Die Lust des jungen Nagers

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Mittwoch, 4. 7. 2007
Forschung Spezial
der Standard 13
JOURNAL FÜR WISSENSCHAFT, TECHNOLOGIE & ENTWICKLUNG
Ziesel-Männchen
beteiligen sich nicht
an der Aufzucht
der Jungen. Es sei
denn, sie bemühen
sich um ein
Weibchen, weil sie
froh sein müssen,
sie als „Partnerin“
ergattert zu haben.
Die Lust
des jungen Nagers
Die Pubertät ist eine schwierige Zeit: Nicht genug
damit, dass die Hormone sich wild gebärden,
stehen auch Entscheidungen an, die den Rest
des Lebens beeinflussen können – das gilt zwar
auch für den Menschen, noch viel mehr aber
für Ziesel, jene Nager, die man immer seltener
auf Trockenrasen im Osten Österreichs findet.
Susanne Strnadl
Eine der wichtigsten (unbewussten) Entscheidungen, die
ein junges Ziesel zu treffen
hat, ist die zwischen Wachstum und Vermehrung, denn
beide Aktivitäten brauchen
Zeit und Energie – zwei Ressourcen, die Zieseln nur in
sehr begrenztem Ausmaß zur
Verfügung stehen: Ihr Winterschlaf dauert sechs bis sieben
Monate, und zwischen März
und September müssen sie
nicht nur die Fortpflanzung
absolvieren, sondern sich
auch genug Fett für den nächsten Winterschlaf anfressen.
Zudem besteht immer die Gefahr, Räubern zum Opfer zu
fallen. Von Tieren mit solchen
Vorgaben würde man eigentlich erwarten, dass sie in die-
sem kurzen Zeitraum wenig Spielraum haben, unterschiedliche
Strategien zu
entwickeln.
Wie langjährige
Forschungen von Eva Millesi und ihren Mitarbeiterinnen vom Department für Verhaltensbiologie der Universität Wien zeigen, ist jedoch das
Gegenteil der Fall: Im Rahmen
ihrer Möglichkeiten zeigen die
kleinen Nager eine erstaunliche Plastizität im Verhalten.
Im Rahmen eines über den
Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projektes beschäftigte sich Millesis Gruppe mit einem Phänomen, das sich im
Zuge früherer Untersuchungen ergeben hatte: Spätestens
nach ihrem zweiten Winterschlaf sind alle Männchen se-
xuell aktiv, doch bei
Jährlingen (das sind
Tiere, die erst einen
Winterschlaf hinter
sich haben), gibt es
zwei Möglichkeiten:
Sie können geschlechtsreif aus dem
Bau kommen, oder aber sie
können noch ein Jahr damit
warten. Wie Millesi und ihre
Gruppe herausfanden, wird
dies von der Populationsdichte beeinflusst: Leben viele Ziesel in einem Gebiet, werden
die allermeisten männlichen
Jährlinge erst im nächsten Jahr
geschlechtsreif. Ist der Bestand jedoch niedrig, sind fast
alle Jährlinge sexuell aktiv.
Das ist nicht unlogisch,
denn wenn es viele Ziesel gibt,
sind darunter naturgemäß
auch viele ältere und damit
größere Männchen, die es aufgrund der beengten Verhältnisse oft schaffen, mehrere
Weibchen für sich zu beanspruchen. Schmalbrüstige
Jungmänner kommen unter
diesen Umständen kaum zum
Zug und tun besser daran,
stattdessen noch eine Weile zu
wachsen. Ist das Areal jedoch
nur dünn mit Zieseln besiedelt, sind die Distanzen zwischen den Weibchenbauten
größer, und es kommt eher
darauf an, paarungsbereite
Weibchen zu lokalisieren. Da
die Konkurrenz durch Ältere
geringer ist, haben auch junge
Männchen eine gute Chance
auf Paarung.
Preis des Erfolges
Der frühe Fortpflanzungserfolg hat jedoch auch seinen
Preis: Wie Millesis Untersuchungen ergaben, sind sexuell
aktive Jährlinge am Ende der
Saison kleiner und leichter als
nicht-reproduzierende Männchen und weisen eine verminderte Immunabwehr auf, was
möglicherweise ihre Überlebenschancen verringert.
Auf welchem Wege sich die
Populationsdichte den jugendlichen Zieseln physiolo-
Auf die Fitness kommt es an
Tiere wenden bestimmte Strategien
an, um möglichst viele Gene an die
nächste Generation weiterzugeben.
Dabei treffen sie „quasi rationale“
Entscheidungen, sagt der Biologe
Klaus Hackländer.
Mit ihm sprach Susanne Strnadl.
Standard: Offenbar sind sogar
so kleine Nager wie die Ziesel
imstande, sehr flexibel auf Umweltverhältnisse zu reagieren.
Wie kommt das?
Hackländer: Tiere fahren bestimmte Strategien, die ihre
Fitness optimieren, also ihnen
erlauben, möglichst viele ihrer
Gene an die nächste Generation weiterzugeben. Die wichtigste Entscheidung liegt dabei
zwischen Wachstum und
Fortpflanzung. Wann immer
es irgendwie geht, versuchen
Tiere sich fortzupflanzen.
Sehr viele Arten sind dabei
aber viel flexibler als lange
Zeit angenommen. Sie können
sich je nach Umweltbedingungen für sofortige Fortpflanzung und kein oder nur
geringes Wachstum oder für
starkes Wachstum und spätere Fortpflanzung entscheiden.
Standard: Inwieweit kann man
bei Tieren überhaupt von Entscheidungen sprechen?
Hackländer: Es handelt sich
nicht um bewusste Entscheidungen, es sieht aber so aus.
Seit den 1970er-Jahren werden Verhaltensweisen auf optimale Entscheidungsprozesse
analysiert, wie wir sie aus der
Wirtschaft kennen, und was
Tiere hier zeigen, nennt man
quasi-rational, d. h. wenn wir
Optimalitätsüberlegungen anstellen, würden wir genau das
erwarten, was die Tiere auch
wirklich tun. Eine Kohlmeise
z. B. hat je nach Nahrungsangebot eine optimale Anzahl
von Eiern – d. h. so viele wie
möglich, aber ohne sich dabei
so zu verausgaben, dass sie
stirbt oder die Jungen nicht
großziehen kann.
Standard: Wie kommen solche
Entscheidungen zustande?
Hackländer: Es handelt sich
dabei um Entscheidungen, die
nicht das Individuum trifft,
sondern die die Evolution für
das Individuum getroffen hat:
Nur Individuen, die ihre Ressourcen optimal nutzen, um
ihre Fitness zu maximieren,
sind überhaupt noch hier.
Nicht-optimale
Strategien
schlagen sich in weniger
Nachkommenschaft
nieder
und werden daher bald nicht
mehr weitergegeben. Die Strategien sind genetisch festgelegt, aber sie können innerhalb
einer Art je nach Umweltbedingungen sehr plastisch sein:
In Großbritannien etwa, wo es
viel Nahrung gibt, haben
Dachs-Männchen
mehrere
Weibchen. In Italien, wo Futter knapp ist, muss das Männchen mithelfen, wenn seine
wenigen Jungen überleben
sollen – dort ist der Dachs monogam.
Standard: Könnte diese Plastizität die negativen Folgen des
Klimawandels mildern?
Hackländer: Prinzipiell ja, weil
viele Arten in der Lage sind,
sehr schnell auf veränderte
Umweltbedingungen zu reagieren, sofern sie die Möglichkeit haben, manchen Dingen
durch Wanderungen auszuweichen. Probleme gibt es
aber, wenn der Lebensraum
verloren geht – z. B. für alpine
Tiere durch ein Aufwärtswandern der Baumgrenze – und
weil diese Plastizität nur dort
gegeben ist, wo eine entsprechende genetische Vielfalt vorhanden ist, und die ist bei vielen Arten nicht mehr gegeben,
weil viele Populationen isoliert sind und kein genetischer
Austausch mehr stattfindet.
ZUR PERSON:
Der Mannheimer Klaus Hackländer, geboren 1970, leitet
das Institut für Wildbiologie
und Jagdwirtschaft an der
Universität für Bodenkultur.
Er beschäftigt sich mit der
Ökologie und dem Management von Wildtieren und deren Lebensräumen.
gisch mitteilt, ist
vorläufig
ungeklärt, doch denkbar
ist, dass die Anwesenheit
älterer
Männchen den Verlauf der Pubertät beeinflusst. Aus Versuchen in naturnahen
Gehegen wissen die
Forscherinnen,
dass
juvenile
Männchen, die mit
älteren
geschlechtsreifen gehalten werden, mehr
aggressiven
Auseinandersetzungen ausgesetzt sind, weniger
wachsen und eine
verstärkte
Tendenz
zur Abwanderung zeigen als
solche, die ohne ältere Geschlechtsgenossen aufwachsen.
Doch nicht nur Jährlingsmännchen haben Möglichkeiten, ihr Verhalten an die herrschenden Verhältnisse anzupassen, sondern auch erwachsene: Prinzipiell beteiligen
sich Ziesel-Männchen in
keinster Weise an der Aufzucht der Jungen. Jedes Tier
hat einen eigenen Bau, und
Weibchen graben einen speziellen Wurfbau, in den sie
nach erfolgter Paarung übersiedeln. In Zeiten hoher Dichte jedoch entfallen die meisten
Paarungen auf einige wenige
Männchen, und viele müssen
froh sein, eine einzige Partnerin zu ergattern. Solche Männchen konnten Millesi und ihre
Mitarbeiterinnen oft dabei beobachten, dass sie am Wurfbau eines Weibchens
gruben und in der
Nähe wachten.
Die
Weibchen
hatten dadurch
mehr Zeit und
Energie
zur
Futtersuche,
und obwohl
die
Jungen
selbst keine väterliche Fürsorge
genossen, zeigte der Nachwuchs der unterstützten Mütter beim ersten Auftauchen
aus dem Bau ein erhöhtes Gewicht gegenüber dem von
Weibchen, die alles allein machen mussten. Da Geburtsgewicht ein wesentlicher Faktor
für die Überlebenswahrscheinlichkeit von Jungtieren
ist, liegt nahe, dass die Männchen ihren Fortpflanzungserfolg auf Umwegen optimieren:
Bei nur einer Partnerin haben
sie zwar weniger Junge, aber
diese haben dafür erhöhte
Chancen, das Erwachsenenalter zu erreichen. – Die Männchen sind erstaunlich flexibel:
Wenn der brave Familienvater
im nächsten Jahr die Chance
hat, viele Weibchen zu beglücken, wird er sang- und klanglos wieder zum Macho.
Wissenschafts- und Innovationsstadt
AUSSCHREIBUNG
von Preisen des
Viktor Frankl-Fonds der Stadt Wien zur Förderung
einer sinnorientierten humanistischen Psychotherapie
Der Fonds vergibt im Jahr 2007
einen „Großen Preis“ für das wissenschaftliche Gesamt-/Lebenswerk
zwei „Förderungspreise“ für die bisherige Arbeit in den Bereichen
Wissenschaft, Lehrtätigkeit und Therapie
INHALT
Josef Penninger,
Direktor des
Instituts für
Molekulare
Biotechnologie,
über Molekularbiologie als „Big
Science“. Seite 14
Geistesblitz:
die
Politikwissenschafterin Barbara
Prainsack.
Seite 15
Die jüngste
Ausschreibung der
österreichischen
Nanoinitiative
und eine Tagung
zu Fragen des
Winzigkleinen.
Seite 18
„Wissenschaftsstipendien“ für wissenschaftliche Projekte
Einreichtermin für 2007: 8. Oktober 2007
Bewerbungen sind an das Generalsekretariat zu richten:
Generalsekretär Univ.-Prof. Dr. Hubert Christian Ehalt,
Friedrich Schmidt-Platz 5, 1082 Wien
Informationen im Generalsekretariat des Fonds:
Tel.: (43 1) 4000 88742, E-mail: [email protected],
unter http://www.wien.gv.at/fonds/wissenschaft/frankl.htm,
bzw. im Viktor Frankl Institut, Univ.-Prof. Dr. Franz Vesely,
E-mail: [email protected]
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