Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/2015 (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 1 5. Wirtschaftspolitische Konzeptionen • • • • 5.1 Grundlagen 5.2 Angebotsorientierung vs. Nachfrageorientierung 5.3 Deutsche Wirtschaftspolitik im Wandel – 5.3.1 Soziale Marktwirtschaft – 5.3.2 Neo-Keynesianismus und Globalsteuerung – 5.3.3 Hinwendung zur Angebotspolitik 5.4 Normative Schlussfolgerungen (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 2 • Literatur: – Donges, Freytag (2009) Allgemeine Wirtschaftspolitik, Kapitel 5 – Eine kurze Einführung zu ökonomischen Denkschulen mit anschaulicher Übersicht findet sich bspw. in • Altmann, Jörn (2007) Wirtschaftspolitik, Kapitel 9. Lucius & Lucius, Stuttgart • Felderer, Bernhard; Stephan Homburg (1999) Makroökonomik und neue Makroökonomik, Erstes Buch: S.7-45. – Eine stets lesenswerte Begründung der Ordnungsökonomischen Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft findet sich in • Eucken, Walter (1952) Grundsätze der Wirtschaftspolitik. 7. Auflage von 2004, Mohr-Siebeck, Tübingen – Darstellungen zur Phillips-Kurve und zum Barrow-Gordon-Modell orientieren sich an: • Bofinger, Reischle, Schächter (1996) Geldpolitik, Verlag Vahlen; S.22-25; S. 137ff. (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 3 5. Wirtschaftspolitische Konzeptionen • • • Verschiedene Ökonomen vertreten große Bandbreite tw. sich widersprechender Positionen zu Einzelthemen Diese gehen i.d.R. auf unterschiedliche Grundkonzeptionen (Denkschulen) zurück Unterschiede in wirtschaftspolitischen Grundkonzeptionen sind begründet in: – unterschiedlichen Annahmen bzgl. der ökonomischen Mechanismen • Prinzipiell: Führt der Marktmechanismus grundsätzlich (bis auf spezifische Ausnahmen) allein zu einem effizienten Gleichgewicht? – und/oder unterschiedlichen Erkenntniszielen: • Prinzipiell: effiziente Allokation vs. Unterauslastung von Produktionsfaktoren – und/oder unterschiedlichen Werturteilen • Prinzipiell: Soll und kann der Staat die soziale Wohlfahrt über die Gewährung von Grundrechten hinaus erhöhen? (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 4 5.2 Angebotsorientierung vs. Nachfrageorientierung • • Angebotsorientierung Hat eher die Determinanten von Faktoreinsatz und Produktion im Blick Im Fokus stehen Bedingungen für ein präferenzgerechtes Angebot von Gütern und Dienstleistungen für die Konsumenten allokative Effizienz, Innovationen, wirtschaftliches Wachstum als Ziel • • Betrachten Wirtschaftsprozesse unter mittel- bis langfristiger Perspektive, denn: Anpassungsprozesse der Wirtschaft haben Tendenz zur Herstellung von stabilen Gleichgewichten im Zeitablauf: – Say‘sche Gesetz gilt walrasianisches Gleichgewicht möglich Ungleichgewichte sind temporär, wenn der Preismechanismus funktioniert Effizienz möglich • • • Ausgangspunkt sind eher mikroökonomische Konzepte, d.h. vor allem die Funktionsweise einzelner Märkte steht im Vordergrund Staatseingriffe wirken vor allem über die Anreize auf einzelnen Märkten, welche sie den Wirtschaftssubjekten für ihre zukünftigen Pläne bieten und damit über Erwartungsbildung Hat Entwicklung des Produktionspotentials im Blick (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 5 5.2 Angebotsorientierung vs. Nachfrageorientierung Angebotsorientierte ökonomische Denkschulen • • in jedem Fall: Klassik, Neoklassik und Monetarismus In Teilen auch: Österreichische Schule und Ordo-Liberalismus • Ursachen für wirtschaftliche Schwankungen (Konjunktur): meist vorherige Eingriffe des Staates durch Fiskal- und Geldpolitik Staatsversagen Ursachen für geringes Wachstum und Arbeitslosigkeit (Stagnation): meist falsche angebotsseitige Anreize, die die Wirkung der Marktmechanismen verzerren Staatsversagen • • Empfehlung einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik ist daher: – Marktkräfte durch angemessene Anreize wirken zu lassen: Wettbewerb, wenig Eingriffe und Regulierung – nur wo nötig (siehe Kap. 3), keine Risikoübernahme durch den Staat für Marktakteure Rahmenbedingungen verändern – Geldpolitik durch Orientierung am Produktionspotential zu verstetigen – Wirtschaftspolitik nach langfristigen Kriterien auszurichten und für „Planbarkeit“ für die privaten Akteure zu sorgen (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 6 5.2 Angebotsorientierung vs. Nachfrageorientierung Milton Friedman (1912-2006) Milton Friedman war ein amerikanischer Ökonom, welcher an der University of Chicago lehrte. Er gilt als Gründer des Monetarismus in den 1960ger Jahren als Gegenbewegung zu damals vorherrschenden keynesianischen Theorien. Im Jahr 1976 erhielt er den Wirtschaftsnobelpreis für seine Arbeiten zur Konsum-, Geld- und Stabilisierungstheorie. Friedmans statistische Untersuchungen zur Rolle der Geldpolitik für die Große Depression in den USA ab 1929 (1960) gelten als bahnbrechend für die Entwicklung des Monetarismus, da die Ursachen für die Depression von M.F. in der Geldpolitik der U.S. Fed gesehen werden und nicht in fehlenden Anpassungsmechanismen der Arbeitsmärkte wie nach keynesianischer Theorie. Seine Argumentation, dass individueller und gesamtwirtschaftlicher Konsum wesentlich von den langfristigen und erwarteten Einkommen (sog. Permanente Einkommenshypothese, 1957) und nicht von aktuellen und autonomen Komponenten beeinflusst wird, steht ebenfalls im Gegensatz zur keynesianischen Konsumtheorie. Seine Kritik der Phillips-Kurve in 1968 und sein damit verbundenes Konzept der „natürlichen Arbeitslosenquote“, unter die die Wirtschaftspolitik ohne Reformen nur bei stetig steigender Inflationsrate fallen kann, nahm die theoretischen Erklärungen für die Stagflation der USA in den späten 1960gern und 1970ger Jahren vorweg und führte weltweit zur Abkehr der Wirtschaftspolitik von der Nachfrageorientierung und Hinwendung zur Angebotspolitik, was in den USA als „Reagonomics“, den UK als „Thatcherism“ bekannt geworden ist. (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 7 5.2 Angebotsorientierung vs. Nachfrageorientierung Fallstudie Angebotspolitik in Deutschland: Deregulierung unter SPD und Grünen 1998-2005 Die Wirtschaftspolitik während der Regierungszeit Gerhard Schröders ist wesentlich mit dem Begriff der Agenda 2010 verknüpft. Die Maßnahmen dieses Reformprogramms sind aber nur ein Teil der Strukturreformen, welche seit 1998 unter der rot-grünen Regierung stattgefunden haben. Ziel aller Reformen war es, marktgerechte Anreize zu schaffen und Wettbewerb und Effizienz zu befördern. Die Wirtschaftspolitik unter Schröder kann als wesentlich angebotsorientiert betrachtet werden. Die Hartz-Reformen stehen für die Deregulierung des Arbeitsmarktes, ebenso wie die Reform und Lockerung des Kündigungsschutzes. In den gleichen Zeitraum fallen aber auch Deregulierung des Finanzsektors (Zulassung von Leerverkäufen, Immobilienderivaten und Hedgefonds, Steuerfreiheit für Veräußerungsgewinne von Kapitalgesellschaften…), der tw. Abbau staatlicher Subventionen (Eigenheimzulage), die Deregulierung von Gewerbe und Dienstleistungsmärkten (tw. Abschaffung des Meisterzwangs, Entmonopolisierung beim TüV…) sowie die Einführung von Riester- und RürupRente und Reformen bei der Krankenversicherung. Kritiker der Reformen stellen insbesondere auf die (un-)sozialen Aspekte der Agenda 2010 sowie die Öffnung des Finanzsektors ab, während Befürworter auf die gestiegene Wettbewerbsfähigkeit und gesunkene Arbeitslosigkeit sowie die gestiegene Nachhaltigkeit der Sozialkassen hinweisen. Während Arbeitsmarktökonomen die Reformen im Durchschnitt als in die richtige Richtung weisend ansehen, gelten die Maßnahmen im Bereich von Subventionsabbau, Gesundheits- oder Rentenpolitik als unzureichend. Die im europäischen Vergleich außerordentlich positive wirtschaftliche Situation in Deutschland wird von aktuellen Studien auch bzw. nur (je nach Sichtweise) zum Teil durch die Agenda 2010 bestimmt. Wichtige weitere Faktoren sind die Lohnzurückhaltung der Arbeitnehmern nach 2002 sowie die Einführung des Euro. (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 8 5.2 Angebotsorientierung vs. Nachfrageorientierung • • • • Nachfrageorientierung Hat die Determinanten der einzelnen Komponenten der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage im Blick Im Fokus stehen Bedingungen, die für einen Ausgleich von gesamtwirtschaftlichem Angebot und Nachfrage in der kurzen Frist sorgen Betrachtet Wirtschaftsprozesse aus kurzfristiger Perspektive, denn Marktkräfte haben keine automatische Tendenz zur Herstellung stabiler Gleichgewichte: Say‘sche Gesetzt gilt nicht (v.a. Arbeits- und Kapitalmarkt) kein walrasianisches Gleichgewicht möglich Unterauslastung von Produktionsfaktoren und damit Ineffizienz • • • Ausgangspunkt sind makroökonomische Konzepte, d.h. der Zusammenhang von Aggregatsgrößen verschiedener Märkte in der gesamten Volkswirtschaft Staatseingriffe wirken durch direkte Stimulierung der gesamtwirtschaftliche Nachfrage und Multiplikatorwirkung Hat Auslastung der gegebenen Produktionsmöglichkeiten im Blick (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 9 5.2 Angebotsorientierung vs. Nachfrageorientierung • • • • Nachfrageorientierte Denkschulen Keynes, tw. Neo-Keynesianismus (Neoklassische Synthese), New- und PostKeynesianismus Ursachen für wirtschaftliche Schwankungen (Konjunktur): Nachfrageschocks, an die sich Märkte nicht optimal anpassen können Marktversagen i.w.Sinne Ursachen für geringen wirtschaftlichen Zuwachs und Arbeitslosigkeit: Abhängigkeit der Nachfrage von aktuellem Einkommen (Preise sind kurzfristig inflexibel) Empfehlungen einer nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik sind daher: – Direkte Eingriffe in den Wirtschaftskreislauf durch: – Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage mittels Fiskalpolitik (bevorzugt; vor allem Schuldenfinanziert) mit hoher Multiplikatorwirkung – Geldpolitik soll aktiv auf Konjunktur reagieren bzw. proaktiv steuern: Inflation ist kein monetäres Phänomen, sondern durch Nachfragesog bzw. Kostendruck verursacht (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 10 5.2 Angebotsorientierung vs. Nachfrageorientierung Sir John Maynard Keynes (1883-1946) Keynes war ein britischer Ökonom, Philosoph, Beamter, Vermögensverwalter und Regierungsberater und lehrte fast 40 Jahre an der Universität Cambridge. Er gilt als bedeutendster Ökonom des 20. Jahrhunderts, auf dessen Grundideen große Teile der modernen Makroökonomie zurückgehen. Diese wiederum beeinflussen bis heute die angewandte Wirtschaftspolitik und vor allem weite Teile der Geldtheorie- und politik. Wegweisend sind zum einen die Verwerfung der Annahme der Neutralität des Geldes (Treatise on Money, 1930) , indem er dem realwirtschaftlichen Produktionskreislauf einen Finanz- bzw. Geldkreislauf gegenüberstellt. Mit seinem 1936 – als wissenschaftlicher Erklärungsversuch der dauerhaften Massenarbeitslosigkeit während der Großen Depression – erschienen Hauptwerk („General Theory“) führt er dieses Konzept weiter: Geld zirkuliert in beiden Kreisläufen abhängig von seiner Eigenschaft als Transaktions- und Wertaufbewahrungsmittel. Im letzten Fall ist es dem Wirtschaftskreislauf entzogen, wodurch das vorher in der Produktion erwirtschaftete Geld nicht mehr weiter nachfragewirksam werden kann – das Say‘sche Gesetz ist damit seiner Ansicht nach widerlegt. Sobald diese Nachfrage fehlt, fehlt Einkommen an anderer Stelle. Auf gesamtwirtschaftlicher Ebene verringert dies den Konsum. Dadurch sinkt die Nachfrage nach Gütern, Investitionsentscheidungen werden aufgeschoben und Arbeitskräfte nicht beschäftigt, so dass sich ein „Unterbeschäftigungsgleichgewicht“ ergibt. Nur der Staat kann an dieser Stelle über zusätzliche Geldmittel, die dem Wirtschaftskreislauf über Schulden zugeführt werden müssen, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage erhöhen. Dies gibt die ersten Impulse auf die Einkommen, infolge dessen sich die Wirtschaft von selbst in Richtung der Vollauslastung bewegt. (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 11 5.2 Angebotsorientierung vs. Nachfrageorientierung Fallstudie: Nachfragepolitik in Deutschland 2007-2009 Die Krise der Weltwirtschaft ab 2008 in Folge des Zusammenbruchs des USImmobilienmarktes traf auch die Wirtschaft in Deutschland hart: Die Exporte sanken um ca. 20% zwischen 2008 und 2009, die Investitions- und Vorleistungsnachfrage um 2025%. Insgesamt schrumpfte die deutsche Wirtschaft real im Jahr 2009 um ca. 4,5% in Folge dieses Nachfrageeinbruches. Um die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu erhöhen, beschloss die Bundesregierung in 2008 ein kleineres, im Januar 2009 ein größeres Konjunkturpaket („I+II“) in Umfang von insgesamt ca. 60 Mrd. Euro. Vor allem des Konjunkturpaket II war breit angelegt und umfasste neben der Erhöhung öffentlicher Infrastruktur- und Bauinvestitionen auch direkte Gütersubventionen (Abwrackprämie), Steuer- und Abgabensenkungen, private Investitionsförderungen und Maßnahmen zur Arbeitsplatzsicherung (Ausweitung der Kurzarbeit). Für diese Maßnahmen wurden zusätzliche Schulden in Höhe von 36,8 Mrd. € aufgenommen. Der IWF schätzt die Nachfrageimpulse von diesen Maßnahmen auf 0,1/1,6/0,9% des BIP in den Jahren 2008-2010, was insgesamt ca. 68 Mrd. € entspricht. Die relative rasche wirtschaftliche Erholung deutet zwar auf einen Erfolg der Konjunkturprogrammen hin – oder auf eine schnell selbst stabilisierende Wirtschaft. Schätzungen zur Wirkung und Multiplikatoren der Konjunkturprogramme zeichnen jedoch ein durchwachsenes Bild. Kurzarbeit und „Abwrackprämie“, aber auch Steuersenkung gelten als Erfolg. Vor allem aber die Ausgaben für öffentliche Investitionen griffen nur verzögert und aus konjunktureller Sicht zu spät. Die aus keynesianischer Sicht wichtigen Multiplikatoreffekte sind insgesamt geringer ausgefallen, als erwartet. (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 12 5.3 Grundlagen deutscher Wirtschaftspolitik • 5.3 Konzeptionelle Grundlagen deutscher Wirtschaftspolitik – 5.3.1 Soziale Marktwirtschaft – 5.3.2 Neo-Keynesianismus und Globalsteuerung: Phillipskurve – 5.3.3 Hinwendung zur Angebotspolitik: Regelbindung vs. Diskretion (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 13 5.3.1 Soziale Marktwirtschaft • • • • • • • Heute eher allgemeiner Begriff für die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland Entwickelt von Alfred Müller-Armack und von Ludwig Erhard aufgenommen und als wirtschaftspolitisches Leitkonzept in Deutschland implementiert Kombination marktwirtschaftlich-wettbewerblicher Ideen (Neo- und Ordo-liberalismus, u.a. Walter Eucken, Franz Böhm, Ludwig von Mises, Friedrich A. von Hayek) und sozialpolitischen/ethischen Vorstellungen (christiliche Soziallehre, u.a. Willhelm Röpke, Franz Böhm, Dietrich Bohnhoeffer) Hauptproblem war die Frage nach einer Wirtschaftsordnung bzw. –verfassung nach Ende des 2. WK um wirtschaftlichen Wohlstand und Wiederaufbau zu erreichen Hintergrund: Erkenntnisse aus dem „laissez-faire“ Liberalismus vor und nach dem 1. WK sowie sozialistischer Planwirtschaft und Kriegsverwaltungswirtschaft Leitgedanke sind individuellen Freiheitsrechte des Einzelnen, welche vom Staat gewährt (Freiheit von staatlichen Eingriffen) aber auch vom Staat geschützt (Freiheit vor Ausnutzen wirtschaftlicher Macht anderer Wirtschaftsakteure) werden müssen (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 14 5.3.1 Soziale Marktwirtschaft Prinzipien einer marktwirtschaftlichen Wettbewerbsordnung nach Walter Eucken Regelebene = Ordnungspolitik Konstituierende Prinzipien • Währungspolitische Stabilität • Offene Märkte • Private Eigentums- und Verfügungsrechte ( Rechtsstaat) • Vertragsfreiheit • Kompetenz und Haftung • Konstanz der Wirtschaftspolitik Regulierungsebene = Prozesspolitik Regulierende Prinzipien • Staatliche Monopolkontrolle • Staatliche Umverteilungspolitik • Soziale Mindestsicherung • Korrektur von Marktversagen marktwirtschaftliche Wettbewerbsordnung Funktionierendes Preissystem als Allokationsmechanismus (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 15 5.3.1 Soziale Marktwirtschaft Neoliberalismus, Ordoliberalismus,Freiburger Schule und Soziale Marktwirtschaft, Die ersten drei Begriffe werden heute z.T. synonym verwendet. Ursprünglich verwendete Alexander Rüstow den Begriff Neoliberalismus erstmals1938, um seine liberalen Ideen vom„laissez-faire“ Konzept der Neoklassik abzugrenzen. Diese wiederum beeinflussten wesentlich Walter Euckens Konzept einer marktwirtschaftlichen Wettbewerbsordnung . Der Begriff Ordoliberalismus selbst entstand erst 1950 und umfasst wesentlich die Ideen der meist Freiburger Ökonomen zur Wirtschaftspolitik zwischen 1930 und 1967. Nach Ansicht der Freiburger Schule ist eine ordoliberale Wirtschaftsordnung schon deshalb sozial und gerecht, weil sie das Individuum vor Ausbeutung durch wirtschaftliche Macht anderer schützt und gleichzeitigt Raum für individuelle Entfaltung lässt. Sozialpolitik soll die nicht selbst beeinflussbaren Härtefälle des Lebens abfedern, aber kein eigenständiges Ziel „sozialer Gerechtigkeit“ verfolgen. Die ordoliberalen Ideen sind Ergebnis der speziellen deutschen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Als Ergebnis weisen Sie dem Staat vor allem eine regelsetzende und überwachende Funktion zu. Daher wird in Deutschland bis heute diskutiert, ob eine wirtschaftspolitische Maßnahme „ordnungskonform“ ist, oder nicht. Nach Müller-Armacks Idee der Sozialen Marktwirtschaft hat der Staat jedoch weitergehende Aufgaben, welche ihn zur Intervention in den Wirtschaftsprozess bemächtigen. Dabei ist die Rolle des Staates nicht rein statisch festgelegt, sonder deren Aufgabenbereich wandelt sich und kann von der Sozial- über die Umverteilungspolitik bis zur Konjunkturpolitik reichen. (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 16 5.3.1 Soziale Marktwirtschaft Fallstudie Ordnungspolitik: Ordnungskonformität der EEG-Subventionen in Deutschland Bei vielen Analysen zu wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die Deutschland betreffen, wird auch die sog. „Ordnungskonformität“ geprüft. Verreinfacht gesagt wird analysiert, ob die Maßnahme in die grundsätzlich wünschenswerte Arbeitsteilung von Staat und Markt eingreift, ob und wie dieser Eingriff gerechtfertigt ist und welche Anreizwirkungen auf die Akteure folgen. In der Regel wird die Achtung der konstitutierenden Prinzipien Walter Euckens im betrachteten Markt als Eckpfeiler der Prüfung herangezogen. Im Fall der EEG-Subventionen könnte eine kurze Prüfung so aussehen: Aufgrund der negativen externen Effekte von CO2 ist ein Eingriff in den Energiemarkt gerechtfertigt. Da der Emissionszertifikatehandel nicht greift, ist eine Subventionslösung zum Ausbau EE sinnvoll. Derzeit erfolgt diese über einen langen Zeitraum zugesicherte Fixpreise für eingespeiste Energie, welche noch nach der Art der EE differenziert werden. Zunächst ist die Differenzierung der Fixpreise zwischen der Energieerzeugung ordnungsökonomisch fraglich – legt der Staat doch damit fest, welche Technologie sich am Markt durchsetzt, ohne dass diese zwingend die Kosteneffiziente sein muss. Weiterhin nehmen die Fixpreise den Investoren jegliches Risiko und führen damit zu Überproduktion, drängen andere Formen der Energieerzeugung aus dem Markt und verhindern gleichzeitig einen evtl. marktgerechteren, langsamen Anstieg der Energiepreise und damit die Anreize zur Verbrauchsreduktion. (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 17 5.3.2 Nachfrageorientierung und Globalsteuerung • Hintergrund: – Erste Nachkriegs-Rezession in Deutschland 1966 – „Tröger-Gutachten“ 1967 – nachfrageorientierte ökonomische Ideen setzen sich (in Wissenschaft (IS-LM und Mundell-Fleming-Modell) und Politik) durch und drängen ordnungsökonomische Ideen zurück: Phillips-Kurve als Begründung für Wohlfahrtssteigernde ProzessPolitik • Folge ist: – Gesetz zur Förderung des Wachstums und der Stabilität der Wirtschaft (1967) – „magisches Viereck“ – Reform der Finanzverfassung, insbesondere Art. 114 GG – Globalsteuerung (Karl Schiller) durch diskretionäre fiskal- und geldpolitische Eingriffe in den Wirtschaftsprozess (Anmerkung: Eine angemessene Würdigung der nachfrageorientierten Politik müsste sich weitgehend auf makroökonomische Modelle stützen, welche im Rahmen dieser Vorlesung nicht behandelt werden können; interessierte Studenten seien auf die Vorlesung „Makroökonomie“ oder auf die einschlägigen Lehrbücher verwiesen) (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 18 5.3.2 Nachfrageorientierung und Globalsteuerung Theoretische Begründung der Phillips-Kurve im Neo-Keynesianischen Rahmen (Neoklassische Synthese, Samuelson und Solow, 1960) 1. Ursprüngliche Ph.-Kurve (Phillips, 1958): statistische Beobachtung: Beschäftigungssituation determiniert die Nominallohnentwicklung; : sinkende ALQ steigende Löhne und vice versa: ln Wt f1 (U t 1 ) mit 2. f1 0 U t 1 Modifizierte Phillips-Kurve (Samuelson, Solow, 1960): • These einer Wahlmöglichkeit zwischen höherer Inflation und niedrigerer Arbeitslosigkeit bzw. stabil niedriger Inflation und höherer Arbeitslosigkeit; • Modellannahmen: a) Produktivitätsentwicklung ist konstant b) Geschlossene Volkswirtschaft c) Kostenzuschlags-Preissetzung der Unternehmer, nur Arbeit als Produktionsfaktor (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 19 5.3.2 Nachfrageorientierung und Globalsteuerung • Das BIP entspricht den Faktorkosten zuzüglich eines Gewinnaufschlages Yt Pt (1 g ) N tWt (Mit g dem Faktor des Gewinnzuschlages, N der gesamten eingesetzten Arbeit und Y als reale Wertschöpfung) • Dadurch ergibt sich das gesamtwirtschaftliche Preisniveau P bzw. der Reallohn: Nt Pt (1 g ) Wt Yt • 1 Yt Wt (1 g ) N t Pt Durch Verwendung der Rechenregeln für Veränderungsraten und logarithmieren ergibt sich: Yt Wt ln ln Nt Pt ln Wt t (mit λ für die Produktivitätsentwicklung und π für die Inflationsrate in Periode t) (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 20 5.3.2 Nachfrageorientierung und Globalsteuerung • Einsetzen in die Gleichung der ursprünglichen Phillips-Kurve ergibt die modifizierte Form der Phillips-Kurve: t f1 (U t 1 ) mit f 0 U t 1 • Die Rate der Produktivitätsentwicklung beeinflusst hier nur das Niveau der Inflationsrate, aber nicht die Steigung der (mod.) Phillips-Kurve • Samuelson und Solows modifizierte Phillips-Kurve: – Fundiert die Phillips-Kurve theoretisch im Preis- und Lohnsetzungsverhalten der Wirtschaftsakteure – Unter der Annahme, dass für das aktuelle Lohnniveau nicht die aktuelle Arbeitslosigkeit, sonder die der vergangen Periode verantwortlich ist – D.h. Annahme von Preisrigiditäten auf den Arbeitsmärkten kurzfristige Inflexibilität bestimmter Preise (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 21 5.3.2 Nachfrageorientierung und Globalsteuerung Begründung für diskretionäre Geldpolitik: Barro-Gordon-Modell Teil I 1) Die Phillips-Kurve gilt: liegt die Inflation über der erwarteten Inflationsrate, sinkt die Arbeitslosenquote (unter ihren „natürlichen“ Wert) und vice versa U U N ( e ) 2) Die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt wird negativ von Inflation, aber auch negativ von Arbeitslosigkeit beeinflusst W 2 U 2 3) Die Zentralbank kann die Inflation über Geldpolitik direkt und umittelbar beeinflussen 4) Die Zentralbank maximiert die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt: • Einsetzen von 1) in 2), ableiten nach der Inflationsrate: ergibt die optimale Inflationsrate aus Sicht der Zentralbank („Reaktionsfunktion“ der ZB) * (c) Sebastian Voll, Universität Jena 1 (U N e ) Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 22 5.3.2 Nachfrageorientierung und Globalsteuerung • Aus 4) ist ersichtlich, dass für die ZB die wohlfahrtsoptimale Inflationsrate immer >0 ist 5) Bilden die Wirtschafter „naive“ Erwartungen, kann die ZB eine Inflationsrate von „0“ ankündigen πe=0 und dann die Wirtschafter mit positiver Inflation „überraschen“ (Zeitinkonsistenz) 0* 1 UN • Hierdurch maximiert die ZB die Wohlfahrt: • Einsetzen von 5) und πe=0 in 1) und 2) ergibt die soziale Wohlfahrt bei „Überraschungsinflation“ als 2 6) W AN Ueb 1 Gilt die Phillipskurve und rechnen die Wirtschafter nicht mit Inflation, ist es wohlfahrtsoptimal, die Inflationsrate zu erhöhen um die Arbeitslosigkeit zu senken (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 23 5.3.2 Nachfrageorientierung und Globalsteuerung • Kritik der nachfrageorientierten Politik diskretionärer Eingriffe: – Diskretionäre Geldpolitik: • dauerhafte Beeinflussung der Inflationserwartungen („naive Erwartungen“ bzw. Überraschungsinflation nicht möglich) • Zinselastizität der Investitionsnachfrage gering – Diskretionäre Fiskalpolitik: • Zeitverzögerungen, selbst bei optimaler Umsetzung („time-lags“) • „halber Keynes“ überhöhte Staatsverschuldung • Politische Anfälligkeit – gegenüber Interessengruppen, politischen Konjunkturzyklen • Verzögerung ggf. notwendiger struktureller Anpassungen: Nachfragepolitik mindert den Druck auf die Angebotsseite und verzögert den Strukturwandel • Evtl. crowding-out auf Kapitalmarkt bzw. Verzerrungen auf Investititions-, Güter- und Arbeitsmärkten (bspw. Bauwirtschaft; öffentliche Löhne und Gehälter…) (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 24 5.3.2 Nachfrageorientierung und Globalsteuerung Paul Samuelson (1915-2009) Paul Samuelson ist ein amerikanischer Ökonom, der vor allem durch sein 1948 erstmals erschienenes Lehrbuch „Economics“ (mit 19 Auflagen bis 2002 und ca. 4 Mio. verkauften Exemplaren das weltweit meist verkaufte ökonomische Lehrbuch bis heute) breite Bekanntheit erfuhr. Samuelson lehrte und forschte Zeitlebens am MIT in Cambridge, MA und trug wesentlich zur Formalisierung und strikten modelltheoretischen Begründung ökonomischer Theorien, aber auch deren Anwendungsorientierung im Bereich der Wirtschaftspolitik bei. Dabei gilt er als Mitbegründer des Neo-Keynesianismus (der Neoklassischen Synthese, zusammen mit John Hicks und Franco Modigliani), indem er John Hicks‘s IS-LM-Modell strikt mathematisch formulierte und durch Aufnahme in sein Lehrbuch gleichzeitigt die Verbreitung dieser Vermischung neoklassischer und keynesianischer Ideen förderte. Die neoklassische Synthese kann zur Recht als bis heute einflussreichste ökonomische Denkschule nach dem 2. WK gezählt werden. Aus ökonomischer Sicht war sein direkter Kontrahent der Chicagoer Milton Friedman, mit dem er zusammen eine wöchentliche Kolumne im Newsweek-Magazine zu ökonomischen Themen schrieb und beide ihre gegensätzlichen Positionen vertraten. Seinen wissenschaftlichen Leistungen sind auf vielen Gebieten wegweisend – auf seine Arbeiten gehen Vorschläge zur Messung Sozialer Wohlfahrt (Bergson-Samuelson SWF), Bedingungen zur Bereitstellung öffentlicher Güter (Samuelson-Bedingung ÖG), relative Preisreaktionen im freien Außenhandel (Stolper-Samuelson Theorem) oder Inflationsunterschiede zwischen Ländern (Balassa-Samuelson-Effekt) zurück, um nur einige zu nennen. 25 5.3.2 Nachfrageorientierung und Globalsteuerung Fallstudie Nachfragepolitik: Globalsteuerung auf Basis des „Stabilitätsgesetztes“ von 1967 Das Stabilitätsgesetz von 1967 verpflichtete die amtierende Regierung, zum Ausgleich konjunktureller Schwankungen Mittel der Fiskalpolitik einzusetzen, um die Ziele von Beschäftigung, Wachstum und Preisniveaustabilität in Einklang zu bringen. Laut Art. 114 GG konnte der Finanzminister zusätzliche Schulden aufnehmen, falls die „Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes“ festzustellen ist. Hierzu wurden in der Regel die kreditfinanzierte Erhöhung von Staatsausgaben verwendet, um öffentlichen Konsum oder Investitionen zu finanzieren. Das Ziel, entweder die Wirtschaft auf einen stabilen Wachstumspfad zurück zu führen, oder durch die Fiskapolitik die BIP-Schwankungen gering und die Arbeitslosenquote und Inflation miteinander in Einklang zu bringen, muss als gescheitert angesehen werden: In der Phase der Globalsteuerung zwischen ca. 1970 und 1983 verlangsamte sich das Wachstum stetig, die Arbeitslosigkeit konnte auch bei Akzeptanz höherer Inflation nicht dauerhaft gesenkt werden. Keynes Idee des Deficit Spending bedingt außerdem, dass öffentliche Ausgaben bei konjunktureller Erholung wieder zurückgeführt werden, um Staatsverschuldung nicht überbordend werden zu lassen. War die Staatsverschuldung gemessen am BIP zwischen 1950 und 1970 relativ konstant bei ca. 20% geblieben, verdoppelte sich dieser Wert bis 1983. (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 26 5.3.3 Angebotsorientierung und „Bonner Wende“ • Hintergrund: – Misserfolge der Globalsteuerung auf Arbeitsmarkt, Kosten für Staatsfinanzen – Stagflation der 1970ger – In der Wissenschaft: • Friedmans Monetaristische Ideen, insbesondere das Konzept der „natürlichen“ Arbeitslosenquote als strukturell bedingtes (angebotsseitiges) Problem • Einführung rationaler Erwartungen und die Rolle der Inflationserwartungen für die Steuerungsfähigkeit der Geldpolitik • Bedeutung von Regelbindung • Folge ist: – „Bonner Wende“ – Fokus der wirtschaftspolitischen Empfehlungen eher auf Deregulierung, Wiedererstarken ordnungsökonomischer Konzepte und Angebotspolitischen Ideen – Potentialorientierte Geldmengensteuerung der Bundesbank bei freien Wechselkursen (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 27 5.3.3 Angebotsorientierung und „Bonner Wende“ • • • Begründung von regelgebundener Geldpolitik – Barrow-Gordon-Modell Teil II Annahme für den Erfolg „diskretionärer“ Geldpolitik zur Konjunkturbeeinflussung ist, dass Individuen nicht von erhöhter Inflation in der Zukunft ausgehen und ihre auf die Zukunft laufenden Verträge nicht daran anpassen: Tarifverträge, Kreditverträge, Mietverträge… ansonsten wäre πe>0, im Extremfall würden „rationale Erwartungen“ möglich sein: πe=π 7) Dadurch ergibt sich die Reaktionsfunktion der Zentralbank und die optimale Inflation als: * rat U N Inflationsrate ist unabhängig von den Inflationserwartungen 8) Einsetzen von 7) in 1) und 2) ergibt das Niveau der sozialen Wohlfahrt: Wrat (1 )A2N Da λ>0 ist Wrat<Wueb Individuen lassen sich nicht täuschen, dadurch kann PhillipsKurve nicht optimal ausgenutzt werden (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 28 5.3.3 Angebotsorientierung und „Bonner Wende“ • Ursache liegt darin, dass die Wirtschafter immer eine höhere Inflationsrate erwarten, als die ZB sie ankündigen würde „Inflation bias“ • Barro und Gordon (1983) argumentieren, diese Erwartung kann durch Regelbindung der Zentralbank durchbrochen werden: durch die Regel ist π=0, dadurch erwarten die Wirtschafter auch πe=0 9) Hieraus folgt für die Wohlfahrt: Wregel A2N • Ein Vergleich der Wohlfahrtsniveaus ergibt: Wrat<Wregel<Wueb (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 29 5.3.3 Angebotsorientierung und „Bonner Wende“ Regelbindung in der Geldpolitik als mögliche Reaktion auf sich verändernde Erwartungsbildungsmuster und eine immer besser über die tatsächlich durchgeführte Geldpolitik informierte Marktteilnehmer Regelbindung in der Geldpolitik – als neoklassische/Monetaristische Begründung des ordnungsökonomischen Prinzips „währungspolitischer Stabilität“ Ausstrahlung der Idee der Regelbindung über die Geldpolitik hinaus: Staatsverschuldung und Fiskalpolitik Arbeitsmarktpolitik • Kritik und Erweiterungen: – Grundmodell ohne stochastische Schocks mit Schocks sind diskretionäre Entscheidungsspielräume notwendig – Regel ist ggf. nicht wohlfahrtsoptimal Lösungsalternativen: Hauptziele und Unabhängigkeit von Politik (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 30 5.3.3 Angebotsorientierung und „Bonner Wende“ Regelbindung vs. diskretionäre Entscheidungsspielräume • Diskretion: – Ermöglicht optimale Reaktionen auf exogene, stochastische Einflüsse in der Makroökonomie: Angebots- und Nachfrageschocks – Keine Regel kann „gute“ Lösung für alle denkbaren Situationen darstellen – Handlungsspielräume notwendig – Allgemeine Regeln müssen durch aktive (diskretionäre) Entscheidungen ausgestaltet werden • Regelbindung: – Bindet Entscheidungsträger an als im Durchschnitt optimal angesehene Maßnahmen – Verhindert Ausnutzen von Spielräumen zu Gunsten von Einzelinteressen oder aus strategisch-politischem Kalkül heraus – Lösung für Problem der Zeitinkonsistenz optimaler Strategien oder Gefangenendilemma (internationale Koordination) (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 31 5.3.3 Angebotsorientierung und „Bonner Wende“ • Anforderungen an Ausgestaltung sinnvoller Regeln Glaubwürdigkeit – Einfach: transparent, nachvollziehbar, überprüfbar – Auf konkretes, erreichbares Ziel ausgerichtet – In ökonomischen Zusammenhängen begründet – Einklagbar und ggf. sanktionierbar • Beispiele für Regelbindung – Handelspolitik: Meistbegünstigtenregelung der WTO, Prinzip der Senkung von Handelsbarrieren – Geldpolitik: potentialorientierte Geldmengensteuerung der Bundesbank; 2%-Ziel der EZB – Fiskalpolitik: Maastricht-Kriterien in den AEUV; Schuldenbremse im Art. 114 dt. GG seit 2009 – Lohnpolitik: produktivitätsorientierte Lohnpolitik bei hohem Beschäftigungsstand bzw. beschäftigungsorientierte Lohnpolitik bei hoher Arbeitslosigkeit – Wettbewerbspolitik: Kartell- und Fusionsverbot (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 32 5.3.3 Angebotsorientierung und „Bonner Wende“ Fallstudie Regelbindung: Art. 114 GG i.d.F. von 2009 – die dt. „Schuldenbremse“ Die sog. „Schuldenbremse“ für den Bund regelt die Höhe eines möglichen negativen Finanzierungssaldos: Im Grundsatz gilt, dass die Einnahmen aus Krediten 0,35% des BIP nicht überschreiten dürfen. Konjunkturelle ermöglichen höhere Verschuldung, allerdings muss diese symmetrisch im Aufschwung zurückgeführt werden. Die Rückführung hat zu erfolgen, wenn die Konjunktur es zulässt und das (Konjunktur-)Kontrollkonto 1,5% des BIP überschreitet. Im Fall von aussergewöhnlichen Notsituationen kann das Parlament zusätzliche Verschuldung beschließen. Durch abweichende Einnahmenentwicklung von den Prognosen können Nachtragshaushalte in Höhe von max. 3% des BIP entstehen. Allerdings dürfen aus diesen Ausgaben keine dauerhaften Folgekosten entstehen. Ist die Regel glaubwürdig? Diese Frage muss zweigeteilt beantwortet werden. Zum einen lässt die Regel genug Spielraum, um auf Konjunktur und Ereignisse mit starkem Einfluss auf den Bundeshaushalt zu reagieren. Daher íst zu erwarten, dass die Regel auch in schwierigeren Haushaltslagen angewandt werden kann und nicht gleich missachtet bzw. gebrochen werden muss. Für wirtschaftlich gute Zeiten bestehen wenige Zweifel, dass der Grundsatz der Verfassungsregel ausreichend Bindungskraft entfaltet. Andererseits bietet die Regel ausreichend Auslegungsspielraum, um auch in „mittelguten“ Zeiten übermäßige Verschuldung zu rechtfertigen. Da die Regel keine weiteren Sanktionen – außer der NichtVerfassungsmäßigkeit des gesamten Haushaltes – beinhaltet, wird sie von sehr kritischen Stimmen als nicht ausreichend und damit unglaubwürdig in Bezug auf das gesetzte Ziel angesehen. (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 33 5.4 Normative Schlussfolgerungen • • Angebots- und Nachfragepolitik sind im Grundsatz sich ergänzende Konzepte Je nach Problemstellung sind eher Maßnahmen der einen oder anderen Kategorie notwendig • Allerdings gilt: „Führungsrolle“ der Angebots- bzw. Ordnungspolitik: – Statsische und dynamische Wettbewerbswirkungen nur in marktwirtschaftlich angemessen Rahmenbedingungen möglich: • Eigentumsrechte, Offene Märkte, Vertragsfreiheit in weiten Teilen der Wirtschaft – Hauptrolle des Staates besteht im effektiven Rechtssystem, ggf. Senkung von Transaktionskosten und Eingriffe bei Marktversagen Nachfragepolitik ist angemessenes Mittel in Rezessionsphasen, um – Nachfrageschocks abzufedern oder Strukturwandel der Angebotsseite zu begleiten • • Übermäßige Nachfragepolitik in ordnungsökonomisch schlechtem Rahmen: „Strohfeuer“ – besteht nur Wirkung durch die direkten Staatsausgaben, nicht durch Marktanreize – Fallen Staatsausgaben als Eingriff weg Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 34 Übungsfragen 1. Erläutern Sie den Begriff der marktwirtschaftlichen Wettbewerbsordnung nach Walter Eucken. Welche Aufgaben übernehmen hier die konstituierenden, welche die regulierenden Prinzipien der Wettbewerbsordnung? Welches Grundproblem sieht Eucken dadurch gelöst, und wieso kann man diese Wirtschaftsordnung deshalb als „Soziale Marktwirtschaft“ bezeichnen? 2. Erläutern Sie die Bedeutung der einzelnen konstituierenden Prinzipien Walter Euckens für die Herstellung einer marktwirtschaftlichen Wettbewerbsordnung 3. Überprüfen Sie die Ordnungskonformität folgender Maßnahmen: – System der Finanzierung und Bereitstellung von Kindergarten-/krippenplätzen in Deutschland. – Der allgemeine Mindestlohn in Deutschland. – Die Festlegung der Bundesbank und EZB auf das Ziel der Preisniveaustabilität. – Rettung und Teilverstaatlichung der Commerzbank im Zuge der Finanzmarktkrise 2008/2009 4. Hinter der Vorstellung eines Zielkonfliktes zwischen niedrigem Preisniveau und niedriger Arbeitslosenquote steht das ökonomische Konzept der (modifizierten) Phillips-Kurve nach Samuelson/Solow. Erläutern Sie auch an Hand einer Graphik, wie dieser „Mechanismus“ funktioniert. Führen Sie nun (rationale) Erwartungen in das Modell ein. Wie und wodurch verändert sich die Beziehung zwischen beiden Zielen? Ergänzen Sie dies auch in der Graphik. (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 35 Übungsfragen 5. Eine Annahme zur Begründung von Nachfragepolitik sind inflexible Preise. Erläutern Sie, wieso Preise in der kurzen Frist sich nicht immer anpassen können. Finden Sie Beispiele dafür? In wie fern beurteilen Sie die Anpassungsfähigkeit der Preise einer Volkswirtschaft heute im Vergleich zu den 1960ger Jahren (Güter und Dienstleistungen, Löhne, Mieten)? Welche Rolle hat dann der Mindestlohn aus Sicht der Nachfragepolitik im Fall konjunktureller Abschwünge? 6. Erläutern Sie mit eigenen Worten die Grundeinteilung von wirtschaftspolitischen Konzeptionen in angebots- und nachfrageorientierte Politikstile. 7. Erläutern Sie an Hand des Barro-Gordon Modells die Bedeutung von Regelbindung zur Lösung des Problems der Zeitinkonsistenz optimaler Strategien in der Geldpolitik. 8. Die Prüfungsordnung der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät sieht Klausuren am Ende jeder Vorlesung vor. In wie fern hat dies mit dem Problem der Zeitinkonsistenz zu tun? 9. Über die Wahrnehmung der Bindungskraft einer Regel entscheidet wesentlich deren Glaubwürdigkeit. Erläutern Sie allgemein die notwendigen Elemente für eine glaubwürdige Regel im Bereich der Wirtschaftspolitik. Liegen diese bspw. bei der „Schuldenbremse“ aus Art. 115GG vor? 10. Stellen Sie sich vor, eine angebotsorientierte und eine nachfrageorientierte Ökonomin diskutieren über die aktuelle Staatsschuldenkrise in Griechenland. Entwickeln Sie im groben die Argumente beider Seiten und ihre jeweiligen Politikempfehlungen. (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 36