Mikroorganismen klauen sich einen Stoffwechselweg zusammen

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Mikroorganismen klauen sich einen Stoffwechselweg
zusammen
Viele Mikroorganismen leben im hinterletzten Winkel dieser Welt, wo extreme Hitze, Kälte
oder Salzstress herrschen. Sie bekommen oft nur niedermolekulare
Kohlenstoffverbindungen „zu fressen“. Wie machen sie daraus komplexere Moleküle, die
fürs Überleben unabdingbar sind? Dr. Ivan Berg und seine Arbeitsgruppe von der Universität
Freiburg berichten im renommierten Fachjournal Science von einem ganz neuen Weg bei
Mikroorganismen aus dem Toten Meer, mit dem diese Aminosäurevorläufer herstellen
können. Eine Entdeckung, die auch ein interessantes Licht auf die Werkstatt der Evolution
wirft: So ganz von alleine kamen die Mikroben auf den neuen Trick nicht.
Dr. Ivan Berg vor einem Tank, in dem Mikroorganismen gezüchtet werden können. © Dr. Ivan Berg
Energiegewinnung, Biosynthese von Aminosäuren, Aufbau von Kohlenhydraten – alle diese
Prozesse sind für das Leben auf unserem Planeten unentbehrlich. Vor allem Mikroorganismen
haben im Laufe der Evolution ganz unterschiedliche Wege gefunden, um die Bedingungen in
ihrer jeweiligen oft extremen Umwelt biochemisch auszunutzen. Dr. Ivan Berg und seine
Arbeitsgruppe von der Abteilung für Mikrobiologie am Institut für Biologie II der Universität
Freiburg suchen nach unbekannten Stoffwechselwegen bei den mikroskopischen
Lebensformen unserer Erde. „Mich interessiert dabei zum Beispiel, wie die Organismen aus
kleinen Kohlenstoffverbindungen komplexere machen, die dann für die vielen Aufbauprozesse
in einer Zelle zur Verfügung stehen“, sagt der Biochemiker Berg. Als eine Fundgrube erwies
sich im letzten Jahr eine Mikrobe aus dem Reich der Archaeen, den ältesten Organismen der
Erde. Das in dem Extremlebensraum des Toten Meers lebende Haloarcula marismortui
beherrscht eine bisher unbekannte Strategie, das aus zwei Kohlenstoffatomen aufgebaute
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Acetat (das Salz der Essigsäure) zu einem vieratomigen Molekül weiterzuverarbeiten – und
damit für die Biosynthese von Aminosäuren nutzbar zu machen.
Eine dritte Variante
Acetat stellt in seiner biologisch aktiven Form als Acetyl-Coenzym-A einen molekularen
Knotenpunkt im Netz der zellulären Stoffkreisläufe dar. Das Molekül ist sowohl ein
Ausgangsstoff für den Aufbau von Fettsäuren und damit für die Energiespeicherung als auch
für die Energiegewinnung. Es dient indirekt auch zum Aufbau von Aminosäuren und ist damit
elementar für die Synthese von Proteinen. Mikroorganismen, die unter den unwirtlichen
Bedingungen des Toten Meers leben, können Aminosäuren oft nicht direkt mit der Nahrung
aufnehmen. Sie müssen sie aus niedermolekularen Verbindungen herstellen. Aminosäuren
können aber nur aus Molekülen wie Malat oder Succinat gebildet werden, weil diese ein
Kohlenstoffgerüst aus vier Atomen besitzen. Um Acetat direkt zu verarbeiten, fehlt vielen
Organismen die Enzymausstattung. „Das Problem für die Mikroben lautet also: Wie mache ich
aus einem C2-Molekül ein C4-Molekül?“, sagt Berg. Bisher kannten Mikrobiologen zwei
Möglichkeiten: den Glyoxylatzyklus und den Ethylmalonyl-Coenzym-A-Weg. Bei Haloarcula
marismortui hat sich offenbar eine dritte Variante entwickelt.
Wie sucht man gezielt nach einem neuen Stoffwechselweg? Berg und sein Team haben den
Mikroorganismus Haloarcula marismortui ausgewählt, weil bekannt war, dass er in Medien mit
Acetat als einziger Nahrungsquelle wachsen kann. Erste Untersuchungen ergaben, dass ihm
die Enzymausstattung für die zwei bisher bekannten Stoffwechselwege fehlt. Damit war klar,
dass der Organismus über eine neue Möglichkeit verfügt, aus Acetat Aminosäuren herzustellen.
Mithilfe der Methoden der sogenannten Proteomics untersuchten die Mikrobiologen um Berg
deshalb, welche Proteine in einer Zelle von Haloarcula vermehrt produziert werden, wenn diese
mit Acetat gezüchtet wird. Als Vergleichsgruppe dienten Zellen, die in einem Medium mit
Succinat wachsen durften, das bereits aus vier Kohlenstoffatomen aufgebaut ist und aus dem
Aminosäuren direkt hergestellt werden können. Berg und Co. fanden tatsächlich einige
Eiweiße, die hochreguliert werden, wenn Acetat die einzige Nahrungsquelle ist. Diese Enzyme
mussten etwas mit dem Schritt von C2 zu C4 zu tun haben. Und weil ihre Funktionen bisher
unbekannt waren, musste es sich hierbei um eine im Zusammenhang mit dem Acetat-Umbau
grundsätzlich neue chemische Reaktionskette handeln.
Kreativer Ideenklau
Vergleiche der Gensequenz mit Genen von anderen Organismen ergaben Ähnlichkeiten zu
bereits bekannten Enzymen. Obwohl die Funktionen der neuen Proteine unbekannt waren,
haben sie dennoch Verwandte, und aufgrund dieser Verwandtschaft konnten Berg und seine
Mitarbeiter auch die Rolle der Proteine im neuen Stoffwechselweg aufklären. Es ergibt sich eine
Folge von drei Reaktionen, in denen ein Glutamat-Molekül in das Molekül Mesaconyl-CoenzymA überführt wird, in eine Form also, die letztendlich zu Succinat weiter verarbeitet werden
kann. Diese Reaktionskette ist gewissermaßen ein Modul, das in den gesamten Stoffkreislauf
eingepasst ist, in dem zwei Acetatmoleküle über Glutamat zu Succinat und damit zu einem
Vorläufer von Aminosäuren umgebildet werden können. Berg und seine Mitarbeiter kamen zu
dem Schluss, dass die Schritte der Umsetzung von Acetat zu Glutamat wie auch die die
restlichen Teile des Stoffkreislaufs aus bereits bekannten Stoffwechselwegen stammen. Das
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Der von Dr. Ivan Berg und seiner Gruppe entdeckte Methylaspartat-Zyklus, ausgehend von Acetyl-Coenzym A. Die drei
aufgeklärten Reaktionsschritte von Glutamat bis Mesaconyl-Coenzym A sind hervorgehoben. © Dr. Ivan Berg
Neue ist also eine Kombination von bekannten Schritten mit einer neuen Funktion als
Ergebnis.
Wie aber entstand in den Mikroorganismen der gesamte Reaktionskreislauf, der sich aus
verschiedenen anderen Stoffwechselwegen zusammensetzt? Berg und sein Team verglichen
die Gene der entsprechenden Enzyme mit den Genen aus anderen bekannten Organismen. Es
stellte sich heraus, dass verschiedene Teile des Stoffwechselzyklus in Bakterien zu finden sind,
die von Haloarcula stammesgeschichtlich sehr weit entfernt sind. "Haloarcula marismortui hat
sich verschiedene Teile des Zyklus einfach bei unterschiedlichen Bakterien zusammengeklaut",
sagt Berg. Mikroorganismen verfügen über die Fähigkeit, frei schwimmende DNA aus der
Umgebung aufzunehmen. Offenbar haben sie während ihrer Evolution zufällig die richtigen
Gene aufgenommen und in ihr eigenes Erbgut eingebaut. Sie waren plötzlich fähig, aus Acetat
Aminosäuren herzustellen und hatten damit im unwirtlichen Toten Meer einen
Überlebensvorteil. "Die Evolution ist wie ein Bastler, der sich dessen bedient, was verfügbar ist,
und daraus etwas Funktionierendes macht", sagt Berg. Prinzip LEGO gewissermaßen. Oder in
der Sprache von Evolutionsbiologen: "evolutionary tinkering". In der Evolution ist kein
planvolles Vorgehen am Werk, sondern ein zufälliges Kombinieren von Bauteilen, die schon
vorhanden sind.
Auf zum neuen Lebensräumen?
Insgesamt vier Mitarbeiter von der Abteilung für Mikrobiologie beteiligten sich bisher an Bergs
Projekten. Die Forscher interessieren sich für verschiedene Aspekte von bakteriellen
Stoffwechselwegen, zum Beispiel auch neue Wege der Fixierung von CO2 in organisches
Material. Hierzu untersuchen sie unterschiedliche Arten von Mikroorganismen aus
verschiedenen Lebensräumen. Im Frühling diesen Jahres wird der Lehrstuhlinhaber für
Mikrobiologie Prof. Dr. Georg Fuchs emeritiert. Berg hat bisher keine eigene Gruppe aufgebaut,
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das möchte er jetzt nachholen. Gerne würde er in Freiburg bleiben. Aber er ist auch offen für
neue Lebensräume.
Fachbeitrag
18.02.2011
mn
BioRegion Freiburg
© BIOPRO Baden-Württemberg GmbH
Weitere Informationen
Dr. Ivan Berg
Mikrobiologie
Institut für Biologie II
Schänzlestr. 1
79104 Freiburg
Tel.: +49 (0)761/203 2777
E-Mail: ivan.berg(at)biologie.uni-freiburg.de
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