Schwerpunkt Nicole Dantrimont Held im Verborgenen Das Nationaltheaterorchester Mannheim Qualitätssiegel „made in Kurpfalz“ „Made in Kurpfalz“ – mit diesem Qualitätssiegel wirbt das Nationaltheater Mannheim für sein Orchester: Nationaltheaterorchester Mannheim. Der Name klingt vielleicht etwas sperrig, gar umständlicher als der anderer Opernorchester. Doch steckt deswegen weniger dahinter? Keineswegs, wie man feststellt, wenn man sich einmal näher mit dem Orchester und seiner Arbeit beschäftigt. Nur ein Problem gibt es (noch): die Darstellung nach Außen, das Image des Klangkörpers. Warum das so ist, weiß keiner so recht. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass die Stadt selbst keine so starke Anziehungskraft hat wie z. B. 10 München oder dass das Theater keine Auszeichnungen anhäuft wie die Staatsoper Stuttgart. Fest steht, dass das Orchester schon jetzt mehr musikalische und musikpädagogische Aktivitäten neben dem eigentlichen Kerngeschäft betreibt als viele andere Orchester in Deutschland. Detlef Hartmann ist seit fast zwei Jahren Orchesterdirektor des Nationaltheaterorchesters Mannheim. Seit seinem Amtsantritt hat er sich Gedanken gemacht, warum ein Orchester mit einer solchen Tradition, einem solchem Potenzial und derart vielen Programmen und Projekten medial kaum vertreten ist. Da hilft es nur, Ursachenforschung zu betreiben mit dem klaren Ziel, das Orchester überregional wieder besser ins Gespräch zu bringen. Das Orchester 5/07 Auf der Homepage des Nationaltheaters Mannheim braucht der Eingeweihte nur drei Klicks, um sich zum Orchester vorzuarbeiten. Neuankömmlinge suchen länger. Hat sich das Orchester versteckt, fristet es ein Nischendasein? Im Gegenteil, es ist präsenter als je zuvor. Eine Bestandsaufnahme von Nicole Dantrimont. Detlef Hartmann KI.KA-Moderator Juri Tetzlaff und das Nationaltheaterorchester bei einem Kinderkonzert Doch halt! Bevor man über die Region hinausgeht, gilt es zunächst, die nähere Umgebung zu betrachten. In der Metropolregion Rhein-Neckar, auch Rhein-Neckar-Dreieck genannt, leben rund 2,4 Millionen Menschen in drei verschiedenen Bundesländern: Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen. Seit April 2005 gilt dieses Gebiet als siebtgrößter Wirtschaftsraum Deutschlands und zählt zu den europäischen Metropolregionen. Als solche ist sie eine stark verdichtete Großstadtregion von hoher internationaler Bedeutung. Metropolregionen werden als Motoren der sozialen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung eines Landes betrachtet.1 Schade, dass die kulturelle Entwicklung bei dieser Definition außen vor Das Orchester 5/07 bleibt. Denn gerade im Rhein-Neckar-Dreieck hat die Kultur einen hohen Stellenwert. Allein zwei Festspielzyklen von internationalem Rang geben sich hier im Frühjahr die Ehre: die alteingesessenen Schwetzinger Festspiele und der deutlich jüngere Heidelberger Frühling. Es gibt unzählige kleinere Theater, freie Bühnen, freie Orchester – man denke nur an die mittlerweile etablierten Heidelberger Sinfoniker. In Mannheim residiert eine der fünf Musikhochschulen des Landes Baden-Württemberg. Und es gibt vier professionelle Orchester: das Kurpfälzische Kammerorchester als kleinstes Ensemble mit nur zwölf Musikern hat sich auf die Musik der Mannheimer Schule spezialisiert; die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, vormals Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, bezeichnet sich selbst als größtes und führendes Sinfonieorchester des Landes Rheinland-Pfalz mit Sitz in Ludwigshafen am Rhein; und schließlich zwei Opernorchester: das Philharmonische Orchester der Stadt Heidelberg und das Nationaltheaterorchester Mannheim. Da gilt es sich zu behaupten und der Konkurrenz zu trotzen. Doch es gilt auch zu differenzieren, erläutert Detlef Hartmann: „Ein Orchester, das zu 80 Prozent in der Oper eingesetzt wird, muss sich anders vermarkten als ein Sinfonieorchester. Die Ausgangslage ist nicht zu vergleichen. Umso deutlicher müssen wir uns artikulieren, um wahrgenommen zu werden.“ 11 Schwerpunkt Eine Art Quastenflosser Im Rosengarten Mannheim, der Konzertstätte des Nationaltheaterorchesters, tummeln sich viele: Der SWR unterhält eine eigene Konzertreihe mit seinen beiden Klangkörpern aus Stuttgart sowie Baden-Baden und Freiburg. Die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz von der anderen Rheinseite ist ebenfalls zugegen. Dazu kommt die Konzertreihe ProArte mit Mainstream-Programmen, hochkarätigen Solisten und international renommierten Orchestern. Und dann eben das Nationaltheaterorchester mit seinen Akademiekonzerten. „In dieser Landschaft müssen wir uns behaupten“, sagt Dietrich Brauer, zweiter Geiger und Vorsitzender des Orchestervorstands. Und Kurt Nagel, Vorsitzender der Musikalischen Akademie, fügt hinzu: „Wir lehnen die Massenkultur ab, die immer mehr die Gesellschaft beherrscht… Ein Konzert soll bei uns ein Ereignis sein. Wir wollen in erster Linie Qualität.“ Acht Akademiekonzerte gibt das Orchester pro Spielzeit mit Programmen, die einerseits bekannte Stücke aufgreifen, andererseits aber das Bestreben haben, dem Publikum seltener Gehörtes vorzusetzen. Beispielhaft dafür stehen ein Harfenkonzert von Carl Reinecke oder Berlioz’ Symphonie Harold en Italie. Was auf den ersten Blick aussieht und klingt wie eine ganz normale Abonnementkonzertreihe, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als historisches Relikt aus der Gründungszeit des Orchesters. Vielleicht ist das Nationaltheater damit so etwas wie der Quastenflosser: ein Überbleibsel aus einer längst vergangenen Ära. Denn das Nationaltheaterorchester Mannheim ist heute eines der wenigen Orchester in Deutschland, dessen Konzerte von den Musikern eigenverantwortlich veranstaltet werden. Die Führung des Nationaltheaters selbst nimmt keinen Einfluss darauf. Die Programme werden von einem Gremium aus zehn Musikern zusammengestellt, davon gehören vier Musiker zum aktiven Kern, sechs erfüllen eine Beiratsfunktion. Der Vorstand der Musikalischen Akademie, so die Bezeichnung des Gremiums, wird vom ganzen Orchester gewählt. Mitspracherecht hat der jeweilige Generalmusikdirektor des Hauses, der vier der acht Konzerte dirigiert und involviert ist in sämtliche Fragen. Die Musiker kümmern sich ums Repertoire, die Gastdirigenten und die Solisten. Eigenständigkeit und Vorgehensweise werden von den Musikern durchweg positiv gesehen. „In einem anderen Orchester kann man nicht einfach den Wunsch äußern, die achte Sinfonie von Schostakowitsch spielen zu wollen. Bei uns geht das“, meint Matthias Wollenweber, Soloflötist des Orchesters und Mitglied des Vorstands. Jeweils zweimal wird ein Programm gespielt, montags und dienstags abends. Am Morgen nach dem ersten Konzert treffen sich die Mitglieder des Vorstands der Musikalischen Akademie Kurt Nagel (links), Matthias Wollenweber und das Nationaltheaterorchester Mannheim 12 Das Orchester 5/07 Schwerpunkt zu einer Nachbesprechung, erzählt Kurt Nagel: „Die Türen sind zu, die Fenster sind zu, und dann wird geredet und entschieden, ob Dirigent und Solist noch mal eine Einladung erhalten oder eben auch nicht.“ Mannheim und die Tradition Ihren Ursprung haben die Akademiekonzerte im Jahr 1778: Wolfgang Amadeus Mozart hält sich gerade in Mannheim auf, als der Pfälzer Kurfürst Karl Theodor zum Herzog von Bayern ernannt wird. Am Hof in München gibt es eine Hofkapelle von vorzüglichem Ruf sowie einen Opernbetrieb. Ausgesuchte Musiker und Sänger ziehen mit Karl Theodor von Mannheim nach München, darunter auch Mozarts spätere Schwägerin, die Sängerin Aloysia Weber. Die anderen Mitglieder der Mannheimer Kapelle sind zunächst in ihrer Existenz bedroht. Doch der Kurfürst ordnet von München aus an, dass Kapelle und Theater in Mannheim als Nationaltheater bzw. Orchester in die Trägerschaft der Mannheimer Bürger übergehen sollen. Mit dieser Loslösung vom Hof schuf man in Mannheim also bereits vor 229 Jahren ein heute gängiges Modell, nämlich das des an die Stadt gebundenen Theaters. Bereits am 20. November 1778, nur wenige Wochen nach der Auflösung des Residenzstatus, fand das erste öffentliche Konzert für die Bürger Mannheims statt. „Das war die Geburtsstunde der Musikalischen Akademie des Nationaltheaterorchesters Mannheim, die als Institution genau drei Jahre älter ist als die berühmten Leipziger Gewandhauskonzerte“,2 schreibt Hartmut Becker in der Festschrift des Orchesters, die anlässlich des Das Orchester 5/07 225-jährigen Bestehens der Akademiekonzerte entstanden ist. Leiter der Musikalischen Akademie wurde Ignaz Fränzl, Schüler von Johann Stamitz und ehemaliger Hofkonzertmeister. Er sorgte dafür, dass der Ruf des Opern- und Konzertbetriebs wieder auf ein beachtliches Niveau stieg. Bald standen Opern von Cherubini und Boieldieu auf dem Spielplan, auch die Symphonien Ludwig van Beethovens erklangen bereits früh in Mannheim. Hector Berlioz dirigierte hier eigene Werke, und noch ehe Richard Wagner 1871 seinen Einstand gab, etablierte sich eine Wagner-Tradition, die bis heute anhält. Einige Musiker des Nationaltheaterorchesters verbringen ihren Sommer in Bayreuth. Auch hat Mannheim eines der wenigen Theater, die zuverlässig „Die Türen sind zu, die Fenster sind zu, und dann wird geredet und entschieden, ob Dirigent und Solist noch mal eine Einladung erhalten oder eben auch nicht.“ am Karfreitag den Parsifal aufführen. Die Mannheimer Inszenierung wird in diesem Jahr übrigens 50 Jahre alt. Und noch ein ganz besonderes Schmankerl wurde in diesem Theater aus der Taufe gehoben: Loriots Ring an einem Abend. … … Lesen Sie weiter in Ausgabe 2007/05 13