Interview mit Frau Jolanthe Ulrich vom Juni 2011 Onkologische Rehabilitation | Sinnvoll und notwendig! Rehabilitationsmaßnahmen sind für onkologische Patienten ein wichtiges Thema, insbesondere nach Operationen, Bestrahlungen und Chemobehandlungen. lebensmut mut sprach Jolanthe Ulrich, der Leiterin der Sozialberatung am Klinikum der Universität München in Großhadern. RehabilitatiiFrau Ulrich, viele Krebspatienten werden mit dem Thema medizinische Rehabilitat on konfrontiert – wie finden Sie zu den Patienten beziehungsweise beziehungsweise die Patienten zu Ihnen? In der Regel melden uns die Stationen Patienten, für die eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme sinnvoll und notwendig erscheint. Eine Beratung kommt also meist auf Anregung bzw. Konsilanforderung der Stationen bzw. Ärzte zustande. Woran liegt das? Leider sind wir aufgrund unserer personellen Situation nicht in der Lage, selbst aktiv auf Patienten zuzugehen und Beratung anzubieten. Wir sind auf die Aufmerksamkeit und Meldefreudigkeit der Stationen angewiesen. Dabei gilt, dass jeder ein Recht auf Beratung hat, auf die weisen auf den Stationen mit Aushängen hin. Demnächst liegt auch ein Infoflyer in der Aufnahmehalle aus. So wollen wir sichtbarer werden. Eine allgemein gültige Regelung zur Meldung von rehareha-bedürftigen Patienten gibt es also nicht? Nein, und das Meldeverhalten ist sehr unterschiedlich. Die Urologie beispiels-weise meldet uns standardmäßig fast alle Prostatapatienten. Das hat damit zu tun, dass bei einer Prostata-OP die medizinische Reha-Maßnahme befürwortet wird, um eventuelle Funktionsstörungen wie z.B. Harninkontinenz zu vermeiden. Auch von den zertifizierten Zentren, wie dem Brust- und dem Darmzentrum, werden uns in der Regel die Krebspatienten nach einer Operation gemeldet. Denn in den Anforderungen an zertifizierte Zentren wird festgelegt, dass jedem Patienten die Möglichkeit einer Beratung durch den Sozialdienst angeboten werden muss. Welche Patienten werden weniger häufig gemeldet? Ich habe den Eindruck, dass sich solche Stationen weniger oft an uns wenden, deren Krebspatienten auch ohne unser Zutun nach Hause entlassen werden können, deren Behandlung sich noch über einen längeren Zeitraum hinzieht oder die (noch) nicht rehafähig sind. Was ist das Ziel einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme? Eine medizinische Reha soll dazu führen, dass Einschränkungen und Gesundheitsstörungen in Folge einer Erkrankung ver-mieden, gemildert beziehungsweise verbessert werden können. Ist der Betroffene berufstätig, geht es perspektivisch um die Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit. Ist er bereits berentet, geht es darum, eine Behinderung und Pflege abzuwenden oder ihre Verschlimmerung zu verhüten. Welche Formen der medizinischen Reha gibt es? Hier unterscheidet man grundsätzlich zwischen der Anschlussheilbehandlung und sonstigen allgemeinen Heilverfahren, im Volksmund auch gerne als „Kur“ bezeichnet. Rehabilitationsmaßnahmen können ambulant, stationär oder teil-stationär erbracht werden. Was kennzeichnet eine Anschlussheilbehandlung? Eine Anschlussheilbehandlung oder auch AHB ist eine ambulante oder stationäre Rehabilitationsmaßnahme, die sich unmittelbar oder im engen zeitlichen Zusammenhang an eine stationäre Krankenhausbehandlung anschließt. Voraussetzung ist, dass der Patient rehafähig ist. Die Maßnahme muss vom Krankenhaus aus eingeleitet werden. Sie ist nur bei bestimmten Diagnosen möglich und hat immer das Ziel, beeinträchtigte bzw. verloren gegangene Fähigkeiten des Patienten wiederherzustellen. Dazu braucht es das Einverständnis des behandelnden Krankenhausarztes – und natürlich auch des Patienten. Das Verfahren ist recht un-bürokratisch und schnell. Der Bescheid ist binnen weniger Tage und i.d.R. längstens nach zwei Wochen da. Wie unterscheidet sich die Kur von der Anschlussheilbehandlung? Die Kur ist ein allgemeines Heilverfahren, das in der Regel über den Hausarzt eingeleitet wird. Bei der Kur gibt es keine definierten Ansprüche. Hier wird allgemein geprüft, ob es Funktionseinschränkungen gibt, die eine Kur notwendig machen. Steht jedem Krebspatienten eine medizinische medizinische Reha? Das kommt auf den Kostenträger an. Ist der Rentenversicherer Kostenträger, hat der Krebspatient einen solchen Anspruch. Die Antragstellung muss allerdings innerhalb des ersten Jahres nach der abgeschlossenen Erstbehandlung erfolgen – also nach einer OP, Chemotherapie oder Bestrahlung. Bei den anderen Kostenträgern sieht die Situation anders aus. Welche Kostenträger gibt es generell und wer ist wann für den Patienten zuständig? Im Bereich der onkologischen Reha gibt es neben den Rentenversicherern noch die gesetzlichen und privaten Krankenkassen als Kostenträger. Bei nicht verrenteten Berufstätigen, die Sozialversicherungsbeiträge entrichten oder entrichtet haben, ist vorrangig der Rentenversicherer zuständig. Das ist die Deutsche Rentenversicherung Bund, die Deutsche Rentenversicherung Land oder die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft/Bahn/See. Sie sind so lange zuständig, wie es um Erhalt oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit geht. Ist ein Patient auf Dauer berentet, muss die Zuständigkeit im Einzelfall ge-klärt werden. Häufig finanziert die Rentenversicherung auch bei Rentnern eine medizinische Reha. Generell gilt: Hält sich der Kostenträger für nicht zuständig, muss er den Antrag an den zuständigen Kostenträger umgehend weiterleiten! ReeSie sagen, dass nur die Rentenversicherungen einen Anspruch auf medizinische R ha gewähren. Wie handhaben die gesetzlichen Krankenkassen diese Frage? Die gesetzlichen Krankenkassen sind zu-ständig, wenn der Patient dauerhaft nicht mehr erwerbsfähig ist oder die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des Rentenversiche- rungsträgers nicht erfüllt hat. Ihre Prüfkriterien orientieren sich nur noch an dem Ziel, Behinderung oder Pflegebedürftigkeit zu vermeiden und Funktionsstörungen zu verbessern. Die Notwendigkeitsbeurteilung umfasst die Prüfung des Bedarfes, der Fähigkeit, der Prognose und des Zieles der Reha. Entsprechend sind die Prüfkriterien strenger geworden. Eine stationäre Reha wird nur noch dann gewährt, wenn eine ambulante Reha nachweislich nicht möglich oder ausreichend ist. Und die privaten Krankenkassen? Hier sind Rehamaßnahmen Kannleistungen, die sehr sorgfältig geprüft werden. Denn die Verträge der privaten Krankenkassen decken i.d.R. nur den Krankenhausaufenthalt ab. Das hat Konsequenzen besonders für privat Versicherte wie Ärzte, Architekten und Beamte, die keine Rentenversicherung und damit nur die private Krankenversicherung als Kostenträger haben. Sie tun sich ungleich schwerer, eine medizinische Rehabilitation bewilligt zu bekommen – eine Situation, die sehr stark die onkologischen Patienten betrifft. Es gibt zwar Fälle, bei denen die Anschlussheilbehandlung wie eine Krankenhausbehandlung angesehen und bewilligt wird. Zunehmend geschieht dies aber nur dann, wenn die Notwendigkeit explizit besteht. Ambulante RehaReha- Maßnahmen sind kostengünstiger als stationäre. Wird also häufiger a mbulant behandelt? Noch nicht, aber die Entwicklung geht da hin. Aber auch hier gibt es Unterschiede: Der Rentenversicherer gewährt meist noch ohne Probleme die stationäre Behandlung. Die Krankenkassen hingegen tendieren zur ambulanten Reha, wenn aus ihrer Sicht beide Maßnahmen gleich zielführend sind. Eine ambulante Behandlung kann aber auch im In Interesse des Patienten sein. Richtig. Für onkologische Patienten gibt es aber nur wenige Kliniken, die ambulante Anschlussheilbehandlungen anbieten. Kann der Patient die Einrichtung prinzipiell selbst auswählen? Im Sozialgesetzbuch (§ 9, SGB IX) ist das Wunsch- und Wahlrecht des Patienten verankert. Doch die Formulierung ist sehr vage und das SGB IX kein Leistungsgesetz. Zwar ist der Kostenträger angehalten, den berechtigten Wünschen der Patienten zu entsprechen und auf die persönliche Lebenssituation des Antragsstellers Rücksicht zu nehmen. Jedoch gelten hier grundsätzlich die Anforderungen der Kostenträger. Dazu gehört auch, dass ein Vertrag zwischen dem zuständigen Kostenträger und Einrichtung bestehen muss und der Wahl keine medizinischen Gründe entgegenstehen dürfen. Können Angehörige mitkommen? Diese Möglichkeit besteht in nahezu allen Einrichtungen. Die Unterbringungs- und Verpflegungskosten müssen aber selbst getragen werden. Nur in Ausnahmen finanzieren die Kostenträger den Aufenthalt, z.B. wenn die Begleitperson zur Sicherstellung der Reha zwingend notwendig ist. Bei Kindern, die eine onkologische Reha durchführen, zahlt der Träger i.d.R. bis zum 12. Lebensjahr (bei Bedarf auch darüber hinaus) die Anwesenheit eines Elternteiles. Will umgekehrt die Mutter ihr Kind mitnehmen, gibt es einige RehaKliniken, welche die Mitnahme der Kinder möglich machen und deren Betreuung sicherstellen. Auch das wird über den Kostenträger bis zum 12. Lebensjahr finanziert. Was raten Sie Patienten, die aufgefordert werden, eine Reha durchzuführen? Bei Personen, die noch im Erwerbsleben stehen und Krankengeld beziehen, kann die Krankenkasse nach §51 SGB V die Versicherten zu einer Reha-Antragstellung auffordern, sofern nach ärztlichem Gutachten die Erwerbsfähigkeit bedroht ist. Der Versicherte muss dann binnen zehn Wochen einen solchen Antrag stellen. Geschieht das nicht, kann die Krankengeldzahlung ausgesetzt werden, bis der Antrag gestellt ist. Ich rate betroffenen Patienten, sich in diesem Fall von einer professionellen Stelle beraten zu lassen, da die Fälle zu individuell sind für generelle Empfehlungen. Wenn jemand schon länger Krankengeld bezieht und mutmaßlich nicht mehr ins Erwerbsleben zurück kann, kann es sinnvoll sein, dieser Aufforderung nachzukommen. Für andere ist die Vorstellung schrecklich, nicht mehr in den Beruf zurückzugehen, oder sie profitieren auch finanziell vom Krankengeld. Sie sollten vielleicht die Frist von zehn Wochen wirklich ausschöpfen. Doch ich betone nochmal: Hier lässt sich pauschal nichts Sinnvolles sagen. Wichtig ist es in diesem Fall, zu einer neutralen Beratungsstelle zu gehen. Stationäre Patienten können gerne zu uns kommen, für die anderen sind Krebsberatungsstellen gute Anlaufstellen. Was raten Sie Patienten, deren RehaReha-Antrag abgelehnt wird? Wichtig zu wissen ist, dass gegen eine Ablehnung binnen eines Monates vom Versicherten bzw. Antragsteller selbst schriftlich Widerspruch eingelegt werden muss. Der Widerspruch muss begründet sein. Sehr hilfreich ist hier ein Arzt, der diesen medizinisch untermauert. Zudem sollte man sich die Begründung der Ablehnung sehr genau durchlesen, um präzise zu argumentieren. Wir können nur bedingt Hilfestellung leisten: Wir schauen uns die Begründung sehr genau an und prüfen die Chancen für einen Widerspruch. Engagierte Unterstützung leistet hier der VdK, der große Erfahrungswerte hat und auch den Schriftverkehr übernimmt. Frau Ulrich, vielen vielen Dank für das Gespräch. Das Interview für lebensmut mut e.V. führte Regine Kramer