken viel lebhafter machen als eine einfache motivische oder harmonische
Ableitung. Und schließlich haben Originalität und Persönlichkeit (die zumeist als Indikator
für Qualität gesehen werden) weniger mit oberflächlicher Absonderlichkeit zu tun, als mit
der eindrucksvollen Wirkung des Werks als Ganzem. (In der Tat kann ein Werk, dessen
Sprache oberflächlich betrachtet konventionell erscheint, tatsächlich wirklich
ungewöhnliche und faszinierende Wege beschreiten; man denke zum Beispiel an Sibelius.
Das bedeutet natürlich nicht, dass, was konventionell klingt, notwendig gut sei, sondern
dass man einfach tiefer graben muss, um zu erkennen, ob der Komponist etwas wertvolles
zu sagen hat.) Und noch einmal: Letztendlich ist das ganze Stück der Gedanke. Und die
herausragenden Details der Reise des Hörers durch die musikalische Zeit bestimmen seine
Botschaft.
© Alan Belkin, 2006. Es existieren Beweise für die Urheberschaft. Dieses Material darf,
die namentliche Nennung des Autors vorausgesetzt, unentgeltlich verwendet werden.
E-Mail: belkin_at_yahoo.com (Ersetzen Sie _at_ mit @). Ich freue mich immer über
Kommentare oder Anregungen den Inhalt meiner Seiten betreffend. Ich erhalte sehr viele
E-Mails und kann daher möglicherweise nicht umgehend antworten. Auf Grund vieler
Anfragen dazu: Ich biete privaten Unterricht an, entweder persönlich oder über das Internet;
bitte erfragen Sie meine Preise. Bitte senden Sie mir Ihre Musik nicht ungefragt zu; Ich habe
leider nicht die Zeit, jedem zu antworten, der nach meiner Meinung zu seiner Partitur fragt.
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