Fokale Therapie des Prostatakarzinoms: Die irreversible Elektroporation (IRE) Das Prostatakarzinom ist die häufigste Krebserkrankung des Mannes. Es macht heute etwa 25 Prozent aller Krebserkrankungen des Mannes aus, wobei 90 Prozent der Erkrankten älter als 60 Jahre sind. Das Prostatakarzinom ist aber nur für zehn Prozent aller Krebstodesfälle beim Mann verantwortlich, so dass viele Patienten die Diagnose „Prostatakarzinom“ überleben. Dies wird an Autopsiestudien deutlich, in denen bei 85 Prozent der gesunden Männer über 85 Jahre ein Prostatakarzinom gefunden wurde. Bei begründetem Verdacht auf das Vorliegen eines Prostatakarzinoms sollte eine transrektale-sonographische Punktion der Prostata erfolgen. Dabei werden zehn bis zwölf Gewebezylinder aus verschiedenen Regionen der Prostata gewonnen und unter dem Mikroskop analysiert. Sollte histologisch ein Prostatakarzinom diagnostiziert werden, so wird das Stadium der Erkrankung anhand der UICC (Union international contre le cancer) eingeteilt. Man unterscheidet zwischen lokal begrenzten Prostatakarzinomen (auf die Prostata begrenzt, ohne Infiltration der Kapsel oder der Umgebung, ohne Metastasen) von fortgeschrittenen Prostatakarzinomen (Infiltration in die Umgebung, Lymphknotenmetastasen oder andere Fernmetastasen). Die lokal begrenzten Karzinome werden anhand der Laborwerte (PSA) und der Histologie (Gleason-Score) weiter in drei verschiedene Risikogruppen (niedriges, mittleres und hohes Risiko) eingeteilt. Anhand dieser Risikoeinteilung und der individuellen Wünsche des Patienten orientiert sich die Therapie. Patienten mit niedrigem Risiko würden aufgrund der guten Prognose nicht zwingend mittels radikaler Operation (Prostatektomie) beziehungsweise Bestrahlung behandelt werden, da die Risiken dieser Therapien größer sein können als das Risiko des Prostatakarzinoms selbst. Bei diesen Patienten ist derzeit die Therapie der Wahl die „aktive Überwachung“. Bei der aktiven Überwachung erfolgt keine gegen den Krebs gerichtete Therapie, sondern der Tumor wird in regelmäßigen Abständen mittels klinischer, laborchemischer und bildgebender Untersuchung (Ultraschall, Magnetresonanztomographie) kontrolliert. Die von uns angebotene Therapie des Prostatakarzinoms richtet sich an diese Patientengruppe mit niedrigem Risiko. Fokale Therapie Fokale Therapien, bei denen nur der Teil des Organs behandelt wird, der vom Tumor befallen ist, haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten bei der Behandlung von verschie- denen Tumoren (wie Lebertumoren, Nierentumoren, Lungentumoren) etabliert. In den letzten Jahren haben fokale Therapieoptionen auch bei der Behandlung des Prostatakarzinoms zunehmend an Interesse gewonnen und werden erfolgreich eingesetzt. Die fokale Therapie des Prostatakarzinoms positioniert sich zwischen der „aktiven Überwachung“ des Patienten und den „radikalen“ Therapien, bei denen die gesamte Drüse behandelt (chirurgisch entfernt oder bestrahlt) wird. Radikale Therapien können mit Komplikationen verbunden sein, da wichtige anatomische Strukturen, die die Prostata umgeben und für die Erektionsfähigkeit des Penis (Potenz) und die Kontrolle der Blasenentleerung (Harnkontinenz) verantwortlich sind, bei der Therapie beeinträchtigt werden können. Demzufolge haben schonendere, fokale Behandlungsmethoden zunehmend Interesse gewonnen, da sich wichtige Umgebungsstrukturen (beispielsweise Nerven) meist schonen lassen. Die irreversible Elektroporation (IRE) als „schonende“ fokale Therapie Die irreversible Elektroporation (IRE) ist eine neuartige, nicht thermische, minimal-invasive Behandlungsmethode, die gewisse Vorteile gegenüber anderen fokalen Therapien gezeigt hat (siehe Abbildung 1). Bei der IRE werden Tumorzellen zerstört, indem starke, örtlich begrenzte elektrische Felder winzige Poren (Öffnungen) in den Zellwänden verursachen und dadurch die Tumorzellen im Behandlungsgebiet absterben. Ein Vorteil der IRE gegenüber anderen minimal-invasiven Therapien (wie der thermischen Ablation beispielsweise bei der Radiofrequenzablation (RFA), der Cryoablation oder dem hoch-fokussierten Ultraschall (HIFU)) ist, dass bei dieser Technik nicht-zelluläre Gewebebestandteile besser geschont werden. Blutgefäße sowie Harnröhre und Nerven bestehen außer Zellen auch aus einer komplexen und stabilen Gewebematrix, die eine Regenerierung der Zellen nach der Therapie mittels IRE ermöglicht. Somit werden wichtige Strukturen wie Harnröhre und Nerven nicht oder nur vorübergehend beeinträchtigt. Aufgrund der Eigenschaften der irreversiblen Elektroporation (IRE) und der vielversprechenden ersten Ergebnisse bei Patienten mit lokalisiertem Prostatakarzinom wird diese Therapie auch an unserem Institut angeboten. Ein- und Ausschlusskriterien für die IRE: Nicht alle Patienten mit Prostatakarzinom werden und können mittels IRE behandelt werden. Folgende Ein- und Ausschlusskriterien müssen bei der Planung einer Therapie mittels IRE beachtet werden: Abbildung 1: Foto einer IRE-Elektrode und einer 1 Cent Münze. Die IREElektrode hat eine Länge von 15 cm und einen Durchmesser von 18G (ca. 1,3 mm). Einschlusskriterien: Männliche Patienten (> 18 Jahre), mit histologisch gesichertem nicht metastasiertem, unilateralem Prostatakarzinom T1-2cN0M0 Gleason-Score ≤ 3+4 oder 4+3. In der Magnetresonanztomographie (MRT) sichtbarer Tumor. Keine klinisch signifikanten Tumoranteile außerhalb des geplanten Behandlungsgebiets PSA ≤ 15 ng/ml. Lebenserwartung ≥ 10 Jahren. 7 Ausschlusskriterien/Gegenanzeichen: Lymphknoten- oder Fernmetastasen des Prostatakarzinoms. Zweittumore oder -karzinome. Multimorbidität, vor allem Herzrhythmusstörungen. Zustand nach Bestrahlung oder weiterer fokaler Therapie (MWA, HIFU, RFA, Cryotherapie) der Prostata. Androgensuppression / Hormontherapie in den letzten 12 Monaten. Bekannte Allergie gegen MRT-Kontrastmittel oder Lokalanästhetika, Klaustrophobie. Herzschrittmacherträger, nicht für eine Untersuchung in der MRT zugelassene Metallimplantate, Granatsplitter oder sonstige ferro-magnetische Fremdkörper in sensiblen Körperregionen. Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion (glomeruläre Filtrationsrate (GFR) < 35ml/min. Risiken der IRE Die ersten klinischen Erfahrungen mit der IRE vom Prostatakarzinom sind hinsichtlich der Sicherheit und Verträglichkeit der Therapie sehr positiv. Bei den meisten bisher behandelten Patienten traten keine schwerwiegenden Komplikationen auf und die Therapie wurde von den meisten Patienten gut vertragen. Auch wurden bei den meisten bisher behandelten Patienten weder Impotenz, noch Harninkontinenz beobachtet. Dennoch ist eine vorrübergehende oder anhaltende Impotenz und/oder Inkontinenz in seltenen Fällen möglich. Außerdem kann es zu folgenden Komplikationen kommen: Bei der Einbringung der IRE-Sonde kann es zur Schädi- a gung von Organen (Darm, Harnblase), Nerven (Sensibilitätsstörungen und/oder Sensibilitätsausfällen) und Gefäßen (Blutungen, Thrombosen) im kleinen Becken kommen. Langzeitwirkungen der Behandlung mit der IRE sind nicht bekannt, aber auch nicht auszuschließen, da keine klinischen Studien mit langfristigem Follow-up zur Behandlung von Prostatakarzinom vorliegen. Das Auftreten eines Tumorrezidivs nach erfolgreicher Ablation beziehungsweise eine unvollständige Ablation des Tumors sind ebenfalls möglich. b Vorstellung und präoperatives Patienten-work-out: Die Patientenvorstellung erfolgt über die MITT-Ambulanz (Ambulanz für Minimal Invasive Tumor Therapie) der Charité (Sekretariat Frau Geister: 030/450 557608). Interessierte Patienten können telefonisch ein persönliches, unverbindliches Gespräch mit einem der Ärzte vereinbaren, um die Therapie detailliert zu besprechen. Bei den Patienten, die sich für die Therapie entschieden haben, erfolgt eine ausführliche Patientenaufklärung bei einem weiteren Termin. Jeder Patient erhält vor dem Eingriff eine multiparametrische Kernspintomographie der Prostata bei einer Feldstärke von drei Tesla (ohne Endorektalspule). Diese Untersuchung dient zur genauen Darstellung des Tumors und gleichzeitig zum Ausschluss von kontralateralen Tumoren (Abb. 2). Mit dem Ziel einer möglichst präzisen Therapie erfolgt der Eingriff in der Charité unter Bildfusion der MRT und des transrektalen Ultraschalls während der Behandlung. Die mittels MRT erzeugten Bilder der Prostata werden in das Ultraschallgerät eingespielt und mit den Ultraschallbildern zusammengeführt. Der suspekte Herd wird somit unter Ultraschall-/MRT-Steuerung gezielt gestanzt. Zusätzlich werden im Rahmen der Fusionsbiopsie aus beiden Prostatalappen mehrere Gewebeproben entnommen, um kontralaterale Tumore auch histologisch auszuschließen (Abbildung 2). Falls die Befunde der MRT und der Fusionsbiopsie bestätigen, dass der Patient ein möglicher Kandidat für die IRE ist, wird ein Termin für die Therapie vereinbart. Die Therapie: Ablauf des Eingriffes Am Morgen des Eingriffes wird eine Antibiotika-Therapie (Levofloxacine 500mg) begonnen. Um Infektionen zu vermeiden, wird die Therapie auch während der Behandlung und für vier Tage nach der Behandlung weitergeführt. Vor dem Eingriff wird bei jedem Patient ein venöser Zugang in eine Arm- oder Handvene angelegt. Anschließend wird die Allgemeinanästhesie (Vollnarkose) eingeleitet. Aufgrund der hohen eingebrachten Energie mit entsprechenden Muskelzuckungen erfolgt die Therapie in Vollnarkose und Muskelrelaxation. Nach Prüfung der Wirkung der Vollnarkose wird der Patient rasiert und ein Blasenkatheter wird angelegt. Der Katheter wird am Tag nach der Behandlung in der Regel abgenommen. Das Perineum (Damm) wird steril abge- c Abbildung 2: Multiparametrisches MRT eines Prostatakarzinoms (Pfeile) rechts in der peripheren Zone der Prostata. (a) In der T2-Wichtung kommen Prostatakarzinome als „dunkle“ Areale in der sonst „helleren“ peripheren Zone zur Darstellung. (b) Die so genannte ADC-Map zeigt eine Diffusionsrestriktion der Wasserstoffmoleküle im Tumorareal, was auf die hohe Zelldichte von Tumoren zurückzuführen ist. (c) Die für Tumore typische Hypervaskularisation ist in den kontrastmittelverstärkenden Bildern erkennbar, in denen Prostatakarzinome oft aufleuchten. 8 waschen und abgedeckt um mögliche Infektionen zu vermeiden. Nun wird mittels transrektalen Ultraschalls mit MR/ US-Fusionstechnologie der zu behandelnde Tumor gesucht. Nach Lokalisation des Zielherdes werden die IREElektroden mit Hilfe einer Schablone (Grid) eingeführt. Nach Prüfung der Lage der IRE-Elektroden im Zielbereich erfolgt die eigentliche Therapie mit dem programmierten Generator des IRE-Systems. sechs Monate eine multiparametrische MRT der Prostata erhalten. Nach erfolgter Ablation werden die Elektroden wieder entfernt und die Therapie ist somit abgeschlossen. Der Patient wird während des gesamten Verlaufs der Therapie klinisch überwacht. Während der Intervention erfolgt zusätzlich eine Monitorüberwachung. Die Dauer der Behandlung (Narkosebeginn bis Narkoseende) beträgt ca. 30 Minuten. Sollten Sie Fragen zu diesem Thema oder zu der hier eingebrachten Literatur haben oder möchten Sie sich in unserer Sprechstunde vorstellen, können Sie sich jederzeit an uns wenden. Wir helfen Ihnen gerne! Postoperatives Patientenmanagement: Minimal-invasive Tumor-Therapie-Ambulanz (MITTAmbulanz): Nach der Behandlung wird der Patient in den Aufwachraum gebracht und vom Fachpersonal überwacht. Anschließend wird er für einen Krankenhausaufenthalt von zwei bis drei Tagen stationär aufgenommen. Die standardisierte Unterbringung der Patienten erfolgt auf der interventionellradiologischen Station 12 im Virchow-Klinikum mit geschultem anwesenden Pflegepersonal und radiologischem Stationsarzt. Bei extrem seltener Intensivpflichtigkeit des Patienten ist eine Unterbringung auf einer Intensivstation des Virchow-Klinikums gewährleistet. Nach der Entlassung werden alle Patienten klinisch, laborchemisch und bildgebend im weiteren Verlauf kontrolliert: Postoperative MR/US-Biopsie: Sechs Monate nach Therapie erhalten die Patienten eine erneute Stanze unter US/ MRT-Steuerung. Hierbei wird das Ablationsareal gestanzt, um das Vorliegen von Resttumorgewebe beziehungsweise von Tumorrezidiven auszuschließen. Kontakt: Frau Marianne Geister Minimal-invasive Ambulanz Charité Campus Virchow-Klinikum Klinik für Strahlenheilkunde Augustenburger Platz 1 13353 Berlin Internes Gelände: Südstraße 3, EG. Tel: 030/450-557 309 Fax: 030/450-557 901 E-Mail: [email protected] Postoperative PSA-Kontrollen: Bestimmung des PSA im Patientenserum unmittelbar vor IRE sowie nach vier und zwölf Wochen. Anschließend alle sechs Monate (zusammen mit der MRT-Bildgebung, siehe unten). Postoperative Bildgebung: Alle Patienten werden erstmalig vier Wochen nach der Ablation und anschließend alle Univ-Prof. Dr. med. Bernhard Gebauer Stellvertretender Klinikdirektor (CVK) Klinik für Radiologie Charité – Campus Virchow -Klinikum Augustenburger Platz 1 13353 Berlin Abbildung 3: Bildgeführte Einführung der IRE-Elektrode durch den Damm mit Hilfe einer dedizierten Schablone (Grid). Die gesamte Prozedur erfolgt unter ständiger Bildkontrolle (Bild©Angiodynamics). Dr. med. Federico Collettini Institut für Radiologie Charité – Campus Mitte Charitéplatz 1 10117 Berlin 9